Archiv der Kategorie: KG

BtM I: Strafbarkeit von Cannabis im Haftraum der JVA, oder: Die Zelle ist „gewöhnlicher Aufenthaltsort“

© ogressie Fotolia.cm

Ich stelle heute dann BtM-Entscheidungen vor. Unter dem Kürzel „BtM“ verbergen sich ab heute dann ggf. auch Entscheidungen zum KCanG. Die Flut von Entscheidungen, die es nach dem Inkrafttreten der Neuregelung gegeben hat, hat nämlich inzwischen deutlich nachgelassen mit der Folge, dass sich ein „KCanG-Tag“ kaum noch lohnt. Also ab jetzt: BtM = BtMG + CanG + KCanG.

Und ich beginne gleich mit einer Entscheidung zum KCanG, nämlich dem KG, Urt. v. 28.05.2025 – 5 ORs 17/25 – zur Strafbarkeit von Cannabisbesitz im Haftraum.

Das AG hatte den Angeklagten wegen Besitzes von Betäubungsmitteln zu einer Geldstrafe verurteil.  Von dem weiteren Tatvorwurf des Besitzes von Cannabis (§ 34 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a) KCanG) sprach es den Angeklagten aus rechtlichen Gründen frei. Nach den insoweit getroffenen Feststellungen verwahrte der Angeklagte, der seit dem 07.092023 eine Haftstrafe von zwei Jahren und drei Monaten in einer JVA verbüßt, am 23.04.2024 in seinem Haftraum 45,06 Gramm Cannabisharz mit einer Wirkstoffmenge von 13,64 Gramm Tetrahydrocannabinol, das zum Eigenkonsum bestimmt war. Das AG bewertete dies als gemäß § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 KCanG erlaubten Besitz von bis zu 50 Gramm Cannabis am gewöhnlichen Aufenthalt des Angeklagten. Ein Haftraum in einer JVA sei jedenfalls dann gewöhnlicher Aufenthalt im Sinne der Legaldefinition des § 1 Nr. 17 KCanG, wenn die Haftdauer auf mindestens sechs Monate angelegt sei. Auf eine Freiwilligkeit des Aufenthalts komme es ebensowenig an wie auf die Frage, ob die Räume dem Schutzbereich des Art. 13 GG unterfielen.

Dagegen die Sprungrevision der StA, die beim KG keinen Erfolg hatte. Aus Platzgründen stelle ich hier nur die Leitsätze des KG ein und ordne im Übrigen das „Selbstleseverfahren“ an. Die Leitsätze lauten:

1. Der Besitz von bis zu 50 Gramm Cannabis durch einen Strafgefangenen in seinem Haftraum während der Verbüßung einer mehrjährigen Haftstrafe unterfällt der Erlaubnisnorm des § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 KCanG, die eine Ahndung als Straftat oder Ordnungswidrigkeit ausschließt. Insoweit handelt es sich bei dem Haftraum um den gewöhnlichen Aufenthalt des Gefangenen.

2. Der Gesetzgeber hat die Legaldefinition des gewöhnlichen Aufenthalts in § 1 Nr. 17 KCanG explizit an diejenige in § 9 AO und § 30 Abs. 3 Satz 2 SGB I angelehnt, die nach der hierzu ergangenen höchstrichterlichen Rechtsprechung auch den Aufenthalt eines Strafgefangenen in einer Justizvollzugsanstalt bei Vollzug einer mehrjährigen Freiheitsstrafe erfassen. Auf die Freiwilligkeit des Aufenthalts kommt es dabei nicht an; entscheidend sind vielmehr (allein) die tatsächlichen Verhältnisse.

3. Der Gesetzeszweck des § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 KCanG rechtfertigt keine andere Auslegung. Die den Gesetzesmaterialien zu entnehmende Zielrichtung der Vorschrift, Personen von einer Strafbarkeit auszunehmen, die neben dem nach § 3 Abs. 1 KCanG erlaubten Besitz von 25 Gramm Cannabis zum Eigenkonsum in zulässiger Weise Cannabispflanzen anbauen und abernten, hat im Gesetzeswortlaut ebenso wenig Niederschlag gefunden wie eine mögliche Begrenzung der Erlaubnis auf private Räumlichkeiten. Die Gestattung des Besitzes von bis zu 50 Gramm Cannabis gilt vielmehr unabhängig davon, ob die betreffen-de Person zugleich auch lebende Cannabispflanzen besitzt – was in einer Justizvollzugsanstalt möglicherweise nicht von der Erlaubnisnorm erfasst ist.

4. Bei der Einordnung als gewöhnlicher Aufenthalt kommt es nicht darauf an, dass der Haft-raum nicht vom Schutzbereich des in Art. 13 GG gewährleisteten Wohnungsgrundrechts erfasst ist.

