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Verwerfung II: Verhandlungsfähigkeit des Angeklagten, oder: Aufklärungspflicht des Gerichts

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In der zweiten Entscheidung, dem KG, Urt. v. 18.10.2024 – 3 ORs 66/14 – 121 SRs 97/24 – geht es auch noch einmal um die (Un)Zulässigkeit der Verfahrensrüge im Rahmen des § 329 Abs. 1 Satz 1 StPO.

Das LG hat die Berufung des Angeklagten gegen ein Urteil des AG nach § 329 Abs. 1 Satz 1 StPO verworfen, weil der Angeklagte dem Hauptverhandlungstermin unentschuldigt ferngeblieben sei. Dem lag das folgende Verfahrensgeschehen zu Grunde:

„Der ordnungsgemäß geladene Angeklagte reichte über seinen Verteidiger am Tag vor dem anberaumten Termin ein ärztliches Attest des Herrn Dr. A und eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vom 24. – 26.06.2024 ein. Das Attest hatte den folgenden Wortlaut:

„Der o.g. Patient stellte sich am 24.6.24 in unserer Arztpraxis vor. Er berichtet, seit dem Vorabend unter Übelkeit mit Erbrechen und Diarrhöen zu leiden. Zudem wird von Schnupfen und Halsschmerzen seit 3-4 Tagen berichtet. Der Pat. schildert, einen geplanten Gerichtstermin am 25.6.24 bei den aktuell vorherrschenden gesundheitlichen Problemen nicht wahrnehmen zu können. Es erfolgte eine AU-Bescheinigung vom 24.-26.6.24.“

Die Vorsitzende der zuständigen Strafkammer kontaktierte daraufhin am 25.06.2024 die Praxis telefonisch, in der sie Herrn Dr. A nicht erreichen konnte, aber dessen Kollegin Frau Dr. B. Diese teilte der Vorsitzenden mit, Herr Dr. Asei aufgrund auswärtiger Termine in einer Heimeinrichtung nicht erreichbar. Der Angeklagte sei am 24.06.2024 erstmals in der Praxis erschienen, was Herrn Dr. A verwundert habe. Eine Untersuchung der Symptome habe nicht stattgefunden und sei auch nicht üblich. Sie habe mit Herrn Dr. A über die Angelegenheit gesprochen, der Angeklagte habe etwas erschöpft gewirkt. Herr Dr. A habe sich schwergetan, das Attest auszustellen. Zur Schwere der Symptomatik könne sie anhand der Patientenakte keine Angaben machen.

Gegen das Verwerfungsurteil wendet sich der Angeklagte mit seiner Revision. Er trägt vor, das LG habe seine Aufklärungspflicht verletzt, indem es nicht mit dem behandelnden Arzt selbst – gegebenenfalls per Mobiltelefon – Rücksprache gehalten habe. Ein solches Gespräch „hätte die Säumnis als [sic!] Angeklagten als unverschuldet aufgezeigt“.

Die GStA hat die Aufhebung des Urteils und Zurückverweisung der Sache an eine andere Strafkammer des LG beantragt. Das KG sieht das anders und hat verworfen. Hier die Leitsätze des KG:

1. Unterlässt es der Revisionsführer, das Ausmaß einer Erkrankung darzulegen oder die Verhandlungsunfähigkeit des Angeklagten am Terminstag zu schildern, ist seine auf eine unterbliebene Aufklärung des Gerichts gestützte Verfahrensrüge bereits unzulässig; das Revisionsgericht wird hierdurch nicht in den Stand versetzt, zu beurteilen, ob der Angeklagte im Zeitpunkt der Hauptverhandlung entschuldigt war.

2. Bei „Auslösung“ der Aufklärungspflicht durch Einreichung eines ärztlichen Attests kann das Gericht sich nicht auf Informationen vom „Hörensagen“ einer Kollegin des das Attest ausstellenden Mediziners stützen.

StGB II: Verkehrsunfall bei einer „Polizeiflucht“, oder: Körperverletzung im Amt beim Polizeibeamten?

Die zweite StGB-Entscheidung kommt vom KG. Das hat im KG, Beschl. v. 23.10.2024 – 3 ORs 28/24 – 161 SRs 9/24 – zu den Voraussetzungen pflichtwidrigen Handelns eines Polizeibeamten bei der Verfolgung eines Beschuldigten auf der Autobahn Stellung genommen. Der Beschluss ist recht umfangreich begründet, ich stelle daher hier nur die Feststellungen des LG und den Leitsatz des KG ein. Den Rest dann bitte im „Selbststudium“ lesen.

