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Mal wieder Rahmengebühren im Bußgeldverfahren, oder: Einen Schritt vor, einen Schritt zurück

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Und dann im zweiten Postung mal wieder eine Entscheidung zur Bemessung der Rahmengebühren im (straßenverkehrsrechtlichen) Bußgeldverfahren. Leider hat das LG Hamburg im LG Hamburg, Beschl. v. 27.08.2025 – 615 Qs 83/25 – dazu falsch entschieden.

Es hat sich um ein ganz „normales“Bußgeldverfahren gehandelt. Es ging um den Vorwurf einer außerorts begangenen Geschwindigkeitsüberschreitung und eine Geldbuße in Höhe von 150,00 EUR. Der Verteidiger hat sich bei der Verwaltungsbehörde legitimiert und Akteneinsicht beantragt. Gegen den Bußgeldbescheid hat er dann Einspruch eingelegt und an die beantragte Akteneinsicht erinnert. Er hat dann angeregt der Verteidiger, das Verfahren einzustellen, da der Fahrer auf den inzwischen beigezogenen Hochglanzbildern nicht erkennbar sei; zudem sei der Messrahmen verzogen, so dass die Geschwindigkeitsermittlung ggf. gutachterlich dahingehend zu überprüfen sei, ob sie entsprechend der Vorgaben der Bauartzulassung der physisch-technischen Bundesanstalt erfolgt sei.

Die Bußgeldbehörde hat die Sache an die Staatsanwaltschaft abgegeben, welche die Akte gem. § 69 OWiG beim zuständigen AG vorgelegt hat. Das AG hat das Verfahren nach Einholung der Zustimmung der Staatsanwaltschaft gemäß § 47 Abs. 2 OWiG eingestellt, weil die Betroffene auf den Messbildern nicht zu erkennen sei, und hat die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen der Betroffenen der Staatskasse auferlegt.

Der Verteidiger hat dann unter Vorlage einer Abtretungserklärung der Betroffenen Kostenfestsetzung in Höhe von 806,82 EUR beantragt. Der Vertreter der Staatskasse hat die Bemessung der Gebühren in der Rahmenmitte moniert. Es handele sich um eine alltägliche Verkehrsordnungswidrigkeit ohne nennenswerte juristische Probleme, die vom Sachverhalt einfach zu erfassen gewesen sei. Der Aktenumfang sei im Zeitpunkt der Akteneinsicht mit 38 Seiten gering gewesen und die erste Einarbeitung daher denkbar einfach gelagert und von erheblich unterdurchschnittlicher Anforderung gewesen.

Das AG hat die aus der Staatskasse zu erstattenden notwendigen Auslagen der Betroffenen abweichend vom Antrag des Verteidigers – bis auf die Nr. 5115 VV RVG – jeweils unter der Mittelgebühr festgesetzt. Dagegen das Rechtsmittel des Verteidigers. (Natürlich) Ohne Erfolg:

„Die gemäß §§ 464b S. 3 u. S. 4, 304 Abs. 3 StPO i.V.m. §§ 46 Abs. 1 OWiG, 104 Abs. 3 S. 1 ZPO, 11 Abs. 1 RPflG zulässige sofortige Beschwerde ist unbegründet.

1. Gemäß § 14 Abs. 1 S. 1 RVG bestimmt der Rechtsanwalt in Verfahren, für welche die VV-RVG eine Rahmengebühr vorsieht, die Höhe der Gebühr innerhalb des vorgegebenen Rahmens unter Berücksichtigung aller Umstände, insbesondere der Bedeutung der Angelegenheit, des Umfangs und der Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit sowie der Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Auftraggebers nach billigem Ermessen. Sind, wie im vorliegenden Fall, aufgrund der Einstellung des Verfahrens die notwendigen Auslagen des Betroffenen von der Staatskasse zu erstatten, ist eine gemäß § 14 Abs. 1 S. 4 RVG vom Rechtsanwalt getroffene Bestimmung der Gebührenhöhe nicht verbindlich, wenn sie unbillig ist. Unbillig ist der Gebührenansatz nach herrschender, von der Kammer geteilter Ansicht dann, wenn die beantragte Gebühr um mehr als 20 % über der angemessenen Höhe liegt (BGH, NJW-RR 2007, 420, 421).

a) Dies ist vorliegend der Fall. Zu Recht hat das Amtsgericht Hamburg-Bergedorf die von dem Verteidiger geltend gemachten Gebühren Nr. 5100, Nr. 5103 und Nr. 5109 als unbillig angesehen. Die Kostenfestsetzung dieser Gebühren durch das Amtsgericht Hamburg-Bergedorf ist unter Berücksichtigung der Bewertungsmerkmale des § 14 RVG nicht zu beanstanden. Die in § 14 RVG genannten Kriterien rechtfertigen nicht die Festsetzung der jeweils beantragten Mittelgebühr.

Nach dem Vergütungsverzeichnis des RVG a.F. bemisst sich in Bußgeldverfahren für Wahlverteidiger die Gebühr Nr. 5100 aus einem Rahmen von 33,- € bis 187,- € (Mittelgebühr 110,- €), die Gebühr Nr. 5103 aus einem Rahmen von 33,- € bis 319,- € (Mittelgebühr 176,- €) und die die Gebühr Nr. 5109 aus einem Rahmen von 33,- € bis 319,- € (Mittelgebühr 176,- €). Ausgangspunkt für die Gebührenbemessung in straßenverkehrsrechtlichen Bußgeldverfahren ist grundsätzlich zunächst einmal die Mittelgebühr (LG Saarbrücken, Beschluss vom 09.07.14, Az. 2 Qs 30/14; LG Düsseldorf, Beschluss vom 04.08.06, Az. I Qs 83/06; LG Kiel, zfs 2007, 106; LG Stralsund, zfs 2006, 407). Bei der einzelnen Gebührenbestimmung innerhalb der Gebührenrahmen ist dann jedoch auf die Gesamtumstände und die Besonderheiten des Einzelfalles abzustellen (vgl. LG Saarbrücken a.a.O.).

