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TOA I: „Opferausgleich“ durch kommunikaten Prozess, oder: Konkrete Feststellungen in den Urteilsgründen?

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Heute gibt es hier dann Strafzumessungsentscheidungen; alle drei haben mit dem Täter-Opfer-Ausgleich (§ 46a StGB) zu tun.

Zunächst kommt das BGH, Urt. v. 15.01.2025 – 2 StR 341/24. Das LG hatte den Angeklagten unter Freisprechung im Übrigen u.a. wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern iverurteilt. Mit ihrer zuungunsten des Angeklagten eingelegten Revision wendet sich die Staatsanwaltschaft u.a. gegen den „Rechtsfolgenausspruch“. Das Rechtsmittel hatte Erfolg. Der BGH führt zu dem vom LG angenommenen Täter-Opfer-Ausgleich aus:

„2. Die angegriffenen Einzelstrafen sowie die Gesamtstrafe haben keinen Bestand. Die Strafrahmenwahl begegnet, worauf die Generalstaatsanwaltschaft zutreffend hinweist, durchgreifenden Bedenken. Die Annahme des Landgerichts, die Voraussetzungen eines Täter-Opfer-Ausgleichs seien in allen Fällen gegeben, hält rechtlicher Prüfung nicht stand. Auf die weiteren Beanstandungen der Beschwerdeführerin kommt es daher nicht an.

a) Zu dem Täter-Opfer-Ausgleich hat das Landgericht festgestellt, dass der Angeklagte vor Anklageerhebung über seine Verteidigerin Kontakt zu einer kirchlichen Institution aufnahm, um die Möglichkeit eines solchen Ausgleichs mit der Geschädigten zu erörtern, für die von besonderer Bedeutung war, keinen persönlichen Kontakt zum Angeklagten haben zu müssen. Am 21. Juni 2023 schlossen der Angeklagte und die Geschädigte eine Vereinbarung, wonach sich der Angeklagte zu einer ratenweisen Zahlung von 5.000 €, der Unterlassung jeglichen Kontakts und zu einem Abstand von mindestens 100 Metern im Falle eines zufälligen Aufeinandertreffens verpflichtete. Der Angeklagte zahlte bisher drei Raten; Ausführungen zur Ratenhöhe enthält das Urteil nicht.

b) Die vom Landgericht zur Anwendung gebrachte Vorschrift des § 46a Nr. 1 StGB setzt voraus, dass der Täter in dem Bemühen, einen Ausgleich mit dem Opfer zu erreichen, die Tat ganz oder zum überwiegenden Teil wiedergutgemacht oder dieses Ziel jedenfalls ernsthaft erstrebt hat. Dies erfordert grundsätzlich einen kommunikativen Prozess zwischen Täter und Opfer, bei dem das Bemühen des Täters Ausdruck der Übernahme von Verantwortung ist und das Opfer die Leistung des Täters als friedensstiftenden Ausgleich akzeptieren muss (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Urteil vom 9. Oktober 2019 – 2 StR 468/18, NSW 2020, 486, Rn. 7 mwN). Dabei bedarf es nicht unbedingt eines persönlichen Kontakts von Täter und Opfer, vielmehr kann zwischen ihnen auch durch Dritte vermittelt werden (vgl. BGH, Urteil vom 15. Januar 2020 – 2 StR 412/19, StV 2021, 31, 32, Rn. 8). Es bedarf indes stets der Feststellung, wie sich das Opfer zu den Ausgleichsbemühungen des Täters verhalten hat, insbesondere dazu, ob es die (zugesagten) Leistungen als „friedensstiftenden Ausgleich“ akzeptiert hat (vgl. BGH, Urteile vom 23. Dezember 2015 – 2 StR 307/15, Rn. 21, und vom 19. November 2024 – 5 StR 401/24, Rn. 15).

c) Hieran fehlt es. Konkrete tatrichterliche Feststellungen, wie sich die Geschädigte zu den Ausgleichsbemühungen des Angeklagten positioniert hat, sind dem Urteil nicht zu entnehmen. Der Abschluss der Vereinbarung vom 21. Juni 2023, die auch das von der Geschädigten initiierte Kontakt- und Abstandsgebot beinhaltete, besagt nicht, dass diese die Vereinbarung als friedensstiftenden Ausgleich akzeptierte. Zur Motivlage der Geschädigten verhalten sich die Urteilsgründe nicht. Dem dargestellten Inhalt der Vereinbarung ist der erforderliche friedensstiftende Ausgleich ebenfalls nicht zu entnehmen. Dieser versteht sich auch nicht von selbst, da die Geschädigte nicht nur jeglichen Kontakt zum Angeklagten ablehnte, sondern darüber hinaus das aufgenommene Kontakt- und Abstandsgebot für sie von besonderem Gewicht war. Dies könnte gegen einen kommunikativen Versöhnungsprozess sprechen.

