Archiv der Kategorie: Bußgeldverfahren

Erstattung II: Einstellung wegen Verjährung der OWi, oder: Zweistufige Prüfung und Ausnahme

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Und dann habe ich hier den LG Landau (Pfalz), Beschl. v. 30.04.2025 – 5 Qs 5/25, der sich mal wieder zu den Grundlagen der Auslagenerstattung im Bußgeldverfahren wegen Verjährung äußert. Und zwar wie folgt:

„Die mit Schriftsatz vom 24.02.2025 eingelegte Beschwerde ist als sofortige Beschwerde nach § 464 Abs. 3 StPO auszulegen und als solche statthaft Die Beschränkung des § 464 Abs. 3 5. 1, 2. Hs StPO gilt nicht, wenn gegen die Hauptentscheidung als solche – hier die Einstellungsentscheidung nach § 206a StPO – zwar im Grundsatz ein Rechtsmittel statthaft ist, dieses aber einem Prozessbeteiligten – wie hier dem Betroffenen – mangels Beschwer nicht zusteht (Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 67. Auflage 2024, § 464 Rdnr. 19 mit diversen Nachweisen aus der obergerichtlichen Rechtsprechung).

Die sofortige Beschwerde ist form- und fristgerecht eingelegt worden.

Der Rechtsbehelf ist auch begründet.

Die Voraussetzungen des § 46 Abs. I OWG i.V.m. § 467 Abs 3 Satz 2 Nr 2 StPO liegen nicht vor.

Gemäß § 46 Abs OWiG i.V.m. § 467 Abs. 3 Satz 2 2 Nr. 2 StPO kann bei Einstellung wegen Verfahrenshindernisses davon abgesehen werden, die notwendigen Auslagen eines Betroffenen der Landeskasse aufzuerlegen, wenn er nur wegen des Verfahrenshindernisses nicht verurteilt wird.

Ein Absehen von der Auferlegung der notwendigen Auslagen des Betroffenen an die Staatskasse erfordert eine zweistufige Prüfung. Zunächst ist ein Verdachtsgrad festzustellen, bei welchem davon ausgegangen werden kann, dass eine Verurteilung nur aufgrund des Verfahrenshindernisses nicht erfolgt ist. In einem zweiten Schritt hat das Tatgericht sein Ermessen dahingehend auszuüben, ob eine Kosten- und Auslagenentscheidung zum Nachteil des Angeklagten ergehen kann (etwa OLG Celle, Beschluss vom 17.07.2021, Az. 1 Ws 283/14 Beck-Online).

Zwar lässt sich noch feststellen dass eine Verurteilung des Betroffenen wegen Verstoßes gegen §§ 9 Abs. 3, 1 Abs. 2, 49 StVO, 24 Abs. 1, 3 Nr, 5, 25 StVG bei Hinwegdenken des Verfahrenshindernisses aller Voraussicht nach erfolgt wäre.

Der Betroffene wendete sich zuletzt allein noch gegen die Verhängung eines Fahrverbots.

Allerdings erweist es sich als ermessensfehlerhaft dem Betroffenen die Erstattung seiner notwendigen Auslegen zu versagen.

Bei der Ermessensausübung ist zu beachten, dass der Verurteilungswahrscheinlichkeit keine Bedeutung mehr zukommen kann, sondern jenseits der bloßen Erfüllung der tatbestandlichen Voraussetzungen für eine unterbleibende Auslagenüberbürdung auf die Landeskasse zusätzliche beachtliche Gründe gerade für eine solche Entscheidung streiten müssen (BGH, Beschluss vom 24.5.2018, Az. 4 StR 51/17, LG Berlin, Beschluss vom 20.7.2023, Az. 510 Qs 60/23; LG Neuruppin, Beschluss vom 18.12.2020, Az. 11 Qs 95/20; LG Bückeburg, Beschluss vom 07.06.2024, Az: 4 Cs 46/24, jeweils Beck-Online).

Darüber hinaus muss dem Ausnahmecharakter einer Entscheidung gemäß § 46 Abs. 1 OWiG i.V.m. § 467 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 StPO Rechnung getragen werden. Es müssen besondere Umstände vorliegen, die die Belastung der Landeskasse mit den Auslagen des Betroffenen als billig erscheinen lassen (BVerfG, Beschluss vom 26.05.2017, Az. 2 BvR 1821/13; BGH, Beschluss vom 24.05.2018, AZ: 4 StR 51117, jeweils Beck-Online; Meyer-Goßner/Schmitt, Rdnr. 18 m.w.N.). Ein Rückgriff auf pauschalisierende und nicht am jeweils vorliegenden Einzelfall orientierte Faustregeln verbietet sich.

