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OWi III: Verjährungsunterbrechung durch Anhörung?, oder: Anordnung eines Druckauftrags

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Und dann zum Tagesschluss noch der AG Dortmund, Beschl. v. 11.05.2023 – 729 OWi-265 Js 838/23-63/23 – zur Verjährungsunterbrechung (§ 33 OWiG). Der Sachverhalt ergibt sich aus den Beschlussgründen:

„Gegen den Betroffenen ist am 14.03.2023 ein Bußgeldbescheid erlassen worden, gegen den er rechtzeitig Einspruch eingelegt hat.

Die weitere Verfolgung der Ordnungswidrigkeit ist ausgeschlossen, weil inzwischen Verjährung eingetreten ist. Die Tat wurde begangen am 10.12.2022. Der Bußgeldbescheid wurde nicht innerhalb der maßgeblichen 3-Monats-Verjährungsfrist des § 26 Abs. 3 StVG, sondern erst am 14.3.2023  erlassen.

Eine zwischenzeitliche Verjährungsunterbrechung nach § 33 Abs. 1 OWiG kam lediglich durch Anhörung in Betracht. Hierzu finden sich in einer Datenübersicht Bl. 4 d.A. drei Eintragungen, die einer Anhörung möglicherweise zuzuordnen sein könnten:

  1. 12.2022 Druckauftrag „Anhoer“

19.1.2023 Druckauftrag „AnhFErm“

13.2.2023 Druckauftrag „Anhoer“

Ein Druckauftrag kann insoweit zwar u.U. als maßgebliche Unterbrechungshandlung ausreichen (vgl. OLG Hamm SVR 2005, 438; Krenberger/Krumm, OWiG, § 33 Rn. 25). Für keinen dieser Druckaufträge findet sich aber in der Akte ein Schriftstück oder eine andere Art der Dokumentation, was Gegenstand und Inhalt des jeweiligen Druckauftrags oder wer Adressat des möglicherweise erstellten Schriftstücks war. Nicht einmal ist klar, ob mit „Anhoer“ überhaupt eine Anhörung des Betroffenen im OWi-Verfahren gemeint ist. Da eine Unterbrechungshandlung vor Erlass des Bußgeldbescheides also nicht festgestellt werden konnte, war das Verfahren wegen Verjährung gem. §§ 206a StPO, 46 OWiG einzustellen.   Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 46 OWiG i.V.m. § 467 Abs. 1 StPO.“

OWi II: Unterbrechung der Verfolgungsverjährung?, oder: Nicht durch Antrag auf gerichtliche Entscheidung

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Und dann gleich noch einmal Verjährung, nämlich im KG, Beschl. v. 14.06.2023 – 3 ORbs 108/23 – zur Frage der Unterbrechung der Verfolgungsverjährung durch einen Antrag auf gerichtliche Entscheidung nach § 62 OWiG.

Die Frage hat das KG verneint:

„1. Auf die Sachrüge ist bereits v.A.w. zu prüfen, ob die Prozessvoraussetzungen vorliegen (vgl. BGHSt 21, 242). Diese ergibt, dass Verfolgungsverjährung bereits eingetreten war, als die Amtsanwaltschaft die Akten am 4. Oktober 2022 dem Gericht nach § 69 Abs. 4 Satz 2 OWiG vorgelegt hat.

a) Ausweislich des dem Senat im Wege des Freibeweises zugänglichen Akteninhalts hat der Betroffene die verfahrensgegenständliche Handlung am 13. August 2021 begangen. Da sein Aufenthalt nicht ermittelt werden konnte, hat die Polizei am 22. Oktober 2021 das Verfahren vorläufig eingestellt, wodurch der Lauf der dreimonatigen Verfolgungsverjährung unterbrochen wurde (§ 33 Abs. 1 Nr. 5 OWiG). Am 11. November 2021 hat sie die Anhörung des Betroffenen veranlasst, so dass bei Zustellung des Bußgeldbescheides vom 14. Dezember 2021 am 6. Januar 2022 die dreimonatige Verjährungsfrist nach §§ 31 Abs. 1 Nr. 9 OWiG, 26 Abs. 3 StVG noch nicht abgelaufen war. Die durch die Zustellung bewirkte Unterbrechung hatte nach § 26 Abs. 3 StVG zugleich die Verlängerung der Frist der Verfolgungsverjährung von drei auf sechs Monate zur Folge. Diese am 5. Juli 2022 abgelaufene Frist ist nicht erneut unterbrochen worden.

