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Urteilsgründe: Handel mit Betäubungsmitteln, oder: Allein Besitz von Feinwaage u.a. reicht nicht

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Und dann als letzte Entscheidung noch etwas aus dem BtM-Bereich, und zwar das AG München, Urt. v. 10.4.2024 – 1015 Ds 373 Js 146518/23 jug. Vorgeworfen worden ist der m Angeklagten ein Verstoß gegem das BtMG/KCanG. Das AG hat ihn frei gesprochen:

„Der Angeklagte wurde von der Staatsanwaltschaft mit unveränderter zugelassener Anklageschrift vom 30.11.23 folgender Sachverhalt zur Last gelegt:

„1.Am 15.03.2023 gegen 18:51 Uhr bewahrte der Angeklagte in der pp-, München, 2,87 Gramm Marihuana und 2,22 Gramm Tabak-Marihuana-Gemisch zusammen mit einer Feinwaage und diversen Druckverschlusstüten wissentlich und willentlich auf. Dabei plante der Angeklagte, durch einen späteren Verkauf Gewinn zu erzielen.

Das Betäubungsmittel hatte mindestens einen Wirkstoffgehalt von 5 % THC.

Wie der Angeklagte wusste, besaß er nicht die für den Umgang mit Betäubungsmitteln erforderliche Erlaubnis.

Bei Tatbegehung besaß der Angeklagte die gemäß § 3 JGG erforderliche Reife, das Unrecht der Tat einzusehen und nach dieser Einsicht zu handeln.“

Dem Angeklagten wurde deshalb vorgeworfen, sich eines vorsätzlichen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln gemäß §§ 1 Abs. 1 BtMG i.V.m. Anlage I zum BtMG, §§ 3 Abs. 1 Nr. 1, 29 Abs. 1 Nr. 1 BtMG, Fassung vor dem 01.04.24 bzw. §§ 1 Nr. 8, 2 I Nr. 1, 34 I Nr. 1, 2 u. 12 KCanG, ab dem 01.04.24 strafbar gemacht zu haben.

Dem gegenüber hat das Gericht folgenden Sachverhalt festgestellt:

Der Angeklagte hatte in seinem Zimmer die unter Nr. 1 angegebenen Mengen an Marihuana und Tabak-Marihuana-Gemisch sowie die Druckverschlusstüten und die Feinwaage. Der Angeklagte hat angegeben, die Druckverschlusstüten hätten sich dort befunden, weil er wisse, dass beim Transport von Marihuana der Geruch verräterisch sei. Deshalb würde er, wenn er Marihuana in der Hosen- oder Jackentasche mitnehme, dieses in Druckverschlusstüten verpacken.

Diese seien nicht einzeln zu erwerben deswegen habe sich eine solche Menge dort befunden. Weiter hat er angegeben, dass er die Feinwaage in seinem Besitz gehabt habe, weil er zum Teil geringere Mengen habe abwiegen wollen. Diese beiden Angaben sind nicht zu widerlegen. Allein die Tatsache, dass der Angeklagte eine Feinwaage und diverse Druck-verschlusstüten bei sich zuhause aufbewahrt, reicht nicht aus, um davon auszugehen, dass er auch mit Marihuana Handel getrieben habe.

Der Angeklagte konnte daher nicht mit der zur Verurteilung erforderlichen Sicherheit des vorsätzlichen unerlaubten Handelns mit Cannabis in Form von Marihuana nach dem Konsumcannabisgesetz überführt werden. Er war daher freizusprechen. Der Freispruch erfolgte aus tatsächlichen Gründen.“

Urteilsgründe II: Verurteilung wegen KiPo-Verbreitens, oder: Wesentliche Inhalte der KiPo-Schriften im Urteil?

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Die zweite Entscheidung, den OLG Celle, Beschl. v. 27.05.2024 – 1 ORs 13/24 – hatte ich schon mal vorgestellt, und zwar wegen der vom OLG angesprochenen Frage in Zusammenhang mit dem KCanG. Hier kommt sie jetzt noch einmal, und zwar wegen der Ausführungen des OLG bei einer Verurteilung wegen Verbreitens kinderpornographischer Schriften u.a.

