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OWi II: Einsicht des Verteidigers in die Messreihe, oder: Fortbildung für die Verwaltungsbehörde durch das AG

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Als zweite Entscheidung hier der AG Köln, Beschl. v. 02.10.2024 – 815 OWi 103/24 (b). Er behandelt noch einmal das Akteneinsichtsrecht des Verteidigers im Bußgeldverfahren. Der ein oder andere wird sich dazu fragen: Was gibt es denn da Neues? Richtig, nichts. Auch hier „Alter Wein…“. Ich stelle den Beschluss aber trotzdem vor, und zwar weil er mal wieder zeigt, dass viele Ordnungsbehörden offenbar nicht zur Kenntnis nehmen wollen, dass der Verteidiger ein Akteneinsichtsrecht hat. Und das muss dann immer – was ja nun wirklich unnötig ist – vom AG bestätigt werden. So eben auch hier:

„Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung ist begründet, soweit die Herausgabe der gesamten Messreihe begehrt wird.

Dem Verteidiger ist auf Antrag die vollständige Messreihe zur Verfügung zu stellen. Ein entsprechender Anspruch ergibt sich aus § 46 OWiG in Verbindung mit § 147 StPO. Ohne die Herausgabe der entsprechenden Daten würde der Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs verletzt. Wird ein standardisiertes Messverfahren eingesetzt, muss der Betroffene zur Verteidigung konkrete Einwendungen gegen die Messung vorbringen. Das standardisierte Messverfahren bewirkt in diesem Sinne eine Beweislastumkehr, da der Betroffene konkret die Richtigkeit der Messung entkräften muss. Dies ist ihm nicht möglich, wenn er keine vollständige Überprüfung der Messung durchführen kann, was wiederum voraussetzt, dass ihm alle vorhandenen Daten, insbesondere die gesamte Messreihe, zugänglich gemacht werden. Auch ist eine Begrenzung der herauszugebenden Datensätze, bspw. auf fünf oder acht weitere Messungen aus der Messreihe, nicht statthaft. Der Betroffene muss selbst die Messreihe sichten können, um entscheiden zu können, welche anderen Messungen er anführen möchte um die Fehler in seiner Messung belegen zu können. Eine Vorauswahl durch das Gericht, indem dem Betroffenen nur eine bestimmte Anzahl anderer Messungen oder nur Messungen an bestimmten Positionen der Messreihe zugänglich gemacht werden, würden eine weitere Einschränkung der Verteidigungsmöglichkeiten darstellen, da andere Messungen, ohne dass diese hätten geprüft werden können, von vorne herein aus der möglichen Beweisführung ausgenommen werden.

Die Stellungnahme der PTB vom 30.03.2020 ändert hieran nach Auffassung des Gerichts nichts. Soweit die PTB anführt, dass die gesamte Messreihe sehr lang sein könnte und daher praktisch nicht auswertbar sei, stellt dies keinen Grund gegen die Herausgabe dar. Die Auswertung, auch wenn sie ggf. lange dauert oder umfangreich ist, ist die Entscheidung des Betroffenen. Hinsichtlich der weiteren dort aufgeführten Punkte haben gerichtliche Sachverständige in der Vergangenheit die gesamte Messreihe untersucht und vorgetragen, diese zur Auswertung zu benötigen. Diese sachverständige Auskunft kann das Gericht mangels technischer Kenntnisse nicht überprüfen. Sie erscheint aber auch nicht von vorneherein unplausibel.

Gründe des Datenschutzes sprechen nicht gegen die Herausgabe, da die Interessen des Betroffenen ohne die Messreihe nicht gewahrt werden können und zudem die Möglichkeit besteht, die Messreihe zu anonymisieren. Die Daten werden zudem nur einem zur Verschwiegenheit verpflichteten Personenkreis (Rechtsanwalt und Sachverständiger) zur Verfügung gestellt. Letztlich handelt es sich um Daten, die durch die freiwillige Teilnahme am Straßenverkehr entstanden sind.

