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OWi I: Wenn Einlassung und Toleranzabzug fehlen, oder: Beim OWi-Richter fehlt das Grundwissen

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In die 5. KW. starte ich dann mit zwei OWi-Entscheidungen.

Hier kommt zunächst der OLG Koblenz, Beschl. v. 18.01.2023, – 4 ORbs 31 SsBs 17/23. Das OLG führt zu den Anforderungen an die Urteilsgründe im Bußgeldverfahren wegen einer Geschwindigkeitsüberschreitung aus. Wenn man es liest, mag man es nicht glauben, dass das OLG das AG auf die Versäumnisse hinweisen muss. Das ist m.E. Grundwissen eines OWi-Richters oder besser: Sollte es sein.

„Das Rechtsmittel ist zulässig und erzielt mit der Sachrüge einen jedenfalls vorläufigen Erfolg. Die Entscheidung des Amtsgerichts beruht auf einer lückenhaften Beweiswürdigung und lückenhaften Feststellungen, da es an der Darstellung fehlt, ob und inwieweit sich der Betroffene zum Tatvorwurf eingelassen hat und welcher Toleranzwert bei der durch ein standardisiertes Messverfahren festgestellten Geschwindigkeit berücksichtigt wurde.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat sich in ihrer Stellungnahme vom 6. Januar 2023 insoweit der Begründung der Rechtsbeschwerde angeschlossen und zur Rechtsfehlerhaftigkeit von Beweis-würdigung und Feststellungen Folgendes ausgeführt:

„Das Urteil ist – auch eingedenk des Umstandes, dass an die Urteilsgründe in Buß-geldverfahren keine übertrieben hohen Anforderungen zu stellen sind – bereits deshalb aufzuheben, weil die Beweiswürdigung in Bezug auf die getroffenen Feststellungen lückenhaft ist; diese vermag daher dieselben nicht in einer für das Rechtsbeschwerdegericht rechtlich überprüfbaren Weise zu tragen. So müssen die schriftlichen Urteilsgründe nicht nur die für erwiesen erachteten Tatsachen angeben, sondern neben anderem auch erkennen lassen, ob und wie sich der Betroffene eingelassen hat, ob der Richter der Einlassung folgt oder diese für widerlegt ansieht (OLG Celle, Beschluss vom 9. April 2020 – 1 Ss (OWi) 4/20 –, juris; OLG Celle, Beschluss vom 27. September 2019 – 2 Ss Owi 260/19 -; OLG Bamberg, Beschluss vom 9. Juli 2009 – 3 Ss OWi 290/09 -, juris). Es bedarf einer geschlossenen und zusammenhängenden Wiedergabe der wesentlichen Grundzüge der Einlassung (OLG Karlsruhe, Beschluss vom 8. Februar 2017 -2 (10) SsBs 740/16-AK 265/16, DAR 2017, 395). Jedenfalls dann, wenn die Möglichkeit besteht, dass sich der Betroffene in eine bestimmte Richtung verteidigt hat und nicht ausgeschlossen werden kann, dass der Tatrichter die Bedeutung dieser Er-klärung verkannt oder sie rechtlich unzutreffend gewürdigt hat, stellt diese Säumnis einen sachlich rechtlichen Mangel des Urteils dar (OLG Karlsruhe, Beschluss vom 16. Oktober 2016 -1 Ss 55/06- juris).

Vorliegend lässt sich den Urteilsgründen nicht entnehmen, ob sich der Betroffene in der Hauptverhandlung zur Sache überhaupt geäußert oder von seinem Schweigerecht Gebrauch gemacht hat. Folglich verhält sich das Urteil auch nicht dazu, ob der Tatrichter eine etwaige Einlassung, und ggf. in welchem Umfang, für widerlegt angesehen hat.