Das AG hatte den Angeklagten wegen Verbreitens kinderpornographischer Inhalte in sechs Fällen sowie wegen Besitzes kinderpornographischer Inhalte in Tateinheit mit Besitz jugendpornographischer Inhalte verurteilt. Gegen das Urteil hatten sowohl der Angeklagte als auch die Staatsanwaltschaft Berufung eingelegt. Die Staatsanwaltschaft beschränkte diese in ihrer schriftlichen Berufungsbegründung und der Angeklagte in der Berufungshauptverhandlung mit Zustimmung der Staatsanwaltschaft jeweils auf den Rechtsfolgenausspruch. Das LG hat die Beschränkungen für wirksam gehalten und die Rechtsmittel jeweils verworfen.

Das AG hatte folgende Feststellungen getroffen:

„Die vom Amtsgericht getroffenen Feststellungen zur Sache, die das Landgericht aufgrund der erfolgten Berufungsbeschränkungen seiner Entscheidung zugrunde gelegt hat, lauten wie folgt:

„1.- 6.
Mit Hilfe seines Computers oder Mobiltelefons hielt der Angeklagte in dem Zeitraum vom 02.11.2020 bis zum 26.06.2021 insgesamt mindestens 34 Bilddateien, auf denen unter anderem ein entblößtes männliches Genital, jeweils mit einem ausgedruckten Bild, auf dem der sexuelle Missbrauch eines unter 14 Jahre alten Mädchens oder in grob anreißerischer (pornographischer) Weise eine sexuelle Handlung von, an oder vor einem Kind, ein zumindest teilweise unbekleidetes Kind in unnatürlich geschlechtsbetonter Körperhaltung oder in sexuell aufreizender Weise das unbekleidete Geschlechtsteil bzw. Gesäß eines Kindes dargestellt ist, sowie der Bundespersonalausweis des Angeklagten zu sehen ist, über einen Verweisungslink auf das Tauschbörsenprogramm „pornopics“ im Internet zum Download bereit und zwar
1. am 02.12.2020 insgesamt elf solche Dateien,
2. am 03.12.2020 insgesamt zwölf solche Dateien,
3. am 19.12.2020 insgesamt sechs solche Dateien,
4. am 08.03.2021 insgesamt drei solche Dateien,
5. am 22.06.2021 eine solche Datei,
6. am 26.06.2021 eine solche Datei.
7. Der Angeklagte ließ sich mithilfe seines Computers oder Mobiltelefons
a) Dateien mit Bildern oder Videos, auf denen der sexuelle Missbrauch von unter 14 Jahre alten Mädchen oder in grob anreißerischer (pornographischer) Weise eine sexuelle Handlung von, an oder vor einem Kind, ein zumindest teilweise unbekleidetes Kind in unnatürlich geschlechtsbetonter Körperhaltung oder in sexuell aufreizender Weise das unbekleidete Geschlechtsteil bzw. Gesäß eines Kindes dargestellt ist,
b) Dateien mit Bildern, auf denen in grob anreißerischer (pornographischer) Weise sexuelle Handlungen von, an oder vor Mädchen oder Jungen zwischen der Vollendung des 14. und 18. Lebensjahres oder zumindest teilweise unbekleidete Jugendliche in unnatürlich geschlechtsbetonter Körperhaltung dargestellt sind,
von anderen Internetnutzern übermitteln oder lud solche Dateien aus dem Internet herunter und speicherte diese auf einer Festplatte, die er in seinem Keller in einer Metallbox verwahrte, sodass anlässlich einer Durchsuchung am 27.09.2021 bei ihm 2.384 kinderpornographische Mediendateien sowie 120 jugendpornographische Dateien aufgefunden wurden. Zusätzlich wurden in der Metallbox vier weitere, ausgedruckte kinderpornographische Bilder in DIN-A4-Format aufgefunden.“

Dagegen die Revision, die erfolgreich war. Dem OLG reichen nämlich diese amtsgerichtlichen Feststellunge nicht:

„….. Ob das Berufungsgericht zu Recht von einer wirksamen Beschränkung der Berufung nach § 318 S. 1 StPO und damit von einer Teilrechtskraft des erstinstanzlichen Urteils ausgegangen ist, ist im Rahmen einer zulässigen Revision auf die Sachrüge von Amts wegen zu prüfen (vgl. etwa BayOLG, Beschluss vom 18. Oktober 2023 – 202 StRR 74/23, juris Rn. 3; KG Berlin, Beschluss vom 10. Juni 2020 – (4) 161 Ss 65/20 (86/20), juris Rn. 24). Eine wirksame Beschränkung des Rechtsmittels auf den Rechtsfolgenausspruch setzt voraus, dass das angefochtene Urteil seine Prüfung ermöglicht; dies ist dann nicht der Fall, wenn die Feststellungen zur Tat so knapp, unvollständig, unklar oder widersprüchlich sind, dass sie den Unrechts- und Schuldgehalt der Tat nicht erkennen lassen und deshalb keine hinreichende Grundlage für die Rechtsfolgenentscheidung des Berufungsgerichts bilden können (vgl. BGH, Urteil vom 15. Juli 2020 – 2 StR 288/19, juris Rn.9; BayOLG, Beschluss vom 18. Oktober 2023 – 202 StRR 74/23, juris Rn. 4; KG Berlin, Beschluss vom 10. Juni 2020 – (4) 161 Ss 65/20 (86/20), juris Rn. 26; jeweils mwN). Die Urteilsfeststellungen müssen insbesondere auch erkennen lassen, durch welche Tatsachen die gesetzlichen Merkmale der Straftat als verwirklicht angesehen worden sind (vgl. OLG Oldenburg, Beschluss vom 3. Mai 2023 – 1 ORs 85/23, juris Rn. 6).

Im Falle einer Verurteilung nach §§ 184b, 184c StGB müssen die Urteilsgründe die wesentlichen Inhalte der kinder- bzw. jugendpornografischen Schriften bzw. Abbildungen wiedergeben; hierzu gehört zumindest eine Beschreibung der Art der sexuellen Handlung (vgl. BGH, Beschlüsse vom 30. Juni 2023 – 5 StR 55/23, juris Rn. 3 und vom 14. Juni 2018 – 3 StR 180/18, juris Rn. 12; OLG Oldenburg aaO Rn. 10). Zwar ist es beim Vorliegen einer großen Menge von Video- und Bildaufnahmen nicht erforderlich, in den Urteilsgründen jede einzelne zu beschreiben; zumindest für eine exemplarische Auswahl der Aufnahmen sind aber konkrete Feststellungen zu den abgebildeten sexuellen Handlungen von, an oder vor Kindern oder Jugendlichen geboten (BGH, Beschluss vom 14. Juni 2018 – 3 StR 180/18, juris Rn. 12; OLG Oldenburg aaO).

Solche sind jedoch – auch in Form einer grundsätzlich möglichen Bezugnahme auf in den Akten befindliche Abbildungen gem. § 267 Abs. 1 S. 3 StPO (vgl. BGH, Beschluss vom 14. Juni 2018 – 3 StR 180/18, juris Rn. 12) – in den Gründen des amtsgerichtlichen Urteils nicht zu finden. Das amtsgerichtliche Urteil belässt es bei den Feststellungen zur Sache vielmehr im Wesentlichen bei der Wiedergabe des Gesetzeswortlauts, ohne die Tatbestandsvoraussetzungen der angewandten Normen durch entsprechende tatsächliche Feststellungen auszufüllen. Der Inhalt der maßgeblichen Dateien wird – selbst für eine exemplarische Auswahl – nicht mitgeteilt. Es fehlen Angaben zum Geschlecht der jeweils Betroffenen sowie zu den jeweiligen Tatmodalitäten. Schließlich wird auch nicht dargelegt, aus welchen äußeren Merkmalen das Gericht auf ein bestimmtes Alter der auf den Bildern zu sehenden Personen schließt.

Wegen der Unwirksamkeit der Berufungsbeschränkung hätte das Landgericht die notwendigen Feststellungen zum Schuldspruch in eigener Verantwortung treffen müssen. Dass dies nicht geschehen ist, begründet einen durchgreifenden Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten, so dass das angefochtene Urteil insgesamt der Aufhebung unterliegt.“

Urteilsgründe I: Feststellungen bei der Drogenfahrt, oder: Allein „Blutwirkstoffbefund“ reicht nicht

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Und dann unter der „Oberrubrik“ StPO heute drei Entscheidungen, die sich mit den Anforderungen an die Urteilsgründe befassen.