Danach ist vorliegend von einer unterdurchschnittlich schwierigen Angelegenheit sowohl in tatsächlicher als auch in rechtlicher Hinsicht auszugehen. Bei dem Vorwurf der Geschwindigkeitsüberschreitung und der Festsetzung einer Geldbuße in Höhe von 150,00 € ohne Festsetzung eines Fahrverbots handelt es sich um eine ganz alltägliche und einfach gelagerte Verkehrssache. Die von dem Verteidiger geltend gemachte Grundgebühr Nr. 5100 VV RVG a.F. entsteht mit der erstmaligen Einarbeitung in den Sachverhalt. Rechtliche und tatsächliche Schwierigkeiten sind nicht ersichtlich. Die erstmalige Einarbeitung war angesichts des überschaubaren Akteninhalts von 38 Seiten zum Zeitpunkt der Akteneinsicht und angesichts des einfach gelagerten Vorwurfs von unterdurchschnittlicher Anforderung, sodass sie keine Mittelgebühr rechtfertigt. Die Festsetzung von 85,00 €, was noch deutlich über der Mindestgebühr liegt, trägt diesem Aufwand zutreffend Rechnung.

Die Kammer hat dabei in besonderem Maße berücksichtigt, dass die bereits bei der ersten Akteneinsicht in der Akte befindlichen Fotos von derart schlechter Qualität waren, dass ganz offenkundig eine Identifizierung allein anhand dieser Fotos nicht möglich gewesen wäre. Das Aufzeigen dieses Umstands als „durchschnittliche Schwierigkeit“ für eine anwaltliche Tätigkeit zu werten, ist gänzlich fernliegend.

Entsprechend begegnet auch die durch das Amtsgericht vorgenommene Festsetzung der Verfahrensgebühren zu Nr. 5103 VV RVG a.F. und Nr. 5109 VV RVG a.F. keinen Bedenken, sondern trägt dem geringen Aufwand zutreffend Rechnung. Die Kammer hat dabei hinsichtlich der Gebühr zur Nr. 5109 VV RVG a.F. in besonderem Maße berücksichtigt, dass das Verfahren nahezu unmittelbar nach Eingang beim Amtsgericht aufgrund der schlechten Bildqualität eingestellt worden ist, ohne dass in diesem gerichtlichen Verfahren eine anwaltliche Tätigkeit ersichtlich geworden ist.“

Dazu ist anzumerken: Der vom LG gewählte Ausgangspunkt: Mittelgebühr, ist zutreffend. Das entspricht der m.E. überwiegenden – zutreffenden – Auffassung in der Rechtsprechung der LG und AG (vgl. zuletzt LG Köln, Beschl. v. 21.03.2025 – 110 Qs 51/24). Zutreffend ist es auch, wenn das LG darauf hinweist, dass für die konkrete Gebührenbestimmung innerhalb der Gebührenrahmen jedoch auf die Gesamtumstände und die Besonderheiten des Einzelfalles abzustellen ist. Das ist richtig (s. dazu auch LG Köln, a.a.O.), aber das LG argumentiert dann m.E. widersprüchlich, wenn es dann dennoch von einer unterdurchschnittlich schwierigen Angelegenheit sowohl in tatsächlicher als auch in rechtlicher Hinsicht ausgeht und das mit dem Vorwurf der Geschwindigkeitsüberschreitung und der Festsetzung einer Geldbuße in Höhe von (nur) 150,00 EUR ohne Festsetzung eines Fahrverbots begründet, weshalb nur eine „alltägliche und einfach gelagerte Verkehrssache“ vorliegen soll. Richtig, aber: Das ist doch gerade das, was die straßenverkehrsrechtlichen Bußgeldsachen „auszeichnet“: Es handelt sich um Feld-Wald-Wiesen-Fälle ohne Besonderheiten, die eine Erhöhung oder eine Ermäßigung der Mittelgebühr rechtfertigen würden, so dass sie dem Durchschnitt oder dem „Normalfall“ entsprechen, weshalb eben die Mittelgebühr angemessen ist (so auch zutreffend LG Köln, a.a.O.). Das LG macht mit seiner Argumentation nach einem richtigen Schritt vorwärts, sogleich wieder einen zurück. Da wäre es ehrlicher gewesen, sofort zu sagen, dass in straßenverkehrsrechtlichen Bußgeldverfahren die Mittelgebühr nicht der Ausgangspunkt für die Gebührenbemessung ist.

Im Übrigen ist anzumerken. Es wäre schön, wenn auch Beschwerdekammern gelegentlich die Fundstellennachweise aktualisieren würden. Nachweise aus den Jahren 2006 oder 2007 sind bei der Flut der Rechtsprechung, die es seitdem zu der Problematik: Mittelgebühr in straßenverkehrsrechtlichen Bußgeldverfahren, gegeben hat, nicht unbedingt erste Adresse.

OWi-Verfahren II: Bemessung der OWi-Gebühren, oder: Gibt es eine gesonderte „Beschwerdegebühr“?

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Und als zweite Entscheidung gibt es den LG Ravensburg, Beschl. v. 23.07.2025 – 1 Qs 35/25. In ihm geht es vornehmlich um die gebührenmäßige Behandlung von Tätigkeiten des Rechtsanwalts in Beschwerdeverfahren bzw. in Verfahren betreffend Antrag auf gerichtliche Entscheidung.

Dem Betroffenen ist eine Abstandsunterschreitung zur Last gelegt worden. Deswegen wurde gegen ihn eine Geldbuße von 75 EUR festgesetzt. Der Verteidiger hat dagegen am 30.12.2022 Einspruch eingelegt. Er teilte mit, dass der Betroffene aufgrund anwaltlichen Rats keine Angaben zur Sache machen werde und beantragte die Einstellung des Verfahrens sowie die Gewährung von Akteneinsicht.