Einen Regelsatz, nachdem die notwendigen Auslagen eines Betroffenen grundsätzlich nicht der Landeskasse aufzuerlegen seien, wenn sich im Laufe des Verfahrens der Eintritt der Verjährung herausstellt, gibt es nicht.

Gegen eine Auslagenerstattung durch die Landeskasse kann insbesondere sprechen, dass das Verfahrenshindernis durch den Betroffenen herbeigeführt worden ist oder sonst auf einem vorwerfbaren prozessualen Fehlverhalten beruhte (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, a.a.O., 467 Rn. 18,

Daran gemessen sind besondere Gründe für ein Absehen von der Auslagenüberbürdung auf die Landeskasse gemäß § 46 Abs, 1 OWiG i.V.m. § 467 Abs. 3 S. 2 Nr. 2 StPO hier nicht auszumachen – und werden im übrigen durch das Amtsgericht auch nicht dargelgt.

Der Eintritt der Verfolgungsverjährung ist in keiner Weise der Sphäre des sich zu jedem Zeitpunkt ordnungsgemäß und sachlich verteidigenden Betroffenen zuzuordnen, sondern ausschließlich auf den Umstand zurückzuführen, dass die Akte, eingegangen bei Gericht am 10.07.2024. ohne aktenkundig gemachte Gründe bis zum 30.01.2025 unbearbeitet beim Amtsgericht Germersheim lag, wobei zwischendurch lediglich jeweils durch den Referatsvorgänger der letztlich entscheidenden Richterin mehrfach die Wiedervorlage zur Terminierung, letztmalig am 17.12.2024 für den 17.01.2028 neu verfügt wurde. Der Eintritt der Verfolgungsverjährung ist damit ausschließlich auf gerichtsinterne Umstände zurückzuführen. Die Entscheidung des Amtsgerichts, die notwendigen Auslagen der vormals Betroffenen nicht der Staatskasse aufzuerlegen, stellt sich vor diesem Hintergrund als ermessensfehlerhaft dar und war zu korrigieren.“

Alles schon häufig gelesen, aber immer wieder schön zu lesen 🙂 . Oder: Manche lernen es nie 🙂

Erstattung I: § Einstellung nach 47 Abs. 2 OWiG, oder: Wenn das AG erforderlich Sachaufklärung „scheut“

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Und dann am RVG-Tag noch einmal zwei LG-Entscheidungen zur Auslagenerstattung im Bußgeldverfahren nach Einstellung des Verfahrens.

Den Opener macht der LG Frankfurt am Main, Beschl. v. 21.03.2025 – 5/9 Qs OWi 20/25 – in einem Verfahren, das vom AG nach § 47 Abs. 2 OWiG eingestellt worden ist.  Das AG hatte gem. § 467 Abs. 4 StPO, § 46 OWiG davon abgesehen, die notwendigen Auslagen des Betroffenen der Staatskasse aufzuerlegen. Dagegen hat der Verteidiger Rechtsmittel eingelegt. Dieses hatte Erfolg:

„Der Schriftsatz des Verteidigers vom 25.02.2025 (BI. 67 der Akte) ist als außerordentlicher Rechtsbehelf der Beschwerde gegen den Beschluss des Amtsgerichts Frankfurt am Main vom 18.11.2024 (BI. 48 der Akte), fälschlicherweise ausgefertigt unter dem 19.11.2024 (BI. 49 der Akte), auszulegen. Diese ist im vorliegenden Fall ausnahmsweise zulässig und auch in der Sache begründet.

Das Amtsgericht hat in dem angefochtenen Beschluss vom 18.11.2024 das Ordnungs-widrigkeitsverfahren gegen den Betroffenen gem. § 47 OWiG auf Kosten der Staatskasse eingestellt und gern. § 467 Abs. 4 StPO, § 4te OWiG davon abgesehen, die notwendigen Auslagen des Betroffenen der Staatskasse aufzuerlegen. Der gerichtliche Einstellungsbeschluss nach § 47 Abs. 2 OWiG ist grundsätzlich unanfechtbar, § 47 Abs. 2 Satz 3 OWiG.

