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OWi III: Kostenerstattung für privates Gutachten, oder: Erheblicher Verstoß/unvollständige Messunterlagen

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Und zum Schluss des heutigen Tages dann noch einmal eine Entscheidung zur Frage der Erstattung der Kosten eines privaten Sachverständigengutachten. Das LG hat die im LG Zwickau, Beschl. v. 10.02.2025 – 5 Qs 173/23 jug – bejaht.

Gegen den Betroffenen ist ein Bußgeldverfahren wegen einer Geschwindigkeitsüberschreitung anhängig gewesen. Durch Bußgeldbescheid waren eine Geldbuße von 400,00 EUR sowie ein einmonatiges Fahrverbot verhängt worden. Ferner wurde die Tat mit zwei Punkten im Fahreignungsregister bewertet.

Nach Einlegung des Einspruchs durch den Betroffenen hat am AG das gerichtliche Verfahren stattgefunden. Die Hauptverhandlung wurde zweimal ausgesetzt, bevor das Verfahren schließlich wegen Verjährung eingestellt worden ist. Die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Betroffenen sind der Staatskasse auferlegt worden.

Der Verteidiger hat mit seinem Kostenfestsetzungsantrag u.a. auch die Aufwendungen in Höhe von 1.655,94 EUR brutto für ein außergerichtlich eingeholtes Sachverständigengutachten geltend gemacht. Das AG hat diese nicht festgesetzt. Die sofortige Beschwerde des Verteidigers hatte vollen Erfolg:

„Zu Recht geht der Verteidiger davon aus, dass für eine effektive Verteidigung die Einholung eines privaten Sachverständigengutachtens notwendig war. In erster Instanz hatte er bereits vorgetragen, dass dies verfassungsrechtlich aus Gründen der „Waffengleichheit“ auch im Ordnungswidrigkeitenverfahren notwendig sei.

Nach herrschender Auffassung sind aber eigene private Ermittlungen in der Regel nicht notwendig, das gilt auch für die Kosten von Privatgutachten (OLG Stuttgart, NStZ-RR 2003, Seite 127; Meyer-Goßner/Schmitt, Kommentar zur StPO, 63. Auflage, § 464a Rn. 16 m.w.N.; Karlsruher Kommentar zur StPO/Gieg, 8. Auflage, § 464a, Rn. 7). Dies wird damit begründet, dass die Ermittlungsbehörden und das Gericht von Amts wegen zur Sachaufklärung verpflichtet sind.

Eine Ausnahme gilt unter anderem bei komplizierten technischen Fragen, z. B. wegen eines etwaigen Informationsvorsprungs der Staatsanwaltschaft im Interesse einer effektiven Verteidigung (OLG Hamburg, NStZ 1983, Seite 284; OLG Schleswig, Schleswig-Holstein Archiv 1986, Seite 29, OLG Köln, NJW 1992, Seite 586; OLG Celle, Juristisches Büro 1994, Seite 297; Karlsruher Kommentar a.a.O.).

Nach Ansicht des Beschwerdegerichts darf ein Privatgutachten nicht ohne triftigen Grund in Auftrag gegeben worden sein. Wenn sich bei einer Geschwindigkeitsmessung im Rahmen der Verfolgung einer Verkehrsordnungswidrigkeit keine besonderen Anhaltspunkte auf Messfehler oder sonstige Unregelmäßigkeiten ergeben, ist die Einholung eines solchen Gutachtens nicht angebracht.

Im vorliegenden Fall stellte der Bußgeldbescheid für den Betroffenen aber eine nicht unerhebliche Sanktion dar. Gegen ihn wurde ein für Verkehrsordnungswidrigkeiten relativ hohes Ordnungsgeld in Höhe von 400,00 € verhängt. Außerdem wurde das ihm vorgeworfene Verhalten mit zwei Punkten im Fahreignungsregister bewertet. Am schwersten wog jedoch das verhängte einmonatige Fahrverbot. Er trug hierzu nachvollziehbar vor, dass ein solches für ihn schwerwiegende berufliche Nachteile bringen würde.

Insofern ist es gerechtfertigt, dass er durch seinen Verteidiger eine besonders genaue und eingehende Prüfung der Geschwindigkeitsmessung veranlasst hat.

Da die Messunterlagen nicht vollständig waren, musste er im Rahmen seiner Verteidigung darlegen, welche Unterlagen zur Prüfung einer Messung unbedingt erforderlich waren. Im Verlaufe des Verfahrens ging es auch um die technische Frage der Größe des Messfeldes und der Rohmessdaten. Da weder der Betroffene noch sein Verteidiger die erforderliche Sachkunde hatten, hat er völlig zu Recht ein privates Sachverständigengutachten eingeholt. Im Termin vom 08.06.2022 hat der Verteidiger des Betroffenen die Einholung des Gutachtens bestätigt und dieses im Beschwerdeverfahren auch vorgelegt.