b) Weder der Eingang der Akten beim Gericht am 17. Mai 2022 zwecks Entscheidung über den Antrag auf gerichtliche Entscheidung des Betroffenen (§§ 69, 62 OWiG) noch die Rückgabe der Akten nach Erlass des Beschlusses haben zu einer weiteren Unterbrechung der Verfolgungsverjährung nach § 31 Abs. 1 Nr. 10 OWiG geführt. Denn die Übersendung der Akten hat keine Aktenübersendung i.S.v. § 69 Abs. 3 OWiG dargestellt, weil die hiesige Vorlage auf anderen als den in diesen Regelungen genannten Gründen beruhte (vgl. Gürtler/Thoma in Göhler OWiG 18 Aufl., § 33 Rn 33a f m.w.N.). Auch deren Rücksendung hat nicht der weiteren Aufklärung des Sachverhalts gedient, wie es § 69 Abs. 5 Satz 1 OWiG erfordert.

c) Die Durchführung des Verfahrens nach §§ 69, 62 OWiG hat ebenfalls zu keiner weiteren Unterbrechung der Verjährung geführt. Zwar ist in der obergerichtlichen Rechtsprechung anerkannt, dass auch die Gewährung von Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (und gleiches gilt auch für die Gewährung der Wiederaufnahme eines Verfahrens) dazu führen kann, dass mit der Entscheidung über die Wiedereinsetzung die Frist der Verfolgungsverjährung erneut zu laufen beginnt (für die Wiedereinsetzung: OLG Stuttgart MDR 1986, 608; OLG Düsseldorf MDR 1988, 794; Gürtler/Thoma a.a.O., Vor § 31 Rn. 2b; Ellbogen in KK OWiG 5. Aufl., § 31 Rn. 37 – auch für die Anordnung der Wiederaufnahme des Verfahrens). Das setzt aber jeweils voraus, dass der Bußgeldbescheid bereits vor der Gewährung von Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und vor Eintritt der Verfolgungsverjährung tatsächlich in (Voll-)Rechtskraft erwachsen war (vgl. OLG Karlsruhe, Beschluss vom 9. April 2019 – 1 Rb 7 Ss 39/19 -, juris m.w.N.).

Es bedarf keiner Entscheidung, ob die hiesige Fallkonstellation der Gewährung von Wiedereinsetzung in den vorigen Stand oder der Anordnung der Wiederaufnahme des Verfahrens gleichsteht, weil jedenfalls der Bußgeldbescheid vor Eintritt der Verfolgungsverjährung am 5. Juli 2022 nicht in Rechtskraft erwachsen war. Der Betroffene hat mit dem Schreiben vom 7. Januar 2022 innerhalb der 14-tägigen Frist Einspruch gegen den Bußgeldbescheid eingelegt. Infolgedessen war auch nach Auffassung der Polizei der Bußgeldbescheid nicht rechtskräftig geworden. Die Verwerfung des Einspruchs der Verteidigerin durch die Polizei am 26. April 2022 gegen den Bußgeldbescheid als unzulässig hat ebenfalls nicht zur Rechtskraft geführt, weil die Verteidigerin am 5. Mai 2022 und damit fristgerecht einen Antrag auf gerichtlichen Entscheidung nach § 62 OWiG gestellt hat.

Wegen der bereits am 5. Juli 2022 eingetretenen Verfolgungsverjährung ist offensichtlich, dass auch die Entscheidung des Gerichts über diesen Antrag am 25. Juli 2022 zu keiner weiteren Unterbrechung führen konnte.

d) Selbst wenn das Gericht vor Ablauf des 5. Juli 2022 entschieden hätte, hätte dies zu keiner anderen Betrachtung geführt. Mit dem Beschluss hat das Gericht den Bescheid der Polizei in der Rechtsfolge aufgehoben; lediglich der Schuldspruch ist in Rechtskraft erwachsen. Denn nach den Ausführungen des Gerichts hat es das Schreiben des Betroffenen vom 7. Januar 2022 als ein auf die Rechtsfolge beschränkten Einspruch ausgelegt. Die damit eingetretene sog. horizontale Rechtskraft hat nicht die Rechtswirkung einer Vollrechtskraft und steht der Berücksichtigung von Verfahrenshindernissen nicht entgegen (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 1. Februar 1999 – 2 Ss (OWi) 14/99 – (OWi) 4/99 II -, juris m.w.N.).“

OWi I: Wegen Wiedereinsetzung keine Verjährung, oder: Erfolg bei der Einspruchverwerfung

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Und heute dann mal wieder ein OWi-Tag. Aber: Nichts bahnbrechend Neues, sondern weitgehend „alter Wein in neuen Schläuchen“.

