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BGH III: Darlegungsmängel bei der Beweiswürdigung, oder: Wenn der wesentliche Inhalt der Einlassung fehlt

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Und als dritte Entscheidung stelle ich den BGH, Beschl. v. 05.12.2023 – 4 StR 421/23 – vor.

Das LG hat den Angeklagten u.a. wegen schweren sexuellen Missbrauchs „eines“ Kindes in 37 Fällen, verurteilt.  Die auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hatte Erfolg. Der BGH beanstandet die Beweiswürdigung des LG, die weise zum Tatgeschehen weist durchgreifende Darlegungsmängel auf:

„b) Das Landgericht hat seine Überzeugung von dem festgestellten Sachverhalt wie folgt begründet: Der Angeklagte habe die Taten so wie festgestellt gestanden. Sein Geständnis sei glaubhaft. Es stehe im Einklang mit der Zeugenaussage der Nebenklägerin. Die Feststellungen zu den Folgen der Taten für die Nebenklägerin seien anhand ihrer eigenen glaubhaften Angaben getroffen worden.

c) Diese Beweiserwägungen halten rechtlicher Überprüfung nicht stand.

aa) Die Beweiswürdigung ist Sache des Tatgerichts (§ 261 StPO). Ihm allein obliegt es, das Ergebnis der Hauptverhandlung festzustellen und zu würdigen. Seine Schlussfolgerungen brauchen nicht zwingend zu sein, es genügt, dass sie möglich sind. Die revisionsgerichtliche Prüfung ist darauf beschränkt, ob dem Tatgericht dabei Rechtsfehler unterlaufen sind. Dies ist in sachlich-rechtlicher Hinsicht der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist oder gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 2. März 2017 – 4 StR 397/16 Rn. 4; Urteil vom 22. November 2016 – 1 StR 329/16 Rn. 18; Urteil vom 12. Februar 2015 – 4 StR 420/14 Rn. 9; jeweils mwN). Dabei verpflichten §§ 261 und 267 StPO den Tatrichter, in den Urteilsgründen darzulegen, dass seine Überzeugung von den die Anwendung des materiellen Rechts tragenden Tatsachen auf einer umfassenden, von rational nachvollziehbaren Überlegungen bestimmten Beweiswürdigung beruht (vgl. BGH, Beschluss vom 11. März 2020 – 2 StR 380/19 Rn. 4 mwN). Die wesentlichen Beweiserwägungen müssen daher – über den Wortlaut des § 267 Abs. 1 Satz 2 StPO hinaus – in den schriftlichen Urteilsgründen so dargelegt werden, dass die tatgerichtliche Überzeugungsbildung für das Revisionsgericht nachzuvollziehen und auf Rechtsfehler hin zu überprüfen ist (BGH, Urteil vom 30. März 2023 – 4 StR 234/22 Rn. 12; Beschluss vom 22. November 2022 – 2 StR 262/22 Rn. 12; Beschluss vom 18. November 2020 – 2 StR 152/20).

Die sachlich-rechtliche Begründungspflicht umfasst die Verpflichtung, auch die geständige Einlassung des Angeklagten jedenfalls in ihrem wesentlichen Inhalt wiederzugeben (vgl. BGH, Beschluss vom 29. Dezember 2015 – 2 StR 322/15 Rn. 6). Denn ein Geständnis enthebt das Tatgericht nicht seiner Pflicht, es einer kritischen Prüfung auf Plausibilität und Tragfähigkeit hin zu unterziehen und zu den sonstigen Beweismitteln in Beziehung zu setzen. Erforderlich ist außerdem, dass das Tatgericht in den Urteilsgründen für das Revisionsgericht nachvollziehbar darlegt und begründet, weshalb es das Geständnis für glaubhaft erachtet. Hierbei hängt das Maß der gebotenen Darlegung von der jeweiligen Beweislage und insoweit von den Umständen des Einzelfalles ab (vgl. BGH, Urteil vom 21. März 2013 – 3 StR 247/12, BGHSt 58, 212 Rn. 14). Es steht – wie der weitere Aufklärungsbedarf (§ 244 Abs. 2 StPO) – in einer umgekehrten Wechselbeziehung zu der inhaltlichen Qualität des Geständnisses (vgl. BGH, Beschluss vom 27. Mai 2020 – 2 StR 552/19 Rn. 20; Beschluss vom 7. November 2018 – 1 StR 143/18 Rn. 7; Beschluss vom 13. September 2016 – 5 StR 338/16 Rn. 9 ff.; MüKo-StPO/Wenske, 2. Aufl., § 267 Rn. 188 ff.; s. auch BVerfG, Beschluss vom 20. Dezember 2023 – 2 BvR 2103/20 Rn. 49 ff.). Bei einem detaillierten Geständnis des Angeklagten können knappe Ausführungen genügen (vgl. BGH, Beschluss vom 24. Juli 2003 – 3 StR 368/02 Rn. 21; s. hingegen zum „Formalgeständnis“ etwa BGH, Urteil vom 26. Januar 2006 – 3 StR 415/02 Rn. 3). Decken sich die Angaben des Angeklagten mit sonstigen Beweisergebnissen und stützt der Tatrichter seine Überzeugung von der Glaubhaftigkeit des Geständnisses auch auf diese Beweisergebnisse, so ist er zu deren jedenfalls gedrängter Wiedergabe verpflichtet, da anderenfalls eine revisionsgerichtliche Überprüfung seiner Überzeugungsbildung nicht möglich ist (vgl. BGH, Beschluss vom 29. Dezember 2015 – 2 StR 322/15 Rn. 6).