Es geht in der Entscheidung um Folgendes: Das LG hat den angeklagten Polizeibeamten vom Tatvorwurf der angeklagten (vorsätzlichen) Körperverletzung im Amt aus tatsächlichen Gründen freigesprochen, nachdem das AG ihn in erster Instanz zu einer Geldstrafe wegen fahrlässiger Körperverletzung im Amt verurteilt hatte. Gegenstand des Verfahrens war ein Verkehrsunfall, der sich auf der Abfahrt F-straße der Autobahn 103 in Berlin nach einer etwa fünf Minuten andauernden Polizeiflucht des Nebenklägers ereignete, nachdem sich die Verfolgung bereits über Teile der Autobahnen 115 und 100 erstreckt hatte.

Das LG hat in seinem Urteil im Wesentlichen folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:

„Der Angeklagte und der Zeuge PK T. befuhren am Tattag gemeinsam als erfahrene Zivilstreife im Straßenverkehrsbereich in einem PKW BMW die Autobahn 115 auf Höhe der „Avus-Tribüne“, als sie den Nebenkläger auf seinem Motorrad wahrnahmen, weil dieser sie mit deutlich überhöhter Geschwindigkeit rechts überholte, eine Sperrfläche überfuhr und mit hoher Geschwindigkeit in die Kurve Richtung Autobahn 100 Süd einbog. Der Angeklagte – Fahrer des Polizeifahrzeugs – und sein Kollege nahmen deshalb die Verfolgung auf, wobei sie die Videoaufzeichnung des im Fahrzeug vorhandenen ProViDa-Verkehrsüberwachungssystems sowie zusätzlich die Tonaufzeichnung im Innenraum des PKWs aktivierten. Nach etwa drei Kilometern schaltete der Zeuge PK T. Blaulicht und Martinshorn ein, um den Nebenkläger zum Verlangsamen und Heranfahren zu veranlassen. Dieser Aufforderung, die der Nebenkläger eindeutig als ihm geltend erkannte, kam er jedoch nicht nach; vielmehr erhöhte er seine Geschwindigkeit noch und fuhr teilweise – bei um etwa 9 Uhr morgens dichtem Verkehrsaufkommen – von dem Zeugen PK T. gemessene Geschwindigkeiten von 158, 167, 194 und über 200 km/h, während er ohne Betätigung des Fahrtrichtungsanzeigers die Spuren wechselte, zwischen nebeneinander fahrenden PKWs auf der Fahrbahnmarkierung hindurchfuhr, dicht auf andere Verkehrsteilnehmer auffuhr und Sperrflächen querte. Die zulässige Höchstgeschwindigkeit betrug auf den befahrenen Teilen der Autobahnen zumeist 80 km/h, teilweise auch 60 km/h.

Ohne Betätigung des Fahrtrichtungsanzeigers bog der Nebenkläger schließlich mit einer Geschwindigkeit zwischen 150 und 160 km/h – die zulässige Höchstgeschwindigkeit beträgt in diesem Abschnitt 60 km/h – in die zweispurige Abfahrt F-straße ein, um die Polizeistreife im Stadtverkehr abschütteln zu können. Am Ende der Abfahrt öffnet sich neben zwei Spuren – in denen jeweils zwei Fahrzeuge hintereinander hielten – eine weitere Fahrbahn für Rechtsabbieger, die zu diesem Zeitpunkt leer war. Die am Ende der Abfahrt befindliche Lichtzeichenanlage strahlte rot ab, weshalb der Nebenkläger, der nicht selbstgefährdend in den Querverkehr geraten wollte, zunächst plante anzuhalten. Der Angeklagte folgte dem Nebenkläger in die Abfahrt, auf der dieser in die rechte Spur wechselte und sein Tempo verlangsamte. Um den Nebenkläger zu stellen, seine Identität festzustellen und ihn aus Gründen der Gefahrenabwehr an einer Weiterfahrt im normalen Straßenverkehr zu hindern, fuhr der Angeklagte mit weiterhin eingeschaltetem Blaulicht und Martinshorn links (in der mittleren Spur) an ihm vorbei und wechselte unmittelbar vor den an der Ampel wartenden Fahrzeugen in die freie Rechtsabbiegerspur, wo er sechs Meter vor der Haltelinie am linken Fahrbahnrad der Spur zum Stehen kam. Zwischenzeitlich hatte die Lichtzeichenanlage auf grün gewechselt. Der Nebenkläger versuchte deshalb, obwohl ihm klar war, dass die Polizeistreife ihn stellen wollte und aus diesem Grund an ihm vorbeigezogen war und den Fahrstreifenwechsel vollzogen hatte, seine Flucht fortzusetzen. Da er zuvor sein Fahrzeug nicht weiter abgebremst hatte, gelang es ihm nun nicht mehr, ohne Berührung rechts an dem Polizeifahrzeug vorbeizufahren. Hierbei streifte er dieses, verlor die Kontrolle über das Motorrad und rutschte seitlich weg. Der Nebenkläger wurde von seinem Sitz geschleudert und stürzte zu Boden, wodurch er sich eine Fraktur des Brustbeins, eine Ellenbogenschleimbeutelentzündung sowie Wunden an den Knien und Füßen zuzog.

