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StPO I: Drei Beschlüsse zur Durchsuchung und mehr, oder: Form, Tatverdacht, Verhältnismäßigkeit, KCanG

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Es gibt den Spruch: Wer rastet. der rostet. Und daher wird heute an Ostermontag nicht gerastet – oder neudeutsch: „gechilled“ – sondern gearbeitet. D.h., es gibt auch heute am Feiertag hier das normale Programm, und zwar mit StPO-Entscheidungen. Da hat sich in der letzten Zeit durch meinen Japan-Aufenthalt, für den die Beiträge vorbereitet waren, auch einiges angesammelt.

Ich starte hier dann mit drei Entscheidungen zur Durchsuchung. Von denen stelle ich aber jeweils nur die Leitsätze vor, da sie so ganz viel Neues nicht enthalten:

Also:

 

1. Mängel insbesondere bei der ermittlungsrichterlich zu verantwortenden Umschreibung des Tatvorwurfs in einem Durchsuchungsbeschluss können im Beschwerdeverfahren nicht geheilt werden. 

2. Die Durchsuchung muss als schwerwiegender Eingriff in die grundrechtlich geschützte Lebenssphäre des Betroffenen vor allem in angemessenem Verhältnis zu der Schwere der Straftat und der Stärke des Tatverdachts stehen.

3. Ein Durchsuchungsbeschluss verkennt die Bedeutung und Tragweite des Grundrechts auf Unverletzlichkeit der Wohnung und trägt dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nicht hinreichend Rechnung, wenn in die zu treffende Abwägungsentscheidung nicht der Umstand geflossen ist, dass für das absolute Antragsdelikt des § 201 Abs 1 Nr 1 StGB zum Zeitpunkt der Anordnung der Durchsuchung der erforderliche Strafantrag nach § 205 Abs 1 S 1 StGB nicht gestellt war.

1. Die Annahme der Eilkompetenz der Staatsanwaltschaft für die mündliche Anordnung einer Durchsuchung scheidet aus, wenn sich der angeschuldigte Wohnungsinhaber sowohl zum Zeitpunkt der ersten Kontaktaufnahme der Polizei mit der Bereitschaftsstaatsanwältin um 3:25 Uhr, zum Zeitpunkt der Anordnung um 4:45 Uhr als auch noch bei Beginn der Durchsuchungsmaßnahme um 8:55 Uhr in polizeilichem Gewahrsam befindet.

2. Wird dennoch unter Missachtung des Richtervorbehalts die Durchsuchung vom Staatsanwalt angeordnet, unterliegen die gewonnenen Ergebnisse einem Beweisverwertungsverbot.

1. Die StPO sieht weder eine besondere Form für Durchsuchungsanordnungen nach §§ 102, 105 StPO vor noch deren Unterzeichnung.

2. Für die Zulässigkeit einer regelmäßig in einem frühen Stadium der Ermittlungen in Betracht kommenden Durchsuchung genügt der über bloße Vermutungen hinausreichende, auf bestimmte tatsächliche Anhaltspunkte gestützte konkrete Verdacht, dass eine Straftat begangen worden ist und der Verdächtige als Täter oder Teilnehmer in Betracht kommt (st. Rspr.; vgl. BVerfG, Beschluss vom 7. September 2006, NJW 2007, 1443, m.w.N.). Gemessen an diesen Maßstäben liegen sachlich zureichende Gründe für eine Durchsuchung vor, wenn sich aus einer sichergestellten, an den Beschuldigten adressierten Postsendung und der festgestellten Gesamtmenge an Cannabis der Verdacht ergibt, dass der Beschuldigte mit Cannabis in nicht geringer Menge Handel getrieben hat. 

2. Der Zweck der (körperlichen) Untersuchung nach § 81 a Abs. 1 S. 1 StPO darf nur die Feststellung verfahrenserheblicher Tatsachen sein, für deren Vorliegen bereits bestimmte Anhaltspunkte bestehen. Das ist nicht der Fall, wenn die mit der Untersuchung begehrten Feststellungen für das Verfahren nicht von Bedeutung sind, wenn also z.B. die körperliche Untersuchung mit Blutentnahme zum Zwecke des Nachweises von Substanzen im Körper auf die Feststellung von Umgang mit Cannabis gerichtet ist, der aber nach Inkrafttreten des Konsumcannabisgesetzes gerade nicht mehr unter das Betäubungsmittelgesetz gefällt.