bb) Den sich hieraus ergebenden Darlegungsanforderungen werden die Urteilsgründe nicht gerecht. Die Strafkammer teilt schon den wesentlichen Inhalt der Einlassung des Angeklagten nicht mit, von dem die weiteren Anforderungen an die Überzeugungsbildung und deren Darlegung in den schriftlichen Urteilsgründen abhingen. Es bleibt unklar, ob er in eigenen Worten ein detailliertes Geständnis hinsichtlich der insgesamt 132 Taten, begangen im Zeitraum von 2011 bis 2019, abgelegt und Nachfragen beantwortet oder etwa pauschal – ggf. über eine von ihm bestätigte Verteidigererklärung – die gegen ihn erhobenen Vorwürfe als zutreffend bezeichnet hat. Eine auch nur gedrängte Wiedergabe des Inhalts des Geständnisses ist den Urteilsgründen nicht zu entnehmen. Die zusammenfassende Wertung, der Angeklagte habe die Taten „so wie festgestellt“ gestanden, genügt hierfür nicht. Denn sie lässt den inhaltlichen Gehalt der Einlassung selbst nicht erkennen. Auch eine (nachvollziehbare) Bewertung des Geständnisses für sich genommen enthalten die Urteilsgründe nicht.

An die weitere Überprüfung des Geständnisses sind zwar geringere Anforderungen zu stellen, wenn es mit Angaben des Tatopfers übereinstimmt und das Tatgericht diese Angaben nachvollziehbar für glaubhaft erachtet. Hieran fehlt es aber. Die Urteilsgründe teilen den wesentlichen Inhalt der Zeugenaussage der Nebenklägerin auch nicht gedrängt mit. Die Glaubhaftigkeit dieser Aussage wird zudem nur pauschal behauptet, vom Landgericht jedoch nicht mit beweiswürdigenden Erwägungen begründet. Dessen Überzeugungsbildung vermag der Senat daher nicht zu überprüfen.