In dem Zusammenhang stelle ich hier zunächst den BGH, Beschl. v. 24.04.2024 – 4 StR 90/24 – vor, er sich noch einmal zu den tatsächlichen Feststellungen bei einer Drogenfahrt äußert. Das LG hat den Angeklagten u.a. wegen fahrlässiger Gefährdung des Straßenverkehrs verurteilt. es hat – soweit insoweit von Interesse – festgestellt, dass der Angeklagte vor Fahrantritt er Marihuana und Amphetamine konsumiert hatte. Aufgrund dessen übersah er einen an einer roten Ampel wartenden Pkw und fuhr auf dessen Heck auf, wodurch dem Geschädigten ein Schaden in Höhe von über 4.000 EUR entstand. Seine Fahruntüchtigkeit hätte der Angeklagte nach Auffassung des LG bei Anwendung der erforderlichen Sorgfalt erkennen können und müssen. Der Geschädigte hatte den Angeklagten nach dem Unfall angesprochen und gefragt, was denn passiert sei, er werde die Polizei rufen. Der Angeklagte reagierte zunächst nicht, wirkte im weiteren Gesprächsverlauf schläfrig und hatte eine langsame Aussprache. Er bat den Geschädigten davon abzusehen, die Polizei hinzuzuziehen, worauf sich dieser angesichts des oberflächlich nur leichten Schadens zunächst einließ. Der Angeklagte ermöglichte die Feststellung seiner Personalien, indem er seinen Personalausweis übergab. Als der Geschädigte mangels von ihm weiter erbetener Herausgabe eines Führerscheins durch den Angeklagten doch die Polizei einschalten wollte, fuhr dieser mit seinem Pkw davon. Wenig später wurde er an seiner Wohnanschrift am Steuer des Fahrzeugs sitzend von der Polizei angetroffen, nachdem er soeben einen Joint konsumiert hatte. Die Polizei eröffnete ihm, ohne Fahrerlaubnis gefahren zu sein, woraufhin er unsinnige Bemerkungen abgab wie „Ja, und wer bestimmt das? Wem gehört die Schwerkraft?“.

Dem BGH haben die Feststellungen des LG für eine Veurteilung nach § 315c StGB nicht gereicht bzw. sie seien nicht ausreichend „belegt“:

Nichts Besonderes, aber mal wieder ein „Reminder“.

„b) Diese auch den Schuldspruch nach § 315c Abs. 1 Nr. 1a, Abs. 3 Nr. 2 StGB im Fall II.1 a) der Urteilsgründe tragenden Feststellungen hat das Landgericht nicht rechtsfehlerfrei belegt.

aa) Anders als bei Alkohol kann der Nachweis einer rauschmittelbedingten Fahrunsicherheit gemäß § 315c Abs. 1 Nr. 1a StGB nicht allein durch einen bestimmten Blutwirkstoffbefund geführt werden. Es bedarf daher neben dem Blutwirkstoffbefund noch weiterer aussagekräftiger Beweisanzeichen, die im konkreten Einzelfall belegen, dass die Gesamtleistungsfähigkeit des betreffenden Kraftfahrzeugführers so weit herabgesetzt war, dass er nicht mehr fähig gewesen ist, sein Fahrzeug im Straßenverkehr eine längere Strecke, auch bei Eintritt schwieriger Verkehrslagen, sicher zu steuern (vgl. BGH, Beschluss vom 31. Januar 2017 – 4 StR 597/16 Rn. 10; Beschluss vom 2. Juni 2015 – 4 StR 111/15 Rn. 9; Urteil vom 15. April 2008 – 4 StR 639/07 Rn. 10 ff.; Beschluss vom 3. November 1998 – 4 StR 395/98, BGHSt 44, 219, 221 ff.). Dies hat das Tatgericht anhand einer Gesamtwürdigung aller relevanten Umstände zu beurteilen (vgl. BGH, Beschluss vom 2. August 2022 – 4 StR 231/22 Rn. 8; Urteil vom 22. April 1982 – 4 StR 43/82, BGHSt 31, 42, 44 ff.).