5. Allgemeine Erwägungen zur Sicherheit und Ordnung der Justizvollzugsanstalt oder zur Gefährdung des Vollzugsziels haben im Konsumcannabisgesetz keinen Ausdruck gefunden und können daher nicht zur Einschränkung des Erlaubnistatbestandes des § 3 Abs. 2 Satz 1 KCanG herangezogen werden. Sonderregelungen, wie sie etwa für militärische Be-reiche der Bundeswehr, Schulen, Kinderspielplätze oder Kinder- und Jugendeinrichtungen gelten, hat der Gesetzgeber für Justizvollzugsanstalten gerade nicht getroffen. Eine erweiternde Auslegung dieser Normen verbietet sich mit Blick auf Art. 103 Abs. 2 GG.

6. Hiervon unberührt bleibt die Möglichkeit, den Besitz und Konsum von Cannabis in Justizvollzugsanstalten und Maßregelvollzugseinrichtungen auf der Grundlage der jeweils geltenden Vollzugsgesetze etwa im Wege der Allgemeinverfügung beziehungsweise in der Hausordnung mit Blick auf die Sicherheit und Ordnung der Anstalt generell zu untersagen und entsprechende Verstöße mit vollzuglichen Maßnahmen zu ahnden.

Ebenso bereits das LG Bonn im LG Bonn, Beschl. v. 16.04.2024 – 50 KLs 33/20

Verkehrsrecht I: Krankenfahrstuhl fahrerlaubnisfrei?, oder: Fahren ohne Fahrerlaubnis

entnommen Pixabay

Heute dann mal wieder ein „Verkehrsrechtstag“, also Entscheidungen zum Verkehrs(strafrecht). Einmal K, zweimal AG.

Ich starte mit dem KG, Beschl. v. 07.03.2025 – 3 ORs 8/25 – 121 SRs 5/25 -, der sich u.a. zur Fahrerlaubnispflicht bei motorisierten Krankenfahrstühlen äußert.

Das AG hat die Angeklagte wegen unerlaubten Entfernens vom Unfallort zu einer Geldstrafe verurteilt und ein Fahrverbot von sechs Monaten verhängt. Gegen dieses Urteil hat die Angeklagte Berufung mit dem Ziel des Freispruchs eingelegt. Das LG hat dann das amtsgerichtliche Urteil dahin abgeändert, dass es die Angeklagte wegen fahrlässigen Fahrens ohne Fahrerlaubnis verurteilt und das Fahrverbot entfallen lassen hat. Hinsichtlich eines Tatvorwurfes des unerlaubten Entfernens vom Unfallort wurde das Verfahren gemäß § 154 Abs. 2 StPO eingestellt. Gegen dieses Urteil hat die Angeklagte Revision eingelegt, mit der sie die Verletzung materiellen Rechts rügt. Insbesondere trägt sie vor, das Berufungsgericht habe zu Unrecht Tatidentität im Sinne des § 264 StPO angenommen und daher auch keine Verurteilung wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis vornehmen dürfen. Ferner sei unklar, welches genaue geschichtliche Geschehen den der Angeklagten gemachte Tatvorwurf umfasse. Darüber hinaus liege weder eine Straftat noch eine Ordnungswidrigkeit vor.

Die Revision hatte Erfolg. Ich beschränke mich hier auf die Ausführungen des KG zur Fahreralubnispflicht. Den Rest ggf. bitte selbst lesen. Das KG führt aus:

„b) Die Urteilsgründe halten jedoch der revisionsrechtlichen Überprüfung nicht stand. Denn die Feststellungen zur tatsächlichen bauartbedingten Höchstgeschwindigkeit des von der Angeklagten gesteuerten Fahrzeuges und die diesbezüglich vorgenommene Beweiswürdigung sind lückenhaft.

Gemäß § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 Fahrerlaubnis – Verordnung (FeV) sind motorisierte Krankenfahrstühle fahrerlaubnisfrei. Eine Prüfbescheinigung nach § 5 Abs. 4 Satz 1 FeV ist nicht erforderlich. Nach im Fahrerlaubnis- und Zulassungsrecht übereinstimmender Legaldefinition sind motorisierte Krankenfahrstühle einsitzige, nach der Bauart zum Gebrauch durch körperlich behinderte Personen bestimmte Kraftfahrzeuge mit Elektroantrieb, einer Leermasse von nicht mehr als 300 kg einschließlich Batterien jedoch ohne Fahrer, einer zulässigen Gesamtmasse von nicht mehr als 500 kg, einer bauartbedingten Höchstgeschwindigkeit von nicht mehr als 15 km/h, und einer Breite über alles von maximal 110 cm (§ 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 FeV, § 2 Nr. 13 Fahrzeug – Zulassungsverordnung). Die Definition ist abschließend, alle genannten Merkmale müssen kumulativ vorhanden sein. Die Bezeichnung motorisierte Krankenfahrstühle ist nicht Bestandteil der Legaldefinition, sondern der Gegenstand, auf den sie sich bezieht (vgl. Koehl in Hentschel/König, Straßenverkehrsrecht 48. Aufl., FeV § 4 Rn. 27).

