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OWi III: Vorgaben für standardisiertes Messverfahren?, oder: Nachweis durch Messbeamten

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Und dann zur Abrundung des Tages noch der OLG Karlsruhe, Beschl. v. 29.08.2023 – 2 ORbs 37 Ss 506/23 – zur Bedeutung des Messprotokolls für die Anwendung der Grundsätze des standardisierten Messverfahrens.

Dazu das OLG:

„Dabei kann letztlich dahingestellt bleiben, ob die zur Geltendmachung eines – aus einer angeblich fehlenden Unterzeichnung des Messprotokolls abgeleiteten – Beweisverwertungsverbots erforderliche Verfahrensrüge (BGH NStZ 2019, 171) in einer den Anforderungen der §§ 80 Abs. 3 Satz 3 OWiG, 344 Abs. 2 Satz 2 StPO genügenden Weise ausgeführt ist, wobei im Hinblick auf die erhobene Sachrüge auch die Ausführungen in den Urteilsgründen ergänzend zu berücksichtigen sind (BGH NStZ-RR 2013, 352 mw.N.). Denn die Beanstandung erweist sich ungeachtet der Frage, ob es über die geleisteten Unterschriften hinaus einer weiteren Unterzeichnung des Messprotokolls bedurft hätte, als jedenfalls unbegründet. Beim Messprotokoll handelt es sich um in einer Urkunde enthaltene Erklärungen der Verfolgungsbehörden über Ermittlungshandlungen, die keine Vernehmung zum Gegenstand haben (OLG Hamm ZfS 2014, 651). Ob die beurkundete Durchführung der Ermittlungshandlungen tatsächlich stattgefunden hat, ist eine Frage der allgemeinen Beweiswürdigung. Dies kann sich aus der Urkunde selbst, aber auch aus anderen Umständen ergeben. Vorliegend hat sich das Amtsgericht durch die Vernehmung der die maßgeblichen Untersuchungshandlungen durchführenden Beamtin von der Richtigkeit der Eintragungen im Messprotokoll überzeugt. Dies ist rechtsbeschwerderechtlich nicht zu beanstanden.“

StPO II: Zustellung an den Verteidiger wirksam?, oder: Form des Nachweises der Vollmacht

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In der zweiten Entscheidung, dem OLG Brandenburg, Beschl. v. 20.3.2023 – 1 ORbs 136/23 – nimmt das OLG Stellung zur Wirksamkeit einer Zustellung an den Verteidiger. Es geht um die wirksame Zustellung des (Bußgeld)Urteils.

Das AG hat die Betroffene mit Urteil vom 10.11.2022 verurteilt. Das – nicht mit Gründen versehene – Protokollurteil vom 10.11.2022 hat die Richterin mit Verfügung vom selben Tag der Staatsanwaltschaft , die nicht an der Hauptverhandlung teilgenommen hatte, „gemäß § 41 StPO übersandt“, woraufhin die Staatsanwaltschaft mit Verfügung vom 17.11.2022 auf Rechtsmittel verzichtete.

Nach Eingang der Rechtsbeschwerde der Betroffenen am 14.11.2022 gelangten die schriftlichen Urteilsgründe am 25.11.2022 zur Akte. Diese wurden der Betroffenen aufgrund gerichtlicher Verfügung vom 24.11.2022 am 26.11.2022 und dem Verteidiger am 07.12.2022 zugestellt.

Der Verteidiger hat dann am 09.01.2023 die Rechtsbeschwerde begründet. Das AG hat die Rechtsbeschwerde der Betroffenen gemäß § 79 Abs. 3 OWiG, § 346 Abs. 1 StPO als unzulässig verworfen, da die Begründung der Rechtsbeschwerde erst am 09. Januar 2023 und somit verspätet eingegangen sei. Maßgeblich für die Berechnung der Monatsfrist nach § 79 Abs. 3 OWiG, § 345 StPO sei allein das Datum der Zustellung des Urteils an die Betroffene am 26. November 2022, nicht das Datum der am 07. Dezember 2022 erfolgten Zustellung an den Verteidiger, der keine schriftliche Vollmacht zu den Akten gereicht habe.

