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Welche Rahmengebühren im Bußgeldverfahren? oder: Falsch, falscher, LG Koblenz

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Und dann der erste Gebührenfreitag im neuen Jahr. Den Reigen der Gebührenentscheidungen in 2024 muss ich dann leider mit zwei nicht so schönen Entscheidungen eröffnen. Das lässt sich aber nicht ändern, auch die müssen sein/muss man kennen.

Zunächst der LG Koblenz, Beschl. v. 23.11.2023 – 6 Qs 58/23. Mal wieder zur § 14 RVG im Bußgeldverfahren und mal wieder – wie beim LG Koblenz schon seit Jahren, was da aber wohl niemanden interessiert – falsch.

Das AG hatte in einem Bußgeldverfahren die Rahmengebühren unterhalb der Mittelgebühr festgesetzt. Das LG beanstandet das nicht, sondern „winkt die Sache durch“:

„1. Gemäß § 14 Abs. 1 RVG bestimmt der Rechtsanwalt – hier der Wahlverteidiger – bei den hier geltenden Rahmengebühren die Gebühr im Einzelfall unter Berücksichtigung aller Umstände. Die von dem Rechtsanwalt getroffene Bestimmung ist nur dann nicht verbindlich, wenn sie unbillig ist.

Ob das der Fall ist, unterliegt im Kostenfestsetzungsverfahren und auch im Beschwerdeverfahren einer Wertung, wobei das grundsätzliche Gebührenbestimmungsrecht des Anwalts nicht dadurch ausgehöhlt werden darf, dass eine Gebührenbemessung schon dann als unbillig korrigiert werden darf, wenn sie lediglich „gut bemessen“ ist. Da billiges Ermessen nicht positiv in dem Sinne bestimmt werden kann, dass jeweils nur ein konkreter Gebührenbetrag in Betracht kommt, ist lediglich eine negative Abgrenzung möglich, nämlich danach, ob eine konkrete Gebührenbestimmung außerhalb eines Bereichs liegt, der noch vom billigen Ermessen abgedeckt ist (zu allem: Gerold/Schmidt, RVG, 20. Aufl. § 14 Rn. 5).

Der Rechtspfleger des Amtsgerichts Koblenz hat in der angefochtenen Entscheidung differenzierte Betrachtungen für die einzelnen Gebührentatbestände eingestellt, die auf das Rechtsmittel hin zu überprüfen sind. Dabei sind jeweils alle Umstände zu berücksichtigen, die für eine Erhöhung der Mittelgebühr und gleichfalls alle Umstände, die für eine Unterschreitung der Mittelgebühr sprechen können, wobei die Mittelgebühr in der Rechtspraxis als die konkret billige Gebühr in Normalfällen angesehen wird (Gerold/Schmidt, a.a.O. Rn. 10). Die jeweils in der einen oder anderen Richtung relevanten Umstände — Umfang und Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit, Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Angeklagten und die Bedeutung der Angelegenheit —sind außerdem gegeneinander abzuwägen (Gerold/Schmidt, a.a.O., Rn 11). Schließlich ist —nach gerichtlicher Bemessung der jeweils angemessenen Gebühr — unter Achtung des dem Rechtsanwalt vom Gesetz eingeräumten Ermessensspielraums ein Überschreiten der von dem Gericht als angemessen erachteten Gebühr durch den Rechtsanwalt in einem gewissen Rahmen grundsätzlich zu tolerieren. Die Grenze dieses Rahmens, die sogenannte Toleranzgrenze (Gerold/Schmidt, a.a.O., Rn 12), zieht die Kammer bei 20 % und sieht darüberhinausgehende Gebührenbestimmungen des Rechtsanwalts als unbillig an.

2. In dem vorliegenden Verfahren waren die durch das Amtsgericht festgesetzten Gebühren angemessen und haben auch den Ermessensspielraum des Verteidigers von 20 % ausreichend inkludiert.

Das Amtsgericht ist bei der Festsetzung der zu erstattenden Gebühren zu Recht davon ausgegangen, dass es sich um eine Angelegenheit handelt, die nach der Sach- und Rechtslage und ihrer Schwierigkeit als deutlich unter dem Durchschnitt der Bußgeldverfahren liegend anzusehen ist.

