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Angemessene Rahmengebühren im OWi-Verfahren II, oder: Durchschnitt und privates SV-Gutachten

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Die zweite Entscheidung kommt vom LG Zwickau. Das hat im LG Zwickau, Beschl. v. 19.07.2024 – 1 Qs 77/24 – in einem „durchschnittlichen Verfahren“ zu den angemessenen Gebühren und zur Frage der Erstattung der Auslagen für ein privates SV-Gutachten Stellung genommen. In beiden Fällen positiv und in beiden Fällen richtig:

„1. Die von dem Verteidiger geltend gemachten Gebühren entsprechen billigem Ermessen und sind daher verbindlich (§ 14 Abs. 1 Satz 1, 4 RVG).

Die Bemessung von Rahmengebühren hat der Rechtsanwalt gemäß § 14 Abs. 1 Satz 1 RVG unter Berücksichtigung aller Umstände nach billigem Ermessen vorzunehmen. Maßgebliche Kriterien für die Bemessung von Rahmengebühren sind unter anderem Umfang und Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit, Bedeutung der Angelegenheit sowie die wirtschaftlichen Verhältnisse des Auftraggebers. Die sogenannte Mittelgebühr ist anzusetzen, wenn der „Normalfall“ vorliegt, also ein Fall, in dem sämtliche vor allem die nach § 14 Abs. 1 Satz 1 RVG zu berücksichtigenden Umstände durchschnittlicher Art sind, es sich also um eine übliche Bedeutung der Angelegenheit, um einen durch-schnittlichen Umfang und eine durchschnittliche Schwierigkeit der anwaltschaftlichen Tätigkeit und um wirtschaftliche Verhältnisse des Auftraggebers, die dem Durchschnitt der Bevölkerung entsprechen, handelt (Gerold/Schmidt/Meyer, 26. Auflage, 2023, RVG, § 14 Rn. 10). Zwar wird in einfach gelagerten Verfahren wegen Ordnungswidrigkeiten eine Festsetzung der anwaltlichen Vergütungsansprüche im unteren Drittel des zur Verfügung stehenden Gebührenrahmens erfolgen, wenn unter strikter Beachtung der Umstände des Einzelfalls und unter Zugrundelegung der Gebührenbemessungskriterien aus § 14 RVG davon auszugehen ist, dass insgesamt eine Angelegenheit von unterdurchschnittlicher Bedeutung vorliegt. Dies wird in einfach gelagerten Verfahren der Regelfall sein. So liegt der Fall hier aber nicht. Vielmehr entspricht die Schwierigkeit in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht einem durchschnittlichen Verkehrsordnungswidrigkeitenverfahren betreffend eine Geschwindigkeitsüberschreitung. Der Verteidiger hat bereits im Anhörungsverfahren Akteneinsicht und die Einsicht in Unterlagen beantragt, die nicht bereits Inhalt der Akten sind, wobei er die entsprechenden Unterlagen aufgeführt hat. Somit war bereits für die Grundgebühr nach Nr. 5100 VV-RVG die Mittelgebühr anzusetzen. Hieran ändert auch nichts, dass es sich bei dem entsprechenden Schriftsatz vom 28.04.2023 zumindest überwiegend um einen vorformulierten, aus Textbausteinen bestehenden Schriftsatz handeln dürfte. Nach Erlass des Bußgeldbescheides und Einspruchseinlegung hat der Verteidiger geprüft, ob alle angeforderten Unterlagen eingegangen sind. Er hat zu diesem Zeitpunkt bereits mitgeteilt, dass die Einholung eines Sachverständigengutachtens beabsichtigt sei. Auch in der Folge hat er Feststellungen zu fehlenden Unterlagen getroffen. Nach Vorliegen des privaten Sachverständigengutachtens hat er die dort aufgezeigten Auffälligkeiten im Einzelnen aufgeführt und einen entsprechenden Beweisantrag gestellt. Bereits im Zwischenverfahren hat er die Einstellung des Verfahrens beantragt. Aus diesem Grund ist für die Gebühren nach 5100 VV-RVG, 5103 VV-RVG, 5109 VV-RVG und 5115 VV-RVG, die jeweilige Mittelgebühr zum Ansatz zu bringen, auch wenn kein Fahrverbot oder die Eintragung eines Punktes im Fahreignungsregister drohte.