Indes ist nach verfassungsrechtlicher und höchstrichterlicher Rechtsprechung in Fällen groben prozessualen Unrechts dem Betroffenen ein außerordentlicher Rechtsbehelf in Form einer einfachen Beschwerde zuzugestehen. Das Bundesverfassungsgericht führt dazu in seinem Kammerbeschluss vom 15.08.1996 (Az.: 2 BvR 662/95 — bei juris, Rn. 14) aus: „Bereits in der Rechtsprechung des Reichsgerichts war anerkannt, dass gerichtliche Entscheidungen, gegen die ein ordentlicher Rechtsbehelf nicht mehr statthaft ist, ausnahmsweise zurückgenommen werden können, wenn sie auf einer unrichtigen tatsächlichen Grundlage ergangen waren; diese Rechtsprechung galt selbst für der vollen Rechtskraft fähige Beschlüsse, etwa im Revisionsverfahren (vgl. RGSt 59, 420). Diese Rechtsprechung ist vom Bundesgerichtshof (vgl. BGH MDR 1951, S. 771) und ihm folgend von der obergerichtlichen Rechtsprechung übernommen und fortgesetzt worden (vgl. nur OLG Stuttgart, MDR 1982, S. 341, 342; OLG Celle, NStZ 1983, S. 328, 329; OLG Rostock, NZV 1994, S. 287, 288 jeweils m.w.N.).

Geht es um die Beseitigung groben prozessualen Unrechts, ist es danach grundsätzlich zumutbar, Abhilfe zunächst durch Einlegung auch eines außerordentlichen Rechtsbehelfs im fachgerichtlichen Verfahren zu suchen.“ (LG Wiesbaden, Beschluss vom 7. Juni 2024 — 2 Qs 47/24 Rn. 11, juris)

Grobes prozessuales Unrecht liegt nicht schon in jeder fehlerhaften Gesetzesanwendung. Ginge man hiervon aus, würde hiermit eine generelle Beschwerdemöglichkeit eingeführt, gleich einem ordentlichen Rechtsbehelf, welcher nach dem Gesetz aber in Fällen wie dem vorliegenden ausdrücklich ausgeschlossen ist. Grobes prozessuales Unrecht liegt aber dann vor, wenn eine Entscheidung erkennbar auf sachfremden oder offensichtlich unhaltbaren Erwägungen beruht, sie sich letztlich als willkürlich erweist.

So liegt der Fall hier. Bereits mit Schriftsatz vom 17.10.2024 hatte der Verteidiger vorgetragen, dass der Betroffene nicht der Fahrer des Fahrzeugs zum Tatzeitpunkt gewesen sei, es handele sich wohl um einen Familienangehörigen (BI. 41 der Akte). Mit Schreiben vom 06.11.2024 (BI. 44 der Akte) teilte das Amtsgericht dem Betroffenen und dem Verteidiger mit, dass es erwäge, „wegen Unverhältnismäßigkeit einer weiteren Sachaufklärung“, das Verfahren gemäß § 47 Abs. 2 OWiG ohne Erstattung der notwendigen Auslagen des Betroffenen einzustellen. Dem widersprach der Betroffene durch seinen Verteidiger mit Schriftsatz vom 14.11.2024 (BI. 46 der Akte), da er unschuldig sei und es nicht angehe, eine Einstellung ohne Erstattung der notwendigen Auslagen des Betroffenen durchzuführen. In der Folge kam es zu dem angefochtenen Beschluss.

Das Amtsgericht hat mit seinem Schreiben vom 06.11.2024 zu erkennen gegeben, dass der Sachverhalt aus seiner Sicht nicht ausreichend aufgeklärt war und entsprechend weitere Sachaufklärung erforderlich gewesen wäre. Dies lag auch auf der Hand, weil der Betroffene seine Fahrereigenschaft bestritten hat. Scheut das Gericht aber eine von ihm selbst für erforderlich gehaltene Sachaufklärung und stellt daraufhin das Verfahren gem. § 47 Abs. 2 OWiG ein, kann das Ermessen hinsichtlich der Auslagenentscheidung willkürfrei regelmäßig nur dahingehend ausgeübt werden, dass es bei der grundsätzlichen Regelung des § 467 Abs. 1 StPO i. V. m. § 46 Abs. 1 OWiG zu verbleiben hat. Dass das Amtsgericht hingegen Ermessenserwägungen angestellt hat, die dem Willkürverbot standhielten, ist nicht ersichtlich, weil das Amtsgericht nicht näher begründet hat, warum es davon abgesehen hat, die notwendigen Auslagen des Betroffenen der Staatskasse aufzuerlegen. Entsprechend war die Auslagenentscheidung wie aus der Beschlussformel ersichtlich abzuändern.“

Die Entscheidung ist zutreffend. Die deutlichen Worte des LG in Richtung AG sind zu begrüßen, zumal sie nicht nur in der vorliegenden Sache Bedeutung habe, sondern darüber hinaus gehen. Denn in der Praxis wird von der Gerichten gern und manchmal auch vorschnell die Flucht in den § 47 Abs. 2 OWiG ergriffen, um sich langwierige Beweisaufnahmen, wie sie hier auch wohl drohten, zu ersparen. Das ist in Zeiten knapper Ressourcen zwar nachvollziehbar, kann aber nicht insofern zu Lasten des Betroffenen gehen, dass er den vom Gericht gewählten Weg der Arbeitserleichterung nun auch noch damit „bezahlen“ soll, dass er auf seinen notwendigen Auslagen „sitzen bleibt“.