Nach Auffassung des Beschwerdegerichts kommt es nicht darauf an, ob das private Gutachten verwertet werden konnte oder musste. Vorliegend wurde das Verfahren wegen Verjährung durch Urteil vom 19.01.2023 eingestellt. Entscheidend ist, ob der Betroffene bereits im Rahmen des Ermittlungsverfahrens die Einholung eines Privatgutachtens für erforderlich halten durfte. Dies war aus den o. g. Gründen der Fall.“

Den Ausführungen des LG ist nichts hinzuzufügen. Sie treffen so in einer Vielzahl von Bußgeldverfahren zu (vgl. u.a. auch noch LG Dessau-Roßlau, Beschl. v. 04.05.2023 – 6 Js 394 Js 26340/21 (56/23); LG Wuppertal, Beschl. v. 08.02.2018; LG Aachen, Beschl. v. 12.7.2018 – 66 Qs 31/18, RVGreport 2019, 71). Ob allerdings der allgemeine Ansatz des LG zutrifft, dass die Aufwendungen für ein privates Sachverständigengutachten in der Regel nicht erstattungsfähig sein sollen – was allerdings der wohl h.M. in der Rechtsprechung entspricht – kann dahinstehen. Denn darauf kam es hier aus den vom LG zutreffend dargelegten Gründen nicht an.

Was mich allerdings mal wieder erstaunt: Der Kostenfestsetzungsantrag des Verteidigers datiert vom 22.02.2023, die Festsetzung durch das AG dann vom 23.08.2023 und die Beschwerde des Verteidigers vom 12.09.2023. Über die entscheidet das LG am 10.02.2025! Unfassbar und so nicht hinnehmbar.

OWi II: Unzuständige Behörde erlässt Bußgeldbescheid, oder: Einstellung wegen Verfahrenshindernisses

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Und dann als zweite Entscheidung ein AG-Beschluss, und zwar der AG Büdingen, Beschl. v. 11.04.2025 – 60 OWi (9/25). Das AG hat mit dem Beschluss ein Bußgeldverfahren wegen einer innerorts begangenen Geschwindigkeitsüberschreitung eingestellt.

Der Betroffene ist Geschäftsführer einer GmbH. Mit einem Fahrzeug dieser GmbH soll eine Ordnungswidrigkeit begangen worden sein. Der Vorwurf lautete, dass mit dem Pkw der GmbH am 18.04.2024 um 7:31 Uhr in pp.  die zulässige Höchstgeschwindigkeit innerhalb geschlossener Ortschaften um 7 km/h überschritten worden sein soll.

Am 19.04.2024 wurde die GmbH als Zeuge angeschrieben und um Mitteilung der Personalien des Fahrers gebeten. Mangels Reaktion wurde die GmbH mit Schreiben des Magistrats der Stadt pp., Ordnungsamt (im Folgenden: Verwaltungsbehörde) vom 10.06.2024 erneut an die Beantwortung erinnert und darauf hingewiesen, dass dieser anderenfalls als Fahrzeughalterin gemäß § 130 Abs. 1, § 9 OWiG eine Ordnungsmäßigkeit von mindestens 250 EUR auferlegt werden könne. Auch hierauf erfolgte keine Reaktion.

Mit Schreiben der Verwaltungsbehörde vom 26.06.2024 wurde der Betroffene, als Geschäftsführer der GmbH, im Bußgeldverfahren angehört. Er habe als Inhaber eines Unternehmens vorsätzlich die Aufsichtsmaßnahmen unterlassen, die erforderlich seien, um in dem Betrieb Zuwiderhandlungen gegen Pflichten zu verhindern, die den Inhaber als solchen treffen und deren Verletzung mit Strafe oder Geldbuße bedroht ist. Er habe ordnungswidrig gehandelt, da eine Zuwiderhandlung begangen worden sei, die durch gehörige Aufsicht hätte verhindert oder wesentlich erschwert werden können (§ 130 OWiG). Auch hierauf erfolgte keine Reaktion des Betroffenen.

Mit Bußgeldbescheid der Verwaltungsbehörde vom 05.08.2024 ist dann gegen den Betroffenen eine Geldbuße i.H.v. 250 EUR festgesetzt worden. Darin wird dem Betroffenen vorgeworfen, seit dem 29.04.2024 als Inhaber eines Betriebs oder Unternehmens vorsätzlich die Aufsichtsmaßnahmen unterlassen zu haben, die erforderlich seien, um in dem Betrieb oder Unternehmen Zuwiderhandlungen gegen Pflichten zu verhindern, die den Inhaber als solchen treffen und deren Verletzung mit Strafe oder Geldbuße bedroht ist. Er habe ordnungswidrig gehandelt, da eine Zuwiderhandlung begangen worden sei, die durch gehörige Aufsicht hätte verhindert oder wesentlich erschwert werden können. Der Betroffene habe trotz mehrfacher Aufforderung den für die Verkehrsordnungswidrigkeit tatsächlich Verantwortlichen nicht benannt.

Gegen diesen Bußgeldbescheid hat der Betroffene Einspruch eingelegt. Das AG hat durch den Beschluss vom 11.04.2025 das Verfahren ist wegen eines Verfahrenshindernisses gemäß § 206a StPO i.V.m. § 46 Abs. 1 OWiG eingestellt. Es legt zunächst dass, dann nicht die Verwaltungsbehörde für den Erlass des Bußgeldbescheides zuständig war, sondern das Regierungspräsidium Kassel als Bezirksordnungsbehörde (§ 131 Abs. 3 OWiG i.V.m. § 3 Abs. 1 Nr. 2 der Hessischen VRZustVO) – insoweit verweise ich auf denVolltext. Und weiter heißt es:

„Nimmt eine Behörde fälschlicherweise ihre Zuständigkeit an und erlässt einen Bußgeldbescheid, führt dies nicht automatisch zu dessen Nichtigkeit. Nur wenn die Annahme der Zuständigkeit auf einem schwerwiegenden und offenkundigen Mangel beruht oder die Verwaltungsbehörde in Kenntnis ihrer Unzuständigkeit einen Bußgeldbescheid erlässt, ist dieser nichtig. Nur dann kann er auch nicht Grundlage des gerichtlichen Verfahrens nach Einlegung eines Einspruchs sein, was zur Einstellung des Verfahrens wegen Fehlens einer Prozessvoraussetzung gem. §§ 46 OWiG iVm §§ 206a, 260 Abs. 3 StPO führen würde (Inhofer, in BeckOK OWiG, Graf, 45. Edition, Stand: 01.01.2025 § 36 Rn. 9 m.w.N.).