Selbst wenn davon ausgegangen würde, der Ansatz der Mittelgebühr sei nicht gerechtfertigt, wären aus den genannten Gründen keine Gebühren im unteren Drittel des jeweiligen Gebührenrahmens im gegenständlichen Fall angemessen. Ausgehend vom Urteil des Bundesgerichtshofs vom 31.10.2006, Az.: VI ZR 261/05 – juris -, ist eine Abweichung bis zu 20 % gegenüber dem objektiv Angemessenen vertretbar. Erst wenn diese Toleranzgrenze überschritten ist, liegt ein Ermessensmissbrauch vor. Dann muss das Gericht die Gebühr neu festsetzen. Dies ist vorliegend jedoch nicht der Fall.

2. Der Betroffenen sind die Auslagen für das durch ihren Verteidiger in Auftrag gegebene Sachverständigengutachten zu erstatten. Es handelt sich dabei im vorliegenden Fall um notwendige Auslagen im Sinne des § 46 Abs. 1 OWiG i. V. m. §§ 467 Abs. 1, 464 a Abs. 2 StPO.

Notwendige Auslagen sind die einem Beteiligten erwachsenen, in Geld messbaren Auf-wendungen, soweit sie zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder zur Geltend-machung prozessualer Rechte erforderlich waren (LG Dessau-Roßlau, Beschluss vom 04.05.2023 – 6 Js 394 Js 26340/21 (56/23) – juris m. w. N.). Aufwendungen für private Ermittlungen oder Beweiserhebungen sind in der Regel nicht notwendig, weil Ermittlungsbehörden und das Gericht von Amts wegen zur Sachaufklärung und zur Beachtung des Zweifelssatzes verpflichtet sind und die Betroffenen daneben regelmäßig durch Initiativanträge, insbesondere Beweisanträge das Gericht zu der begehrten Beweisaufnahme bestimmen können und werden (a.a.O.). Hiervon werden jedoch Ausnahmen anerkannt. Abgesehen von der Konstellation, in der das Privatgutachten tatsächlich ursächlich für den Freispruch oder die Einstellung des Verfahrens geworden ist, wird es ausnahmsweise zum Beispiel dann als erstattungsfähig angesehen, wenn es ein abgelegenes und technisch schwieriges Sachgebiet betrifft (LG Wuppertal, Beschluss vom 08.02.2018, DAR 2018, 236; LG Aachen, Beschluss vom 12.07.2018, Az.: 66 Qs 31/18 – juris -; LG Dessau-Roßlau, a.a.O.). Hinzu kommt, dass die Gründe, auf denen die Beschränkung der Erstattungsfähigkeit der Kosten für private Sachverständigengutachten beruhen, nämlich, dass der Betroffene darauf vertrauen kann, dass von Amts wegen alle erforderlichen Ermittlungen erfolgen und er im Übrigen das Recht und die Pflicht hat, Beweisanträge zu stellen, in Fällen wie dem vorliegenden nur eingeschränkt zur Geltung kommen (LG Bielefeld, Beschluss vom 19.12.2019, Az.: 10 Qs 425/19 – juris – m. w. N.). Im Bußgeldverfahren sind nämlich dann, wenn ein standardisiertes Messverfahren zum Einsatz gekommen ist, die Anforderungen an die Darlegung einer Fehlermessung, die eine weitere Beweiserhebung durch das Gericht nach sich ziehen würde, erhöht. Hier müssen von Seiten der Verteidigung konkrete Anhaltspunkte für einen Messfehler vorgebracht werden, um eine weitergehende Aufklärung des Gerichts zu begründen. Insofern ist die Amtsermittlungspflicht eingeschränkt (LG Bielefeld, a.a.O., m. w. N.).

