Schlagwort-Archive: Anfangsverdacht

StPO I: Einiges zur Durchsuchungsanordnung, oder: Reichsbürger, anonyme Anzeige, BtM-Zusendung u.a.,

Bild von Peggy und Marco Lachmann-Anke auf Pixabay

Heute dann StPO-Entscheidungen.

Den Opener machen hier einige LG-Entscheidungen zur Durchsuchung, und zwar zu den Anordnungsvoraussetzungen. Da sind ja meist die LG die „letzte Instanz“. Eine Entscheidung stammt aber nicht „aus der StPO“.

Hier sind dann folgende Entscheidungen, allerdings nur mit den Leitsätzen:

Ein geltend gemachtes Auskunftsverweigerungsrecht hindert nicht, dass gegen die auskunftsverweigerende Person ein Ermittlungsverfahren eingeleitet werden kann. Treten weitere Anhaltspunkte hinzu, ist die Strafverfolgungsbehörde nicht gehindert, eine Durchsuchung mit dem Ziel, weitere Beweismittel aufzufinden, zu veranlassen, um einen bestehenden Tatverdacht zu überprüfen, sofern sich dieselbe nicht als unverhältnismäßig darstellt.

Eine anonyme Anzeige kann nur dann als Grundlage für eine Durchsuchung genügen, wenn sie von beträchtlicher sachlicher Qualität ist oder mit ihr zusammen schlüssiges Tatsachenmaterial vorgelegt wurde.

Zur Bejahung eines für die Anordnung einer Durchsuchung erforderlichen Anfangsverdachts bei BtM-Zusendungen.

Allein die Zugehörigkeit zu der Reichsbürgerbewegung stellt noch keine Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung dar.

 

StPO I: Sind das Verdachtsgründe für Handel mit BtM?, oder: Zettel mit Namen und Geldbeträgen

entnommen openclipart.org

Heute, am letzten Donnerstag im Jahr 2022 dann noch einmal ein paar StPO-Entscheidungen.

Zunächst ein „kleiner“ LG-Beschluss zur Frage hinreichender Verdachtsgründe für die Annahme des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln. Das LG Rostock äußert sich dazu in einer Beschwerdeentscheidung, und zwar im LG Rostock, Beschl. v. 28.10.2022 – 11 Qs 137/22 (2):

„Die Beschwerde gegen die Durchsuchungsanordnung vom 7.2.2022 ist wegen des mit der Durchsuchung verbundenen Grundrechtseingriffs und der Rechtsschutzgarantie aus Art. 19 Abs. 4 GG auch nach der am 2.3.2022 erfolgten Durchsuchung mit dem Ziel der Feststellung der Rechtswidrigkeit der prozessualen Maßnahme zulässig (Meyer-Goßner/Schmitt, StPO 65. Auflage, Vor § 296 Rdnr. 18 a mwN).

Gegen den Durchsuchungsbeschluss ist nichts zu erinnern. Es bestanden bei Erlass der Durchsuchungsanordnung auch hinreichende Verdachtsgründe: Der bei der Wohnungsdurchsuchung des gesondert verfolgten pp. aufgefundene Zettel, auf dem handschriftlich Geldbeträgen Namen zugewiesen worden sind, bezüglich „    sogar ein Betrag von 2.100 €“, legt unter gleichzeitiger Berücksichtigung des Umstandes, dass in der Wohnung des pp. auch Betäubungsmittel sichergestellt worden sind, die Annahme nahe, dass es sich hierbei um Dealeraufzeichnungen handelte. Es erscheint auch nicht fernliegend, dass ,,pp“ auf dem Notizzettel mit dem Handykontakt „pp“ identisch ist, so dass zureichende tatsächliche Anhaltspunkte dafür vorhanden waren, der Beschwerdeführer, der als Anschlussinhaber des Kontaktes „pp.“ ermittelt werden konnte, treibe mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge Handel.“

StPO I: Übernahme des vorformulierten Beschlusses, oder: Genügend Indiztatsachen für Anfangsverdacht?

Bild von Peggy und Marco Lachmann-Anke auf Pixabay

Heute dann dreimal Durchsuchung, also StPO, und zwar drei LG-Entscheidungen.