Wenn allerdings anstatt der zuständigen höheren eine niedrigere Behörde gehandelt hat, führt dies im Allgemeinen zur Nichtigkeit. Denn ist die Kompetenz einer höheren Verwaltungsbehörde vorbehalten, die eine höhere Gewähr für die Richtigkeit bietet und eine einheitliche Handhabung sicherstellen soll, so darf diese Absicht des Gesetzgebers nicht durch untergeordnete Instanzen vereitelt werden (Lampe, in Karlsruher Kommentar zum OWiG, 5. Auflage 2018, § 36 Rn. 33 m.w.N.).

Bereits deshalb ist vorliegend von der Nichtigkeit des Bußgeldbescheides auszugehen. Es hat eine niedrigere Behörde gehandelt. Zuständig wäre das Regierungspräsidium als Bezirksordnungsbehörde und nicht der Landrat als Kreisordnungsbehörde und erst recht nicht der Bürgermeister als örtliche Ordnungsbehörde. Damit hat die Stadt pp. eine Zuständigkeit angenommen, die tatsächlich gemäß der einschlägigen Verordnung zwei Ebenen höher angesiedelt ist. Hinzu kommt, dass vorliegend nicht einmal der Bürgermeister als örtliche Ordnungsbehörde (in Verkennung der in § 3 der Hessischen VRZustVO geregelten Zuständigkeit), sondern vielmehr der Magistrat den Bußgeldbescheid erlassen hat. Darüber hinaus ist sogar die Zuständigkeit der örtlichen Ordnungsbehörde für Kostenentscheidungen nach § 25a Abs. 2 des Straßenverkehrsgesetzes ausgeschlossen, wenn sich der Betroffene (wie hier der Fall ist) nicht zur Sache geäußert hat. Auch deshalb hätte die Verwaltungsbehörde ihre (angenommene) Zuständigkeit kritisch prüfen müssen.

Damit beruht die Annahme der Zuständigkeit auch auf einem schwerwiegenden und offenkundigen Mangel.“

Und das AG fügt an:

„Auch wenn es für die hiesige Entscheidung nicht von Relevanz ist, weist das Gericht auf folgende Aspekte hin:

Nach Aktenlage wäre fraglich, ob ein hinreichender Tatverdacht vorliegt. Zum einen ist nicht ersichtlich, welche Maßnahmen ein Geschäftsführer unternehmen kann, um zu verhindern, dass seine Mitarbeiter keine geringfügigen Ordnungswidrigkeiten im Straßenverkehr begehen. Die Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit um 7 km/h ist eine geringfügige Ordnungswidrigkeit die auch besonnenen Verkehrsteilnehmern sowie Arbeitnehmern, die durch Ihren Vorgesetzten eindringlich zur Einhaltung der Straßenverkehrsvorschriften mit Dienstfahrzeugen angehalten werden, passieren kann. Mangels Ermittlungen der Verwaltungsbehörde (jedenfalls ist der Akte hierzu nichts zu entnehmen und solche sind auch in Anbetracht der Tatsache, dass der Sitz des Unternehmens in pp. und mithin weit außerhalb des Zuständigkeitsbereiches der Stadt pp. liegt) ist vorliegend weder ersichtlich, dass der Geschäftsführer keine Maßnahmen ergriffen hat bzw. dass und welche Maßnahmen dafür sorgen könnten, auch solche geringfügigen Ordnungswidrigkeiten vollständig auszuschließen.

Falls die Verwaltungsbehörde die Aufsichtspflichtverletzung daran anknüpft, dass der Geschäftsführer, trotz mehrfacher Aufforderung, den Fahrzeugführer zur Tatzeit nicht benannt hat, vermag dies den Tatbestand des § 130 OWiG nicht zu erfüllen. Vorausgesetzt werden Aufsichtsmaßnahmen, die erforderlich sind, um Zuwiderhandlungen gegen Pflichten zu verhindern.

Die Pflichtverletzung, an die die Verwaltungsbehörde anknüpft, ist die Höchstgeschwindigkeitsüberschreitung um 7 km/h am 18.04.2024. Naturgemäß kann das Tun oder Unterlassen des Geschäftsführers ab dem 29.04.2024 keinen Einfluss auf die bereits begangene Zuwiderhandlung haben. Die Akte enthält auch keine Feststellungen dahin, dass das ein Handeln des Geschäftsführers nach dieser Pflichtverletzung geeignet gewesen wäre, weitere Zuwiderhandlungen seiner Mitarbeiter (für die sich bislang kein Beleg findet) zu vermeiden. Das Unterlassen der Nennung des Fahrers führt lediglich dazu, dass dessen Ordnungswidrigkeit (Zuwiderhandlung) nicht geahndet werden konnte. Wenn es zukünftig zu weiteren Ordnungswidrigkeiten von Mitarbeitern des Geschäftsführers kommt, mag sich dies anders darstellen. Wenn diese nämlich darauf vertrauen, dass der Geschäftsführer der Verwaltungsbehörde den jeweiligen Fahrzeugführer zur Tatzeit erneut nicht mitteilt, dann könnte ggfs. von einem Unterlassen von erforderlichen Aufsichtsmaßnahmen ausgegangen werden, die erforderlich sind, um Zuwiderhandlungen zu verhindern.