Ich beginne mit dem BayObLG, Beschl. v. 28.03.2023 – 202 ObOWi 314/23 -, der zur Verfolgungsverjährung nach Wiedereinsetzung in die Einspruchsfrist Stellung nimmt und sich auch noch einmal zu den Voraussetzungen des § 74 Abs. 2 OWiG äußert.

Zur Wiedereinsetzung bzw. zur Frage des Eintritts der Verfolgungsverjährung führt das bayObLg aus:

„1. Eine Einstellung des Verfahrens kommt nicht in Betracht, weil das Verfahrenshindernis der Verfolgungsverjährung nicht eingetreten ist.

a) Die Verjährungsfrist betrug zunächst 3 Monate (§ 26 Abs. 3 Satz 1 StVG) und begann mit Beendigung der Handlung (§ 31 Abs. 3 Satz 1 OWiG), hier also am 18.06.2020. Die Verjährung wurde jedenfalls durch den Erlass des Bußgeldbescheids am 15.09.2020, der dem Betroffenen am 17.09.2020 zugestellt wurde, unterbrochen (§ 33 Abs. 1 Satz 1 Nr. 9 OWiG), sodass ab diesem Zeitpunkt die Verjährungsfrist gemäß § 26 Abs. 3 Satz 1 StVG 6 Monate betrug.

b) Entgegen der Ansicht der Generalstaatsanwaltschaft wurde die 6-monatige Verjährungsfrist durch den Akteneingang beim Amtsgericht am 15.04.2021 rechtzeitig unterbrochen (§ 33 Abs. 1 Satz 1 Nr. 10 i.V.m. § 69 Abs. 3 Satz 1 OWiG).

aa) Zwar lagen zwischen der vorhergehenden Unterbrechungshandlung durch den Erlass des Bußgeldbescheids am 15.09.2020 und dem Akteneingang beim Amtsgericht am 15.04.2021 mehr als 6 Monate.

bb) Gleichwohl war die Verjährungsfrist zum letztgenannten Zeitpunkt noch nicht abgelaufen. Denn die durch die Zentrale Bußgeldstelle am 24.11.2020 bewilligte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand vor Versäumung der Einspruchsfrist hatte zur Folge, dass die Verjährungsfrist neu zu laufen begann (vgl. BayObLG, Beschl. v. 16.03.2004 – 2 ObOWi 7/2004 = BayObLGSt 2004, 33 = DAR 2004, 281 = VRS 106, 452 [2004]; Urt. v. 07.10.1953 – 1 St 333/53 = BayObLGSt 1953, 179; OLG Frankfurt, Beschl. v. 25.01.1978 – 1 Ws [B] 36/78 OWiG = BeckRS 2014, 21126; KG, Beschl. v. 04.04.2017 – 3 Ws [B] 43/17 = StraFo 2017, 460; OLG Naumburg, Beschl. v. 04.01.1995 – 1 Ss [B] 254/94 = VRS 88, 456 [1995]; BeckOK OWiG/Gertler OWiG § 31 Rn. 18; KK-OWiG/Ellbogen 5. Aufl. § 31 OWiG Rn. 37; Graalmann-Scheerer in: Löwe-Rosenberg StPO 27. Aufl. 2016 § 46 Rn. 13; Göhler/Gürtler/Thoma OWiG 18. Aufl. Vor § 31 Rn. 2b; LK-StGB/Schmidt 12. Aufl. 2007 § 78 Rn. 10). Mit der Rechtskraft des Bußgeldbescheids, die (zunächst) aufgrund des Ablaufs der Einspruchsfrist eingetreten war, bestand für eine Verfolgungsverjährung nach § 31 OWiG kein Raum mehr; vielmehr lief stattdessen die Frist für die Vollstreckungsverjährung nach § 34 OWiG (OLG Hamm, Beschl. v. 23.05.1972 – 5 Ss OWi 363/72 = NJW 1972, 2097 = MDR 72, 885). Eine neue Verfolgungsverjährung kann in Fällen, in denen das Verfahrensrecht einen Eingriff in die Rechtskraft zulässt, erst zu dem Zeitpunkt beginnen, in dem das rechtskräftig verurteilende Erkenntnis beseitigt wird (BayObLG, Urt. v. 07.10.1953 – 1 St 333/53 a.a.O.). Dies hat zur Folge, dass mit der Bewilligung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, die zur Beseitigung der bis dahin eingetretenen Rechtskraft des Bußgeldbescheids führte, die bei Eintritt der Rechtskraft des Bußgeldbescheids noch nicht abgelaufene Frist für die Verfolgungsverjährung neu zu laufen begann. Mit der Gewährung von Wiedereinsetzung in den vorigen Stand vor Versäumung der Einspruchsfrist durch die Entscheidung der Verwaltungsbehörde vom 24.11.2020 wurde die Rechtskraft des Bußgeldbescheids nachträglich beseitigt. Dies hatte aber nicht etwa zur Folge, dass die ursprüngliche Frist für die Verfolgungsverjährung gleichsam rückwirkend wieder lief. Andernfalls würden für den säumigen Betroffenen Vorteile geschaffen, die er ohne seine Säumnis nicht gehabt hätte, was mit dem Zweck der Wiedereinsetzung nicht vereinbar wäre (OLG Hamm a.a.O.). Durch das Recht der Wiedereinsetzung sollen zwar dem Betroffenen, der unverschuldet eine Frist versäumt hat, keine Nachteile entstehen, eine Besserstellung seiner Rechtsposition ist durch die Vorschriften über die Wiedereinsetzung aber nicht intendiert.