Denn Maßstab für die Beurteilung der Schwierigkeit wie auch des zeitlichen Aufwands sind nicht isoliert Verkehrsordnungswidrigkeiten, sondern es ist das gesamte Spektrum an Ordnungswidrigkeiten zu berücksichtigen, die von den Gebührensätzen, die im Vergütungsverzeichnis vorgesehen sind, abgedeckt werden. Um zu spezialgesetzlichen Bußgeldtatbeständen etwa auf dem Gebiet des Umwelt-, Wirtschafts- und Steuerrechts, die einerseits erhebliche Bußgelder vorsehen, andererseits häufig mit rechtlichen Schwierigkeiten sowie umfangreicher Sachaufklärung verbunden sind, eine angemessene Relation herzustellen, können bei Verfahren wegen Verkehrsordnungswidrigkeiten daher im Regelfall nur unter den Rahmenmittelsätzen liegende Verteidigergebühren als angemessen angesehen werden (vgl. LG Koblenz, Beschluss vom 11.07.2012, 1 Qs 149/12, juris Rdnr. 8).

So liegt der Fall auch hier. Es handelt sich der Sache nach um einen äußerst einfach gelagerten Fall, in dem es um den Vorwurf der Nutzung eines elektronischen Geräts im Straßenverkehr gemäß § 23 Abs. la StVO geht, mithin um eine alltägliche Verkehrsordnungswidrigkeit. Ansonsten kann allenfalls von einem für Verkehrsordnungswidrigkeiten durchschnittlichen Aufwand ausgegangen werden. Zu klären wäre letztlich die Frage gewesen, ob der Betroffene das Mobiltelefon tatsächlich während der Fahrt dergestalt benutzt hat, dass er es auf Höhe des Mundes gehalten und Sprechbewegungen ausgeführt hat. Zu beachten ist dabei insbesondere, dass es aufgrund der vielen Terminsverlegungen letztlich nicht einmal zu einem Hauptverhandlungstermin und damit zu einer Beweisaufnahme mit der Einvernahme der Zeugen, sondern vielmehr zu einer Einstellung des Verfahrens aufgrund der eingetretenen Verfolgungsverjährung kam. Die anwaltliche Tätigkeit beschränkte sich daher auf das Beantragen der Akteneinsicht, auf die Ausführungen des Verteidigers in seiner fünfseitigen Einspruchsbegründung, die sich jedoch in allgemeinen Ausführungen zum Tatbestand (so auch der kurze Schriftsatz vom 22.06.2020, BI. 59 d.A.) sowie einer vorläufigen Würdigung der Zeugenangaben erschöpfen. Soweit etwa zwei Jahre später ein Antrag auf Verfahrenseinstellung folgte, wurde alleine für diese Tätigkeit die zusätzliche und der Höhe nach nicht unerhebliche Gebühr nach Nr. 5115 VV RVG gewährt, obgleich das Verfahren letztlich allein wegen der Verfahrensverzögerung und nicht wegen anwaltlicher Mitwirkung eingestellt worden ist. Weitere Schreiben, die umfangreiche oder wesentliche inhaltliche oder rechtliche Ausführungen zum Gegenstand haben, lassen sich dem Aktenstück nicht entnehmen. Eine aufwendige Sach- oder Rechtsaufklärung ist insofern nicht ersichtlich.

Neben vorstehenden Erwägungen gilt im Hinblick auf die Verfahrensgebühren Nr. 5103 und 5109 W RVG zudem, dass die Höhe der Geldbuße im Bußgeldverfahren maßgebliches Kriterium für die Gebührenhöhe ist, was der Gesetzgeber hier durch die Bestimmung eines Wertrahmens zum Ausdruck gebracht hat; anderenfalls hätte es einer Gebührenstaffelung für verschiedene Geldbußen gerade nicht bedurft (LG Koblenz, Beschluss vom 15.09.2010, 4 Qs 53/10). Hier liegt die verhängte Geldbuße mit 100,00 € weit am unteren Rand der Staffelung (60,- bis 5.000,- €), was den Ansatz von Mittelgebühren ebenfalls nicht zwingend nahelegt. Generell ist auch hier der anzusetzende Vergleichsmaßstab nicht innerhalb verschiedener Verkehrsordnungswidrigkeiten zu suchen, sondern vielmehr im Hinblick auf die Frage, ob es sich um ein tatsächlich und rechtlich einfach gelagertes Bußgeldverfahren handelt, ein Vergleich zwischen Verkehrsordnungswidrigkeiten einerseits und spezialgesetzlichen Bußgeldtatbeständen andererseits anzustellen.