bb) Dem werden die Urteilsgründe nicht gerecht. Das Landgericht hat die Fahruntüchtigkeit des Angeklagten allein mit „dem in der Hauptverhandlung verlesenen chemisch-toxikologischen Gutachten“ sowie „den bestätigenden glaubhaften Angaben“ des Geschädigten begründet, der den Angeklagten als schläfrig, langsam sprechend und reaktionsarm beschrieben habe. Diese Beweiswürdigung ist in mehrfacher Hinsicht unzureichend. Mangels Mitteilung des Ergebnisses des chemisch-toxikologischen Gutachtens und der ihm zugrundeliegenden Anknüpfungstatsachen ist ungeachtet der Zeugenaussage schon nicht in einer für den Senat nachvollziehbaren Weise belegt, dass der insoweit nicht geständige Angeklagte unter dem Einfluss von Betäubungsmitteln stand. Zudem wäre hinsichtlich des Blutwirkstoffbefundes zu bedenken gewesen, dass der Angeklagte den Feststellungen zufolge noch nach dem Tatgeschehen Cannabis konsumierte.

Darüber hinaus hätte die Strafkammer näher darlegen und begründen müssen, welche Beweisbedeutung sie dem insgesamt festgestellten Nachtatverhalten des Angeklagten für dessen betäubungsmittelbedingte Fahruntüchtigkeit beigemessen hat. Im Rahmen der erforderlichen Gesamtwürdigung hätte das Landgericht zudem bedenken müssen, ob auch die Fahrweise des Angeklagten auf seine relative Fahruntüchtigkeit schließen ließ (vgl. BGH, Beschluss vom 31. Januar 2017 – 4 StR 597/16 Rn. 10). Insbesondere mit den näheren Gegebenheiten des Unfallereignisses und seines Zustandekommens hat sich die Strafkammer nicht auseinandergesetzt. Dies wäre jedoch auch deshalb erforderlich gewesen, weil der Tatbestand des § 315c Abs. 1 Nr. 1a StGB zugleich voraussetzt, dass die eingetretene Gefährdung gerade Folge der betäubungsmittelbedingten Fahruntüchtigkeit ist (vgl. BGH, Beschluss vom 17. August 2016 – 4 StR 317/16 Rn. 2; Beschluss vom 11. Februar 2014 ? 4 StR 520/13)…..“

StGB II: Günstige Sozialprognose wegen der Therapie?, oder: Nur bei erfolgreichem Therapieabschluss

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Im zweiten Posting dann das BayObLG, Urt. v. 19.02.2024 – 203 StRR 571/23 – zur Aussetzung der Vollstreckung der Freiheitsstrafe zur Bewährung

Das LG hatte den Angeklagten u.a. wegen Diebstahls zu einer eine Gesamtfreiheitsstrafe von 1 Jahr und 3 Monaten verurteilt und die Vollstreckung der festgesetzten Gesamtfreiheitsstrafe zur Bewährung ausgesetzt. Hiergegen wendet sich die Staatsanwaltschaft mit ihrer Revision, die sich ihrem Inhalt nach ausschließlich gegen die Aussetzung der Freiheitsstrafe zur Bewährung richtete. Die Revision hatte Erfolg.

„2. Die Entscheidung des Landgerichts, die Vollstreckung der Gesamtfreiheitsstrafe zur Bewährung auszusetzen, hält revisionsgerichtlicher Überprüfung nicht stand.

a) Eine Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr wird gemäß § 56 Abs. 1 StGB zur Bewährung ausgesetzt, wenn zu erwarten ist, dass der Verurteilte sich schon die Verurteilung zur Warnung dienen lässt und künftig auch ohne die Einwirkung des Strafvollzugs keine Straftaten mehr begehen wird. Nach Absatz 2 der Vorschrift kann das Gericht unter den Voraussetzungen des Absatzes 1 auch die Vollstreckung einer höheren Freiheitsstrafe, die zwei Jahre nicht übersteigt, zur Bewährung aussetzen, wenn nach der Gesamtwürdigung von Tat und Persönlichkeit des Verurteilten besondere Umstände vorliegen.