Zunächst stelle ich hier den LG Nürnberg-Fürth, Beschl. v. 07.11.2022 – 12 Qs 49/22 – vor. Ergangen ist er in einem Verfahren gegen einen Apotheker wegen Abrechnungsbetrugs. In em ist aufgrund eines Durchsuchungsbeschlusses des AG vom 19.03.2021 eine Durchsuchung durchgeführt worden, wobei die Sichtung der dabei gesicherten elektronischen Daten derzeit noch andauert. Gegen den hat der Beschulidgte bereits einmal Beschwerde eingelegt, nun hatte er mit Schriftsatz eines neuen Verteidiger erneut Beschwerde eingelegt, die beim LG (erneut) keinen Erfolg hatte:

„b) Die Beschwerde hat in der Sache keinen Erfolg, weil der Durchsuchungsbeschluss rechtmäßig ergangen ist.

aa) Die Beschwerde meint, vor Beschlusserlass habe eine eigenverantwortliche Prüfung des Tatvorwurfs durch das Ermittlungsgericht nicht stattgefunden, sodass der Durchsuchungsbeschluss schon aus diesem Grund aufzuheben sei.

Dieser These schließt sich die Kammer nicht an. Das Fehlen der gebotenen Einzelfallprüfung durch die Ermittlungsrichterin folgt nicht schon daraus, dass sie den Durchsuchungsbeschluss nicht selbst ausformuliert, sondern – entsprechend der hiesigen ständigen Praxis in Wirtschaftsstrafverfahren – die ihr von der StA (bzw. hier der GenStA) vorformuliert vorgelegten Beschlussentwürfe unterzeichnet hat (vgl. BVerfG, Beschluss vom 1. August 2014 – 2 BvR 200/14, juris Rn. 19; Kammer, Beschluss vom 24. September 2021 – 12 Qs 66/21, juris Rn. 15; krit. Meyer-Mewes, HRRS 2020, 286, 288 f.). Von fehlender eigener Prüfung könnte etwa ausgegangen werden, wenn sich die Beschlussbegründung in formelhaften Floskeln ohne Einzelfallbezug oder in der bloßen Benennung des zugrunde liegenden Straftatbestandes erschöpft (BVerfG, Beschluss vom 6. März 2002 – 2 BvR 1619/00, juris Rn. 16; Beschluss vom 8. April 2004 – 2 BvR 1821/03, juris Rn. 16 ff.), oder wenn das Ermittlungsgericht sinnentstellende Fehler oder sonst offenkundige Mängel des Antrags der Staatsanwaltschaft unkorrigiert übernimmt (BVerfG, Beschluss vom 1. August 2014 – 2 BvR 200/14, juris Rn. 19; vgl. auch Tsambikakis in Löwe/Rosenberg, StPO, 27. Aufl., § 105 Rn. 46 m.w.N.).

So liegen die Dinge hier nicht. Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass die sachbearbeitende Staatsanwältin unmittelbar vor der Zuleitungsverfügung an das Ermittlungsgericht einen fünfseitigen Vermerk zur Akte gebracht hat, in dem sie den Ermittlungsstand in tatsächlicher Hinsicht zusammenfasste und sich mit dessen rechtlichen Implikationen auseinandersetzte – auch im Hinblick auf § 11 Abs. 1 ApoG, § 7 AVV sowie auf die Auswirkungen von Verstößen hiergegen für die Abrechnung gegenüber den Kassen. Damit hatte die Ermittlungsrichterin über den Beschlussentwurf und den blanken Akteninhalt hinaus einen Interpretationsvorschlag an der Hand, den sie prüfen konnte. Der angegriffene Beschluss selbst weist keine groben handwerklichen Fehler auf, enthält eine individualisierte Sachverhaltsschilderung und interpretiert sie in vertretbarer Weise als strafrechtlich relevant. Die von der Beschwerde im Schriftsatz vom 20. Oktober 2022 (S. 5 ff.) formulierten Einwendungen sind so speziell, dass aus dem Fehlen einer expliziten Erörterung der ihnen zugrundeliegenden Rechtsfragen in der Begründung des Durchsuchungsbeschlusses nicht gefolgert werden kann, die Ermittlungsrichterin habe diese Rechtsfragen nicht geprüft, sollte es für sie darauf angekommen sein. Die schriftliche Begründung eines Durchsuchungsbeschlusses ist nicht der Ort, alle Prüfungsschritte im Detail zu dokumentieren, die das Ermittlungsgericht in der gedanklichen Durchdringung des Stoffs abgearbeitet hat.