d) Der aufgezeigte Rechtsfehler führt zur Aufhebung der angegriffenen Einzelstrafen in den Fällen II.1 bis II.9 und II.11 der Urteilsgründe. Der Senat kann nicht ausschließen, dass das Landgericht in diesen Fällen ohne die aufgrund des Täter-Opfer-Ausgleichs vorgenommene Strafrahmenverschiebung höhere Einzelstrafen zugemessen hätte. Der Wegfall von zehn Einzelstrafen zieht die Aufhebung der Gesamtstrafe nach sich.“

Verkehrsrecht I: Krankenfahrstuhl fahrerlaubnisfrei?, oder: Fahren ohne Fahrerlaubnis

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Heute dann mal wieder ein „Verkehrsrechtstag“, also Entscheidungen zum Verkehrs(strafrecht). Einmal K, zweimal AG.

Ich starte mit dem KG, Beschl. v. 07.03.2025 – 3 ORs 8/25 – 121 SRs 5/25 -, der sich u.a. zur Fahrerlaubnispflicht bei motorisierten Krankenfahrstühlen äußert.

Das AG hat die Angeklagte wegen unerlaubten Entfernens vom Unfallort zu einer Geldstrafe verurteilt und ein Fahrverbot von sechs Monaten verhängt. Gegen dieses Urteil hat die Angeklagte Berufung mit dem Ziel des Freispruchs eingelegt. Das LG hat dann das amtsgerichtliche Urteil dahin abgeändert, dass es die Angeklagte wegen fahrlässigen Fahrens ohne Fahrerlaubnis verurteilt und das Fahrverbot entfallen lassen hat. Hinsichtlich eines Tatvorwurfes des unerlaubten Entfernens vom Unfallort wurde das Verfahren gemäß § 154 Abs. 2 StPO eingestellt. Gegen dieses Urteil hat die Angeklagte Revision eingelegt, mit der sie die Verletzung materiellen Rechts rügt. Insbesondere trägt sie vor, das Berufungsgericht habe zu Unrecht Tatidentität im Sinne des § 264 StPO angenommen und daher auch keine Verurteilung wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis vornehmen dürfen. Ferner sei unklar, welches genaue geschichtliche Geschehen den der Angeklagten gemachte Tatvorwurf umfasse. Darüber hinaus liege weder eine Straftat noch eine Ordnungswidrigkeit vor.

Die Revision hatte Erfolg. Ich beschränke mich hier auf die Ausführungen des KG zur Fahreralubnispflicht. Den Rest ggf. bitte selbst lesen. Das KG führt aus:

„b) Die Urteilsgründe halten jedoch der revisionsrechtlichen Überprüfung nicht stand. Denn die Feststellungen zur tatsächlichen bauartbedingten Höchstgeschwindigkeit des von der Angeklagten gesteuerten Fahrzeuges und die diesbezüglich vorgenommene Beweiswürdigung sind lückenhaft.

Gemäß § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 Fahrerlaubnis – Verordnung (FeV) sind motorisierte Krankenfahrstühle fahrerlaubnisfrei. Eine Prüfbescheinigung nach § 5 Abs. 4 Satz 1 FeV ist nicht erforderlich. Nach im Fahrerlaubnis- und Zulassungsrecht übereinstimmender Legaldefinition sind motorisierte Krankenfahrstühle einsitzige, nach der Bauart zum Gebrauch durch körperlich behinderte Personen bestimmte Kraftfahrzeuge mit Elektroantrieb, einer Leermasse von nicht mehr als 300 kg einschließlich Batterien jedoch ohne Fahrer, einer zulässigen Gesamtmasse von nicht mehr als 500 kg, einer bauartbedingten Höchstgeschwindigkeit von nicht mehr als 15 km/h, und einer Breite über alles von maximal 110 cm (§ 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 FeV, § 2 Nr. 13 Fahrzeug – Zulassungsverordnung). Die Definition ist abschließend, alle genannten Merkmale müssen kumulativ vorhanden sein. Die Bezeichnung motorisierte Krankenfahrstühle ist nicht Bestandteil der Legaldefinition, sondern der Gegenstand, auf den sie sich bezieht (vgl. Koehl in Hentschel/König, Straßenverkehrsrecht 48. Aufl., FeV § 4 Rn. 27).