Im Übrigen würden auch Bedenken hinsichtlich der Höhe des festgesetzten Bußgeldes bestehen. Denn die Höhe der Geldbuße wegen einer Aufsichtspflichtverletzung richtet sich wesentlich nach der Bedeutung und Schwere der im Betrieb begangenen Zuwiderhandlung (vgl. Göhler, OWiG, 14. Aufl., § 130 Rn 28a). Soweit die Bußgeldkatalogverordnung ein Regelsatz für einen Verstoß vorsieht, ist dieser grundsätzlich auch im Rahmen der Ahndung der Aufsichtspflichtverletzung heranzuziehen (vgl. OLG Celle, Beschluss vom 28.02.2007 – 322 Ss 39/07 -, NStZ-RR 2007, 215).

Der ursprünglich Verkehrsverstoß, um den es vorliegend geht, wird regelmäßig mit einer Geldbuße i.H.v. 30 € geahndet, wie sich aus Nr. 11.3.1 des Bußgeldkataloges ergibt (vgl. Bl. 9 d.A.). Die Erhebung eines Bußgeldes i.H.v. 250 € erscheint deshalb unangemessen. Dass der Geschäftsführer mehrfach aufgefordert wurde, den Fahrer zu benennen, rechtfertigt jedenfalls keine höhere Geldbuße.“

Rahmengebühren, Befriedungsgebühr, privater SV, oder: LG Münster macht es dreimal falsch

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Heute stelle ich am RVG-Tag zwei LG Entscheidungen vor. Beide befassen sich u.a. mit der (richtigen) Bemessung von Rahmengebühren, beide Entscheidungen sind unschön. Aber da muss man dann heute eben durch.

Ich beginne mit dem besonders unschönen LG Münster, Beschl. v. 14.06.2024 – 12 Qs 16/24 -, der schon länger in meinem Blogordner hängt. Heute muss es dann sein.

Dem Betroffenen ist im Bußgeldverfahren Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit innerhalb geschlossener Ortschaften zur Last gelegt worden. Gegen ihn wurde eine Geldbuße von 115 EUR festgesetzt. Gegen den Bußgeldbescheid legte der Betroffene Einspruch ein. Die Bußgeldbehörde übersandte den Vorgang sodann an die Staatsanwaltschaft zum Zwecke der Weiterleitung an das AG zur Entscheidung über das Akteneinsichtsgesuch und zugleich gemäß § 69 OWiG. Der Vorgang ging am 03.08.2023 bei der Staatsanwaltschaft ein. Mit Verfügung vom 11.10.2023 stellte die Staatsanwaltschaft das Verfahren unter Hinweis auf die zwischenzeitlich eingetretene Verfolgungsverjährung ein. Nach einem Kostenantrag des Verteidigers legte die Staatsanwaltschaft den Vorgang dem AG unter Hinweis darauf vor, dass die Einstellung nicht möglich gewesen sei. Durch Beschluss vom 15.12.2023 stellte das AG dann das Verfahren gemäß § 206a StPO unter Hinweis auf die eingetretene Verfolgungsverjährung auf Kosten der Staatskasse ein und erlegte die dem Betroffenen entstandenen notwendigen Auslagen der Staatskasse auf.

Der Verteidiger hat Kostenfestsetzung in Höhe von 2.370,92 EUR beantragt. Er hat u.a. auch die Festsetzung einer Verfahrensgebühr gem. Nr. 5109 VV RVG und einer zusätzlichen Verfahrensgebühr Nr. 5115, 5109 VV RVG, jeweils in Höhe der Mittelgebühr in Höhe von 176 EUR beantragt. Zudem hat er u.a. Erstattung sonstiger Auslagen gem. Nr. 7006 VV RVG, und zwar Sachverständigenkosten für die Erstellung eines Sachverständigengutachtens betreffend das Messverfahren geltend gemacht. Die Rechtspflegerin hat nur zum Teil festgesetzt, und zwar nur 474,09 EUR, nämlich nur die Verfahrensgebühr Nr. 5109 VV RVG nur in Höhe von 33,00 EUR (sic!!), die Nr. 5115 VV RVG und die Festsetzung von Sachverständigenkosten hat sie abgelehnt. Das dagegen gerichtete Rechtsmittel des Betroffenen hatte überwiegend keinen Erfolg.

Ich erspare mir und den Lesern jetzt das Einstellen der falschen Begründungsausführungen des LG und verweise insoweit auf den verlinkten Volltext und das „Selbstleseverfahren“.

