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Durchsuchung II: Anfangsverdacht für KiPo-Verfahren, oder: Nur vage Anhaltspunkte/bloße Vermutungen

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Die zweite Entscheidung zur Durchsuchungsanordnung in KiPo-Verfahren komm vom LG Görlitz. Es handelt sich um den LG Görlitz, Beschl. v. 24.06.2024 – 3 Qs 105/24.

Das AG hatte gemäß §§ 102, 105 Abs.1, 162 Abs.1 StPO die Durchsuchung der Wohnung mit Nebenräumen und der Fahrzeuge des Beschuldigten angeordnet. Es sollte nach Computern und anderweitigen Speichermedien sowie nach kinder- und jugendpornografischen Schriften gesucht werden. Die vorläufige Sicherstellung solcher Gegenstände zum Zwecke der Durchsicht wurde gemäß §§ 94, 98, 110 StPO angeordnet. Die Wohnung des Beschuldigten wurde durchsucht und ein Samsung S22 und ein Samsung A51 wurden beschlagnahmt.

Der Verteidiger des Beschuldigten hat Beschwerde eingelegt. Die hatte beim LG Erfolg:

„Die Beschwerde ist auch begründet. Die Voraussetzungen einer Durchsuchung und der Beschlagnahme von Gegenständen beim Beschuldigten im Sinne des § 102 StPO liegen nicht vor.

Voraussetzung einer jeden Durchsuchungsmaßnahme ist zunächst das Vorliegen einer Wahrscheinlichkeit dafür, dass eine bestimmte Straftat bereits begangen worden ist, wofür zureichende tatsächliche Anhaltspunkte vorliegen müssen. Vage Anhaltspunkte oder bloße Vermutungen genügen nicht, andererseits bedarf es aber auch keines hinreichenden oder dringenden Tatverdachtes (vgl. BVerfG StV Spezial 2022, 126 (Rn. 17); BGH v. 20.4.2023 – StB 59/22, juris, Rn. 10; LG Offenburg v. 20.1.2023 – 3 Qs 129/22, juris, Rn. 7; Mey-er-Goßner/Schmitt, 66. Aufl., § 102 StPO, Rn. 2).

Der Verdacht der Drittbesitzverschaffung und des Besitzes jugendpornografischer Inhalte kann hier schwerlich angenommen werden. Originalbilder liegen nicht vor. Dass – so heißt es in dem angegriffenen Beschluss – der Beschuldigte und der gesondert Verfolgte pp. „auf junge weibliche Personen stehen und Bilder tauschen wollen, die solche Personen in einer Weise darstellen, dass sie zu einer sexuellen Stimulation geeignet sind“, lässt gänzlich offen, ob / dass diese Personen unter 18 Jahre alt bzw. jung sind. Gleiches gilt für den Umstand, dass der gesondert Verfolgte auf eine Bilddatei, die ihm der Beschuldigte am 25. Mai 2022 gesandt habe, antwortete: „die aber ui ist jung“, und für die Annahme der Staatsanwaltschaft, das „ui“ sei als auf der Tastenkombination daneben liegendes „zu“ zu lesen.

Lässt sich hier vielleicht der angebliche Verdacht gerade noch dahin konstruieren, dass jeden-falls die am 25. Mai 2022 versandte Bilddatei § 184c Abs. 1 Nr. 2, Abs. 3 StGB unterfällt, stellte die gegenständliche Tat wohl eine schwerwiegende dar. Allerdings ist die Schwere des Tat-verdachts immer in Relation zur Schwere des Eingriffes in den grundrechtlich geschützten Bereich des Beschuldigten zu sehen. Vorliegend ist der Anfangsverdacht – so man ihn über-haupt als gegeben ansehen möchte – so gering, dass die Abwägung nur zu Gunsten des Be-schuldigten ausgehen kann: Durchsuchungsbeschlüsse, welche die Beschlagnahme von technischen Geräten und Datenträgern anordnen, stellen neben einem solchen in das Grund-recht auf Unverletzlichkeit der Wohnung auch einen Eingriff in dasjenige auf informationelle Selbstbestimmung dar. Der moderne Mensch hat den größten Teil seiner – teilweise intimsten – Kommunikation auf solchen Geräten gespeichert. Teilweise werden dort auch Selbstreflexionen niedergelegt. Die Parallele zum besonderen Schutz von Tagebucheinträgen drängt sich förmlich auf. Deshalb ist bei der Anordnung von Eingriffen in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung durch Beschlagnahme von elektronischen Kommunikationsgeräten auf die Verhältnismäßigkeitsprüfung besonderes Augenmerk zu legen, sie kann nur als ultima ratio zulässig sein (vgl. BVerfG v. 20.11.2019 – 2 BvR 31/19, 2 BvR 886/19, juris, Rn. 31, 33 ff.). Hinzu tritt, dass die vorstehende Versendung einer Datei bereits ca. 2 Jahre zurückliegt.