Darüber hinaus leidet das Urteil an einem weiteren Darstellungsmangel, der ebenfalls zur Aufhebung führt. Da es sich bei dem hier nach den Feststellungen zum Einsatz gelangtem Messverfahren (Vitronic Poliscan speed M1) um ein standardisiertes Messverfahren handelt (vgl. OLG Koblenz, Beschluss vom 13.05.2016 – 2 Owi 4 SsRs 128/15), reicht es zur Darstellung der Beweiswürdigung zu der gefahrenen Geschwindigkeit, wenn in den Urteilsgründen neben der Bezeichnung des eingesetzten Messverfahrens die gefahrene Geschwindigkeit und der berücksichtigte Toleranzwert mitgeteilt wird (BGH, NZV 1993, 485, 487; KG, Beschluss vom 20. März 2018 – 3 Ws (B) 86/18-162 Ss 37/18, beck-online; OLG Koblenz, Beschluss vom 11. August 2021 – 1 OWi 32 SsBs 145/21 -). Auf Angaben zum Messverfahren und Toleranzwert kann bei Geschwindigkeitsverstößen nur in den wenigen Fällen eines echten „qualifizierten“ Geständnisses des Betroffenen verzichtet werden (BGH NJW 1993, 3081; OLG Bamberg, NStZ-RR 2007, 321; OLG Celle, Beschluss vom 9. April 2009, 322 SsBs 301/08, juris).

Diesen Anforderungen genügt das Urteil nicht, da das Tatgericht es versäumt hat, den Umfang des gewährten Toleranzabzugs anzugeben. Zwar kann den Urteilsgründen entnommen werden, dass die Tatrichterin einen Toleranzabzug vorgenommen hat, nicht jedoch, in welchem Umfang dies geschehen ist. Das Rechtsbeschwerdegericht kann daher nicht prüfen, ob der abgezogene Toleranzwert rechtsfehlerfrei war und die festgestellte Geschwindigkeitsüberschreitung mithin auf rechtsfehlerfreien Überlegungen beruht (KG a.a.O.). Ein qualifiziertes Geständnis des Betroffenen, das eine Ausnahme von diesen Darstellungserfordernissen begründen könnte, liegt ebenfalls (Anmerkung des Senats: … mangels wiedergegebener Einlassung erkennbar …) nicht vor.“

Dem schließt sich auch der Senat durch den zuständigen Einzelrichter an.

Auf die weiteren von dem Beschwerdeführer gegen das Urteil vorgebrachten Einwände kommt es hiernach nicht an.

Das Urteil war folglich mit den zugrundeliegenden Feststellungen gemäß §§ 79 Abs. 3 Satz 1, Abs. 6 OWiG, 353, 354 Abs. 2 StPO aufzuheben und zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde, an dieselbe Abteilung des Amtsgerichts zurückzuverweisen.

Der Senat weist für die erneute Verhandlung darauf hin, dass bei einer erneuten Verurteilung wohl die „mehrfache“ beiderseitige Beschilderung mit der Geschwindigkeitsbegrenzung näher auszuführen sein dürfte. Der im Urteil wiedergegebenen pauschalen und auf der Aussage des Zeugen pp. beruhenden Feststellung lässt sich nicht entnehmen, wie oft und in welcher Entfernung vor der Messstelle der Betroffene eine Beschilderung mit der Geschwindigkeitsbegrenzung passiert hat. Da die „mehrfache“ beiderseitige Beschilderung allerdings zu Lasten des Betroffenen verwertet worden ist, wäre der Umfang der Missachtung konkret darzulegen (vgl. OLG Koblenz, 4 OWi 6 SsRs 26/21 v. 08.03.2021, NZV 2021, 437 m. zutreffendem Praxiskommentar v. RiAG Greiner).“

Wie gesagt: Man glaubt es nicht.

Urteil I: Einlassung des Angeklagten/Betroffenen, oder: Die gehört in die Urteilsgründe, ein Dauerbrenner

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Und heute dann drei Entscheidungen zu Urteilsgründen/Feststellungen.