 

 

Durchsuchung I: Durchsuchung im Kipo-Verfahren, oder: 16-Jähriger bittet 13-Jährige um Nacktbilder

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Heute gibt es dann StPO-Entscheidungen. Alle drei haben mit Durchsuchung und/oder Beschlagnahme zu tun.

Ich fange „ganz oben“ an, nämlich beim BVerfG. Das hat sich im BVerfG, Beschl. v. 29.01.2025 – 1 BvR 1677/24 – in erster Linie zur Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde geäußert, aber dann auch in einem obiter dictum zur Verhältnismäßigkeit einer Durchsuchung in einem KiPo-Verfahren und zur Auffindevermutung Stellung genommen

Der Entscheidudng liegt folgender Sachverhalt zugrunde: Die Staatsanwaltschaft führte gegen den zum Tatzeitpunkt (§ 155 StPO) jugendlichen Beschuldigten ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts des Besitzes kinderpornographischer Inhalte. Ausgangspunkt war ein Chat des damals knapp 16-jährigen Beschuldigten mit einem 11-jährigen Mädchen, das sein Alter ihm gegenüber wahrheitswidrig mit 13 Jahren angegeben hatte. In dem sehr kurzen Chatverlauf erkundigte sich der Beschuldigte, ob das Mädchen ihm Nacktbilder schicken würde. Dies lehnte das Mädchen auch auf Nachfrage hin ab. Daraufhin endete der Chatverlauf.

Auf dieser Grundlage ordnete das AG die Durchsuchung der Wohnung des Beschuldigten an. Aus dem Chat ergebe sich ein offensichtliches Interesse an kinderpornographischem Material, weshalb auch der Verdacht bestehe, dass der Beschuldigte im Besitz anderer solcher Inhalte sei. Die Durchsuchung wurde vollzogen, wobei mehrere elektronische Geräte des Beschuldig-ten sichergestellt wurden.

Die vom Beschuldigten gegen den Durchsuchungsbeschluss eingelegte Beschwerde hat das LG als unbegründet verworfen. Dagegen richtet sich die Verfassungsbeschwerde des Beschuldigten. Er sieht sich durch die gerichtlichen Entscheidungen unter anderem in seinem Grundrecht aus Art. 13 Abs. 1 GG verletzt. Die Durchsuchung sei wegen des eher schwachen Anfangsverdachts, der aufgrund seines Alters geringen Tatschwere und der nur schwachen Auffindewahrscheinlichkeit unverhältnismäßig gewesen.

Das BVerfG hat die Verfassungsbe-schwerde nicht zur Entscheidung anzunehmen, weil sie unzulässig sei.

Insoweit stelle ich nur (meine) Leitsätze zu der Entscheidung ein und verweise im Übrigen auf den verlinkten Volltext mit der „Bitte“ um Beachtung der Ausführungen des BVerfG:

1. Die allgemeine Begründungslast des § 23 Abs 1 S 2 BVerfGG umfasst grds auch die – fristgerechte – Darlegung, dass die Frist des § 93 Abs 1 S 1 BVerfGG eingehalten ist, sofern sich dies nicht ohne Weiteres aus den Unterlagen ergibt.

2. Bei einer gegen eine strafprozessuale Zwangsmaßnahme gerichteten Verfassungsbeschwerde muss dafür mitgeteilt werden, wann die für die Fristberechnung maßgebliche Instanzentscheidung sowohl der Verteidigung als auch den Beschwerdeführenden bekannt gemacht wurde.

Es gibt dann aber auch noch ein obiter dictum des BVerfG, aus dem m.E. sehr deutlich wird, was das BVerfG von der Durchsuchungsmaßnahme hält, nämlich nichts:

„2. Aufgrund der Unzulässigkeit der Verfassungsbeschwerde kann offenbleiben, ob sich die Durchsuchungsanordnung und die Entscheidung über die Beschwerde in der Sache noch als verfassungsgemäß erweisen. Zweifel bestehen allerdings in Bezug auf die Verhältnismäßigkeit der Anordnung.