Hier reichen die Leitsätze:

1. Bei durchschnittlichen Verkehrsordnungswidrigkeiten können im Regelfall nur unter den Mittelgebühren liegende Verteidigergebühren als angemessen angesehen werden.
2. Für das Entstehen der Gebühr Nr. 5115 VV RVG ist es nicht ausreichend, wenn das Verfahren ausschließlich von Amts wegen eingestellt wird.
3. Kosten für die Einholung eines Privatgutachtens sind– ausnahmsweise – als notwendige Kosten anzuerkennen, wenn schwierige technische Fragestellungen zu beurteilen sind oder wenn aus Sicht des Betroffenen ex-ante ein privates Sachverständigengutachten erforderlich ist, da ansonsten eine erhebliche Verschlechterung der Prozesslage zu befürchten wäre. Es müssen aber von Seiten des Betroffenen entweder zum Zeitpunkt der Gutachtenbeauftragung oder später Zweifel hinsichtlich der Richtigkeit der Messung vorgetragen werden, die ihn ex ante dazu veranlasst haben könnten, ein solches Gutachten einzuholen. Das gilt auch bei einem standardisierten Messverfahren.

Und dann ist anzumerken:

Nachdem ich die Entscheidung gelesen hatte, musste ich, bevor dann dazu Stellung genommen habe, erst Zeit verstreichen lassen, um mich zu beruhigen. Denn dem LG ist in allen angesprochenen Punkten zu widersprechen. Die Nonchalance, mit der sich das LG über anders lautende Rechtsprechung hinwegsetzt, ist schon bemerkenswert und auch „bewundernswert“. Teilweise wird sie noch nicht einmal erwähnt. Aus Platzgründen will ich nur kurz auf Einzelheiten eingehen, zumal zu den entscheidungserheblichen Fragen in früheren Entscheidungsanmerkungen schon einiges gesagt ist. Zudem macht es auch keinen Spaß mehr, immer wieder gegen die gerichtliche Ignoranz in Gebührenfragen anzurennen und zu schreiben.

Der Ansatz der LG hinsichtlich der Bemessung der Rahmengebühr, es sei nicht grundsätzlich von der Mittelgebühr auszugehen, ist falsch. Das Gegenteil ist der Fall (vgl. Burhoff/Volpert/Burhoff, RVG Straf- und Bußgeldsachen, 6. Aufl. 2021, Teil A Rn 1795 ff. mit weiteren Nachweisen aus der Rechtsprechung), und zwar auch im Bußgeldverfahren (Burhoff/Volpert/Burhoff, RVG, Vorbem. 5 Rn 54 ff. m.w.N. aus der Rechtsprechung). Mag man das noch hinnehmen, weil der konkrete Umfang der anwaltlichen Tätigkeit im gerichtlichen Verfahren nur pauschal dargestellt wird, ist dann der Ansatz nur der Mindestgebühr (sic!) ein Schlag ins Gesicht. Will das LG wirklich behaupten, dass es ich bei der Tätigkeit des Verteidigers im gerichtlichen Verfahren um die geringst mögliche Tätigkeit gehandelt hat? Denn nur dann wäre der Ansatz der Mindestgebühr gerechtfertigt (vgl. Burhoff/Volpert/Burhoff, RVG, Teil A Rn 1802). Das hätte man dann aber auch begründen können, zumal die Übrigen Umstände: Höhe der Geldbuße, ein Punkt im FAER usw. nicht nur für die Mindestgebühr sprechen. Ob die Mittelgebühr, wie vom Verteidiger beantragt, angemessen gewesen wäre, mag in dem Zusammenhang dahinstehen. Jedenfalls ist aber der Ansatz der Mindestgebühr in keiner Weise nachvollziehbar, um nicht zu sagen: Willkürlich.

Auch bei den Ausführungen zur zusätzlichen Verfahrensgebühr Nr. 5115 VV RVG vermisst man gebührenrechtliche Kenntnisse des LG. Die werden durch schlichte Behauptungen ersetzt. Denn: Entgegen der Ansicht des LG muss die Tätigkeit des Verteidigers nicht ursächlich für die Einstellung gewesen sein, sie muss nur die Beendigung des Verfahrens gefördert haben. Und das lässt sich ja nun wohl nicht bestreiten. Denn die Tätigkeit des Verteidigers hat zur Abgabe an die Staatsanwaltschaft geführt, wo dann das Verfahren offensichtlich so außer Kontrolle geraten ist, dass wegen Verjährung eingestellt worden ist. Warum soll das nicht zur Nr. 5115 VV RVG führen? Der Verteidiger kann und darf alles Erlaubte tun, um eine Verurteilung des Betroffenen/Angeklagten aufgrund einer Hauptverhandlung zu vermeiden. Es ist nicht Aufgabe der Gerichte das dann hinterher zu bewerten und gebührenrechtlich (sic!) zu sanktionieren. Warum das LG das anders sieht oder meint anders sehen zu können, bleibt im Dunklen.

Wegen der Erstattung der Sachverständigenkosten verweise ich zunächst auf meinen Beitrag in AGS 2023, 193 mit einer Zusammenstellung der Rechtsprechung und Darstellung der maßgeblichen Fragen; den findet man auf meiner HP im Volltext. Auch hier ist zu beanstanden, dass das LG nicht darlegt, warum denn nun die andere, von seiner Auffassung abweichende Rechtsprechung mehrerer LG nicht zutreffend ist und warum man sich dem nicht anschließt. Zudem habe ich erhebliche Zweifel, ob das Wirken des Verteidigers und das nicht Tätigwerden des AG nicht ausreichend war, um darauf gegründet, doch ein privates Sachverständigengutachten einzuholen. Dass dann das Verfahren wegen Verjährung eingestellt worden ist, kann man dem Verteidiger/Betroffenen wegen des bei der Staatsanwaltschaft liegenden Verfahrensmangels nicht anlasten.