Darüber hinaus lassen die Urteilsgründe nachvollziehbare Erwägungen vermissen, aus welchen Gründen sich die Strafkammer von den Zeitpunkten und der Anzahl der abgeurteilten Taten überzeugt hat. Die Tatzeiten sind dabei mit Blick auf das jeweilige Alter der Geschädigten für die Anwendbarkeit der von der Strafkammer herangezogenen Straftatbestände der § 176 Abs. 1, § 176a Abs. 2 Nr. 1 und § 184b Abs. 1 Nr. 3 StGB aF entscheidend. Von dem Alter der Nebenklägerin hängt auch der Schuldspruch im Fall 131 der Urteilsgründe ab, in dem das Landgericht neben einer Vergewaltigung tateinheitlich den schweren sexuellen Missbrauch von Kindern bejaht hat. Zu näheren Beweiserwägungen hierzu musste sich das Landgericht mit Blick auf die Vielzahl und Komplexität der Tatvorwürfe und das naheliegend nur noch eingeschränkte Erinnerungsvermögen des geständigen Angeklagten an Einzelheiten des Tatgeschehens gedrängt sehen (vgl. BGH, Beschluss vom 6. Juli 2022 – 2 StR 53/22 Rn. 11; Beschluss vom 13. September 2016 – 5 StR 338/16 Rn. 9 mwN). Nach den Feststellungen beging er eine Vielzahl der abgeurteilten Taten serienhaft und vor langer Zeit. Zusätzlich überlagerten sich verschiedene sexuelle Handlungen (Berührungen, Oralverkehr) in zeitlicher Hinsicht. Ist – wie hier – eine Individualisierung einzelner Taten mangels Besonderheiten im Tatbild oder der Tatumstände nicht möglich, sind zumindest die Anknüpfungspunkte zu bezeichnen, anhand derer das Tatgericht den Tatzeitraum eingegrenzt hat und auf die sich seine Überzeugung von der Mindestzahl und der Begehungsweise der Missbrauchstaten in diesem Zeitraum gründet (vgl. BGH, Urteil vom 27. Januar 2022 – 3 StR 74/21 Rn. 13; Beschluss vom 20. Juni 2001 – 3 StR 166/01 Rn. 7). Hieran fehlt es. Das Landgericht hätte näher darlegen müssen, aufgrund welcher Beweisumstände es von den festgestellten Tatzeiträumen und der in den Fällen 1-93 und 95-130 abgeurteilten Mindestanzahl von Taten überzeugt war. Zugleich hätte die Strafkammer auf diesem Hintergrund ihre Beweiserwägungen darstellen müssen, die die Einbettung der Einzelfälle 94, 131 und 132 in das Gesamtgeschehen und damit das hier jeweils festgestellte Alter der Nebenklägerin tragen.“

Ich verstehe es nicht. Wenn ich schon lese: „Die Strafkammer teilt schon den wesentlichen Inhalt der Einlassung des Angeklagten nicht mit, von dem die weiteren Anforderungen an die Überzeugungsbildung und deren Darlegung in den schriftlichen Urteilsgründen abhingen.“ Und das bei einer großen Strafkammer. Da sollte man doch davon ausgehen können, dass zumindest der Vorsitzende weiß, wie man eine vernünftige Beweiswürdigung macht. Offenbar ist das aber nicht der Fall. Zumindest hier nicht…..

OWi I: Nichtherausgabe der Messreihe des Tattages: oder: Nicht schlimm, die anderen machen es auch so

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Juchhu, ich habe drei OWi-Entscheidungen, die ich vorstellen kann 🙂 . Zwei Beschlüsse kommen vom OLG Oldenburg, einer kommt vom BayObLG.

Ich eröffne den Reigen mit dem OLG Oldenburg, Beschl. v. 09.11.203 – 2 ORbs 188/23 – zur Frage der Verletzung des fairen Verfahrens durch die Nichtherausgabe der Messreihe des Tattages. Das OLG sieht darin keine Verletzung des Rechts des Betroffenen auf ein faires Verfahren. Begründet wird dies mit einer Aneinanderreihung von Zitaten aus OLG-Entscheidungem die das ebenso gesehen haben, was keine besondere Begründungskunst ist. Und natürlich mit dem Hinweis auf den BGH und den BGH, Beschl. v. 30.03.2022 – 4 StR 181/21, der auf die Vorlage des OLG Zweibrücken ergangen war. Ich habe bisher selten einen Beschluss gesehen, in dem so viel zitiert und verwiesen wird. Für mich wenig überzeugend und ich frage mich, warum das OLG nicht gleich – nur schreibt: Die anderen machen es auch so.

Allerdings hat das OLG dann den Rechtsfolgenausspruch aufgehoben, weil das AG insoweit mal wieder einen klassischen Fehler gemacht hat:

Demgegenüber hält der Rechtsfolgenausspruch einer rechtlichen Überprüfung nicht stand. Das angefochtene Urteil lässt nicht erkennen, wie der Betroffene sich insoweit eingelassen hat.

Die fehlende Mitteilung der Einlassung stellt dann einen sachlich rechtlichen Mangel des Urteils dar, wenn die Möglichkeit besteht, dass sich der Betroffene in eine bestimmte Richtung verteidigt hat und nicht ausgeschlossen werden kann, dass der Tatrichter die Bedeutung der Erklärung verkannt oder sie rechtlich unzutreffend gewürdigt hat (Thüringer Oberlandesgericht, Beschluss vom 15. Februar 2008,1 Ss 313/07 juris).

