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EV II: Keine Beschwerde zum BGH bei Blutproben, oder: Konkreter Anfangsverdacht für Durchsuchung

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Die zweite Entscheidung kommt vom BGH. Der hat im BGH, Beschl. v. 10.08.2023 – StB 45 + 46/23 – zu Rechtsmitteln im Ermttlungsverfahren Stellung genommen.

Der GBA führt gegen den Beschuldigten und weitere Personen ein Ermittlungsverfahren im Zusammenhang mit einer Vereinigung, die auf die Begehung linksextremer Gewaltstraftaten ausgerichtet gewesen sein soll; soweit es den Beschuldigten betrifft, wegen des Verdachts der Unterstützung einer kriminellen Vereinigung gemäß § 129 Abs. 1 Satz 2 StGB. Auf seine Anträge hat der Ermittlungsrichter des BGH mit Beschlüssen vom 28. März 2023 zum einen die Durchsuchung der Person, der Wohnung und etwaiger weiterer Nebengelasse des Beschuldigten zum Zwecke der Sicherstellung im Einzelnen näher bezeichneter Tat- und sonstiger Beweismittel (1 BGs 547/23) und zum anderen die Entnahme einer Blutprobe beim Beschuldigten nebst deren molekulargenetischer Untersuchung und Abgleichung (1 BGs 548/23) angeordnet. Beide Beschlüsse sind am 6. Juli 2023 vollzogen worden. Bei der Durchsuchung ist eine Vielzahl von Gegenständen beschlagnahmt oder zur Durchsicht vorläufig sichergestellt worden.

Der Betroffene hat gegen beide Maßnahmen Beschwerde eingelegt, die er nicht begründet hat. Beide Rechtsmittel hatten keinen Erfolg:

„1. Die Beschwerde gegen den Beschluss zur Entnahme einer Blutprobe gemäß § 81a StPO und weiterer Maßnahmen gemäß §§ 81e, 81g StPO (1 BGs 548/23) ist bereits unzulässig. Sie ist gegen eine Verfügung des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs gerichtet, gegen die das Rechtsmittel nur in den in § 304 Abs. 5 StPO vorgesehenen Ausnahmefällen statthaft ist. Die angefochtene Anordnung der Entnahme einer Blutprobe des Beschuldigten zur Feststellung seines DNA-Identifizierungsmusters und Geschlechts sowie des Abgleichs des so gewonnenen Musters mit Vergleichsmaterial in künftigen Strafverfahren gemäß § 81a Abs. 1, Abs. 2 Satz 1, Abs. 3 StPO, §§ 81e, 81f, 81g Abs. 1 bis 3 und 5 Satz 1 StPO ist hiervon nicht erfasst (vgl. BGH, Beschluss vom 17. Juni 2020 – StB 16/20, juris Rn. 3 ff. mwN).

2. Die Beschwerde gegen den Durchsuchungsbeschluss bleibt in der Sache ohne Erfolg.

a) Sie ist zwar gemäß 304 Abs. 5 StPO statthaft und auch im Übrigen zulässig, weil ihr Ziel noch nicht prozessual überholt ist. Angesichts der nicht abgeschlossenen Durchsicht der vorläufig sichergestellten elektronischen Speichermedien dauert die Durchsuchungsmaßnahme weiterhin an. Für eine Umdeutung in einen Antrag auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der angegriffenen Maßnahme besteht daher kein Raum (vgl. BGH, Beschlüsse vom 18. November 2021 – StB 6/21 u.a., NJW 2022, 795 Rn. 5 mwN, vom 13. Juni 2023 – StB 29/23, juris Rn. 4).

b) Die Beschwerde ist jedoch unbegründet, denn die Voraussetzungen für den Erlass der Durchsuchungsanordnung gegen den Beschuldigten (§ 102, 105 StPO) waren gegeben.

aa) Gegen den Beschuldigten lag ein die Durchsuchung nach 102 StPO rechtfertigender Anfangsverdacht vor, eine kriminelle Vereinigung, die auf die Begehung von Gewaltstraftaten gerichtet ist, unterstützt zu haben.