Diese Rechtsauffassung wird auch vom OLG Köln geteilt, Beschluss vom 30.05.2023, Az.: 111-1 RBs 288/22.“

Auslagen II: Wieder Aktenversendungspauschale, oder: Keine Erstattung für den ortsansässigen RA, oder doch?

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Und im zweiten Posting geht es dann mal wieder/noch einmal um die Erstattung der sog. Aktenversendungspauschale Nr. 9003 KV GKG in Höhe von 12 EUR. Man fragt sich zwar immer wieder, was es da noch zu entscheiden git, aber es gibt eben immer wieder AG, die viel Gehirnschmalz darauf verwenden zu begründen, warum der Rechtsanwalt nicht Erstattung der 12 EUr, die er vorgelegt hat, verlangen.

So auch jetzt mal wieder das AG Köln, das im AG Köln, Beschl. v. 10.09.2024 – 581 Cs 391/23 – meint, einem ortsansässigen Verteidiger/Rechtsanwalt seien die 12 EUr nicht zu erstatten:

„Das Gericht folgt insoweit den überzeugenden Ausführungen der Bezirksrevisorin. Die Erstattung ist abzulehnen, da der von dem Verteidiger für die Aktenversendung verauslagte Betrag von 12,00 EUR als Pauschale gem. KV 9003 KV-GKG keine Aufwendung i.S.v. §§ 675, 670 BGB ist.

Der Anwalt schuldet seinem Mandanten die Besorgung des ihm erteilten Auftrags. Seine Tätigkeit wird nach den Bestimmungen des RVG vergütet, § 1 RVG. Vorbemerk 7 I bestimmt, dass mit den Gebühren auch die allgemeinen Geschäftskosten entgolten werden. Soweit in Teil 7 des VV RVG nichts anderes bestimmt ist, kann der Rechtsanwalt Ersatz der entstandenen Aufwendungen (§ 675 i.V.m. 670 BGB) verlangen. Aufwendungen im Sinne der BGB-Vorschrift sind nur Geldbeträge, die der Verteidiger zum Zwecke der Ausführung für erforderlich halten durfte. Wenn er seinem Mandanten für seine Akteneinsicht vor Ort keine Kosten in Rechnung stellen darf, sind keine Aufwendungen entstanden. Wenn er seinem Mandanten jedoch dafür Kosten in Rechnung stellen darf, stellt die verauslagte Aktenversendungspauschale eine Aufwendung dar.

Jedem Strafverteidiger wird abverlangt die unbestritten erforderliche Akteneinsicht auf die für den Mandanten kostengünstigste Art und Weise vorzunehmen.

Mandatiert ein auswärtiger Angeklagter einen auswärtigen Verteidiger ist eine Aktenübersendung die für den Mandanten kostengünstigste Maßnahme zur Durchführung der Einsichtnahme. Den 12,00 EUR für die Übersendung stehen hier Reisekosten des Anwalts nach 7003 bis 7006 VV RVG in Höhe von mindestens 30,00 EUR (7005 W RVG) gegenüber. In solchen Fällen widerspricht die Landeskasse einer Erstattung der Aktenversendungspauschale nicht, müsste jedoch der Erstattung der Kosten einer Geschäftsreise zur Wahrnehmung einer Akteneinsicht widersprechen.

Einem Kölner Verteidiger, der die Akten bei einem Kölner Gericht einsieht oder abholt, entstehen weder Auslagen nach 7003 bis 7006 VV RVG (wegen Vorbemerk 7 II), noch Aufwendungen nach § 675 i.V.m. 670 BGB.