Weiter ist zu berücksichtigen, dass die Akte zum Zeitpunkt des ersten Akteneinsichtsgesuchs am 17.02.2020 einen Umfang von gerade einmal 31 Seiten hatte. Hinsichtlich des Akteninhalts ist dabei nennenswert lediglich der wenige Seiten umfassende polizeiliche Vermerk vom 08.01.2020. Darüber hinaus finden sich keine Unterlagen, die einer schwierigen und umfangreichen Einarbeitung unterlegen hätten.

Die festgesetzten Gebühren bewegen sich durchgehend über den Mindestsätzen und sie tragen auch der Bedeutung der Sache für den Betroffenen hinreichend Rechnung. Dies gilt insbesondere auch mit Rücksicht darauf, dass die Geldbuße auf 100,00 € festgesetzt worden ist und die Eintragung von einem Punkt im Fahreignungsregister im Raum stand, weshalb sich – bei nur einer Voreintragung – eine gesteigerte Bedeutung für den Betroffenen nicht erkennen lässt, sondern die Angelegenheit vielmehr als wenig erheblich einzustufen ist.

Dass ohne einen entsprechenden Hauptverhandlungstermin eine Terminsgebühr nicht verlangt werden kann – insbesondere bei gleichzeitiger Geltendmachung der zusätzlichen Gebühr für die Entbehrlichkeit der Hauptverhandlung – liegt auf der Hand. Insoweit geht die Kammer von einem Versehen des Verteidigers aus.

Nach alldem ist eine Festsetzung von über den bereits vom Rechtspfleger festgesetzten Beträgen liegenden Gebühren nicht gerechtfertigt.“

Falsch, falscher, LG Koblenz.

Und nochmals Rahmengebühren im Bußgeldverfahren, oder: Die Mittelgebühr ist immer der richtige Ansatz

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Und als zweite Entscheidung dann der AG Leipzig, Beschl. v. 07.08.2023 – 227 OWi 953/23 -, der noch einmal zur Bemessung der Rahmengebühren im Bußgeldverfahren Stellung nimmt. Und das AG macht es richtig, es geht davon aus, dass grudnsätzlich die Mittelgebühr zugrunde zu legen ist:

„Zugrunde liegt ein straßenverkehrsrechtliches Bußgeldverfahren wegen eines qualifizierten Rotlichtverstoßes, welches mit einer Geldbuße i.H.v. 200 € und einem Fahrverbot von 1 Monat zu ahnden wäre und bei Verurteilung 2 Punkte im FAER als mittelbare Folge mit sich bringen würde.

Der Verteidiger hat sich zunächst bestellt und Akteneinsicht begehrt (BI. 9 d.A.) und gegen den am 13.10.2021 erlassenen Bußgeldbescheid (BI. 24 d.A.) form- und fristgerecht am 20.10.2021 Einspruch eingelegt (BI. 26 d.A.). Mit eingegangenem Schriftsatz vom 2.6.2022 hat der Verteidiger auf Verfolgungsverjährung hingewiesen (BI. 27 d.A.) und nach Einstellung des Verfahrens wegen Verfolgungsverjährung durch die Ordnungsbehörde (BI. 28 d.A.) Kostengrundentscheidung (BI. 29 d.A.) beantragt, die am 20. 9.2022 mit der Maßgabe erfolgt ist, dass die notwendigen Auslagen des Betroffenen der Stadtkasse auf Leipzig auferlegt werden.