Durchsuchung I: Anfangsverdacht für Besitz von KiPo?, oder: Chat bei markt.de reicht nicht

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In die 32. KW starte ich heute mit zwei beschlüssen zur Anordnung der Durchsuchung, und zwar beide in sog. „Kipo-Verfahren.

Zunächst stelle ich den schon etwas älteren LG Bremen, Beschl. v. 13.01.2023 – 6 Qs 355/22. Es geht um die Annahme zureichender tatsächlicher Anhaltspunkte, aus denen auf das Vorliegen einer Straftat gemäß § 184c Abs. 3 StGB geschlossen werden kann.

Ausgangspunkt ist die Sichtung eines Chatverlaufs durch die Polizeiinspektion Cloppenburg/Vechta auf der Onlineplattform „markt.de“, der mutmaßlich zwischen dem Beschuldigten und einem gesondert Verfolgten am 30.08.2021 stattgefunden haben soll. Der gesondert Verfolgte soll sich im Laufe des Chatverlaufs als 15-jähriger ausgegeben haben. Im Rahmen dieses Chatkontaktes tauschten sich die beiden über sexuelle Praktiken, Fantasien und körperliche Merkmale aus. Die Staatsanwaltschaft Bremen beantragte dann mit Verfügung vom 12.07.2022 den Erlass einer richterlichen Durchsuchungsanordnung für die Wohnung des Beschuldigten, welche am 15.07.2022 durch den Ermittlungsrichter des AG Bremen erlassen wurde. Die Durchsuchung der Wohnräume des Beschuldigten fand sodann am 15.08.2022 in der Zeit von 16:00 – 17:45 Uhr statt. Hierbei wurden diverse Medien- und Datenträger sichergestellt. Der Beschuldigte hat nach entsprechender Belehrung gegenüber den Polizeibeamten angegeben, sich an diesen konkreten Chatverlauf zu erinnern. Jedoch meine er, dass der Gesprächspartner angegeben habe, 16 Jahre alt zu sein.

Der Verteidiger des Beschuldigten hat der Sicherstellung der bei der Durchsuchung sichergestellten Gegenstände widersprochen und Beschwerde gegen die Durchsuchungsanordnung erhoben. Daraufhin hat das Amtsgericht einen Bestätigungsbeschluss erlassen und der Beschwerde gegen die Durchsuchung nicht abgeholfen. Das Rechtsmittel hatte beim LG Erfolg:

„Die Anordnung der Durchsuchung war rechtswidrig, denn die Voraussetzungen einer Anordnung nach §§ 102, 105 StPO lagen nicht vor. Zwar bedarf es zu ihrer Anordnung keines hinreichenden oder gar eines dringenden Tatverdachts, ein einfacher Anfangsverdacht einer Straftat reicht aus. Einen solchen vermag die Kammer jedoch dem Akteninhalt nicht zu entnehmen. Vom Vorliegen eines Anfangsverdachts ist auszugehen, wenn konkrete Tatsachen vorliegen, die dafürsprechen, dass gerade der zu untersuchende Lebenssachverhalt eine Straftat enthält (BGH NStZ 1994, 499). Bloße, nicht durch konkrete Umstände belegte Vermutungen oder reine denktheoretische Möglichkeiten reichen nicht aus, wobei den Ermittlungsbehörden bei der Beurteilung der Frage, ob zureichende Anhaltspunkte vorliegen ein gerichtlich überprüfbarer Be-urteilungsspielraum zusteht (vgl. BeckOK StPO/Beukelmann, 45. Ed. 1.10.2022, StPO § 152 Rn. 4 und 5 sowie KK-StPO/Diemer, 9. Aufl. 2023, StPO § 152 Rn. 8).

Gemessen daran lag hier ein Anfangsverdacht nicht vor.