Dagegen der Antrag auf gerichtliche Entscheidung, der beim OLG – ebenso wie die Rechtsbeschwerde – Erfolg hatte:

„…Die Rechtsbeschwerde ist gemäß § 79 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 OWiG statthaft und entsprechend den § 79 Abs. 3 OWiG, §§ 341, 344, 345 StPO form- und fristgerecht angebracht worden. Der Eingang der Rechtsbeschwerdebegründung am 09. Januar 2023 wahrt die Monatsfrist ab Zustellung des Urteils (§ 79 Abs. 3 OWiG, § 345 Abs. 1 Satz 3 StPO).

Die Generalstaatsanwaltschaft des Landes Brandenburg hat wie folgt ausgeführt:

„Die hier gerichtlich verfügte und bewirkte doppelte Zustellung an die Betroffene und ihren Verteidiger ist gesetzlich nicht vorgesehen (§ 79 Abs. 3 OWiG, § 145a Abs. 3 StPO). Eine dennoch angeordnete und erfolgte Zustellung an mehrere Empfangsberechtigte ist jedoch zulässig. Die Berechnung der Frist richtet sich dann nach der zuletzt bewirkten – wirksamen ¬Zustellung (§ 79 Abs. 3 OWiG, § 37 Abs. 2 StPO).

Die Zustellung der Urteilsgründe an den Verteidiger der Betroffenen war wirksam.

Der gewählte Verteidiger, dessen Bevollmächtigung nachgewiesen ist, gilt als ermächtigt, Zustellungen für den Betroffenen in Empfang zu nehmen (§ 51 Abs. 3 Satz 1 OWiG). Zwar befand sich zum Zeitpunkt der Zustellung keine schriftliche Vollmacht des Verteidigers bei den Akten. Das Vorbringen des Verteidigers, der im Hauptverhandlungstermin anwesende unterbevollmächtigte Verteidiger habe die schriftliche Vollmacht vorgelegt (S. 5 der Antragsschrift vom 07.02.2023, BI. 85 d. A.), findet in den Akten keine Stütze. Im Protokoll ist derartiges nicht vermerkt und- die Richterin hat dies ausdrücklich in Abrede gestellt (BI. 85, 100R d. A.).

Jedoch ist seine Bevollmächtigung hier nachgewiesen.

Auf welche Weise der Nachweis erfolgen kann, bestimmt das Gesetz nicht.

Mit der Änderung des § 51 Abs. 3 OWiG soll zwar ergänzend zur früheren Regelung, nach welcher eine schriftliche Vollmacht eingereicht werden musste, nunmehr grundsätzlich die Übermittlung einer Kopie ausreichen (§ 51 Abs. 3 Satz 2 OWiG). Der Gesetzgeber hat diese Möglichkeit eingefügt, um die elektronische Einreichung der Verteidigervollmacht zu erfassen und nicht nur – wie zuvor – die Original-Vollmacht gelten zu lassen (BT Drs. 19/27654, S. 40). Dabei ist davon auszugehen, dass nach Vorstellung des Gesetzgebers die Kopie bzw. das elektronische Dokument wie vormals die schriftliche Vollmacht tatsächlich zu den Akten gelangt. Ob eine Verteidigervollmacht besteht, ist jeweils im Einzelfall zu prüfen, allerdings muss der Nachweis an formale Kriterien geknüpft sein, da sich daraus die entsprechenden Rechtsfolgen für den Betroffenen ergeben, über die aus Rechtssicherheitsgründen Klarheit bestehen muss (vgl. Brandenburgisches Oberlandesgericht, Beschluss vom 20.09.2009 – 2 Ss (OWi) 129B/09, BeckRS 2009, 26373).

Die Form des Nachweises der Bevollmächtigung durch Überreichung eines Dokumentes zu den Akten ist jedoch nicht die einzig zulässige. Es muss allerdings klar in den Akten dokumentiert werden oder aus ihnen ersichtlich sein, dass die Bevollmächtigung erfolgt ist. Denn anders als bei der Wirksamkeit der Vertretung durch den Verteidiger im Verfahren allgemein (vgl. dazu Meyer-Go ßner/Schmitt, StPO, vor § 137 Rdnr. 9), genügt eine ausschließlich mündlich erteilte Vollmacht grundsätzlich nicht. Anhand einer Gesamtschau der im Einzelfall vorliegenden Tatsachen, insbesondere durch wiederholtes Tätigwerden als Verteidiger in der fraglichen Rechtssache kann auf seine unbeschränkte Bevollmächtigung als Verteidiger geschlossen werden (Brandenburgisches Oberlandesgericht, Beschluss vom 12.06.2019 – (1B) 53 Ss-OWi 206/19 (124/19); Beschluss vom 28.11.2022 -1 OLG – 53 Ss-OWi 456/22; jeweils bei juris).