Am 6.10.2022 hat der Verteidiger Kostenfestsetzungsantrag gestellt. Die Höhe entspricht der obigen Tenorierung (BI. 46, 46 Rückseite der Akte).

Mit Kostenbescheid vom 2.5.2023 hat die Bußgeldbehörde die Gebühren auf 454,58 € gekürzt: Grundgebühr 65 €, Verfahrensgebühr 110 €, so dass der Gesamtbetrag auf 454,58 € festgesetzt worden ist. Die Ordnungsbehörde setzte die Grundgebühr und die Verfahrensgebühr herab, weil sie der Auffassung ist, das nur eine herabgesetzte Mittelgebühr anzusetzen sei. Es handele sich bei den Bußgeldverfahren im Straßenverkehr um Massenverfahren, das Verfahren habe keine tatsächlichen und rechtlichen Schwierigkeiten aufgewiesen.

Hiergegen wendet sich der Verteidiger mit seinem Antrag auf gerichtliche Entscheidung. Die Mittelgebühr sei gerechtfertigt, er habe umfangreich vorgetragen.

2. Dem Antrag des Verteidigers auf gerichtliche Entscheidung ist der Erfolg nicht zu versagen. Er hat ein Anspruch auf Erstattung der von ihm begehrten Gebühren nach dem RVG.
Die Rahmengebühr nach § 14 RVG ist unter Berücksichtigung aller Umstände, vor allem des Umfangs und der Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit, der Bedeutung der Angelegenheit sowie der Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Auftraggebers nach billigem Ermessen zu bestimmen (Amtsgericht Hamburg- Harburg, Beschluss vom 3.6.2021 -621OWiG 128/ 1, Rn. 12, juris).

Anzusetzen ist in straßenverkehrsrechtlichen Bußgeldverfahren grundsätzlich die Mittelgebühr (Amtsgericht München, Urteil vom 2.12.2019 -213 C 16136/19; Gerold/Schmidt/ Mayer, 24. Aufl. 2019, RVG § 14 Rn. 54-57), Abweichung davon sind im Einzelfall denkbar.

Eine Abweichung nach unten, die zur Herabsetzung der Gebühren des Verteidiger führen, sind vorliegend nicht ersichtlich.

Bei der konkreten Tätigkeit des Verteidigers ist seine beantragte Mittelgebühr festzusetzen. Dieser hat sich nicht nur bestellt und formal Akteneinsicht beantragt, sondern hat sich auch darüber hinaus mit dem Messsystem befasst und nach Erlass des Bußgeldbescheides die Verfolgungsverjährung geprüft, und diese erfolgreich durchgesetzt, sodass auch ein Hauptverfahren vermieden werden konnte.

Vorliegend handelte es sich auch um einen qualifizierten Rotlichtverstoß, der für den Betroffenen erhebliche Konsequenzen hätte, wenn es zu einer Hauptverhandlung gekommen wäre. Die Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Betroffenen sind vorliegend unerheblich.“

Geht doch 🙂 .

Verkehrs-Owi sind immer unterdurchschnittlich, oder: Fehlende Ermessensausübung des Verteidigers

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Am letzten Freitag im September dann zwei gebührenrechtliche Entscheidungen zu den Rahmengebühren, also § 14 RVG.

Ich beginne mit dem LG Dresden, Beschl. v. 14.09.2023 – 5 Qs 56/23. Das LG äußert sich noch einmal zu den Rahmengebühren im Bußgeldverfahren. In dem Verfahren ging es um einen Rotlichtverstoß mit einem Bußgeld in Höhe von 90,00 €, verbunden mit der Eintragung von einem Punkt in das Fahreignungsregister. Dagegen der Einspruch des Verteidigers. Die Hauptverhandlung beim AG hat dann 27 Minuten gedauert. Der Betroffene ist frei gesprochen worden.