Die Anordnung der Durchsuchung erfolgte unter dem Verdacht des Besitzes jugendpornographischer Schriften. Dieser soll im Kern darauf beruhen, dass nach kriminalistischer Erfahrung zu erwarten sei, dass bei Menschen mit einem auf Jungen unter achtzehn Jahren gerichteten Sexualtrieb und ausgefallener Sexualpraktiken ein Hang zum Sammeln und Aufbewahren einmal erworbenen Materials vorliege, um das Material stets zur Verfügung zu haben. Als weiteren Anhaltspunkt zieht das Amtsgericht heran, dass in Anbetracht des dem Beschuldigten gegenüber mitgeteilten Alters von 15 Jahren und des sonstigen Gesprächsinhalts sich beim Beschuldigten hätten Zweifel hinsichtlich der Fähigkeit zur sexuellen Selbstbestimmung seines Gesprächspartners aufdrängen müssen. Zusätzlich sei zu berücksichtigen gewesen, dass der Markt für die vom Beschuldigten präferierten Sexualpraktiken vergleichsweise gering sei, weshalb eine, wenn auch nicht sehr starke, Wahrscheinlichkeit dafür streite, dass der Beschuldigte versuche, diese sexuellen Vorlieben mit Bildern und Videos auszuleben.

Aus diesen und den weiteren im angefochtenen und im Beschluss vom 20.12.2022 festgehaltenen Erwägungen lässt sich kein Anfangsverdacht begründen. Es liegen keine zureichenden tatsächlichen Anhaltspunkte vor, aus denen auf das Vorliegen einer Straftat gemäß § 184c Abs. 3 StGB zu schließen wäre. Der Umstand, dass der Beschuldigte mit dem gesondert Verfolgten den aus der Beweismittelakte ersichtlichen Chat geführt hat, reicht hierfür nicht aus. Das Amtsgericht geht zunächst zutreffend davon aus, dass das Verhalten des Beschuldigten nicht strafbar ist. Die Einschätzung, es ergäben sich aus dem Chatverlauf Anhaltspunkte dafür, dass der gesondert Verfolgte noch nicht über die Fähigkeit zur sexuellen Selbstbestimmung verfüge und somit Anhaltspunkte für ein potenziell strafwürdiges Verhalten bestünden, teilt die Kammer jedoch nicht. Sofern sich aus dem Chatverlauf über die sexuelle Selbstbestimmungsfähigkeit des gesondert Verfolgten überhaupt etwas ableiten ließe, dann nach Auffassung der Kammer allenfalls das Gegenteil, da aus den Nachrichten des gesondert Verfolgten hervorgeht, dass ein sexuelles Grundverständnis (Sexualpraktiken, körperliche Eigenschaften) besteht. Nach dem Chatverlauf, in dem die Initiative gleichmäßig verteilt zu sein scheint und nicht etwa ein Drängen des Beschuldigten zu erkennen ist, musste sich dem Beschuldigten jedenfalls die Annahme einer fehlenden Fähigkeit seines Chatpartners zur sexuellen Selbstbestimmung nicht aufdrängen. Bereits die Initiative des damals dreizehn Jahre alten gesondert Verfolgten, sich auf der Plattform anzumelden und gezielt vermeintlich pädophile Nutzer „in die Falle zu locken“ spricht zudem gegen die Annahme, der gesondert Verfolgte sei zur Selbstbestimmung nicht in der Lage gewesen.

Die Durchsuchungsanordnung stützt den Anfangsverdacht ferner auf die mutmaßliche auf den sexuellen Kontakt zu Jugendlichen gerichtete sexuelle Neigung des Beschuldigten. Hierbei handelt es sich jedoch um eine bloße Vermutung, da sie nach Aktenlage keine feststellbare Stütze findet.

Aus dem Chatverlauf und den sonstigen Akteninhalten ergibt sich nicht, dass der Beschuldigte zielgerichtet auf der Suche nach unter 18-jährigen Chat- bzw. Sexualpartnern war. Die genutzte Plattform ist zudem eine im Internet frei zugängliche. Der Beschuldigte hat gerade nicht im sogenannten Darknet mit einschlägigen Begriffen nach Kindern oder Jugendlichen gesucht oder eine erkennbar für Kinder und Jugendliche gedachte Seite aufgerufen, sondern sich auf einer Plattform angemeldet, die — soweit aus der Akte erkennbar — regelmäßig von erwachsenen Nutzern frequentiert wird. Der Beschuldigte hat ausweislich des Chatverlaufs nicht auch nach dem Alter des Gesprächspartners gefragt, vielmehr ist ihm diese Information gemeinsam mit Angaben zu körperlichen Eigenschaften durch den gesondert Verfolgten aus eigener Initiative mitgeteilt worden. Die Antwort des Beschuldigten lässt auch nicht erkennen, dass ihm das Alter des potenziellen Partners besonders wichtig war. Insoweit lässt sich auch kein auf kriminalistische Erfahrungswerte gestützter Rückschluss ziehen, da dieser an eine bloß vermutete Tatsache knüpft. In diesem Zusammenhang muss auch die Einlassung des Beschuldigten im Rahmen der Durchsuchung berücksichtigt werden, wonach er sich bislang nur mit über 18-jährigen Personen getroffen habe.