Das Tatgericht hat zutreffend erkannt, dass schon allein der Wegfall eines Merkmals die Fahrerlaubnisfreiheit entfallen lässt. Ausweislich der Urteilsgründe mangelte es vorliegend am Merkmal der „bauartbedingten Höchstgeschwindigkeit von nicht mehr als 15 km/h“. Den getroffenen Feststellungen ist insoweit zu entnehmen, dass es sich „bei dem Fahrzeug, das mit dem Versicherungskennzeichen 802NBD versehen war um einen so genannten Krankenfahrstuhl handelte, der das Aussehen eines kleinen Personenkraftwagens hat“ und „auf dessen Heck ein großer runder Aufkleber mit der Aufschrift „25“ für die zulässige Höchstgeschwindigkeit von 25km/h angebracht“ war. Weitere Feststellungen zur tatsächlichen bauartbedingen Höchstgeschwindigkeit des Fahrzeuges enthält das Urteil nicht

Auch die vorgenommene Beweiswürdigung ist in diesem entscheidenden Punkt lückenhaft.

Zwar ist die Beweiswürdigung Sache des Tatgerichts (§ 261 StPO). Ihm allein obliegt es, das Ergebnis der Hauptverhandlung festzustellen und zu würdigen. Seine Schlussfolgerungen brauchen nicht zwingend zu sein, es genügt, dass sie möglich sind (st. Rspr., vgl. BayObLG, Beschluss vom 7. Juni 2022 – 202 ObOWi 678/22 –, juris). Die Prüfung durch das Revisionsgericht ist darauf beschränkt, ob dem Tatgericht Rechtsfehler unterlaufen sind. Das ist in sachlich – rechtlicher Hinsicht nur der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist, sie gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt oder überhöhte Anforderungen an die richterliche Überzeugungsbildung gestellt wurden oder sich auf nichtexistierende Erfahrungssätze stützt (st. Rspr., vgl. zuletzt nur BGH, Urteile vom 23. März 2023 – 3 StR 277/22 – und 16. März 2023 – 4 StR 252/22 –; BGH, Beschluss vom 2. März 2023 – 2 StR 119/22 –; Senat, Beschluss vom 31. Juli 2020 – 3 Ws (B) 174/20 –, jeweils bei juris).

Das Tatgericht stützt seine Überzeugung zur bauartbedingten Höchstgeschwindigkeit des Fahrzeuges ausschließlich darauf, dass das Fahrzeug einen Aufkleber mit der Aufschrift „25“ gemäß § 58 Straßenverkehrs – Zulassungs – Ordnung (StVZO) trug. Allein aus diesem Umstand kann jedoch nicht darauf geschlossen werden, dass das Fahrzeug bauartbedingt tatsächlich über eine entsprechende Motorisierung verfügt. Die Berufungskammer leitet diesen Umstand ausschließlich aus der Bezugnahme auf die sich hierzu in der Akte befindenden Lichtbilder ab, ohne dass insoweit eine weitere Aufklärung erfolgt wäre. Allein vom Vorhandensein des Aufklebers, der im Übrigen vom Fahrzeughalter selbst anzubringen ist (vgl. Koehl in Hentschel/König, a.a.O., StVZO, § 58 Rn. 1), kann nicht darauf geschlossen werden, welche Höchstgeschwindigkeit (mehr oder weniger als 25 km/h) das Fahrzeug tatsächlich erzielen kann. Angesichts der Vielzahl der sich im Umlauf befindenden und verwendeten Aufkleber und Beschilderungen kann hieraus kein rechtlicher Rückschluss auf die tatsächliche Höchstgeschwindigkeit eines Fahrzeuges gezogen werden.

c) Da sich aus der Gesamtheit der Urteilsgründe auch keine weiteren Angaben zur Beschaffenheit des Fahrzeuges (einsitzig, Elektroantrieb etc.) ergeben, bleibt dem Revisionsgericht die Prüfung verschlossen, ob die Ausnahmevorschrift des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 FeV aus anderen Gründen fällt.“

So weit, so gut. Was mich mal wieder an der Entscheidung stört, ist eine Formulierung, die man so oder ähnlich häufig liest, nämlich: „Der zulässigen Revision der Angeklagten kann der Erfolg nicht versagt bleiben.“ Ich frage mich immer, warum man nicht einfach schreibt: „Die Revision hat Erfolg.“ Dieses „…. kann der Erfolg nicht versagt bleiben.“ liest sich immer, als ob man das Urteil nur ungern aufhebt, was einem nicht gefällt, aber man muss nun mal aufheben. Nein. Die Revision ist begründet. Und gut ist es. Ob mir das als Revisionsrichter gefällt, ist doch völlig egal.

Wiederanfahren nach Halten in „zweiter Reihe“, oder: In „zweiter Reihe“ nicht verkehrsbedingt auf Busspur

Im „Kessel-Buntes“ köcheln heute dann zwei zivilrechtliche Entscheidungen, die mit Verkehrsrecht zu tun haben, und zwar einmal KG und einmal AG Brandenburg.

Ich starte mit dem KG. Es handelt sich um das KG, Urt. v. 27.03.2025 – 22 U 29/24. Das KG nimmt Stellung zu den Sorgfaltspflichten beim Wiederanfahren nach Halten in „zweiter Reihe“.