Der Verteidiger macht dann seine Gebühren geltend, wobei er bezüglich der Grund- und Verfahrensgebühren jeweils 90 % der Mittelgebühr und betreffend der Terminsgebühr 96 % der Mittelgebühr ansetzt. Der Bezirksrevisor hat  die Festsetzung der Gebühren jeweils in Höhe von 70 % der jeweiligen Mittelgebühr beantragt. In der Höhe hat das AG dann festgesetzt. Dagegen die sofortige Beschwerde, die keinen Erfolg hatte:

„Nach § 14 RVG bestimmt ein Rechtsanwalt bei Rahmengebühren die Gebühr im Einzelfall nach billigem Ermessen unter Berücksichtigung aller Umstände. Solche sind v. a. Umfang und Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit, Bedeutung der Angelegenheit sowie Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Auftraggebers. Wenn die Gebühr von einem Dritten, mithin auch von der Staatskasse, zu ersetzen ist, ist die anwaltlich getroffene Bestimmung nicht verbindlich, wenn sie unbillig ist, § 14 Abs. 1 S. 4 RVG.

Nach ständiger Rechtsprechung der Kammer sind durchschnittliche Verkehrsordnungswidrigkeiten mit einfachen Sach- und Rechtsfragen, niedrigen Geldbußen und wenigen Punkten im Fahreignungsregister grundsätzlich als unterdurchschnittliche Bußgeldsache anzusehen, (vgl. LG Dresden, Beschluss vom 29.09.2017, 5 Qs 63/17, im Ergebnis wie hier LG Hanau, Beschluss vom 18. Mai 2020 – 7 Qs 38/20 -, juris; LG Osnabrück, Beschluss vom 25. Februar 2020 – 15 Qs 11/20 -, juris; LG Halle (Saale), Beschluss vom 18. Dezember 2019 – 3 Qs 117/19 -, juris; LG Kassel, Beschluss vom 20. Mai 2019 – 8 Qs 18/19 -, juris und LG Berlin, Beschluss vom 12. September 2006 – 526 Qs 257/06 -, juris). Als angemessene Vergütung in derlei Fällen kommt grundsätzlich nicht die Mittelgebühr, sondern eine niedrigere Gebühr in Betracht.

Der Verteidiger des Betroffenen hat in Kenntnis dieser ständigen Rechtsprechung der Kammer, die in vergleichbaren Fällen eine Gebührenerstattung in einem Umfang von 70 % der Mittelgebühr vorsieht, 20 % bzw. 26 % hinzuaddiert und vorgetragen, dass bei der Gebührenbemessung das Ermessen in dieser Bußgeldsache berücksichtigt worden sei, indem er gerade nicht die Mittelgebühr in Ansatz gebracht habe.

Der Verteidiger des Betroffenen übersieht dabei, dass der Toleranzrahmen von 20 % bei der anwaltlichen Bestimmung der billigen Gebühr nach § 14 RVG nicht den Zweck hat, die eindeutig angemessene Gebühr einfach um 20 % zu erhöhen. Eine vom Gericht zu tolerierende Gebührenbestimmung in diesem Sinne liegt nur vor, wenn sie auf Grund der Umstände des Einzelfalls in Verbindung mit den Bemessungskriterien getroffen worden ist, (vgl. Gerold/Schmidt/Mayer, RVG, § 14 Rn. 12).

Daran fehlt es vorliegend. Bereits aus dem Verteidigervorbringen ergibt sich, dass sich die Entscheidung nicht mit den Umständen des Einzelfalls, der Bedeutung der Angelegenheit, der Schwierigkeit und des Umfangs der anwaltlichen Tätigkeit sowie der Vermögens- und Einkommensverhältnisse des Betroffenen auseinandergesetzt hat, sondern lediglich unter Berufung auf die Toleranzgrenze ein Aufschlag auf die angemessene Gebühr um 20 % bzw. 26 % vorgenommen wurde.

Eine solche ohne das gebotene Ermessen getroffene Bestimmung ist ermessensfehlerhaft und damit unbillig und nicht verbindlich, auch wenn die geltend gemachten Gebühren die Toleranzgrenze von 20 % teilweise nicht überschreiten sollten….“

Dazu nur zwei Punkte:

1. Das, was das LG zur Rahmengebühr und zur Mittelgebühr schreibt, ist falsch und wird auch nicht dadurch richtig(er), dass man auf eine falsche ständige Rechtsprechung verweist. Das ist mal wieder eine der Sachen, bei der ich schreien möchte: Ich mag nicht mehr.