Das Tatgericht hat zutreffend erkannt, dass schon allein der Wegfall eines Merkmals die Fahrerlaubnisfreiheit entfallen lässt. Ausweislich der Urteilsgründe mangelte es vorliegend am Merkmal der „bauartbedingten Höchstgeschwindigkeit von nicht mehr als 15 km/h“. Den getroffenen Feststellungen ist insoweit zu entnehmen, dass es sich „bei dem Fahrzeug, das mit dem Versicherungskennzeichen 802NBD versehen war um einen so genannten Krankenfahrstuhl handelte, der das Aussehen eines kleinen Personenkraftwagens hat“ und „auf dessen Heck ein großer runder Aufkleber mit der Aufschrift „25“ für die zulässige Höchstgeschwindigkeit von 25km/h angebracht“ war. Weitere Feststellungen zur tatsächlichen bauartbedingen Höchstgeschwindigkeit des Fahrzeuges enthält das Urteil nicht

Auch die vorgenommene Beweiswürdigung ist in diesem entscheidenden Punkt lückenhaft.

Zwar ist die Beweiswürdigung Sache des Tatgerichts (§ 261 StPO). Ihm allein obliegt es, das Ergebnis der Hauptverhandlung festzustellen und zu würdigen. Seine Schlussfolgerungen brauchen nicht zwingend zu sein, es genügt, dass sie möglich sind (st. Rspr., vgl. BayObLG, Beschluss vom 7. Juni 2022 – 202 ObOWi 678/22 –, juris). Die Prüfung durch das Revisionsgericht ist darauf beschränkt, ob dem Tatgericht Rechtsfehler unterlaufen sind. Das ist in sachlich – rechtlicher Hinsicht nur der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist, sie gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt oder überhöhte Anforderungen an die richterliche Überzeugungsbildung gestellt wurden oder sich auf nichtexistierende Erfahrungssätze stützt (st. Rspr., vgl. zuletzt nur BGH, Urteile vom 23. März 2023 – 3 StR 277/22 – und 16. März 2023 – 4 StR 252/22 –; BGH, Beschluss vom 2. März 2023 – 2 StR 119/22 –; Senat, Beschluss vom 31. Juli 2020 – 3 Ws (B) 174/20 –, jeweils bei juris).

Das Tatgericht stützt seine Überzeugung zur bauartbedingten Höchstgeschwindigkeit des Fahrzeuges ausschließlich darauf, dass das Fahrzeug einen Aufkleber mit der Aufschrift „25“ gemäß § 58 Straßenverkehrs – Zulassungs – Ordnung (StVZO) trug. Allein aus diesem Umstand kann jedoch nicht darauf geschlossen werden, dass das Fahrzeug bauartbedingt tatsächlich über eine entsprechende Motorisierung verfügt. Die Berufungskammer leitet diesen Umstand ausschließlich aus der Bezugnahme auf die sich hierzu in der Akte befindenden Lichtbilder ab, ohne dass insoweit eine weitere Aufklärung erfolgt wäre. Allein vom Vorhandensein des Aufklebers, der im Übrigen vom Fahrzeughalter selbst anzubringen ist (vgl. Koehl in Hentschel/König, a.a.O., StVZO, § 58 Rn. 1), kann nicht darauf geschlossen werden, welche Höchstgeschwindigkeit (mehr oder weniger als 25 km/h) das Fahrzeug tatsächlich erzielen kann. Angesichts der Vielzahl der sich im Umlauf befindenden und verwendeten Aufkleber und Beschilderungen kann hieraus kein rechtlicher Rückschluss auf die tatsächliche Höchstgeschwindigkeit eines Fahrzeuges gezogen werden.

c) Da sich aus der Gesamtheit der Urteilsgründe auch keine weiteren Angaben zur Beschaffenheit des Fahrzeuges (einsitzig, Elektroantrieb etc.) ergeben, bleibt dem Revisionsgericht die Prüfung verschlossen, ob die Ausnahmevorschrift des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 FeV aus anderen Gründen fällt.“