(1) Für die Zulässigkeit einer regelmäßig in einem frühen Stadium der Ermittlungen durchzuführenden Durchsuchung genügt der über bloße Vermutungen hinausreichende, auf bestimmte tatsächliche Anhaltspunkt gestützte konkrete Verdacht, dass eine Straftat begangen wurde und der Verdächtige als Täter oder Teilnehmer an dieser Tat in Betracht kommt. Eines hinreichenden oder gar dringenden Tatverdachts bedarf es – unbeschadet der Frage der Verhältnismäßigkeit – nicht (st. Rspr.; vgl. BVerfG, Beschluss vom 7. September 2006 – 2 BvR 1219/05, NJW 2007, 1443; BGH, Beschlüsse vom 18. Dezember 2008 – StB 26/08, BGHR StPO § 102 Tatverdacht 2; vom 12. August 2015 – StB 8/15, NStZ 2016, 370).

(2) Gemessen hieran lagen sachlich zureichende Gründe für die Anordnung einer Durchsuchung der Person, der Wohnung und etwaiger weiterer Nebengelasse des Beschuldigten vor. Es bestand der Anfangsverdacht, dass der Beschuldigte zumindest zwischen Januar und Juni 2022 eine spätestens seit August 2018 in und um L.    bestehende kriminelle Vereinigung unterstützte, die sich zum Ziel gesetzt hatte, körperliche Übergriffe auf (vermeintliche) Angehörige der rechten Szene zu begehen. Hierzu im Einzelnen:

(a) Vier mutmaßliche Mitglieder der genannten Vereinigung sind zu Gesamtfreiheitsstrafen von bis zu fünf Jahren und drei Monaten verurteilt worden. Gegenstand der Verurteilungen war neben der Mitgliedschaft in oder der Unterstützung einer kriminellen Vereinigung jeweils auch die unterschiedlich geartete Beteiligung an mehreren mit erheblichen Körperverletzungen verbundenen gewalttätigen Überfällen auf verschiedene Geschädigte. Im Vorfeld der einzelnen Überfälle fanden Ausspähungsbemühungen statt, bei denen die handelnden Personen Verkleidungsutensilien zu ihrer Tarnung verwendeten.

(b) Der Beschuldigte stand im Verdacht, die kriminelle Vereinigung dadurch unterstützt zu haben, dass er für die Ausspäheinsätze geeignete und bestimmte Verkleidungsutensilien wie verschiedenartige Firmenbekleidung beschaffte, zur Verfügung stellte und in seiner Wohnung verwahrte. Solche bekleidungsstücke waren bereits am 15. Juni 2022 anlässlich einer gemäß § 103 StPO angeordneten Durchsuchung des Zimmers des jetzigen Beschuldigten in der Wohnung einer Mitbeschuldigten aufgefunden worden (vgl. Beschlüsse des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs vom 7. Juni 2022 – 1 BGs 129/22, vom 15. Juni 2022 – 1 BGs 168/22; Senat, Beschluss vom 20. Juli 2022 – StB 29/22). An den dort sichergestellten Bekleidungsgegenständen waren tatrelevante DNA-Spuren nachweisbar.

(c) Hinzu kommt, dass der Beschuldigte mit weiteren mutmaßlichen Vereinigungsmitgliedern in freundschaftlicher Verbindung stand und deren ideologische Überzeugung teilte.

(d) Zu den Einzelheiten der den Anfangsverdacht gegen den Beschuldigten begründenden Umstände wird auf die detaillierten Ausführungen in dem Durchsuchungsbeschluss des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs vom 28. März 2023 (1 BGs 547/23) verwiesen.

bb) Weiterhin war es trotz der bereits am 15. Juni 2022 erfolgten Durchsuchung des Zimmers des jetzigen Beschuldigten und Sicherstellung der Verkleidungsutensilien zu erwarten, dass die neuerliche Durchsuchung zum Auffinden (weiterer) beweiserheblicher Gegenstände und Daten führen werde. Während die vormalige Durchsuchung gegen die Mitbeschuldigte gerichtet war (Beschluss des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs vom 7. Juni 2022 – 1 BGs 129/22), zielte die aktuelle Durchsuchung auf den Beschuldigten selbst, so dass nunmehr auch eindeutig ihm zuzuordnende Beweisgegenstände der Sicherstellung unterlagen.