2. Zutreffend ist allerdings dann – blindes Huhn und so 🙂 -, was das LG zur Gebührenbestimmung schreibt. Da muss die Ausübung des Ermessens des Rechtsanwalts erkennbar sein, was hier aber nicht der Fall war. Also: Keine Bindungswirkung.

Festsetzung von Rahmengebühren im OWi-Verfahren, oder: Zusätzliche Verfahrensgebühr Nr. 5115 VV RVG

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Und zum Ausklang der Woche dann noch Gebührenrecht.

Zunächst der der AG Offenbach, Beschl. v. 15.07.2021 – 275 Owi 248/21 – zum Anfall der zusätzlichen Gebühr Nr. 5115 VV RVG und zur Bemessung der Rahmengebühren im Bußgeldverfahren.

Gegen den Betroffenen ist ein Bußgeldbescheid ergangen. Gegen den hatte der Verteidiger des Betroffene Einspruch eingelegt und zugleich Akteneinsicht beantragt. Zudem hat der Verteidiger angekündigt, nach Einsichtnahme eine Einlassung abzugeben. Das Verfahren ist dann später nach § 170 Abs. 2 StPO eingestellt worden, ohne dass der Verteidiger eine Einlassung abgegeben hat. Der Betroffene beantragte die Erstattung der ihm entstandenen notwendigen Auslagen und macht auch die zusätzliche Verfahrensgebühr nach Nr. 5115 VV RVG geltend. Die Verwaltungsbehörde hat die Erstattung dieser Gebühr abgelehnt. Der hiergegen gerichtete Antrag auf gerichtliche Entscheidung hatte keinen Erfolg:

„Die Mitwirkungsgebühr gem. Nr. 5115 VV RVG war nicht festzusetzen, da hier keine anwaltliche Mitwirkung vorlag, durch die eine Verfahrensbeendigung eingetreten ist.

Für die Entstehung dieser Gebühr ist ein Beitrag des Verteidigers an der Verfahrensbeendigung erforderlich. Dabei sind allerdings keine hohen Anforderungen an den Beitrag zu stellen. So kann bereits die Mitteilung, dass keine Angaben zur Sache gemacht werden, einen Beitrag darstellen. Im hiesigen Fall hatte der Verteidiger allerdings eine solche Angabe nicht gemacht. Er hatte vielmehr erklärt, Einspruch einzulegen und angekündigt, eine weitere Stellungnahme abzugeben. Eine solche Stellungnahme erfolgte allerdings nicht. Es erfolgte gerade nicht die Mitteilung, dass von einem Schweigerecht Gebrauch gemacht werde. Der Behörde wurde vielmehr suggeriert, dass noch weitere Angaben erfolgen würden. Auch die Sachstandsanfrage des Verteidigers stellt keine Verfahrenshandlung dar, die an einer Beendigung des Verfahrens mitwirkt.“

Und zur Bemessung der Rahmengebühren führt das AG aus:

„Grundsätzlich ist bei der Bemessung der Gebühr von der Mittelgebühr auszugehen. Bei Straßenverkehrsordnungswidrigkeiten ist allerdings in der Regel, aufgrund des Massencharakters, der einfach gelagerten Sachverhalte und der niedrigen Höhe der Bußgelder eine Gebühr unterhalb der Mittelgebühr festzusetzen. Bei Verkehrsordnungswidrigkeiten, denen ein standardisiertes Messverfahren zugrunde liegt, erfolgt in der Regel eine Festsetzung deutlich unterhalb der Mindestgebühr, da es sich dabei um besonders einfache Sachverhalte handelt, die leicht zu prüfen sind, keine rechtlichen Schwierigkeiten aufweisen und für die Betroffenen häufig nicht von besonderer Bedeutung sind. Zu berücksichtigen ist auch, dass bei solchen Verkehrsordnungswidrigkeiten in der Regel keine Zeugen zu vernehmen sind, da der Beweis alleine durch Urkunden und Lichtbilder geführt wird. Dies ist bei Verkehrsordnungswidrigkeiten, denen kein standardisiertes Messverfahren zugrunde legt, in der Regel nicht der Fall. Es ist allerdings immer eine Prüfung des Einzelfalles vorzunehmen und der Umfang und die Bedeutung des konkreten Verfahrens zu bestimmen.