Dem Urteil liegt folgender Sachverhalt zugrunde: Der Beklagte zu 1. stand mit seinem Pkw auf der Busspur neben dem auf dem rechten Parkstreifen stehenden Pkw der Zeugin K. in zweiter Reihe. Der Zeuge G. war Beifahrer des Beklagten zu 1. Der Zeugin K., die in ihrem Pkw saß, wurden aus dem Pkw des Beklagten zu 1. heraus Schlüssel übergeben und ein kurzes Gespräch geführt. Der Beklagte zu 1. fuhr, die Vorderräder des Pkw leicht links eingeschlagen, an, weshalb sein Pkw mit dem des Klägers zusammenstieß, der in diesem Moment von dem linken Fahrstreifen an der dafür vorgesehenen Stelle (Leitlinien Zeichen 340) die (mittlere) Busspur (Zeichen 245 [Bussonderfahrstreifen]) querte, um den Rechtsabbiegerfahrstreifen zu erreichen.

Das LG hat die Klage nur in Höhe von 1/3 als begründet angesehen. Dagegen die Berufung des Klägers, die in vollem Umfang Erfolg hatte.

„Die daran anknüpfende rechtliche Beurteilung des Landgerichts hinsichtlich des Mitverschuldens und der Anteile des Klägers und des Beklagten zu 1. vermag der Senat nicht zu teilen.

1. Der Beklagte zu 1. verschuldete den Unfall vielmehr allein.

a) Zwar ist zutreffend, dass das Anfahren aus zweiter Reihe nicht durch den Wortlaut des § 10 S. 1 StVO („vom Fahrbahnrand anfahren“) erfasst wird. Jedoch besteht bei einem Anfahren vom Fahrbahnrand und dem Anfahren aus zweiter Reihe eine vergleichbare Situation, die keinen wesentlichen Unterschied bedeutet, sondern das Erkennen des Anfahrens für andere Verkehrsteilnehmer eher zusätzlich erschwert, weil nicht aus einer Lücke ausgefahren, sondern aus dem Stand unvermittelt losgefahren wird. Das Landgericht übersieht, dass der Verordnungsgeber für ohnehin verbotene (rechtswidrige) Sachverhalte Regelungen nicht treffen muss, weshalb das unzulässige Parken bzw. das grundsätzlich unzulässige Halten in zweiter Reihe (§ 12 Abs. 4 StVO; vgl. König in: Hentschel/König, Straßenverkehrsrecht, 48. Auflage (2025), § 12 StVO Rn. 40, 60; Schubert in: Münchener Kommentar, StVR, Band 1, 1. Aufl. § 12 StVO Rn. 87 ff.; Freymann in: Geigel, Haftpflichtprozess, 29. Aufl., Kap. 27 Rn. 369; BGH, Beschluss vom 3.10.1978 – 4 StR 263/78NJW 1979, 224 f.) naturgemäß nicht in die Spezialregelung des § 10 StVO einbezogen ist, obwohl der Sachverhalt und die Gefährdungslage prinzipbedingt nicht abweichen. Den Bussonderfahrstreifen durfte der Beklagte nicht benutzen. Auf ihm darf auch nicht gehalten werden (vgl. Zeichen 245 Nr. 1 [Benutzungsverbot] und Nr. 3., der selbst Taxis das Halten nur im Haltestellenbereich erlaubt; VwV zu Zeichen 245 Bussonderfahrstreifen IV.: „Die Funktionsfähigkeit der Sonderfahrstreifen hängt weitgehend von ihrer völligen Freihaltung vom Individualverkehr ab.“). Die Grundsätze müssen deshalb für das Anfahren aus zweiter Reihe erst recht gelten, weil andernfalls derjenige, der ohnehin schon gegen das Recht verstößt, gegenüber dem rechtmäßig parkenden oder haltenden Verkehrsteilnehmer besser gestellt wäre. Im Rahmen der allgemeinen Sorgfalts- und Rücksichtnahmepflicht (§ 1 Abs. 2 StVO) gelten daher die gleichen Anforderungen und Grundsätze. Es besteht eine gesteigerte Sorgfaltspflicht, die Absicht zum Einfahren in den fließenden Verkehr ist rechtzeitig (mindestens 5 s zuvor) anzuzeigen (selbst bei Geradeausfahrt im Fahrstreifen) und dessen Vorrang zu beachten. Ferner gelten die zu § 10 StVO entwickelten Grundsätze hinsichtlich des Anscheinsbeweises für die Verletzung dieser Pflichten (Senat, [Hinweis-] Beschluss vom 17. November 2022 – 22 U 50/22; vgl. Hentschel/König, Straßenverkehrsrecht, 48. Auflage (2025), § 10 StVO Rn. 7, 10; Burmann in: Burmann u.a., Straßenverkehrsrecht, 28. Aufl., § 10 StVO Rn. 12; Scholten in: Freymann/Wellner, jurisPK-Straßenverkehrsrecht, 2. Aufl. [Stand: 24.02.2025], § 10 StVO Rn. 38).