cc) Die Zuständigkeit des Generalbundesanwalts und damit auch diejenige des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs war gegeben. Gegen die Annahme der besonderen Bedeutung im Sinne des 120 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1, Satz 2 GVG in Verbindung mit § 74a Abs. 1 Nr. 4, Abs. 2 GVG ist mit Blick auf die konkreten Umstände des Tatgeschehens nichts zu erinnern.

dd) Auch der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit war gewahrt. Die Durchsuchungsanordnung gegenüber dem Beschuldigten war geeignet und erforderlich, zur weiteren Aufklärung seiner Beteiligung an dem Tatgeschehen beizutragen. Die Anordnung der Durchsuchung stand zudem in einem angemessenen Verhältnis zur Bedeutung und Schwere der aufzuklärenden Straftat.“

Revision III: Polizeiberichte zur Durchsuchung fehlen, oder: Aber – Hinweis auf Einziehung nicht erteilt

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Und dann habe ich zum Abschluss hier noch das BGH, Urt. v. 12.07.2023 – 6 StR 417/22 – mit einer teilweise erfolgreichen (!) Revision.

Das Landgericht hat den Angeklagten  wegen Beihilfe zum bandenmäßigen Handeltreiben mit Betäubungsmitteln verurteilt sowie die Einziehung eines mit einer Tennishalle bebauten Grundstücks, der auf dem Hallendach installierten Photovoltaikanlage und des Wertes von Taterträgen angeordnet. Die Revision hatte mit der Verfahrensrüge betreffend die Einziehung Erfolg.

Nach den Feststellungen des LG betrieben die einige Personen in einer leerstehenden Tennishalle des Angeklagten  eine Marihuanaplantage. In der Zeit von September 2020 bis Mai 2021 kam es zu einer Ernte und einer weiteren Anpflanzung. Wegen der ihm versprochenen Hallenmiete billigte den Anbau des Marihuanas zum gewinnbringenden Weiterverkauf und die Versorgung der Plantage mit Strom aus der auf dem Dach der Halle montierten Photovoltaikanlage; ferner unterstützte er beide Anbauvorgänge durch die Bereitstellung von Wohnraum für die Plantagenarbeiter, Transporttätigkeiten und das Überlassen von Gerätschaften.

Der BGH führt zu den Verfahrensrügen, die der Angeklagte erhoben hat, aus:

„2. Die zum Schuld- und Strafausspruch erhobenen Verfahrensrügen versagen aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts. Der Erörterung bedarf nur das Folgende:

Die Verfahrensrüge, die Strafkammer habe die Erkenntnisse aus der Durchsuchung der Tennishalle rechtsfehlerhaft verwertet, ist unzulässig, weil das Revisionsvorbringen nicht den Anforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO genügt.

a) Danach sind im Rahmen einer Verfahrensrüge die den geltend gemachten Verstoß enthaltenden Tatsachen so vollständig und genau darzulegen, dass das Revisionsgericht allein anhand der Revisionsbegründung in die Lage versetzt wird, über den geltend gemachten Mangel endgültig zu entscheiden. Für den Revisionsvortrag wesentliche Schriftstücke oder Aktenstellen sind im Einzelnen zu bezeichnen und – in der Regel durch wörtliche Zitate beziehungsweise eingefügte Abschriften oder Ablichtungen – zum Bestandteil der Revisionsbegründung zu machen (vgl. BGH, Urteil vom 10. Juli 2014 – 3 StR 140/14, NStZ-RR 2014, 318, 319; KK-StPO/Gericke, 9. Aufl., § 344 Rn. 38 mwN). Die Verfahrensrüge der Verletzung des § 105 StPO ist grundsätzlich nur dann in zulässiger Weise erhoben, wenn auch die polizeilichen Berichte über die Durchsuchungsmaßnahmen mitgeteilt werden (vgl. BGH, Beschlüsse vom 1. Februar 2022 – 5 StR 373/21, vom 16. Februar 2016 – 5 StR 10/16, StV 2016, 771, 772, vom 24. Januar 2012 – 4 StR 493/11 und vom 2. Dezember 2010 – 4 StR 464/10; KK-StPO/Henrichs/Weingast, 9. Aufl., § 105 Rn. 23; MüKo-StPO/Hauschild, 2. Aufl., § 105 Rn. 45).