2. In der Folgezeit wurden jeweils weitere Unterbrechungshandlungen vor Ablauf der 6-monatigen Verjährungsfrist nach § 33 Abs. 1 Satz 1 Nrn. 3 und 11 OWiG rechtzeitig vorgenommen bis zu dem ersten in dem Verfahren nach § 74 Abs. 2 OWiG ergangenen Verwerfungsurteil des Amtsgerichts vom 27.01.2022. Seit diesem Zeitpunkt ist der Verjährungsablauf gemäß § 32 Abs. 2 OWiG gehemmt. Der Umstand, dass auf Antrag des Betroffenen in der Folgezeit wegen Versäumung dieser Hauptverhandlung Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 74 Abs. 4 OWiG durch die Beschwerdeentscheidung des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 30.09.2022 bewilligt wurde, beseitigte die Ablaufhemmung nicht (OLG Hamm, Beschl. v. 15.07.2008 – 3 Ss OWi 180/08 = BeckRS 2008, 18098; OLG Zweibrücken, Beschl. v. 19.01.2018 – 1 OWi 2 Ss Bs 84/17 OLGSt OWiG § 74 Nr 24; 09.07.2002 – 1 Ss 74/02 = BeckRS 2002, 31129484; KG, Beschl. v. 15.12.2021 – 3 Ws [B] 304/21 = BeckRS 2021, 45818).“

Aber dann zur Einspruchsveewerfung:

„3. Die Einspruchsverwerfung nach § 74 Abs. 2 OWiG hält rechtlicher Überprüfung nicht stand, weil das Amtsgericht hinreichendes Entschuldigungsvorbringen vor der Hauptverhandlung rechtsfehlerhaft übergangen hat. Dabei kommt es nicht darauf an, dass das Amtsgericht in unzulässiger Weise die Gründe des Urteils, die bereits vollständig im Hauptverhandlungsprotokoll aufgenommen waren, in einer weiteren Urteilsurkunde ergänzt hat. Die Urteilsgründe rechtfertigen die Verwerfung des Einspruchs gegen den Bußgeldbescheid nicht, weil der Betroffene hinreichend entschuldigt im Sinne des § 74 Abs. 2 OWiG war. Denn hierfür ist es ausreichend, dass er schlüssig Umstände vorträgt, die ihm die Teilnahme an der Hauptverhandlung unzumutbar machen; eine Nachweispflicht trifft den Betroffenen nicht (vgl. nur BayObLG, Beschl. v. 06.09.2019 – 202 ObOWi 1581/19 = OLGSt OWiG § 74 Nr 26 m.w.N.). Die mit Schriftsatz der Verteidigerin vom 13.12.2022 vor der Hauptverhandlung dem Amtsgericht mitgeteilten Gründe stellten bei vernünftiger Betrachtung ohne weiteres einen Entschuldigungsgrund in diesem Sinne dar, weil dort – neben dem Hinweis auf einen positiven Covid-19-Test – explizit vom „hohem Fieber, Erbrechen, Durchfall und schweren Erkältungssymptomen“ gesprochen wurde, was eine Unzumutbarkeit der Anreise und der Teilnahme des Betroffenen an der Hauptverhandlung bei verständiger Würdigung zweifelsfrei begründete. Über diesen Vortrag hat sich das Amtsgericht mit neben der Sache liegenden Erwägungen, nämlich unter Rekurs auf den fehlenden Nachweis der geltend gemachten Erkrankungssymptome und auf die nicht mehr bestehende Isolationspflicht in Bayern bei einer Infektion mit dem Corona-Virus, hinweggesetzt. Es hat dabei dem Vortrag des Betroffenen, dem es nicht darum ging, sich zu isolieren, sondern der geltend machen wollte, aufgrund krankheitsbedingter Beschwerden nicht zur Hauptverhandlung anreisen und an ihr teilnehmen zu können, kein Gehör geschenkt und zudem verkannt, dass den Betroffenen keine Nachweispflicht trifft.“

Einstellung des Verfahrens wegen Verfolgungsverjährung, oder: Zusätzliche Verfahrensgebühr?

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Bei der zweiten Entscheidung des Tages handelt es sich um den AG Erkelenz, Beschl. v. 26.01.2021 – 5 OWi-311 Js 1142/19-174/19. Das AG hat die Nr. 5115 VV RVG nach Einstellung des Verfahrens wegen Verjährung festgesetzt:

Die Erinnerung ist zulässig und begründet.

Die vom Verteidiger zur Festsetzung beantragte Gebühr gem. VV-Nrn. 5115 i.V.m. 5107 RVG in Höhe von € 65,00 ist entgegen der Gründe des angefochtenen Beschlusses wohl entstanden.

Das Verfahren wurde durch Beschluss vom 24.04.2020 nicht nur vorübergehend eingestellt. Die Verfahrenseinstellung wegen Eintritts der Verfolgungsverjährung gem. § 206a StPO ist erfolgt, nachdem der Verteidiger zuvor ausweislich BI. 29 GA die Einholung eines Sachverständigengutachtens beantragt hat. Da die Verfolgungsverjährung während der Gutachtenerstellung eingetreten ist, wie das Gericht gern. BI. 93 selber festgestellt hat, ist die durch den Verteidiger erfolgte Beantragung der Einholung eines Sachverständigengutachtens als eine die Einstellung des Verfahrens fördernde Tätigkeit anzusehen (vgl. RVG-Kommentar Gerold/Schmidt, 24. Auflage, Rn. 6 zu RVG VV 5115).

Die zur Festsetzung beantragte Gebühr ist unter Berücksichtigung der Kriterien des § 14 RVG auch nicht unangemessen hoch, so der Erinnerung abzuhelfen und zusätzlich zu den durch den angefochtenen Kostenfestsetzungsbeschluss vom 16.11.2020 für den früheren Betroffenen festgesetzten notwendigen Auslagen in Höhe von € 337,37 weitere € 77,35, bestehend aus der vorstehend genannten Gebühr in Höhe von € 65,00 nebst anteiliger Umsatzsteuer (19 % gern. VV-Nr. 7008 RVG) in Höhe von € 12,35, somit insgesamt € 414,72 festzusetzen waren.“

Die Ausführungen zum Grund sind zutreffend, die zur Höhe der Gebühr überflüssig/falsch, da es sich bei der Nr. 5115 VV RVG um eine Festgebühr in Höhe der Rahmenmitte handelt.

Zusammenspiel von Wiedereinsetzung und Verfolgungsverjährung, oder: Rechtskraft des Bußgeldbescheides?

