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StPO II: Auswertung potentieller KiPo-Beweismittel, oder: 14 Monate ist nicht zu lang?

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Im zweiten Postung stelle ich dann den LG Dresden, Beschl. v. 28.05.2025 – 16 Qs 22/25 – vor, der sich zur Verhältnismäßigkeit einer schon länger andauernden Durchsicht potentieller Beweismittel verhält.

Ergangen ist die Entscheidung in einem KiPo-Verfahre. Dem Beschuldigten wird zur Last gelegt, am 23.11.2023 um 14:18 Uhr in seinem Google Drive Account unter dem Nutzernamen „pp. pp.“ eine Datei mit einem kinderpornographischen Inhalt wissentlich und willentlich gespeichert zu haben. Am 21.02.2024 ist die Durchsuchung der Person, der Wohnung mit Nebenräumen und der Fahrzeuge des Beschuldigten, insbesondere nach elektronischen Speichermedien, angeordnet worden, die dann am 11.04.2024 vollzogen wurde. Im Zuge der Durchsuchung wurden zwölf Asservate sichergestellt.

Mit Schreiben vom 15.04.2024 beauftragte die Staatsanwaltschaft Dresden die Firma FAST DETECT GmbH mit der Auswertung der sichergestellten Asservate. Mit Schreiben vom 06.05.2024 teilte die Firma FAST DETECT mit, dass die Beweismittel am 30.04.2024 eingegangen seien, Imagekopien angefertigt werden und mit Abschluss der Begutachtung in ca. 15-16 Monaten zu rechnen sei.

Mit Verteidigerschriftsatz vom 17.10.2024 hat der Beschuldigte beantragt, die vorläufige Sicherstellung der im Verzeichnis der Gegenstände vom 11.04.2024 unter Ziff. 1-12 aufgeführten Gegenstände aufzuheben und deren Herausgabe anzuordnen. Mit Schreiben vom 25.10.2024 teilte die Firma FAST DETECT GmbH mit, dass die IT-forensische Sicherung für fast alle Beweismittel abgeschlossen sei. Im Rahmen einer ersten Teilsichtung seien auf dem Asservat Nr. 10 ein kinderpornographisches Video sowie vier zueinander inhaltsgleiche kinderpornographische Bilder festgestellt worden. Auf diesem Beweismittel befänden sich generell zahlreiche Bilder von Kindern und Jugendlichen in Unterwäsche und Bademoden in teils aufreizender Körperhaltung, bei denen es sich nach Einschätzung der Firma jedoch nicht um kinderpornographische Dateien handele.

Mit Beschluss vom 14.11.2024 hat das AG – Ermittlungsrichter – den Antrag des Beschuldigten auf Aufhebung der Sicherstellung der im Verzeichnis der Gegenstände vom 11.4.2024 unter Ziff. 1-12 aufgeführten Gegenstände sowie der Anordnung ihrer Herausgabe als unbegründet zurückgewiesen. Dagegen die Beschwerde eingelegt., zu deren Begründung vorgetragen wurde, dass die Sicherstellung der Unterlagen nicht mehr verhältnismäßig sei. Die auf dem sichergestellten PC gespeicherten beruflichen Unterlagen sowie sonstigen Daten, Urkunden, Rechnungen und Fotos, welche nach Löschung des Google-Kontos am 24.11.2024 nirgends sonst hinterlegt worden seien, hätten wirtschaftlichen Wert für ihn gehabt. Er habe seit elf Monaten keinen Zugriff auf die auf den sichergestellten Asservaten gespeicherten Unterlagen. Eine Priorisierung der Auswertung des PCs sei möglich gewesen, jedoch bislang nicht erfolgt. Die angemessene Dauer der Durchsicht der einzelnen Daten bestimme sich nach dem Umfang der sichergestellten Unterlagen und der Schwierigkeit der Auswertung. Ebenso sei der Grund für die lange Dauer der Maßnahme in die Abwägung einzustellen. Personelle und technische Unterversorgung dürfe nicht zulasten des Beschuldigten gehen. Mit der Beschlagnahme müsse zeitnah die Entscheidung einhergehen, ob Unterlagen verfahrensrelevant oder mangels Beweiserheblichkeit zurückzugeben seien. Wegen der weiteren Einzelheiten wird verwiesen auf das Schreiben vom 21.03.2025.

Das LG hat die Beschwerde verworfen:

„….