b) Die Revision hat den in den Urteilsgründen mehrfach erwähnten polizeilichen Durchsuchungsbericht vom 10. Mai 2021 nicht mitgeteilt. Dies war hier nicht ausnahmsweise entbehrlich. Denn es ist für den Senat insbesondere mit Blick auf die zeitlichen Abläufe im Zusammenhang mit der Durchsuchung der Plantage nicht sicher erkennbar, ob die in den Urteilsgründen – in nicht gebotener Weise (vgl. BGH, Urteil vom 14. Dezember 2022 – 6 StR 340/21) – dargestellten Verfahrenstatsachen die für die Verwertbarkeit der Durchsuchungserkenntnisse maßgebliche Beweislage vollständig wiedergeben. Dem Senat ist es daher verwehrt, die Rechtmäßigkeit der Durchsuchungsanordnung umfassend zu beurteilen und gegebenenfalls weitergehend zu prüfen, ob aus dem Verfahrensfehler im konkreten Fall ein Beweisverwertungsverbot folgt (vgl. BVerfG, Beschluss vom 16. März 2006 – 2 BvR 954/02, NJW 2006, 2684, 2686; BGH, Urteile vom 6. Oktober 2016 ? 2 StR 46/15, NStZ 2017, 367 Rn. 24, und vom 18. April 2007 – 5 StR 546/06, BGHSt 51, 285, 289; Beschlüsse vom 27. November 2018 – 5 StR 566/18, NStZ-RR 2019, 94, 95, vom 16. Februar 2016 – 5 StR 10/16, aaO, und vom 30. August 2011 – 3 StR 210/11, NStZ 2012, 104 Rn. 9).“

Aber:

„Eine weitere Verfahrensbeanstandung des Angeklagten führt zur Aufhebung der Entscheidung über die Einziehung der Photovoltaikanlage.

a) Der Angeklagte rügt zu Recht, dass er auf diese Rechtsfolge weder in der zugelassenen Anklage noch in der Hauptverhandlung hingewiesen wurde.

aa) Einem Angeklagten ist nach § 265 Abs. 2 Nr. 1 StPO in der Hauptverhandlung stets ein förmlicher Hinweis zu erteilen, wenn die zugelassene Anklage keinen Hinweis auf eine dort genannte Rechtsfolge enthält, wie etwa die Maßnahme der Einziehung von Tatmitteln (§ 11 Abs. 1 Nr. 8 StGB). Die Hinweispflicht gilt unabhängig davon, ob sich in der Hauptverhandlung im Vergleich zum Inhalt der Anklageschrift oder des Eröffnungsbeschlusses neue Tatsachen ergeben haben (vgl. BGH, Beschluss vom 22. Oktober 2020 – GSSt 1/20, BGHSt 66, 20).

bb) Der danach gebotene Hinweis wurde dem Angeklagten nicht erteilt. Insbesondere musste er nicht davon ausgehen, dass die Einziehung der auf dem Dach der Tennishalle installierten Photovoltaikanlage, die später der Versorgung der Marihuanaplantage mit Strom diente, schon aus ihrer Zubehöreigenschaft (§ 97 BGB) folgt. Denn Zubehör ist grundsätzlich rechtlich selbstständig; es unterliegt insoweit den für bewegliche Sachen geltenden Vorschriften, Zubehörstücke teilen daher nicht zwingend das rechtliche Schicksal der Hauptsache (vgl. MüKo-BGB/Stresemann, 9. Aufl., § 97 Rn. 42).