OWI III: Diverses zu Fahrverbot und Geldbuße, oder: Zeitablauf, Hinweis, Absehen, Ausnahme, Reudzierung

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Und – wie im Verfahren – am Tagesende einige Rechtsfolgeentscheidung, und zwar zum Fahrverbot und eine zur Geldbuße.

Auch hier gibt es nur die Leitsätze, da die Entscheidungen nur die vorhandene Rechtsprechung fortschreiben. Wesentliche Neues enthalten sie nicht. Die Entscheidung zum Absehen bzw. Beschränkung des Fahrverbotes auf eine bestimmte Motorleistung ist m.E. falsch.

Es handelt sich um folgende Entscheidungen:

Ist im Bußgeldbescheid ein Fahrverbot nach § 25 StVG nicht angeordnet worden, so darf das Gericht nur dann auf diese Nebenfolge erkennen, wenn es in entsprechender Anwendung des § 265 Abs. 2 StPO den Betroffenen zuvor auf diese Möglichkeit hingewiesen hat.

1. Ob ein Absehen von einem Fahrverbot wegen langer Verfahrensdauer zu erwägen ist, ist eine Frage des Einzelfalls und kommt regelmäßig erst in Betracht, wenn seit der zu ahnenden Ordnungswidrigkeit deutlich mehr als zwei Jahre vergangen sind. Hierbei ist grundsätzlich auf den Zeitraum zwischen Tat und letzter tatrichterlicher Entscheidung abzustellen.

2. Bei einer rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung kommt in Betracht, dass ein ordnungsgemäß verhängtes Fahrverbot teilweise oder vollständig als vollstreckt gilt. Ob eine rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung vorliegt, ist eine Frage des Einzelfalls. Das Gericht muss in einem solchen Fall erkennen lassen, dass es diesen Gesichtspunkt erwogen hat.

Ein Fahrverbot kann derart beschränkt werden, dass es Verbrennermotoren bis 60 kW Motorleistung ausnimmt.

1. Im Rahmen des Regelfahrverbotes nach Nr. 39.1 BKat führen die bloße Unübersichtlichkeit des Tatortes mit vielen Fahrzeugen, vielen Fahrspuren, vielen reflektierenden Lichtern infolge schlechten Wetters im Dunkeln nicht zu einem Wegfall der Indizwirkung des Regelfahrverbotstatbestands. Derartige Umstände entlasten nicht, sondern verschärften noch den der Betroffenen beim Abbiegen mit Unfallverursachung zu machenden Fahrlässigkeitsvorwurf. Schon unter besten Sichtbedingungen ist es falsch und führt zu einem Regelfahrverbot, wenn man in den entgegenkommenden Verkehr beim Abbiegen fährt und hierbei einen Unfall verursacht.

2. Ein eingetretener Eigenschaden, der nach Angaben der Betroffenen durch die Vollkaskoversicherung mit 600,00 € Selbstbeteiligung übernommen wurde, ist nicht geeignet, tatbezogene Besonderheiten im Rahmen der Nr. 39.1 BKat feststellen zu können, die zu einem Absehen vom Regelfahrverbot führen mussten.

3. Fehlende Voreintragungen allein sind kein nicht Grund, von einem Regelfahrverbot abzusehen.

4. Auch eine Gesamtschau aller vorstehend genannten Umstände ist nicht geeignet, die Indizwirkung der Regelfahrverbotsanordnung der Nr. 39.1 BKat zu erschüttern.

Ein Augenblicksversagen fehlt, wenn vor dem Erreichen eines Kreuzungsbereiches eine 30-er Zone endet und beim Linksabbiegen in eine andere Straße ein Zeichen 274 mit einer Geschwindigkeitsbeschränkung auf 30 km/h und noch wenige Meter danach eine Lichtzeichenanlage für Fußgängerüberquerungen aufgestellt ist und der Fahrzeugführer das 30-km/h-Schild bei dem Linksabbiegen und Einfahren in die neue Straße übersieht. Eine derartige Beschilderung ist auch nicht verfahrensrelevant widersprüchlich.

Bei drohenden Schwierigkeiten im Hauptberuf durch unbezahlte Freistellung und drohenden erheblichen wirtschaftlichen Einbußen im Nebengewerbe kann bei einem nicht vorbelasteten Täter eines qualifizierten Rotlichtverstoßes, der den Einspruch auf die Rechtsfolge beschränkt hat, unter angemessener Erhöhung der Regelgeld-buße von einer Fahrverbotsanordnung abgesehen werden.