b) Bei der insoweit anzustellenden Gesamtwürdigung, insbesondere der in § 56 Abs. 1 Satz 2 StGB genannten Umstände, kommt dem Tatgericht ein weiter Bewertungsspielraum zu; dessen Entscheidung ist daher vom Revisionsgericht bis zur Grenze des Vertretbaren hinzunehmen (st. Rspr., vgl. BGH, Urteile vom 28. März 2018 – 2 StR 516/17- und vom 12. Mai 2021 – 5 StR 120/20-, jeweils juris; BayObLG, Urteil vom 02. Dezember 2022 – 202 StRR 108/22-, juris Rn. 3). Auch ein Bewährungsbruch schließt eine günstige Kriminalprognose im Sinne des § 56 Abs. 1 StGB nicht von vornherein aus (BGH, Urteil vom 14. April 2022 – 5 StR 313/21 –, juris Rn. 23 m.w.N.; BayObLG, Urteil vom 15. September 2023 – 202 StRR 47/23 –, juris Rn. 5; BayObLG, Urteil vom 02. Dezember 2022 – 202 StRR 108/22-, juris Rn. 6). Bei Straftätern, die in der Vergangenheit bereits eine längere Freiheitsstrafe verbüßt haben oder vorsätzliche Straftaten in der Bewährungszeit begehen, kommt es für die Annahme einer günstigen Legalprognose darauf an, ob sich in den Lebensverhältnissen des Angeklagten nach der Begehung der Taten Änderungen ergeben haben, die den Schluss zulassen, dass die Ursachen für die bisherige Delinquenz beseitigt sind (BayObLG, Urteil vom 15. September 2023 – 202 StRR 47/23 –, juris Rn. 5).

Die Ausführungen des Landgerichts für seine Erwartung, der nach den Feststellungen erheblich vorbestrafte, unter laufender Bewährung stehende und strafhafterfahrene Angeklagte werde sich nunmehr schon allein die Verurteilung zur Warnung dienen lassen und künftig ohne die Einwirkung des Strafvollzugs keine Straftaten mehr begehen (§ 56 Abs. 1 Satz 1 StGB), genügen den Anforderungen der Rechtsprechung nicht. Dass sich der Angeklagte am 28. Juni 2023, also knappe zwei Monate vor der anstehenden Berufungshauptverhandlung, auf eine von der Berufungskammer bezüglich ihrer Ausgestaltung nicht näher dargestellte stationäre Soziotherapie eingelassen hat, vermag eine günstige Legalprognose nicht zu stützen. Nach der gefestigten obergerichtlichen Rechtsprechung könnte eine Therapie nur dann eine positive Prognose rechtfertigen, wenn eine solche erfolgreich abgeschlossen wäre, nicht aber, wenn der Eintritt des erhofften Behandlungserfolgs im maßgeblichen Zeitpunkt des Endes der Hauptverhandlung noch völlig ungewiss ist; dies gilt auch dann, wenn aus der Sicht des Tatrichters gute Gründe dafür sprechen, dass die Therapie zukünftig eine positive Veränderung bei dem Angeklagten bewirken könnte (vgl. BayObLG, Urteil vom 2. Dezember 2022 – 202 StRR 108/22 –, juris Rn. 10; OLG Bamberg, Urteil vom 12. November 2013 – 3 Ss 106/13 –, juris; KG Berlin, Urteil vom 5. Oktober 2007 – (4) 1 Ss 307/07 (191/07) –, juris Rn. 6).

c) Da das angefochtene Urteil schon die Annahme einer günstigen Legalprognose nicht belegt, kommt es nicht mehr darauf an, dass sich die Kammer mit den Voraussetzungen des § 56 Abs. 2 und 3 StGB rechtsfehlerhaft in ungenügender Weise auseinandergesetzt hat.“

StPO I: Verurteilung beruht auf DNA-Mischspur, oder: Anforderungen an die Urteilsgründe

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Und heute dann schon wieder 🙂 StPO, an sich wäre mal wieder OWi dran, aber dafür habe ich kein Material. Daher hier dann StPO.

Zunächst der BGH, Beschl. v. 13.02.2024 – 4 StR 353/23. Das LG hat den Angeklagten u.a. wegen vorsätzlichen gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr verurteilt . Die dagegen eingelegte Revision des Angeklagten hatte Erfolg.

„Der Schuldspruch hat keinen Bestand, weil die Beweiswürdigung des Landgerichts zur Täterschaft des Angeklagten durchgreifende Darstellungsmängel im Hinblick auf die Ergebnisse molekulargenetischer Gutachten aufweist.