b) Auf diesem Rechtsfehler, der auch die zugehörigen Feststellungen erfasst (§ 353 Abs. 2 StPO), beruht die Einziehungsentscheidung. Denn es erscheint zumindest möglich, dass sich der Angeklagte erfolgreicher hätte verteidigen können (vgl. BGH, Beschluss vom 14. April 2020 – 5 StR 20/19).“

Revision II: Fehlen von Durchsuchungszeugen, oder: Vortrag nach Vorlage eines Attestes beim Ausbleiben

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Im zweiten Posting habe ich dann hier zwei weitere Entscheidungen, eine des BGH und eine des KG, in denen die Revsionen mit den Verfahrensrügen keinen Erfolg hatten. Die Entscheidungen zeigen u.a., was die Revisionsgerichte gern hören/lesen möchten, und zwar:

„Die Verfahrensrüge, mit der die Revision die Verwertung der „in der Wohnung des Angeklagten aufgefundenen Objekte“ beanstandet, weil die Polizeibeamten bei der Durchsuchung unter Verstoß gegen § 105 Abs. 2 StPO keinen neutralen Zeugen hinzugezogen hätten, ist bereits unzulässig. Der Revisionsführer unterlässt es vorzutragen, was die beteiligten Beamten anlässlich ihrer Ver-nehmung in der Hauptverhandlung zum Ablauf der in Gegenwart des Angeklagten und – nach Darstellung der Revision lediglich teilweisen Anwesenheit – seines Verteidigers durchgeführten Durchsuchung bekundet haben. Damit ist dem Senat bereits die Prüfung verwehrt, ob der nach der Vernehmung der Beamten verkündete Beschluss des Landgerichts vom 14. November 2022, wonach ein Verwertungsverbot hinsichtlich der bei der Durchsuchung aufgefundenen Gegenstände ausscheide, weil der Verteidiger des Angeklagten bei der Durchsuchung von der Frage, ob die Verwertbarkeit der Durchsuchungsergebnisse überhaupt von der Einhaltung des § 105 Abs. 2 StPO abhängen kann (vgl. hierzu Meyer-Goßner/Schmitt/Köhler, StPO, 66. Aufl., § 105 Rn. 11 mwN; KK-StPO/Heinrichs/Weingast, 9. Aufl., § 105 Rn. 14; BeckOK StPO/Hegmann, 47. Ed., § 105 Rn. 23) ? nicht beurteilen, ob und gegebenenfalls mit welcher Intensität (vgl. zum Maßstab für die Annahme eines Verwertungsverbots BGH, Urteil vom 10. Juli 2014 – 3 StR 140/14, StV 2015, 85, 86; KK-StPO/Heinrichs/Weingast, 9. Aufl., § 105 Rn. 21 mwN) der gerügte Verfahrens-verstoß durch die dargestellte partielle Abwesenheit des Verteidigers vorlag und ob der Nachweis einer ordnungsgemäßen Durchführung der Durchsuchung (vgl. hierzu BGH, Urteil vom 9. Mai 1963 ? 3 StR 6/63, NJW 1963, 1461) durch dessen Anwesenheit nicht über den gesamten Durchsuchungszeitraum gewährleistet war.“

1. Im Revisionsverfahren befreit die Vorlage einer ärztlichen Bescheinigung den Angeklagten nicht von dem Erfordernis, zu seinem Krankheitszustand im Zeitpunkt der Hauptverhandlung vorzutragen.

2. Ein gesonderter Revisionsvortrag zu dem am Verhandlungstag bestehenden Krankheitszustand des Angeklagten ist nur dann entbehrlich, wenn und soweit die ärztliche Bescheinigung Angaben enthält, die hinreichend konkret und belastbar den Rückschluss zulassen, dass der diagnostizierte Krankheitszustand und dessen Symptome auch noch zum Zeitpunkt der Hauptverhandlung vorlagen.