Da die Durchsicht der Speichermedien noch Teil der Durchsuchung ist, ist ihre (weitere) Zulässigkeit allerdings davon abhängig, dass die rechtlichen Voraussetzungen für eine Wohnungsdurchsuchung gern. § 102 StPO nach wie vor gegeben sind (BVerfG, Beschluss vom 20.11.2019 — 2 BM 886/19, Rn. 39, zitiert nach beck-online). Das ist der Fall. Der Beschuldigte ist der ihm zur Last gelegten Tat weiterhin verdächtig. Insbesondere ist, nachdem jedenfalls auf drei der sichergestellten Asservate kinderpornografische Inhalte festgestellt werden konnten, auch zum jetzigen Zeitpunkt weiterhin zu vermuten, dass die (weitere) Untersuchung der sichergestellten Speichermedien zur Auffindung beweisrelevanter Daten führen wird.

Die Fortdauer der vorläufigen Sicherstellung ist auch unter dem Gesichtspunkt des Gebots der zügigen Auswertung zur Durchsicht mitgenommener potentieller Beweismittel zum jetzigen Zeitpunkt nicht zu beanstanden. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verlangt insoweit, dass die Durchsicht zügig durchgeführt wird, um abhängig von der Menge des vorläufig sichergestellten Materials und der Schwierigkeit seiner Auswertung in angemessener Zeit zu dem Ergebnis zu gelangen, was als potentiell beweiserheblich dem Gericht zur Beschlagnahme angetragen und was an den Beschuldigten herausgegeben werden soll (BGH, Beschluss vom 05.08.2003 – 2 BJs 11/03-5 . StB 7/03, NStZ 2003, 670).

Nach Maßgabe dieser Grundsätze ist vorliegend zu berücksichtigen, dass die Auswertung der sichergestellten Speichermedien bereits wenige Tage nach der Durchsuchung in Auftrag gegeben worden ist. Es ist weiter zu berücksichtigen, dass eine Vielzahl von Speichermedien sichergestellt wurde und auszuwerten ist, wobei sich die Durchsicht teilweise bereits dadurch verzögert, dass die Geräte defekt sind und Maßnahmen zur Datenrettung notwendig waren/sind. Hinzu kommt, dass die Durchsicht aller Speichermedien vorliegend mit einer entsprechenden Genauigkeit durchgeführt werden muss. Denn sämtliche Asservate kommen nicht nur als Beweismittel in Betracht, sondern unterliegen – sofern sich bereits ein strafrechtlich relevanter Inhalt feststellen lässt – als Tatmittel auch der Einziehung. Aus diesem Grund scheidet letztlich auch eine Spiegelung der elektronischen Speichermedien und die Fortsetzung der Durchsicht unter Nutzung von Datenkopien aus. Es liegen darüber hinaus keine Anhaltspunkte dafür vor, dass die Durchsicht nicht mit der gebotenen Intensität betrieben wird und bereits zu einem früheren Zeitpunkt hätte abgeschlossen werden können. Insbesondere war eine genaue Auswertung aller Asservate notwendig, da sich bereits auf drei Asservaten kinderpornografische Inhalte haben feststellen lassen.

Unter Berücksichtigung der Schwere des gegen den Beschuldigten erhobenen Tatvorwurfs ist die vorläufige Sicherstellung mithin derzeit – noch – verhältnismäßig. Dies gilt umso mehr, als dass der Beschuldigte lediglich pauschal behauptet hat, dass sich auf allen Speichermedien unverzichtbare Daten befinden, ohne dies jedenfalls hinsichtlich der Asservate Nr. 1 bis 10 und Nr. 12 näher zu konkretisieren. Insoweit kann die Kammer daher bereits keine gesteigerten, die vorgenannten Erwägungen übersteigenden, Interessen des Beschuldigten an der Herausgabe der Asservate erkennen.

Was den Arbeits-PC des Beschuldigten anbelangt (Asservat Nr. 11), so hat dieser zwar ein gesteigertes Interesse dargelegt, eine Herausgabe an den Beschuldigten scheitert jedoch bereits daran, dass auf diesem strafrechtlich relevante Inhalte festgestellt worden sind.

Soweit jedenfalls bei den Asservaten Nr. 2, Nr. 10 und Nr. 11 bereits sicher kinderpornografische Inhalte festgestellt werden konnten, wird die Staatsanwaltschaft zeitnah die richterliche Beschlagnahme der betreffenden Asservate zu bewirken haben.“

Nun ja: „Vielzahl von Speichermedien“ – na ja. Und es kann doch nicht darauf ankommen, wann die StA die sichergestellten Medien zur Auswertung gegeben hat, sondern wie lange die beauftragte Firma braucht. Und das ist hier m.E. zu lange.