a) Die Anordnung der Durchsuchung bedarf wegen des erheblichen Eingriffs in die grundrechtlich geschützte Lebenssphäre des Beschwerdeführers einer Rechtfertigung nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (vgl. BVerfGE 20, 162 <186 f.>; 96, 44 <51>). Die Durchsuchung muss insbesondere in einem angemessenen Verhältnis zu der Schwere der Straftat und der Stärke des Tatverdachts stehen (vgl. BVerfGE 20, 162 <186 f.>; 59, 95 <97>; 96, 44 <51>). Hierbei sind auch die Bedeutung des potentiellen Beweismittels für das Strafverfahren sowie der Grad des auf die verfahrenserheblichen Informationen bezogenen Auffindeverdachts zu bewerten (vgl. BVerfGE 115, 166 <197>).

b) Danach begegnet die Angemessenheit der Durchsuchungsanordnung verfassungsrechtlichen Bedenken. Angesichts der schwer wirkenden Eingriffsintensität einer Durchsuchung ist zu besorgen, dass der aufgrund des kurzen Chats eher schwache Anfangsverdacht sowie die daher nur geringe Auffindevermutung nicht ausreichen, um die Durchsuchungsanordnung zu rechtfertigen. So weist der vorliegende Chatverlauf lediglich auf das Interesse des erst knapp 16 Jahre alten Beschwerdeführers am Besitz von Nacktbildern eines (vermutlich) 13-jährigen Mädchens hin. Anhaltspunkte dafür, dass dem Beschwerdeführer ein weitergehendes Interesse an dem Besitz anderer strafbarer Inhalte als an Nacktbildern pubertierender Mädchen vorzuwerfen sein könnte, sind aus den vorgelegte Unterlagen nicht ersichtlich.“

M.E. ist das mehr als deutlich. Denn danach wird man davon ausgehen können, dass die Verfassungsbeschwerde, wenn sie zulässig gewesen wäre, Erfolg gehabt hätte. Und das mit Recht. Denn man wird kaum daraus schließen können, dass ein (wahrscheinlich auch noch pubertierender) 16-Jähriger, der ein pubertierendes Mädchen von (vermeintlich) 13 Jahren nach Nacktbildern fragt, ein (weitergehendes) Interesse an dem Besitz kinderpornographischer Inhalte hat. Jedenfalls wird man davon nicht ohne weitere Anhaltspunkte ausgehen können (vgl. zur Durchsuchung im KiPo-Bereich BVerfG, Beschl. v. 21.10.2024 – 1 BvR 2215/24 und auch den schönen Beitrag des Kollegen Urbancyk in StRR 2/2025, 6). Mich hätte im Übrigen mal die Begründung des AG für die Anordnung der Durchsuchung und die Begründung des Beschwerdeentscheidung des LG interessiert. Viel kann da jedenfalls nicht an Begründung gestanden haben. Sonst wäre das BVerfG nicht doch so deutlich geworden.

StPO III: Mündliche Durchsuchungsanordnung, oder: Wenn die Durchsuchung erst nach einem Monat erfolgt

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Im dritten Posting komme ich dann auf den LG Regensburg, Beschl. v. 21.01.2025 – 10 Qs 8/25 -, den ich neulich schon einmal wegen der vom LG auch entschiedenen Pflichtverteidigungsfrage vorgestellt hatte.

Heute geht es um den zweiten Punkt, zu dem das LG Stellung genommen hat, nämlich zu den Voraussetzungen für die mündliche Anordnung einer Durchsuchungsmaßnahme. Die hat das LG verneint.

Die Staatsanwaltschaft leitete am 07.05.2024 gegen die Beschwerdeführerin ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 1 BtMG ein. Anlass für das Ermittlungsverfahren bildete die Zeugenaussage eines Nachbarn der Beschwerdeführerin vom 15.04.2024 bei der örtlich zuständigen Polizeiinspektion, der insbesondere von auffälligem Publikumsverkehr in der Wohnung der Beschwerdeführerin berichtete. Die Staatsanwaltschaft beantragte am 07.05.2024 bei dem Amtsgericht – Ermittlungsrichter – mündlich den Erlass eines Durchsuchungsbeschlusses betreffend die Person, die Wohnung und die Fahrzeuge der Beschwerdeführerin, um dort nach Betäubungsmitteln, Betäubungsmittelutensilien, Vermögenswerte und technische Geräte, welche im Zusammenhang mit dem Handel mit Betäubungsmitteln stehen, zu suchen. Der Ermittlungsrichter ordnete um 14:16 Uhr mündlich die Durchsuchung der Wohnung der Beschwerdeführerin an. Vollzogen wurde die angeordnete Durchsuchung am 06.06.2024. Dabei wurde insbesondere eine Plombe mit 0,23 g Heroin und eine weitere Plombe mit 0,18 g Methamfetamin aufgefunden.