Ich beginne mit einem Dauerbrenner, nämlich der Frage, was mit der Einlassung des Angeklagten ist. Nun, an sich sollte das keine Frage mehr sein. Denn der BGh (und die OLG) beten das gebetsmühlenartig immer wieder vor: Die gehört ins Urteil, und zwar auch im Bußgeldverfahren.

Dazu hier dann mal wieder zwei Entscheidungen, und zwar:

In einem Strafurteil ist die Einlassung des Angeklagten zumindest in wesentlichen Grundzügen in einer geschlossenen und zusammenhängenden Darstellung wiederzugeben und unter Berücksichtigung der erhobenen Beweise zu würdigen. Erst auf dieser Grundlage kann das Revisionsgericht überprüfen, ob das Tatgericht die Bedeutung der Angaben des Angeklagten zutreffend erkannt und bewertet hat und damit den Feststellungen eine erschöpfende Würdigung des Sachverhalts zugrunde liegt.

Ob das Tatgericht zu Recht bei der Verhängung einer nicht geringfügigen Geldbuße (§ 17 Abs. 3 Satz 2 OWiG) unter Anwendung der BKatV auf Feststellungen zu den wirtschaftlichen Verhältnissen verzichten durfte, kann das Rechtsbeschwerdegericht nur überprüfen, wenn das Urteil mitteilt, ob und gegebenenfalls wie sich der Betroffene dazu eingelassen hat.

OWI III: Die Einlassung gehört auch ins Bußgeldurteil, oder: Mal wieder die Dauerbrennerproblematik

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Und als dritte Entscheidung dann der (auch schon etwas ältere) KG, Beschl. v. 12.01.2022 – 3 Ws (B) 8/22 – mit einer Dauerbrennerproblematik, nämlich: Die im Bußgeldurteil fehlende Einlassung des Betroffenen.

Die OLG sind in den Fällen streng/rigoros: Sie heben die tatrichterlichen Entscheidungen auf. So auch das KG. Ich frage mich immer: Wenn man das als Amtsrichter weiß, warum achtet man dann nicht auf das Erfordernis.

Hier dann die Begründung des KG:

„Die Generalstaatsanwaltschaft hat in ihrer an den Senat gerichteten Zuschrift Folgendes ausgeführt:

„Das angefochtene Urteil leidet jedoch an einem sachlich-rechtlichen Mangel der Beweiswürdigung: Diese genügt nicht den Mindestanforderungen des § 71 Abs. 1 OWiG in Verbindung mit §§ 261, 267 StPO.

Zwar sind im Bußgeldverfahren an die Abfassung der schriftlichen Urteilsgründe keine übertrieben hohen Anforderungen zu stellen. Sie müssen aber so beschaffen sein, dass dem Rechtsbeschwerdegericht die Nachprüfung einer richtigen Rechtsanwendung ermöglicht wird. Dies gilt auch für die Beweiswürdigung, weil das Rechtsbeschwerdegericht nur so in den Stand gesetzt wird, die Beweiswürdigung des Tatrichters auf Widersprüche, Unklarheiten, Lücken oder Verstöße gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze zu überprüfen. Im Einzelnen bedeutet dies, dass die schriftlichen Urteilsgründe nicht nur die für erwiesen erachteten Tatsachen angeben müssen, in denen die gesetzlichen Merkmale der ordnungswidrigen Handlung gefunden werden. Vielmehr  müssen hinsichtlich der Beweiswürdigung die Urteilsgründe regelmäßig auch erkennen lassen, auf welche Tatsachen das Gericht seine Überzeugung gestützt hat, ob und wie sich der Betroffene eingelassen hat, ob der Richter der Einlassung folgt oder ob und inwieweit er die Einlassung für widerlegt ansieht (vgl. OLG Bamberg, Beschluss vom 9. Juli 2009 – 3 Ss OWi 290/09; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 16. Oktober 2006 – 1 Ss 55/06; OLG Rostock, Beschluss vom 1. April 2005 – 2 Ss (OWi) 389/04 1 246/04 –, jeweils bei juris, sowie Senge in KK-OWiG, 5. Aufl., § 71 Rdnr. 107 und Krenberger in Haus/Krumm/Quarch, Gesamtes Verkehrsrecht, 2. Aufl., § 71 Rdnr. 15, alle mit weiteren Nachweisen).