 

 

StPO II: Durchsuchung wegen Steuerhinterziehung, oder: Nur „dürftige Beschreibung“ des Tatvorwurfs

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Die zweite Entscheidung des Tages, der LG Nürnberg-Fürth, Beschl. v. 07.062023 – 12 Qs 24/23 – kommt aus dem schier unerschöpflichen Reservoir der Entscheidungen betreffend Durchsuchungsmaßnahmen.

Der Ermittlungsrichter des AG hatte gegen den Beschuldigten einen auf § 102 StPO gestützten Durchsuchungsbeschluss. Es sollte u.a. in seinem Wohnhaus nach diversen Unterlagen gesucht werden. Begründet war der – von der Steuerfahndung dem Ermittlungsrichter vorformuliert vorgelegte – Beschluss wie folgt:

„Der Beschuldigte wird beim Finanzamt unter der Steuernummer … geführt. Nach Erkenntnissen der Steuerfahndung erzielt der Beschuldigte ausschließlich Einkünfte aus der Beteiligung an der … oHG und geringe Einkünfte aus Kapitalvermögen. In seinem Eigentum befinden sich zwei Grundstücke. Seine in den Steuerbescheiden zu Grund gelegte Einkommenslage in den Jahren 2015 bis 2019 entspricht weder seinem Lebensstandard noch den Geldströmen aus seinen Bankkonten. Der Beschuldigte ist daher verdächtig folgende Steuerstraftaten begangen zu haben:

Hinterziehung der Einkommensteuer … 2015-2019 … der Gewerbesteuer und der Umsatzsteuer … 2015-2019“

Die Durchsuchung wurde vollzogen; die Durchsicht der aufgefundenen Papiere dauerte an. Gegen den Durchsuchungsbeschluss legte der Beschuldigte Beschwerde ein, die beim LG ERfolg hatte:

„1. Da die Durchsuchung in Form der Durchsicht nach § 110 StPO andauert, ist der Antrag, die Rechtswidrigkeit der Durchsuchung festzustellen, dahin umzudeuten, dass der Durchsuchungsbeschluss aufgehoben wird.

2. Die Aufhebung hatte zu erfolgen, weil der Durchsuchungsbeschluss den an ihn zu stellenden Mindestanforderungen nicht genügt.

a) Der Durchsuchungsbeschluss dient dazu, die Durchführung der Maßnahme messbar und kontrollierbar zu gestalten. Dazu muss er den Tatvorwurf und die gesuchten Beweismittel so beschreiben, dass der äußere Rahmen abgesteckt wird, innerhalb dessen die Zwangsmaßnahme durchzuführen ist. Der Richter muss die aufzuklärende Straftat, wenn auch kurz, doch so genau umschreiben, wie dies nach den Umständen des Einzelfalls möglich ist. Der Betroffene wird auf diese Weise zugleich in den Stand versetzt, die Durchsuchung zu kontrollieren und etwaigen Ausuferungen von vornherein entgegenzutreten. In dem Beschluss muss zum Ausdruck kommen, dass der Ermittlungsrichter die Eingriffsvoraussetzungen selbstständig und eigenverantwortlich geprüft hat. Dazu ist zu verlangen, dass ein dem Beschuldigten angelastetes Verhalten geschildert wird, das den Tatbestand eines Strafgesetzes erfüllt. Die wesentlichen Merkmale des gesetzlichen Tatbestandes, die die Strafbarkeit des zu subsumierenden Verhaltens kennzeichnen, müssen benannt werden. Mängel bei der ermittlungsrichterlich zu verantwortenden Umschreibung des Tatvorwurfs und der zu suchenden Beweismittel können im Beschwerdeverfahren nicht geheilt werden (BVerfG, Beschluss vom 19.04.2023 – 2 BvR 2180/20, juris Rn. 28 f. m.w.N.).