Die Beschuldigte hat beantragt festzustellen, dass die Anordnung der Durchsuchung rechtswidrig war. Damit hatte sie dann erst beim LG Erfolg:

„1. a) Die Beschwerde ist zulässig.

Soweit sich die Beschwerdeführerin mit ihrer Beschwerde gegen die richterliche Anordnung der Durchsuchung und der Beschlagnahme richtet, ist nach § 304 Abs. 1 StPO die Beschwerde der statthafte Rechtsbehelf.

Der Umstand, dass die angeordnete Durchsuchung bereits erledigt und damit prozessual überholt ist, hindert die Zulässigkeit der Beschwerde nicht. Nach höchstrichterlicher Rechtsprechung ist die Beschwerde gegen eine erledigte richterliche Anordnung zur Feststellung der Rechtswidrigkeit gleichwohl zulässig, wenn das Interesse des Beschwerdeführers an der Feststellung der Rechtswidrigkeit der Maßnahme auch nach deren Erledigung fortbesteht. Dies ist vor allem bei tiefgreifenden, tatsächlich jedoch nicht mehr fortwirkenden Grundrechtseingriffen wie etwa einer aufgrund richterlicher Anordnung vorgenommenen Wohnungsdurchsuchung (Art. 13 GG) der Fall (vgl. BGH, Beschluss vom 17.12.2014, StB 10/14).

b) Die Beschwerde ist begründet, da die Voraussetzungen für den Erlass einer bloß mündlich ergangenen Durchsuchungsanordnung nicht vorlagen, was zur Rechtswidrigkeit des angegriffenen Durchsuchungsbeschlusses führt (aa), auch wenn die Anordnungsvoraussetzungen im Übrigen vorlagen (bb).

aa) Obwohl die StPO dies nicht ausdrücklich vorschreibt, muss eine richterliche Durchsuchungsanordnung – abgesehen von Eilfällen – schriftlich getroffen werden (vgl. BVerfG, Urteil vom 05.08.1966 – 1 BvR 586/62). Als Kontrollorgan der Strafverfolgungsbehörden trifft den anordnenden Richter die Pflicht, durch eine geeignete Formulierung des Durchsuchungsbeschlusses im Rahmen des Möglichen und Zumutbaren sicherzustellen, dass der Eingriff in die Grundrechte messbar und kontrollierbar bleibt. Der Durchsuchungsbeschluss muss den Tatvorwurf so beschreiben, dass der äußere Rahmen abgesteckt wird, innerhalb dessen die Zwangsmaßnahme durchzuführen ist. Dies versetzt den Betroffenen zugleich in den Stand, die Durchsuchung seinerseits zu kontrollieren und etwaigen Ausuferungen im Rahmen seiner rechtlichen Möglichkeiten von vornherein entgegenzutreten. Insgesamt dient der Richtervorbehalt der verstärkten Sicherung des Grundrechts aus Art. 13 Abs. 1 GG (vgl. BVerfG, Urteil vom 20.02.2001 – 2 BvR 1444/00). Darüber hinaus bezweckt das Gebot der umfassenden Begründung des Durchsuchungsbeschlusses die Erleichterung der Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Anordnung durch das Beschwerdegericht (BGH, Beschluss vom 18.12.2008 – StB 26/08).

Ein fernmündlicher Antrag des Staatsanwalts auf Gestattung der Durchsuchung und eine fernmündliche Gestattung der Durchsuchung durch den Ermittlungsrichter genügen in Eilfällen den formellen Anforderungen an einen richterlichen Durchsuchungsbeschluss im Sinne des § 105 Abs. 1 StPO. Die fernmündliche Einholung der richterlichen Gestattung in Eilfällen ermöglicht eine vorbeugende richterliche Kontrolle und ist daher ein effektiverer Rechtsschutz als die Wahrnehmung der Eilkompetenz mit nachträglicher richterlicher Bestätigung (vgl. BGH, Beschluss vom 13.01.2005 – 1 StR 531/04; BVerfG, Beschluss vom 23.7.2007 – 2 BvR 2267/06). Das in Art. 19 Abs. 4 GG verankerte Gebot des effektiven Rechtsschutzes begründet für die Strafverfolgungsbehörden in einem solchen Fall die Pflicht, die tatsächlichen Anhaltspunkte des Durchsuchungsverdachts, die Zielrichtung der Durchsuchung sowie die Umstände, die einen Eilfall begründeten, hinreichend zu dokumentieren (BVerfG Beschluss vom 23.7.2007 – 2 ByR 2267/06).