Zur Vermeidbarkeit des Unfallgeschehens hat das Landgericht festgestellt, dass der Nebenkläger dieses noch sicher hätte vermeiden können, als das Polizeifahrzeug auf der Filandastraße links an ihm vorbeizog; es hätte zu diesem Zeitpunkt noch ausreichend Zeit bestanden, das Motorrad abzubremsen und anzuhalten. Das Landgericht hat weiter festgestellt, dass der Nebenkläger mit einem Spurwechsel des Angeklagten rechnen musste, weil dieser sich bislang nicht habe abschütteln lassen und es ihm offenkundig darauf ankam, den Flüchtenden zu stoppen; es sei zudem erkennbar gewesen, dass ohne den Spurwechsel die Gefahr des Auffahrens auf die auf den zwei weiteren Spuren befindlichen Fahrzeuge bestanden hätte.

Hinsichtlich des Angeklagten hat das Landgericht festgestellt, dass dieser den Unfall dann hätte vermeiden können, wenn er den Nebenkläger nicht auf der Abfahrt Filandastraße überholt und ihn somit über die Rechtsabbiegerspur hätte entkommen lassen.

Weiter führt die Kammer aus, dass der Angeklagte durch sein Verhalten eine objektive Sorgfaltspflichtverletzung durch die Schaffung einer Gefahrenlage begangen habe, die für ihn jedoch subjektiv nicht vorhersehbar gewesen sei. Durch das Verhalten des Nebenklägers sei zudem der Kausalverlauf aufgrund einer eigenverantwortlichen Selbstgefährdung unterbrochen worden, weshalb der Angeklagte freizusprechen gewesen sei.“

Hiergegen richtet sich die auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision des Nebenklägers, die beim KG keinen Erfolg hatte:

Hier der (amtliche) Leitsatz zu der Entscheidung:

Ein Polizeibeamter handelt nicht pflichtwidrig, wenn er in Erfüllung seiner hoheitlichen Aufgaben einen Beschuldigten verfolgt und an der Weiterfahrt hindert und es hierbei aufgrund des herausfordernden Verhaltens des Beschuldigten zu einem Verkehrsunfall kommt, bei dem dieser geschädigt wird.

Klima I: Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte, oder: Ankleben an einen Reisebus

entnommen wikimedia commons Author Jan Hagelskamp1

Im ersten „Kessel Buntes“ des Jahres 2025 köcheln zwei Entscheidungen zum Klimakleben und zu „Klimaklebern“. Die Thematik hat uns ja in in der vergangenen Zeit reichlich beschäftigt, inzwischen ist die Thematik ein wenig abgeklungen, aber die Gerichte sind – wie man sieht – immer noch mit der Nachbereitung befasst.

Dazu hier zunächst den KG, Beschl. v. 14.11.2024 – 3 ORs 65/24 – 161 SRs 104/24.  Das AG hatte die Angeklagte wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte zu einer Geldstrafe von 30 Tagessätzen zu je 25 Euro verurteilt. Ihre Berufung hiergegen hat das LG Berlin mit der Maßgabe verworfen, dass die Höhe der Tagessätze auf 15 EUR herabgesetzt und der Angeklagten Ratenzahlung gewährt wird.

„Dem Urteil des LG liegen die folgenden Feststellungen zugrunde (Fehler im Original):

„Am 20.04.2023 fanden verschiedene Aktionen der Gruppe [Anm. des Senats: „Letzte Generation“] statt.

