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Klageerzwingung II: Wirksame Antragsunterzeichnung, oder: Unterzeichnung durch einen Beistand reicht nicht

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Und dann als zweite Entscheidung zu den § 172-er-Fragen habe ich dann hier noch einen Beschluss des OLG Celle. Der ist schon etwas älter, ist aber jetzt erst vor kurzem veröffentlicht worden. Es handelt sich um den OLG Celle, Beschl. v. 08.09.2023 – 2 Ws 247/23. Das OLG hat den Antrag als unzulässig verworfen, weil er nicht von einem Rechtsanwalt unterzeichnet war:

„Der nach § 172 Abs. 2 StPO statthafte Antrag auf gerichtliche Entscheidung genügt schon deshalb nicht den gesetzlichen Anforderungen, weil er entgegen § 172 Abs.3 S.2 StPO nicht von einem Rechtsanwalt unterschrieben ist.

Der Umstand, dass der Antrag von dem durch Beschluss des Amtsgerichts Hannover vom 9. Februar 2023 (Az.: 174 Gs 23/23) gem. § 138 Abs. 3 StPO genehmigten Beistand des Verletzten unterzeichnet ist, vermag daran nichts zu ändern. Denn § 172 Abs. 3 S. 2 StPO verlangt nach seinem eindeutigen Wortlaut die Unterzeichnung durch einen Rechtsanwalt; es ist in der Rechtsprechung geklärt, dass selbst die Unterzeichnung des Antrags durch einen Strafverteidiger und Rechtslehrer an einer deutschen Hochschule, der nicht gleichzeitig Rechtsanwalt ist, das vorgenannte Formerfordernis nicht erfüllt (OLG Zweibrücken, Beschluss vom 29. März 2022 – 1 Ws 36/22 –, juris; OLG Bamberg, Beschluss vom 8. Juni 2021 – 1 Ws 290/21 –, juris; Detlef Burhoff in: Burhoff, Handbuch für das strafrechtliche Ermittlungsverfahren, Rn. 2827).

Lediglich ergänzend bemerkt der Senat, dass der Antrag auf gerichtliche Entscheidung auch schon deshalb unzulässig ist, weil das Verfahren ausschließlich Straftaten zum Gegenstand hat, die von dem Verletzten im Wege der Privatklage verfolgt werden können. Der geltend gemachte hinreichende Tatverdacht für Straftaten der Nötigung im besonders schweren Fall gem. § 240 Abs. 4 StGB ist ersichtlich nicht gegeben.“

Klageerzwingung I: Unzulässige Antragsbegründung, oder: Warum war der Antrag ein „Ansinnen“?

In die neue Woche starte ich dann mit zwei Entscheidungen zum Klageerzwingungsverfahren.

Ich starte mit dem

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–, der mal wieder zur ausreichenden Begründung des sog. Klageerzwingungsantrags Stellung nimmt. Das OLG sieht die Vorgaben als nicht erfüllt an:

„Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung gemäß § 172 Abs. 2 StPO ist bereits als unzulässig zu verwerfen.

1. Er entspricht nicht den nach § 172 Abs. 3 Satz 1 StPO an den Inhalt eines Klageerzwingungsantrags zu stellenden formellen Anforderungen. Nach dieser Vorschrift muss der Antrag auf gerichtliche Entscheidung den Senat in die Lage versetzen, ohne Rückgriff auf die Ermittlungsakten oder andere Schriftstücke eine Schlüssigkeitsprüfung hinsichtlich der Erfolgsaussichten des Antrags auf Erhebung der öffentlichen Klage in formeller und materieller Hinsicht vorzunehmen (OLG Celle, Beschluss vom 17. März 2008, Az. 1 Ws 105/08; hierzu und dem Folgenden: OLG Hamm, Beschluss vom 17. März 2010, Az. 2 Ws 42/10). Deshalb muss der Antrag auf gerichtliche Entscheidung eine aus sich heraus verständliche Schilderung desjenigen Sachverhaltes enthalten, der bei Unterstellung der Richtigkeit des hinreichenden Tatverdachtes die Erhebung der öffentlichen Klage sowohl in materieller als auch in formeller Hinsicht rechtfertigen würde (vgl. hierzu und dem Folgenden: Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 67. Aufl., § 172 Rdnr. 26 ff.). Dabei hat die Sachdarstellung zumindest in groben Zügen den Gang des Ermittlungsverfahrens, den Inhalt der angegriffenen Entscheidungen und die Gründe für deren behauptete Unrichtigkeit mitzuteilen. Diesen skizzierten Vorgaben wird der vorliegende Klageerzwingungsantrag nicht gerecht.