Weitere Anhaltspunkte, etwa strafrechtliche Voreintragungen des Beschuldigten im Zusammenhang mit Sexualdelikten, die diese Vermutung stützten würden, liegen nicht vor.

Nach alldem lag kein Anfangsverdacht wegen Besitzes jugendpornographischer Schriften gegen den Beschuldigten vor und die Anordnung der Durchsuchung seiner Wohnung sowie die Bestätigung der Sicherstellung erfolgten zu Unrecht.“

StPO II: Prüfung einer Durchsuchungsmaßnahme, oder: Erkenntnisse aus anderen Verfahren reichen nicht

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Bei der zweiten Entscheidung handelt es sich um den LG Stuttgart, Beschl. v. 27.05.2024 – 7 Qs 20/24, ergangen in einem Verfahren wegen Verstoßes gegen das BtmG. Es geht um die nachträgliche Überprüfung einer Duchsuchungsmaßnahme.

Das LG hat die Rechtsmäßigkeit der Durchsuchung, da es nicht prüfen kann, ob ein Anfangsverdacht gegeben war, verneint:

„b) Jedoch ist dem Beschwerdegericht die Überprüfung eines für die Anordnung einer Durchsuchung erforderlichen Anfangsverdachts gegen den Beschuldigten nicht möglich.

(1) Für die Zulässigkeit einer, regelmäßig in einem frühen Stadium der Ermittlungen in Betracht kommenden, Durchsuchung genügt ein über bloße Vermutungen hinausreichender, auf bestimmte tatsächliche Anhaltspunkte gestützter konkreter Verdacht, dass eine Straftat begangen worden ist und der Beschuldigte als Täter oder Teilnehmer dieser Tat in Betracht kommt (sog. Anfangs-verdacht; vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 66. Auflage, § 152 Rn. 4). Eines hinreichenden oder gar dringenden Tatverdachts bedarf es – unbeschadet der Frage der Verhältnismäßigkeit – nicht.

(2) Prüfungsmaßstab bleibt im Beschwerdeverfahren die Sach- und Rechtslage zur Zeit des Erlasses des Durchsuchungsbeschlusses (vgl. Hauschild in MüKo zur StPO, 2. Auflage, § 105 Rn. 41c; BVerfG, Beschluss vom 10. September 2010 – 2 BvR 2561/08, juris). Bei der Überprüfung der angefochtenen Entscheidung war daher ausschließlich der Inhalt der dem Ermittlungsrichter bei Antragstellung vorgelegten Papierakte zu berücksichtigen, wohingegen die von der Staatsanwaltschaft erst im Rahmen des Beschwerdeverfahrens nachgereichten Stehordner II und III aus dem Verfahren 226 Js 70083/23 bei der Überprüfung keine Berücksichtigung finden konnten.

Voraussetzung für eine eigenverantwortliche Prüfung durch den Ermittlungsrichter und später durch das Beschwerdegericht ist die Vorlage eines Aktenwerks, aus dem der Gang des Verfahrens ohne Abstriche nachvollziehbar ist (vgl. Henrichs/Weingast in KK-StPO, 9. Auflage, § 105 Rn. 2 mwN). Die Ermittlungsbehörde muss die Einhaltung des Grundsatzes der Aktenwahrheit und -vollständigkeit gewährleisten (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 66. Auflage, § 105 Rn. 1d). Schließt die Staatsanwaltschaft ihrem Antrag auf Anordnung einer gerichtlichen Untersuchungshandlung nur ausgewählte Teile der Ermittlungsakte an, so erklärt sie hierdurch stets zugleich, dass diese Auswahl nach ihrer eigenverantwortlichen Prüfung sämtliche bis zum Zeitpunkt der Antragstellung angefallenen maßgeblichen be- und entlastenden Ermittlungsergebnisse enthält (vgl. BGH, Beschluss vom 16. Dezember 2020 – 2 BGs 408/20, juris).

Gemessen hieran erweisen sich die von der Staatsanwaltschaft zum Zeitpunkt des Erlasses des Durchsuchungsbeschlusses vorgelegten Aktenteile als unzureichend, um die gebotene eigenverantwortliche gerichtliche Überprüfung der gesetzlichen Anordnungsvoraussetzungen für die Durchsuchungsmaßnahme durch die Beschwerdekammer zu gewährleisten.