Für den zu entscheidenden Fall lässt sich der Akte entnehmen, dass die Polizei am 07.05.2024 per E-Mail gegenüber der Staatsanwaltschaft beantragt hat, einen richterlichen Durchsuchungsbeschluss für die Wohnung der Beschwerdeführerin zu erwirken und den aus ihrer Sicht gegebenen Anfangsverdacht mit den Angaben des Zeugen pp. begründet hat. Dem Antrag der Polizei ist das Protokoll einer Vernehmung des Zeugen vom 15.04.2024 beigefügt (vgl. BI. 3-10 d.A.).

Der vom sachbearbeitenden Staatsanwalt unter dem 07.05.2024 gefertigte Vermerk (BI. 1-2 d.A.) dokumentiert, dass er dem Ermittlungsrichter den Antrag der Polizei samt Vernehmungsprotokoll per E-Mail übersandte und telefonisch für die Staatsanwaltschaft einen Antrag auf Erlass eines entsprechenden Durchsuchungsbeschlusses stellte. Dem Vermerk ist weiter zu entnehmen, aufgrund welcher Tatsachen die Staatsanwaltschaft den Anfangsverdacht für ein Handeltreiben mit Betäubungsmitteln sah und in welchem Umfang der kontaktierte Ermittlungsrichter um 14:16 Uhr die Durchsuchung der Wohnung, der Person und der Fahrzeuge der Beschuldigten mündlich anordnete.

Für die Kammer ist anhand der Aktenlage allerdings nicht nachvollziehbar, aus welchem Grund die Staatsanwaltschaft und auch der Ermittlungsrichter davon abgesehen haben, einen schriftlichen Durchsuchungsbeschluss zu beantragen bzw. zu erlassen. Hierzu verhält sich der genannte Vermerk des sachbearbeitenden Staatsanwalts nicht. Auch drängt sich die Annahme eines Eilfalls nicht aufgrund der Umstände des Einzelfalls auf (vgl. BVerfG, Beschluss vorn 03. 12. 2002 2 BvR 1845/00):

Die Ermittlungsbehörden hatten jedenfalls seit dem 15.04.2024 (Tag der Einvernahme des Zeugen pp. Kenntnis von den den Anfangsverdacht gegen die Beschwerdeführerin begründenden Tatsachen. Dass am 07.05.2024 die Gefahr eines Beweismittelverlusts durch Erlass eines schriftlichen Beschlusses bestanden hätte, ist nicht erkennbar. Gegen einen Eilfall spricht zudem, dass der mündlich erwirkte Beschluss erst knapp einen Monat (!) später, nämlich am 06.06.2024, vollzogen wurde (vgl. BI. 31 d.A.).

Nachdem ein Eilfall hier nicht feststellbar ist, erweist sich die nur mündliche Anordnung der Durchsuchungsmaßnahme als formell rechtswidrig.“

StPO II: Durchsuchung wegen Abrechnungsbetrug, oder: Vollständige Spiegelung der Patientendaten

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Die zweite Durchsuchungsentscheidung kommt dann auch vom LG Nürnberg-Fürth. Das hat dann im LG Nürnberg-Fürth, Beschl. v. 27.01.2025 – 12 Qs 60/24 – zur  vollständige Spiegelung der Patientendaten einer Arztpraxis im Wege einer virtuellen Maschine zur Durchführung der Durchsicht bei einer Durchsuchung Stellung genommen.

Gestritten wird um die Beschlagnahme einer sog. virtuellen Maschine durch die StA. Dem liegt zugrunde: Der Beschuldigte ist als Arzt zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen. Die GenStA Nürnberg verdächtigt ihn des Abrechnungsbetrugs gegenüber der Kassenärztlichen Vereinigung Bayern (KVB) in den Quartalen 3/2019 bis 3/2021. Das AG erließ dementsprechend Durchsuchungsbeschlüsse, u.a. auch für die Praxisräume des Beschuldigten, die am 09.10.2024 vollzogen wurden.