Dem angefochtenen Urteil ist demgegenüber nichts dahingehend zu entnehmen, ob und gegebenenfalls wie sich der Betroffene in der Hauptverhandlung geäußert oder von seinem Schweigerecht Gebrauch gemacht hat. Es bleibt zudem unklar, ob das Tatgericht eine etwaige bestreitende Einlassung des Betroffenen aufgrund der benannten Beweismittel, insbesondere der verlesenen Unterlagen und der zeugenschaftlichen Vernehmung des Bruders des Betroffenen, als widerlegt erachtet oder wie es sich sonst im Rahmen der Beweiswürdigung mit einer eventuellen Äußerung auseinandergesetzt hat.

Das Fehlen einer Darstellung der Einlassung in den Urteilsgründen begründet auch im Bußgeldverfahren regelmäßig (vgl. OLG Bamberg und OLG Rostock a.a.O.) bzw. jedenfalls dann einen sachlich-rechtlichen Mangel des Urteils, wenn – wie hier – die Möglichkeit besteht, dass sich der Betroffene in eine bestimmte Richtung verteidigt hat und nicht ausgeschlossen werden kann, dass der Tatrichter die Bedeutung der Erklärung verkannt oder sie rechtlich unzutreffend gewürdigt hat (vgl. OLG Karlsruhe a.a.O.).“

Diesen zutreffenden Ausführungen folgt der Senat, so dass das Urteil ungeachtet ansonsten nachvollziehbarer Ausführungen und einer – jedenfalls auf der Grundlage des Schuldspruchs – moderat erscheinenden Rechtsfolgenbemessung aufzuheben ist.

Entziehung der Fahrerlaubnis wegen Cannabiskonsum, oder: An deiner Spontaneinlassung halten wir dich fest

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Und als zweite Entscheidung aus dem Verkehrsverwaltungsrecht stelle ich heute dann hier den VG Aachen, Beschl. v. 20.04.2022 – 3 L 31/22 – vor. Der hat folgende Leitsätze:

  1. Hat der Fahrerlaubnisinhaber unmittelbar nach der Rauschfahrt einen regelmäßigen Cannabiskonsum eingeräumt, so muss er sich jedenfalls im gerichtlichen Eilverfahren gegen die Fahrerlaubnisentziehung daran festhalten lassen.
  2. Der ermittelte Wert von 77 µg/L (= ng/ml) THC im Blutserum reicht bei einer sog. spontanen Blutabnahme nicht aus, um für sich genommen den positiven Nachweis zu führen, dass ein regelmäßiger Cannabiskonsum vorliegt. Daraus darf aber nicht der Umkehrschluss gezogen werden, dass der gegenüber den Polizeibeamten eingeräumte „nahezu tägliche Konsum“ nicht zutreffen kann.
  3. Offen bleiben kann die höchstrichterlich nicht abschließend geklärte Frage, ob die unmittelbare Entziehung der Fahrerlaubnis gerechtfertigt ist, wenn der Fahrerlaubnisinhaber zum Kreis der gelegentlichen Cannabiskonsumenten zählt und zusätzlich ein Kraftfahrzeug unter der kombinierten Rauschwirkung von Cannabis und Alkohol geführt hat, vgl. Nr. 9.2.2 der Anlage 4 zur FeV.