Die dem Amtsgericht Stuttgart vorgelegte Akte bestand lediglich aus der Durchsuchungsanregung der Kriminalpolizeidirektion Böblingen vom 16. Februar 2024, zehn Inhaltsprotokollen aus der Telekommunikationsüberwachung des Anschlusses pp. im Zeitraum 17. November 2023 bis 12. Januar 2024, den Beschlüssen des Amtsgerichts Stuttgart – Ermittlungsrichter – vom 12. Oktober 2023, 17. November 2023, 27. November 2023, 11. Januar 2024 und 7. Februar 2024, die auf Ermittlungserkenntnisse im Verfahren 226 Js 70083/23 zwar Bezug nehmen, eine eigenverantwortliche Prüfung der Ermittlungserkenntnisse jedoch nicht gewährleisten sowie dem Antrag der Staatsanwaltschaft auf Anordnung der Durchsuchung vom 22. Februar 2024. Sachlich zureichende Gründe für die Anordnung der Durchsuchung lassen sich der vorgelegten Akte nicht entnehmen. Zwar hat der zuständige Ermittlungsrichter in seiner Nichtabhilfeentschei-dung ausgeführt, dass ihm zum Entscheidungszeitpunkt auch die vollständige Akte aus dem ursprünglichen Verfahren 226 Js 70083/23 bekannt gewesen sei, da er die in diesem Verfahren ergangenen Beschlüsse vom 10. Oktober 2023, 27. November 2023, 11. Januar 2024 und 7. Februar 2024 erlassen habe, sodass eine eigenverantwortliche gerichtliche Überprüfung aufgrund der Aktenkenntnis gewährleistet gewesen sei. Auf die in einem separaten Ermittlungsverfahren geführten Akten, die ihm zum Zeitpunkt des Erlasses des Durchsuchungsbeschlusses nicht vor-gelegen haben, hätte das Amtsgericht seine Entscheidung jedoch nicht stützen dürfen, da weder die Verteidigung im Rahmen der Akteneinsicht noch das Beschwerdegericht im Beschwerdeverfahren Kenntnis von diesen Aktenteilen nehmen kann, was der Kontrollfunktion des Richtervorbehalts und dem Grundsatz der effektiven Verteidigung entgegensteht. Darüber hinaus richtet sich das Verfahren nach seiner Abtrennung nunmehr gegen den Beschuldigten alleine, dem zudem ein anderer Sachverhalt zur Last gelegt wird. Es kann daher nicht ausgeschlossen werden, dass bereits der Ermittlungsrichter bei seiner eigenverantwortlichen Prüfung andere – ihm nicht mehr im Gedächtnis befindliche – Erwägungen hätte einbeziehen müssen.“

Verkehrsrecht II: Anordnung der Blutentnahme/-probe, oder: Anforderungen an den Anfangsverdacht

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Vor einiger Zeit haben die mit der Anordnung der Entnahme einer Blutprobe (§ 81a StPO) zusammenhängenden Fragen die Praxis beschäftigt. Dabei ging es insbesondere meist um die Frage des so. Richtervorbehalts. Die Problematik hat sich dann durch die Änderungen durch das „Gesetz zur effektiveren und praxistauglicheren Ausgestaltung des Strafverfahrens“ vom 17.8.17 (BGBl. I S. 3202) weitgehend erledigt.

Sie hat nun aber dann doch noch mal ein AG beschäftigt, und zwar das AG Ratzeburg im AG Ratzebuug, Beschl. v. 22.12.2023 – 31a OWi 46/23 jug. Sachverhalt und Gründe dann hier:

„Am 2. Juli 2023 gegen 15:29 Uhr führte der Polizeibeamte und Zeuge PK pp. im Rahmen einer Standkontrolle auf dem Rastplatz Gudow an der Bundesautobahn 24 in Fahrtrichtung Hamburg eine Kontrolle des Pkw mit dem amtlichen Kennzeichen pp. durch, dessen Fahrer der Betroffene war. Der Betroffene händigte dem Zeugen seinen Führerschein, Personalausweis und die Zulassungsbescheinigung Teil 1 aus. Im Rahmen der Kontrolle nahm der Zeuge wahr, dass der Betroffene sehr nervös wirkte. Der Betroffene konnte nicht stillstehen und hatte deutlich zitternde Hände. Ebenso führte der Betroffene häufig seine Hände an verschiedene Körperstellen, einmal zum Kratzen am Hals, einmal um in seine Hosentaschen zu greifen oder der Betroffene wedelte damit herum. Zudem war der Betroffene redselig und aus Sicht des Zeugen unangepasst euphorisch. Aus diesen Beobachtungen leitete der Zeuge den Verdacht ab, dass der Betroffene eine bußgeldbewährte Tat gemäß § 24a StVG begangen haben könnte. Nach entsprechender Belehrung gab der Betroffene an, keine Drogen konsumiert zu haben, er sei lediglich sehr müde. Die Durchführung eines Urintests lehnte der Betroffene unter Hinweis darauf ab, dass er nicht urinieren müsse. Daraufhin ordnete der Zeuge eine Blutprobe an. Diese wurde um 15:40 Uhr durch einen Arzt an der Kontrollstelle durchgeführt. Nach dem Ergebnis des Untersuchungsberichts des Universitätsklinikums Schleswig-Holstein vom 26. September 2023 befanden sich im Blut des Betroffenen 3,9 ng/ml THC.