b) Der Beklagte zu 1. musste (und wollte ausweislich des Einschlages der Vorderräder) die Busspur nach links verlassen. Für ihn und nicht den Kläger – wie noch unten ausgeführt wird – galt daher bereits beim Einleiten des bevorstehenden Fahrstreifenwechsels durch Anfahren aus zweiter Reihe zusätzlich die Pflicht zur äußersten Sorgfalt und Beachtung des Vorrangs des fließenden Verkehrs gemäß § 7 Abs. 5 StVO (Burmann in: Burmann u.a., Straßenverkehrsrecht, 28. Aufl., § 10 StVO Rn. 4; LG Frankfurt a. M. LG Frankfurt, Urteil vom 19. Juli 1993 – 2/24 S 131/92 –, juris = DAR 1993, 393).

c) Ein Vorrang des Beklagten zu 1. hätte sich – unterstellt, er hätte die Busspur verbotswidrig weiterhin befahren wollen – auch nicht aus § 9 Abs. 3 S. 2 StVO ableiten lassen. Ihn musste der Kläger nicht durchfahren lassen. Die Regelung bevorrechtigt ausschließlich (im gleichgerichteten Verkehr) benutzungsberechtigte Verkehrsteilnehmer, wie u.a. Linienbusse (KG, Beschluss vom 03.12.2009 – 12 U 32/09 – beck-online; Senat, Urteil vom 14.12.2017 – 22 U 31/16 – beck-online = r+s 2018, 36; Freymann in: Geigel, Haftpflichtprozess, 29. Aufl., Kap. Rn. 287; Burmann in: Burmann u.a., Straßenverkehrsrecht, 28. Aufl., § 9 StVO Rn. 38; König in: Hentschel/König, Straßenverkehrsrecht, 48. Auflage (2025), § 9 StVO Rn. 39; anders im Begegnungsverkehr: KG, Beschluss vom 3. 12. 2007 – 12 U 191/07NZV 2008, 297; Burmann in: Burmann u.a., Straßenverkehrsrecht, 28. Aufl., § 9 StVO Rn. 28a).

d) Die Verkehrsverstöße des Beklagten zu 1., der den Vorrang des Klägers nicht einmal in Betracht gezogen hatte, waren schwerwiegend und objektiv grob. Mit einem Wechsel anderer Verkehrsteilnehmer von dem linken Fahrstreifen über die Busspur auf die Rechtsabbiegerspur war im Bereich der Querung zu rechnen. Der Beklagte zu 1. hätte also auch insoweit auf rückwärtigen Verkehr achten müssen und erst nach hinreichend langem Linksblinken zum Zeichen der Anfahrabsicht losfahren dürfen, wobei er allerdings den Vorrang der anderen Verkehrsteilnehmer zu beachten und sicherzustellen hatte, dass diese weder behindert noch gefährdet wurden.

2. Den Kläger trifft dagegen kein Verschulden.

a) Es ist zum einen nicht ersichtlich, dass er die Absicht des Beklagten zu 1., aus dem Stand anzufahren, hätte erkennen müssen oder können, und deshalb Unfall vermeidend hätte reagieren können (§ 1 Abs. 2 StVO). Wegen des haltenden Pkw des Beklagten zu 1., der die Busspur blockierte, musste der Kläger auch nicht mit berechtigtem Verkehr auf dem Bussonderfahrstreifen rechnen.

b) Zum anderen hatte der Kläger, was das Landgericht übersehen hat, dem Beklagten gegenüber keine Sorgfaltspflichten aus § 7 Abs. 5 StVO zu beachten. Dem Kläger stand als Teilnehmer des fließenden Verkehrs der Vorrang vor dem nicht verkehrsbedingt haltenden Beklagten zu 1. zu, denn § 7 Abs. 5 StVO schützt nur den fließenden Verkehr (BGH, Urteil vom 08. März 2022 – VI ZR 1308/20 –, juris Rn. 11 ff.; Freymann in: Geigel, Haftpflichtprozess, 29. Aufl., Kap. 27 Rn. 206, 216),

3. Hinter dem grob sorgfaltswidrigen Verhalten des Beklagten zu 1. tritt im Rahmen der Abwägung der Mitverursachungs- und -verschuldensanteile (§ 17 Abs. 1 und Abs. 2 StVG; §§ 9 StVG, 254 BGB) die Haftung des Klägers aus der Betriebsgefahr vollständig zurück, weshalb die Beklagten allein haften.“

StPO II: Verletztenbegriff im Sinne der Nebenklage, oder: Wenn (noch) kein Strafantrag gestellt ist

© sharpi1980 – Fotolia.com

Im zweiten Posting stelle ich hier den KG, Beschl. v. 17.02.2025 – 3 Ws 4/25 – vor. Thematik: Verletztenbegriff im Sinne der Nebenklagevorschriften und prozessuale Tat bei Nebenklagedelikten.