Bei dem gegenständlichen zur Geschwindigkeitsmessung eingesetzten Lasermess-system Vitronic Poli-Scan FM1 handelt es sich um ein standardisiertes Messverfahren. Somit musste die Betroffene davon ausgehen, dass keine Beweiserhebung zur Ordnungsgemäßheit der Messung erfolgen würde, wenn sie keine konkreten Anhaltspunkte für einen Messfehler vorbringt. Insbesondere ist nicht ersichtlich, dass solche Anhalts-punkte vor der Beauftragung des Gutachtens vorgelegen hätten. Hieran ändert auch die Ladung des Zeugen pp. zum Beweisthema Geschwindigkeitsmessung vom 13.03.2023 in Zwickau, Wildenfelser Straße, nichts, da aufgrund des technisch schwierigen Sachgebietes nicht ohne Weiteres adäquate Fragen zu möglichen Messfehlern gestellt oder Widersprüche vorgehalten hätten werden können. Zudem hat das Amtsgericht auf den Terminsverlegungsantrag des Verteidigers und dessen Hinweis, dass die Begutachtung der verfahrensgegenständlichen Verkehrsmessung in Auftrag gegeben worden sei, welche zwei bis drei Monate in Anspruch nehme und daher eine neue Terminierung erst für Ende November 2023 erfolgen solle, den Verhandlungstermin entsprechend auf den 17.11.2023 verlegt.

Das Sachverständigengutachten vom 20.10.2023 ging am 26.10.2023 beim Amtsgericht Zwickau ein. Mit Schreiben vom 24.10.2023, das ebenfalls am 26.10.2023 beim Amtsgericht Zwickau eingegangen ist, hat die Betroffene durch ihren Verteidiger diverse Auffälligkeiten bei der Geschwindigkeitsmessung, ergebend aus dem Sachverständigengutachten, aufgeführt. Das Gutachten zeigt diverse Auffälligkeiten auf, die einzeln betrachtet grundsätzlich nicht zu einer Unverwertbarkeit führen müssen. Allerdings würde im Hinblick auf signifikante Auffälligkeiten innerhalb der Messserie eine technische Verwertbarkeit durchaus als diskussionswürdig erscheinen. Auch wird deswegen ein weiterer Toleranzabzug thematisiert, ohne dass ein entsprechender Vorschlag unterbreitet wurde.

Aus den Einwendungen der Betroffenen zur gegenständlichen Geschwindigkeitsmessung und der zeitlichen Abfolge mit der dann folgenden Einstellung des Verfahrens er-gibt sich, dass die privaten Ermittlungen tatsächlich auch zur Entscheidungsfindung beigetragen haben.“

Angemessene Rahmengebühren im OWi-Verfahren I, oder: Höhe der Terminsgebühren – schwierig?

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Und dann RVG – heute mal wieder zwei zu § 14 RVG – Rahmengebühren -, und zwar im Bußgeldverfahren.

Den Opener mache ich mit dem LG Freiburg, Beschl. v. 30.07.2024 – 2 Qs 50/24. Gestritten wird nach Einstellung des Verfahrens wegen des Verfahrenshindernisses eines Strafklageverbrauchs auf Hinweis des Verteidigers nach § 206a StPO i.V.m. § 46 Abs. 1 OWiG um die Höhe der vom Verteidiger im Kostenfestsetzungsverfahren geltend gemachten Terminsgebühren. Der Verteidiger hatte jeweils die Mittelgebühr angesetzt. Das AG hate geringere Beträge festgesetzt, und zwar unterhalb der Mittelgebühr, nämlich einmal nur  150,00 EUR und einmal nur 100,00 EUR. Dagegen die sofortige Beschwerde des Betroffenen, die insoweit Erfolg hatte:

„Hinsichtlich der Terminsgebühren waren nach § 14 RVG vorliegend Mittelgebühren zu VV Nr. 5110 RVG in Höhe von jeweils 280,50 Euro festzusetzen.

Eine Rahmengebühr nach § 14 RVG – wie sie hier mit Rücksicht auf die Gebührentatbestände im Streit steht – ist unter Berücksichtigung aller Umstände, vor allem des Umfangs und der Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit, der Bedeutung der Angelegenheit sowie der Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Auftraggebers nach billigem Ermessen zu bestimmen. Ist die Gebühr — wie hier — von einem Dritten zu ersetzen, ist die von dem Rechtsanwalt getroffene Bestimmung nicht verbindlich, wenn sie unbillig ist, vgl. § 14 Abs. 1 Satz 4 RVG.