Schließlich folgt das Fehlen der individuellen Befassung der Ermittlungsrichterin mit dem Stoff nicht daraus, dass sie in ihrer Zuleitungsverfügung vom 26. August 2022 vermerkt hat, der Vorgang sei ihr unbekannt und eine Prüfung der Begründetheit der Beschwerde sei ihr daher nicht möglich; sie helfe der Beschwerde nicht ab. Der von ihr unterschriebene Durchsuchungsbeschluss datiert vom 19. März 2021. Dessen Bestätigung vom 24. September 2021 wurde, wie auch die Bestätigung der Mitnahme zur Durchsicht am 4. Januar 2022, nicht von ihr, sondern von einem ihrer Kollegen beschlossen. Bei diesem zeitlichen Abstand wäre es ausgesprochen bemerkenswert, hätte die Ermittlungsrichterin den Fall noch gekannt. Auf einem anderen Blatt steht, ob mit der zitierten Verfügung das Abhilfeverfahren (§ 306 Abs. 2 StPO) ordnungsgemäß durchgeführt wurde. Das kann indes auf sich beruhen, weil eine Zurückverweisung der Sache zur Nachholung der Abhilfeprüfung hier nicht in Betracht kam (vgl. dazu Hoch in SSW-StPO, 4. Aufl., § 306 Rn. 18; Schmitt in Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 65. Aufl., § 306 Rn. 10, je m.w.N.).

bb) Die Beschwerde hält den Durchsuchungsbeschluss auch deshalb für rechtswidrig, weil er den Anforderungen an die Begrenzung des Grundrechtseingriffs nicht genüge. Er nenne nicht die notwendigen Indiztatsachen, die den Anfangsverdacht rechtfertigten könnten.

Auch insoweit vermag die Kammer der Beschwerde nicht zu folgen. Die Beschreibung der aufzuklärenden Straftat im Durchsuchungsbeschluss schützt die Grundrechte des Betroffenen. Sie macht Umfang und Reichweite des Grundrechtseingriffs deutlich und zeigt, worauf sich die Durchsuchung bezieht. So wird den mit der Vollziehung der Anordnung betrauten Beamten klargemacht, worauf sie ihr Augenmerk richten sollten, und so der Zugriff auf Beweisgegenstände begrenzt (Kammer, Beschluss vom 10. März 2022 – 12 Qs 6/22, juris Rn. 21 m.N. zur Rspr. des BVerfG). Die gleiche Funktion hat die Bezeichnung derjenigen Gegenstände im Durchsuchungsbeschluss, nach denen gesucht werden soll (BVerfG, Beschluss vom 4. März 2008 – 2 BvR 103/04, juris Rn. 20). Weiterhin sind gem. § 34 StPO die wesentlichen Verdachtsgründe darzulegen, d.h. die Tatsachen, die den behaupteten Anfangsverdacht belegen sollen. Deren Angabe kann nur unterbleiben, wenn die Bekanntgabe den Untersuchungszweck gefährden würde (BGH, Beschluss vom 18. Dezember 2008 – StB 26/08, juris Rn. 7 f.).

Diese Anforderungen erfüllt der angegriffene Durchsuchungsbeschluss. Er enthält eine detaillierte Auflistung derjenigen Unterlagen, Daten und Gegenstände, nach denen gesucht werden sollte. Ebenso ist der dem Beschuldigten vorgeworfene Sachverhalt in seinen Grundzügen umrissen und nach zeitlichem Rahmen, Art der Tatbegehung, mutmaßlichen Geschädigten und Schadenshöhe individualisiert. Als tatsächliche Grundlage des Anfangsverdachts benennt der Beschluss unter Ziff. II der Gründe die Stellungnahmen der anzeigeerstattenden Krankenkassen, dort insbesondere deren statistische Auswertungen, weiterhin Rezepte und Stellungnahmen von Ärzten und Patientenangehörigen sowie eine Stellungnahme der X GmbH (fortan: X) im Retaxverfahren, wobei teils auf konkrete Fundstellen in der Ermittlungsakte verwiesen wird.