Im Rahmen der Durchsuchung wurden in der Praxis Daten sichergestellt. Dies geschah in der Weise, dass Daten von Praxisrechnern auf dienstliche Datenträger gespiegelt wurden. Gespiegelt wurde auch die Praxissoftware CGM Medistar in Form einer sog. virtuellen Maschine vom Arbeitsplatzrechner des Beschuldigten. Diese virtuelle Maschine wurde aus dem auf dem Praxisrechner installierten Verwaltungsprogramm für virtuelle Maschinen Microsoft Hyper-V direkt exportiert und auf einem dienstlichen Datenträger gespeichert.

Noch während der laufenden Datensicherung ordnete der in der Praxis anwesende Oberstaatsanwalt die Beschlagnahme der genannten Daten an, um dem Beweismittelverlust durch einen befürchteten (Fern-)Zugriff des Beschuldigten zuvorzukommen. Er begründete das damit, dass der Beschuldigte vor Beendigung der Sicherung die Praxis verlassen habe. Bei Durchsuchungsbeginn habe der Beschuldigte erklärt, die gesuchten Daten lägen nur elektronisch vor und er habe auf sie von seinem Praxisrechner und vom Homeoffice aus Zugriff.

Das AG hat die Beschlagnahme der virtuellen Maschine bestätigt. Die Beschlagnahme sei verhältnismäßig und für die Ermittlungen notwendig.

Dagegen die Beschwerde, die Erfolg hatte. Die angegriffene Beschlagnahme war nahc Auffassung des LG unverhältnismäßig und damit rechtswidrig:

„b) Der Durchsicht außerhalb der Praxisräume standen Rechtsgründe nicht entgegen. Die Durchsicht großer Datenmengen, erst recht, wenn es sich um sensible Gesundheitsdaten handelt, unterliegt allerdings in strikter Weise dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, was verfahrensrechtliche Sicherungen, einschließlich Löschungen nicht benötigter Daten beinhalten kann (vgl. BVerfG, Beschluss vom 12.04.2005 – 2 BvR 1027/02, juris 106 ff.; Park, NStZ 2023, 646, 647 ff.).

aa) Im ersten Schritt war es zulässig, dass die die Arztpraxis durchsuchenden Ermittler den kompletten Datenbestand von Medistar durch die Erzeugung einer virtuellen Maschine spiegelten und diese mitnahmen.

(1) Ist am Durchsuchungsort eine Durchsicht und Sortierung der Daten nach ihrer Verfahrensrelevanz nicht möglich oder erlaubt die – auch technische – Erfassbarkeit des Datenbestands eine unverzügliche Zuordnung nicht, kann die vorläufige Sicherstellung des gesamten Datenbestands erfolgen, an die sich die Durchsicht gemäß § 110 StPO zur Feststellung der potenziellen Beweiserheblichkeit und -verwertbarkeit der einzelnen Datensätze anschließt (BVerfG, Beschluss vom 15.08.2014 – 2 BvR 969/14, juris Rn. 44). Begrenzt wird ein solcher umfassender Zugriff durch das Übermaßverbot (BVerfG, Beschluss vom 12.04.2005 – 2 BvR 1027/02, juris 120).

Nach den technischen Gegebenheiten des vom Beschuldigten verwendeten Programms Medistar war vor Ort eine nach bestimmten allgemeinen Parametern vorzunehmende Sortierung und ein entsprechend umgrenzter Datenexport in angemessener Zeit nicht möglich. Die unvollständige Spiegelung von Programm und Patientendaten oder etwaige zu dem Zeitpunkt durchgeführten Löschungen hätten dazu geführt, dass die virtuelle Maschine nicht mehr lauffähig ist und daher später nicht gesichtet und ausgewertet werden kann. Insofern war die Erzeugung der virtuellen Maschine zur Durchführung der Ermittlungen erforderlich und geeignet.