So ist es hier. Bereits aus den Protokollanlagen ergibt sich, dass die Frage der Auswirkung eines Fahrverbotes auf ein Beschäftigungsverhältnis des Betroffenen problematisiert worden ist. Gleichwohl findet sich in den Entscheidungsgründen zu einer entsprechenden Einlassung des Betroffenen nichts.

Damit vermag der Senat nicht zu prüfen, ob die Anordnung des Fahrverbotes bzw. das Nichtabsehen von dessen Verhängung ausreichend begründet worden ist.

Wegen des engen Zusammenhanges zwischen Höhe der Geldbuße und Fahrverbot war der gesamte Rechtsfolgenausspruch aufzuheben.“

Na ja. Das mindert aber den im Übrigen „schlechten Eindruck“ nicht. 🙂

Entziehung der Fahrerlaubnis nach dem StVG II, oder: „Tolle“ Angaben nach Drogenfahrt mit einem E-Scooter

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Wer unter Cannabiseinfluss mit einem E-Scooter im öffentlichen Straßenverkehr fährt (§ 316 StGB), muss mit dem Entzug der Fahrerlaubnis rechnen durch das Straßenverkehrsamt rechnen. So hat das VG Berlin in einem Eilverfahren im VG Berlin, Beschl. v. 17.07.2023 –  VG 11 L 184/23) entschieden.

Das Straßenverkehrsamt hatte einem Betroffenen aufgegeben, binnen drei Monaten ein medizinisch-psychologisches Gutachten zu seiner Fahreignung einzureichen. Begründet worden ist das mit einer Fahrt mit einem E-Scooter, bei der der Betroffene nach Fahrauffälligkeiten angehalten und ihm eine Blutprobe entnommen worden war. Die wies einen THC-Wert von 4,4 ng/ml auf. Gegenüber den anhaltenden Polizisten äußerte der Antragsteller, jeden Tag Cannabis zu konsumieren und jeden Tag Auto zu fahren; dies stellte er im Nachhinein als nicht ernst gemeint dar. Als der Betroffene auf die Anforderung des Gutachtens nicht reagierte, ist ihm mit sofortiger Wirkung die Fahrerlaubnis entzogen. Dagegen der Eilantrag, der keinen Erfolg hatte:

„….

(2) Die Gutachtenanordnung ist auch materiell rechtmäßig. Sie findet ihre Rechts-grundlage in § 46 Abs. 3 i.V.m. § 14 Abs. 1 Satz 3 FeV. Hintergrund der Gutachtenanordnung ist die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, wonach bei einem gelegentlichen Konsumenten von Cannabis, der erstmals unter einer fahrsicherheitsrelevanten Wirkung von Cannabis ein Kraftfahrzeug geführt hat, die Fahrerlaubnisbehörde in der Regel nicht ohne weitere Sachaufklärung von fehlender Fahreignung ausgehen darf. Erforderlich für die Fahrerlaubnisentziehung ist in solchen Fällen die Prognose, dass der Betroffene auch künftig nicht zwischen einem seine Fahrsicherheit möglicherweise beeinträchtigenden Cannabiskonsum und dem Führen eines Kraftfahrzeugs trennen wird. Damit diese Prognose auf eine hinreichend abgesicherte Grundlage gestützt werden kann, bedarf es in der Regel eines medizinisch-psychologischen Gutachtens, über dessen Einholung die Fahrerlaubnisbehörde gemäß § 46 Abs. 3 i.V.m. § 14 Abs. 1 Satz 3 FeV nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden hat (BVerwG, Urteil vom 11. April 2019 – BVerwG 3 C 14.17 –, juris Rn. 10). Nach § 14 Abs. 1 Satz 3 FeV kann die Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens angeordnet werden, wenn gelegentliche Einnahme von Cannabis vorliegt und weitere Tatsachen Zweifel an der Eignung begründen. Diese Voraussetzungen sind erfüllt.