Daran gemessen ist die Gebührenbestimmung des Verteidigers hinsichtlich der Terminsgebühren unter Berücksichtigung aller Umstände vorliegend nicht unbillig, sondern als angemessen zu betrachten. Insoweit ist trotz des relativ geringen zeitlichen Umfangs der Verhandlungstermine und des recht geringen Gewichts der vorgeworfenen Ordnungswidrigkeit vorliegend im Hinblick auf die Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des vorliegenden Falles insbesondere die Frage des Bestehens eines Strafklageverbrauchs zu sehen.

Ob bereits die Gefahr des Eintrags eines Punktes ins Fahreignungsregister ausgereicht hätte, um das Ansetzen der Mittelgebühr zu rechtfertigen (dagegen etwa LG Würzburg, Beschluss vom 19.3.2020 — 1 Qs 48/20), kann dahinstehen.“

„Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit“ – dazu hätte man gern mehr gewusst. Dazu steht aber leider nichts im Beschluss. Einstellung „wegen des Verfahrenshindernisses eines Strafklageverbrauchs“ lässt aber ahnen, worum gestritten worden ist.

VerfG III: Ermessen und Auslagenentscheidung, oder: Ressourcenverschleuderung auf hohem Niveau

Smiley

Im dritten Posting dann etwas aus Sachsen, und zwar der VerfGH Sachsen, Beschl. v. 23.05.2024 – Vf. 22-IV-23 – mal wieder zur Ermessensausübung bei der Auslagenentscheidung nach Einstellung des (Bußgeld)verfahren. Derzeit ist häufig über (ober)gerichtliche Rechtsprechung zu berichten. Hier wurde der (ehemaligen) Betroffenen mit Bescheid des Landratsamtes vom 04.10.2022 vorgeworfen, verkehrsordnungswidrig im eingeschränkten Halteverbot geparkt zu haben. Die Betroffene legte Einspruch gegen den Bußgeldbescheid ein und beantragte die Einstellung des Bußgeldverfahrens. Ferner beantragte sie, ihre notwendigen Auslagen der Staatskasse aufzuerlegen. In der Hauptverhandlung stellte das AG Kamenz das Verfahren mit Beschluss vom 03.04.2023 nach § 47 Abs. 2 OWiG ein. Die Kosten des Verfahrens legte es der Staatskasse auf. Das AG hat aber Gericht hat davon abgesehen, auch die notwendigen Auslagen der Betroffenen der Staatskasse aufzuerlegen.

Hiergegen hat die Betroffene Anhörungsrüge erhoben. Mit Beschluss vom 25.04.2023 hat das AG diese als unbegründet zurückgewiesen. Der Beschluss vom 03.04.2023 sei zwar ohne die Gewährung rechtlichen Gehörs ergangen. Dies sei durch die Anhörungsrüge aber nachgeholt worden. Gründe dafür, die Auslagenentscheidung zu ändern, sehe das Gericht nicht.

Die Betroffene hat Verfassungsbeschwerde gegen die Beschlüsse des AG Kamenz vom 03. und 25.04.2023 eingelegt. Sie rügt eine Verletzung ihres Anspruchs auf rechtliches Gehör sowie einen Verstoß gegen das Willkürverbot. Im Ergebnis der Beweisaufnahme hätten sich die gegen sie erhobenen Vorwürfe nicht bestätigt. Der Vorsitzende habe kein rechtliches Gehör zum beabsichtigten Vorgehen gewährt. Der Beschluss vom 03.04.2023 enthalte keinen Hinweis auf die Rechtsgrundlage für die Auslagenentscheidung und keinerlei Erwägungen zu den maßgeblichen rechtlichen Gesichtspunkten für eine vom Grundsatz des § 467 Abs. 1 StPO i.V.m. § 46 OWiG abweichende Kostentragung nach § 467 Abs. 4 StPO. Es könne daher nicht ausgeschlossen werden, dass das Gericht sich insoweit von sachfremden Erwägungen habe leiten lassen. Willkür könne im Falle des Fehlens einer Begründung schon dann vorliegen, wenn eine andere Entscheidung nahegelegen hätte und eine nachvollziehbare Begründung für das Abweichen hiervon fehle.