Soweit die Beschwerde für einzelne Tatbestandselemente des Betrugs bzw. der diesem vorgelagerten sozial- und ordnungsrechtlichen Normen die explizite Benennung von Indiztatsachen vermisst, überspannt sie die Anforderungen an die Darlegung des Anfangsverdachts. Letztere kann knapp gehalten sein und es müssen nur die wesentlichen Merkmale des gesetzlichen Tatbestandes belegt sein (vgl. BVerfG, Beschluss vom 7. September 2006 – 2 BvR 1219/05, juris Rn. 16; Tsambikakis in Löwe/Rosenberg, StPO, 27. Aufl., § 105 Rn. 48 m.w.N.), also die des Betrugs nach § 263 StGB.

cc) Die Beschwerde ist weiter der Auffassung, dass sich der Durchsuchungsbeschluss nicht auf das erforderliche Maß beschränke, namentlich auf das Auffinden derjenigen Unterlagen, die eine verbotene Absprache belegen.

Damit dringt die Beschwerde nicht durch. ….“

StPO I: Anordnung einer Durchsuchung durch den BGH, oder: Behördenzeugnis reicht für Anfangsverdacht

© dedMazay – Fotolia.com

Heute dann noch einmal ein wenig StPO mit drei Entscheidungen.

Den Opener macht der BGH, Beschl. v. 05.10..2022 – StB 40/22 – der eine Frage in Zusammenhang mit der Anordnung einer Durchsuchung behandelt.

Der GBA führt gegen den Beschuldigten ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der mitgliedschaftlichen Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung im Ausland („Islamischer Staat“), strafbar nach § 129a Abs. 1, § 129b Abs. 1 StGB. Auf seinen Antrag hat der Ermittlungsrichter des BGH die Durchsuchung der Person des Beschuldigten und von ihm genutzter Wohn- und Nebenräume sowie diejenige seines Kraftfahrzeugs nach näher beschriebenen Beweismitteln angeordnet. Letztere betreffen eine mögliche Beteiligung des Beschuldigten an der ausländischen terroristischen Vereinigung „Islamischer Staat“ (IS), insbesondere durch Teilnahme als Kommandant an den Kämpfen gegen die Freie Syrische Armee (FSA) und deren Verbündete in M. /Syrien zwischen März und Juni 2014.

Nach Vollzug der Durchsuchung hat der Beschuldigte gegen die Durchsuchungsbeschlüsse mit der Begründung Beschwerde eingelegt, er habe mit dem IS nichts zu tun. Der Ermittlungsrichter des BGH hat der Beschwerde nicht abgeholfen und die Sache dem Senat zur Entscheidung vorgelegt. Das Rechtsmittel war unbegründet. Dazu führt der BGH u.a. aus:

„1. Es bestand ein auf konkreten Tatsachen beruhender Verdacht einer Straftat.

a) Für die Zulässigkeit einer regelmäßig in einem frühen Stadium der Ermittlungen in Betracht kommenden Durchsuchung genügt der über bloße Vermutungen hinausreichende, auf bestimmte tatsächliche Anhaltspunkte gestützte konkrete Verdacht, dass eine Straftat begangen worden ist und der Verdächtige als Täter oder Teilnehmer an dieser Tat in Betracht kommt. Eines hinreichenden oder gar dringenden Tatverdachts bedarf es – unbeschadet der Frage der Verhältnismäßigkeit – nicht (st. Rspr.; BVerfG, Beschluss vom 7. September 2006 – 2 BvR 1219/05, NJW 2007, 1443 Rn. 15; BGH, Beschlüsse vom 9. Februar 2021 – StB 9/20 u.a., juris Rn. 9 mwN; vom 5. Juni 2019 – StB 6/19, juris Rn. 7 mwN; vom 30. November 2021 – StB 37/21, juris Rn. 6; LR/Tsambikakis, StPO, 27. Aufl., § 103 Rn. 1). Ein solcher ausreichend konkreter Verdacht kann grundsätzlich auch durch ein Behördenzeugnis begründet werden (st. Rspr.; BGH, Beschlüsse vom 5. Juni 2019 – StB 6/19, juris Rn. 8; vom 6. Februar 2019 – 3 StR 280/18, NStZ 2019, 546 mwN; vom 28. Juni 2018 – StB 7/18 Rn. 6), zumal die Durchsuchung dazu dienen kann, die Qualität der Angaben zu überprüfen, und neben der Belastung zugleich zur Entlastung des Beschuldigten beizutragen vermag.