Der Verteidiger trug mit Schriftsatz vom 1. Dezember 2023, eingegangen bei der Bußgeldbehörde am 4. Dezember 2023, auf gerichtliche Entscheidung mit der Begründung an, dass die Anordnung der Blutprobe unzulässig gewesen sei. Dies führe aus Sicht des Verteidigers zu einem Beweisverwertungsverbot.

Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung ist zulässig, insbesondere statthaft. Mit dem Wegfall des Richtervorbehalts und Normierung der Anordnungskompetenz für Blutproben auf die zuständige Verwaltungsbehörde und — gleichrangig — auf deren Ermittlungsbeamte (§ 53 Abs. 2 OWiG) hat die Frage des dagegen zulässigen Rechtsbehelfs an Bedeutung gewonnen. Die Anordnung einer Blutprobe im Bußgeldverfahren ist eine Maßnahme nach § 62 OWiG und als solche grundsätzlich mit dem Antrag auf gerichtliche Entscheidung anfechtbar. Soweit – wie hier – ein Polizeibeamter als originär zuständige Verwaltungsbehörde die Anordnung trifft, ist dies soweit ersichtlich unbestritten (KK-OWiG/Lampe, 5. Auflage, § 46, Rn.41).

Der Antrag hat jedoch in der Sache keinen Erfolg.

Gemäß § 46 Abs.4 S.1 OWiG ist § 81a Abs. 1 Satz 1 und 2 StPO mit der Einschränkung anzuwenden, dass zwar nur die Entnahme von Blutproben und andere geringfügige Eingriffe zulässig sind, aber die Entnahme einer Blutprobe abweichend von § 81a Absatz 2 Satz 1 StPO keiner richterlichen Anordnung bedarf, wenn bestimmte Tatsachen den Verdacht begründen, dass eine Ordnungswidrigkeit begangen worden ist nach den §§ 24a und 24c StVG.

Der Gesetzeswortlaut fordert eine „einfachen“ Verdacht, also keinen hinreichenden oder gar dringenden Tatverdacht. Ein solcher Anfangsverdacht setzt nur voraus, dass zureichende, über bloße Vermutungen hinausreichende, tatsächliche Anhaltspunkte für eine verfolgbare Straftat (hier: Ordnungswidrigkeit nach § 24a StVG) vorliegen (vgl. BGH BeckRS 2021, 3096; BGH NStZ2016, 370; 551; OLG Koblenz BeckRS 2021; 13791; KK-StPO/Weingarten, 9. Aufl. 2023, StPO § 160. Rn. 7).

Vorliegend ist dem Verteidiger einzugestehen, dass die vom Zeugen PK pp. geschilderten Umstände isoliert betrachtet den Verdacht einer Tat gemäß § 24a StVG nicht begründen könnten. Entscheidend ist Überzeugung des Gerichts indessen, dass eine Vielzahl von Besonderheiten beim Betroffenen vorlag, die eben diesen Verdacht begründen. Mag man durch die Situation der polizeilichen Kontrolle noch die Nervosität des Betroffenen erklären können, so gilt dies nicht für das Hinzutreten zitternder Hände sowie einer in der Situation unangemessenen Euphorie. Derartige kumulative, situationsuntypische Reaktionen sind gerade durch die Einnahme von Betäubungsmittel zu erklären. Aufgrund dieser Kumulation der Umstände hat der Polizeibeamte zur Überzeugung des Gerichts zu Recht die Entnahme der Blutprobe angeordnet. Die weitere Frage, ob aus einem etwaigen Beweiserhebungsverbot ein Beweisverwertungsverbot folgen würde, kann deshalb in diesem Fall dahinstehen.“

Na ja. Es gibt AG-Rechtsprechung, wonach die (allein) „Nervosität“ nicht reicht …..