In Verkennung des Umstands, dass der Einspruch durch einen neuen Verteidiger eingelegt worden war, fragte die Bußgeldbehörde bei dem Rechtsanwalt, der sich ursprünglich als Verteidiger legitimiert hatte und dem bereits Akteneinsicht gewährt worden war, an, ob tatsächlich eine nochmalige Einsichtsgewährung gewünscht werde. Zudem wurde dem ursprünglichen Verteidiger Gelegenheit gegeben, den Einspruch binnen zwei Wochen zu begründen. Am 08.02.2023 wurde die unerledigte Akteneinsicht durch die Kanzlei des zwischenzeitlichen Verteidigers moniert, worauf zunächst keine Reaktion erfolgte. Aufgrund einer erneuten Erinnerung des Verteidigers vom 07.03.2023 sah sich die Sachbearbeiterin der Bußgeldstelle veranlasst, den Betroffenen direkt anzuschreiben und zu einer Mitteilung, von wem er verteidigt werde, aufzufordern. Für den Fall einer ausbleibenden Rückmeldung wurde angekündigt, den Schriftverkehr direkt mit dem neuen Rechtsanwalt zu führen. Dem Verteidiger wurde mitgeteilt, dass die Akteneinsiohtsgewährung erfolgen werde, sobald der Betroffene erklärt habe, von wem er verteidigt werde. Hierauf beantragte der Verteidiger mit Schriftsatz vom 09.03.2023 die gerichtliche Entscheidung, dass die Verwaltungsbehörde angewiesen werde, dem Verteidiger Akteneinsicht zu gewähren. Der Antrag wurde auf zwei Seiten unter Bezugnahme auf Rechtsprechung und Literatur begründet. Die Bußgeldbehörde wandte sich hierauf nochmals an den ursprünglichen Verteidiger, der mit E-Mail vom 11.03.2023 seine Mandatsniederlegung erklärte. Zur Akteneinsichtsgewährung an den zwischenzeitlichen Verteidiger kam es erst am 05.04.2023.

Mit Schriftsatz vom 21.4.2023 beantragte der Verteidiger, die von der Verwaltungsbehörde festgesetzte Aktenversendungspauschale in Höhe von 12 EUR durch gerichtliche Entscheidung aufzuheben. Der Antrag enthielt eine dreiseitige Begründung. Zudem waren mehrere unveröffentlichte amtsgerichtliche Beschlüsse, auf die sich der Verteidiger stützte, beigefügt.

Am 25.04.2023 wurde dem Verteidiger Gelegenheit gegeben, den Einspruch binnen acht Tagen zu begründen. Gleichzeitig wurde die Akte dem AG zur Entscheidung über die beanstandete Aktenpauschale vorgelegt. Der Verteidiger beantragte am selben Tag die Überlassung weiterer Unterlagen zur Prüfung des Tatvorwurfs. Hierzu nahm die Verwaltungsbehörde in einem zweiseitigen Schreiben vom 28.04.2023, mit dem zumindest die Bedienungsanleitung für das Messgerät ergänzend zugänglich gemacht wurde, Stellung. Die am 16.05.2023 von der Bußgeldstelle abverfügte Akte ging am 23.05.2023 bei der Staatsanwaltschaft ein; die Weiterleitung an den Bußgeldrichter wurde am 01.06.2023 angeordnet. Akteneingang beim AG war am 13.06.2023. Dort geriet die Akte alsbald nach der Verfahrenserfassung außer Kontrolle, was erst am 11.04.2024 bemerkt wurde.

Mit Beschluss vom 23.04.2024 stellte der Bußgeldrichter das Verfahren wegen eingetretener Verfolgungsverjährung ein. Die Erstattung der notwendigen Auslagen des Betroffenen lehnte er ab. Auf die hiergegen vom gerichtete sofortige Beschwerde änderte das LG Ravensburg die Kostenentscheidung dahin ab, dass die notwendigen Auslagen des Beschwerdeführers der Staatskasse zur Last fallen (vgl. Beschl. v. 11.11.2024 – 1 Qs 54/24 und dazu Auslagen II: Falsch macht man es in Düsseldorf, oder: Richtig macht man es in Ravensburg).

Im Kostenfestsetzungsverfahren machte der Betroffene nunmehr die Grundgebühr Nr. 5100 VV RVG mit 132 EUR, die Verfahrensgebühr für das Verwaltungsverfahren Nr. 5103 VV RVG mit 240 EUR und die Verfahrensgebühr für das gerichtliche Verfahren Nr. 5109 VV RVG mit 228 EUR jeweils oberhalb der Mittelgebühr geltend. Zudem begehrt er eine Erledigungsgebühr Nr. 5115 VV RVG in Höhe von 176 EUR. Für das Beschwerdeverfahren hat er unter Berufung auf Nr. 5200 VV RVG eine Verfahrensgebühr in Höhe von 71,50 EUR und nach Nr. 7002 VV RVG eine Auslagenpauschale geltend gemacht.

Das AG hat die Gebühren Nr. 5100 und 5103 VV RVG nur in Höhe der Mittelgebühr von 110 EUR bzw. 176 EUR festgesetzt. Die Erledigungsgebühr Nr. 5115 und die Verfahrensgebühr Nr. 5200 VV RVG für das Beschwerdeverfahren wurden in voller Höhe abgesetzt. Im Übrigen wurde dem Antrag des Beschwerdeführers entsprochen. Dagegen hat der Betroffene sofortige Beschwerde eingelegt. Das Rechtsmittel hatte in der Sache überwiegend Erfolg:

„1. Die sofortige Beschwerde bleibt allerdings erfolglos, soweit sie sich gegen die Absetzung gesonderter Gebühren für das Beschwerdeverfahren wendet.