Die Angeklagte und drei weitere Personen begaben sich zum M-Hotel in Berlin-Tiergarten, um einen Reisebus zu blockieren, welcher dort übernachtende Teilnehmer der Tagung „Familienunternehmertage“ des Verbandes „DIE FAMILIENUNTERNEHMER“ mit einer vorgesehenen Abfahrtszeit um 8:00 Uhr zu der Tagung bringen sollte. Hierzu wollten die Aktivisten sich an dem Bus ankleben und ihn so an der Abfahrt hindern. Sie wollten hierdurch auf ihre Ziele aufmerksam machen. Das Ziel ihrer Aktion wählten die Aktivisten aus, weil es sich aus ihrer Sicht bei dem Verband um eine Lobbyistenvereinigung handelte, welche für die von ihnen als schädlich angesehenen Strukturen stand.

Auf dem vor dem M.-Hotel liegenden I-Platz stand der entsprechende Reisebus des Unternehmens „P-GmbH“ mit dem Kennzeichen B. Durchgangsverkehr wurde durch die Warteposition des Busses nicht beeinträchtigt.

Gegen 07:50 Uhr klebte die Angeklagte mit Sekundenkleber die Innenfläche ihrer linken Hand und die Finger an die rechte Rückleuchte des Reisebusses. Die Fläche, über die eine Verbindung Hand und Bus entstand, erstreckte sich über den Großteil der Handinnenfläche; weiterhin waren alle fünf Finger mit einem oder mehreren Fingergliedern mit dem Bus verbunden.

Drei weitere Aktivisten klebten ihre Hände zeitgleich auf die gleiche Weise an anderen Stellen des Busses an. Ein fünfter Aktivist wurde von dem Busfahrer von dem Bus weggezogen, bevor der Sekundenkleber trocknen konnte. Er setzte sich anschließend vor dem Bus auf den Boden.

Die Angeklagte und ein neben ihr stehender Aktivist hielten ein Banner mit einem Herz und dem Text „ART. 20A GG = LEBEN SCHÜZEN“.

Die Bewegungsfreiheit des Busses war damit – planmäßig – faktisch aufgehoben, da ein Bewegen des Busses nur noch unter Inkaufnahme schwerer Verletzungen der angeklebten Personen (und je nach Fahrtrichtung der vor dem Bus sitzenden Person) möglich gewesen wäre. Die Teilnehmer der Veranstaltung „Familienunternehmertage“ begaben sich mit anderen Verkehrsmitteln (etwa Taxen) zum Veranstaltungsort.

Der Angeklagten und den übrigen Aktivisten war beim Ankleben bewusst, dass es eine sehr wahrscheinliche Möglichkeit im weiteren Verlaufs sein würde, dass die Polizei hinzugerufen werden würde, um die Bewegungsfreiheit des Busses wieder herzustellen, dass die Polizei hierzu auf eine rechtmäßige Weise, die Aktivisten von Ort und Stelle verweisen könnte, und dass die Polizei, würden die Aktivisten der Wegweisung keine Folge leisten, diese sodann nötigenfalls wegtragen würde.

Der Angeklagten und den übrigen Aktivisten war es beim Ankleben weiterhin bewusst und sie setzen es zielgerichtet ein, dass ab dem Trocknen des Sekundenklebers sich ihre Hände nur noch ablösen lassen würden entweder durch kraftvolles Abreißen unter Inkaufnahme von Verletzungen an der jeweils angeklebten Hand oder aber, wenn man solche Verletzungen vermeiden wollte, durch ein vorsichtiges und zeitaufwändiges Hin- und Herbewegen der Hand, gegebenenfalls unterstützt von Hilfsmitteln wie Öl. Sie gingen davon aus, dass beliebige, nicht näher bestimmte Dritte – wie der Busfahrer, Fahrgäste, Hotelmitarbeiter oder andere Personen, aber eben auch hinzugerufene Polizisten versuchen würden, sie von dem Bus zu entfernen, um dessen Bewegungsfreiheit wiederherzustellen. Sie rechneten weiterhin damit, dass jedenfalls Polizeibeamte sie nicht gewaltsam vom Bus abreißen würden.

Ziel des Anklebens war unter anderem – unter den vorbeschriebenen Prämissen für polizeiliches Handeln – die Umsetzung der als möglichen und wahrscheinlich angesehenen polizeilichen Anordnung, sich zu entfernen, welche die Polizei ohne Ankleben durch ein einfaches Wegtragen hätte durchsetzen können, zu erschweren. Die Polizeibeamten sollten in eine zeitaufwändige Ablöseprozedur gezwungen werden, die Blockade sollte hierdurch verlängert werden und die Aufmerksamkeit für die Ziele sollte durch die damit einhergehende nachhaltigere Störung vergrößert werden.