Von dem im Bußgeldbescheid verhängten Regelsatz kann zugunsten des Betroffenen gemäß § 17 Abs. 3 OWiG abgewichen werden, wenn der geringfügig vorgeahndete Betroffene mit der Teilnahme an einer verkehrspsychologischen Einzelintervention positives Nachtatverhalten gezeigt hat.

 

 

OWi II: Bunt Gemischtes zum Verfahrensrecht, oder: Einstellung, Verjährung, WhatsApp, AG-Vorlage, Gründe

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Und dann kommen im zweiten Posting des Tages einige Entscheidungen zum Verfahren(srecht), dreimal „OLG“ und viermal von Amtsgerichten. Ich stelle aber jeweils nur die Leitsätze zu den Entscheidungen vor. Die lauten:

Das tatrichterliche Urteil muss bei Geschwindigkeitsmessungen mittels standardisierter Messverfahren Feststellungen zum angewandten Messverfahren und zum in Ansatz gebrachten Toleranzabzug enthalten.

1. Ergeht gegen eine auf der Grundlage von § 30 OWiG in Anspruch genommene neben- oder „verfahrensbeteiligte“ juristische Person ein Verwerfungsurteil nach § 74 Abs. 2 OWiG, so muss sich deren Verfahrensrolle aus der Rechtsbeschwerdebegründung ergeben, weil § 74 Abs. 2 OWiG auf die bußgeldrechtliche Inanspruchnahme einer juristischen Person als Nebenbeteiligte nicht anwendbar ist und stattdessen die §§ 46 Abs. 1 OWiG, 444 StPO gelten (vgl. BGHSt 66, 309).

2. Zu den Darlegungsanforderungen bei der Rüge nicht ordnungsgemäßer Ladung zur Hauptverhandlung.

Ohne die Aktenvorlage der Staatsanwaltschaft nach § 69 Abs. 4 OWiG darf der Richter sich nicht mit der Angelegenheit befassen, da die förmliche Zuleitung der Akte an das Gericht durch die Staatsanwaltschaft Verfahrensvoraussetzung für das gerichtliche Verfahren ist.

Eine audiovisuelle Zeugenvernehmung nach § 247a StPO in Verbindung mit § 71 OWiG kann auch per WhatsApp über das Betroffenenhandy stattfinden, wenn die an der Vernehmung beteiligten Personen trotz Hinweises auf datenschutzrechtliche Bedenken hierbei freiwillig mitmachen.

Aufgrund eines Zeitablaufs von mittlerweile fast sechs Jahren seit Tatbegehung ist die Schuld des Betroffenen als so gering anzusehen, dass eine Einstellung des Verfahrens rechtfertigt ist.

Hat die Bußgeldbehörde auf einen Antrag des Betroffenen nicht vollständig Akteneinsicht gewährt, hat die Bußgeldbehörde im Rahmen des Abhilfeverfahrens betreffend einen Antrag nach§ 62 OWiG zu entscheiden, inwieweit weitere Akteneinsicht zu gewähren ist. Soweit die Bußgeldbehörde dem Antrag auf Einsicht in die begehrten Unterlagen nicht abhilft, ist das Verfahren gern. § 62 Abs. 2 OWiG i. V. m. § 306 Abs. 2 Hs 2 StPO dem Amtsgericht zur Entscheidung vorzulegen.

Eine Unterbrechung und Verlängerung der Verjährungsfrist erfolgt nicht durch die Zustellung des Bußgeldbescheides, wenn bei der Zustellung das Zustelldatum nicht auf dem (Brief)Umschlag eingetragen wurde.

OWi I: Entscheidung über Aussetzung vor dem Urteil, oder: Beweisantragsablehnung in den Urteilgründen

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Und dann heute ein OWi-Tag, ich habe ja neulich einiges an Material bekommen.

Zunächst stelle ich hier den OLG Celle, Beschl. v. 07.02.2025 – 3 Orbs 6/25 – vor. Ergangen ist die Entscheidung in einem Verfahren, in dem das AG den Betroffenen wegen einer fahrlässigen Geschwindigkeitsüberschreitung zu einer Geldbuße von 150 Euro verurteilt hat. Dagegen hat sich der Betroffene mit seiner mit einem Zulassungsantrag verbundenen Rechtsbeschwerde gewendet, mit der er die Verfahrensrügen der Versagung des rechtlichen Gehörs, der Verletzung des Anspruchs auf ein faires Verfahren und der unzulässigen Beschränkung der Verteidigung erhoben hat.