b) Diesen seit langem geklärten Maßstäben genügt der angegriffene Beschluss nicht. Es fehlt schon eine hinreichende Beschreibung der vorgeworfenen Straftaten. Die Steuerhinterziehung ist ein Erklärungsdelikt. Strafbar macht sich, wer die Steuern falsch (§ 370 Abs. 1 Nr. 1 AO) oder pflichtwidrig nicht (§ 370 Abs. 1 Nr. 2 AO) erklärt. Hier ist nach der Beschlussbegründung noch nicht einmal klar, ob der Beschuldigte unrichtige Angaben gemacht hat oder ob die (wann und mit welchem Inhalt auch immer) ergangenen Steuerbescheide wegen Nichterklärung aufgrund von Schätzungen erlassen wurden. Ein Normzitat, das die Begehungsweise klären könnte (§ 370 Abs. 1 Nr. 1 oder 2 AO?), findet sich in dem Beschluss nicht. Sollten unrichtige Angaben gemacht worden sein, so ist nicht klar, wann was erklärt wurde und zu welcher Steuerfestsetzung dies geführt hat.

Für die Kammer ist ein Grund für die Dürftigkeit der Beschreibung des Tatvorwurfs nicht erkennbar. Der bei der Akte befindliche Verdachtsprüfungsvermerk enthält genügend tatsächliches Material, das dafür herangezogen werden könnte, die wesentlichen Merkmale des gesetzlichen Tatbestandes zu verbalisieren. Das ist unterblieben. Die Kammer könnte angesichts dieses Mangels eine Überzeugung, der Ermittlungsrichter habe die Eingriffsvoraussetzungen selbstständig und eigenverantwortlich geprüft, nicht intersubjektiv vermittelbar begründen.

3. Die weiter beantragte Herausgabe der sichergestellten Asservate hat zu erfolgen, weil die Aufhebung des Durchsuchungsbeschlusses der vorläufigen Sicherstellung die Grundlage entzogen hat (BGH, Beschluss vom 18.05.2022 – StB 17/22, juris Rn. 11).“

Durchsuchung III: Und nochmals Anfangsverdacht, oder: Einmal reicht es, einmal nicht…..

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Im dritten Posting dann noch zwei Entscheidungen zur Durchsuchung, und zwar einmal hopp, einmal topp:

Zunächst hier der LG Magdeburg, Beschl. v. 04.05.2023 – 25 Qs 35/23 – ergangen in einem Ermittlungsverfahren wegen Jagdwilderei. In dem hat sich das AG bei der Anordnung einer Durchsuchung beim Beschuldigten allein auf Angaben mittelbarer Zeugen gestützt. Das hat dem LG nicht gereicht.

Zu der Entscheidung passt der Leitsatz:

Voraussetzung für die Anordnung der Durchsuchung gemäß § 102 StPO ist die Wahrscheinlichkeit, dass eine bestimmte Straftat bereits begangen und nicht nur straflos vorbereitet worden ist. Hierfür müssen zumindest tatsächliche Anhaltspunkte vorliegen. Ggf. ist die Vernehmung unmittelbarer Tatzeugen erforderlich.

Und dann komme ich noch einmal zurück auf den OLG Hamm, Beschl. v. 27.04.2023 – 3 RVs 16/23. Den hatte ich neulich schon wegen der materiellen Frage vorgestellt, Stichwort: Impfpassfälschung (vgl. hier: Corona I: Gefälschter Impfpass vor Kreistagssitzung, oder: Gebrauch unrichtiger Gesundheitszeugnisse). Das OLG hat in der Entscheidung dann auch zur Zulässigkeit der Durchsuchung beim Angeklagten Stellung genommen und die bejaht:

2. Bei der Feststellung des Tatgeschehens hat das Landgericht kein Beweisverwertungsverbot missachtet. Die Verfahrensrüge ist unbegründet. Die durch Beschluss des Amtsgerichts Bielefeld vom 25. November 2021 angeordnete Durchsuchung bei dem Angeklagten, bei der der zur Tatausführung verwendete Impfausweis aufgefunden und sichergestellt wurde, war rechtmäßig.

a) Für die Zulässigkeit einer regelmäßig in einem frühen Stadium der Ermittlungen in Betracht kommenden Durchsuchung beim Beschuldigten gem. § 102 StPO genügt der über bloße Vermutungen hinausreichende, auf bestimmte tatsächliche Anhaltspunkte gestützte konkrete Verdacht, dass eine Straftat begangen worden ist und der Verdächtige als Täter oder Teilnehmer an dieser Tat in Betracht kommt. Eines hinreichenden oder gar dringenden Tatverdachts bedarf es – unbeschadet der Frage der Verhältnismäßigkeit – nicht (st. Rspr.; vgl. z. B. BVerfG, Beschluss vom 7. September 2006 – 2 BvR 1219/05 -, BGH, Beschluss vom 30. März 2023 – StB 58/22 -; Beschluss vom 26. Juni 2019 – StB 10/19 -; jeweils juris; jeweils m. w. N.).