Insgesamt: Gewogen und ganz erheblich zu leicht befunden, um nicht zu sagen: Erschreckend.

Auslagenerstattung: Stufe 1: Tatverdacht gegeben?, oder: Stufe 2: Belastung der Staatskasse grob unbillig?

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Und zum Wochenschluss, ja ja, nicht ganz, am RVG-Tag zwei Entscheidungen zur Auslagenerstattung.

Zunächst berichte ich über den LG Hagen, Beschl. v. 07.01.2025 – 46 Qs 45/24 (190 Js 15/24). Nichts wesentlich Neues, aber ein m.E. sehr schöner Beschluss, weil das LG sehr schön herausarbeitet, welche zwei Schritte zu prüfen sind:

„Die sofortige Beschwerde ist auch begründet.

Im gerichtlichen Bußgeldverfahren kann das Gericht gemäß § 46 Abs. 1 OWiG i. V. m. § 467 Abs. 3 S. 2 Nr. 2 StPO davon absehen, die notwendigen Auslagen des Betroffenen der Staatskasse aufzuerlegen, wenn er wegen einer Ordnungswidrigkeit nur deshalb nicht verurteilt wird, weil ein Verfahrenshindernis besteht. Der Versagungsgrund ist allerdings mit Zurückhaltung anzuwenden. Mit welchem Sicherheitsgrad eine Verurteilung bei Hinwegdenken des Verfahrenshindernisses zu erwarten gewesen sein muss, ist in Rechtsprechung und Literatur umstritten. Nach der herrschenden Meinung, der sich die Kammer anschließt, reicht es aus, wenn bei dem bei Feststellung des Verfahrenshindernisses gegebenen Verfahrensstand ein zumindest hinreichender Tatverdacht besteht und keine Umstände erkennbar sind, die bei Durchführung der Hauptverhandlung die Verdichtung des Tatverdachts zur prozessordnungsgemäßen Feststellung der Tatschuld in Frage stellen (BGH, Beschl. vom 05.11.1999 – StB 1/99, NJW 2000, 1427; OLG Hamm, Beschl. vom 07.04.2010 – 2 Ws 60/10, NStZ-RR 2010, 224; OLG Köln, Beschl. vom 05.08.2010 – 2 Ws 471/10, NStZ-RR 2010, 392; KK-OWiG/Hadamitzky, § 105 Rn. 111; a. A. vgl. etwa MüKoStPO/Grommes, § 467 Rn. 22 [Gewissheit erst bei Schuldspruchreife]).

Der insoweit erforderliche Tatverdacht liegt hier vor. Dem Vorwurf der Geschwindigkeitsüberschreitung liegt ein standardisiertes Messverfahren zugrunde. Anhaltspunkte für eine Unrichtigkeit der durchgeführten Geschwindigkeitsmessung lassen sich der Akte nicht entnehmen und werden insbesondere auch nicht vom Betroffenen aufgezeigt. Vielmehr hat er nach Einsicht in die Akte der Ordnungsbehörde und schließlich auch der weiter von seinem Verteidiger erbetenen weiteren Messdaten im Schriftsatz vom 28.10.2024 einerseits seine Fahrereigenschaft einräumen und darüber hinaus mitteilen lassen, keinerlei weitere Angaben zur Sache zu tätigen.

Bei Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzung trifft das Gericht sodann – gewissermaßen auf der zweiten Stufe – die gebotene Ermessensentscheidung („kann“), ob auf Grund besonderer Umstände die Belastung der Staatskasse mit den Auslagen des Betroffenen ausnahmsweise als grob unbillig erscheint. Da das Ermessen erst dann und nur dann eröffnet ist, wenn ein hinreichender Tatverdacht im oben genannten Sinne vorliegt, müssen zu dem Verfahrenshindernis als alleinigem der Verurteilung entgegenstehendem Umstand weitere besondere Umstände hinzutreten, die es billig erscheinen lassen, dem Betroffenen die Auslagenerstattung zu versagen (BVerfG, Beschl. vom 26.05.2017 – 2 BvR 1821/16, NJW 2017, 2459; BVerfG, Beschl. vom 29.10.2015 – 2 BvR 388/13, NStZ-RR 2016, 159; KK-StPO/Gieg, § 467 Rn. 10b; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, § 467 Rn. 18). Dies kann insbesondere bei schuldhafter Herbeiführung des Verfahrenshindernisses durch den Betroffenen der Fall sein (MüKoStPO/Grommes, § 467 Rn. 22; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, § 467 Rn. 18). Dagegen kann es bei einem durch einen Verfahrensfehler des Gerichts eingetretenen Verfahrenshindernis der Billigkeit entsprechen, die notwendigen Auslagen des Betroffenen der Staatskasse aufzubürden (BVerfG, Beschl. vom 26.05.2017 – 2 BvR 1821/16, a. a. O.).

Das Amtsgericht hat ausweislich der Beschlussbegründung einzig darauf abgestellt, dass ohne das Verfahrenshindernis eine Verurteilung des Betroffenen wahrscheinlich gewesen sei. Dies verkennt den dargestellten Prüfungsmaßstab und stellt einen Ermessensnichtgebrauch dar.