Der Festsetzung dieser Gebühren steht § 19 Abs. 1 Nr. 10a RVG entgegen. Danach wird in Straf- und Bußgeldsachen die anwaltliche Tätigkeit in Beschwerdeverfahren mit der Verfahrensgebühr abgegolten und findet allein im Rahmen der Bestimmung der Gebührenhöhe Berücksichtigung (Burhoff in Gerold/Schmidt, RVG, 26. Aufl., Vorb. 4 VV Rn. 14). Auf die Vorbemerkung 5 Abs. 4 VV RVG kann sich der Beschwerdeführer nicht stützen, denn diese begründet keine allgemeine Ausnahme für Beschwerden gegen Kostenentscheidungen, sondern lediglich für die explizit genannten Beschwerdeverfahren betreffend Kostenfestsetzungsbeschlüsse und Kostenansätze. Das Beschwerdeverfahren, für welches der Beschwerdeführer eine gesonderte Gebührenfestsetzung begehrt, betraf jedoch die Kostengrundentscheidung, die in Vorbemerkung 5 Abs. 4 VV RVG keine Erwähnung findet. Der eindeutige Gesetzeswortlauf lässt keine abweichende Auslegung zu; eine ausfüllungsbedürftige planwidrige Regelungslücke ist nicht zu erkennen. Der anwaltlichen Tätigkeit war somit allein bei der Bemessung der Verfahrensgebühr Nr. 5109 VV RVG Rechnung zu tragen, was in der angefochtenen Entscheidung geschehen ist. Ob dies in angemessener Weise erfolgt ist, unterliegt nicht der Prüfung der Beschwerdekammer, da die antragsgemäß festgesetzte Gebühr ausdrücklich von der Beschwerde ausgenommen wurde.

2. Dem gegenüber erfolgten die Reduzierung der Grundgebühr Nr. 5100 VV RVG und der Verfahrensgebühr Nr. 5103 RVG sowie die Absetzung der Erledigungsgebühr Nr. 5115 VV RVG zu Unrecht.

a) Zutreffend verweist der Beschwerdeführer darauf, dass eine vom Antrag abweichende Gebührenfestsetzung auf die Fälle der Unbilligkeit beschränkt ist, in Normalfällen von der Mittelgebühr auszugehen ist und Anträge, die sich in einem Toleranzbereich von 20 % bewegen, zu akzeptieren sind. Davon, dass die nach § 14 Abs. 1 Satz 1 RVG im konkret vorliegenden Verfahren zu berücksichtigenden Umstände unterdurchschnittlich gewesen wären, wurde in der angefochtenen Entscheidung nicht ausgegangen. Anknüpfungspunkte hierfür sind auch nicht ersichtlich. Folglich durfte die anwaltliche Gebührenbemessung, die sich noch im Rahmen des zu akzeptierenden Toleranzbereichs bewegt, nicht korrigiert werden.

b) Der Umfang der anwaltlichen Tätigkeit des Verteidigers im Verfahren vor der Verwaltungsbehörde rechtfertigt die Festsetzung einer über der Mittelgebühr liegenden Verfahrensgebühr Nr. 5103 VV RVG. Dass die Gewährung von Akteneinsicht mühevoll über Monate hinweg mit mehreren Anfragen und schließlich mit einem Antrag auf gerichtliche Entscheidung „erkämpft“ werden musste, begründete bereits einen überdurchschnittlichen Aufwand. Mit dem Antrag auf gerichtliche Entscheidung über die Rechtmäßigkeit der geforderten Auslagenpauschale nahm der Verteidiger in nicht zu beanstandender Weise die prozessualen Rechte des Beschwerdeführers wahr. Wenngleich die begehrte Klärung der aufgeworfenen Rechtsfrage für den Beschwerdeführer von untergeordneter Bedeutung war, war sie für seinen Verteidiger schon hinsichtlich des Umfangs der Antragsbegründung mit erheblichem Aufwand verbunden. Diesem ist – da § 19 Abs. 1 Nr. 10a RVG die Festsetzung einer gesonderten Gebühr ausschließt – bei der Bemessung der Verfahrensgebühr Rechnung zu tragen. Jedenfalls der Gesamtumfang der in der Akte dokumentierten anwaltlichen Tätigkeit im Verfahren vor der Verwaltungsbehörde rechtfertigt eine Bewertung als überdurchschnittlich, wobei die beantragte Gebührenhöhe nicht unbillig erscheint.

c) Zur Rechtfertigung der Erledigungsgebühr Nr. 5115 VV RVG kann sich der Beschwerdeführer zwar nicht auf den Einstellungsantrag seines Verteidigers im Legitimationsschreiben vom 30. Dezember 2022 berufen. Insoweit handelte es sich ersichtlich um einen formularmäßig verwendeten Textbaustein ohne jeden Bezug zum konkreten Bußgeldverfahren, der von vornherein nicht geeignet war, das Verfahren im Hinblick auf eine Verfahrensbeendigung außerhalb der Hauptverhandlung zu fördern. Dies ergibt sich schon daraus, dass die Anregung noch vor Akteneinsichtsgewährung und damit ohne Kenntnis der fallbezogenen Gegebenheiten einschließlich der Beweislage erfolgte.

Andererseits genügt für die Festsetzung der Erledigungsgebühr jede Tätigkeit des Verteidigers, welche die Verfahrenserledigung fördert. Diese muss nicht auf d e Sachaufklärung gerichtet sein (BGH, Urteil vom 20.01.2011, Az. IX ZR 123/10, zitiert nach juris und kann auch in einer Aktivität zur Herbeiführung der Verjährung bestehen (LG Oldenburg, Beschluss vom 22. Mai 2013 – 5 Qs 149/13 -, zitiert nach juris). Hieran gemessen, ist durch den konkreten Ablauf des Verfahrens vor der Bußgeldstelle die Erledigungsgebühr angefallen. Dem Beschwerdeführer kann insbesondere nicht entgegengehalten werden, der Eintritt der Verfolgungsverjährung liege allein darin begründet, dass die Verfahrensakte nach ihrem Eingang beim erkennenden Gericht in Verstoß geriet. Verfolgungsverjährung war angesichts des Erlasses des Bußgeldbescheids am 12. Dezember 2022 mit Ablauf des 12. Juni 2023 und damit noch vor dem Akteneingang beim Amtsgericht Leutkirch am 13. Juni 2023 eingetreten. Folglich liegen die Gründe für den Verjährungseintritt allein im Vorverfahren. Zwar wurde die Verjährung durch die verzögerte Sachbearbeitung der Bußgeldstelle und der Staatsanwaltschaft begünstigt. Ohne das Festhalten am Akteneinsichtsgesuch, den Antrag auf gerichtliche Entscheidung und die Anforderung weiterer Unterlagen – mithin ein umfangreiches und sachgerechtes Verteidigungsverhalten – erscheint die überlange Verfahrensdauer jedoch kaum vorstellbar. Zudem bedarf es für die Gewährung der Erledigungsgebühr nicht der Feststellung einer Kausalität der Maßnahmen des Verteidigers für den Eintritt der Erledigung. Vielmehr besteht eine Vermutung für die Ursächlichkeit. Diese lässt sich hier jedenfalls nicht widerlegen.“