StPO I: Beschleunigungsgrundsatz bei U-Haft ??, oder: Kindeswohl versus Freiheitsrecht des Beschuldigten

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Und dann geht es in die 26. KW., und zwar mit zwei StPO-Entscheidungen. Die eine kommt vom OLG Schleswig, die andere vom LG Dresden.

Ich beginne mit dem OLG Schleswig, Beschl. v. 16.06.2025 – 1 Ws 5/25 H –, der sich zum Beschleunigungsgrundsatz äußert, und zwar bei der Durchführung einer vernehmungsersetzenden richterlichen Videovernehmung.

Ergangen ist der Beschluss im Haftprüfungsverfahren nach den §§ 120, 121 StPO, also Sechs-Monats-Haftprüfung. Vorgeworfen wird dem Angeklagten u.a. sexzeller Missbrauch. Das OLG hat Fortdauer der Untersuchungshaft angeordnet. Das OLG führt zur Beschleunigung aus:

Das Verfahren ist durch Polizei, Staatsanwaltschaft und Gericht mit der in Haftsachen erforderlichen Beschleunigung geführt worden. Dabei ist insbesondere zu berücksichtigen, dass von dem Verfahren drei Kinder — nämlich auch noch der ältere Bruder der beiden Geschädigten — betroffen sind und die Ermittlungen entsprechend behutsam zu führen waren und sind.

Die den Umständen des jeweiligen Einzelfalls nach angemessene Dauer der Durchführung der vernehmungsersetzenden richterlichen Videovernehmung unter Wahrung der gesetzlich vorgesehenen Beteiligungsrechte (§§ 58a Abs. 1 Satz 3, 255a Abs. 2 StPO) — die hier im Übrigen nicht zu beanstanden ist — hat der Angeklagte regelmäßig hinzunehmen.

Dem verfassungsrechtlich geschützten Interesse des Beschuldigten an einer besonders beschleunigten Bearbeitung des Verfahrens steht nämlich das Wohl der geschädigten Kinder keinesfalls nach. Schließlich wurzelt das Rechtsgut Kindeswohl und die Pflicht des Staates, dieses zu schützen und fördern, in den Art. 1 Abs. 1, 2 Abs. 1 und 6 GG. Dem Freiheitsrecht des Beschuldigten ist demgegenüber keinesfalls ein Vorrang auf Kosten des Kindeswohls einzuräumen (vgl. OLG Bamberg, Beschluss vom 14. November 1994, NJW 1995, 1689, beck-online).

Die Kammer befindet sich derzeit in der Terminsabstimmung für den Beginn der Hauptverhandlung ab dem 19. August 2025. Die hierin liegende Überschreitung der Sechs-Monats-Frist von rund zwei Monaten erklärt sich nachvollziehbar aus einer aktuellen — nicht strukturellen — Auslastung der Kammer mit weiteren eilbedürftigen Haftsachen.

Im Hinblick auf die mögliche Straferwartung ist der weitere Vollzug der Untersuchungshaft auch nicht unverhältnismäßig.“

Na ja, kommt sicherlich auf die Umstände des Einzelfalls an. Und wenn ich schon lese „keinesfalls“

StPO III: War es die fristwahrende Fortsetzung der HV?, oder: Zur Sache verhandelt oder reiner Schiebetermin?

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Und dann noch der BGH, Beschl. v. 15.01.2025 – 5 StR 338/24 – mal wieder zur Unterbrechung bzw. zur rechtzeitigen Fortsetzung der Hauptverhandlung. Stichwort: Schiebetermin. Den Beschluss habe ich übrigens schon mal vorgestellt wegen der materiellen Problematik (vgl. hier: BtM/KCanG I: Einfuhr von Betäubungsmitteln, oder: Wer ist Mittäter der Einfuhr?).