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Und als zweite Entscheidung dann der OLG Karlsruhe, Beschl. v. 09.04.2019 – 1 Rb 7 Ss 39/19. Ergangen ist der Beschluss in einem Bußgeldverfahren mit dem Vorwurf des fahrlässigen Rotlichtverstoßes. Es geht in dem Beschluss um das Zusammenspiel von Verfolgungsverjährung und Wiedereinsetzung.

Das AG hatte die Betroffene verurteilt. Dagegen die Rechtsbeschwerde des Kollegen S. Kabus aus Bad Saulgau, die beim OLG Erfolg hatte. Das OLG sagt: Es ist/war Verfolgungsverjährung eingetreten:

Die zulässige Rechtsbeschwerde hat auch in der Sache Erfolg, weil ein Verfahrenshindernis vorliegt.

Hinsichtlich des verfahrensgegenständlichen Geschehens war bereits Verfolgungsverjährung eingetreten, als das Amtsgericht mit der Sache befasst wurde.

a) Nach den Feststellungen des Amtsgerichts ereignete sich der verfahrensgegenständliche Vorfall am 07.12.2017, so dass die dreimonatige Verjährungsfrist (§§ 31 OWiG, 26 Abs. 3 StVG. 24 StVO) bei Erlass des Bußgeldbescheides durch die Stadt Karlsruhe am 08.02.2018 noch nicht abgelaufen war. Der Erlass des innerhalb von zwei Wochen zugestellten Bußgeldbescheides bewirkte die Unterbrechung der Verfolgungsverjährung (§ 33 Abs. 1 Nr. 9 OWiG) und hatte nach § 26 Abs. 3 StVG zugleich die Verlängerung der Verjährungsfrist von drei auf sechs Monate zur Folge. Anschließend ereignete sich nichts mehr, was eine erneute Unterbrechung der bis 07.08.2018 laufenden Verjährung zur Folge gehabt hätte. Als die Akten am 10.10.2018 bei dem Amtsgericht Karlsruhe eingingen, war daher bereits Verfolgungsverjährung eingetreten.

b) Auf Grund der von der Verwaltungsbehörde mit Verfügung vom 16.05.2018 gewährten Wiedereinsetzung in den vorigen Stand in die Frist zur Einlegung des Einspruchs gegen den Bußgeldbescheid, begann die Verfolgungsverjährung entgegen der Auffassung des Amtsgerichts und der Generalstaatsanwaltschaft nicht von Neuem, weil der Bußgeldbescheid wegen des rechtzeitigen Einspruchs des Betroffenen zu diesem Zeitpunkt nicht in Rechtskraft erwachsen und die Verfolgungsverjährung nicht abgelaufen war.

Ausweislich des dem Senat im Wege des Freibeweisverfahrens zugänglichen Akteninhalts wurde der am 08.02.2018 erlassene Bußgeldbescheid dem Betroffenen am 14.02.2018 zugestellt. Der den Einspruch des Betroffenen enthaltene Verteidigerschriftsatz ging unstreitig am 19.02.2018 und somit innerhalb der zweiwöchigen Einspruchsfrist bei der Verwaltungsbehörde ein. Weil der Einspruchsschriftsatz jedoch aus ungeklärten Gründen nicht zur Verfahrensakte gelangte, leitete der zuständige Sachbearbeiter der Verwaltungsbehörde – in der irrigen Vorstellung, der Bußgeldbescheid habe Rechtskraft erlangt – die Vollstreckung ein. Nachdem der Verteidiger hiergegen unter Hinweis auf die rechtzeitige Einlegung des Einspruchs interveniert hatte, gewährte die Verwaltungsbehörde dem Betroffenen am 16.05.2018 von Amts wegen Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, obwohl die rechtlichen Voraussetzungen hierfür (§§ 51 Abs. 1 OWiG, 44 Abs. 1 StPO) angesichts des form- und fristgerecht eingelegten Einspruchs nicht vorlagen.