Die Entscheidung ist in allen Punkten zutreffend. Das gilt insbesondere für die geltend gemachte „Beschwerdegebühr“ Nr. 5200 VV RVG.

Die Einlegung des Rechtsbehelfs nach § 62 OWiG im Zwischenverfahren gehört entsprechend § 19 Abs. 1 Nr. 10a RVG zu der Tätigkeit des Rechtsanwalts im Verfahren vor der Verwaltungsbehörde und begründet keine weitere Angelegenheit und damit auch nicht die Verfahrensgebühr Nr. 5200 VV RVG (LG Wuppertal, AGS 2019, 254 = DAR 2019, 477 = RVGreport 2019, 146; unzutreffend a.A. AG Senftenberg, AGS 2013, 231). Insoweit gelten dieselben Überlegungen wie bei der Beschwerde (vgl. dazu Burhoff/Volpert/Burhoff, RVG, Straf- und Bußgeldsachen, 7. Aufl. 2025, Rn 574 ff.; Burhoff, AGS 2023, 241).

Auch die Beschwerde gegen die Kostengrundentscheidung führt nicht zur Verfahrensgebühr Nr. 5200 VV RVG. Aus der Vorbem. 5 Abs. 4 VV RVG – bzw. im Strafverfahren der Vorbem. 4 Abs. 5 VV RVG – folgt nichts anderes. Von den Regelungen werden, auch insoweit hat das LG Recht – nur die dort aufgeführten Rechtsmittel erfasst. Das sind nicht Beschwerden gegen Kostengrundentscheidungen.

 

OWi-Verfahren I: Gebühren im Bußgeldverfahren, oder: Gebührenbemessung und Zustimmung zur Einstellung

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Und dann noch wie immer am Freitag: Gebührenrecht. Heute kommen dann mal wieder zwei Entscheidungen zu den Gebühren im Bußgeldverfahren.

Den Opener macht der LG Köln, Beschl. v. 21.03.2025 – 110 Qs 51/24. Dem Betroffenen ist im Bußgeldverfahren ein Verstoß gegen das Verbot der Handynutzung im Straßenverkehr vorgeworfen worden. Hiergegen hat der Betroffene durch seine Verteidigerin Einspruch eingelegt. Nach Anberaumung eines Hauptverhandlungstermins und anschließender Vertagung, ist das Verfahren durch Beschluss des AG nach § 47 Abs. 2 OWiG eingestellt und sind die Kosten des Verfahrens sowie die notwendigen Auslagen des früheren Betroffenen der Staatskasse auferlegt worden.

In ihrem Kostenfestsetzungsantrag hat die Verteidigerin dann die Grundgebühr Nr. 5100 VV RVG, die Verfahrensgebühr für das Verfahren bei der Verwaltungsbehörde Nr. 5103 VV RVG, die Verfahrensgebühr für das Verfahren beim Amtsgericht Nr. 5109 VV RVG und die sog. Befriedungsgebühr/zusätzliche Verfahrensgebühr Nr. 5115 VV RVG geltend gemacht, und zwar jeweils in Höhe der Mittelgebühr. Die Gebühren sind nur zum Teil festgesetzt worden. Dagegen die sofortige Beschwerde, die teilweise Erfolg hatte.

„Die sofortige Beschwerde ist in Bezug auf die Festsetzung weiterer 168,98 EUR (davon 26,98 EUR Umsatzsteuer), die die Beschwerdeführerin aufgrund der Abtretung des Kostenerstat-tungsanspruchs vom 16.12.2022 im eigenen Namen geltend macht, teilweise begründet.

Ausgangspunkt für die Höhe der Gebühr, die der Rechtsanwalt gemäß § 14 Abs. 1 S. 1 RVG unter Berücksichtigung aller Umstände nach billigem Ermessen zu bestimmen hat, ist grundsätzlich der Mittelbetrag der einschlägigen Rahmengebühr (vgl. Burhoff, in: Gerold/Schmidt, RVG, 26. Aufl. 2023, Vorbem. 4 Rn. 19 m. w. N.). Die Mittelgebühr soll gelten, wenn sämtliche gemäß § 14 Abs. 1 Satz 1 RVG zu berücksichtigenden Umstände, also insbesondere Umfang und Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit, Bedeutung der Angelegenheit sowie die wirtschaftlichen Verhältnisse des Auftraggebers als durchschnittlich einzuordnen sind.

Es steht außer Frage, dass Ausgangspunkt für die Tätigkeit des Rechtsanwaltes auch in stra-ßenverkehrsrechtlichen Bußgeldverfahren grundsätzlich die Mittelgebühr für die Gebührenbemessung ist und keineswegs grundsätzlich – allein weil es sich um ein straßenverkehrsrechtli-ches Bußgeldverfahren handelt – ein geringerer Betrag. Sind keine Umstände erkennbar, die eine Erhöhung oder eine Ermäßigung rechtfertigen, entspricht damit die Verteidigung dem Durchschnitt oder dem so genannten „Normalfall“, steht dem Wahlverteidiger grundsätzlich die Mittelgebühr des einschlägigen Gebührenrahmens zu (Mayer in Gerold/ Schmidt, RVG, 22. A., § 14, Rz.10, 54 m.w.N.). Die Mittelgebühr soll regelmäßig durchschnittliche Angelegenheiten abdecken, in straßenverkehrsrechtlichen Bußgeldverfahren gilt nichts anderes. Zu berücksichti-gen ist zudem, dass der Gebührenrahmen alle Arten von Ordnungswidrigkeiten erfasst, also auch solche aus den Bereichen des Bau-, Gewerbe-, Umwelt- oder Steuerrechts, die häufig mit Bußgeldern im oberen Bereich des Bußgeldrahmens geahndet werden und oft mit rechtlichen Schwierigkeiten und/oder umfangreicher Sachaufklärung verbunden sind.