So liegt es hier. Der Verteidiger ist hier bereits gegenüber der Verwaltungsbehörde aufgetreten, hat für die Betroffene Einspruch gegen den Bußgeldbescheid eingelegt, Akteneinsicht genommen und gegenüber dem Gericht Anträge für sie gestellt und den im Termin auftretenden Rechtsanwalt unterbevollmächtigt.

Die Zustellung eines schriftlichen Urteils kann zudem auch dann wirksam erfolgen, wenn dem Verteidiger vor Ausführung der Zustellung bereits eine rechtsgeschäftliche Vollmacht zur Entgegennahme von Zustellungen erteilt worden war (Brandenburgisches Oberlandesgericht, Beschluss vom 23.05.2016 (1B) 53 Ss-OWi 200/16 (110/16) bei juris m. w. N.). Eine entsprechende bereits bei Urteilszustellung erteilte rechtsgeschäftliche Zustellungsvollmacht des Verteidigers ist hier – durch inzwischen erfolgte Nachreichung der Vollmacht zu den Akten (BI. 86 d. A.) – belegt.“

Und die Rechtsbeschwerde hatte dann auch Erfolg. Denn das insoweit allein maßgebliche „Protokollurteil“ des AG enthielt keine schriftlichen Urteilsgründe. Die nachträglich erfolgte Ergänzung der Urteilsgründe gemäß § 275 Abs. 1 StPO i. V. m. §46 Abs. 1, § 71 Abs. 1 OWiG war unzulässig und damit für das Rechtsbeschwerdeverfahren nicht mehr relevant. Denn das AG hatte das Urteil bereits aus dem inneren Dienstbereich des AG herausgegeben – an die StA – und es konnte nicht mehr ergänzt werden (wegen der Einzelheiten insoweit Deutscher in: Burhoff (Hrsg.) Handbuch für das straßenverkehrsrechtliche OWi-Verfahren, 6. Aufl., 2021, Rn 3805 ff.).

Im Übrigen: Gilt dann natürlich auch für das Strafverfahren.

OWi I: Entbindungsantrag zu Beginn der HV gestellt, oder: Nachweis der Vollmacht und Rechtsbeschwerde

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Heute dann ein „Entbindungstag“, also OWi-Entscheidungen zur den §§ 73 ff. OWiG. Alle drei Entscheidungen, die ich vorstelle, stammen vom KG. Alle drei enthalten nichts wesentliche Neues, rufen aber noch einmal in Erinnerung, worauf man achten muss.

Ich beginne mit dem KG, Beschl. v. 13.07.2022 – 3 Ws (B) 170/22 – 162 Ss 81/22. Das KG hat mit dem Beschluss die Rechtsbeschwerde gegen ein Verwerfungsurteil verworfen und führt zur Begründung – in einem Zusatz – aus:

„Für den nicht erschienenen, unentschuldigt ausgebliebenen Betroffenen kann der Entbindungsantrag noch zu Beginn der Hauptverhandlung gestellt werden, allerdings nur durch den nach § 73 Abs. 3 OWiG „mit nachgewiesener Vollmacht“ zur Vertretung berechtigten Verteidiger (vgl. BGHSt. 12, 367 [§ 329 StPO]; Senat StraFo 2018, 482; OLG Düsseldorf NStZ-RR 2012, 258; OLG Brandenburg VRS 116, 276; Senge in Karlsruher Kommentar, OWiG 5. Aufl., § 73 Rn. 19 m. w. N.). Für die hier erhobene Verfahrensrüge bedeutet dies, dass nicht nur der Umstand der Vertretungsbefugnis bestimmt zu behaupten ist, sondern auch, dass diese im Zeitpunkt der Antragstellung im Sinne des § 73 Abs. 3 OWiG „nachgewiesen“ war (vgl. Senat StraFo 2018, 482; jüngst auch Beschluss vom 9. Juni 2022 – 3 Ws (B) 157/22 –).  Dies ist nicht geschehen, mehr noch: Eine entsprechende Vollmacht befindet sich bis heute nicht bei den Akten oder ist anderweitig nachgewiesen.“

Tja, das sollte ein Verteidiger wissen.