Damit erschließt sich dem (kundigen) Leser, worum in der Entscheidung gestritten worden ist. 🙂

OWi I: Prüfpflichten bei standardisierter Messung, oder: VerfG rüffelt AG Oranienburg/OLG Brandenburg

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Heute zur Wochenmitte OWi-Entscheidungen, dazu habe ich länger nichts mehr gebracht.

Den Opener mache ich mit dem VerfG Brandenburg, Beschl. v. 18.2.2022 – VerfGBbg 54/21 – zur Prüfpflicht des Tatrichters beim standardisierten Messverfahren (hier: Poliscan Speed). Nichts weltbewegend Neues, aber: Das VerfG Brandenburg ruft noch einmal ins Gedächtnis. wie der Tatrichter mit der Einlassung des Betroffenen umzugehen hat, wenn ein standardisiertes Messverfahren vorliegt: Die dazu geltenden Grundsätze entheben ihn nicht davon, Einlassungen zur Kenntnis zu nehmen oder, soweit diese nicht von vornherein als pauschale Behauptungen unzureichend sind, in Erwägung zu ziehen:

„a) Das Urteil des Amtsgerichts Oranienburg vom 14. Dezember 2020 (13 b OWi 3423 Js-OWi 27348/20 [496/20]) verletzt den Beschwerdeführer in seinem Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs aus Art. 52 Abs. 3 Alt. 2 LV.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichts gewährt Art. 52 Abs. 3 Alt. 2 LV den Verfahrensbeteiligten das Recht, sich vor Erlass einer gerichtlichen Entscheidung zu den für diese erheblichen Sach- und Rechtsfragen zu äußern. Dem entspricht die Pflicht des Gerichts, die Ausführungen der Parteien zur Kenntnis zu nehmen und rechtzeitiges, möglicherweise erhebliches Vorbringen bei seiner Entscheidung in Erwägung zu ziehen (vgl. ausführlich Beschluss vom 16. März 2018 – VfGBbg 56/16 -, m. w. N., https://verfassungsgericht.brandenburg.de). Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass das Gericht das ihm unterbreitete Vorbringen zur Kenntnis nimmt und in Betracht zieht. Es ist nicht verpflichtet, sich mit jeglichem Vorbringen ausdrücklich zu befassen, sondern kann sich auf die Bescheidung der ihm wesentlich erscheinenden Punkte beschränken. Insbesondere verwehrt es der Grundsatz des rechtlichen Gehörs nicht, den Vortrag eines Verfahrensbeteiligten aus Gründen des formellen oder materiellen Rechts, zum Beispiel wegen sachlicher Unerheblichkeit, ganz oder teilweise außer Betracht zu lassen. Der Anspruch auf rechtliches Gehör ist nur verletzt, wenn die Nichtberücksichtigung eines Vortrags oder von Beweisanträgen im Prozessrecht keine Stütze mehr findet. Hierzu müssen im Einzelfall besondere Umstände deutlich ergeben, dass tatsächliches Vorbringen eines Verfahrensbeteiligten entweder überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder bei der Entscheidung ersichtlich nicht erwogen worden ist (vgl. Beschluss vom 20. Mai 2021 – VfGBbg 72/19 -, Rn. 36 m. w. N., https://verfassungsgericht.brandenburg.de).

Solche Umstände können insbesondere dann vorliegen, wenn das Gericht das Kernvorbringen eines Beteiligten unberücksichtigt lässt. Geht das Gericht auf den wesentlichen Kern des Tatsachenvortrags zu einer Frage, die für das Verfahren von zentraler Bedeutung ist, in der Begründung der Entscheidung nicht ein, so lässt dies auf die Nichtberücksichtigung des Vortrags schließen, sofern er nicht nach dem Rechtsstandpunkt des Gerichts unerheblich oder offensichtlich unsubstantiiert ist. Daraus ergibt sich eine Pflicht der Gerichte, die wesentlichen, der Rechtsverfolgung und Rechtsverteidigung dienenden Tatsachenbehauptungen in den Entscheidungsgründen zu verarbeiten (vgl. Beschluss vom 20. Mai 2021 – VfGBbg 72/19 -, Rn. 36 m. w. N., https://verfassungsgericht.brandenburg.de; vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 26. September 2012 – 2 BvR 938/12 -, Rn. 20, vom 16. September 2010 – 2 BvR 2394/08 -, Rn. 14, und vom 7. Dezember 2006 – 2 BvR 722/06 -, Rn. 23, www.bverfg.de).

