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Beratung zur Einziehung bei der Haftprüfung, oder: Nach Aktenlage gebotene Beratung

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Immer wieder müssen die Beschwerdekammern unzutreffende Entscheidungen der Kostenbeamten und AG zum Entstehen der zusätzlichen Verfahrensgebühr Nr. 4142 VV RVG reparieren. So jetzt auch das LG Duisburg im LG Duisburg, Beschl. v. 08.08.2025 – 82 Qs 15/25.

Nach dem der Entscheidung zugrunde liegenden Sachverhalt wurde am 24.12.2023 bei der Polizei eine Strafanzeige erstattet wegen eines Wohnungseinbruchsdiebstahls. Am 05.06.2024 ist dann gegen den Angeklagten Haftbefehl erlassen worden wegen des dringenden Tatverdachts, an diesem Wohnungseinbruchsdiebstahl beteiligt gewesen zu sein. Dieser Haftbefehl wurde im Haftbefehlsverkündungstermin vom 28.11.2024 in Vollzug gesetzt. Am selben Tag hat das AG zudem den Rechtsanwalt als Pflichtverteidiger beigeordnet worden.

Dem ehemaligen Angeklagten ist dann mit Anklage vom 17.01.2025 ein gemeinschaftlich mit anderen begangener Wohnungseinbruchsdiebstahl zur Last gelegt worden. Dabei sollen drei Luxushandtaschen der Marken Chanel und Louis Vuitton, eine Geldbörse und einen Koffer der Marke Louis Vuitton, einen Trainingsanzug der Marke Gucci sowie drei Paar Turnschuhe der Marken Louis Vuitton, Dior und Alexander [Mc Queen] entwendet worden sein. Der Angeklagte wurde am 31.03.2025 freigesprochen und der Staatskasse wurden die Kosten des Verfahrens auferlegt. Die Staatsanwaltschaft hat gegen den Freispruch eingelegt.

Der Pflichtverteidiger des Angeklagten hat wegen der bei ihm bislang entstandenen Gebühren einen Vorschuss nach § 47 RVG beantragt. Beantragt worden ist auch die vorschussweise Zahlung der Nr. 4142 VV RVG in Höhe von 399,00 EUR nebst Umsatzsteuer. Zur Begründung hat der Pflichtverteidiger ausgeführt, er habe seinen Mandanten in dem Haftprüfungstermin am 28.11.2024 über die Möglichkeit der Einziehung, insbesondere des Wertersatzes gemäß § 73c StGB, belehrt und ihn dahingehend beraten. Den Gegenstandswert setze er mit 20.000,00 EUR an, da der Geschädigte in der Hauptverhandlung den Wert der Beute auf diesen Betrag geschätzt habe.

Das AG hat die Gebühr Nr. 4142 VV RVG nicht festgesetzt, da eine Einziehung seitens der Staatsanwaltschaft Duisburg weder in der Anklage noch in der Hauptverhandlung beantragt worden sei und daher auch der Freispruch keine derartige Maßnahme umfasse.

Die dagegen gemäß §§ 56 Abs. 2, 33 Abs. 3 RVG gerichtete Beschwerde hatte beim LG Erfolg. Nach Auffassung des LG war auch die Verfahrensgebühr Nr. 4142 VV RVG festzusetzen:

„Die einzig in Streit stehende 1,0 Verfahrensgebühr gemäß §§ 2, 13, 49 RVG i.V.m. Nr. 4142 VV RVG ist angefallen und wäre dementsprechend vom Amtsgericht Oberhausen zu berücksichtigen gewesen. Nach Nr. 4142 VV RVG fällt eine besondere Verfahrensgebühr als Wertgebühr an, wenn der Rechtsanwalt eine auf die Einziehung und verwandte Maßnahmen bezogene gerichtliche oder außergerichtliche Tätigkeit für den Beschuldigten ausübt (vgl. BGH, Beschluss vom 24.02.2015, 1 StR 245/09, Rn. 4; Beschluss vom 29.11.2018, 3 StR 625/17, Rn. 4, jeweils zitiert nach juris). Die Verfahrensgebühr wird dabei auch durch eine bloß beratende Tätigkeit des Rechtsanwalts ausgelöst. Erforderlich, aber auch ausreichend für das Entstehen der zusätzlichen Gebühr ist eine nach Aktenlage gebotene Beratung des Mandanten. Das wird immer dann der Fall sein, wenn Fragen der Einziehung naheliegen. Es kommt weder darauf an, ob der Erlass der Maßnahme rechtlich zulässig ist, noch, ob es an einer gerichtlichen Entscheidung über die Einziehung fehlt, noch ist erforderlich, dass die Einziehung ausdrücklich beantragt worden ist (vgl. OLG Zweibrücken, Beschluss vom 06.07.2023, 1 Ws 22/23, Rn. 7; OLG Dresden, Beschluss vom 26.10.2023, 3 Ws 66/23, Rn. 9, jeweils zitiert nach juris). Entsprechende Verteidigungsbemühungen sind also schon dann vergütungspflichtig, wenn zur Zeit ihrer Vornahme die Einziehung oder eine diesem Zweck dienende Beschlagnahme nach Lage der Dinge in Betracht kommt (vgl. dazu OLG Düsseldorf, Beschluss vom 20.07.2010, III-1 Ws 183/10, Rn. 4, OLG Braunschweig, Beschluss vom 01.03.2022, 1 Ws 38/22, Rn. 3; OLG Zweibrücken, Beschluss vom 06.07.2023, a.a.O.; OLG Dresden, Beschluss vom 26.10.2023, a.a.O., jeweils zitiert nach juris).