Die Staatsanwaltschafthat gegen den Angeklagten Anklage wegen Mordes erhoben und zum Tatgeschehen im konkreten Anklagesatz u.a. wie folgt ausgeführt:

„… Am Abend des 28. August 2024 hielt sich der Angeschuldigte, der sich zuvor mit einem Messer mit einer Klinge von ca. 10 cm bewaffnet hatte, gegen 20 Uhr erneut vor dem Haus der Geschädigten in der H-straße in B. verborgen und wartete auf die Geschädigte, die kurz darauf das Haus verließ, um zu ihrem Auto zu gehen. Trotz der Vorfälle in den vergangenen Jahren rechnete sie zu diesem Zeitpunkt nicht damit, dass ihr der Angeschuldigte auflauern würde und wurde daher völlig von dem plötzlichen Auftauchen des Angeschuldigten überrascht, wodurch sie in ihrer Verteidigungsbereitschaft eingeschränkt war. Der Angeschuldigte, der genau diesen Umstand zur Umsetzung seines Tatentschlusses ausnutzen wollte, nachdem es der Geschädigten bei vorangegangenen Begegnungen gelungen war, die Polizei zu verständigen oder sich auf andere Weise zur Wehr zu setzen, ging sofort auf sie los und versetzte ihr Schläge und Tritte, sodass die Geschädigte auf den Boden fiel. Daraufhin setzte er sich auf die Geschädigte und schlug weiterhin auf sie ein, während er sie als „Hure“ und „Schlampe“ beschimpfte und äußerte, dass sie sterben müsse. Der Geschädigten gelang es jedoch kurz, sich aufzurappeln und ein paar Meter in Richtung H-straße zu flüchten, als die Zeugin X und der Zeuge Y versuchten, verbal auf den Angeschuldigten einzuwirken und laut um Hilfe riefen. Der Angeschuldigte holte die Geschädigte jedoch auf Höhe des Müllplatzes wieder ein und versetzte ihr einen weiteren massiven Tritt, wodurch die Geschädigte erneut zu Boden fiel. Der Angeschuldigte stach ihr anschließend in unbedingtem Tötungswillen mit dem Messer drei Mal in die Brust, wobei ein Stich das Herz traf und die rechte Herzkammer verletzte.

Die Zeugin Dr. Z versuchte daraufhin einzugreifen und legte sich mit ihrem Körper schützend über die am Boden liegende, bereits tödlich verletzte Geschädigte. Dem Angeschuldigten gelang es dennoch, der Geschädigten einen weiteren Messerstich in den Oberschenkel und mehrere wuchtige Tritte gegen den Kopf zu versetzen. Anschließend ließ er von der Geschädigten ab und beobachtete daraufhin die Rettungsversuche der Zeugin Dr. Z und der weiteren hinzukommenden Zeugen, denen gegenüber er angab, dass die Geschädigte es nicht verdient hätte, zu leben und dass er so handeln musste, da es um seine Ehre gegangen sei. Trotz unmittelbar eingeleiteter Reanimationsmaßnahmen durch die Zeugin Dr. Z sowie der Fortführung dieser am offenen Herzen durch die herbeigerufenen Rettungskräfte verstarb die Geschädigte auf Grund des massiven Blutverlustes durch die Eröffnung der rechten Herzkammer.“

Die Anklage wurde unverändert zur Hauptverhandlung zugelassen. Die Zeugin hat ihre Zulassung als Nebenklägerin sowie die Beiordnung eines Rechtsbeistandes beantragt und Schadensersatzansprüche im Ädhäsionswege geltend gemacht. Zur Begründung hat sie ausgeführt, sie sei im Rahmen der Tatausführung durch den Angeklagten ebenfalls erheblich verletzt worden, so habe sie u.a. Abschürfungen, einen Dreifachbruch im linken Kniegelenk und Prellungen erlitten. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Schriftsatz Bd. IV Bl. 207 – 210 d. A. verwiesen.

Das LG hat die und darauf verwiesen, die Beschwerdeführerin sei nicht Verletzte im Sinne der Nebenklagevorschriften, da sie durch die Tat (ihre Begehung unterstellt) nicht unmittelbar verletzt worden sei. Im Übrigen habe sie auch keinen Strafantrag gestellt und die Staatsanwaltschaft habe aufgrund ihrer zeugenschaftlichen Angaben von der Einleitung eines Ermittlungsverfahrens abgesehen.

Dagegen die Beschwerde, die beim KG Erfolg hatte:

„Die Beschwerde ist zulässig (§ 304 StPO) und hat in der Sache (überwiegend) Erfolg.