Die Verfassungsbeschwerde hatte teilweise Erfolg. Der VerfGH sachsen hat, soweit im Beschluss vom 03.04.2024 über die notwendigen Auslagen der Betroffenen entschieden worden ist, den Beschluss aufgehoben und die Sache an das AG Kamenz zurückverwiesen. Im Übrigen hat es die Verfassungsbeschwerde verworfen.

Der VerfGH geht von einem Verstoß gegen das Willkürverbot aus. Er legt dazu – noch einmal – die Maßstäbe dar und führt dann zur Sache aus:

„bb) Nach diesen Maßstäben verletzt die angegriffene Auslagenentscheidung die Beschwerdeführerin in ihrem Grundrecht aus Art. 18 Abs. 1 SächsVerf, denn es ist nicht erkennbar, weshalb das Amtsgericht von einer Auslagenerstattung abgesehen hat, obwohl die Erstattung den gesetzlichen Regelfall darstellt.

(1) Gemäß § 467 Abs. 1 StPO i.V.m. § 46 Abs. 1 OWiG hat die nach Einstellung eines Bußgeldverfahrens zu treffende Entscheidung über die notwendigen Auslagen des Betroffenen grundsätzlich dahingehend auszufallen, dass diese zu Lasten der Staatskasse gehen. Zwar kann oder muss hiervon in einigen gesetzlich geregelten Fällen abgesehen werden (§ 109a Abs. 2 OWiG, § 467 Abs. 2 bis 4 StPO i.V.m. § 46 Abs. 1 OWiG). Der Entscheidung des Amtsgerichts über die notwendigen Auslagen lässt sich jedoch nicht einmal im Ansatz entnehmen, aus welchem Grunde diese der Beschwerdeführerin auferlegt wurden. Weder gibt es Anhaltspunkte für eine Ermessensentscheidung nach § 109a Abs. 2 OWiG noch für eine schuldhafte Säumnis der Beschwerdeführerin (§ 467 Abs. 2 Satz 2 StPO) oder eine unwahre Selbstanzeige (§ 467 Abs. 3 Satz 1 StPO) bzw. wahrheitswidrige Selbstbelastung (§ 467 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 StPO). Da das Amtsgericht das Verfahren nach § 47 Abs. 2 OWiG und nicht wegen eines Verfahrenshindernisses eingestellt hat, konnte die Auslagenentscheidung auch nicht auf § 467 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 StPO gestützt werden.

Nach § 467 Abs. 4 StPO i.V.m. § 46 Abs. 1 OWiG kann ein Gericht zwar davon absehen, die notwendigen Auslagen des Betroffenen der Staatskasse aufzuerlegen, wenn es das Verfahren nach einer Vorschrift einstellt, die dies – wie § 47 Abs. 2 OWiG – nach seinem Ermessen zulässt. Dabei darf auf die Stärke des Tatverdachts abgestellt, aber ohne prozessordnungsgemäße Feststellung keine Schuldzuweisung vorgenommen werden (vgl. BVerfG, Beschluss vom 29. Mai 1990, BVerfGE 82, 106 [117]). Allerdings hat das Amtsgericht seine Auslagenentscheidung weder im Beschluss vom 3. April 2023 begründet noch die fehlende Begründung in seiner Entscheidung über die Anhörungsrüge vom 25. April 2023 nachgeholt (insoweit anders in den Sachverhalten, die den Beschlüssen vom heutigen Tag – Vf. 14-IV-23, Vf. 15-IV-23 – zugrunde lagen). Ungeachtet des von der Beschwerdeführerin bestrittenen Vorwurfs und der durchgeführten Hauptverhandlung enthält die angegriffene Entscheidung keine Hinweise auf die maßgeblichen rechtlichen Gesichtspunkte für eine vom Grundsatz des § 467 Abs. 1 StPO abweichende Kostentragung gemäß § 467 Abs. 4 StPO. Anders als in Fällen, in denen eine Begründung vorhanden ist und auf ihre Vertretbarkeit geprüft werden kann, kann Willkür im Falle des Fehlens einer Begründung schon dann vorliegen, wenn eine andere Entscheidung – hier gerichtet auf die Erstattung notwendiger Auslagen als dem gesetzlichen Regelfall – nahegelegen hätte und eine nachvollziehbare Begründung für das Abweichen hiervon fehlt (vgl. BerlVerfGH, Beschluss vom 27. April 2022 – 130/20 – juris Rn. 9). Das Fehlen der Begründung einer gerichtlichen Entscheidung führt vorliegend dazu, dass ein Verfassungsverstoß nicht auszuschließen und die Entscheidung deshalb aufzuheben ist, weil erhebliche Zweifel an ihrer Rechtmäßigkeit bestehen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 13. Oktober 2015 – 2 BvR 2436/14 – juris Rn. 32; Beschluss vom 12. März 2008 – 2 BvR 378/05 – juris Rn. 33; Beschluss vom 25. Februar 1993 – 2 BvR 251/93 – juris Rn. 4).“