Gemessen an diesen Grundsätzen kam bei dem dem Angeklagten pp. zur Last gelegten Wohnungseinbruchsdiebstahl, bei dem Teile der Beute ausweislich der Angaben des Geschädigten weiterhin nicht aufgefunden und zurückgegeben worden sind, jedenfalls eine Einziehung des Wertes der Taterträge nach § 73c StGB in Betracht. Eine solche war von Seiten der Strafverfolgungsbehörden auch zu keinem Zeitpunkt ausgeschlossen worden. Vor diesem Hintergrund hat für den Beschwerdeführer zum Zeitpunkt der Haftprüfung seines Mandanten im November 2024 auch Veranlassung bestanden, diesen über die Möglichkeit einer solchen Maßnahme zu beraten. Ob die Staatsanwaltschaft eine solche Maßnahme bei der Anklageerhebung oder in der Hauptverhandlung tatsächlich beantragen würde, war zu diesem Zeitpunkt offen, aber denkbar.“

Zu der Entscheidung ist nicht viel anzumerken, außer: Sie zutreffend ist und entspricht dem Stand der herrschenden Meinung in der Frage (vgl. u.a. die vom LG zitierten Entscheidungen; wegen weiterer Nachweise siehe Burhoff, AGS 2024, 193 und die Kommentierung der Nr. 4142 VV RVG bei Burhoff/Volpert/Burhoff, RVG Straf- und Bußgeldsachen, 7. Aufl. 2025), den man übrigens <<Werbemodus an: hier (vor)bestellen kann <<Werbemodus aus. Also: Nichts Neues aus Duisburg. Angesicht der eindeutigen weitgehend übereinstimmenden Rechtsprechungsnachweise ist es allerdings erstaunlich, dass die Kostenbeamten, aus welchen Gründen auch immer, immer wieder noch versuchen, den Anwendungsbereich der Nr. 4142 VV RVG einzuengen. Das hat sicherlich auch damit zu tun, dass die Nr. 4142 VV RVG eine reine Wertgebühr ist, die beim (Pflicht)Verteidiger zu nicht unerheblichen Gebühreneinnahmen führen kann, die dann aus der Staatskasse kommen (müssen).

OWi-Verfahren I: Gebühren im Bußgeldverfahren, oder: Gebührenbemessung und Zustimmung zur Einstellung

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Und dann noch wie immer am Freitag: Gebührenrecht. Heute kommen dann mal wieder zwei Entscheidungen zu den Gebühren im Bußgeldverfahren.

Den Opener macht der LG Köln, Beschl. v. 21.03.2025 – 110 Qs 51/24. Dem Betroffenen ist im Bußgeldverfahren ein Verstoß gegen das Verbot der Handynutzung im Straßenverkehr vorgeworfen worden. Hiergegen hat der Betroffene durch seine Verteidigerin Einspruch eingelegt. Nach Anberaumung eines Hauptverhandlungstermins und anschließender Vertagung, ist das Verfahren durch Beschluss des AG nach § 47 Abs. 2 OWiG eingestellt und sind die Kosten des Verfahrens sowie die notwendigen Auslagen des früheren Betroffenen der Staatskasse auferlegt worden.

In ihrem Kostenfestsetzungsantrag hat die Verteidigerin dann die Grundgebühr Nr. 5100 VV RVG, die Verfahrensgebühr für das Verfahren bei der Verwaltungsbehörde Nr. 5103 VV RVG, die Verfahrensgebühr für das Verfahren beim Amtsgericht Nr. 5109 VV RVG und die sog. Befriedungsgebühr/zusätzliche Verfahrensgebühr Nr. 5115 VV RVG geltend gemacht, und zwar jeweils in Höhe der Mittelgebühr. Die Gebühren sind nur zum Teil festgesetzt worden. Dagegen die sofortige Beschwerde, die teilweise Erfolg hatte.

„Die sofortige Beschwerde ist in Bezug auf die Festsetzung weiterer 168,98 EUR (davon 26,98 EUR Umsatzsteuer), die die Beschwerdeführerin aufgrund der Abtretung des Kostenerstat-tungsanspruchs vom 16.12.2022 im eigenen Namen geltend macht, teilweise begründet.

Ausgangspunkt für die Höhe der Gebühr, die der Rechtsanwalt gemäß § 14 Abs. 1 S. 1 RVG unter Berücksichtigung aller Umstände nach billigem Ermessen zu bestimmen hat, ist grundsätzlich der Mittelbetrag der einschlägigen Rahmengebühr (vgl. Burhoff, in: Gerold/Schmidt, RVG, 26. Aufl. 2023, Vorbem. 4 Rn. 19 m. w. N.). Die Mittelgebühr soll gelten, wenn sämtliche gemäß § 14 Abs. 1 Satz 1 RVG zu berücksichtigenden Umstände, also insbesondere Umfang und Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit, Bedeutung der Angelegenheit sowie die wirtschaftlichen Verhältnisse des Auftraggebers als durchschnittlich einzuordnen sind.

Es steht außer Frage, dass Ausgangspunkt für die Tätigkeit des Rechtsanwaltes auch in stra-ßenverkehrsrechtlichen Bußgeldverfahren grundsätzlich die Mittelgebühr für die Gebührenbemessung ist und keineswegs grundsätzlich – allein weil es sich um ein straßenverkehrsrechtli-ches Bußgeldverfahren handelt – ein geringerer Betrag. Sind keine Umstände erkennbar, die eine Erhöhung oder eine Ermäßigung rechtfertigen, entspricht damit die Verteidigung dem Durchschnitt oder dem so genannten „Normalfall“, steht dem Wahlverteidiger grundsätzlich die Mittelgebühr des einschlägigen Gebührenrahmens zu (Mayer in Gerold/ Schmidt, RVG, 22. A., § 14, Rz.10, 54 m.w.N.). Die Mittelgebühr soll regelmäßig durchschnittliche Angelegenheiten abdecken, in straßenverkehrsrechtlichen Bußgeldverfahren gilt nichts anderes. Zu berücksichti-gen ist zudem, dass der Gebührenrahmen alle Arten von Ordnungswidrigkeiten erfasst, also auch solche aus den Bereichen des Bau-, Gewerbe-, Umwelt- oder Steuerrechts, die häufig mit Bußgeldern im oberen Bereich des Bußgeldrahmens geahndet werden und oft mit rechtlichen Schwierigkeiten und/oder umfangreicher Sachaufklärung verbunden sind.