Anstatt Akteneinsicht vor Ort zu nehmen (§§ 147 I, 32f II StPO), beantragte der Verteidiger die Akten zur Einsichtnahme an seine Kanzlei zu übersenden, § 32f II 3 StPO. Dies erfolgt regelmäßig aus arbeitsorganisatorischen Gründen, die aber in die Interessensphäre des Verteidigers fallen, vgl. OVG NRW vom 19.01.2024 – 10 E 780/23 -. Schon das BVerfG NJW 1996, 222 hatte konstatiert, dass die Aktenversendung der Arbeitserleichterung des Strafverteidigers dient; die Leistung des Gerichts ist aber zur Wahrnehmung der vom Rechtsstaatsgebot des Grundgesetzes geforderten Verteidigungsrechte des Beschuldigten – jedenfalls in der Regel – nicht erforderlich.

Weil die Übersendung nicht zur Ausführung des erteilten Mandats erforderlich war, ist die verauslagte Aktenversendungspauschale keine Aufwendung, die der Anwalt seinem Mandanten in Rechnung stellen könnte.

Auch das AG Tiergarten hält in seiner Entscheidung vom 12.07.023 – 327 Ds 10/19 – fest, dass die Übersendung „aus der vorgenannten Alternativmöglichkeit allerdings schon sprachnotwendig“ nicht notwendig sei. Eine Ungleichbehandlung der Kölner Anwälte im Vergleich zu auswärtigen Anwälten wie sie das Amtsgericht Köln in dem Beschluss vom 08.06.2018 – 707 Ds 101/15 – feststellt, ist darin nicht zu sehen. Denn dass die von dem Anwalt für die Abholung aufgewendete Zeit nicht nach ihrer Dauer von dem Mandanten zu vergüten ist, liegt in der für Anwälte maßgeblichen Vergütungsordnung, dem RVG, begründet. Dieses Gesetz sieht keine minutengenaue Honorierung vor, so dass der konkret erbrachte Zeitaufwand für die Frage, ob es sich um eine Aufwendung handelt, unerheblich ist. Die Ermittlung eines konkreten Zeitaufwands dürfte auch schwierig sein und vermutlich werden Akten zumeist gar nicht von dem Verteidiger selbst, sondern von seinen Kanzleimitarbeitern abgeholt und zurückgebracht.

Die Entscheidung des AG Köln vom 20.12.2013 – 535 Ds 44/13 – behandelt den Fall, dass der auswärtige Verteidiger eines in Köln wohnenden Angeklagten die Übersendung der Akten zur Wahrnehmung seines Akteneinsichtsrechts beantragt und dafür die Aktenversendungspauschale (KV 9003 KV-GKG) entrichtet hat. Im Rahmen der Festsetzung der von der Landeskasse zu tragenden notwendigen Auslagen (§ 464b StPO) spricht sich das Gericht für eine Zugehörigkeit zu den notwendigen Auslagen aus. Es begründet dies damit, dass „ein auswärtiger Verteidiger das Recht auf Akteneinsicht vernünftigerweise und sachdienlich nur durch Übersendung der Akte ausüben kann; (…) Ein Angeklagter ist grundsätzlich auch berechtigt, einen Verteidiger seiner Wahl und seines Vertrauens mit seiner Verteidigung zu beauftragen; er kann daher auch nicht grundsätzlich verpflichtet werden, nur einen Verteidiger am Ort des Gerichts zu beauftragen.“ Diese Begründung lässt indes die obergerichtliche kostenrechtliche Rechtsprechung außer Acht, und überzeugt deshalb nicht. Für die Fallgestaltung, dass der Angeklagte seinen Wohnort am Sitz des Prozessgerichts hat und sich eines auswärtigen Verteidigers bedient, ist es ständige Rechtsprechung des Oberlandesgerichts Köln, dass die Zuziehung nur dann als notwendig anzuerkennen ist, wenn das Strafverfahren ein schwieriges und abgelegenes Rechtsgebiet betrifft, deshalb nur ein Anwalt mit besonderen Kenntnissen auf diesem Spezialgebiet zur ordnungsgemäßen Verteidigung in der Lage ist, oder der Beschuldigte, der sich gegen einen Vorwurf mit erheblichem Gewicht (beispielsweise vor dem Schwurgericht) verteidigen muss, zur Verteidigung einen Rechtsanwalt seines Vertrauens heranzieht, zu dem bereits ein gewachsenes Vertrauensverhältnis besteht (OLG Köln – 2 Ws 317/03).“