b) Nach diesen Maßstäben lagen zureichende Gründe für den Verdacht vor, der Beschuldigte habe sich im Jahr 2014 in Syrien dem IS angeschlossen und im selben Jahr als Kommandant am Kampf um M. gegen die FSA und andere Gruppierungen teilgenommen.

aa) Der Anfangsverdacht stützt sich vornehmlich auf ein Behördenzeugnis des Bundesamts für Verfassungsschutz vom 27. April 2021, demzufolge „aus nachrichtendienstlichem Aufkommen“ bekannt geworden sei, dass sich der Beschuldigte im Jahr 2014 dem IS angeschlossen habe und als Kommandant am Kampf um M. gegen die FSA beteiligt gewesen sei. Indizielle Bestätigung findet diese – für sich genommen eher pauschale – Mitteilung darin, dass ausweislich eines Gutachtens des Heidelberger Instituts für internationale Konfliktforschung aus dem Februar 2015 mit dem Titel „Der ‚Islamische Staat‘ in Syrien und im Irak“ tatsächlich zu dem genannten Zeitpunkt in dem genannten Gebiet Kampfhandlungen unter Beteiligung des IS und unter anderem der FSA stattgefunden haben sollen. Im Verlauf der Kämpfe sei es zudem zu Hinrichtungen zurückgebliebener verletzter Kämpfer der Gegenseite durch den IS gekommen.

bb) In rechtlicher Hinsicht ist die Tat, derer der Beschuldigte verdächtig ist, als mitgliedschaftliche Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung im Ausland gemäß § 129a Abs. 1 Nr. 1 Alternative 2, § 129b Abs. 1 Satz 1 und 2 StGB zu beurteilen….. „

StPO III: Anfangsverdacht für Nebenklagebeiordnung?, oder: Rückwirkende Beiordnung bei der Nebenklage

© santi_ Fotolia.com

Und zum Schluss der heutigen Berichterstattung stelle ich dann noch den LG Kiel, Beschl. v.26.01.2022 – 5 Qs 2/22 – vor. Gegenstand des Beschlusses ist die Frage der Beiordnung eines Rechtsanwaltes für den Nebenkläger, und zwar im Hinblick auf die Frage des Beiordnungsgrundes und auf die Frage der Zulässigkeit einer rückwirkenden Beiordnung.

Das AG hatte in einem Todesermittlungsverfahren die unter Erklärung des Anschlusses als Nebenklägerin schon für das Ermittlungsverfahren beantragte Beiordnung eines Rechtsanwaltes versagt. Das AG hatte seine Entscheidung damit begründet, dass ein Anfangsverdacht gegen Beschuldigte nicht bestehe, da aufgrund des Sektionsbefundes die  Todesursache unklar sei und eine Plazentainsuffizienz in Betracht komme. Das LG hat dann auf die Beschwerde beigeordnet:

„Für die Beurteilung der Frage, ob eine Beiordnung im Rahmen einer Nebenklage zu erfolgen hat, gilt der beim Nebenklageanschluss übliche Verdachtsgrad (BeckOK-StPO-Weiner, § 397a, Rn 27). Danach hat eine Beiordnung zu erfolgen, wenn auch nur die geringe Möglichkeit besteht, dass eine zum Anschluss als Nebenkläger berechtigende Straftat vorliegt (BGH NStZ 2000, 552; NStZ-RR 2008, 352 ). Das Vorliegen eines Anfangsverdachtes ist nicht erforderlich.