Nach diesen Grundsätzen ist die von der Beschwerdeführerin geltend gemachte Mittelgebühr Nr. 5100 VV RVG angemessen, da es sich vorliegend um eine Angelegenheit von durchschnittlicher Bedeutung handelte. Zwar belief sich der Umfang der Akte zum Zeitpunkt der ersten Ein-sichtnahme auf lediglich 16 Blatt und es lagen zudem keine „klassischen“ gebührenerhöhenden Umstände wie ein Fahrverbot und/oder ein besonders schwerer Verstoß, der den Eintrag von drei Punkten im Verkehrszentralregister zur Folge hätte, vor. Allerdings hat der Aktenumfang vorliegend nur eine geringe Bedeutung, da dieser in straßenverkehrsrechtlichen Ordnungswidrigkeits-Verfahren regelmäßig gering ausfällt. Zudem kommt hier als besonderer Umstand hinzu, dass die Sache von der Beweislage einen höheren Arbeitsaufwand erforderte, da es auf die konkrete Beschaffenheit der Tatörtlichkeit und auf Details in der Wahrnehmung der Polizeibeamten ankam, so dass bereits im Rahmen der Einarbeitung am 16.12.2022 ein umfangreiches Mandantengespräch erforderlich war.

Auch die beanspruchten Mittelgebühren Nr. 5103 und 5109 VV RVG sind – insbesondere vor dem Hintergrund einer zu bejahenden durchschnittlichen Bußgeldsache – nicht zu beanstanden. Zwar ist auch der Umfang der anwaltlichen Tätigkeit ebenfalls als Bemessungskriterium im Sinne des § 14 Abs. 1 S. 1 RVG heranzuziehen (vgl. nur Mayer in: Gerold/Schmidt, RVG, 26. Auf-lage 2023, § 14 Rn. 18). Dieser wirkte sich jedoch vorliegend nicht mindernd aus. Denn die Verteidigerin erbrachte gegenüber der Verwaltungsbehörde und im amtsgerichtlichen Verfahren umfangreichere Tätigkeiten, indem sie nach vorheriger Rücksprache mit dem Mandanten Schriftsätze vom 08.02.2023 und 30.03.2023 zu den Akten reichte, in denen sie jeweils unter anderem die Sach- und Rechtslage aufbereitete.

Die beantragte Befriedigungsgebühr ist jedoch nicht erstattungsfähig. Die Verteidigerin hat keinen die Gebühr auslösenden Beitrag im Sinne einer anwaltlichen „Mitwirkung“ im Sinne der Nr. 5115 VV RVG geleistet. Denn die Verfahrenseinstellung nach § 47 Abs. 2 OWiG erfolgte aus-schließlich auf Betreiben des Amtsgerichts. Der Verteidigerin, die eine solche Einstellung im Verfahren nach Aktenlage auch nicht angeregt hatte, wurde zwar vor der Einstellung rechtliches Gehör gewährt, wobei sie mitteilte, dass sie dieser zustimme. Eine Einstellung gemäß § 47 Abs. 2 OWiG sieht jedoch – anders als bei §§ 153, 153a StPO (vgl. LG Saarbrücken, Beschluss v. 18.12.2015 – Az. 6 Qs 188/15 -, zitiert nach juris Rn. 14) – gerade kein Zustimmungserfordernis des Betroffenen vor.“

Zuzustimmen ist den Ausführungen des LG zur Mittelgebühr als Grundlage der Abrechnung der anwaltlichen Tätigkeit auch in Bußgeldverfahren. Das dürfte inzwischen überwiegende Meinung in der Rechtsprechung der AG und LG sein. Zutreffend sind auch die vom LG bei der Bemessung der einzelnen Gebühren herangezogenen Umstände und deren Gewichtung.

Zu widersprechen ist dem LG allerdings hinsichtlich der nicht gewährten zusätzlichen Verfahrensgebühr Nr. 5115 VV RVG. Anzumerken ist insoweit zunächst, dass die dort vom LG angeführte Belegstelle: „LG Saarbrücken, Beschl. v. 18.12.2015 – 6 Qs 188/15“ – veröffentlich in AGS 2016, 171 = RVGreport 2016, 254 – irreführend ist. Denn in dem LG Saarbrücken-Beschluss ist nicht zur Nr. 5115 VV RVG, sondern zur Nr. 4141 VV RVG Stellung genommen worden. Zu der hier bedeutsamen Frage, ob die bloße Zustimmung des Rechtsanwalts zur Einstellung nach § 47 Abs. 2 OWiG Mitwirkung i.S. der Nr. 5115 VV RVG ist und zum Entstehen der Gebühr führt, sagt die Entscheidung aber nichts aus. Wenn das LG schon Belege für seine falsche Sicht gesucht hat, hätte es besser auf LG Saarbrücken, Beschl. v. 29.6.2020 – 8 Qs 69/20 (auch in RVGreport 2020, 463 = VRR 10/2020, 23) oder ggf. auch auf LG Münster, Beschl. v. 14.6.2024 – 12 Qs 16/24 (auch in AGS 2024, 493 = NStZ-RR 2025, 10) verwiesen. In der Entscheidung hatte das LG Saarbrücken nämlich ausgeführt, dass die Zustimmung des Verteidigers zu einer von der Generalstaatsanwaltschaft im Rechtsbeschwerdeverfahren vorgeschlagenen Verfahrenseinstellung nach § 47 Abs. 2 OWiG keine Mitwirkung i.S. der Nr. 5115 VV RVG sein soll.

Ich habe bereits 2020/2024 in meinen Anmerkungen zu den Entscheidung des LG Saarbrücken und des LG Münster darauf hingewiesen, dass das falsch ist. Daran halte ich fest. Es reicht nach überwiegender Meinung zu den Nrn. 4141, 5115 VV RVG für das Vorliegen von Mitwirkung bei der Einstellung des Verfahrens jede auf die Förderung der Erledigung des Verfahrens gerichtete Tätigkeit aus. Daher ist m.E. auch die Zustimmung des Verteidigers zu einer Einstellung nach § 47 Abs. 2 OWiG ausreichend. Das AG/OLG kann das Bußgeldverfahren zwar auch ohne Zustimmung einstellen, aber Mitwirkung i.S. der Nr. 5115 VV RVG liegt mit einer Zustimmung des Verteidigers vor.