Bei dem Antragsteller handelt es sich um einen gelegentlichen Konsumenten von Cannabis. Gelegentlicher Konsum liegt vor, wenn der Betroffene in zumindest zwei selbstständigen Konsumvorgängen Cannabis zu sich genommen hat und diese Konsumvorgänge einen gewissen, auch zeitlichen Zusammenhang aufweisen (BVerwG, Urteil vom 23. Oktober 2014 – BVerwG 3 C 3/13 –, juris Rn. 17 ff.). Die eigenen Angaben des Klägers legen hier einen solchen Gelegenheitskonsum nahe. Weder im Rahmen der polizeilichen Anhörung noch im Fahrerlaubnisentziehungsverfahren hat der Antragsteller einen erstmaligen Konsum behauptet. Nach den unwidersprochenen Feststellungen im polizeilichen Tätigkeitsbericht vom 11. Juli 2022 gab der Antragsteller vielmehr gegenüber der Polizei an, dass er „jeden Tag rauche“, wobei er dem Kontext nach den Konsum von Cannabis gemeint hat. Hieraus kann auf einen regelmäßigen Cannabiskonsum geschlossen werden. Im Anschluss stellte er seine Aussage laut Polizeibericht zwar als Witz dar. Er widersprach indes seiner vorherigen Angabe auch nicht ernsthaft und muss sich vor diesem Hintergrund an dieser festhalten lassen.

Bei der Teilnahme am Straßenverkehr – wenn auch mit einem Elektrokleinstfahrzeug – unter Cannabiseinfluss am 11. Juli 2022 handelt es sich um eine weitere Tatsache, die Zweifel an der Fahreignung begründet.

Denn auch ein einmaliger Verstoß gegen das Trennungsgebot ist nach höchstrichterlicher Rechtsprechung eine Tatsache, die Bedenken gegen die Fahreignung begründet und nach § 46 Abs. 3 FeV zur Anwendung der §§ 11 bis 14 FeV, namentlich des § 14 Abs. 1 Satz 3 FeV, führt (BVerwG, Urteil vom 11. April 2019 – BVerwG 3 C 14.17 –, juris Rn. 37). Dabei ist auch bei der Teilnahme am Straßenverkehr mit einem Elektrokleinstfahrzeug das Trennungsgebot zu beachten. Auch solche Elektro-kleinstfahrzeuge wie etwa E-Scooter sind – ungeachtet des Umstands, dass sie fahrerlaubnisfrei geführt werden dürfen (§ 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1a FeV) – Kraftfahrzeuge, wenn sie die in § 1 der Verordnung über die Teilnahme von Elektrokleinstfahrzeugen am Straßenverkehr (Elektrokleinstfahrzeuge-Verordnung – eKFV) vom 6. Juni 2019 (BGBl I S. 756), zuletzt geändert durch Gesetz vom 12. Juli 2021 (BGBl I S. 3091), festgelegten Voraussetzungen erfüllen. Für sie gilt daher – bezogen auf Cannabis – der Bußgeldtatbestand des § 24a Abs. 2, Abs. 3 StVG und damit auch das Trennungsgebot gemäß Nr. 9.2.2 der Anlage 4 zur FeV (BayVGH, Beschluss vom 15. März 2023 – VGH 11 CS 23.59 –, juris Rn. 15).

Die Grenze hinnehmbaren Cannabiskonsums ist nicht erst dann überschritten, wenn mit Gewissheit eine Beeinträchtigung der Fahrtüchtigkeit anzunehmen ist oder sich das Risiko von Beeinträchtigungen, die negative Auswirkungen auf die Verkehrssicherheit haben, signifikant erhöht haben, sondern bereits dann, wenn die Möglichkeit einer cannabisbedingten Beeinträchtigung der Fahrsicherheit besteht (vgl. BVerwG, Urteil vom 23. Oktober 2014 – BVerwG 3 C 3.13 –, juris Rn. 32 ff). Dabei fehlt schon – jedenfalls bei einem Pkw – ab einem im Blutserum festgestellten THC-Wert von 1,0 ng/ml die Fahrtüchtigkeit (OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 16. Juni 2016 – 1 B 37.14 –, juris Rn. 18). Diesen Wert hat der Antragsteller überschritten, weil er ein Elektrokleinstfahrzeug geführt hat und bei ihm eine THC-Konzentration von 4,4 ng/ml festgestellt wurde. Zweifel an der Richtigkeit des Behördengutachtens des Landeskriminalamtes vom 3. August 2022 sind weder vorgetragen worden noch sonst ersichtlich.