So weit, so gut. Was mich mal wieder an der Entscheidung stört, ist eine Formulierung, die man so oder ähnlich häufig liest, nämlich: „Der zulässigen Revision der Angeklagten kann der Erfolg nicht versagt bleiben.“ Ich frage mich immer, warum man nicht einfach schreibt: „Die Revision hat Erfolg.“ Dieses „…. kann der Erfolg nicht versagt bleiben.“ liest sich immer, als ob man das Urteil nur ungern aufhebt, was einem nicht gefällt, aber man muss nun mal aufheben. Nein. Die Revision ist begründet. Und gut ist es. Ob mir das als Revisionsrichter gefällt, ist doch völlig egal.

StPO II: Anforderungen an eine wirksame Anklage, oder: „einheitlicher geschichtlicher Vorgang“/Tatdatum

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Und im zweiten Posting habe ich dann hier zwei Entscheidungen zu den Anforderungen an eine ordnungsgemäße Anklage.

Zunächst der BayObLG, Beschl. v. 10.03.2025 – 206 StRR 69/25 -, in dem es dazu heißt:

„1. Der Senat hält zunächst die von Amts wegen zu prüfenden Verfahrensvoraussetzungen trotz erheblicher Mängel der Anklageschrift vom 14. Juni 2023, die in gleicher Weise dem Eröffnungsbeschluss vom 21. Juli 2023 anhaften, für gerade noch erfüllt, zumindest im Hinblick auf die nach teilweiser Sachbehandlung nach § 154 Abs. 2 StPO verbleibenden Tatvorwürfe (Beschluss vom 25. Juni 2024).

Anklageschrift, § 200 StPO, und Eröffnungsbeschluss, § 203 StPO, müssen die angeklagten prozessualen Taten im Sinne des § 264 StPO erkennen lassen. Darunter ist das tatsächliche Geschehen im Sinne eines einheitlichen geschichtlichen Vorgangs zu verstehen, der sich von anderen oder gleichartigen unterscheidet (s. nur Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 67. Aufl. 2024, § 264 Rn. 2 f.). Der Anklagesatz begegnet unter diesem Gesichtspunkt erheblichen rechtlichen Bedenken. In ihm sind in tabellarischer Form 20 Fälle aufgeführt, die dem Angeklagten als Betrugstaten zur Last gelegt werden. Sowohl die Tathandlungen als auch die sonstigen für die Subsumtion erforderlichen Merkmale sind lediglich dürftig, weitgehend nur stickpunktartig, dargetan. Dies gilt in besonderem Maße für den (tabellarisch als „Nr. 6“ bezeichneten) Fall, in dem die Tathandlung lediglich als „Tanken/Einkauf per Karte“ beschrieben und ein Tatzeitraum von mehr als einem Jahr angegeben ist.

Bezüglich der allein noch maßgeblichen abgeurteilten Tatvorwürfe vermag der Senat gleichwohl im Hinblick auf die angeführten Tatzeiten, die wenigstens kursorisch beschriebenen Vermögensschäden und die – wenn auch unpräzise – bezeichneten Geschädigten, gerade noch zu erkennen, welche historisch abgrenzbaren Verhaltensweisen die Anklage der Kognition des Gerichts unterbreiten wollte. Für den langen Tatzeitraum bei Fall Nr. 6 ist zwar zu vermuten, dass es sich um mehrere Einzelhandlungen gehandelt haben dürfte; soweit insoweit nur eine Handlung angeklagt und abgeurteilt worden ist, ist wohl zugunsten des Angeklagten von lediglich einer (natürlichen?) Handlung ausgegangen worden.“

Und dann der OLG Köln, Beschl. v. 08.04.2025 – 1 ORs 59/25 -, der zur Anklage, aber auch zur wirksamen Berufungsbeschränkung und zur Strafzumessung Stellung nimmt:

1. Wird durch das Tatgericht eine im Datum andere Tat festgestellt, als diejenige, die in der Anklageschrift genannt wurde, hebt diese Veränderung des Tatzeitraums die Identität zwischen angeklagter und abgeurteilter Tat nicht auf, sofern die in der Anklage beschriebene Tat unabhängig von der Tatzeit nach anderen Merkmalen individualisiert ist.