Tja, das ist dann mal wieder eine Entscheidung, die zu Kopfschütteln führt. Man fragt sich nämlich (wieder), ob eigentlich die Vertreter der Landeskasse nichts anderes zu tun haben, als sich wegen solcher Beträge mit Verteidigern zu streiten. Und ein Amtsrichter springt dann noch auf den Zug auf und verfasst einen langen Beschluss. Und das Ganze dann auch noch so, dass noch nicht einmal innerhalb eines Gerichts eine einheitliche Auffassung besteht (siehe die oben zitierte Entscheidung des AG Köln und auch noch AG Köln, Beschl. v. 13.03.2024 – 651 Ds 256/23, das die Aktenversendungspauschale als erstattungsfähig angesehen hat.). Im Übrigen erwähnt der Amtsrichter mit keinem Wort den VerfGH Berlin, Beschl. v. 18.5.2022 – 91/21 (StraFo 2023, 27 = AGS 2022, 557 = StRR 12/2022, 33 = VRR 2/2023, 27). Das VerfGH hat in dem Beschluss die Nichterstattung der Aktenversendungspauschale mit der Begründung, es handle sich um eine Serviceleistung des Gerichts – was in etwa der Begründung des AG entspricht – als willkürlich angesehen. Die einzige andere Möglichkeit, Akteneinsicht zu erlangen, sei nämlich eine Einsichtnahme in den Räumen der Ermittlungsbehörden, was aber eine deutlich zeit- und kostenaufwändigere Alternative darstelle. Daher ist auch dem ortsansässigen Rechtsanwalt/Verteidiger die Aktenversendungspauschale als Aufwendung zu erstatten. Und das ist zutreffend. Denn wenn das Gesetz in § 32f Abs. 2 S. 3 StPO dem Verteidiger/Rechtsanwalt die Möglichkeit eröffne, die Übersendung der Akten zu beantragen, was dann i.d.R. erfolgen muss, dann ist die dadurch von der Staatskasse verlangte Aktenversendungspauschale eine Aufwendung, die der Verteidiger/Rechtsanwalt im Interesse des vertretenen Mandanten erbracht habe und deren Erstattung er verlangen könne. Etwas anderes folgt m.E. nicht aus dem vom AG angeführten OVG NRW, Beschl. v. 19.01.2024 (10 E 780/23, AGS 2024, 126). Denn da ging es nicht um die Frage der Erstattung, sondern um die Frage, wer Kostenschuldner ist. Und das ist eben der Rechtsanwalt/Verteidiger, der die Versendung beantragt hat, der dann aber ggf. Kosten von seinem Mandanten erstattet verlangen kann.

Neuigkeiten zum CanG/KCanG II: Strafzumessung u.a.: Neue Strafe, Gesamtstrafen(bildung), Mischfall

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Im zweiten Posting dann drei Entscheidungen zur Neubemessung/Neubewertung „alter“ Strafen. Auch insoweit stelle ich nur die Leitsätze der Entscheidungen vor. Rest dann bitte selbst lesen:

Im Cannabisgesetz ist gemäß Art. 316p, Art. 313 EGStGB eine über den Erlass von nicht vollstreckten Strafen für nach neuem Recht nicht mehr strafbares Verhalten hinausreichende Amnestieregelung nicht vorgesehen. Insoweit kommt auch eine Neubewertung bereits rechtskräftig verhängter Strafen wegen nach neuem Recht ebenfalls strafbarer Tathandlungen nicht in Betracht.