Zwar führte der Antragsteller bei dem dokumentierten Vorfall ein Elektrokleinstfahrzeug und nicht etwa einen Pkw. Hinzu tritt indes, dass ausweislich des vorliegenden Polizeiberichtes seine Fahrweise auf eine signifikante Beeinträchtigung seiner Fahr-tüchtigkeit hindeutete und er die Sicherheit des Straßenverkehrs und das Eigentum an den in der betreffenden Straße abgestellten Fahrzeugen gefährdete, da er Schlangenlinien fuhr und mehrfach nah an geparkte Kfz geriet. Bei seiner Befragung durch die Polizei gab er zudem an, täglich sowohl Cannabis zu konsumieren als auch mit dem Auto zu fahren. Er räumte also selbst einen regelmäßigen Verstoß gegen das Trennungsgebot auch beim Autofahren ein.“

Ist natürlich „begnadet“ und wird jeden Rechtsanwalt freuen, wenn der Mandant gegenüber der Polizei nach einem Vorfall im Straßenverkehr igeäußert hat, „dass er „jeden Tag rauche“, wobei er dem Kontext nach den Konsum von Cannabis gemeint hat„. Traumhaft/toll 🙂 .

 

StPO III: Unglaubhafte bestreitende Einlassung, oder: „Wenn es stimmt, hättest du dich eher eingelassen.“

Smiley

Und dann noch der BGH, Beschl. v. 27.04.2023 – 5 StR 52/23 – mit einer „klassischen“ Problemati, bei der man sich wieder mal fragt: Warum?

Das LG hat den Angeklagten wegen versuchter besonders schwerer räuberischer Erpressung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung  verurteilt und eine Einziehungsentscheidung getroffen. Dagegen die Revision des Angeklagten, die ein Selbstläufer ist/war. Der BGH hat aufgehoben:

„Nach den Feststellungen des Landgerichts sprach die Geschädigte den Angeklagten am 6. September 2021 auf die Zahlung seiner Schulden in Höhe von zwei Euro an. Um sie zum Forderungsverzicht zu bewegen, sprühte er ihr unvermittelt Pfefferspray ins Gesicht und forderte sie vergeblich zum Weggehen auf. Daraufhin versetzte er ihr mit der Metallschnalle seines Ledergürtels mehrere Schläge auf Kopf und Oberkörper; sie erlitt eine Platzwunde am Hinterkopf und Schwellungen an den Händen. Nach dem letzten Schlag hielt der Angeklagte es für möglich, alles getan zu haben, um die Geschädigte endgültig zum Verzicht auf ihre Forderung zu bewegen. Dies war aber entgegen seiner Erwartung nicht der Fall.

Der Angeklagte hat angegeben, er habe keine Schulden bei der Geschädigten gehabt, vielmehr habe sie ihm seinen Rucksack weggenommen. Als er sich diesen zurückholen wollte, habe sie ihn geschubst und geschlagen, so dass er zu Boden gegangen sei. Um ihre Angriffe abzuwehren, habe er sie mit dem Gürtel geschlagen.

Das Landgericht hat diese bestreitende Einlassung als unglaubhaft angesehen. Denn für den Fall, dass seine Schilderung zuträfe, sei zu erwarten gewesen, dass er diese bereits zu einem früheren Zeitpunkt des Verfahrens zu seiner Verteidigung gemacht hätte und nicht erst, nachdem er sich bereits seit über drei Monaten in Untersuchungshaft befunden hatte.

Diese Erwägung verstößt gegen den Grundsatz der Selbstbelastungsfreiheit des Angeklagten. Diesem kann der Zeitpunkt, zu dem er erstmals eine entlastende Einlassung vorbringt, nicht zum Nachteil gereichen.

Der Grundsatz, dass niemand im Strafverfahren gegen sich selbst auszusagen braucht, insoweit also ein Schweigerecht besteht, ist notwendiger Bestandteil eines fairen Verfahrens. Es steht dem Angeklagten frei, sich zu äußern oder nicht zur Sache auszusagen (vgl. § 136 Abs. 1 Satz 2, § 243 Abs. 5 Satz 1 StPO). Macht ein Angeklagter von seinem Schweigerecht Gebrauch, so darf dies nicht zu seinem Nachteil gewertet werden. Der unbefangene Gebrauch dieses Schweigerechts wäre nicht gewährleistet, wenn der Angeklagte die Prüfung und Bewertung der Gründe für sein Aussageverhalten befürchten müsste. Deshalb dürfen weder aus einer durchgängigen noch aus einer anfänglichen Aussageverweigerung eines Angeklagten – und damit auch nicht aus dem Zeitpunkt, zu dem er sich erstmals einlässt – nachteilige Schlüsse gezogen werden (vgl. BGH, Beschlüsse vom 1. Juni 2022 – 1 StR 139/22 Rn. 12; vom 23. März 2021 – 3 StR 68/21 Rn. 11, jeweils mwN).