Das OLG hat die Rechtsbeschwerde zugelassen und das AG-Urteil aufgehoben:

„Die Rechtsbeschwerde des Betroffenen ist zuzulassen, weil es geboten ist, das angefochtene Urteil wegen Versagung des rechtlichen Gehörs aufzuheben (§ 80 Abs. 1 Nr. 2 OWiG).

1. Der Beschwerdeführer beanstandet zu Recht, dass das Amtsgericht durch Übergehen eines in der Hauptverhandlung gestellten Aussetzungsantrags seinen Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt hat.

a) Der Rüge liegt folgender Sachverhalt zugrunde:

Die Region Hannover setzte mit Bußgeldbescheid vom 18. Dezember 2023 gegen den Beschwerdeführer eine Geldbuße von 150 Euro fest. Dem Beschwerdeführer wurde vorgeworfen, am 12. Juli 2023 in der Gemarkung Großburgwedel auf der A7 bei Kilometer 130,22 Fahrtrichtung Hannover als Führer eines PKW die zulässige Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften von 100 km/h um 28 km/h überschritten zu haben. Die Messung erfolgte mit dem Messgerät Poliscan FM1, Softwareversion 4.4.9.

Bereits mit Schriftsatz vom 15. Dezember 2023 hatte der Verteidiger des Betroffenen unter anderem beantragt, ihm nicht bei den Akten befindliche Unterlagen, u.a. die digitalen Falldatensätze der gesamten Messreihe mit Token-Datei und Passwort zur Verfügung zu stellen. Die Verwaltungsbehörde übersandte ihm daraufhin mit Schreiben vom 19. Dezember 2023 die den Beschwerdeführer betreffende Falldatei im tuff-Format und teilte dazu mit, dass zur Auslesung der Datei ein passendes Auswerteprogramm nötig sowie über die Hessische Eichdirektion ein Auswerteschlüssel (Token) zu beschaffen sei. Der Token enthalte anders als die Falldatei keine die einzelne Messung betreffenden Daten zu Überprüfung der Gültigkeit der Messung. Der Token diene dazu, die verschlüsselte Falldatei auszulesen, wie auch daneben der Tuffviewer erforderlich sei. Um die Gültigkeit der Messung zu überprüfen, sei auch die Prüfung erforderlich, dass die Falldatei nicht manipuliert worden sei. Eben diese Prüfung sei jedoch mit dem Token der Verwaltungsbehörde nicht möglich. Der Beschwerdeführer habe die Möglichkeit, sich über die Hessische Eichdirektion einen Gutachtertoken zu beschaffen, um anschließend die Falldatei und damit die Messung zu überprüfen.

Den gegen die Entscheidung der Verwaltungsbehörde gerichteten Antrag des Beschwerdeführers vom 3. Januar 2024 nach § 62 OWiG wies das Amtsgericht mit Beschluss vom 9. April 2024 als unbegründet zurück. Der Token der Bußgeldbehörde sei nicht herauszugeben. Denn er sei nicht geeignet, die Messung zu überprüfen, weil er, anders als die Falldatei, keine die einzelne Messung betreffenden Daten zu Überprüfung der Gültigkeit der Messung enthalte. Vielmehr wäre er potenziell geeignet, die Daten der Messdatei zu verändern, weshalb er nur an Behörden herausgegeben werde.

In der Hauptverhandlung am 19. September 2024 stellte der Verteidiger des Betroffenen mehrere – auch als solche überschriebene – Beweisanträge auf Durchführung einer Ortsbesichtigung, Einholung einer Behördenerklärung der Autobahnmeisterei, Vernehmung weiterer Zeugen und Einholung eines Sachverständigengutachtens. Des Weiteren stellte er einen als „Einsichts- bzw. Aussetzungsantrag“ überschriebenen Antrag, ihm weitere, konkret bezeichnete Unterlagen, unter anderem digitale Falldatensätze der gesamten Messreihe mit Token-Datei und Passwort zur Verfügung zu stellen oder durch die Verwaltungsbehörde zur Verfügung stellen zu lassen und die Hauptverhandlung auszusetzen, bis die Verteidigung die beantragten Unterlagen erhalten habe und diese – gegebenenfalls durch einen technischen Sachverständigen – überprüfen konnte, sowie über die vorstehenden Anträge durch Gerichtsbeschluss zu entscheiden.

Das Amtsgericht verkündete daraufhin folgenden Beschluss:

„Die Anträge vom 18. u. 19.9.2024 werden – soweit es sich um Beweisanträge handelt – gem. § 77 Abs. 2 Nr. 1 OWiG zurückgewiesen, weil die Beweiserhebung zur Erforschung der Wahrheit nicht erforderlich ist.