Die Darstellung des Sachverhalts ist lückenhaft. Zu der gebotenen Darstellung des Verfahrensganges genügt es nicht, singulär auf die Erkenntnisse einzugehen, die das Antragsbegehren stützen (OLG Koblenz, Beschluss vom 21. Mai 2007, Az. 2 Ws 272/07; Brandenburgisches Oberlandesgericht, Beschluss vom 8. August 2024, Az. 2 Ws 88/24 (S)). Vielmehr ist das gesamte für die objektive und subjektive Tatseite bedeutsame Ermittlungsergebnis einschließlich der Tatsachen, die dem Antragsbegehren den Boden entziehen könnten, mitzuteilen (vgl. hierzu und dem Folgenden: OLG Koblenz, Beschluss vom 21. Mai 2007, Az. 2 Ws 272/07). Denn nur auf der Grundlage einer derart vollständigen Darstellung und damit bei Kenntnis auch der Umstände, die der Darstellung des Antragstellers möglicherweise entgegenstehen, lässt sich der Erfolg des Begehrens des Antragstellers, nämlich die angestrebte Verurteilung der Beanzeigten, zutreffend beurteilen (vgl. hierzu und dem Folgenden: OLG Hamm, Beschluss vom 17. März 2010, Az. 2 Ws 42/10; OLG Hamm, Beschluss vom 21. Juni 2004, Az. 2 Ws 128/04). Eine selektive Auswahl der zugunsten des Strafantragstellers sprechenden Argumente unter Hintanstellung gegebenenfalls diese widerlegender Gesichtspunkte führt zur Unschlüssigkeit des Klageerzwingungsantrages und folglich zu seiner Unzulässigkeit (OLG Hamm, Beschluss vom 17. März 2010, Az. 2 Ws 42/10).

Hierzu führt die Generalstaatsanwaltschaft in ihrer Stellungnahme vom 02. August 2024 wie folgt aus:

„Dem Antrag ist die aktenkundige Abschlussverfügung und Anklageschrift vom 6. Juli 2023 (BI. 57 ff. der Akte) in dem Verfahren 4123 Js 1995/23, auf die im Bescheid der Staatsanwaltschaft Potsdam Bezug genommen wird, nicht zu entnehmen. Hieraus ergibt sich, dass der Leiter der Tierauffangstation („Name 02“) im Nachgang zur behördlichen Maßnahme wegen Verstoßes gegen das Tierschutzgesetz angeklagt worden ist.“

Der Senat tritt diesen Ausführungen bei; sie entsprechen der Sachlage. Ist wegen desselben Sachverhaltes gegen den Antragssteller selbst Anklage erhoben worden, so muss er dies in seinem Antrag vortragen – verschweigt er eine solche Anklage, so ist der Klageerzwingungsantrag unzulässig (OLG Stuttgart, Beschluss vom 10. September 2001, Az. 1 Ws 184/01). Zwar richtet sich die Anklageschrift vom 06. Juli 2023 – die die vorgefundenen Begebenheiten anlässlich der Kontrolle und Inobhutnahme der Tiere am 25. Juli 2022 auf dem Grundstück („Adresse 01“) zum Gegenstand hat – nicht gegen den („Firma 01“) – was bereits dem Umstand geschuldet ist, dass das deutsche Strafrecht kein Unternehmensstrafrecht ist -, sondern gegen Herrn („Name 02“). Dieser ist indes dem Vorstand des („Firma 01“). zugehörig – damit für seine Handlungen als Unternehmensverantwortlicher persönlich strafrechtlich verantwortlich – und hat auch die Vollmacht des Verteidigers für den („Firma 01“) wie auch etliche Verwahrtier – Verfügungen und Fundtieranzeigen und Übergaben für selbigen unterzeichnet. Unerwähnt lässt der Antragsteller in diesem Zusammenhang auch, dass der Sitz des („Firma 01“). in der („Adresse 01“) zugleich die Wohnanschrift des Herrn („Name 02“) ist, und den Umstand, dass das mangelnde Vorhalten eines Bestandsbuches, mit welchem die Zuordnung als Abgabe-/ Verwahr-/ Zuchttier und privates Tier sowie zwingend die rechtliche Eigentumszugehörigkeit möglich wäre, Gegenstand der wiederholten Kontrollen und Auflagen des Veterinäramts betreffend den Tierbestand in der („Adresse 01“) war. Zudem wird mit keinem Wort erwähnt, aus welchem Grunde das Veterinäramt der Stadt („Ort 01“) den bei der Kontrolle am 25. Juli 2022 vorgefundenen Tierbestand in Obhut genommen hat, dass die Kontrolle am 25. Juli 2022 nicht die erste Begehung ihrer Art gewesen ist, und dass im Hinblick auf die dortige Tierhaltung vorab (nicht erfüllte) Auflagen erteilt wurden.