Tatsächlich rief der Busfahrer die Polizei zur Hilfe.

Zunächst traf ein Streifenwagen des Polizeiabschnitts A28 der Polizei Berlin ein. Gegen 08:11 Uhr kamen hinzugerufene Kräfte des 2. Zuges der 31. Einsatzhundertschaft der Polizei Berlin vor Ort an und übernahmen die weiteren Maßnahmen.

Der Einsatzleiter PHK K kam zu der Einschätzung, dass die Aktion Versammlungscharakter habe und stufte sie als Versammlung im Sinne des VerfG Bln ein. Er erkundigte sich nach einem Versammlungsleiter, ihm wurde aber kein solcher benannt.

Sodann tätigte PK M um 08:34, um 08:40 und um 08:52 Uhr drei – polizeiintern standardisiert und den Beamten als schriftlicher Mustertext zur Verfügung stehenden – Verfügungsdurchsagen durch, mit denen die Versammlung als unerlaubte Versammlung eingestuft und auf die gegenüberliegende Seite verlegt wurde, sodann, als die Angeklagten und die übrigen Aktivisten keine Anstalten machten, sich selbständig abzulösen und auf die andere Straßenseite zu begeben, Zwangsmittel angedroht und schließlich die Auflösung der Versammlung nach § 14 Abs. 1 VerFG Bln angeordnet wurde.

Sodann setzten die Polizeibeamten die Auflösung durch.

Hierzu lösten sie in der Zeit von 08:52 bis 09:17 die Angeklagte und die drei anderen angeklebten Aktivisten durch Einpinseln der Ränder der Kontaktflächen zwischen Händen und Bus mit Speiseöl und durch vorsichtiges Hin- und Herbewegen der Hände ab. Es ist nicht auszuschließen gewesen, dass Polizeibeamte in Erwartung des weiteren Ablaufes auch schon vor Erlass der Verfügung, mit welcher die Versammlung letztlich aufgelöst wurde, Öl auf die angeklebten Hände der Aktivisten gaben.

Konkret das Ablösen der Angeklagten wurde POM S in der Zeit von 09:05 Uhr bis 09:17 Uhr durchgeführt.

Nach dem Ablösen begaben sich die Angeklagte und die weiteren Aktivisten freiwillig vom Ort weg bzw. stellten sich den polizeilichen erkennungsdienstlichen Maßnahmen.“

Mit ihrer Revision hat die Angeklagte die Verletzung materiellen Rechts gerügt. Sie beanstandet insbesondere die Würdigung der Strafkammer, wonach es sich bei dem Ankleben an den Reisebus um Widerstand mit Gewalt i.S.d. § 113 Abs. 1 StGB handelt sowie die Annahme einer rechtmäßigen Diensthandlung durch die Polizeibeamten, § 113 Abs. 3 Satz 1 StGB.

Die Revision hatte beim KG keinen Erfolg. Hier die Leitsätze zu dem KG-Beschluss:

1. Für das Tatbestandsmerkmal „bei der Vornahme einer Diensthandlung“ reicht es aus, dass der Täter die Kraft schon vor Beginn der Diensthandlung entfaltet, sofern diese – vom Täter auch so gewünscht – das spätere polizeiliche Tätigwerden deutlich erschwert.

2. Entscheidend für die Bewertung der Widerstandshandlung als „mit Gewalt“ ist die Intensität der Kraftentfaltung durch das materielle Zwangsmittel und damit zusammenhängend die Kraft, die aufgewandt werden muss, um diese zu überwinden.

3. Die gezielte Beeinträchtigung privaten Eigentums, die sich nicht als zwangsläufige Folge einer Demonstration ergibt, sondern deren maßgeblicher Bestandteil ist, ist eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit i.S.d. des Versammlungsgesetzes bzw. Versammlungsfreiheitsgesetzes Berlin.

Strafe I: Mal wieder Doppelverwertungsverbot, oder: I.d.R. keine Strafmilderung wegen U-Haft

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Und dann läuft es hier ab heute – 02.01.2025 – wieder normal, d.h.: Es gibt wie gewohnt drei Fachbeiträge, i.d.R. zu Entscheidungen. Und ich beginne das Neue Jahr und den Rest der Arbeitswoche mit Entscheidungen zur Strafzumessung.