1. Die Beschwerdeführerin ist – nach vorläufiger Würdigung – als verletzte Person einer rechtswidrigen Tat nebenklageberechtigt gemäß §§ 395 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 StPO, 223, 224 StGB. Die Nebenklagebefugnis aus § 395 Abs. 1 StPO besteht schon dann, wenn nach der Sachlage oder aufgrund des tatsächlichen Vorbringens des Antragstellers die Verurteilung des Angeklagten rechtlich möglich erscheint (vgl. BGH NStZ-RR 2008, 352; NStZ-RR 2002, 340; LG Koblenz NJW 2004, 305; OLG Brandenburg, Beschluss vom 19.4.2010 – 1 Ws 54/10 –, juris; LG Hamburg, Beschluss vom 23. April 2018 – 606 Qs 8/18 –, juris; OLG Düsseldorf NStZ 1997, 204; Schmitt in Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 67. Aufl., § 396 Rn. 10). In den Fällen des § 395 Abs. 1 Nr. 3 StPO genügt es deshalb, wenn nach dem von der Anklage umfassten Sachverhalt (§§ 155, 264 StPO) die Verurteilung wegen einer vorsätzlichen Körperverletzung materiell-rechtlich in Betracht kommt (BGH NStZ-RR 2008, 352; OLG Düsseldorf, a. a. O.; OLG Frankfurt/Main, Beschluss vom 9. November 1978 – 3 Ws 758/78 –, beck online). Die Nebenklagebefugnis setzt dagegen keinen dringenden oder auch nur hinreichenden Tatverdacht für eine zum Anschluss berechtigende Tat voraus (BGH a.a.O., OLG Brandenburg, a.a.O.; LG Hamburg, a.a.O.; Schmitt in Meyer-Goßner/Schmitt, a.a.O.); sie besteht sogar dann, wenn die tatsächliche Wahrscheinlichkeit einer entsprechenden Verurteilung gering ist (vgl. OLG Brandenburg, a.a.O.). Die Nebenklage ist bereits dann zuzulassen, wenn auch nur die geringe Möglichkeit vorhanden ist, dass der Angeklagte nach der Sachlage oder aufgrund des tatsächlichen Vorbringens des Beschwerdeführers wegen einer Nebenklagestraftat verurteilt wird (vgl. LG Hamburg, a.a.O.). Ob diese Möglichkeit gegeben ist, ist unabhängig davon zu beurteilen, ob die Anklage die dem Angeklagten zur Last gelegte Tat in rechtlicher Hinsicht als eine Nebenklagestraftat bewertet hat oder ob die Voraussetzungen eines Nebenklagedelikts im Eröffnungsbeschluss bejaht oder verneint worden sind (LG Hamburg, a. a. O.).

2. Zur Frage, welche Tat im Sinne des § 264 StPO von der Anklage umfasst ist, gilt Folgendes: Die Kognitionspflicht gebietet, dass der durch die zugelassene Anklage abgegrenzte Prozessstoff durch vollständige Aburteilung des einheitlichen Lebensvorgangs erschöpft wird. Der Unrechtsgehalt der Tat muss ohne Rücksicht auf die dem Eröffnungsbeschluss zugrunde gelegte Bewertung ausgeschöpft werden, soweit keine rechtlichen Gründe entgegenstehen. Fehlt es daran, so stellt dies einen sachlich-rechtlichen Mangel dar, der gegebenenfalls zur Aufhebung des Urteils führt (BGH, Urteil vom 30. September 2020 – 5 StR 99/20 –, juris).

Bezugspunkt dieser Prüfung ist die Tat im Sinne von § 264 StPO, also ein einheitlicher geschichtlicher Vorgang, der sich von anderen ähnlichen oder gleichartigen unterscheidet und innerhalb dessen der Angeklagte einen Straftatbestand verwirklicht haben soll. Die Tat als Prozessgegenstand ist dabei nicht nur der in der Anklage umschriebene und dem Angeklagten darin zur Last gelegte Geschehensablauf; vielmehr gehört dazu das gesamte Verhalten des Angeklagten, soweit es mit dem durch die Anklage bezeichneten geschichtlichen Vorgang nach der Auffassung des Lebens ein einheitliches Vorkommnis bildet. Die prozessuale Tat wird in der Regel durch Tatort, Tatzeit und das Tatbild umgrenzt und insbesondere durch das Täterverhalten sowie die ihm innewohnende Angriffsrichtung und durch das Tatopfer bestimmt (st. Rspr., vgl. nur BGH, Urteil vom 10. Juni 2020 – 5 StR 435/19 –, juris).
3. In Ansehung der vorstehenden Grundsätze ist die Nebenklage hier zuzulassen. Nach Ansicht des Senats liegt hier ein einheitlicher Sachverhalt und eine prozessuale Tat im Sinne des § 264 StPO vor. Auf der Grundlage des von der Anklage mitgeteilten Sachverhalts, dem tatsächlichen Vorbringen der Beschwerdeführerin sowie dem weiteren Akteninhalt, insbesondere der vorliegenden Atteste, besteht auch eine gewisse Wahrscheinlichkeit für eine Verurteilung des Angeklagten wegen gefährlicher, mindestens aber vorsätzlicher Körperverletzung nach §§ 223, 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB zum Nachteil der Beschwerdeführerin.