2. Ein abweichend von der Anklageschrift festgestellte Tatdatum hinsichtlich einer Tat stellt auch materiell-rechtlichen Darstellungsmangel, der einer wirksamen Beschränkung der Berufung entgegenstehen würde.

3. Zur Strafzumessung, wenn ein falsches Tatdatum zugrunde gelegt worden ist.

StGB I: Weisungsverstoß in der Führungsaufsicht, oder: Ausreichende Feststellung in den Urteilsgründen?

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Ich stelle heute dann mal wieder StGB-Entscheidungen vor. Alle drei stammen aus der Instanz.

Zunächst berichte ich über den OLG Köln, Beschl. v. 07.01.2025 – 1 ORs 226/24 – zum erforderlichen Umfang der tatsächlichen Feststellungen bei einer Verurteilung wegen Verstoß gegen Weisungen während der Führungsaufsicht. Das OLG hat auf die Sprungrevision des Angeklagten dessen Verurteilung durch das AG aufgehoben:

„2. Das Rechtsmittel hat (vorläufig) Erfolg; es führt gemäß §§ 353, 354 Abs. 2 StPO zur Aufhebung des angefochtenen Urteils samt der Feststellungen und zur Zurückverweisung der Sache an die Vorinstanz.

Der Schuldspruch gem. § 145a StGB – welcher im Verurteilungsfalle richtig auf „Verstoß gegen Weisungen während der Führungsaufsicht in zwei Fällen“ lauten müsste – wird von den getroffenen Feststellungen nicht getragen.

Zum Tatgeschehen hat das Amtsgericht (lediglich) folgendes festgestellt:

„Die Angeklagte steht gemäß Beschluss des Landgerichts Köln vom 30.10.2019 – 121 StVK 281/19 – seit dem 12.12.2019 unter Führungsaufsicht.

Durch Konkretisierungsbeschluss des Landgerichts Köln vom 13.03.2023 ist der Angeschuldigten aufgegeben worden, jeden ersten Montag eines Monats in der Sprechstunde in der Zeit von 14:30 Uhr bis 17:45 Uhr in der Führungsaufsichtsstelle persönlich vorzusprechen. In Kenntnis der Beschlüsse und trotz entsprechender Belehrung über die Konsequenzen etwaigen Verstöße erschien die Angeschuldigte in den Monaten April und Mai 2023 nicht in der Sprechstunde der Führungsaufsichtsstelle.

Wegen Verstoßes gegen Weisungen während der Führungsaufsicht gem. § 145a S. 1 StGB wird bestraft, wer während der Führungsaufsicht gegen eine bestimmte Weisung der in § 68b Abs. 1 StGB bezeichneten Art verstößt und dadurch den Zweck der Maßregel gefährdet.

Die vom Amtsgericht getroffenen Feststellungen sind teilweise lückenhaft und belegen nicht, dass sich die Angeklagte im Sinne von § 145a StGB strafbar gemacht hat.

a) Die Vorschrift des § 145a StGB ist eine Blankettvorschrift, deren Tatbestand erst durch eine genaue Bestimmung der Führungsaufsichtsweisung ausgefüllt wird; erst hierdurch wird die Vereinbarkeit der Norm mit Art. 103 Abs. 2 GG gewährleistet. Voraussetzung ist daher, dass die Weisung rechtfehlerfrei ist (vgl. BGH NStZ 2020, 480). Hierfür muss die Weisung, gegen die die Täterin verstoßen hat, hinreichend bestimmt sein (vgl. nur: Fischer, StGB, 71. Aufl., § 145a Rn 6). Dies ist in den Urteilsgründen darzustellen. In Anbetracht des Gebots aus Art. 103 Abs. 2 GG und des Umstands, dass § 68b Abs. 2 StGB auch nicht strafbewehrte Weisungen zulässt, muss sich zudem aus dem Führungsaufsichtsbeschluss selbst ergeben, dass es sich bei der Weisung, auf deren Verletzung die Verurteilung gestützt werden soll, um eine solche gem. § 68b Abs. 1 StGB handelt, die nach § 145a S. 1 StGB strafbewehrt ist. Dafür ist zwar einerseits eine ausdrückliche Bezugnahme auf § 68b Abs. 1 StGB nicht erforderlich, andererseits wird sie aber ohne weitere Erläuterung regelmäßig nicht ausreichen, um dem Verurteilten die notwendige Klarheit zu verschaffen (zu den vorgenannten Voraussetzungen insgesamt: BGH NStZ 2021, 733).