Ich beginne mit zwei Entscheidungen, und zwar:

„Das Landgericht hat bei der Strafzumessung im engeren Sinne zulasten des Angeklagten berücksichtigt, dass er „an einer schwerwiegenden körperlichen Erkrankung leidet, die ihn aber nicht davon abgehalten hat, die vorliegende Tat zu planen und auszuführen.“ Dies erweist sich als durchgreifend rechtsfehlerhaft. Denn damit wirft das Landgericht dem Angeklagten letztlich die Begehung der Straftat als solche vor; dies verstößt gegen das Doppelverwertungsverbot des § 46 Abs. 3 StGB (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschlüsse vom 9. Dezember 2014 – 3 StR 502/14, NStZ-RR 2015, 71; vom 8. Januar 2015 – 2 StR 233/14, NStZ 2015, 333; vom 6. Dezember 2018 – 1 StR 186/18 Rn. 8).“

1. Die erlittene Untersuchungshaft ist für die Strafzumessung regelmäßig ohne Bedeutung, weil sie nach § 51 Abs. 1 Satz 1 StGB auf die zu vollstreckende Strafe angerechnet wird.

2. Etwas anderes kann gelten, wenn der Angeklagte konkrete Umstände der Untersuchungshaft als besonders beschwerend empfunden haben könnte. In diesem Fall können die belastenden Auswirkungen über die kompensierende Wirkung der gesetzlichen Anrechnung hinausgehen.

Pflichti I: Terminsvertreter/weiterer Pflichtverteidiger, oder: Aufhebung der Bestellung

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Und dann am vorletzten Tag des Jahres – vielleicht ja noch irgendwo ein Arbeitstag? 🙂 – noch einmal etwas zur Pflichtverteidigung. Es ist nicht viel, im Moment ist es an der „Front“ recht ruhig.

Ich stelle zunächst vier Entscheidungen vor, in denen es um das Verfahren betreffend die Pflichtverteidigung geht. Und zwar:

1. Die Entscheidung eines Vorsitzenden einen als Pflichtverteidiger bestellten Rechtsanwalt zu entpflichten ist nicht zu beanstanden, wenn keine angemessene Verteidigung des Angeklagten gewährleistet (§ 143a Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 Alt. 2 StPO). Das ist z.B. der Fall, wenn gesundheitliche Beschwerden des Rechtsanwalts eine konkrete Gefahr tage- und wochenlanger Ausfälle begründen und dieses Risiko sich bereits an mehreren Hauptverhandlungstagen verwirklicht hat und zudem die Gefahr eingeschränkter Reisefähigkeit vom Kanzleisitz des Rechtsanwalts zum weiter entfernten „Hauptverhandlungsort“ besteht.

2. Die Beiordnung eines weiteren Pflichtverteidigers dient nicht der Entlastung eines weitgehend verhinderten Pflichtverteidigers, zumal – von eng begrenzten Ausnahmen abgesehen – grundsätzlich jeder Pflichtverteidiger in der Hauptverhandlung anwesend zu sein hat.

Wird die Beiordnung eines Pflichtverteidigers nicht angefochten und wird auch hiernach kein Antrag auf Aufhebung der Beiordnung gestellt, so ist allein die Beiordnung eines für den beigeordneten Rechtsanwalt erschienenen Terminsvertreters nicht ohne Weiteres mit der Begründung anfechtbar, die Voraussetzungen der Beiordnung hätten zu keinem Zeitpunkt bestanden.

Der Beschluss, durch den eine Pflichtverteidigerbestellung aufgehoben worden ist, muss eine Begründung enthalten, damit für die Beschwerdekammer die Entscheidung des aufhebenden Gerichts entweder bezogen auf eine fehlerfreie Rechtsanwendung oder auf eine rechtsfehlerfreie Ermessensausübung nachprüfbar ist.

Eine Aufhebung der Pflichtverteidigerbestellung kommt in Betracht, wenn das Gericht die Bestellung in grob fehlerhafter Verkennung der Voraussetzungen des § 140 StPO vorgenommen hat oder sich die für die Bestellung maßgeblichen Umstände wesentlich geändert haben. Unter dieser Voraussetzung kann die Aufhebung auch in Betracht kommen, wenn entgegen erwarteter Anklageerhebung zum Schöffengericht tatsächlich nur zum Strafrichter angeklagt wird. In diesem Fall wird aber unter besonderer Berücksichtigung der Umstände, die zunächst die Erwartung der Anklageerhebung zum Schöffengericht begründet haben, das Vorliegen notwendiger Verteidigung nach § 140 Abs. 2 zu prüfen sein.