bb) Dabei ist zu berücksichtigen, dass in Bußgeldverfahren die Grundsätze des standardisierten Messverfahrens reduzierte Sachverhaltsaufklärungs- und Darlegungspflichten der Fachgerichte begründen. Die Gerichte sind nicht dazu gehalten, der Ordnungsgemäßheit des Messverfahrens nachzugehen, solange sich keine hinreichend konkreten Anhaltspunkte für die Fehlerhaftigkeit des Messergebnisses ergeben (vgl. BVerfG, Beschluss vom 12. November 2020 – 2 BvR 1616/18 -, Rn. 39 ff., juris). Ermittelt der Betroffene indes konkrete Anhaltspunkte für eine Fehlerhaftigkeit des Messergebnisses, hat das Gericht zu entscheiden, ob es sich dennoch von dem Geschwindigkeitsverstoß überzeugen kann. Entsprechend seiner Amtsaufklärungspflicht hat das Fachgericht die Korrektheit des Messergebnisses dann individuell – gegebenenfalls unter Hinzuziehung eines Sachverständigen – zu überprüfen und seine Überzeugung im Urteil darzulegen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 12. November 2020 – 2 BvR 1616/18 -, Rn. 60, juris; so wohl auch BGH, Beschluss vom 30. Oktober 1997 – 4 StR 24/97 -, BGHSt 43, 277-284, Rn. 26, juris).

cc) Nach diesen Maßstäben verletzt das Urteil des Amtsgerichts Oranienburg den Beschwerdeführer in seinem Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs.

Das Urteil lässt nicht erkennen, dass das Gericht den Tatsachenvortrag des Beschwerdeführers, mit dem er die Zuverlässigkeit des Messverfahrens in Zweifel gezogen hat, zur Kenntnis genommen und in Betracht gezogen hat. Kern des Beschwerdevorbringens war, dass die im Beweisfoto erkennbaren hellen Lichtflächen auf eine das Messverfahren beeinflussende Reflexion der Laserstrahlen durch im Messbereich befindliche reflektierende Flächen hindeuten. Ob das Amtsgericht das Vorbringen in Erwägung gezogen hat, lässt sich weder aus dem Beschluss, mit dem die Beweisanträge abgelehnt worden sind, noch aus den Urteilsgründen erkennen. Es hat in den Urteilsfeststellungen keinen Niederschlag gefunden. Dabei ist es Sache des Fachgerichts zu beurteilen, ob es die vorgetragenen Anhaltspunkte für hinreichend konkret erachtet. Die Grundsätze des standardisierten Messverfahrens entheben den Tatrichter jedoch nicht davon, Einlassungen zur Kenntnis zu nehmen oder, soweit diese nicht von vornherein als pauschale Behauptungen unzureichend sind, in Erwägung zu ziehen. Als bloße allgemeine Behauptungen „ins Blaue hinein“, die insgesamt zu vernachlässigen sind, ließ sich das Vorbringen des Beschwerdeführers im Entscheidungszeitpunkt nicht ohne Weiteres qualifizieren. Dies mag inzwischen im Hinblick auf die Erkenntnisse zu feststehenden Objekten, Reflexionen und deren Einfluss auf Messungen durch die jüngste obergerichtliche Rechtsprechung anders zu betrachten sein (vgl. OLG Zweibrücken, Beschluss vom 13. Januar 2022 – 1 OWi 2 SsBs 58/21 -, Rn. 15 f., juris). Diesen Kenntnisstand konnte jedoch das Amtsgericht bei Bescheidung der Beweisanträge und Urteilsfällung nicht voraussetzen.