Das ist mal wieder eine der Entscheidungen, bei denen man sich verwundert die Augen reibt und den Kopf schüttelt, wenn man sie gelesen hat, und sich fragt: Wie oft denn noch? Und warum muss für eine solche Frage eigentlich ein Verfassungsgericht bemüht werden, das dann die richtige Entscheidung trifft und das AG „zwingt“, sich noch einmal mit den Fragen zu befassen. Das ist in meinen Augen Ressourcenverschleuderung auf hohem Niveau. Denn:

Warum legt das AG nicht von vornherein nach Einstellung des Verfahrens die Auslagen der Staatskasse auf bzw. warum wird die getroffene andere Entscheidung nicht begründet? Wenn einem als Amtsrichter schon Ermessen eingeräumt wird und man dieses ausübt und vom Regelfall abweicht, dann muss man das begründen. Das ist ja nun auch nichts Neues, sondern sollte ein Amtsrichter wissen; die vom VerfGH zitierte Rechtsprechung zeigt anschaulich wie „alt“ die angesprochenen Fragen sind. Und weiter fragt man sich: Wenn man nun in der Hauptverhandlung die Begründung für die abweichende Entscheidung vergessen hat, was ja passieren kann, aber an sich nicht sollte, dass ist nicht nachzuvollziehen, warum man dann nicht auf die Anhörungsrüge hin den einfachen Weg zur Reparatur der lückenhaften Ausgangsentscheidung geht und die Begründung nachholt? Nein. man geht über diese „goldene Brücke“ nicht, sondern ist vielmehr noch so frech, dass man die Betroffene bescheidet, dass man Gründe dafür, die Auslagenentscheidung zu ändern, nicht sehe. Man kann nur hoffen, dass die Entscheidung „hilft“ und der Amtsrichter sich in zukünftigen Fällen an die mehr als deutlichen Vorgaben des VerfGH hält.

Verteidigern/Rechtsanwälten kann man nur raten, den Weg zum Verfassungsgericht nicht zu scheuen und in vergleichbaren Fällen Verfassungsbeschwerde zu erheben. Man wird ja auch nicht „umsonst“ tätig. Denn die notwendigen Auslagen werden im Zweifel der Staatskasse auferlegt (so auch hier nach § 16 Abs. 3 SächsVerfGHG). Abgerechnet wird nach § 37 RVG. Den dafür erforderlichen Gegenstandswert setzt das Verfassungsgericht nach § 37 Abs. 2 S. 2 i.V.m. § 14 Abs. 1 RVG fest. Hier ist der Gegenstandswert auf immerhin 8.000 EUR festgesetzt worden. Billig wird es für die Staatskasse also nicht.

OWi III: Entgegen dem BayObLG Einsicht in Messreihe, oder: Ende der Karriere :-)

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Und dann zum Schluss noch ein AG-Beschluss zum Dauerbrennerthema „Akteneinsicht im Bußgeldverfahren“. Ich stelle den Beschluss vor, weil er sich vom Mainstream der OLG-Rechtsprechung wohltuend absetzt und das in Bayern (!!).