Auf dieser Grundlage ist dem Senat eine Beweiswürdigung nicht möglich. Diese Beweiswürdigung ist aber Gegenstand der Zulässigkeitsprüfung, da nur dann die Schlüssigkeit des Klageerzwingungsantrages geprüft werden kann.

Auch die Darstellungen des Antragstellers in den anwaltlichen Schriftsätzen vom 28. August 2024 und 20. September 2024 führen zu keinem anderen Ergebnis. Ungeachtet der Tatsache, dass der Senat die Anklageerhebung gegenüber dem Vorstandsmitglied („Name 02“), der unter derselben Anschrift wohnhaft wie das („Firma 01“) ortsansässig ist, – wie ausgeführt – als notwendig in ihrer Darstellung erachtet, würde auch eine Nachbegründung nach Ablauf der Monatsfrist des § 172 Abs. 2 S. 1 StPO dem Antrag nicht mehr zur Zulässigkeit verhelfen können (OLG Hamm, Beschluss vom 4. Juli 2002, Az. 2 Ws 213/02; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 30. Dezember 1999, Az. 1 Ws 624 – 625/99 ; Brandenburgisches Oberlandesgericht, Beschluss vom 10. März 2008, Az. 1 Ws 17/08).

Der Antrag war nach alledem als unzulässig zu verwerfen.“

So weit, so gut – oder auch nicht. Jedenfalls bringt der Beschluss nichts Neues. Außer einer Formulierung, die mich stört. Denn in dem Beschluss – insoweit oben nicht zitiert – heißt es:

„Die Generalstaatsanwaltschaft des Landes Brandenburg hat in ihrer Stellungnahme vom 02. August 2024 beantragt, das Ansinnen auf gerichtliche Entscheidung als unzulässig zu verwerfen. Mit Anwaltsschriftsätzen vom 28. August 2024 und 20. September 2024 ist der Antragsteller dem Antrag der Generalstaatsanwaltschaft entgegengetreten.“

Warum „Ansinnen“ (= „oft als Zumutung empfundenes Ersuchen, Gesuch, Bitte“? Warum schreibt man nicht „Antrag“ und gut ist es?

Frist/beA II: Stellungnahme bitte per Fax, nicht per beA, oder: Kann das verlangt werden?

folgenden Text dazu nutzen:
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Die zweite – leicht ungewöhnlich bzw. nicht alltägliche – Entscheidung kommt vom OLG Karlsruhe. Das hat im OLG Karlsruhe, Beschl. v. 28.01.2025 – 2 ORbs 320 SsBs 725/24 – in Zusammenhnag mit einem Ablehnungsverfahren zu Frage der Fristwahrung bei Einreichung von Dokumenten im elektronischen Rechtsverkehr Stellung genommen.

In dem Verfahren wurde die dienstliche Stellungnahme der Richterin A., die vom 27.05.2024 stammte, auf Anordnung von Richterin B. am 27.05.2024 um 12:35 Uhr der Kanzlei des Verteidigers, der die Richterin wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt hattem per Telefax mit dem Zusatz „Bitte um sofortige Vorlage, notfalls an den Vertreter“ übermittelt. Gleichzeitig wurde die Möglichkeit zur Stellungnahme „per Fax“ bis 14:30 Uhr am selben Tag gegeben, „um vor dem morgen anberaumten Hauptverhandlungstermin entscheiden zu können“.

Dann wird auch die Richterin B. abgelehnt, die entscheidet aber noch über das Ablehnungsgesuch gegen die Richterin A. Dazu sagt das OLG – betreffend die Zuständigkeit der Richterin B -: Insoweit kein Problem:

„bb) Auch das am Nachmittag des 27.5.2024 angebrachte Ablehnungsgesuch gegen Richterin am Amtsgericht B. ändert nichts an der rechtlichen Beurteilung.