Bei der Prüfung des Vorliegens dieser Voraussetzung war von dem Stand des Verfahrens im Juni 2021 auszugehen. Insoweit liegt eine Ausnahme von dem Grundsatz, dass eine rückwirkende Beiordnung eines Rechtsanwaltes unzulässig ist (Meyer-Goßner/Schmitt-Schmitt, StPO, 64. Aufl., 2021, § 397a, Rn. 15) vor. Eine solche Ausnahme ist mit der Folge der Rückwirkung auf den Zeitpunkt der Antragstellung gegeben, wenn der Antragsteller mit seinem Antrag bereits alles für die Bestellung des Beistandes Erforderliche getan hat, der Antrag aber nicht rechtzeitig beschieden worden ist (BVerfG NStZ-RR 1997,69; BGH NStZ-RR 2008,255; OLG Celle NStZ-RR 2012,291). Bei Antragstellung am 4.6.2021 war zugleich der Anschluss als Nebenkläger durch die Beschwerdeführerin erklärt worden. Damit waren alle formellen Erfordernisse für die Stellung des Antrages auf Beiordnung bereits zu diesem Zeitpunkt erfüllt. Die Entscheidung über die Beiordnung des Rechtsanwaltes bereits im Ermittlungsverfahren hätte zeitnah erfolgen müssen.

Bei dieser Sachlage kann das Ergebnis des erst im Oktober 2021 erstatteten Gutachtens der Frau Prof. Dr. pp. der Entscheidung nicht zugrunde gelegt werden.

Auch das Ergebnis der rechtsmedizinischen Untersuchung des Fötus war nicht geeignet, die beantragte Beiordnung abzulehnen, denn die Beurteilung der Todesart als „unklar“ ließ die Möglichkeit offen, dass ein zum Anschluss als Nebenkläger geeignetes Verhalten der an der Betreuung der Schwangeren beteiligten Personen vorgelegen haben könnte.

Eine Zulassung der Nebenklage erschien jedenfalls zum damaligen Zeitpunkt gemäß § 395 Abs. 3 StPO wegen einer in Betracht kommenden fahrlässigen Körperverletzung (§ 229 StGB) zum Nachteil der Beschwerdeführerin möglich.

Zwar wäre wegen des Absterbens der Leibesfrucht eine Befugnis zum Anschluss als Nebenklägerin für die Beschwerdeführerin nach § 395 Abs. 2 Nummer 1 StPO nicht möglich gewesen, weil dies vorausgesetzt hätte, dass ein Kind durch eine rechtswidrige Tat getötet worden wäre. Dies ist hier nicht der Fall gewesen, da das noch ungeborene Kind jedenfalls noch vor Eintritt der Eröffnungswehen im Mutterleib verstorben ist und damit im strafrechtlichen Sinne noch nicht als Mensch im Sinne der Tötungstatbestände galt (BGH Urteil vom 22.4.1983, A z.: 3 StR 25/83; nach juris: Rn. 16). Die Leibesfrucht ist bis zu diesem Zeitpunkt ausschließlich durch § 218 StGB geschützt. Diese Norm entfaltet insoweit eine Sperrwirkung, als nur vorsätzliche Verhaltensweisen, die zum Abbruch einer Schwangerschaft führen, strafbar sind (Fischer, Strafgesetzbuch, 69. Aufl., 2022, Vor §§ 211-217, Rn. 8 ). Ein im Hinblick auf das Absterben der Leibesfrucht auch nur bedingt vorsätzliches Verhalten der an der Betreuung der Beschwerdeführerin beteiligten Personen ist nicht erkennbar.

Insoweit konnte allenfalls fahrlässiges Fehlverhalten in Rede stehen, das aufgrund des Ablaufes der Ereignisse am Ende der Schwangerschaft und der Unklarheiten in der Frage, wie es zu dem Absterben gekommen ist, im Juni 2021 durchaus möglich erscheinen konnte.

Wäre dies der Fall gewesen, hätte das Absterben der Leibesfrucht eine fahrlässige Körperverletzung zum Nachteil der Beschwerdeführerin begründen können, denn deren Gesundheit wäre hierdurch geschädigt worden. Der abgestorbene Fötus hat bei der Beschwerdeführerin einen pathologischen Zustand verursacht, der eine ärztliche Behandlung erforderlich gemacht hat ( vgl. OLG Koblenz Urteil vom 28.1.1988, Az: 5 U 1261 /85; OLG Oldenburg, Urteil vom 14.5.1991, Az.: 5 U 22/91).

Hätte eine zum damaligen Zeitpunkt möglich erscheinende fahrlässige Körperverletzung zum Nachteil der Beschwerdeführerin vorgelegen, wäre ihr wegen der schweren Folgen der Tat nach § 395 Abs. 3 StPO die Befugnis zum Anschluss als Nebenklägerin zu erteilen gewesen.“