Bei einer Gesamtstrafenbildung nach Inkrafttreten des Konsumcannabisgesetzes sind Einzelstrafen wegen Taten, die nach neuem Recht weder strafbar noch mit Geldbuße bedroht sind, nicht einzubeziehen, da sie gem. Art. 313 Abs. 1 S. 1 EGStGB als erlassen gelten.

Art. 313 Abs. 3 EGStGB erfasst nicht sog. „BtM-Mischfälle“, in denen neben Cannabis auch andere Betäubungsmittel besessen wurden.

 

 

Flug I: Schadensersatz wegen Verspätung bei Flügen, oder: Berechnung des Zeitkorridors

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Und dann – passend zur bald beginnenden Reisesaison – heute zwei AG-Entscheidungen zum Schadensersazu bei Verspätung von Flügen bzw. bei Flugausfal.

ich beginne hier mit der Verspätungsentscheidung, dem AG Köln, Urt. v. 10.04.2024 – 149 C 606/23.

Mehrere Flugäste, die ihre Ansprüche an die Klägerin abgetreten haben, waren auf die von der Beklagten auszuführende Flugverbindung N01, planmäßig 16:00 Uhr – 16:15 Uhr, jeweils Lokalzeit) und N02, planmäßig 18:15 Uhr – 19:50 Uhr, jeweils Lokalzeit) gebucht. N01 wurde pünktlich durchgeführt. N02 wurde von der Beklagten annulliert. Den Fluggästen wurde von der Beklagten eine Ersatzbeförderung angeboten, mit der sie wie folgt reisten: N03, 16:40 Uhr – 18:00 Uhr, jeweils Lokalzeit) und N04, 20:20 Uhr – 21:30 Uhr, jeweils Lokalzeit). Die Entfernung zwischen M., dem Startort, und X., dem Zielort, beträgt, berechnet nach der Großkreismethode, 1.374 Kilometer.

Die Klägerin ist der  Ansicht, aufgrund des Abflugs in R. um 16:40 Uhr – statt um 18:15 Uhr – könne sich die Beklagte nicht auf den Anspruchs-Ausschluss nach Art. 5 Abs. 1 lit. c) iii) der Fluggastrechte-VO berufen. Das AG hat die Klage abgewiesen:

1. Die Klägerin hat gegen die Beklagte keinen Anspruch in Höhe von 2.000,00 EUR aus Art. 7 Abs. 1 lit. a), Art. 5 Abs. 1 c) Fluggastrechte-VO i.V.m. § 398 BGB aufgrund der Annullierung des Anschlussflugs N02 betreffend die Fluggäste. Denn die Beklagte hat die Fluggäste rechtzeitig i.S.v. Art. 5 Abs. 1 lit. c) iii) der Fluggastrechte-VO ersatzbefördert.

a) Gemäß Art. 5 Abs. 1 lit. c) iii) der Fluggastrechte-VO wird den betroffenen Fluggästen bei Annullierung eines Fluges vom ausführenden Luftfahrtunternehmen ein Anspruch auf Ausgleichsleistungen gemäß Art. 7 der Fluggastrechte-VO eingeräumt, es sei denn, sie werden über die Annullierung weniger als sieben Tage vor der planmäßigen Abflugzeit unterrichtet und erhalten ein Angebot zur anderweitigen Beförderung, das es ihnen ermöglicht, nicht mehr als eine Stunde vor der planmäßigen Abflugzeit abzufliegen und ihr Endziel höchstens zwei Stunden nach der planmäßigen Ankunftszeit zu erreichen. Mit Art. 5 Abs. 1 lit. c) ii) und iii) der Fluggastrechte-VO hat der Unionsgesetzgeber die dem Fluggast zumutbare Verlängerung der Flugzeit bei einer „anderweitigen Beförderung“ (Ersatzbeförderung) auf sechs bzw. drei Stunden begrenzt, jeweils aufgeteilt auf einen bestimmten Zeitraum vor der ursprünglichen Abflugzeit und einen bestimmten Zeitraum nach der ursprünglichen Ankunftszeit (BeckOK Fluggastrechte-VO/Schmid, 30. Edition, Stand: 01.04.2024, Art. 5 Fluggastrechte-VO Rn. 40).