Zwar war diese mit dem insoweit allein maßgeblichen Eingang des Ablehnungsgesuchs am 27.5.2024 um 14:26:15 Uhr – damit ist nach einer vom Senat eingeholten Auskunft der Eingang auf dem sogenannten Intermediär der baden-württembergischen Justiz bezeichnet – objektiv nicht mehr zur Entscheidung über das Ablehnungsgesuch gegen Richterin am Amtsgericht A. berufen, solange nicht über das gegen sie selbst gerichtete Ablehnungsgesuch entschieden war.

Richterin nach Amtsgericht B. hat ihre Zuständigkeit aber nicht willkürlich bejaht. Insofern gewinnt Bedeutung, dass nach der vom Senat beim IuK-Fachzentrum Justiz, das in der baden-württembergischen Justiz federführend mit Fragen des elektronischen Rechtsverkehrs betraut ist, eingeholten Auskunft das Amtsgericht Heidelberg erst mit dem im Transfervermerk bezeichneten späteren Zeitpunkt Kenntnis vom Eingang des das weitere Ablehnungsgesuch enthaltenden Schriftsatzes nehmen und auf diesen zugreifen konnte. Zudem ist zu berücksichtigen, dass in der Verfügung vom 27.5.2024, mit der die Frist zur Stellungnahme zur dienstlichen Erklärung von Richterin am Amtsgericht A. bestimmt worden war, ausdrücklich die Einreichung einer etwaigen Stellungnahme mittels Telefax erbeten worden war. Nach alledem ist davon auszugehen, dass die Unkenntnis von Richterin am Amtsgericht B. von dem gegen sie gerichteten Ablehnungsgesuch nicht auf Pflichtwidrigkeit beruhte, als sie – als nach dem Geschäftsverteilungsplan originär zuständige Richterin – über das Ablehnungsgesuch gegen Richterin am Amtsgericht A. entschied.“

Und die Entscheidung hat folgende Leitsätze:

1. Bei der Einreichung eines Dokuments im elektronischen Rechtsverkehr kann zwischen dem Eingang des Dokuments bei der Einrichtung gemäß § 32a Abs. 5 Satz 1 StPO – hier: Intermediär der baden-württembergischen Justiz – und dem Eingang bei dem eigentlichen Empfänger – hier: Amtsgericht – eine nicht näher bestimmbare Zeitspanne liegen.

2. Um eine rechtzeitige Kenntnisnahme zu gewährleisten, kann einem Beteiligten deshalb in eilbedürftigen Fällen die Einreichung auf anderem Weg – hier: Telefax – aufgegeben werden.

Die Ausführungen des OLG gelten nicht nur für Fristen und deren Einhaltung in Bußgeldverfahren sondern auch in anderen Verfahren.

Pflichti III: Einhaltung einer Stellungnahmefrist, oder: Verlängerung der Zustellzeiten durch „4-Tagesfiktion“

Frist Termin

Und dann habe ich noch den LG Braunschweig, Beschl. v. 24.02.2025 – 1 Qs 46/25. Es geht um eine Beschwerde gegen die Ablehnung einer Pflichtverteidigerbestellungmit folgendem Sachverhalt:

Gegen den (ehemaligen) Angeklagten wurde durch die Staatsanwaltschaft am 28.08.2024 Anklage erhoben. Mit Beschluss des AG vom 30.10.2024 wurde die Anklage der Staatsanwaltschaft zugelassen und das Hauptverfahren eröffnet. Hauptverhandlungstermin wurde bestimmt auf den 19.12.2024. Die Ladung wurde dem Angeklagaten laut Postzustellungsurkunde am 07.11.2024 zugestellt.

Da der Angeklagte der Hauptverhandlung fernblieb, beantragte die Staatsanwaltschaft nach Aussetzung der Hauptverhandlung gegen den ihn wegen der in der Anklageschrift vom 28.08.2024 bezeichneten Tat einen Strafbefehl nach § 408a StPO zu erlassen. Das Gericht teilte dem Angeklagten mit Schreiben vom 19.12.2024, abgesandt am 02.01.2025, mit, dass es erwäge, dem Antrag der Staatsanwaltschaft stattzugeben. Gemäß § 408b StPO sei dem ihm daher für das Strafbefehlsverfahren ein Verteidiger zu bestellen. Der Angeklagte wurde aufgefordert innerhalb einer Woche mitzuteilen, ob er bereits einen Rechtsanwalt beauftragt habe bzw. welcher Rechtsanwalt bestellt werden solle. Falls kein Rechtsanwalt beauftragt oder bezeichnet werde, solle Herr Rechtsanwalt R 1 beauftragt werden.