Dem Urteil lässt sich entnehmen, dass der Angeklagte sich erstmals gegenüber dem Sachverständigen geäußert hat. Dass er nicht schon früher geltend gemacht hat, in Notwehr gehandelt zu haben, darf deshalb bei der Bewertung seiner Aussage keine Berücksichtigung finden. Dieser Rechtsfehler ist auf die Sachrüge hin zu beachten (BGH, Beschluss vom 13. Oktober 2015 – 3 StR 344/15, NStZ 2016, 220).

Der Senat kann nicht ausschließen, dass das Landgericht bei rechtsfehlerfreier Würdigung der Einlassung des Angeklagten zu einer anderen, dem Angeklagten günstigeren Überzeugung vom Tatablauf gelangt wäre (§ 337 Abs. 1 StPO).“

Oh Mann.

OWi I: Wenn Einlassung und Toleranzabzug fehlen, oder: Beim OWi-Richter fehlt das Grundwissen

Smiley

In die 5. KW. starte ich dann mit zwei OWi-Entscheidungen.

Hier kommt zunächst der OLG Koblenz, Beschl. v. 18.01.2023, – 4 ORbs 31 SsBs 17/23. Das OLG führt zu den Anforderungen an die Urteilsgründe im Bußgeldverfahren wegen einer Geschwindigkeitsüberschreitung aus. Wenn man es liest, mag man es nicht glauben, dass das OLG das AG auf die Versäumnisse hinweisen muss. Das ist m.E. Grundwissen eines OWi-Richters oder besser: Sollte es sein.

„Das Rechtsmittel ist zulässig und erzielt mit der Sachrüge einen jedenfalls vorläufigen Erfolg. Die Entscheidung des Amtsgerichts beruht auf einer lückenhaften Beweiswürdigung und lückenhaften Feststellungen, da es an der Darstellung fehlt, ob und inwieweit sich der Betroffene zum Tatvorwurf eingelassen hat und welcher Toleranzwert bei der durch ein standardisiertes Messverfahren festgestellten Geschwindigkeit berücksichtigt wurde.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat sich in ihrer Stellungnahme vom 6. Januar 2023 insoweit der Begründung der Rechtsbeschwerde angeschlossen und zur Rechtsfehlerhaftigkeit von Beweis-würdigung und Feststellungen Folgendes ausgeführt:

„Das Urteil ist – auch eingedenk des Umstandes, dass an die Urteilsgründe in Buß-geldverfahren keine übertrieben hohen Anforderungen zu stellen sind – bereits deshalb aufzuheben, weil die Beweiswürdigung in Bezug auf die getroffenen Feststellungen lückenhaft ist; diese vermag daher dieselben nicht in einer für das Rechtsbeschwerdegericht rechtlich überprüfbaren Weise zu tragen. So müssen die schriftlichen Urteilsgründe nicht nur die für erwiesen erachteten Tatsachen angeben, sondern neben anderem auch erkennen lassen, ob und wie sich der Betroffene eingelassen hat, ob der Richter der Einlassung folgt oder diese für widerlegt ansieht (OLG Celle, Beschluss vom 9. April 2020 – 1 Ss (OWi) 4/20 –, juris; OLG Celle, Beschluss vom 27. September 2019 – 2 Ss Owi 260/19 -; OLG Bamberg, Beschluss vom 9. Juli 2009 – 3 Ss OWi 290/09 -, juris). Es bedarf einer geschlossenen und zusammenhängenden Wiedergabe der wesentlichen Grundzüge der Einlassung (OLG Karlsruhe, Beschluss vom 8. Februar 2017 -2 (10) SsBs 740/16-AK 265/16, DAR 2017, 395). Jedenfalls dann, wenn die Möglichkeit besteht, dass sich der Betroffene in eine bestimmte Richtung verteidigt hat und nicht ausgeschlossen werden kann, dass der Tatrichter die Bedeutung dieser Er-klärung verkannt oder sie rechtlich unzutreffend gewürdigt hat, stellt diese Säumnis einen sachlich rechtlichen Mangel des Urteils dar (OLG Karlsruhe, Beschluss vom 16. Oktober 2016 -1 Ss 55/06- juris).