b) Hieran gemessen hat die Beklagte die Fluggäste rechtzeitig ersatzbefördert. Was die Ankunftszeit am Endziel angeht, ist dies unzweifelhaft der Fall. Denn die Fluggäste sollten X. planmäßig um 19:50 Uhr erreichen und kamen dort um 21:30 Uhr – mithin mit einer Verspätung von weniger als zwei Stunden – an. Aber auch hinsichtlich der Abflugzeit sind die Voraussetzungen von Art. 5 Abs. 1 lit. c) iii) der Fluggastrechte-VO eingehalten. Denn es kommt im Falle des annullierten Anschlussflugs nicht auf eine „Verfrühung“ am Umsteige-Flughafen, sondern auf eine „Verfrühung“ am Ausgangs-Flughafen an. Für eine solche Betrachtung spricht bereits, dass auch bei der Frage der Anwendbarkeit der Fluggastrechte-VO bei einheitlicher Buchung auf die gesamte Flug-Verbindung abgestellt wird und gerade keine Aufspaltung nach einzelnen Teilflügen stattfindet (EuGH, Urt. v. 24.02.2022 – C-451/20NJW-RR 2022, 563). Auch die Systematik der Vorschrift spricht gegen ein Abstellen auf die „Verfrühung“ am Umsteige-Flughafen. Denn in der Konsequenz müsste dem Fluggast dann auch im umgekehrten Fall der volle Ausgleichs-Anspruch zustehen, wenn also das ausführende Luftfahrtunternehmen den Zubringer-Flug annulliert, der Fluggast aber den deutlich später stattfindenden Anschlussflug noch erreicht, weil der „Ersatz-Zubringerflug“ früher – indes über zwei Stunden nach der planmäßigen Landung des ursprünglichen Zubringerflugs – den Umsteige-Flughafen erreicht als der planmäßig durchgeführte Anschlussflug dort startet. Dies ist allerdings durch das Wort „Endziel“ in der vorgenannten Vorschrift gerade ausgeschlossen. Insbesondere aber sprechen Sinn und Zweck der Vorschrift gegen eine Auslegung, wie sie die Klägerseite vertritt. Denn wie sich auch aus der von der Klägerseite selbst im Schriftsatz vom 05.03.2024 (Bl. 110 d.A.) angeführten Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs ergibt, geht es bei der streitgegenständlichen Vorschrift gerade darum, dass eine erhebliche Vorverlegung eines Fluges in gleicher Weise wie dessen Verspätung für die Fluggäste zu schwerwiegenden Unannehmlichkeiten führen kann, da eine solche Vorverlegung ihnen die Möglichkeit nimmt, frei über ihre Zeit zu verfügen und ihre Reise oder ihren Aufenthalt nach Maßgabe ihrer Erwartungen zu gestalten. Dies ist hiernach insbesondere dann der Fall, wenn ein Fluggast, der alle erforderlichen Vorkehrungen getroffen hat, aufgrund der Vorverlegung des von ihm gebuchten Fluges das Flugzeug nicht nehmen kann. Es ist auch dann der Fall, wenn die neue Abflugzeit den Fluggast zwingt, erhebliche Anstrengungen zu unternehmen, um seinen Flug zu erreichen (EuGH, Urt. v. 21.12.2021 – C-146/20 u.a. – NJW-RR 2022, 193 Rn. 76 ff.). Eine solche Unannehmlichkeit besteht aber gerade nicht, wenn es lediglich am Umsteige-Flughafen zu einer Vorverlegung in Form einer Umbuchung kommt. Denn in diesem Fall konnte der Fluggast durch die Vorverlegung keinerlei Schwierigkeiten haben, seinen Flug zu erreichen, denn der Zubringer-Flug ist ja – wie im vorliegenden Fall – gerade pünktlich – und nicht etwa verfrüht – durchgeführt worden. Im Gegenteil verringern sich die Unannehmlichkeiten für den Fluggast durch die „Verfrühung“ des Anschlussflugs sogar, indem er weniger Zeit am Umsteige-Flughafen verbringen muss.“