Daran gemessen lagen sachlich zureichende Gründe für eine Durchsuchung der Wohnung des Angeklagten vor. Denn der Angeklagte hatte gegenüber der Zeugin Q. angegeben, 300 bis 400 Ipfausweise des Impfzentrums Lage zu besitzen, und der Zeugin Q. einen solchen Impfausweis für 350 € zum Kauf angeboten. Die Zeugin Q. hatte dies dem Zeugen C. berichtet, der den Landrat in einem Gespräch hierüber informiert hatte. Diesen Gesprächsinhalt zeigte der Zeuge S. bei der Polizei an.

Zwar mögen die Angaben eines Zeugen, der nicht aus eigener Wahrnehmung über einen strafrechtlich relevanten Sachverhalt berichten kann, weniger zuverlässig sein als die Angaben eines unmittelbaren Zeugen. Deshalb ist aber nicht umgekehrt den Angaben eines Zeugen vom Hörensagen von vornherein jeder Beweiswert abzusprechen; vielmehr können auch die Angaben eines mittelbaren Zeugen den für eine Durchsuchung ausreichenden Anfangsverdacht begründen (BGH, Beschluss vom 12. August 2015 – 5 StB 8/15 -, NStZ 2016, 370; vgl. auch Diemer, in: Karlsruher Kommentar zur Strafprozessordnung, 9. Auflage 2023, § 250, Rn. 10f.).

Anhaltspunkte dafür, dass es sich bei den Angaben um eine Falschbelastung handelt, bestanden nicht; für die Richtigkeit sprach vielmehr, dass die Information durch einen Parteifreund und Fraktionskollegen des Angeklagten weitergegeben wurde. Zudem hatten sich während der Pandemie AfD-Politiker und -Anhänger so ablehnend gegenüber den Corona-Schutzregelungen geäußert, dass ausreichend Anlass bestand, konkrete Hinweise auf die Verletzung von § 279 StGB a. F. durch Angehörige dieses Personenkreises ernst zu nehmen.

b) Die Durchsuchung war auch nicht unverhältnismäßig.

Die Maßnahme war geeignet, zur Klärung des Tatverdachts beizutragen. Gegenüber der Durchsuchung stand kein gleichwirksames milderes Mittel zur Verfügung. Denn auch eine Vernehmung der weiteren Zeugen hätte zu diesem Zeitpunkt keine abschließende Klärung herbeigeführt, ob der Angeklagte unwahre Impfausweise besitzt.

Die Durchsuchung war auch angemessen. Soweit mit § 4 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 und Abs. 5 CoronaSchVO NRW in der seinerzeit gültigen Fassung der Zugang zu Veranstaltungen bzw. Angeboten von einer Immunisierung oder Testung abhängig gemacht wurde, diente dies dem Gesundheitsschutz der anderen Nutzer bzw. Besucher der betreffenden Einrichtungen oder Veranstaltungen (OVG NRW, Beschluss vom 30. September 2021 – 15 B 1529/21 -, juris, m. w. N.). Zur Erreichung dieses Zwecks war der Schutz des Rechtsverkehrs vor unwahren Impfzeugnissen unabdingbar. Die Verletzung des Vertrauens in die Richtigkeit von Gesundheitszeugnissen konnte in diesem Fall über die unmittelbare rechtliche Beziehung zwischen dem Angeklagten und dem Landrat weit hinausreichende, im Einzelfall für Dritte auch sehr ernsthafte gesundheitliche, schlimmstenfalls tödliche Folgen haben.“