Vorliegend lässt sich den Urteilsgründen nicht entnehmen, ob sich der Betroffene in der Hauptverhandlung zur Sache überhaupt geäußert oder von seinem Schweigerecht Gebrauch gemacht hat. Folglich verhält sich das Urteil auch nicht dazu, ob der Tatrichter eine etwaige Einlassung, und ggf. in welchem Umfang, für widerlegt angesehen hat.

Darüber hinaus leidet das Urteil an einem weiteren Darstellungsmangel, der ebenfalls zur Aufhebung führt. Da es sich bei dem hier nach den Feststellungen zum Einsatz gelangtem Messverfahren (Vitronic Poliscan speed M1) um ein standardisiertes Messverfahren handelt (vgl. OLG Koblenz, Beschluss vom 13.05.2016 – 2 Owi 4 SsRs 128/15), reicht es zur Darstellung der Beweiswürdigung zu der gefahrenen Geschwindigkeit, wenn in den Urteilsgründen neben der Bezeichnung des eingesetzten Messverfahrens die gefahrene Geschwindigkeit und der berücksichtigte Toleranzwert mitgeteilt wird (BGH, NZV 1993, 485, 487; KG, Beschluss vom 20. März 2018 – 3 Ws (B) 86/18-162 Ss 37/18, beck-online; OLG Koblenz, Beschluss vom 11. August 2021 – 1 OWi 32 SsBs 145/21 -). Auf Angaben zum Messverfahren und Toleranzwert kann bei Geschwindigkeitsverstößen nur in den wenigen Fällen eines echten „qualifizierten“ Geständnisses des Betroffenen verzichtet werden (BGH NJW 1993, 3081; OLG Bamberg, NStZ-RR 2007, 321; OLG Celle, Beschluss vom 9. April 2009, 322 SsBs 301/08, juris).

Diesen Anforderungen genügt das Urteil nicht, da das Tatgericht es versäumt hat, den Umfang des gewährten Toleranzabzugs anzugeben. Zwar kann den Urteilsgründen entnommen werden, dass die Tatrichterin einen Toleranzabzug vorgenommen hat, nicht jedoch, in welchem Umfang dies geschehen ist. Das Rechtsbeschwerdegericht kann daher nicht prüfen, ob der abgezogene Toleranzwert rechtsfehlerfrei war und die festgestellte Geschwindigkeitsüberschreitung mithin auf rechtsfehlerfreien Überlegungen beruht (KG a.a.O.). Ein qualifiziertes Geständnis des Betroffenen, das eine Ausnahme von diesen Darstellungserfordernissen begründen könnte, liegt ebenfalls (Anmerkung des Senats: … mangels wiedergegebener Einlassung erkennbar …) nicht vor.“

Dem schließt sich auch der Senat durch den zuständigen Einzelrichter an.

Auf die weiteren von dem Beschwerdeführer gegen das Urteil vorgebrachten Einwände kommt es hiernach nicht an.

Das Urteil war folglich mit den zugrundeliegenden Feststellungen gemäß §§ 79 Abs. 3 Satz 1, Abs. 6 OWiG, 353, 354 Abs. 2 StPO aufzuheben und zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde, an dieselbe Abteilung des Amtsgerichts zurückzuverweisen.

Der Senat weist für die erneute Verhandlung darauf hin, dass bei einer erneuten Verurteilung wohl die „mehrfache“ beiderseitige Beschilderung mit der Geschwindigkeitsbegrenzung näher auszuführen sein dürfte. Der im Urteil wiedergegebenen pauschalen und auf der Aussage des Zeugen pp. beruhenden Feststellung lässt sich nicht entnehmen, wie oft und in welcher Entfernung vor der Messstelle der Betroffene eine Beschilderung mit der Geschwindigkeitsbegrenzung passiert hat. Da die „mehrfache“ beiderseitige Beschilderung allerdings zu Lasten des Betroffenen verwertet worden ist, wäre der Umfang der Missachtung konkret darzulegen (vgl. OLG Koblenz, 4 OWi 6 SsRs 26/21 v. 08.03.2021, NZV 2021, 437 m. zutreffendem Praxiskommentar v. RiAG Greiner).“

Wie gesagt: Man glaubt es nicht.