Nach diesen Grundsätzen ist die von der Beschwerdeführerin geltend gemachte Mittelgebühr Nr. 5100 VV RVG angemessen, da es sich vorliegend um eine Angelegenheit von durchschnittlicher Bedeutung handelte. Zwar belief sich der Umfang der Akte zum Zeitpunkt der ersten Ein-sichtnahme auf lediglich 16 Blatt und es lagen zudem keine „klassischen“ gebührenerhöhenden Umstände wie ein Fahrverbot und/oder ein besonders schwerer Verstoß, der den Eintrag von drei Punkten im Verkehrszentralregister zur Folge hätte, vor. Allerdings hat der Aktenumfang vorliegend nur eine geringe Bedeutung, da dieser in straßenverkehrsrechtlichen Ordnungswidrigkeits-Verfahren regelmäßig gering ausfällt. Zudem kommt hier als besonderer Umstand hinzu, dass die Sache von der Beweislage einen höheren Arbeitsaufwand erforderte, da es auf die konkrete Beschaffenheit der Tatörtlichkeit und auf Details in der Wahrnehmung der Polizeibeamten ankam, so dass bereits im Rahmen der Einarbeitung am 16.12.2022 ein umfangreiches Mandantengespräch erforderlich war.

Auch die beanspruchten Mittelgebühren Nr. 5103 und 5109 VV RVG sind – insbesondere vor dem Hintergrund einer zu bejahenden durchschnittlichen Bußgeldsache – nicht zu beanstanden. Zwar ist auch der Umfang der anwaltlichen Tätigkeit ebenfalls als Bemessungskriterium im Sinne des § 14 Abs. 1 S. 1 RVG heranzuziehen (vgl. nur Mayer in: Gerold/Schmidt, RVG, 26. Auf-lage 2023, § 14 Rn. 18). Dieser wirkte sich jedoch vorliegend nicht mindernd aus. Denn die Verteidigerin erbrachte gegenüber der Verwaltungsbehörde und im amtsgerichtlichen Verfahren umfangreichere Tätigkeiten, indem sie nach vorheriger Rücksprache mit dem Mandanten Schriftsätze vom 08.02.2023 und 30.03.2023 zu den Akten reichte, in denen sie jeweils unter anderem die Sach- und Rechtslage aufbereitete.

Die beantragte Befriedigungsgebühr ist jedoch nicht erstattungsfähig. Die Verteidigerin hat keinen die Gebühr auslösenden Beitrag im Sinne einer anwaltlichen „Mitwirkung“ im Sinne der Nr. 5115 VV RVG geleistet. Denn die Verfahrenseinstellung nach § 47 Abs. 2 OWiG erfolgte aus-schließlich auf Betreiben des Amtsgerichts. Der Verteidigerin, die eine solche Einstellung im Verfahren nach Aktenlage auch nicht angeregt hatte, wurde zwar vor der Einstellung rechtliches Gehör gewährt, wobei sie mitteilte, dass sie dieser zustimme. Eine Einstellung gemäß § 47 Abs. 2 OWiG sieht jedoch – anders als bei §§ 153, 153a StPO (vgl. LG Saarbrücken, Beschluss v. 18.12.2015 – Az. 6 Qs 188/15 -, zitiert nach juris Rn. 14) – gerade kein Zustimmungserfordernis des Betroffenen vor.“

Zuzustimmen ist den Ausführungen des LG zur Mittelgebühr als Grundlage der Abrechnung der anwaltlichen Tätigkeit auch in Bußgeldverfahren. Das dürfte inzwischen überwiegende Meinung in der Rechtsprechung der AG und LG sein. Zutreffend sind auch die vom LG bei der Bemessung der einzelnen Gebühren herangezogenen Umstände und deren Gewichtung.

Zu widersprechen ist dem LG allerdings hinsichtlich der nicht gewährten zusätzlichen Verfahrensgebühr Nr. 5115 VV RVG. Anzumerken ist insoweit zunächst, dass die dort vom LG angeführte Belegstelle: „LG Saarbrücken, Beschl. v. 18.12.2015 – 6 Qs 188/15“ – veröffentlich in AGS 2016, 171 = RVGreport 2016, 254 – irreführend ist. Denn in dem LG Saarbrücken-Beschluss ist nicht zur Nr. 5115 VV RVG, sondern zur Nr. 4141 VV RVG Stellung genommen worden. Zu der hier bedeutsamen Frage, ob die bloße Zustimmung des Rechtsanwalts zur Einstellung nach § 47 Abs. 2 OWiG Mitwirkung i.S. der Nr. 5115 VV RVG ist und zum Entstehen der Gebühr führt, sagt die Entscheidung aber nichts aus. Wenn das LG schon Belege für seine falsche Sicht gesucht hat, hätte es besser auf LG Saarbrücken, Beschl. v. 29.6.2020 – 8 Qs 69/20 (auch in RVGreport 2020, 463 = VRR 10/2020, 23) oder ggf. auch auf LG Münster, Beschl. v. 14.6.2024 – 12 Qs 16/24 (auch in AGS 2024, 493 = NStZ-RR 2025, 10) verwiesen. In der Entscheidung hatte das LG Saarbrücken nämlich ausgeführt, dass die Zustimmung des Verteidigers zu einer von der Generalstaatsanwaltschaft im Rechtsbeschwerdeverfahren vorgeschlagenen Verfahrenseinstellung nach § 47 Abs. 2 OWiG keine Mitwirkung i.S. der Nr. 5115 VV RVG sein soll.