Verurteilt worden sind die Angeklagten jeweils u.a. wegen Einfuhr von Betäubungsmitteln. Dagegen die Revisionen, mit denen alle Angeklagten eine Verletzung des § 229 Abs. 1 StPO gerügt habe. Damit hatten sie allerdings keinen Erfolg:

„1. Allerdings greift die von allen Angeklagten erhobene Verfahrensrüge einer Verletzung des § 229 Abs. 1 StPO nicht durch.

a) Der Rüge liegt das folgende Prozessgeschehen zugrunde:

Die Hauptverhandlung fand an insgesamt zwölf Verhandlungstagen statt, darunter am 15. November und am 15. Dezember 2023. Zwischen diesen beiden Tagen waren ursprünglich Verhandlungstermine am 28. und am 29. November 2023 vorgesehen. Am 27. November 2023 machte die Verteidigerin des Angeklagten R.S. geltend, verhandlungsunfähig erkrankt zu sein, und beantragte die Aufhebung dieser beiden Hauptverhandlungstage. Am selben Tag teilte sie weiter mit, dass eine anderweitige Vertretung des Mitangeklagten nicht habe organisiert werden können, da auch der Mitverteidiger durch weitere Termine verhindert sei.

Die Vorsitzende der Strafkammer hob darauf den für den Folgetag (28. November 2023) vorgesehenen Termin auf. In einem Telefonat teilte sie der Verteidigerin mit, dass am 29. November 2023 jedenfalls kurz zur Sache verhandelt werden müsse, um die maximale Unterbrechungsfrist zwischen den Hauptverhandlungstagen nicht zu überschreiten. Sie bot an, dass dortige Beweisprogramm auf die schon angekündigte Verlesung und Inaugenscheinnahme von Urkunden, Lichtbildern und Audiodateien zu beschränken und ihr ohne Rechtsverlust ein Erklärungs- und Widerspruchsrecht bis zum folgenden Termin am 15. Dezember 2023 zu gewähren. Notfalls müsse für den 29. November ein Sicherungsverteidiger bestellt werden, welcher auch durch das Gericht ausgewählt werden könne. Vorzugswürdig sei es, wenn die Verteidigerin einen Vertreter benennen könne und dies mit ihrem Mandanten abgesprochen sei.

Nachdem die Verteidigerin bis zum Nachmittag des 28. November 2023 keinen Vertreter benannt hatte, schlug die Vorsitzende ihr hierfür in einem weiteren Telefonat Rechtsanwältin J. vor und kündigte an, am nächsten Tag allein die in den für das Selbstleseverfahren vorgesehenen Urkunden enthaltenen Lichtbilder in Augenschein zu nehmen, das Beweisprogramm am 15. Dezember 2023 in ihrer Anwesenheit zu wiederholen und Erklärungsfristen für alle Verfahrensbeteiligten bis zu diesem Tag zu verlängern. Die Verteidigerin erklärte, dass sie keine Zweifel an der fachlichen Eignung der vorgeschlagenen Rechtsanwältin habe, ihr Mandant aber mit einer Vertretung durch einen anderen Verteidiger grundsätzlich nicht einverstanden sei.

Im Termin vom 29. November 2023 widersprach der Angeklagte R.S. der angekündigten Beiordnung. Er wolle keine Vertretung durch einen anderen Rechtsanwalt, da ein solcher nicht eingearbeitet sei und die Akten nicht kenne. Für den Fall der Beiordnung kündige er einen Befangenheitsantrag an. Die Vorsitzende ordnete gleichwohl Rechtsanwältin J. gemäß § 144 Abs. 1 StPO als Sicherungsverteidigerin allein für diesen Termin bei und hielt in der Verfügung fest, dass die Beweisaufnahme auf die genannten Lichtbilder beschränkt und am 15. Dezember 2023 wiederholt werde, „um alle Verteidigerrechte und Angeklagtenrechte weitgehend zu wahren“. Der Ankündigung entsprechend wurden diverse Abbildungen aus mehreren polizeilichen Vermerken, aus dem Auswertebericht zu einer Observation sowie aus zwei Gutachten in Augenschein genommen. Die Inaugenscheinnahme wurde am nächsten Verhandlungstag wiederholt und Gelegenheit zur Abgabe nachgelassener Erklärungen gemäß § 257 StPO gegeben. Das Befangenheitsgesuch des Angeklagten gegen die Vorsitzende der Strafkammer wurde mit Beschluss vom 7. Dezember 2023 als unbegründet zurückgewiesen.

b) Die Revisionen sehen in diesem Vorgehen einen Verstoß gegen § 229 StPO. Im Termin vom 29. November 2023 sei nicht zur Sache verhandelt worden, da dessen Beweisprogramm von vornherein habe wiederholt werden sollen. Aus Sicht des Tatgerichts sei die „Beweisaufnahme (möglicherweise) mit einem verfahrensrechtlichen Makel behaftet“ gewesen und habe deshalb von Beginn an eine „Heilung“ an einem weiteren Hauptverhandlungstag notwendig gemacht. Ihr sei daher kein eigenständiger beweisrechtlicher Wert zugekommen, vielmehr habe sie allein der Fristwahrung gedient. Die Hauptverhandlung habe daher ausgesetzt werden müssen (§ 229 Abs. 4 Satz 1 StPO), was nicht geschehen sei.

c) Die Verfahrensrüge ist unbegründet, da das Landgericht nicht gegen § 229 StPO verstoßen hat.