Gründe: Es handelt sich um ein standardisiertes Messverfahren. Anhaltspunkte, die auf eine fehlerhafte Anwendung oder Funktion des Messgerätes hindeuten könnten, liegen nicht vor.“

Weitere Beschlüsse wurden in der Hauptverhandlung bis zur Urteilsverkündung nicht verkündet.

Nach Erlass des angefochtenen Urteils beantragte der Verteidiger erneut erfolglos bei der Verwaltungsbehörde die Bereitstellung der begehrten Daten.

b) Das Übergehen des Aussetzungsantrags begründet eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör gemäß Art. 103 Abs. 1 GG (vgl. OLG Karlsruhe, Beschluss vom 11. Juli 2023 – 2 ORbs 35 Ss 334/23 –, Rn. 6, juris).

aa) Der Anspruch auf rechtliches Gehör beinhaltet das Recht der Beteiligten, durch rechtliches und tatsächliches Vorbringen Einfluss auf das Prozessergebnis zu nehmen (vgl. BVerfGE 60, 175 <210 ff.>; 64, 135 <143 f.>; 65, 227 <234>; 84, 188 <190>; 86, 133 <144>; 107, 395 <409>). Das entscheidende Gericht muss die Ausführungen der Beteiligten zur Kenntnis nehmen und in Erwägung ziehen (vgl. BVerfGE 21, 191 <194>; 96, 205 <216>). Zwar ist grundsätzlich davon auszugehen, dass ein Gericht diese Maßstäbe auch erfüllt. Das Recht aus Art. 103 Abs. 1 GG ist indes verletzt, wenn im Einzelfall besondere Umstände deutlich machen, dass ein Gericht dieser Pflicht nicht nachgekommen ist (vgl. BVerfGE 25, 137 <140 f.>; 85, 386 <404>; 96, 205 <216 f.>).

bb) Diesen Maßstäben wird das erstinstanzliche Verfahren nicht gerecht. Das Amtsgericht hat in der Hauptverhandlung nur die Beweisanträge durch Beschluss beschieden, nicht aber den Aussetzungsantrag. Über einen Aussetzungsantrag hat das Gericht aber noch vor der Urteilsverkündung durch Beschluss zu entscheiden, der mit Gründen zu versehen ist (vgl. Becker in: Löwe-Rosenberg, StPO, 27. Aufl., § 228 Rn. 18; KK-StPO/Gmel/Peterson 9. Aufl. § 228 Rn. 5, 6; Meyer-Goßner/Schmitt/Schmitt StPO 67. Aufl. § 228 Rn. 6). Daran fehlt es hier.

Das Übergehen des Aussetzungsantrags stellt auch einen besonderen Umstand dar, der eine Gehörsverletzung indiziert. Denn der Antrag war nicht aus Rechtsgründen unbeachtlich. Es ist bereits obergerichtlich entschieden, dass bei Messungen mit dem Messgerät des Typs Poliscan FM 1, Softwareversion 4.4.9, die Token-Datei und das Passwort dem Betroffenen zur Verfügung gestellt werden müssen, damit dieser die überlassene Falldatei entschlüsseln und (aus-)lesen und so die Integrität der Messdaten prüfen kann, und dass diesem Anspruch auch nicht entgegengehalten werden kann, die Verwaltungsbehörde verfüge lediglich über einen sog. Sammel-Token (OLG Saarbrücken, Beschluss vom 14. März 2024 – 1 Ss (OWi) 7/24 –, juris; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 22. August 2023 – 1 ORbs 34 Ss 468/23 –, juris). Bedenken gegen die Herausgabe des Sammel-Tokens greifen jedenfalls insoweit nicht durch, als dass der Verteidigung auch ein Einzel-Token zur Verfügung gestellt werden kann. Soweit dieser der Verwaltungsbehörde nicht unmittelbar vorliegt, sondern von ihr ggf. bei der Eichdirektion angefordert werden muss, steht dies dem rechtlichen Gebot der Bereitstellung nicht entgegen (OLG Saarbrücken aaO). Denn die Verwaltungsbehörde verfügt mit der ihr vorliegenden (Sammel-)Token-Datei einschließlich des zugehörigen Passworts über die Instrumente und Daten, die eine Entschlüsselung des Datensatzes erlauben, der der verfahrensgegenständlichen Geschwindigkeitsmessung zugrunde liegt. Will oder darf die Verwaltungsbehörde diesen digitalen Schlüssel aus datenschutzrechtlichen Gründen oder vertraglichen Verpflichtungen gegenüber dem Hersteller nicht herausgeben, darf dies von Rechts wegen nicht das Recht der Verteidigung auf Einsicht in den digitalen Falldatensatz beeinträchtigen, sofern die technische Möglichkeit besteht, der Verteidigung auch ohne Herausgabe des Sammel-Tokens, etwa durch Übermittlung eines, ggf. zu beschaffenden, Einzel-Tokens die Entschlüsselung des Falldatensatzes der verfahrensgegenständlichen Messung zu ermöglichen. Es geht dann nicht darum, dem Betroffenen und seinem Verteidiger Beweismittel und Daten, die der Verwaltungsbehörde nicht vorliegen, erst zu beschaffen (vgl. dazu BVerfG, Beschlüsse vom 21. Juni 2023 – 2 BvR 1082/21 –, juris Rn. 58, vom 20. Juni 2023 – 2 BvR 1167/20 –, juris Rn. 51, vom 21. Juni 2023 – 2 BvR 1082/21 –, juris Rn. 58 und vom 21. Juni 2023 – 2 BvR 1090/21 –, juris Rn. 44; OLG Karlsruhe aaO), sondern ihnen dieselbe Möglichkeit zur Auslesung und Prüfung der Falldatei zu geben, die der Verwaltungsbehörde aufgrund der dort vorliegenden Token-Datei eröffnet ist (OLG Saarbrücken aaO).