Ich habe bereits 2020/2024 in meinen Anmerkungen zu den Entscheidung des LG Saarbrücken und des LG Münster darauf hingewiesen, dass das falsch ist. Daran halte ich fest. Es reicht nach überwiegender Meinung zu den Nrn. 4141, 5115 VV RVG für das Vorliegen von Mitwirkung bei der Einstellung des Verfahrens jede auf die Förderung der Erledigung des Verfahrens gerichtete Tätigkeit aus. Daher ist m.E. auch die Zustimmung des Verteidigers zu einer Einstellung nach § 47 Abs. 2 OWiG ausreichend. Das AG/OLG kann das Bußgeldverfahren zwar auch ohne Zustimmung einstellen, aber Mitwirkung i.S. der Nr. 5115 VV RVG liegt mit einer Zustimmung des Verteidigers vor.

Im Übrigen krankt der LG-Beschluss an der Stelle daran, dass nicht mitgeteilt wird, warum das Verfahren nach § 47 Abs. 2 OWiG eingestellt worden ist. Wenn das eine Fortwirkung des Inhalts der von der Verteidigerin nach vorheriger Rücksprache mit dem Mandanten zu den Akten gereichten zwei Schriftsätze ist, hätte zumindest das zur zusätzlichen Verfahrensgebühr führen müssen.

OWi III: Rechtsbeschwerde beim Urteil ohne Gründe, oder: Widerspruch Gründe und Beweisbeschluss

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Und dann kommen heute zum Schluss drei OLG-Entscheidungen, die sich mit den Urteilsgründen bzw. mit Urteilen ohne Gründe befassen. Auch hier stelle ich nur die Leitsätze zu den Entscheidungen vor, und zwar:

Das Fehlen von Urteilsgründen führt nicht zwingend zur Zulassung der Rechtsbeschwerde.

1. Das Urteil unterliegt in vollem Umfang der Aufhebung, wenn es keine Gründe enthält und daher nicht geprüft werden kann, ob dem Tatgericht bei seiner Entscheidung Rechtsfehler unterlaufen sind.

2. Eine nachträgliche Ergänzung der Urteilsgründe kommt dann nicht (mehr) in Betracht, sobald das Urteil aus dem inneren Dienstbereich des Gerichts herausgegeben wurde.

Verhalten sich die Urteilsgründe widersprüchlich zu einer einem Beweisbeschluss zugrunde liegenden Rechtsauffassung, ohne dass der Tatrichter diesen Widerspruch – etwa durch eine ausdrückliche Aufgabe der zuvor vertretenen Sichtweise – aufgelöst hätte. genügen die Urteilsgründe nicht den – wenn auch nicht hoch anzusetzenden – Anforderungen, die an ein Urteil in Bußgeldverfahren zu stellen sind.

OWi I: Eine „Basta-Entscheidung“ des AG Leipzig, oder: Vollständige Einsicht in die gesamte Messreihe

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Und weil es gestern so schön war, gibt es heute dann gleich noch einmal OWi-Entscheidungen. Heute dann zum Verfahrensrecht.

Und ich beginne mit dem AG Leipzig, Beschl. v. 05.06.2025 – 221 OWi 504 Js 32466/25 -, in dem sich das AG noch einmal zur (Akten)Einsicht in die gesamte Messreihe bei einem standardisierten Verfahren geäußert hat. Der ein oder andere wird jetzt denken: Nicht schon wieder. Doch, schon wieder. Denn der Beschluss hebt sich aus der Reihe der „normalen“ Beschlüsse zu dieser Thematik heraus. Im Grunde hätte das AG der Bußgeldbehörde auch schreiben können: Wie oft muss man denn noch erklären, dass der Betroffene/Verteidiger einen Anspruch auf die Einsicht in die gesamte Messreihe hat und es völlig egal ist, wie die Bußgeldbehörde das bewerkstelligt. Es besteht der Anspruch, der ist zu erfüllen und damit: Basta.

Das AG führt das aber eine wenig „netter“, aber nicht weniger deutlich aus, und zwar:

„Die Bußgeldbehörde ist der Ansicht, an der Herausgabe der Fotosequenz aufgrund datenschutzrechtlicher Gründe gehindert zu sein.

Der Antrag auf Herausgabe ist stets und in allen Fällen zulässig und begründet.

Beim tatgegenständlich verwendeten Messverfahren handelt es sich um ein sog. Standardisiertes Messverfahren. Dies hat prozessual zur Folge, dass die Betroffenen mit der pauschalen Behauptung, sie seien nicht zu schnell gefahren und die Messung sei fehlerhaft, nicht gehört werden. Vielmehr obliegt es Ihnen, „substantiiert“ vorzutragen, aus welchen Gründen die durchgeführte Messung fehlerhaft ist. Der Betroffene hat demnach konkrete und einer Beweiserhebung zugängliche Umstände anzuführen, um eine Messung in Zweifel zu ziehen. Dies führt – prozessual untechnisch formuliert – zu einer „Beweislastumkehr“, die dem Betroffenen neben dem Recht auf Einsicht in die bereits bei der Verfahrensakte befindlichen Beweismittel wegen des Grundsatzes des fairen Verfahrens die Möglichkeit eröffnen muss, die Messung unter Hinzuziehung eines Sachverständigen auf mögliche Messfehler zu untersuchen.

Für eine solche Überprüfung benötigt er zwangsläufig den Zugang zu den Messunterlagen, insbesondere zu den Daten in Form des vollständigen Messfilms. Denn erst die Auswertung dieser Daten versetzt den Betroffenen in die Lage zu entsprechendem, konkretem Sachvortrag, der dem Gericht Anlass dazu geben kann, entsprechenden Beweisanträgen nachzugehen. Gerade durch die Überprüfung sämtlicher Messungen einer Messserie können bei einer möglicherweise auftretenden gewissen Fehlerhäufigkeit innerhalb einer Messserie Zweifel an der Richtigkeit sämtlicher Messungen der Messserie entstehen.