Als ein Termin, der zur fristwahrenden Fortsetzung der Hauptverhandlung nach Maßgabe von § 229 Abs. 1 und 4 Satz 1 StPO geeignet ist, gilt nach ständiger Rechtsprechung nur ein solcher, in dem zur Sache verhandelt, mithin das Verfahren inhaltlich auf den abschließenden Urteilsspruch hin gefördert worden ist. Dies kann etwa durch Vernehmung des Angeklagten, durch Beweisaufnahme oder sonst durch Erörterung des Prozessstoffs geschehen. Es genügt jede Förderung des Verfahrens, selbst wenn weitere verfahrensfördernde Handlungen möglich gewesen wären und der Fortsetzungstermin auch der Einhaltung der Unterbrechungsfrist diente. Nicht ausreichend sind hingegen sogenannte (reine) „Schiebetermine“, welche die Unterbrechungsfrist lediglich formal wahren, in denen aber tatsächlich keine Prozesshandlungen oder Erörterungen zu Sach- oder Verfahrensfragen vorgenommen werden, die geeignet sind, das Strafverfahren seinem Abschluss substanziell näher zu bringen (BGH, Beschluss vom 19. Juli 2022 – 4 StR 64/22 mwN, NStZ-RR 2022, 382).

Hieran gemessen wurde das Verfahren auch im Hauptverhandlungstermin vom 29. November 2023 gemäß den Anforderungen des § 229 Abs. 1 StPO gefördert, wozu die Inaugenscheinnahme einer Reihe von Abbildungen ohne weiteres genügte. Dass die Beweisaufnahme nach eigener Einschätzung der Strafkammer mit einem „Makel behaftet“ war, ist nicht ersichtlich. Insbesondere bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass die Bestellung einer zusätzlichen Pflichtverteidigerin für diesen Tag rechtsfehlerhaft war oder seitens der Mitglieder der Strafkammer insoweit Zweifel bestanden. Denn nach § 144 Abs. 1 StPO können dem Beschuldigten zu seinem gewählten oder einem gemäß § 141 StPO bestellten Verteidiger bis zu zwei Pflichtverteidiger zusätzlich bestellt werden, wenn dies zur Sicherung der zügigen Durchführung des Verfahrens, insbesondere wegen dessen Umfang oder Schwierigkeit, erforderlich ist. Ein solches Vorgehen kann dazu dienen, ein Weiterverhandeln auch bei dem vorübergehenden Ausfall eines Verteidigers sicherzustellen (vgl. BGH, Beschluss vom 31. August 2020 – StB 23/20 Rn. 14, BGHSt 65, 129; vgl. auch Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 67. Aufl., § 144 Rn. 4). Eine Bestellung ist vom Willen des Beschuldigten unabhängig (BT-Drucks. 19/13829, S. 49; vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, aaO Rn. 7; KK-StPO/Willnow, 9. Aufl., § 144 Rn. 1). Ein Verstoß gegen die Vorschriften zur notwendigen Verteidigung wird auch durch keinen der Revisionsführer geltend gemacht (vgl. zu den denkbaren Ausnahmefällen einer mit einer Pflichtverteidigerbestellung verbundenen Beschwer BGH, Beschluss vom 15. August 2023 – StB 28/23 mwN).

Dementsprechend diente die Wiederholung der Beweisaufnahme im nächsten Verhandlungstermin nicht der „Heilung“ eines Versäumnisses. Ihre Ankündigung schon bei Bestellung der zusätzlichen Pflichtverteidigerin stand vielmehr in Zusammenhang mit der Entscheidung der Vorsitzenden der Strafkammer, für alle Verfahrensbeteiligten auch die Erklärungsfristen entsprechend zu verlängern. Der erkrankten Verteidigerin sollte so Gelegenheit gegeben werden, von dem Recht nach § 257 Abs. 2 StPO anhand eines persönlichen Eindrucks von den in Augenschein genommenen Abbildungen Gebrauch zu machen. Dieses vom Willen zur Gewährleistung einer möglichst umfassenden Verfahrensfairness getragene Vorgehen macht aus der Beweisaufnahme vom 29. November 2023 keinen „Schiebetermin“.