Im Übrigen krankt der LG-Beschluss an der Stelle daran, dass nicht mitgeteilt wird, warum das Verfahren nach § 47 Abs. 2 OWiG eingestellt worden ist. Wenn das eine Fortwirkung des Inhalts der von der Verteidigerin nach vorheriger Rücksprache mit dem Mandanten zu den Akten gereichten zwei Schriftsätze ist, hätte zumindest das zur zusätzlichen Verfahrensgebühr führen müssen.

(Richtige) Bemessung der Rahmengebühren?, oder: Warum braucht man für falschen Beschluss 2 Jahre?

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Die zweite Entscheidung zu § 14 RVG kommt vom LG Heilbronn. Der LG Heilbronn, Beschl. v. 07.01.2025 – 1 Qs 11/23 – ist nicht ganz so schlimm wie der vorhin vorgestellte LG Münster-Beschluss, aber unschön ist er auch, wobei mir hier besonders das Verfahren sauer aufstößt.

In dem Beschluss geht es um die richtige Bemessung der Rahmengebühren in einem Verfahren wegen Unfallflucht. Das AG hat am 27.12.2021 einen Strafbefehl gegen den Angeklagten wegen unerlaubten Entfernens vom Unfallort erlassen. Gegen diesen legte der als Wahlverteidiger tätige Verteidiger Einspruch ein und beantragte Akteneinsicht. Anschließend nahm der Verteidiger mit Schriftsatz vom 22.02.2022 zu dem Tatvorwurf Stellung und regte eine Einstellung des Verfahrens an. Darauf erwiderte die Staatsanwaltschaft am 28.02.2022 Stellung. Bis zum 08.03.2022 führte der Verteidiger dann weitere Telefonate mit dem zuständigen Strafrichter. Sodann übersandte er am 08.03.2022 eine weitere schriftliche Stellungnahme und regte darin abermals eine Verfahrenseinstellung an, wobei er den Sachverhalt nach Aktenlage würdigte. Nach telefonischer Rücksprache des Strafrichters mit der zuständigen Amtsanwältin der Staatsanwaltschaft Heilbronn stimmte diese einer Einstellung des Verfahrens zu, woraufhin das Verfahren am 09.03.2022 nach § 153 Abs. 2 StPO eingestellt wurde. Die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Angeklagten wurden der Staatskasse auferlegt.

Mit Schriftsatz vom 18.03.2022 (ja, richtig gelesen: 2022) beantragte der Verteidiger die Festsetzung seiner Gebühren, jeweils in Höhe der Mittelgebühr, und zwar in Höhe von insgesamt 734,23 EUR. Das AG setzte am 19.01.2023 die zu erstattenden notwendigen Auslagen des Angeklagten auf 526,10 EUR fest. Zur Begründung führte die Rechtspflegerin aus, dass die beantragten Gebühren unbillig erhöht seien, weil es sich vorliegend – gemessen an den Kriterien des § 14 RVG — um eine unterdurch-schnittliche Angelegenheit handele. Bei Einspruchseingang habe die Akte lediglich 37 Blatt umfasst. Daher sei eine Kürzung der Mittelgebühren um 30 % angemessen.

Dagegen hat der Verteidiger am 30.01.2023 (auch richtig gelesen) sofortige Beschwerde eingelegt: Eine Absetzung der Gebühren sei nicht angezeigt. Die Begründung lasse jeden Bezug zur konkreten Rechtssache vermissen. Die sofortige Beschwerde hatte dann nur teilweise Erfolg:

„Die sofortige Beschwerde des Angeklagten ist zulässig, hat aber in der Sache nur teilweise Erfolg.

1. So hat der Beschwerdeführer lediglich mit seinen Einwendungen gegen die Absetzungen Erfolg, die im Hinblick auf die Verfahrensgebühren Nr. 4106 und Nr. 4141 VV RVG vorgenommen wurden. In Anbetracht der anwaltlichen Tätigkeiten, die im Beschwerdeverfahren vorgetragen wurden und die in den Abgeltungsbereich dieser Gebühren fallen, erscheint in der Gesamtschau mit den für die Bestimmung der Gebührenhöhe maßgeblichen Kriterien nach § 14 Abs. 1 RVG der geltend gemachte Ansatz der sogenannten Mittelgebühr in Höhe von jeweils 181,50 € als angemessen und nicht als unbillig erhöht im Sinne des § 14 Abs. 1 S. 4 RVG.

Der Verteidiger hatte im Vorfeld der Hauptverhandlung zweimal zur Sache Stellung genommen und mehrere Telefonate geführt. Da die Staatsanwaltschaft der ersten Einstellungsanregung zunächst entgegengetreten war, bedurfte es eines zweiten Schriftsatzes mit einer ergänzenden Stellungnahme, um die Zustimmung der Staatsanwaltschaft zur Einstellung des Verfahrens nach § 153 Abs. 2 StPO einzuholen.

Zusätzlich war eine Besprechung mit dem Angeklagten unter Beiziehung eines Dolmetschers erforderlich.

Die Höhe der Gebühr Nr. 4141 VV RVG für die anwaltliche Mitwirkung zur Entbehrlichkeit der Hauptverhandlung richtet sich nach der Höhe der Verfahrensgebühr nach Nr. 4104 VV RVG.

2. Demgegenüber hat die sofortige Beschwerde keinen Erfolg, soweit sie sich gegen die Absetzung bei der Grundgebühr nach Nr. 4100 VV RVG richtet.