Mangels Rückmeldung des Angeklagten wurde seitens des AG vom 10.01.2025 Rechtsanwalt R 1 als Pflichtverteidiger bestellt. Der Beschluss wurde am 15.01.2025 an den Angeklagten und Rechtsanwalt R 1 versandt.

Mit Schreiben vom 13.01.2025, beim AG am 14.01.2025 eingegangen, gab der Angeklagte an, sich von Rechtsanwalt R 2 vertreten lassen zu wollen. Mit Schreiben vom 14.01.2025, am selben Tag beim AG eingegangen, versicherte Rechtsanwalt R 2 von dem Angeklagten beauftragt worden zu sein und beantragte die Beiordnung seiner Person.

Der Beschluss zur Pflichtverteidigerbestellung vom 10.01.2025 wurde Rechtsanwalt R 1 laut Empfangsbekenntnis am 16.01.2025 zugestellt. Mit Schreiben vom 21.01.2025, beim AG am 22.01.2025 eingegangen, beantragte Rechtsanwalt R 1 daraufhin Akteneinsicht.

Mit Schreiben vom 26.01.2025, beim AG am selben Tag eingegangen, legte Rechtsanwalt R 2 namens und in Vollmacht des Angeklagten gegen die Beiordnung von Rechtsanwalt R 1 und die faktische Ablehnung der Beiordnung seiner Person sofortige Beschwerde ein. Er habe sich am 14.01.2025 rechtszeitig legitimiert und die Beiordnung seiner Person beantragt. Aus völlig unklaren Gründen habe das Gericht einen Tag später jedoch Rechtsanwalt R 1 als Pflichtverteidiger beigeordnet.

Die Staatsanwaltschaft hat dann die Akten an das LG mit dem Antrag übersandt, der sofortigen Beschwerde vom 26.01.2025 stattzugeben, den Beschluss des AG vom 10.01.2025 aufzuheben, mit dem Rechtsanwalt R 1 als Pflichtverteidiger bestellt wurde und stattdessen zu beschließen, Rechtsanwalt R 2 als Pflichtverteidiger zu bestellen.

Zur Begründung führte die Staatsanwaltschaft aus, dass gem. § 37 Abs. 1 StPO für das Verfahren bei Zustellungen die Vorschriften der Zivilprozessordnung entsprechend gelten. Der Lauf einer richterlichen Frist beginne gem. § 221 ZPO, sofern nicht bei ihrer Fristsetzung ein anderes bestimmt wird, mit der Zustellung des Dokuments, in dem die Frist festgesetzt ist. Da das Anhörungsschreiben zur Verteidigerbestellung nach § 408b StPO vom 19.12.2024 als einfaches Schreiben – ohne Zustellungsnachweis – verfügt worden sei, könne die tatsächliche Zustellung des Schreibens nicht festgestellt werden. Der „Abvermerk“ lasse jedoch erkennen, dass das Schreiben erst am 02.01.2025 von der Geschäftsstelle des AG bearbeitet und in den Postausgang gelegt worden sei. Es sei folglich von einer Aufgabe zur Post frühestens am 03.01.2025 zu rechnen. Nach der seit dem 01.01.2025 geltenden 4-Tagesfiktion (durch die Verlängerung der Zustellzeiten durch das bereits am 23.07.2024 beschlossene Postrechtsmodernisierungsgesetz) habe mit einer Zustellung somit nicht vor dem 07.01.2025 gerechnet werden können. Am 10.01.2025 sei die Wochenfrist folglich noch nicht abgelaufen gewesen und die rechtzeitige Beantragung der Pflichtverteidigerbeiordnung mit Schreiben vom 14.01.2024 sei folglich nicht zu widerlegen.

Das Rechtsmittel hatte Erfolg. Das LG hat keine eigene Begründung angeführt, sondern hat „auf die zutreffenden Ausführungen der Staatsanwaltschaft Braunschweig Bezug genommen, welche sich die Kammer nach eigener kritischer Würdigung zu eigen [ge]macht“ hat.