StPO II: Anwesenheit des befangenen Dolmetschers, oder: Keine Abwesenheitsfiktion

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Bei der zweiten Entscheidung, die ich vorstelle, handelt es sich heute um das BGH, Urt. v. 06.03.2025 – 3 StR 249/24.

Das LG hat den Angeklagten ua. wegen Diebstahls verurteilt. Dagegen u.a.die Verfahrensrüge des Angeklagten, mit der geltend macht, die Hauptverhandlung habe teilweise in Abwesenheit eines nach dem Gesetz erforderlichen Dolmetschers stattgefunden (§ 338 Nr. 5 StPO, § 185 Abs. 1 Satz 1 GVG). Ohne Erfolg:

„1. Die Rüge, die Hauptverhandlung habe teilweise in Abwesenheit eines nach dem Gesetz erforderlichen Dolmetschers stattgefunden (§ 338 Nr. 5 StPO, § 185 Abs. 1 Satz 1 GVG), greift – entgegen der Ansicht des Generalbundesanwalts – nicht durch.

a) Der Beanstandung, die anfangs herangezogene Dolmetscherin sei aufgrund ihrer Funktion als Pflichtverteidigerin des Mitangeklagten ungeeignet und daher als nicht anwesend zu betrachten gewesen, liegt im Wesentlichen das folgende mit der Revisionsbegründung dargetane Geschehen zugrunde:

Der Angeklagte ist niederländischer Staatsangehöriger und der deutschen Sprache nicht in einer Weise mächtig, dass er sich in einer gerichtlichen Hauptverhandlung auf Deutsch verständigen oder dieser folgen kann. Am ersten Verhandlungstag bestellte der Vorsitzende für diesen Terminstag eine zuvor dem Mitangeklagten als Pflichtverteidigerin beigeordnete Rechtsanwältin als Dolmetscherin für die niederländische Sprache und an ihrer Stelle einen anderen Rechtsanwalt als Pflichtverteidiger des Mitangeklagten. Die Rechtsanwältin wurde als Dolmetscherin vereidigt und tätig. Es wurden die Personalien des Angeklagten und des Mitangeklagten festgestellt, die Anklageschrift und der Eröffnungsbeschluss verlesen sowie die Angeklagten auf ihr Schweigerecht hingewiesen. An den weiteren Verhandlungstagen wurde eine beeidigte Dolmetscherin für die niederländische Sprache herangezogen; die Rechtsanwältin nahm daran als Pflichtverteidigerin des Mitangeklagten teil.

b) Nach diesem Verfahrensgang hat die Hauptverhandlung nicht in Abwesenheit eines Dolmetschers stattgefunden und liegt kein Verstoß gegen § 338 Nr. 5 StPO, § 185 Abs. 1 Satz 1 GVG vor. Hat ein gerichtlich bestellter Dolmetscher als solcher an der Verhandlung tatsächlich teilgenommen, ist seine Abwesenheit nicht deshalb zu fingieren, weil Ablehnungsgründe gegen seine Person vorgelegen haben.

aa) Der absolute Revisionsgrund nach § 338 Nr. 5 StPO setzt voraus, dass die Hauptverhandlung in Abwesenheit einer Person stattgefunden hat, deren Anwesenheit das Gesetz vorschreibt. Hierzu gehört zwar ein Dolmetscher, wenn ein Angeklagter der deutschen Sprache nicht mächtig und daher die Zuziehung nach § 185 Abs. 1 Satz 1 GVG erforderlich ist (vgl. BGH, Urteil vom 11. November 1952 – 1 StR 484/52, BGHSt 3, 285 f.; Beschlüsse vom 22. November 2001 – 1 StR 471/01, NStZ 2002, 275, 276; vom 8. August 2017 – 1 StR 671/16, BGHR GVG § 185 Zuziehung 4 Rn. 7; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 67. Aufl., § 338 Rn. 44). Hat jedoch ein Dolmetscher an der Verhandlung teilgenommen und beziehen sich die hiergegen gerichteten Beanstandungen darauf, dass die als Dolmetscher zugezogene Person nicht als solcher hätte tätig werden dürfen, betrifft dies nicht die Frage der Anwesenheit. Dies ergibt sich aus Folgendem:

Bereits nach dem Gesetzeswortlaut liegt nicht nahe, eine tatsächlich in der Hauptverhandlung anwesende Person als abwesend zu betrachten. Zwar kommt es in Ausnahmekonstellationen in Betracht, eine körperlich gegenwärtige Person als abwesend zu werten, wie etwa im Falle der Verhandlungsunfähigkeit (vgl. für den Angeklagten BGH, Beschluss vom 6. Dezember 2023 – 5 StR 453/23, NStZ-RR 2024, 82 f.; für den Verteidiger BGH, Urteil vom 30. Juni 2022 – 1 StR 277/21, BGHR StPO § 338 Nr. 5 Verteidiger 10 Rn. 5; jeweils mwN). Dies ist aber nicht dahin verallgemeinerungsfähig, dass rechtliche oder tatsächliche Einschränkungen in der Person eines notwendigerweise Anwesenden dessen Abwesenheit gleichstehen. Ist beispielsweise die weitere Tätigkeit eines Staatsanwalts in der Hauptverhandlung nach seiner Vernehmung als Zeuge unzulässig, folgt daraus grundsätzlich kein absoluter Revisionsgrund im Sinne des § 338 StPO (s. BGH, Urteil vom 3. Mai 1960 – 1 StR 155/60, BGHSt 14, 265, 267; Beschluss vom 19. September 2019 – 1 StR 235/19, BGHR StPO § 22 Nr. 5 Ausschluss 3 Rn. 10). Entsprechendes gilt nach der gesetzlichen Regelungssystematik auch dann, wenn in Rede steht, dass die hinzugezogene Person nicht als Dolmetscher habe bestellt werden dürfen.

Gemäß § 191 Satz 1 GVG sind auf Dolmetscher die Vorschriften über Ausschließung und Ablehnung der Sachverständigen entsprechend anzuwenden (s. BGH, Urteil vom 4. Juli 2018 – 2 StR 485/17, BGHR GVG § 191 Dolmetscher 1 Rn. 20). Die Ablehnung eines Sachverständigen im Strafverfahren regelt § 74 StPO; sie bedarf eines Antrags, auch soweit es um Ausschließungsgründe gemäß §§ 22, 74 Abs. 1 Satz 1 StPO geht (vgl. BGH, Urteil vom 11. Januar 1963 – 3 StR 52/62, BGHSt 18, 214; Beschluss vom 27. November 1995 – 1 StR 614/95, BGHR StPO § 73 Auswahl 2; KK-StPO/Hadamitzky, 9. Aufl., § 74 Rn. 2). Insofern ist der Ausschluss eines Dolmetschers kraft Gesetzes nicht vorgesehen (s. BVerwG, Beschluss vom 30. März 1984 – 9 B 10001.84, NJW 1984, 2055; Kissel/Mayer, GVG, 10. Aufl., § 191 Rn. 2; zur Prüfung eines Ablehnungsgesuchs BGH, Urteil vom 4. Juli 2018 – 2 StR 485/17, BGHR GVG § 191 Dolmetscher 1 Rn. 21). Das mithin gesetzlich vorgegebene Verfahren würde umgangen, wenn ein tatsächlich anwesender Dolmetscher wegen Vorliegens etwaiger Ablehnungsgründe (s. § 74 Abs. 1, § 22 Nr. 4 Variante 4 StPO) als in der Hauptverhandlung abwesend betrachtet würde.

Dass eine solche Fiktion nicht dem Gesetz entspricht, zeigt sich ferner daran, dass § 338 Nr. 2 StPO die Mitwirkung eines kraft Gesetzes ausgeschlossenen Richters als eigenständigen Revisionsgrund normiert. Dies wäre entbehrlich, wenn ein Ausschlussgrund zur Folge hätte, dass die ausgeschlossene Person als abwesend zu betrachten wäre. Überdies ergibt sich daraus die gesetzgeberische Wertung, dass allein bei Richtern und Schöffen ein Ausschluss kraft Gesetzes einen absoluten Revisionsgrund darstellt.

bb) Daran gemessen ist die Abwesenheit eines Dolmetschers nicht gegeben. Vielmehr fand die Hauptverhandlung in durchgehender Anwesenheit eines solchen statt. Dies gilt aus den aufgezeigten Gründen unabhängig davon, ob die zeitweilige Zuziehung der zuvor und im Anschluss, nicht aber in dem in Rede stehenden Zeitraum als Pflichtverteidigerin des Mitangeklagten tätigen Rechtsanwältin als Dolmetscherin sachgerecht und zulässig war. Um einen Fall, in dem mit Blick auf Sprachkenntnisse eines Verteidigers auf die Bestellung eines Dolmetschers verzichtet wurde (vgl. dazu OLG Celle, Beschluss vom 22. Juli 2015 – 1 Ss [OWi] 118/15, NStZ 2015, 720), handelt es sich gerade nicht.