2. Eine weitere Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör liegt in der Bescheidung des Beweisantrags hinsichtlich der Beschilderung und Beschaffenheit der Fahrbahn an der Messstelle. Das Amtsgericht hat den Antrag gemäß § 77 Abs. 2 Nr. 1 OWiG zurückgewiesen und von der Möglichkeit nach Abs. 3 Gebrauch gemacht, den in der Hauptverhandlung verkündeten Ablehnungsbeschluss mit einer Kurzbegründung zu versehen und eine nähere Begründung der Ablehnung in den Urteilsgründen vorzunehmen. In den Urteilsgründen finden sich auch Ausführungen zur Begründung der Ablehnung. Allerdings gehen diese nicht auf den entscheidenden Kern des Vorbringens im Beweisantrag ein. Danach sei nämlich die Geschwindigkeitsbeschränkung über die Lichtzeichen der Verkehrsbeeinflussungsanlage mit am Straßenrand aufgestellter Blechbeschilderung kombiniert gewesen, die das Gefahrzeichen 101 mit dem Zusatzzeichen „Straßenschäden“ gezeigt habe, und die Fahrbahn sei bereits 200 m vor dem Standort des Messgerätes wieder in einwandfreiem Zustand gewesen, wobei dies so offensichtlich gewesen sei, dass die streckenbezogene Geschwindigkeitsbeschränkung dort bereits geendet habe. Hierauf ist das Amtsgericht in den Urteilsgründen nicht eingegangen. Soweit darin der Beschilderungsplan erwähnt wird, ist dessen genauer Inhalt nicht mitgeteilt worden.

Die fehlende Auseinandersetzung mit dem wesentlichen Antragsvorbringen stellt auch einen besonderen Umstand dar, der eine Gehörsverletzung indiziert. Denn es war nicht aus Rechtsgründen unbeachtlich. Maßgeblich für das Ende einer streckenbezogenen Geschwindigkeitsbeschränkung ist die Erläuterung Lfd. Nr. 55 der Anlage 2 zu § 41 Abs. 1 StVO (vgl. Senatsbeschluss vom 8. November 2018 – 3 Ss (OWi) 190/18 –, Rn. 6, juris mwN). Danach gilt der Grundsatz, dass das Ende einer streckenbezogenen Geschwindigkeitsbeschränkung gekennzeichnet ist durch die Zeichen 278 bis 282. Eine Kennzeichnung erfolgt nicht, wenn auf einem Zusatzzeichen die Länge des Verbots angegeben ist. Schließlich ist das Ende des Streckenverbots auch dann nicht gekennzeichnet, wenn das Verbotszeichen zusammen mit einem Gefahrzeichen angebracht ist und sich aus der Örtlichkeit zweifelsfrei ergibt, von wo an die angezeigte Gefahr nicht mehr besteht. Der Verteidiger hat in dem Beweisantrag auch darauf hingewiesen, dass eine Kombination von Verbots- mit Gefahrzeichen auch dann vorliegen kann, wenn diese mittels verschiedenartiger Beschilderung, etwa über eine Verkehrsbeeinflussungslage mit zusätzlicher Blechbeschilderung erfolgt, solange sich die verschiedenen Verkehrszeichen – sei es auch teilweise ohne räumliche Verbindung – ohne weiteres auf dieselbe Gefahrenstelle beziehen (vgl. OLG Köln, Beschluss vom 5. Juli 2017 – III-1 RBs 144/17 –, Rn. 13, juris).“