Dem hiesigen Verfahren lag ein Geschwindigkeitsverstoß zu Grunde, wobei nur ein Fahrlässigkeitsvorwurf gemacht wurde. Von der Behörde wurde die Regelgeldbuße von 160 Euro und das Regelfahrverbot von 1 Monat festgesetzt. Der Antragsteller hat mitgeteilt, dass die Betroffene deutlich oberhalb des Einkommensdurchschnittsverdiene. Damit hat das Verfahren für sie aufgrund der geringen Bußgeldhöhe eine niedrige Bedeutung, auch wenn hier ein Fahrverbot verhängt wurde. Aufgrund ihrer guten Einkommensverhältnisse wäre es für die Betroffene, im Vergleich zu weniger gut gestellten Menschen, ein leichtes gewesen, dass Fahrverbot durch die Nutzung von öffentlichen Verkehrsmitteln und Taxis zu kompensieren.

Inhaltlich enthält die Akte nur 9 Seiten relevanten Inhaltes. Das Verfahren lag damit hinsichtlich seines Umfanges am absolut unteren Ende. Ausweislich des Akteninhaltes war hinsichtlich des Geschwindigkeitsverstoßes der Vollbeweis erbracht. Die Messung erfüllte die Voraussetzungen eines standardisierten Messverfahrens. Hätte der Verteidiger den Akteninhalt geprüft, so wäre ihm bewusst gewesen, dass in diesem Verfahren nur eine Verurteilung der Betroffenen hätte erfolgen können, sofern nicht zuvor ein Verfahrensfehler auftritt. Der Akteninhalt war allerdings überhaupt nicht bekannt, da die Behörde dem Akteneinsichtsgesuch des Verteidigers nicht nachgekommen war und dies auch im Verfahren zu keinem Zeitpunkt nachgeholt hat. Der Verteidiger hatte damit nur einen Aktenumfang von 2 Seiten zu prüfen, nämlich den Anhörungsbogen und den Bußgeldbescheid. Auf dieser Basis konnte nur eine Prüfung erfolgen, ob die auf dem Lichtbild des Anhörungsbogens abgebildete Fahrerin die Betroffene war. Ein derart beschränkter Prüfungsumfang rechtfertigt nur die Festsetzung deutlich unterhalb der Mittelgebühr liegender Gebühren. Dies gilt sowohl für die Grund- als auch für die Verfahrensgebühr.“

13 Seiten LG Aachen zu Gebühren im Strafverfahren, oder: U.a. Billigkeit, Bemessung, Erstattung

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Und als zweite Entscheidung dann noch der LG Aachen, Beschl. v. 26.05.2021 – 60 Qs 18/21. Das LG nimmt umfangreich zur Gebührenbemessung nach § 14 RVG Stellung. Hier sollen dann die ebenfalls umfangreichen Leitsätze reichen, nämlich:

  1. In strafprozessualen Kostenfestsetzungsverfahren besteht eine Abhilfemöglichkeit nicht. Ein gleichwohl erlassener Nichtabhilfebeschluss ist im Hinblick hierauf (deklaratorisch) aufzuheben.

  2. Dem Verteidiger steht gegen einen den Antrag auf Festsetzung der Wahlverteidigervergütung teilweise ablehnenden Kostenfestsetzungsbeschluss keine Beschwerderecht zu (Anschluss an LG Saarbrücken, Beschluss vom 7. November 2012 – 2 Qs 40/12; LG Hagen, Beschluss vom 6. Juli 2016 – 44 Qs 65/16). Zu Gunsten des ehemaligen Angeklagten ist ein von dem Verteidiger im eigenen Namen eingelegtes Rechtsmittel daher so auszulegen, dass dieses (auch) im Namen des ehemaligen Angeklagten eingelegt worden ist.