OWi II: Zweimal AG zur Akteneinsicht in Messserie u.a., oder: Antrag auf gerichtliche Entscheidung überholt?

Und dann im zweiten Posting drei Entscheidungen zur Akteneinsicht, Stichwort: Messserie u.a. Nichts Weltbewegendes, aber zwischendurch kann man ja mal wieder über die Problematik berichten. Denn ausgestanden sind die Dinge/Fragen nicht.

Hier sind dann:

Da es dem Betroffenen aufgrund des standardisierten Messverfahrens obliegt, konkrete Anhaltspunkte für eine fehlerhafte Messung vorzutragen, sind ihm die Daten der gesamten Messserie auf einem von der Verteidigung zur Verfügung gestellten Speichermediumzur Verfügung zu stellen.

    1. Dem Verteidiger ist auf seinen Antrag die vollständige Messreihe zu einer Geschwindigkeitsmessung zur Verfügung zu stellen, das ohne die Herausgabe der entsprechenden Daten der Anspruch auf des Betroffenen auf Gewährung rechtlichen Gehörs verletzt würde.
    2. Die Herausgabe des (öffentlichen) Token kann hingegen nicht verlangt werden.

Zwar wird nicht stets durch Einspruch oder Rechtskraft des Bußgeldbescheides eine nachträgliche Unzulässigkeit des Verfahrens nach § 62 OWiG eintreten. In Fällen jedoch, in dem der Antrag auf gerichtliche Entscheidung darauf abzielte, die Hauptsache-entscheidung vorbereitende prozessuale Fragen (insbesondere der Akteneinsicht des Betroffenen) zu klären, wird der Antrag durch das Fortschreiten des Verfahrens in Form des Ein-spruchs gegen einen erlassenen Bußgeldbescheid unzulässig, da er prozessual überholt ist. Erst recht gilt dies bei eingetretener Rechtskraft.

Die Beschlüsse des AG Beckum und des AG Köln sind m.E. zutreffend. Sie setzen konsequent die Rechtsprechung des BVerfG und – der des AG Köln – die des OLG Köln um. Die im Beschluss zitierte Entscheidung des OLG hatte ich ja hier auch vorgestellt.

Beim AG Dortmund habe ich so meine Bedenken, ob das zutreffend ist. Allerdings: Man kennt den genauen Sachverhalt nicht. So sind Beschlussinhalt und Leitsatz des AG für mich eine nicht überprüfbare Behauptung. Jedenfalls eröffnen solche Entscheidungem der AG den Verwaltungsbehörden die Möglichkeit, entsprechende Anträge mal einfach „ungestraft“ „liegen zu lassen“.

So, und dann mal aus Anlass dieses Postings <<Werbemodus an>>, denn: Wir sind allmählich mit den Arbeiten an der 7. Auflage vom „Handbuch des straßenverkehrsrechtlichen OWi-Verfahrens“ am Ende, so dass einem Erscheinen im März/April nichts entgegenstehen dürfte. Daher: Vorbestellungen sind möglich. Und wer vorbestellt, muss sich um nichts mehr kümmern. Das Buch kommt dann automatisch.

Es gibt übrigens auch das „Verkehrsrechtspaket“ neu, also dann „Messungen“ in der 6. Aufl. und OWi-HB in der 7. Aufl. Aktueller geht nicht.

Zu den Vorbestellungen geht es hier. <<Werbemodus aus>>.