Bereits aus dem konkreten Anklagesatz der Anklageschrift ergibt sich, dass die Beschwerdeführerin versuchte, die Geschädigte während des Angriffs zu schützen, indem sie sich mit ihrem Körper schützend über sie legte. Weiterhin ist der Anklage zu entnehmen, dass dies den Angeklagten nicht davon abgehalten hat, weiterhin mit einem Messer auf die am Boden liegende Geschädigte einzuwirken und ihr „mehrere wuchtige Tritte gegen den Kopf“ zu versetzen. Aus dem Inhalt der Akten ergibt sich zudem, dass die Beschwerdeführerin bereits am Tattag und am Tatort gegenüber dem Zeugen PKA W. angegeben hat, während des Geschehens leicht an den Unterschenkeln verletzt worden zu sein (Bd. I Bl. 12 d. A.). Im Rahmen ihres Zulassungsantrages vom 15. Januar 2025 trägt die Beschwerdeführerin weitere erhebliche Verletzungen vor, die sie aufgrund des Geschehens erlitten hat. Warum sie erstmals im Rahmen ihrer Beschwerdebegründung unter Beifügung eines ärztlichen Attestes vorträgt, sie habe aufgrund des Vorfalles auch oberflächliche Schnittverletzungen erlitten, bleibt unklar. Fest steht aber, dass eine solche Verletzung – sowie auch die übrigen als typische Abwehrverletzungen bezeichneten Verletzungen – angesichts des offensichtlich sehr dynamischen Geschehens und geschilderten aggressiven Vorgehens des Angeklagten keinesfalls abwegig erscheint. Bereits in ihrer Vernehmung am 30. August 2024 (Bd. I Bl. 145 ff.) schilderte die Beschwerdeführerin, dass der Angeklagte auch weiterhin auf die Beine der Geschädigten eingestochen habe, nachdem sie sich schützend über diese gebeugt habe. Außerdem habe der Angeklagte „überall hingetreten“. Ferner berichtet die Beschwerdeführerin von einer kurzen Rangelei, die sie mit dem Angeklagten gehabt habe. Dass die nunmehr geschilderten Verletzungen, die durch Vorlage von Attesten belegt werden, Ausfluss des Geschehens sein können, liegt somit auf der Hand. Hieran ändert auch der Umstand, dass die Beschwerdeführerin angegeben hat, der Angeklagte habe nicht sie, sondern zielgerichtet die Geschädigte angegriffen, offenkundig nichts. Im Rahmen eines derartigen Geschehensablaufes unter Einsatz eines Messers ist es naheliegend, dass der Angeklagte, der sein Vorhaben weiterhin durchsetzte auch nachdem die Beschwerdeführerin sich mit ihrem Körper schützend über die Geschädigte gebeugt hatte, billigend in Kauf nahm, auch diese – wenn auch nicht zielgerichtet – zu verletzen. Dabei stellte sich dieses Geschehen zweifelsohne als Teil der angeklagten prozessualen Tat dar.

Unter Zugrundelegung dieses Sachverhalts liegt eine Verurteilung des Angeklagten wegen gefährlicher, mindestens aber vorsätzlicher Körperverletzung nicht fern. Dass Anklage und Eröffnungsbeschluss nicht von einer Tat zum Nachteil der Beschwerdeführerin ausgehen, hat – wie bereits ausgeführt – für die Beurteilung, ob eine nebenklageberechtigte Tat vorliegt, keine Bedeutung. Es ist nach dem in der Anklage dargestellten Sachverhalt und insbesondere den Ausführungen der Beschwerdeführerin möglich, dass der Angeklagte wegen gefährlicher bzw. vorsätzlicher Körperverletzung nach §§ 223, 224 StGB und mithin einem nebenklagefähigen Delikt nach § 395 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 StPO verurteilt wird. Dies wäre prozessual über die Erteilung eines Hinweises im Sinne des § 265 StPO auch möglich.

Im Hinblick auf den Einwand eines fehlenden Strafantrages gemäß § 230 StGB gilt, dass ein Verletzter zum Anschluss als Nebenkläger auch berechtigt ist, wenn er keinen Strafantrag gestellt hat, die Tat aber wegen Bejahung des besonderen öffentlichen Interesses – was nachholbar wäre – verfolgt wird (vgl. Eschelbach in BeckOK StGB, 64. Ed., § 230 Rn. 5). Dass das Eingreifen der Beschwerdeführerin bei dem hier zugrundeliegenden Geschehen nicht bloß in ihrem privaten Interesse stand, sondern in besonderem Maße dem öffentlichen Interesse diente, bedarf keiner weiteren Erörterung.“

OWi III: Geldbuße – Bemessung und Begründung, oder: „Rechtskenntnisse“ des RA und Urteilsgründe

Bild von Gerd Altmann auf Pixabay

Und dann zum Tagesschluss noch zwei Entscheidungen zur Geldbuße – Bemessung und Begründung. Das sind:

Ob einem Betroffenen ein erhöhtes Unrecht vorzuwerfen ist, kann nicht pauschal aus einer Zuordnung zu einer bestimmten Berufsgruppe („als Rechtsanwalt“) abgeleitet werden und begründet keinen „besonderen Maßstab“ für die Bußgeldbemessung nach § 17 Abs. 3 OWiG.

Mangels einer individuell getroffenen Zumessungsentscheidung ohne nähere Würdigung des entsprechenden Verteidigungsvorbringens kann in der Rechtsmittelinstanz nicht beurteilt werden, ob die angefochtene Entscheidung im Rechtsfolgenausspruch rechtsfehlerfrei ergangen ist.