(2) Nichts anderes folgt aus dem Hinweis der Beschwerde auf ein anderes Ermittlungsverfahren, in dem Krankenhausmitarbeiter zusammen mit den Ermittlern vor Ort die dortige Datenbank durchgegangen seien und potenziell beweisrelevante Datensätze per Screenshot gesichert haben sollen, sodass die anschließende Auswertung sich allein darauf bezogen habe. Wenn die tatsächlichen Umstände dieses der Kammer nicht bekannten Verfahrens das hergegeben haben, so mag das so sein. Wenn es aber – wie hier – wohl um mehrere Tausend Patienten-Datensätze geht, die einzeln gesichtet werden müssten, so hätte die Durchführung der vorgeschlagenen Prozedur die tage- oder wochenlange Lahmlegung der Arztpraxis zur Folge gehabt, weil Medistar während der Durchsicht zur Meidung von Datenmanipulationen dem Zugriff des Praxispersonals entzogen werden müsste. Die Kammer vermag darin kein milderes Mittel zu erkennen. Die Ermittlungspersonen müssten auch in diesem Fall, den technischen Möglichkeiten von Medistar folgend, alle Datensätze einzeln sichten. Zudem wäre die Binnenorganisation der Ermittlungsbehörden empfindlich gestört, denn die Sichtung vor Ort müsste – zwangsläufig – umgehend erfolgen, was die Ermittlungspersonen für deren Dauer entsprechend binden und sie damit an der Teilnahme an anderen, möglicherweise länger geplanten und koordinierten Ermittlungen hindern würde. Auch das ist im Blick zu behalten.

(3) Die Kammer vermag weiterhin dem Argument der Beschwerde nicht zu folgen, wonach § 500 StPO mit §§ 48, 46 Nr. 14 Buchstabe d BDSG der Sicherstellung der vollständigen Patientendatenbank entgegengestanden hätte. Diese Vorschriften des BDSG sind insoweit nicht anwendbar. Nur der (spätere) Umgang mit den durch strafprozessuale Ermittlungsmaßnahmen gewonnenen Daten richtet sich nach dem spezifischen Datenschutzrecht, das sich in Teil 3 des BDSG und in den speziellen Datenschutzregelungen der StPO findet. Die strafprozessualen Ermittlungsmaßnahmen – und um deren Beurteilung geht es hier – richten sich dagegen nach den Vorschriften der StPO und der hierzu ergangenen Rechtsprechung, weil ihnen als bereichsspezifischen Sonderregelungen der Vorrang gebührt (BGH, Beschluss vom 27.04.2023 – 5 StR 421/22, juris Rn. 4 m.w.N. auch zur a.A.; LR-StPO/Böß, 27. Aufl., § 500 Rn. 6 f.; Meyer-Goßner/Schmitt/Köhler, StPO, 67. Aufl., § 500 Rn. 2).

(4) Das Übermaßverbot wäre durch die Virtualisierung von Medistar allerdings dann verletzt, wenn der die Durchsuchung begründende Tatverdacht insgesamt als nicht hinreichend gewichtig zu werten wäre, um den erheblichen Eingriff zu rechtfertigen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 18.06.2008 – 2 BvR 1111/08, juris Rn. 4; LR-StPO/Tsambikakis, 27. Aufl., § 110 Rn. 23). Das war aber nicht der Fall, denn die in der Strafanzeige der KVB vorgelegten Anlagen belegen eine Vielzahl von Unregelmäßigkeiten, die geeignet sind, den Verdacht umfänglichen Abrechnungsbetrugs durch den Beschuldigten zu tragen. Die Bekämpfung von systematischem Abrechnungsbetrug in dem auf Vertrauen basierenden Abrechnungssystem der gesetzlichen Krankenversicherung stellt bei dieser Abwägung einen gewichtigen, gegen den Beschuldigten streitenden Belang dar (vgl. BGH, Beschluss vom 14.04.1993 – 4 StR 144/93, juris Rn. 2 f.; Urteil vom 21.05.1992 – 4 StR 577/91, juris Rn. 34).

bb) Im zweiten Schritt wäre das Aussondern von möglicherweise verfahrensrelevanten Datensätzen im Wege der Sichtung angestanden. Hierbei hätten die Ermittlungsbehörden dem begrenzenden Zweck des im Durchsuchungsbeschluss formulierten Tatverdachtes Rechnung zu tragen gehabt, was einer gezielten Suche nach Zufallsfunden in der Masse der gespiegelten Daten von vornherein Schranken gesetzt haben würde (vgl. Park, NStZ 2023, 646, 651). Der danach verbleibende Bestand potenziell beweisrelevanter Datensätze wäre tauglicher Gegenstand einer anschließenden Beschlagnahme.