Gemäß § 309 Abs. 2 StPO trifft die Kammer als Beschwerdegericht – auch in Ermessensfragen (Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, § 309 Rn. 4) – eine eigene Sachentscheidung. In Ausübung des ihr zustehenden Ermessens hat die Kammer die notwendigen Auslagen des Betroffenen der Staatskasse auferlegt. Dabei hat die Kammer berücksichtigt, dass Verfolgungsverjährung bereits bei Eingang der Sache bei der Staatsanwaltschaft eingetreten war, so dass das Verfahrenshindernis hinsichtlich des nachfolgenden gerichtlichen Verfahrens von vornherein erkennbar entgegenstand. Zudem hat die Kammer bedacht, dass die eingetretene Verfahrensverzögerung maßgeblich auf ein Fehlverhalten der Verwaltungsbehörde zurückzuführen ist. Diese hat die Akte zur Entscheidung über den Einspruch gemäß § 69 Abs. 3 OWiG erst mit Schreiben vom 10.09.2024 der Staatsanwaltschaft vorgelegt. Zu diesem Zeitpunkt war die Frist der Verfolgungsverjährung nach §§ 31 Abs. 2 Nr. 4, Abs. 3, 33 Abs. 1 Nr. 9, Abs. 3 S. 1 OWiG bereits abgelaufen. Denn der Bußgeldbescheid vom 15.02.2024 ist dem Betroffenen angesichts der Einlegung des Einspruchs unter dem 22.02.2024 spätestens an diesem Tage zugegangen, sodass die Verfolgungsverjährung spätestens mit Ablauf des 22.08.2024 eingetreten ist.“

Geht doch 🙂 .

Rahmengebühren I: Bemessung im OWi-Verfahren, oder: Mittelgebühr ist der richtige Ansatz

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Und heute dann – wahrscheinlich für viele der letzte Arbeitstag vor Weihnachten -, da Freitag ist, natürlich Gebührenentscheidungen. Und da das Fest des Friedens naht, will ich heute dann zwei „schöne“ Entscheidungen vorstellen. In beiden Beschlüssen geht es um die Bemessung der Rahmengebühren, und zwar einmal im Bußgeldverfahren und einmal im Strafverfahren.

Ich beginne mit dem Bußgeldverfahren, und zwar mit dem AG Viechtach, Beschl. v. 27.11.2024 – 6 II OWi 242/24. Die Entscheidungen des AG Viechtach sind ja wegen des Sitzes der Zentralen Bußgeldstelle in Viechtach von erheblicher Bedeutung.

Gegen war den Betroffenen – der Fahrlehrer ist – eine Geldbuße von 100,00 EUR verhängt worden. Ein Punkt im Fahreignungsregister, bei Vorliegen keiner Voreintragung, war angedroht. Nach Verjährungseintritt wurde das Verfahren eingestellt. Die notwendigen Auslagen des Betroffenen wurden der Staatskasse nicht auferlegt. Dagegen dann der erfolgreiche Antrag auf gerichtliche Entscheidung.

Der Verteidiger macht dann seine Gebühren geltend. Er setzt Mittelgebühren an. Davon werden Absetzungen gemacht. Das AG sieht das dann anders und setzt in der vom Verteidiger geltend gemachten Höhe fest:

„Nach wohl herrschender Meinung ist in straßenverkehrsrechtlichen Bußgeldverfahren die Höhe des verhängten Bußgeldes nicht entscheidend für die Gebührenbestimmung nach § 14 RVG (vgl. Gerold/Schmidt, RVG, 22. Auflage, Randnr. 54 zu § 14 RVG), womit auch bei Bußgeldern im unteren Bereich des jeweiligen Rahmens (hier 60,00 bis 5000,00 Euro) zunächst von einer Mittelgebühr auszugehen ist. Allerdings ist bei der Gebührenbestimmung zu beachten, dass dieser Mittelgebühr der allgemeine Durchschnittsfall in der Gesamtbetrachtung aller Ordnungswidrigkeitenbereiche zu Grunde zu legen ist, nicht nur ein Durchschnittsfall aus dem Bereich der Verkehrsordnungswidrigkeiten (vgl. LG Landshut, Beschluss vom 19.01.2017, 3 Qs 14/17, juris).

„Eine durchschnittliche Verkehrsordnungswidrigkeit ist keineswegs gleichzusetzen mit einem allgemeinen Durchschnittsfall in der Gesamtbetrachtung aller Ordnungswidrigkeitenbereiche“, LG Landshut, a.a.O.

Die weit überwiegende Anzahl der Verkehrsordnungswidrigkeiten beinhaltet alltägliche Verkehrsübertretungen, die in großer Zahl auftreten und zu deren Verfolgung und Ahndung in allen Verfahrensabschnitten überwiegend automatisiert bzw. standardisiert gearbeitet wird – auch auf Seiten der Verteidiger. Diese Massenverfahren weisen weder einen komplizierten Sachverhalt auf, noch ist zu ihrer Bearbeitung ein umfangreicher Zeit- oder Begründungsaufwand erforderlich. Deshalb scheint es insbesondere mit Blick auf die Höhe der Verteidigergebühren in Strafsachen für nicht gerechtfertigt, für ein durchschnittliches Verkehrsordnungswidrigkeitenverfahren die allgemeine Mittelgebühr anzusetzen. Auch die große Anzahl dieser Verfahren rechtfertigt dies nicht. Die Mittelgebühr ist auf den allgemeinen Durchschnittsfall in der Gesamtbetrachtung aller Ordnungswidrigkeitenbereiche zugeschnitten.