Da es dem Betroffenen aufgrund des standardisierten Messverfahrens obliegt, konkrete Anhaltspunkte für eine fehlerhafte Messung vorzutragen, damit überhaupt eine Beweiserhebung über die Korrektheit der Messung durch das Gericht in Betracht kommt, sind ihm die Daten der gesamten Messserie zur Verfügung zu stellen. Wird dem Betroffenen dies versagt, wird ihm die Möglichkeit verwehrt oder aber zumindest unangemessen erschwert, die Daten auf Fehler untersuchen zu lassen, die der ihm vorgeworfenen Ordnungswidrigkeit zugrunde liegen. Dann aber ist dem Betroffenen sein ureigenes Recht verwehrt, aktiv am Gang und Ergebnis des Verfahrens mitzuwirken (vgl. BVerfGE 46, 202).

Der Betroffene kann diesbezüglich auch nicht auf die Möglichkeit des Einspruchs und das anschließende gerichtliche Verfahren verwiesen werden. Wie bereits vorstehend ausgeführt, kommt eine Beweiserhebung regelmäßig nur in Betracht, wenn der Betroffene konkrete Umstände zu einem Messfehler vorträgt. Kennt er die gesamte Filmsequenz nicht bzw. kann diese nicht unverschlüsselt auslesen, so wird ihm diese Möglichkeit zumindest teilweise genommen. Ein Beweisantrag des Betroffenen wäre dann „ins Blaue hinein“ gestellt und vom Gericht abzulehnen. Wird ein Herausgabeanspruch erst im gerichtlichen Verfahren oder gar erst in der Hauptverhandlung gestellt und das Gericht gezwungen, die Verhandlung daraufhin auszusetzen, würde dies zu einer unnötigen Verfahrensverzögerung in einer durch kurze Verjährungsfristen geprägten Prozessordnung führen. Das Einsichtsrecht steht dem Betroffenen ohnehin nicht gegenüber dem erkennenden Gericht im Rahmen der Hauptverhandlung zu. Vielmehr wäre er darauf zu verweisen, die Einsicht in die Messdaten außerhalb der Hauptverhandlung bei der aktenführenden Behörde zu beantragen. Dies sollte zweckmäßigerweise rechtzeitig vor der Hauptverhandlung geschehen. Damit ist dem Informationsinteresse des Betroffenen Genüge getan und zugleich gewährleistet, dass der Ablauf des gerichtlichen Verfahrens nicht durch eine sachlich nicht gebotene Unterbrechung zur Gewährung der Einsicht unverhältnismäßig verzögert oder erschwert wird (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 22.07.2015. IV-2 RBs 63/15).

Datenschutzrechtliche Bedenken stehen dem Begehren auf Einsicht in die vollständige Messreihe nicht entgegen. Soweit mit der Zurverfügungstellung der gesamten Messserie ein Eingriff in die Persönlichkeitsrechte anderer Verkehrsteilnehmer einhergeht, weil von diesen jeweils Foto und Kennzeichen übermittelt werden, überwiegt vorliegend das Interesse des Betroffenen an der Durchsetzung seines Anspruchs auf ein faires Verfahren und auf ordnungsgemäße Überprüfung der Messung. Es ist nicht ersichtlich, welche (unzulässigen) Informationen oder Schlussfolgerungen der Verteidiger oder auch ein hinzugezogener privater Sachverständiger aus der Einsichtnahme der entsprechenden Daten ziehen sollten. Der aufgezeichnete und feststellbare Lebenssachverhalts einer derartigen Maßnahme betrifft nur einen äußerst kurzen Zeitraum. Zudem werden lediglich Foto und Kennzeichen, nicht aber die Fahrer- oder Halteranschrift der anderen Verkehrsteilnehmer, die sich durch die Teilnahme am Straßenverkehr im Übrigen selbst der Verkehrsüberwachung durch die Behörden aussetzen, übermittelt werden. Vor allem aber ist von einem Verteidiger als Organ der Rechtspflege schon unter standesrechtlichen Gesichtspunkten zu erwarten, dass die ihm übermittelten Daten nicht an Dritte weitergegeben werden und er damit sachgemäß umgeht (vgl. LG Kaiserslautern, Beseht. v. 22.05.2019 — 5 Qs 51/19, ZfSch 2019, 471, 472; LG Hanau, Beseht. v. 07.01.2019 – 4b Qs 114/18, Juris, dort Tz. 20). Auch in der Person eines Sachverständigen ist ein Miss-brauch konkret nicht zu befürchten.

Aus diesen Gründen sind der Verteidigung des Betroffenen die Daten der gesamten Messserie in unverschlüsselter Form auf einem geeigneten Datenträger zu übergeben.

Da der Antrag auf gerichtliche Entscheidung aufgrund der vorherigen Weiterleitung der Akten an die Staatsanwaltschaft Leipzig kein selbstständiges gerichtliches Entscheidungsverfahren ausgelöst hat, sondern der vorliegende Beschluss vielmehr im Rahmen des Verfahrens der Entscheidung über den Einspruch ergeht, war eine gesonderte Kostenentscheidung entbehrlich.

Diese Entscheidung ist gemäß § 62 Abs. 2 Satz 3 OWiG unanfechtbar.

Die Verwaltungsbehörde wird zukünftig gebeten. in gleichgelagerten Fällen die betreffende Fotosequenz der Verteidigung im Hinblick auf die oben zitierte Rechtsprechung zur Verfügung zu stellen. um überflüssige und das Verfahren verzögernde .Anträge auf gerichtliche Entscheidungen zu vermeiden.

Entgegen der Rechtsauffassung der Bußgeldbehörde im Schreiben vom 24.04.2025 (BI. 85 d.A.) ist völlig unerheblich, ob dies „aus prozessökonomischen Gründen“ leistbar ist oder nicht.

Der Verteidiger hat einen Rechtsanspruch auf die Übersendung und auf ein rechts-staatliches Verfahren.“