c) Eine Durchsicht und damit eine Sortierung nach verfahrensrelevanten und -irrelevanten Datensätzen hat vor der Beschlagnahme jedoch nicht stattgefunden. Beschlagnahmt und damit als potenziell beweisbedeutsam erklärt wurde der gesamte Datenbestand aus den Jahren 2007 bis Ende 2024, obwohl nur der Zeitraum von zwei Jahren (Quartal 3/2019 bis 3/2021) zur näheren Untersuchung ansteht. Dass das, auch angesichts der Sensibilität der fraglichen Daten, die Grenzen der Angemessenheit und damit der Verhältnismäßigkeit überschreitet, liegt auf der Hand (vgl. auch LR-StPO/Menges, 27. Aufl., § 94 Rn. 51 ff.). Der Beschlagnahmebeschluss war daher insgesamt aufzuheben. Eine Teilbarkeit in dem Sinne, dass die Beschlagnahme aufrechterhalten bleibt, soweit sie allein die Daten aus den genannten Quartalen betrifft, war nicht gegeben, denn mangels vorangehender Durchsicht und Sortierung wäre sie (derzeit und absehbar) technisch nicht umsetzbar.“

Vereinsrecht II: Zwang im Vereinsverbotsverfahren, oder: Durchsuchung und Beschlagnahme

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Und dann im zweiten Posting etwas Verfahrensrechtliches, nämlich der OVG Lüneburg, Beschl. v. 19.12.2024 – 13 OB 144/24 -zur vereinsrechtlichen Durchsuchung und Beschlagnahme.

Das OVG nimmz zu verschiedenen Fragen Stellung, die in einem auf den Erlass eines Vereinsverbots gerichteten Verfahren im Hinblick auf eine dort erfolgte Durchsuchung eine Rolle gespielt haben, und zwar u.a.:

„c) Der Durchsuchungsbeschluss durfte auch gegenüber dem Antragsgegner als Mitgeschäftsführer der „G. GmbH“ ergehen. In einem auf den Erlass eines Vereinsverbots gerichteten Verfahren erstreckt sich der Personenkreis, bei dem eine Durchsuchung entsprechend § 102 StPO erfolgen kann, – wie bei juristischen Personen – auf die in § 30 Abs. 1 OWiG genannten Personen, die für den Verein handeln. Insoweit reicht es aus, dass nach (kriminalistischer bzw. polizeilicher) Erfahrung die begründete Aussicht besteht, dass sich bei den für den Verein handelnden Personen für die weitere Untersuchung relevante Beweismittel finden lassen (vgl. BGH, Beschl. d. Kartellsenats v. 23.1.2014 – KRB 48/13 -, juris; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 67. Aufl. 2024, § 102 Rn. 3a). Das ist bei dem Geschäftsführer einer juristischen Person der Fall, für die der Anfangsverdacht besteht, Teilorganisation eines verbotenen Vereins im Sinne des § 3 Abs. 3 VereinsG zu sein.

d) Der angefochtene Durchsuchungs- und Beschlagnahmebeschluss richtet sich – entgegen der Beschwerde – nicht gegen die Ehefrau des Antragsgegners. Diese hat allerdings die Beschlagnahme derjenigen Gegenstände, die sich möglicherweise in ihrem Mitbesitz befinden, zu dulden (S. 2 f. und 10 des angefochtenen Beschlusses). Der entsprechend anzuwendende § 94 StPO setzt keinen Anfangsverdacht gegen sie, sondern lediglich das Bestehen eines Anfangsverdachts überhaupt – hier gegen den Verlag „F. “ bzw. die „G. GmbH“- und die potentielle Beweisbedeutung der beschlagnahmten Gegenstände voraus (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 67. Aufl. 2024, § 94 Rn. 8 und 6). Auch diese potentielle Beweisbedeutung der beschlagnahmten Gegenstände und Unterlagen ist gegeben. Es besteht die ernsthafte Möglichkeit, dass sie neue tatsächliche Erkenntnisse über die Eingliederung des Verlags „F. “ bzw. der „G. GmbH“ in die Aktivitäten des IZH erbringen oder bisherige Erkenntnisse erhärten, aber auch in Frage stellen können. Gegen die Beweisbedeutung der im Einzelnen beschlagnahmten Gegenstände und Unterlagen hat der Antragsgegner auch keine konkreten Einwände erhoben.“