Die Verteidigergebühr ist nach den Bemessungskriterien des § 14 RVG zu bestimmen. Maßgebend sind demnach,

– Umfang der anwaltlichen Tätigkeit,
– Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit,
– Bedeutung der Angelegenheit,
– Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Auftraggebers

Die Bestimmung der Gebühren durch den Rechtsanwalt ist für Dritte, die die Gebühr zu ersetzen haben, nur dann nicht verbindlich, wenn sie unbillig ist (§ 14 Abs. 1 S. 3 RVG).

Die Höhe der im Bußgeldbescheid verhängten Geldbuße sagt bei Verkehrsordnungswidrigkeiten in der Regel nicht viel über die Bedeutung der Angelegenheit aus, da die Geldbußen meistens im unteren Bereich angesiedelt sind. In erster Linie werden bei Verkehrsordnungswidrigkeiten Einsprüche gegen Bußgeldbescheide eingelegt wegen den mit der Geldbuße verbundenen Punkten im Fahreignungsregister im Hinblick auf ein zukünftig drohendes Fahrverbot oder Fahrerlaubnisentzug durch die Verwaltungsbehörde, wegen eines verhängten Fahrverbots oder zur Abwehr oder Vorbereitung zivilrechtlicher Schadensersatzansprüche. Von Bedeutung ist insbesondere auch, ob d. Betr. beruflich auf seine Fahrerlaubnis angewiesen ist.

Diese Besonderheit der Verkehrsordnungswidrigkeiten rechtfertigt es nicht, grundsätzlich von einer geringen Bedeutung auszugehen. Hätte der Gesetzgeber dies beabsichtigt, hätte er bei der den Gebührenrahmen jeweils bestimmenden Höhe der Geldbußen stärker differenziert und nicht, wie geschehen, Geldbußen von 60 bis 5000 Euro in einem Gebührentatbestand zusammengefasst. Bei der Beurteilung der Bedeutung einer Angelegenheit ist vielmehr der Besonderheit der Angelegenheit und der besonderen Umstände Rechnung zu tragen, die gerade für die Bedeutung dieser Angelegenheit ausschlaggebend sind. Abzustellen ist somit bei Verkehrsordnungswidrigkeiten auf die drohenden Punkte im Verkehrszentralregister, eine etwaige Vorbelastung, ein drohendes Fahrverbot bzw. Fahrerlaubnisentzug und etwaige Schadensersatzansprüche sowie das Angewiesensein d. Betr. auf die Fahrerlaubnis.

Bei der Einordnung des Umfangs und der Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit sind u.a. die Kriterien des Aktenumfangs, der Anzahl und Dauer der Besprechungen mit Mandanten, Sachverständigen und Dritten, der Notwendigkeit der Einarbeitung in Rechtsmaterie, einschließlich des ggfs. notwendigen Studiums von Rechtsprechung und Literatur, Zahl und Umfang der Schriftsätze, auswärtige Beweisaufnahmen, Auswertungen von Beiakten oder Sachverständigengutachten zu berücksichtigen.

Die von der Rechtsprechung entwickelte 20%-Toleranzgrenze ist nicht grundsätzlich und generell anwendbar. Voraussetzung ist in jedem Fall die Ausübung des billigen Ermessens durch den Rechtsanwalt. Unterbleibt dies, ist für die 20%-Toleranzgrenze kein Platz (vgl. Mayer/Kroiß, RVG, § 14 Rdnr. 52-59, beck-online).

Für den vorliegenden Fall gilt unter Berücksichtigung dieser Umstände folgendes:

Die Bedeutung der Angelegenheit für den Betroffenen ist im Hinblick auf seine Tätigkeit als Fahrlehrer und der damit der Möglichkeit einer Eignungsprüfung bei mehreren Verstößen als durchschnittlich anzusehen.

Der Verteidiger hat vorliegend lediglich einen Formular-Einspruch eingelegt und Akteneinsicht beantragt. Zudem musste der Anwalt – zurecht – Antrag auf gerichtliche Entscheidung gegen die Auslagenentscheidung der Behörde einlegen und begründen.

Angaben zu den wirtschaftlichen Verhältnissen des Betroffenen wurden nicht gemacht.

Angesichts dieser Umstände stellt sich im vorliegenden Einzelfall der Antrag des Rechtsanwalts als im Rahmen des zulässigen dar.“

Lassen wir, da Weihnachten vor der Tür steht, dahin stehen, ob der Ansatz des AG, dem der Beschluss des LG Landshut vom 19.1.2017 (3 Qs 14/17) zugrunde liegt, zutreffend ist. Denn das AG kommt letztlich zur zutreffenden Abwägung, wenn es von dem Mittelgebühren des RVG auch für die Abrechnung im straßenverkehrsrechtlichen Bußgeldverfahren ausgeht und dann die jeweiligen Umstände des Einzelfalls abwägt (zur „richtigen“ Gebührenbemessung im straßenverkehrsrechtlichen Bußgeldverfahren Burhoff/Volpert/Burhoff, RVG, 6. Aufl. 2021, Vorbem. 5 VV Rn 54 ff. mit zahlreichen weiteren Nachweisen aus der Rechtsprechung). Von daher sind der Ansatz der Mittelgebühr bei der Grundgebühr Nr. 5100 VV RVG und ein höherer Ansatz als die Mittelgebühr bei der Verfahrensgebühr Nr. 5103 VV RVG nicht zu beanstanden und zutreffend. Der Ansatz der Mittelgebühr bei der zusätzlichen Verfahrensgebühr Nr. 5115 VV RVG folgt aus dem Gesetz.