EV II: Keine Beschwerde zum BGH bei Blutproben, oder: Konkreter Anfangsverdacht für Durchsuchung

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Die zweite Entscheidung kommt vom BGH. Der hat im BGH, Beschl. v. 10.08.2023 – StB 45 + 46/23 – zu Rechtsmitteln im Ermttlungsverfahren Stellung genommen.

Der GBA führt gegen den Beschuldigten und weitere Personen ein Ermittlungsverfahren im Zusammenhang mit einer Vereinigung, die auf die Begehung linksextremer Gewaltstraftaten ausgerichtet gewesen sein soll; soweit es den Beschuldigten betrifft, wegen des Verdachts der Unterstützung einer kriminellen Vereinigung gemäß § 129 Abs. 1 Satz 2 StGB. Auf seine Anträge hat der Ermittlungsrichter des BGH mit Beschlüssen vom 28. März 2023 zum einen die Durchsuchung der Person, der Wohnung und etwaiger weiterer Nebengelasse des Beschuldigten zum Zwecke der Sicherstellung im Einzelnen näher bezeichneter Tat- und sonstiger Beweismittel (1 BGs 547/23) und zum anderen die Entnahme einer Blutprobe beim Beschuldigten nebst deren molekulargenetischer Untersuchung und Abgleichung (1 BGs 548/23) angeordnet. Beide Beschlüsse sind am 6. Juli 2023 vollzogen worden. Bei der Durchsuchung ist eine Vielzahl von Gegenständen beschlagnahmt oder zur Durchsicht vorläufig sichergestellt worden.

Der Betroffene hat gegen beide Maßnahmen Beschwerde eingelegt, die er nicht begründet hat. Beide Rechtsmittel hatten keinen Erfolg:

„1. Die Beschwerde gegen den Beschluss zur Entnahme einer Blutprobe gemäß § 81a StPO und weiterer Maßnahmen gemäß §§ 81e, 81g StPO (1 BGs 548/23) ist bereits unzulässig. Sie ist gegen eine Verfügung des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs gerichtet, gegen die das Rechtsmittel nur in den in § 304 Abs. 5 StPO vorgesehenen Ausnahmefällen statthaft ist. Die angefochtene Anordnung der Entnahme einer Blutprobe des Beschuldigten zur Feststellung seines DNA-Identifizierungsmusters und Geschlechts sowie des Abgleichs des so gewonnenen Musters mit Vergleichsmaterial in künftigen Strafverfahren gemäß § 81a Abs. 1, Abs. 2 Satz 1, Abs. 3 StPO, §§ 81e, 81f, 81g Abs. 1 bis 3 und 5 Satz 1 StPO ist hiervon nicht erfasst (vgl. BGH, Beschluss vom 17. Juni 2020 – StB 16/20, juris Rn. 3 ff. mwN).

2. Die Beschwerde gegen den Durchsuchungsbeschluss bleibt in der Sache ohne Erfolg.

a) Sie ist zwar gemäß 304 Abs. 5 StPO statthaft und auch im Übrigen zulässig, weil ihr Ziel noch nicht prozessual überholt ist. Angesichts der nicht abgeschlossenen Durchsicht der vorläufig sichergestellten elektronischen Speichermedien dauert die Durchsuchungsmaßnahme weiterhin an. Für eine Umdeutung in einen Antrag auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der angegriffenen Maßnahme besteht daher kein Raum (vgl. BGH, Beschlüsse vom 18. November 2021 – StB 6/21 u.a., NJW 2022, 795 Rn. 5 mwN, vom 13. Juni 2023 – StB 29/23, juris Rn. 4).

b) Die Beschwerde ist jedoch unbegründet, denn die Voraussetzungen für den Erlass der Durchsuchungsanordnung gegen den Beschuldigten (§ 102, 105 StPO) waren gegeben.

aa) Gegen den Beschuldigten lag ein die Durchsuchung nach 102 StPO rechtfertigender Anfangsverdacht vor, eine kriminelle Vereinigung, die auf die Begehung von Gewaltstraftaten gerichtet ist, unterstützt zu haben.

(1) Für die Zulässigkeit einer regelmäßig in einem frühen Stadium der Ermittlungen durchzuführenden Durchsuchung genügt der über bloße Vermutungen hinausreichende, auf bestimmte tatsächliche Anhaltspunkt gestützte konkrete Verdacht, dass eine Straftat begangen wurde und der Verdächtige als Täter oder Teilnehmer an dieser Tat in Betracht kommt. Eines hinreichenden oder gar dringenden Tatverdachts bedarf es – unbeschadet der Frage der Verhältnismäßigkeit – nicht (st. Rspr.; vgl. BVerfG, Beschluss vom 7. September 2006 – 2 BvR 1219/05, NJW 2007, 1443; BGH, Beschlüsse vom 18. Dezember 2008 – StB 26/08, BGHR StPO § 102 Tatverdacht 2; vom 12. August 2015 – StB 8/15, NStZ 2016, 370).