Die Ausführungen des LG 🙂 muss man sich merken. Sie haben nicht nur in Fällen, die mit dem vorliegenden vergleichbar sind, Bedeutung, sondern immer, wenn es um die Einhaltung einer Stellungnahmefrist geht.

Pflichti II: Nochmals rückwirkende Bestellung, oder: Das LG Bochum zeigt, wie es richtig geht

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Und dann hier noch einmal ein Beschluss zur nachträglichen Beiordnung eines Pflichtverteidigers, und zwar der LG Bochum, Beschl.  v. 17.02.2025 – 11 Qs 4/25. Ich stelle ihn vor, weil es ein sehr schöner Beschluss ist, in dem das LG alle maßgeblichen Fragen „kurz und zackig“ anspricht.

Der Sachverhalt wie gehabt: Die Staatsanwaltschaft hat unter dem 13.08.2024 gegen den Angeklagten Anklage wegen versuchten Diebstahls beim AG erhoben. Dort wird Hauptverhandlungstermin auf den 29.11.2024 bestimmt. Mit beim AG am 28.11.2024 eingegangenen Schriftsatz vom selben Tag zeigte der Verteidiger seine Beauftragung durch den Angeklagten an. Unter dem Hinweis, dass der sich derzeit in Haft in der JVA Gelsenkirchen befinde, beantragte er seine Beiordnung als Pflichtverteidiger. Ferner beantragte er den Termin am 29.11.2024 aufzuheben, da er erst am 28.11.2024 von diesem Kenntnis erlangt habe.

Mit Beschluss vom 28.11.2024 stellte das AG das Verfahren gegen den Angeklagten gemäß § 154 Abs. 2 StPO vorläufig ein. Über den Antrag auf Beiordnung als Pflichtverteidiger entschied das Amtsgericht nicht. Darum wird dann gestritten. Das AG hat dann letztlich den Antrag zurückgewiesen. Dagegen die sofortige Beschwerde, die beim LG Erfolg hatte:

„Die sofortige Beschwerde ist zulässig, insbesondere gemäß § 142 Abs. 7 StPO statthaft und in der Frist des § 311 Abs. 2 StPO eingelegt. In der Sache hat sie Erfolg. Das Amtsgericht hat zu Unrecht den Antrag des Beschwerdeführers auf Beiordnung eines Pflichtverteidigers zurückgewiesen.

1. Gemäß § 141 Abs. 1 StPO hätte dem Beschwerdeführer unverzüglich nach Antragstellung ein Pflichtverteidiger bestellt werden müssen.

a) Die Voraussetzungen des § 140 StPO für die Beiordnung eines Pflichtverteidigers lagen bis zur Einstellung des Verfahrens und bereits im Zeitpunkt der rechtzeitigen Antragstellung vor.

Zum Zeitpunkt der Antragstellung war ein Fall der notwendigen Verteidigung gemäß § 140 Abs. 1 Nr. 5 StPO gegeben. Der Beschwerdeführer war zum Zeitpunkt der Antragstellung am 28.11.2024 in einer Anstalt, der JVA Gelsenkirchen, inhaftiert.

b) Der Beschwerdeführer war auch unverteidigt im Sinne des § 141 Abs. 1 StPO.

Er ist unverteidigt, wenn der Beschwerdeführer noch keinen Verteidiger hat oder der gewählte Verteidiger bereits mit dem Antrag auf Pflichtverteidigerbestellung ankündigt, das Wahlmandat mit der Bestellung niederzulegen (vgl. BeckOK StPO/Krawczyk, 54. Ed. 1.1.2025, StPO § 141 Rn. 2). Durch diese Regelung soll der Vorrang der Wahlverteidigung aufrechterhalten werden. Grundsätzlich ist in dem Bestellungsantrag indes bereits konkludent die Ankündigung enthalten das Wahlmandat niederzulegen (vgl. BeckOK StPO/Krawczyk, 54. Ed. 1.1.2025, StPO § 141 Rn. 2). So liegt der Fall hier. Der Verteidiger hat ausdrücklich und erkennbar im Namen des Beschwerdeführers um seine Beiordnung als Pflichtverteidiger nachgesucht, wobei diesem Vorbringen zu entnehmen ist, dass das Wahlmandat im Falle der Beiordnung niedergelegt werden soll.