  3. Die durch Art. 12 Abs. 1 GG geschützte Freiheit, einen Beruf auszuüben, ist untrennbar mit der Freiheit verbunden, eine angemessene Vergütung zu fordern. Gesetzliche Vergütungsregelungen und ihre Anwendung durch die Fachgerichte sind daher am Maßstab dieses Grundrechts zu messen (BVerfG, Kammerbeschuss vom 19. August 2011 – 1 BvR 2473/10).

  4. Gemäß § 14 Abs. 1 Satz 1 RVG bestimmt der Rechtsanwalt in Verfahren, für welche die RVG-VV eine (Betrags-)Rahmengebühr vorsieht, die Höhe der Gebühr innerhalb des vorgegebenen Rahmens unter Berücksichtigung aller Umstände nach billigem Ermessen. Ist die Gebühr von einem Dritten (hier: der Landeskasse), zu erstatten, ist gemäß § 14 Abs. 1 Satz 4 RVG die vom Rechtsanwalt getroffene Bestimmung der Gebührenhöhe nicht verbindlich, wenn sie unbillig ist. Unbillig ist der Gebührenansatz dann, wenn die beantragte Gebühr um mehr als 20 % über der angemessenen Höhe liegt.

  5. Darüber hinaus liegt eine vom ersatzpflichtigen Dritten zu tolerierende Gebührenbestimmung durch den Rechtsanwalt nur dann vor, wenn sie aufgrund der konkreten Umstände des Einzelfalles in Verbindung mit den Bemessungskriterien des § 14 Abs. 1 Satz 1 RVG getroffen worden ist. Liegt eine solche Ermessensentscheidung nicht vor (hier: pauschale Erhöhung der Gebührentatbestände aufgrund einer psychischen Erkrankung des Mandanten ohne Berücksichtigung der hierdurch jeweils abgegoltenen Tätigkeit), ist die vom Verteidiger vorgenommene Gebührenbestimmung auch dann unbillig, wenn sie die Toleranzgrenze von 20 % nicht überschreitet (Anschluss an OLG Stuttgart, Urteil vom 19. April 2012 – 2 U 91/11; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 3. April 1998 – 1 Ws 148/98; LG Tübingen, Beschluss vom 15. Juni 2016 – 9 Qs 37/16).

  6. Sind wesentliche Bemessungskriterien des § 14 Abs. 1 RVG als eher unterdurchschnittlich anzusehen und ist aufgrund einer psychischen Erkrankung des Mandanten ausschließlich die Informationsbeschaffung im Rahmen des Erstgesprächs als überdurchschnittlich anzusehen, kann auch unter Berücksichtigung rechtlicher Schwierigkeiten des Rechtsfalles davon auszugehen sein, dass unter Berücksichtigung des konkreten Umfangs der entfalteten anwaltlichen Tätigkeit bezogen auf den Abgeltungsbereich der Grundgebühr im Vergleich sämtlicher Strafverfahren einschließlich Schwurgerichts- oder Wirtschaftsstrafverfahren insgesamt der Ansatz einer Mittelgebühr angemessen ist (sog. Kompensationstheorie; Anschluss an OLG Saarbrücken, Beschluss vom 16. Januar 2014 – 1 Ws 254/13).

  7. Ist der später freigesprochene Angeklagte einem Hauptverhandlungstermin unentschuldigt ferngeblieben, hat er keinen Anspruch auf Erstattung der auf diesen Tag entfallenden Gebühren und Auslagen seines Verteidigers. Die von dem Verteidiger entfaltete Tätigkeit stellt sich in diesem Fall als zwecklos dar. Die hierdurch entstandenen Gebühren sind daher keine erstattungsfähigen notwendigen Auslagen i.S. des § 464a Abs. 2 Nr. 2 StPO i.V. mit § 91 Abs. 2 ZPO (Anschluss an LG Osnabrück, Beschluss vom 16. September 1997 – 2 Qs 36/97; AG Koblenz, Beschluss vom 28. Februar 2007 – 2060 Js 49013/04 und AG Tiergarten, Beschluss vom 11. Januar 2016 – 232b Ds 10/15).

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