(2) Gemessen hieran lagen sachlich zureichende Gründe für die Anordnung einer Durchsuchung der Person, der Wohnung und etwaiger weiterer Nebengelasse des Beschuldigten vor. Es bestand der Anfangsverdacht, dass der Beschuldigte zumindest zwischen Januar und Juni 2022 eine spätestens seit August 2018 in und um L.    bestehende kriminelle Vereinigung unterstützte, die sich zum Ziel gesetzt hatte, körperliche Übergriffe auf (vermeintliche) Angehörige der rechten Szene zu begehen. Hierzu im Einzelnen:

(a) Vier mutmaßliche Mitglieder der genannten Vereinigung sind zu Gesamtfreiheitsstrafen von bis zu fünf Jahren und drei Monaten verurteilt worden. Gegenstand der Verurteilungen war neben der Mitgliedschaft in oder der Unterstützung einer kriminellen Vereinigung jeweils auch die unterschiedlich geartete Beteiligung an mehreren mit erheblichen Körperverletzungen verbundenen gewalttätigen Überfällen auf verschiedene Geschädigte. Im Vorfeld der einzelnen Überfälle fanden Ausspähungsbemühungen statt, bei denen die handelnden Personen Verkleidungsutensilien zu ihrer Tarnung verwendeten.

(b) Der Beschuldigte stand im Verdacht, die kriminelle Vereinigung dadurch unterstützt zu haben, dass er für die Ausspäheinsätze geeignete und bestimmte Verkleidungsutensilien wie verschiedenartige Firmenbekleidung beschaffte, zur Verfügung stellte und in seiner Wohnung verwahrte. Solche bekleidungsstücke waren bereits am 15. Juni 2022 anlässlich einer gemäß § 103 StPO angeordneten Durchsuchung des Zimmers des jetzigen Beschuldigten in der Wohnung einer Mitbeschuldigten aufgefunden worden (vgl. Beschlüsse des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs vom 7. Juni 2022 – 1 BGs 129/22, vom 15. Juni 2022 – 1 BGs 168/22; Senat, Beschluss vom 20. Juli 2022 – StB 29/22). An den dort sichergestellten Bekleidungsgegenständen waren tatrelevante DNA-Spuren nachweisbar.

(c) Hinzu kommt, dass der Beschuldigte mit weiteren mutmaßlichen Vereinigungsmitgliedern in freundschaftlicher Verbindung stand und deren ideologische Überzeugung teilte.

(d) Zu den Einzelheiten der den Anfangsverdacht gegen den Beschuldigten begründenden Umstände wird auf die detaillierten Ausführungen in dem Durchsuchungsbeschluss des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs vom 28. März 2023 (1 BGs 547/23) verwiesen.

bb) Weiterhin war es trotz der bereits am 15. Juni 2022 erfolgten Durchsuchung des Zimmers des jetzigen Beschuldigten und Sicherstellung der Verkleidungsutensilien zu erwarten, dass die neuerliche Durchsuchung zum Auffinden (weiterer) beweiserheblicher Gegenstände und Daten führen werde. Während die vormalige Durchsuchung gegen die Mitbeschuldigte gerichtet war (Beschluss des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs vom 7. Juni 2022 – 1 BGs 129/22), zielte die aktuelle Durchsuchung auf den Beschuldigten selbst, so dass nunmehr auch eindeutig ihm zuzuordnende Beweisgegenstände der Sicherstellung unterlagen.

cc) Die Zuständigkeit des Generalbundesanwalts und damit auch diejenige des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs war gegeben. Gegen die Annahme der besonderen Bedeutung im Sinne des 120 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1, Satz 2 GVG in Verbindung mit § 74a Abs. 1 Nr. 4, Abs. 2 GVG ist mit Blick auf die konkreten Umstände des Tatgeschehens nichts zu erinnern.

dd) Auch der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit war gewahrt. Die Durchsuchungsanordnung gegenüber dem Beschuldigten war geeignet und erforderlich, zur weiteren Aufklärung seiner Beteiligung an dem Tatgeschehen beizutragen. Die Anordnung der Durchsuchung stand zudem in einem angemessenen Verhältnis zur Bedeutung und Schwere der aufzuklärenden Straftat.“