Dem genügt das Urteil des Amtsgerichts nicht. Die — nach den getroffenen Feststellungen — die Führungsaufsicht begründenden und die Weisungen näher ausformenden Beschlüsse der Strafvollstreckungskammer des Landgerichtes Köln vom 30. Oktober 2019 und vom 3. März 2023 werden in den Urteilsgründen – anders, als es sich zumindest dringend empfiehlt (BGH NStZ-RR 2023, 369) – nur auszugsweise mitgeteilt. Während sich aus den Feststellungen insoweit zwar noch eine hinreichend bestimmte Weisung als solche erkennen lässt, kann jedoch nicht abschließend geprüft werden, ob in dem sie anordnenden Beschluss unmissverständlich klargestellt ist, dass der Verstoß gegen diese Weisung auch strafbewehrt ist. Soweit die Urteilsgründe die Beschlüsse wiedergeben, kann ihnen dies nicht entnommen werden, da lediglich festgestellt wird, dass die Angeklagte „über die Konsequenzen etwaige] Verstöße“ belehrt worden sei. Wann eine Belehrung wie konkret über welche Konsequenzen erfolgt sein soll, bleibt indes im Ungewissen. Die Feststellungen erfahren insoweit auch keine Ergänzung durch die Beweiswürdigung, in welcher „auf den in der Hauptverhandlung verlesenen Beschluss des Landgerichts Bonn [gemeint ist wohl: Köln], BI. 3 ff. d.A.“ Bezug genommen wird. Um den Inhalt einer Urkunde zum Gegenstand der Urteilsgründe zu machen, bedarf es der Wiedergabe des Urkundeninhalts; die bloße Wiedergabe der Blattzahlen ist insoweit unbehelflich (MüKo-StPO/Wenske, 2. Aufl., § 267 Rn. 264). Ein Verstoß gegen eine strafbewehrte Weisung nach § 68b Abs. 1 StGB kann durch die getroffenen Feststellungen mithin nicht belegt werden.

b) Zudem setzt § 145a StGB als konkretes Gefährdungsdelikt (Fischer, StGB, 71. Aufl., § 145a Rn. 22; BeckOK StGB/Heuchemer, 63. Ed., § 145a Rn. 1) voraus, dass durch den Weisungsverstoß eine Gefährdung des Maßregelzwecks eintritt; dies ist dann der Fall, wenn sich die Gefahr weiterer Straftaten erhöht oder die Aussicht ihrer Abwendung verschlechtert hat. Dazu bedarf es eines am Einzelfall orientierten Wahrscheinlichkeitsurteils, das neben dem sonstigen Verhalten der Angeklagten auch die konkrete spezialpräventive Zielsetzung der verletzten Weisung in den Blick nimmt (BGH NStZ-RR 2018, 309; BGH StV 2020, 22; OLG Naumburg StV 2020, 30).

Sowohl zu dem Zweck der Führungsaufsicht als auch zur Gefährdung desselben durch das — alleine festgestellte — zweimalige Fernbleiben der Angeklagten von Gesprächsterminen in der Führungsaufsichtsstelle, verhält sich das Urteil des Amtsgerichts überhaupt nicht, sodass die Feststellungen auch insoweit lückenhaft sind und eine Verurteilung nicht zu tragen vermögen.

c) Schließlich tragen die Feststellungen auch den subjektiven Tatbestand des § 145a S. 1 StGB nicht.

Nach § 15 StGB ist ein vorsätzliches Handeln erforderlich, wobei ein bedingter Vorsatz ausreicht. Die Täterin muss wissen, dass eine bestimmte Weisung gegen sie ergangen ist; dass sie im Augenblick der Tat an die Weisung denkt, ist nicht notwendig. Das Vorsatzerfordernis erstreckt sich auch darauf, dass der Weisungsverstoß den Zweck der Maßregel gefährdet. Die Täterin muss also wissen und zumindest billigend in Kauf nehmen, dass sie durch ihren Weisungsverstoß wieder in die Gefahr der Begehung weiterer Straftaten geraten könnte. Ein bedingter Vorsatz ist auch dann möglich, wenn die Täterin hofft, jener Versuchung widerstehen zu können. Jedoch können die subjektiven Tatbestandsvoraussetzungen dann fehlen, wenn die Täterin aus einer besonderen, nachvollziehbaren Situation heraus der Weisung keine Folge leistet. Es kommt insbesondere in Betracht, dass der bewusste Weisungsverstoß aus anerkennenswerten Motiven — wenn schon nicht mit einer Rechtfertigung, z.B. bei der Nothilfe — erfolgt und damit einhergeht, dass die Täterin die Gefährdung des Maßregelzwecks nicht billigend in Kauf nimmt (MüKoStGB/Groß/Anstötz, 4. Aufl., § 145a Rn. 18).