2. Der zwischenzeitliche Abschluss des Verfahrens durch Einstellung steht einer Beiordnung ausnahmsweise und aufgrund der besonderen Umstände des Einzelfalles nicht entgegen.

Dem Grunde nach zutreffend stellt das Amtsgericht fest, dass die Bestellung eines Pflichtverteidigers nach Einstellung des Verfahrens grundsätzlich nicht mehr in Betracht kommt. Denn im Falle einer Einstellung des Verfahrens, sei es auch nur nach § 154 StPO, kann das Ziel, dem Beschuldigten eine angemessene Rechtsverteidigung zu ermöglichen, nicht mehr erreicht werden.

Von diesem Grundsatz sind aber im Einzelfall Abweichungen zuzulassen und die Rechtslage anders zu beurteilen. Ein solcher Einzelfall liegt hier vor.

Ein solcher Einzelfall liegt vor, wenn der Beschuldigte einen Antrag auf Beiordnung eines Pflichtverteidigers gestellt hat, die Voraussetzungen einer notwendigen Verteidigung zum Zeitpunkt der Antragstellung offensichtlich vorgelegen haben, das Gebot der unverzüglichen Pflichtverteidigerbestellung missachtet wurde und dies auf behördeninteme Vorgänge zurückzuführen ist (vgl. LG Bonn (13. große Strafkammer), Beschluss vom 23.12.2024 – 63 Qs 61/24 (930 Js 309/24); LG Amberg (1. Strafkammer), Beschluss vom 27.05.2024 -11 Qs 43/24).

Der Beschwerdeführer hat einen Tag vor dem angesetzten Hauptverhandlungstermin, am 28.11.2024, den Antrag auf Beiordnung eines Pflichtverteidigers gestellt. Zu diesem Zeitpunkt lag auch ein Fall der notwendigen Verteidigung im Sinne des § 140 Abs. 1 Nr. 5 StPO (siehe unter II. 1. a.) vor. Das nunmehr über die Inhaftierung und somit den Grund der notwendigen Pflichtverteidigung in Kenntnis gesetzte Gericht hat am selben Tag – nach Rücksprache mit der Staatsanwaltschaft – das Verfahren nach § 154 Abs. 2 StPO eingestellt und nicht über den Antrag auf Pflichtverteidigerbestellung entschieden. Eine Entscheidung wäre ihm ungleich möglich gewesen. Über den Beiordnungsantrag ist folglich nicht unverzüglich gemäß § 141 Abs. 1 Satz 1 StPO entschieden worden, da eine Entscheidung über diesen weder vor noch zusammen mit der Einstellungsentscheidung getroffen wurde.

Der Grundsatz der grundsätzlich nicht rückwirkenden Beiordnung darf vor diesem Hintergrund nicht insofern missbraucht werden, dass vor der Entscheidung des bereits gestellten Beiordnungsantrags auf die Einstellung des Verfahrens hingewirkt und so planmäßig die Verfahrensrechte der Beschuldigten unterlaufen werden (vgl. LG Bonn (13. große Strafkammer), Beschluss vom 23.12.2024 – 63 Qs 61/24 (930 Js 309/24).

Auch § 141 Abs. 2 Satz 3 StPO steht im vorliegenden Fall der Beiordnung nicht entgegen. Die Möglichkeit, von einer Bestellung in denjenigen Fällen abzusehen, in denen beabsichtigt ist, das Verfahren alsbald einzustellen, gilt ausdrücklich nur für die Fälle des § 141 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 und 3 und nicht für Fälle einer notwendigen Verteidigung nach § 141 Abs. 1 Satz 1 StPO, demzufolge einem Angeklagten unverzüglich ein Pflichtverteidiger zu bestellen ist, wenn er dies ausdrücklich beantragt (vgl. LG Wuppertal, Beschluss vom 08.04.2024, Az. 26 Qs 333/23). Eine entsprechende Anwendung des § 141 Abs. 2 Satz 3 StPO auch auf Fälle einer ausdrücklichen Antragsstellung nach § 141 Abs. 1 Satz 1 StPO kommt nicht in Betracht, da aufgrund des eindeutigen Wortlautes keine planwidrige Regelungslücke ersichtlich ist (AG Wuppertal Beschl. v. 8.5.2024 – 722 Js 1914/24, BeckRS 2024, 11985).“