Die vom Amtsgericht insoweit getroffene Festsetzung der zu erstattenden notwendigen Auslagen ist nicht zu beanstanden. Die Mittelgebühr, die im Kostenfestsetzungsantrag geltend gemacht wurde, ist ausgehend von der nach § 14 Abs. 1 RVG vorzunehmenden Gesamtwürdigung, die anhand der vergütungsrelevanten Umstände zu erfolgen hat, als unbillig erhöht anzusehen und damit unverbindlich (§ 14 Abs. 1 S. 4 RVG). Die vom Amtsgericht im Kostenfestsetzungsbeschluss vorgenommene Absetzung in Höhe von 30%, wodurch die Grundgebühr Nr. 4100 VV RVG im Ergebnis auf 154,- € festgesetzt wurde, ist angemessen.

Denn es ist zu sehen, dass die maßgeblichen Bemessungskriterien nahezu allesamt für eine deutlich unterdurchschnittliche Einordnung sprechen. Im Bereich der allgemein für alle Gebühren zu berücksichtigenden Aspekte spricht lediglich der Gesichtspunkt der Bedeutung, den die Angelegenheit für den Angeklagten hatte, für eine durchschnittliche, aber eben auch keine überdurchschnittliche Einordnung. Denn vorliegend standen eine nicht unerhebliche Geldstrafe sowie ein zweimonatiges Fahrverbot im Raum. Es drohten zudem Schadensersatzpflichten auf zivilrechtlicher Ebene.

Andererseits war aber weder mit einer Freiheitsstrafe noch mit dem Entzug der Fahrerlaubnis zu rechnen. Zudem handelte es sich bei dem Beschwerdeführer auch nicht um eine bislang noch nicht vorbestrafte Person, sondern gegen ihn sind bereits früher Geldstrafen wegen nicht einschlägiger Delikte verhängt worden. Auch die rechtliche wie tatsächliche Schwierigkeit der Sache war in der Gesamtschau als deutlich unterdurchschnittlich einzustufen, da es maßgeblich auf die Fahrereigenschaft des Angeklagten ankam. Die maßgebliche Frage des Tatnachweises ließ sich nur auf ein einziges Beweismittel stützen. Ferner ist nach Aktenlage — insbesondere auch unter Berücksichtigung der Einlassung des Verteidigers im Schriftsatz vom 8. März 2022 — davon aus-zugehen, dass die Einkommensverhältnisse des Angeklagten als unterdurchschnittlich einzustufen sind. Zudem ist auch der Umfang der Sache, den diese allgemein und insbesondere zum Zeitpunkt der Einarbeitung hatte, als unterdurchschnittlich einzuordnen. Denn die Akte hatte zum Zeitpunkt der Akteneinsicht lediglich 38 Blatt und damit einen sehr geringen Umfang. Sie enthält nur wenige Beweismittel. Soweit in der Beschwerdebegründung eine durchschnittliche Einarbeitung geltend gemacht wird, ist dies aus den oben genannten Gründen und insbesondere auch im Hinblick auf die geringe Schwierigkeit der Sache nicht nachvollziehbar.“

Vorab: Wenn man die oben dargestellten Daten zur Kenntnis genommen hat, ist man sprachlos. Man mag den Zeitablauf nicht glauben: Die Rechtspflegerin braucht 10 Monate (sic!!), um über den Kostenfestsetzungsantrag des Verteidigers zu entscheiden und die große Strafkammer dann vom 30.01.2023 bis zum 07.01.2025 – ja, fast zwei Jahre (sic !!), um über die sofortige Beschwerde zu entscheiden. Man fragt sich, warum man für die paar Sätze zur Begründung in einer durchschnittlichen Sache so lange braucht. Will man nicht oder kann man nicht? Letztlich hat es eine Dienstaufsichtsbeschwerde des Verteidigers, wie dieser auf Anfrage mitgeteilt hat, gebraucht, um die Strafkammer dann endlich zur Erledigung des Verfahrens zu bringen. Ich frage mich, warum der Verteidiger nicht mit der Verzögerungsrüge nach den §§ 198, 199 GVG, die auch im Kostenfestsetzungsverfahren anwendbar ist, vorgegangen ist. Die hätte wahrscheinlich Erfolg gehabt. Dazu verweise ich auf das OLG Karlsruhe, Urt. v. 16.10.2018 – 16 EK 10/18, AGS 2019, 556, das OLG Oldenburg (Urt. v. 27.05.2020 – 15 EK 3/19, MDR 2020, 1250, das OLG Zweibrücken, Urt. v. 26.01.2017 – 6 SchH 1/16 EntV, NJW 2017, 1328 und auch noch auf den BVerfG, Beschl. v. 11.12.2023 – 2 BvR 739/17 – Vz 5/23, NJW 2024, 1331. Ich kann Verteidigern nur raten, in vergleichbaren Fällen nicht „lange zu fackeln“, sondern Verfahrensrüge zu erheben und dann später klageweise eine Entschädigung geltend zu machen. Vielleicht hält das die Gerichte zu einer zeitlich angemessenen Erledigung von (Kostenfestsetzungs)Verfahren an.

Man könnte mit der Trödelei des LG ja noch leben, wenn dann die getroffene Entscheidung wenigstens zutreffend wäre. Aber das ist leider teilweise nicht Fall.

Zutreffend ist die Festsetzung der Mittelgebühr für die Verfahrensgebühr Nr. 4106 VV RVG und der zusätzlichen Verfahrensgebühr Nr. 4141 VV RVG in Höhe der Mittelgebühr der Nr. 4104 VV RVG. Zu letzterem verwundert dann, dass die Rechtspflegerin diese Gebühr offenbar gegen dein eindeutigen Wortlaut der Vorschrift unterhalb der Mittelgebühr festgesetzt hatte. Das widerspricht dem Wortlaut und der darauf hinweisenden h.M. in der Rechtsprechung).