Auch hierzu fehlen Feststellungen in dem angegriffenen Urteil. Insbesondere nach der im Urteil wiedergegebenen Einlassung der Angeklagten, nach der sie aufgrund ihrer COPD-Erkrankung häufig Angstzustände habe und nicht vor die Tür gehen könne (S. 2, 7 des Urteils), hätte sich hier eine Auseinandersetzung mit der Frage aufgedrängt, ob vorliegend auch ein nicht strafbarer fahrlässiger Verstoß gegen die erteilte Weisung oder eine vorsätzliche Terminsversäumnis, allerdings ohne Inkaufnahme einer – ebenfalls bislang nicht festgestellten (s.o.) – Maßregelgefährdung in Betracht kommt.“

Beweise II: Was gehört alles in die Urteilsgründe?, oder: Wie hat sich der Angeklagte eingelassen?

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Und dann habe ich als „Mittagsentscheidung“ hier den BGH, Beschl. v. 30.09.2024 – 6 StR 421/24 -, in dem der BGH mal wieder – wie oft eigentlich schon – beanstandet, dass in den Urteilsgründen die Einlassung des Angeklagten nicht mitgeteilt wird.

„2. Die vom Landgericht getroffenen Feststellungen entbehren einer tragfähigen Beweiswürdigung. Es fehlen Angaben dazu, ob und gegebenenfalls wie sich die Angeklagten zur Sache eingelassen haben.

a) Es entspricht gefestigter Rechtsprechung, dass in den Urteilsgründen wiederzugeben ist, ob und gegebenenfalls wie sich der Angeklagte in der Hauptverhandlung zur Sache eingelassen hat (vgl. etwa BGH, Beschlüsse vom 2. Februar 2021 – 4 StR 471/20, Rn. 4; vom 14. Dezember 2022 ‒ 6 StR 449/22, Rn. 7). Hat er von seinem Schweigerecht Gebrauch gemacht, so ist auch dies mitzuteilen (vgl. BGH, Beschluss vom 30. Dezember 2014 – 2 StR 403/14, NStZ 2015, 299, 300).

b) Diesen Anforderungen wird das Urteil nicht gerecht. Zwar ist den Urteilsgründen zu entnehmen, dass die Feststellungen zu den persönlichen Verhältnissen auf den Angaben der Angeklagten beruhen; auf diejenigen des Angeklagten M. hat die Strafkammer auch ihre Feststellungen zu dessen Stimme und Sprechweise gestützt. Ferner hat der Angeklagte K. in der Hauptverhandlung Angaben bestätigt, die er gegenüber der Jugendgerichtshilfe gemacht hatte, und der Angeklagte M. hat Ausführungen der Sachverständigen zu seinem Lebenslauf bestätigt. Aus diesen von der Strafkammer mitgeteilten Angaben der Angeklagten zu ihren persönlichen Verhältnissen kann der Senat aber nicht den sicheren (Umkehr-)Schluss ziehen, dass sich die Angeklagten nicht zur Sache eingelassen haben (vgl. BGH, Beschlüsse vom 13. August 2020 ‒ 4 StR 629/19, Rn. 5; vom 12. Dezember 2019 – 5 StR 444/19, NStZ 2020, 625, Rn. 5; vom 30. Dezember 2014 – 2 StR 403/14, NStZ 2015, 299, 300).

c) Angesichts der schwierigen Beweislage vermag der Senat ein Beruhen des Urteils auf diesem Rechtsfehler nicht auszuschließen (vgl. BGH, Beschluss vom 12. Dezember 2019 – 5 StR 444/19, NStZ 2020, 625, Rn. 6). Die Feststellungen unterliegen insgesamt der Aufhebung (§ 353 Abs. 2 StPO).“