Zwar ist in der obergerichtlichen Rechtsprechung anerkannt, dass die – für das Rechtsbeschwerdegericht nach §§ 52 Abs. 1 OWiG, 46 Abs. 2 StPO in ihren Wirkungen rechtlich bindende (vgl. OLG Braunschweig NJW 1973, 2119) – Gewährung von Wiedereinsetzung in den vorigen Stand auch dazu führen kann, dass mit dem Erlass des Wiedereinsetzungsbeschlusses die Verfolgungsverjährung neu beginnt (OLG Hamm NJW 1972.2097; OLG Stuttgart MDR 1986, 608; KK-OWiG/Ellbogen, 5. Auflage, OWiG, § 31 Rn. 37; Göhler/Gürtler, OWiG, 7. Auflage, Vor § 31 Rn. 2b). Diese Wirkung kann der Wiedereinsetzung aber nur dann zukommen, wenn der Bußgeldbescheid vor ihrer Gewährung und vor Eintritt der Verfolgungsverjährung tatsächlich schon Rechtskraft erlangt hatte (OLG Braunschweig NJW 1973, 2119; Göhler/Gürtler, a.a.O.). Denn mit der Rechtskraft wird die Verfolgung der Ordnungswidrigkeit blockiert, so dass die Rechtskraft das Weiterlaufen der Verfolgungsverjährung ebenso hindert wie ihre Vollendung (vgl. OLG Stuttgart, a.a.O.; OLG Braunschweig, a.a.O.). Lässt die Wiedereinsetzung die Wirkung der Rechtskraft – für die Zukunft – entfallen, so beginnt mit deren Wegfall mithin nicht nur die Verfolgung erneut, sondern auch die Verfolgungsverjährung.

Weil der Bußgeldbescheid im vorliegenden Fall jedoch nicht in Rechtskraft erwachsen war, konnte die Wiedereinsetzung diese auch nicht beseitigen. Die Wirkung der Wiedereinsetzung erschöpfte sich hier vielmehr in der Feststellung, dass der Bußgeldbescheid mit dem Einspruch weiterhin anfechtbar sei (vgl. Graalmann-Scheerer in Löwe-Rosenberg, StPO, 27. Auflage, § 46 Rn. 11). Letztlich kam der Wiedereinsetzung daher im vorliegenden Fall rein deklaratorische Bedeutung zu, weil sie nur den Rechtszustand bestätigte, der für den Betroffenen im Zeitpunkt ihrer Gewährung am 16.05.2018 ohnehin bestand, weil der Einspruch form- und fristgerecht eingelegt worden war (OLG Braunschweig, a.a.O.). Da hier mangels eingetretener Rechtskraft auch der Ablauf der Verfolgungsverjährung nicht blockiert war, konnte die Wiedereinsetzung deren Blockade nicht beseitigen und infolgedessen auch nicht den Neubeginn der Verfolgungsverjährung bewirken. Weil der Bußgeldbescheid nicht in Rechtskraft erwachsen war, lief die Verfolgungsverjährung vielmehr weiter, ohne in irgendeiner Weise von der rein dekiaratorischen Wirkung der Wiedereinsetzung beeinflusst zu werden (vgl. OLG Braunschweig, a.a.O.).

Nähme man dagegen an, die unanfechtbare (§§ 51 Abs. 1 OWiG, 46 Abs. 2 StPO) Gewährung von Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, die auch von Amts wegen ohne entsprechenden Antrag erfolgen kann, würde stets auch dann den Lauf der Verfolgungsverjährung neu beginnen lassen, wenn der Bußgeldbescheid noch nicht in Rechtskraft erwachen ist, so hätte es die Verwaltungsbehörde darüber hinaus – zumindest theoretisch und von Fallgestaltungen offensichtlicher Willkür abgesehen – in der Hand, den Lauf der gesetzlichen Verjährungsfristen nach eigenem Gutdünken zu verlängern. Dies liefe dem auf Wiederherstellung oder Erhaltung des gestörten Rechtsfriedens gerichteten Zweck der Verfolgungsverjährung (vgl. KK-OWiG/Ellbogen, a.a.O., § 31 Rn. 2) zuwider, deren Lauf nach der gesetzlichen Regelungskonzeption nur durch die in §§ 32 und 33 OWiG abschließend aufgeführten Ereignisse (vgl. Göhler/Gürtler, OWiG, 17. Auflage, § 33 Rn. 6) zum Ruhen gebracht oder unterbrochen werden kann.

Da die Taten vor Erlass des angefochtenen Urteils bereits verjährt waren, lag ein von Amts wegen zu beachtendes Verfahrenshindemis bereits im erstinstanzlichen Verfahren vor. Der Senat hebt das amtsgerichtliche Urteil daher auf und stellt das Verfahren nach § 206a StPO ein (vgl. BGH, Beschluss vom 28.10.2010 – 5 StR 263/10).