Unzutreffend ist die Entscheidung der Strafkammer allerdings hinsichtlich der Bemessung der Grundgebühr 4100 VV RVG um 30 % unter der Mittelgebühr. Das ist nicht nachvollziehbar und wird durch die Begründung der Strafkammer nicht getragen. Die Begründung spricht vielmehr eindeutig für die vom Verteidiger (nur) angesetzte Mittelgebühr, wenn nicht sogar für deren Überschreitung. An gebührenmindernden Umständen verweist die Strafkammer auf den geringen Umfang der Akten zum Zeitpunkt der Einarbeitung, die Vermögensverhältnisse des Angeklagten und die einfache rechtliche und tatsächliche Schwierigkeit, wobei ich bei den mitgeteilten Verfahrensumstände aber erhebliche Zweifel habe. Alle anderen Umstände sind zumindest durchschnittlich, so dass der Ansatz der Mittelgebühr gerechtfertigt gewesen wäre. Das gilt vor allem auch für die Frage der Bedeutung der Angelegenheit für den Angeklagten. Insoweit bleibt es nämlich das Geheimnis der Strafkammer, warum der Umstand, dass der Angeklagte bereits einschlägig in Erscheinung getreten für eine unterdurchschnittliche Einordnung sprechen soll. Das Gegenteil ist der Fall. Und das Verfahren muss auch nicht überdurchschnittlich bedeutsam sei, sondern Durchschnitt reicht für die Mittelgebühr (vgl. zu den Rahmengebühren Burhoff/Volpert/Burhoff, RVG Straf- und Bußgeldsachen, 6. Aufl. 2021, Teil A Rn 1747 ff.).

Alles in allem: Überdurchschnittlich unzutreffend.

Rahmengebühren, Befriedungsgebühr, privater SV, oder: LG Münster macht es dreimal falsch

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Heute stelle ich am RVG-Tag zwei LG Entscheidungen vor. Beide befassen sich u.a. mit der (richtigen) Bemessung von Rahmengebühren, beide Entscheidungen sind unschön. Aber da muss man dann heute eben durch.

Ich beginne mit dem besonders unschönen LG Münster, Beschl. v. 14.06.2024 – 12 Qs 16/24 -, der schon länger in meinem Blogordner hängt. Heute muss es dann sein.

Dem Betroffenen ist im Bußgeldverfahren Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit innerhalb geschlossener Ortschaften zur Last gelegt worden. Gegen ihn wurde eine Geldbuße von 115 EUR festgesetzt. Gegen den Bußgeldbescheid legte der Betroffene Einspruch ein. Die Bußgeldbehörde übersandte den Vorgang sodann an die Staatsanwaltschaft zum Zwecke der Weiterleitung an das AG zur Entscheidung über das Akteneinsichtsgesuch und zugleich gemäß § 69 OWiG. Der Vorgang ging am 03.08.2023 bei der Staatsanwaltschaft ein. Mit Verfügung vom 11.10.2023 stellte die Staatsanwaltschaft das Verfahren unter Hinweis auf die zwischenzeitlich eingetretene Verfolgungsverjährung ein. Nach einem Kostenantrag des Verteidigers legte die Staatsanwaltschaft den Vorgang dem AG unter Hinweis darauf vor, dass die Einstellung nicht möglich gewesen sei. Durch Beschluss vom 15.12.2023 stellte das AG dann das Verfahren gemäß § 206a StPO unter Hinweis auf die eingetretene Verfolgungsverjährung auf Kosten der Staatskasse ein und erlegte die dem Betroffenen entstandenen notwendigen Auslagen der Staatskasse auf.

Der Verteidiger hat Kostenfestsetzung in Höhe von 2.370,92 EUR beantragt. Er hat u.a. auch die Festsetzung einer Verfahrensgebühr gem. Nr. 5109 VV RVG und einer zusätzlichen Verfahrensgebühr Nr. 5115, 5109 VV RVG, jeweils in Höhe der Mittelgebühr in Höhe von 176 EUR beantragt. Zudem hat er u.a. Erstattung sonstiger Auslagen gem. Nr. 7006 VV RVG, und zwar Sachverständigenkosten für die Erstellung eines Sachverständigengutachtens betreffend das Messverfahren geltend gemacht. Die Rechtspflegerin hat nur zum Teil festgesetzt, und zwar nur 474,09 EUR, nämlich nur die Verfahrensgebühr Nr. 5109 VV RVG nur in Höhe von 33,00 EUR (sic!!), die Nr. 5115 VV RVG und die Festsetzung von Sachverständigenkosten hat sie abgelehnt. Das dagegen gerichtete Rechtsmittel des Betroffenen hatte überwiegend keinen Erfolg.

Ich erspare mir und den Lesern jetzt das Einstellen der falschen Begründungsausführungen des LG und verweise insoweit auf den verlinkten Volltext und das „Selbstleseverfahren“.

Hier reichen die Leitsätze:

1. Bei durchschnittlichen Verkehrsordnungswidrigkeiten können im Regelfall nur unter den Mittelgebühren liegende Verteidigergebühren als angemessen angesehen werden.
2. Für das Entstehen der Gebühr Nr. 5115 VV RVG ist es nicht ausreichend, wenn das Verfahren ausschließlich von Amts wegen eingestellt wird.
3. Kosten für die Einholung eines Privatgutachtens sind– ausnahmsweise – als notwendige Kosten anzuerkennen, wenn schwierige technische Fragestellungen zu beurteilen sind oder wenn aus Sicht des Betroffenen ex-ante ein privates Sachverständigengutachten erforderlich ist, da ansonsten eine erhebliche Verschlechterung der Prozesslage zu befürchten wäre. Es müssen aber von Seiten des Betroffenen entweder zum Zeitpunkt der Gutachtenbeauftragung oder später Zweifel hinsichtlich der Richtigkeit der Messung vorgetragen werden, die ihn ex ante dazu veranlasst haben könnten, ein solches Gutachten einzuholen. Das gilt auch bei einem standardisierten Messverfahren.