c) Die Verfahrensbeanstandung greift als relativer Revisionsgrund (§ 337 StPO) gleichfalls nicht durch. Unabhängig davon, dass ausdrücklich lediglich eine Verletzung von § 185 Abs. 1 Satz 1 GVG i.V.m. § 338 Nr. 5 StPO gerügt ist, fehlt es jedenfalls an einem Ablehnungsantrag, der nach dem bereits dargelegten Normgefüge Voraussetzung für die Geltendmachung eines – auch zwingenden – Ablehnungsgrundes gegen den Dolmetscher ist (vgl. SK-StPO/Frister, 6. Aufl., § 191 GVG Rn. 6; entsprechend zum Sachverständigen BGH, Urteil vom 20. April 1982 – 1 StR 50/82, juris Rn. 4; KK-StPO/Hadamitzky, 9. Aufl., § 74 Rn. 17 mwN; LR/Krause, StPO, 27. Aufl., § 74 Rn. 42; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 67. Aufl., § 74 Rn. 21; SK-StPO/Rogall, 5. Aufl., § 74 Rn. 70).

d) Ferner ist auf der Grundlage des beanstandeten Sachverhalts kein Verstoß gegen den Grundsatz des fairen Verfahrens (vgl. Art. 20 Abs. 3 GG, Art. 6 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 Buchst. e EMRK) gegeben. Danach stand dem Angeklagten in der Hauptverhandlung stets eine Dolmetscherin zur Verfügung. Dass deren Tätigkeit unzureichend und er daher nicht in der Lage gewesen sei, seine Rechte wahrzunehmen, ist nicht vorgebracht. Soweit er die am ersten Verhandlungstag zugezogene Dolmetscherin allein aufgrund ihrer sonstigen Aufgabe als Pflichtverteidigerin des Mitangeklagten für ungeeignet hält, ergibt sich daraus nicht, dass rechtsstaatlich zwingende Folgerungen nicht gezogen worden sind oder rechtsstaatlich Unverzichtbares preisgegeben wurde (s. zu diesem Maßstab etwa BVerfG, Beschluss vom 20. Dezember 2023 – 2 BvR 2103/20, NJW 2024, 1103 Rn. 43 mwN; BGH, Beschluss vom 18. Februar 2020 – 3 StR 430/19, BGHSt 64, 283 Rn. 26), zumal der Angeklagte die Möglichkeit eines Ablehnungsverfahrens nach § 191 Satz 1 GVG, § 74 StPO nicht nutzte.

….“

StPO I: Absprache mit unzulässigem (Absprache)Inhalt, oder: Keine Bindungswirkung

Und heute ist dann mal wieder StPO-Tag, und zwar dreimal der BGH.

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Der hat sich im BGH, Beschl. v. – 1 StR 505/24 – dann noch einmal zur Bindungswirkung an eine Absprache (§ 257c StPO) geäußert, und zwar hat der BGH eine Bindung verneint. Die Absprache enthielt wohl den Verzicht auf Prozessanträge gegen Zusicherung eines Strafrahmens.

Der BGH führt aus:

„Die im vorliegenden Verfahren geschlossene Verständigung weist einen außerhalb von § 257c Abs. 2 StPO liegenden und damit gesetzeswidrigen Inhalt auf (vgl. Rn. 4) und entfaltet deshalb – von Anfang an – keine Bindungswirkung (vgl. Rn. 8; Beschluss vom – 1 StR 606/17 Rn. 16; vgl. auch BT-Drucks. 16/12310, S. 13 f.; El-Ghazi JR 2012, 407). Den durch den protokollierten Verständigungsvorschlag gleichwohl geschaffenen Vertrauenstatbestand (vgl. Rn. 22 f. und Beschluss vom – 5 StR 484/20 Rn. 20) hat das Landgericht durch seine an den Maßgaben des § 257c Abs. 5 StPO ausgerichteten Belehrung unmissverständlich beseitigt. Es hat insbesondere darauf hingewiesen, dass es weder an den in Aussicht gestellten Strafrahmen gebunden, noch das vom Beschwerdeführer im Vertrauen auf das Zustandekommen einer Verständigung abgegebene Geständnis verwertbar sei. Ein Verfahrensfehler liegt mithin nicht vor. Der Senat entnimmt dem Urteil auch, dass die geständige Einlassung des Angeklagten in das Urteil keinen Eingang gefunden hat.“