1. Nach den Feststellungen des Landgerichts warf der Angeklagte in den frühen Morgenstunden des 25. September 2022 im Abstand von wenigen Minuten, fünf bis zehn Meter neben der Fahrbahn stehend, frontal Steine auf drei die Bundesautobahn 30 mit etwa 100 km/h befahrende Pkw, wobei er in der Absicht handelte, jeweils die Frontscheibe zu treffen und Beschädigungen zu verursachen. Die Steine trafen in zwei Fällen plangemäß die Windschutzscheibe, in einem Fall die Frontpartie des anvisierten Fahrzeugs, wodurch Beschädigungen von mindestens 900 Euro je Fahrzeug entstanden.

2. Die Strafkammer hat sich von der Täterschaft des Angeklagten unter anderem aufgrund von an einem Stein und am Griff eines Metalltors im Zugangsbereich zu dem betreffenden Autobahnabschnitt gesicherten DNA-Mischspuren überzeugt. Die Darstellung der Ergebnisse der molekulargenetischen Gutachten entspricht nicht den Anforderungen, die der Bundesgerichtshof in ständiger Rechtsprechung daran stellt.

Während bei Einzelspuren jedenfalls das Gutachtenergebnis in Form einer numerischen biostatistischen Wahrscheinlichkeitsaussage mitgeteilt werden muss, ist bei Mischspuren grundsätzlich darzulegen, wie viele Systeme untersucht wurden, ob und inwieweit sich Übereinstimmungen in den untersuchten Systemen ergeben haben und mit welcher Wahrscheinlichkeit die festgestellte Merkmalskombination bei einer anderen Person zu erwarten ist (vgl. BGH, Beschluss vom 28. August 2018 ‒ 5 StR 50/17, BGHSt 63, 187; Beschluss vom 9. November 2021 ‒ 4 StR 262/21; Beschluss vom 18. August 2021 ‒ 5 StR 217/21; Beschluss vom 12. August 2021 ‒ 2 StR 325/20; Beschluss vom 14. Juli 2021 ‒ 6 StR 303/21; Henke, NStZ 2023, 13, 15 f. jeweils mwN). Daran fehlt es hier. Ausnahmsweise kann im Urteil die DNA-Analyse der Hauptkomponente einer Mischspur nach den für die Einzelspur entwickelten Grundsätzen dargestellt werden (vgl. BGH, Beschluss vom 28. August 2018 – 5 StR 50/17, BGHSt 63, 187, Rn. 10 ff.), wenn die Peakhöhen von Hauptkomponente zu Nebenkomponente durchgängig bei allen heterozygoten DNA-Systemen im Verhältnis 4:1 stehen (vgl. BGH, Beschluss vom 29. Juli 2020 – 6 StR 183/20). Dass diese Voraussetzungen vorliegen, ist dem Urteil ebenfalls nicht zu entnehmen.

3. Der Senat kann angesichts der begrenzten Aussagekraft der übrigen Beweisanzeichen nicht ausschließen, dass das Urteil auf dem Rechtsfehler beruht. Das verlesene Behördengutachten des Landeskriminalamts zum Vergleich des „Profilgrundmusters“ von in der Wohnung des Angeklagten aufgefundenen „Turnschuhen Venice, blau/rot“ mit einer in Tatortnähe im öffentlich zugänglichen Bereich gesicherten „Schuheindruckspur“ ist für die Täterschaft des Angeklagten – jedenfalls ohne nähere Feststellungen zum Verbreitungsgrad dieser Schuhe – nur von begrenzter Aussagekraft. Überdies sind in den Urteilsgründen die wesentlichen Anknüpfungstatsachen und Darlegungen von Sachverständigengutachten so wiederzugeben, wie dies zum Verständnis des Gutachtens erforderlich ist (vgl. BGH, Beschluss vom 2. April 2020 ‒ 1 StR 28/20, juris Rn. 4; KK-StPO/Bartel, 9. Aufl., § 267 Rn. 34 mwN). Nach dem hier ausschließlich mitgeteilten Inhalt, wonach sich die Spur dem Schuhpaar mit dem Referenzmuster „venrippkegel“ „zuordnen lasse“, kann der Senat die Schlüssigkeit des Gutachtens nicht beurteilen. Die darüber hinaus herangezogene Funkzellenauswertung ist nicht aussagekräftig, da nach den Urteilsgründen die Funkzelle, in die das Mobiltelefon des Angeklagten zur Tatzeit eingeloggt war, sowohl den Wohnort des Angeklagten als auch den Tatortbereich versorgt.“