Und dann ist anzumerken:

Nachdem ich die Entscheidung gelesen hatte, musste ich, bevor dann dazu Stellung genommen habe, erst Zeit verstreichen lassen, um mich zu beruhigen. Denn dem LG ist in allen angesprochenen Punkten zu widersprechen. Die Nonchalance, mit der sich das LG über anders lautende Rechtsprechung hinwegsetzt, ist schon bemerkenswert und auch „bewundernswert“. Teilweise wird sie noch nicht einmal erwähnt. Aus Platzgründen will ich nur kurz auf Einzelheiten eingehen, zumal zu den entscheidungserheblichen Fragen in früheren Entscheidungsanmerkungen schon einiges gesagt ist. Zudem macht es auch keinen Spaß mehr, immer wieder gegen die gerichtliche Ignoranz in Gebührenfragen anzurennen und zu schreiben.

Der Ansatz der LG hinsichtlich der Bemessung der Rahmengebühr, es sei nicht grundsätzlich von der Mittelgebühr auszugehen, ist falsch. Das Gegenteil ist der Fall (vgl. Burhoff/Volpert/Burhoff, RVG Straf- und Bußgeldsachen, 6. Aufl. 2021, Teil A Rn 1795 ff. mit weiteren Nachweisen aus der Rechtsprechung), und zwar auch im Bußgeldverfahren (Burhoff/Volpert/Burhoff, RVG, Vorbem. 5 Rn 54 ff. m.w.N. aus der Rechtsprechung). Mag man das noch hinnehmen, weil der konkrete Umfang der anwaltlichen Tätigkeit im gerichtlichen Verfahren nur pauschal dargestellt wird, ist dann der Ansatz nur der Mindestgebühr (sic!) ein Schlag ins Gesicht. Will das LG wirklich behaupten, dass es ich bei der Tätigkeit des Verteidigers im gerichtlichen Verfahren um die geringst mögliche Tätigkeit gehandelt hat? Denn nur dann wäre der Ansatz der Mindestgebühr gerechtfertigt (vgl. Burhoff/Volpert/Burhoff, RVG, Teil A Rn 1802). Das hätte man dann aber auch begründen können, zumal die Übrigen Umstände: Höhe der Geldbuße, ein Punkt im FAER usw. nicht nur für die Mindestgebühr sprechen. Ob die Mittelgebühr, wie vom Verteidiger beantragt, angemessen gewesen wäre, mag in dem Zusammenhang dahinstehen. Jedenfalls ist aber der Ansatz der Mindestgebühr in keiner Weise nachvollziehbar, um nicht zu sagen: Willkürlich.

Auch bei den Ausführungen zur zusätzlichen Verfahrensgebühr Nr. 5115 VV RVG vermisst man gebührenrechtliche Kenntnisse des LG. Die werden durch schlichte Behauptungen ersetzt. Denn: Entgegen der Ansicht des LG muss die Tätigkeit des Verteidigers nicht ursächlich für die Einstellung gewesen sein, sie muss nur die Beendigung des Verfahrens gefördert haben. Und das lässt sich ja nun wohl nicht bestreiten. Denn die Tätigkeit des Verteidigers hat zur Abgabe an die Staatsanwaltschaft geführt, wo dann das Verfahren offensichtlich so außer Kontrolle geraten ist, dass wegen Verjährung eingestellt worden ist. Warum soll das nicht zur Nr. 5115 VV RVG führen? Der Verteidiger kann und darf alles Erlaubte tun, um eine Verurteilung des Betroffenen/Angeklagten aufgrund einer Hauptverhandlung zu vermeiden. Es ist nicht Aufgabe der Gerichte das dann hinterher zu bewerten und gebührenrechtlich (sic!) zu sanktionieren. Warum das LG das anders sieht oder meint anders sehen zu können, bleibt im Dunklen.

Wegen der Erstattung der Sachverständigenkosten verweise ich zunächst auf meinen Beitrag in AGS 2023, 193 mit einer Zusammenstellung der Rechtsprechung und Darstellung der maßgeblichen Fragen; den findet man auf meiner HP im Volltext. Auch hier ist zu beanstanden, dass das LG nicht darlegt, warum denn nun die andere, von seiner Auffassung abweichende Rechtsprechung mehrerer LG nicht zutreffend ist und warum man sich dem nicht anschließt. Zudem habe ich erhebliche Zweifel, ob das Wirken des Verteidigers und das nicht Tätigwerden des AG nicht ausreichend war, um darauf gegründet, doch ein privates Sachverständigengutachten einzuholen. Dass dann das Verfahren wegen Verjährung eingestellt worden ist, kann man dem Verteidiger/Betroffenen wegen des bei der Staatsanwaltschaft liegenden Verfahrensmangels nicht anlasten.

Insgesamt: Gewogen und ganz erheblich zu leicht befunden, um nicht zu sagen: Erschreckend.

Hilfe beim Vermeiden eines Fortsetzungstermins, oder: LG Bochum „repariert“ AG Herne-Wanne

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Und als zweite Entscheidung dann der LG Bochum, Beschl. v. 20.12.2024 – 9 Qs 35/24 – viel „frischer“ geht es kaum. Bei der Entscheidung handelt es sich um die Beschwerdeentscheidung zum AG Herne-Wanne, Beschl. v. 23.04.2024 – 44 OWi-152 Js 120/24-12/24, über den ich hier ja auch berichtet habe (vgl. Hilfe beim Vermeiden eines Fortsetzungstermins, oder: Fortsetzungstermin ist nicht „die Hauptverhandlung“).

Folgender Sachverhalt: Das AG Herne-Wanne hatte in seinem Beschluss eine zusätzliche Verfahrensgebühr Nr. 5151 VV RVG festgesetzt, obwohl „nur“ ein Fortsetzungstermin entfallen war, was der h.M. zu der Frage widerspricht. Ich hatte in meinem Posting dazu dann ja Stellung genommen und angedeutet, dass der Bezirksrevisor das nicht hinnehmen wird. Und genau das ist eingetreten. Der Bezirksrevisor hat Beschwerde eingelegt. Und er hat beim LG Bochum Recht bekommen. Das hat den AG Herne-Wanne-Beschluss aufgehoben:

„Die sofortige Beschwerde ist auch begründet.