Der Verteidiger des Betroffenen, dem eine Geschwindigkeitsüberschreitung zur Last gelegt wird, hat Akteneinsicht beantragt, die nur teilweise gewährt worden ist. Gegen die Versagung der Gewährung von Akteneinsicht ist Antrag auf gerichtliche Entscheidung gemäß § 62 OWiG gestellt worden

Das AG Passau hat im AG Passau, Beschl. v. 13.02.2024 – 4 OWi 749/23 – das bayerische Polizeiverwaltungsamt „angewiesen, dem Verteidiger die mit Antragsschriftssatz vom 16.12.2023 angeforderten Unterlagen in Form des ersten und des letzten Bildes der gesamten Messereihe sowie der jeweils 5 Bilder vor und nach der Messung des Betroffenen im Rahmen einer erneuten Akteneinsicht zur Verfügung zu stellen.“

Begründung:

„Dieser Antrag erweist sich als zulässig und begründet.

Grundsätzlich steht einem Verteidiger ein Akteneinsichtsrecht zu gemäß § 46 I OWiG in Verbindung mit § 147 StPO.

Dieses umfasst regelmäßig lediglich die in der Akte des Bußgeldverfahrens enthaltenen Unterlagen. Das Akteneinsichtsrecht begründet grundsätzlich keinen Anspruch auf Erweiterung des Aktenbestandes.

Ein solcher Anspruch ergibt sich jedoch im vorliegenden Verfahren aus der gesetzlich gebotenen Aufklärungspflicht, denn die im Beschlusstenor genannten Unterlagen sind zur Überprüfung der verfahrensgegenständlichen Messung durch einen Sachverständigen spätestens diesem in der Praxis regelmäßig vorzulegen.

Entgegen der Rechtsansicht des BayObLG verwenden Sachverständige diese Bilder der Messreihe zur Überprüfung einer Geschwindigkeitsmessung regelmäßig und ziehen aus diesen Rückschlüsse auf die Richtigkeit bzw. Unrichtigkeit der Messung, welche sich beispielsweise durch eine im Rahmen des Vergleichs der Messbilder festzustellende Veränderung der Bildeinstellung ergeben kann.“

„Entgegen der Rechtsansicht des BayObLG“ = Ende der Karriere 🙂 .

Zwei OVG-Entscheidungen zur Fahrtenbuchauflage, oder: Mitwirkungspflicht beim Firmenfahrzeug

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Und im Kessel Buntes dann heute (Verkehrs)Verwaltungsrecht.

Zunächst hier zwei OVG-Entscheidungen zum Fahrtenbuch (§ 31a StVZO). Ich stelle, da die Problematik ja weitgehend bekannt ist, hier nur die Leitsätze der beiden Entscheidungen ein, und zwar:

Aus der Perspektive des späteren Verfahrens zur Anordnung einer Fahrtenbuchführungspflicht obliegt einer GmbH als Halterin des Tatfahrzeugs einer Geschwindigkeitsüberschreitung auch dann eine hinreichende Mitwirkung an der Ermittlung des verantwortlichen Fahrzeugführers, wenn sie im Bußgeldverfahren nicht nur als Zeugin, sondern in erster Linie als Betroffene angehört wird.

1. Steht fest, dass die Fahrzeughalterin einen Zeugenfragebogen erhalten und darauf nicht reagiert hat, kommt es auf den Einwand, ein vorangegangenes Anhörungsschreiben nicht erhalten zu haben, nicht entscheidend an.
2. Auf die Einhaltung der sog. Zweiwochenfrist, die weder ein formales Tatbestandsmerkmal des § 31a Abs. 1 Satz 1 StVZO noch eine starre Grenze darstellt, kann sich der Halter nicht bei Verkehrsverstößen berufen, die mit einem Firmenfahrzeug eines Kaufmanns im geschäftlichen Zusammenhang begangen worden sind. Denn bei Firmenfahrzeugen fällt es in die Sphäre der Geschäftsleitung, organisatorische Vorkehrungen dafür zu treffen, dass im Falle einer Verkehrszuwiderhandlung ohne Rücksicht auf die Erinnerung Einzelner festgestellt werden kann, welche Person zu einem bestimmten Zeitpunkt ein bestimmtes Geschäftsfahrzeug benutzt hat.