dd. Das angegriffene Urteil des Amtsgerichts vom 14. Dezember 2020 beruht auf dieser Verletzung des Art. 52 Abs. 3 Alt. 2 LV, weil nicht auszuschließen ist, dass das Amtsgericht eine andere, dem Beschwerdeführer günstige Entscheidung getroffen hätte, wenn es sein Vorbringen zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen hätte.“

Und das OLG Brandenburg, das die Rechtsbeschwerde verworfen hatte, wird dann auch gleich mitgerüffelt:

„3. Auch der Beschluss des Brandenburgischen Oberlandesgerichts vom 3. Mai 2021 (1 OLG 53 Ss-OWi 162/21) verletzt den Beschwerdeführer in seinem Anspruch auf rechtliches Gehör aus Art. 52 Abs. 3 Alt. 2 LV. Zwar bedarf vor dem Hintergrund der einfachgesetzlichen Ausgestaltung der Begründungsanforderungen nach § 80 Abs. 4 Satz 2 OWiG der Beschluss über die Zulassung der Rechtsbeschwerde, die eine unanfechtbare Zwischenentscheidung ist, weder im Falle der Verwerfung noch der Zurückweisung einer ausführlichen Begründung (vgl. Bär, in: BeckOK OWiG, Stand: 1. Oktober 2021, OWiG § 80 Rn. 49 m. w. N.), eine Begründung enthält der Beschluss vom 3. Mai 2021 auch nicht.

Indes hat das Brandenburgische Oberlandesgericht in dem Beschluss vom 3. Mai 2021 durch die Bezugnahme von § 349 Abs. 2 StPO sowie die hierauf verweisenden Vorschriften des OWiG zu erkennen gegeben, dass es den Antrag des Beschwerdeführers auf Zulassung der Rechtsbeschwerde für offensichtlich unbegründet erachtet. Dabei hat das Oberlandesgericht verkannt, dass § 80 Abs. 1 Nr. 2 OWiG die Zulassung der Rechtsbeschwerde wegen der hier gegebenen Versagung des rechtlichen Gehörs durch das Amtsgericht gerade gebietet. Die Vorschrift soll nach dem Willen des Gesetzgebers ein korrigierendes Eingreifen des Rechtsbeschwerdegerichts in denjenigen Fällen ermöglichen, in denen sich das Vorliegen einer Gehörsverletzung geradezu aufdrängt und es nicht zweifelhaft erscheint, dass das Urteil einer verfassungsgerichtlichen Nachprüfung nicht standhalten würde (BVerfG, Beschluss vom 24. Februar 1992 – 2 BvR 700/91 -, Rn. 19 m. w. N., juris). Die Anwendung des § 80 Abs. 1 Nr. 2 OWiG kann mithin dazu beitragen, Verstöße gegen den Anspruch auf Gewährung des rechtlichen Gehörs noch vor Erschöpfung des ordentlichen Rechtswegs zu beseitigen und die ansonsten erforderliche Anrufung des Verfassungsgerichts zu vermeiden. Deshalb hat das Rechtsbeschwerdegericht bereits im Zulassungsverfahren zu prüfen, ob eine Gehörsverletzung vorliegt (vgl. BVerfG, a. a. O.).

Dies ist hier erkennbar unterblieben. Das Oberlandesgericht hat die Regelung in § 80 Abs. 1 Nr. 2 OWiG in seiner Entscheidung unerwähnt gelassen.“

Ich verstehe es nicht. es ist doch gar nicht so schwer, die Rechtsprechung des BVerfG aus 2 BvR 1616/18 umzusetzen, die ja nicht gänzlich neu ist, sondern letztlich doch auf der Rechtsprechung des BGH zum standardisierten Messverfahren aus 1997 (!!) aufbaut. Aber, wenn man nicht will……