Das Amtsgericht Herne-Wanne hat rechtsfehlerhaft bei der Festsetzung der notwendigen Auslagen des Betroffenen eine Gebühr gemäß Nr. 5115 VV RVG zuzüglich Mehrwertsteuer in Ansatz gebracht. Eine Gebühr gemäß Nr. 5115 VV RVG ist im hiesigen Verfahren jedoch nicht entstanden.

Eine Gebühr gemäß Nr. 5115 VV RVG entsteht lediglich dann, wenn durch die anwaltliche Mitwirkung das Verfahren vor der Verwaltungsbehörde erledigt oder die Hauptverhandlung entbehrlich wird. Dies ist im hiesigen Verfahren nicht der Fall gewesen.

Vorliegend ist es zwar durch anwaltliche Mitwirkung zu einer Einstellung des Verfahrens in der Hauptverhandlung gekommen, aufgrund derer es einer Anberaumung weiterer Hauptverhandlungstermine nicht mehr bedurft hat. Die Gebühr gemäß Nr. 5115 VV RVG entsteht jedoch nach herrschender Meinung in Rechtsprechung und Literatur, der sich die Kammer nach eigener kritischer Prüfung anschließt, dann nicht, wenn die Einstellung – wie vorliegend – in der Hauptverhandlung erfolgt, selbst wenn dadurch weitere Hauptverhandlungstage entbehrlich werden (vgl. Burhoff/ Volpert, RVG, 6. Aufl. 2021, Nr. 5115 VV Rn. 21 (letzter Absatz) und Nr. 4141 VV Rn. 45 Nr. 14; HK-RVG/Krumm, 8. Aufl. 2021, RVG W 5115 Rn. 7 m. w. N.; BeckOK RVG/Knaudt, 64. Ed. 1.6.2024, RVG VV 5115 Rn. 11.1 m. w. N.; Ahlmann/ Kapischke/Pankatz/Rech/Schneider/Schütz/Kapischke, 11. Aufl. 2024, RVG VV 5115 Rn. 3 m. w. N.; LG Siegen, Beschluss vom 03.07.2020, 10 Qs 61/20, BeckRS 2020,37917; vgl. zu Nr. 4141 VV RVG: BGH, Urteil vom 14.04.2011, IX ZR 153/10, NJW 2011, 3166 m. w. N.).

Eine Ausdehnung des Anwendungsbereiches auf die vorliegende Sachverhaltskonstellation ist auch entgegen der Rechtsauffassung des Verteidigers weder mit dem Wortlaut noch mit dem Sinn und Zweck des Gebührentatbestandes in Einklang zu bringen.

Nach dem Wortlaut des Gebührentatbestandes entsteht die Gebühr gemäß Nr. 5115 VV RVG lediglich dann, wenn durch die anwaltliche Mitwirkung die Hauptverhandlung entbehrlich wird. Im Hinblick auf den Grundsatz der Einheitlichkeit der Hauptverhandlung kann die Frage der Entbehrlichkeit der Hauptverhandlung dabei nur einheitlich beantwortet werden (vgl. zu Nr. 4141 VV RVG: BGH, Urteil vom 14.04.2011, IX ZR 153/10, NJW 2011, 3166 m. w. N.). Unter Berücksichtigung dieses Grundsatzes erfasst bereits der Wortlaut lediglich Sachverhaltskonstellationen, in denen die Hauptverhandlung in ihrer Gänze entfällt und nicht einzelne Hauptverhandlungstage einer als Einheit zu betrachtenden Hauptverhandlung durch eine Einstellung entbehrlich werden.

Gleiches gilt unter Zugrundelegung der Gesetzeshistorie und des Sinnes und Zweckes des Gebührentatbestandes. Die Gesetzesmaterialien führen zur ratio legis des Gebührentatbestandes aus, dass die Zusatzgebühr den Anreiz, Verfahren ohne Hauptverhandlung zu erledigen, erhöhen werde und somit zu weniger Hauptverhandlungen führen werde (vgl. Bundestagsdrucksache 15/1971, dort S. 227). Ziel der Regelung ist damit die Verringerung der Arbeitsbelastung der Gerichte; dieses Ziel soll durch eine adäquate Vergütung des Verteidigers bereits im Vorfeld der Hauptverhandlung erreicht werden (vgl. zu Nr. 4141 VV RVG: BGH, Urteil vom 14.04.2011, IX ZR 153/10, NJW 2011, 3166 m. w. N.). Auch dieser Normzweck spricht dafür, dass eine Einstellung, die innerhalb der Hauptverhandlung erfolgt, eine Befriedungsgebühr nicht mehr auszulösen vermag (a. a. O.).“

Die Aufhebung der – für den Verteidiger positiven – Entscheidung des AG Herne-Wanne überrascht mich nicht. Die herrschende Meinung in Rechtsprechung und Literatur sieht die Frage des Entstehens der zusätzlichen Verfahrensgebühren Nr. 4141, 5115 VV RVG unter Hinweis auf den Wortlaut und die „Einheitlichkeit der Hauptverhandlung“ anders, als das AG es gesehen hatte. Deshalb hatte ich von Anfang an Zweifel am Bestand der Entscheidung, die sich nun bestätigt haben. Die Argumentation des Verteidigers, dass auch die Mitwirkung an einer Einstellung des Verfahrens in der Hauptverhandlung, die zum Entfallen von Fortsetzungsterminen führe, der Entlastung der Justiz diene, ist zwar nicht von der Hand zu weisen. Aber der Wortlaut der Vorschriften und die auch vom LG herangezogene „Einheitlichkeit der Hauptverhandlung“ lassen sich damit nicht überwinden. Letztlich ist die vom AG Herne-Wanne – gegen die h.M. – entschiedene Frage eine Frage, die sich nicht durch Auslegung und oder ggf. eine entsprechende Anwendung der Regelungen lösen lässt, sondern durch den Gesetzgeber gelöst werden muss. Aber: Welche gebührenrechtlichen Fragen löst der schon. Der bekommt ja – Stand heute – noch noch nicht einmal eine längst überfällige lineare Erhöhung der Gebühren auf die Reihe.