Corona II: Ärztliche „Befreiung“ von der Maskenpflicht, oder: Der gemeinsame Aufenthalt von Mobiltelefonen

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Und im zweiten Corona-Posting dann zunächst der OLG Karlsruhe, Beschl. v. 25.04.2022 – 2 Rb 37 Ss 25/22 –, der zu den Anforderungen an eine ärztliche Bescheinigung zur Befreiung von der bußgeldbewehrten Maskenpflicht Stellung nimmt.

Das Amtsgericht hat die Betroffene mit Urteil vom 06.07.2021 wegen einer vorsätzlichen Ordnungswidrigkeit des Nichttragens einer nicht medizinischen Alltagsmaske oder einer vergleichbaren Mund-Nasenbedeckung entgegen der zur Tatzeit gültigen Corona-Verordnung in Baden-Würrtemberg verurteilt. Nach den vom AG getroffenen Feststellungen hielt sich die Betroffene am 12.12.2020 um 13:26 Uhr in den Geschäftsräumen eines Einkaufsmarktes auf, ohne die erforderliche Mund-Nasen-Bedeckung zu tragen. Dabei habe die Betroffene gewusst, dass sie sich in einem Ladengeschäft aufhielt, in dem eine Mund-Nasen-Bedeckung getragen werden muss. Dass der Betroffenen das Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung aus gesundheitlichen oder sonstigen zwingenden Gründen nicht möglich oder zumutbar gewesen sei, habe sie nicht glaubhaft gemacht. Das von ihr vorgelegte ärztliche Attest habe dazu nicht ausgereicht, weil sich aus ihm nicht nachvollziehbar ergebe, welche konkret zu benennenden gesundheitlichen Beeinträchtigungen aufgrund der Verpflichtung zum Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung zu erwarten seien, woraus diese im Einzelnen resultieren, ob und wenn ja welche Vorerkrankungen vorliegen und auf welcher Grundlage der attestierende Arzt zu seiner Einschätzung gelangt sei. Die bloße Feststellung, dass die Betroffene aus medizinischen Gründen keine Mund-Nasen-Bedeckung tragen müsse, genüge insoweit nicht.

Dagegen der Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde. Das OLG hat zugelassen, das amtsgerichtliche Urteil aufgehoben und die Betroffene frei gesprochen. Das OLG nimmt ausführlich zu den Anforderungen an die ärztliche Befreiuung und an die Glaubhaftmachung Stellung. Ich stelle hier nur die Leitsätze des Beschlusses ein, den Rest bitte selbst lesen:

  1. Das Infektionsschutzgesetz enthielt mit den in den §§ 28, 28a, 32, 73 Abs. 1a Nr. 24 getroffenen Regelungen eine ausreichende, verfassungskonforme Ermächtigung für die in § 3 Abs. 1 Nr. 4 CoronaVO vom 30. November 2020 angeordnete Beschränkung (Pflicht zum Tragen einer nicht-medizinischen Alltagsmaske oder einer vergleichbaren Mund-Nasen-Bedeckung in und im Warte- und Zugangsbereich von Einkaufzentren und Ladengeschäften) und deren Bußgeldbewehrung in § 19 Nr. 2 CoronaVO.
  2. Auch ein verwaltungsrechtlicher Erlaubnistatbestand, den eine Straf- oder Bußgeldvorschrift in Bezug nimmt (wie die Bußgeldbewehrung eines Verstoßes gegen die in § 3 Abs. 1 CoronaVO geregelte Maskenpflicht in § 19 Nr. 2 CoronaVO, sofern keiner der Ausnahmetatbestände nach § 3 Abs. 2 CoronaVO vorliegt), unterliegt jedenfalls dann den strengen Beschränkungen des Art. 103 Abs. 2 GG, wenn er zur Ausfüllung der straf- oder bußgeldrechtlichen Blankettnorm herangezogen und damit selbst zum Teil der Straf- bzw. Bußgeldnorm wird.
  3. Allein aus der Verwendung des Begriffs „ärztliche Bescheinigung“ in § 3 Abs. 2 Nr. 2 CoronaVO ist – auch in Verbindung mit dem jedenfalls durch gefestigte Rechtsprechung konkretisierten Begriff der „Glaubhaftmachung“ – für den Normadressaten nicht erkennbar, welche inhaltlichen Anforderungen an eine solche Bescheinigung zu stellen sind.
  4. Eine Auslegung des in § 3 Abs. 2 Nr. 2 CoronaVO verwandten Begriffs „ärztliche Bescheinigung“ dahingehend, dass die Vorlage eines qualifizierten ärztlichen Attests mit Angaben dazu erforderlich sei, welche gesundheitlichen Beeinträchtigungen aufgrund der Verpflichtung zum Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung zu erwarten sind und woraus diese im Einzelnen resultieren, ob und ggf. welche relevanten Vorerkrankungen bestanden und auf welcher Grundlage der attestierende Arzt zu seiner Einschätzung gelangt ist, stellt eine vom Willen des baden-württembergischen Verordnungsgebers offensichtlich abweichende Auslegung der Ausnahmevorschrift dar und verletzt damit das im Straf- und Ordnungswidrigkeitenrecht besondere Geltung beanspruchende Bestimmtheitsgebot aus Ar.t 103 Abs. 2 GG, das die Legislative von Verfassungs wegen verpflichtet, die Grenzen der Strafbarkeit selbst zu bestimmen.

Und als zweite Entscheidung dann noch der AG Dilligen, Beschl. v. 18.02.2022 – 303 OWi 106 Js 123156/21 jug. Den Betroffenen – vier Minderjährige, drei Heranwachsende – ist in dem Verfahren zur Last gelegt worden, am 27.04.2021 um 17:35 Uhr an einem Gemeindeweiher mit mehr als 3 Personen aus verschiedenen Haushalten zusammengekommen zu sein und öffentlich gefeiert zu haben und dadurch gegen die damals geltenden Vorschriften der 12. Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmen-VO verstoßen zu haben. Gegen sie waren Bußgelder zwischen 400,- EUR und 600,- EUR festgesetzt worden. Das AG hat das Verfahren nach § 47 Abs. 2 OWiG eingestellt.

„Die Verfahren waren allesamt gem. § 47 Abs. 2 OWiG einzustellen.

Es bestehen Zweifel, ob sich gegen die Betroffenen ein Tatnachweis würde führen lassen. Der Vorwurf fußt im Wesentlichen nicht auf dem Umstand, dass man vor Ort die Betroffenen selbst angetroffen hat, sondern dass ihre jeweiligen Mobiltelefone am Steg des Weihers durch die Polizei sichergestellt und über die Rufnummer den Betroffenen in der Folge zugeordnet wurden.

Es stellt sich freilich die Frage, wie die Telefone ihren Weg an den Weiher gefunden haben. Die Betroffenen lassen sich jedoch – berechtigt – zur Sache nicht ein und bestreiten ihre Anwesenheit.

Im Rahmen der Betroffenenvernehmungen durch die Polizei wurden nicht in jedem Fall die Erziehungsberechtigten der Betroffenen hinzugezogen, was aber jedenfalls bei den jugendlichen Betroffenen geboten gewesen wäre.

3, § 4, 5 der 12. BayIfSMV untersagten zum fraglichen Zeitpunkt den gemeinsamen Aufenthalt und das Feiern mit mehreren Personen außerhalb des eigenen Hausstandes.

Der gemeinsame Aufenthalt von Mobiltelefonen mehrerer Personen war indes nicht bußgeldbewehrt.

Die weitere Aufklärung des Sachverhaltes erscheint unverhältnismäßig, zumal allen Beteiligten weiterhin ein umfassendes Schweigerecht zusteht, §§ 136, 163 StPO i.V.m. § 46 OWiG, und unmittelbare Tatzeugen nicht vorhanden sind.“

Wenn man es so liest, muss man schon ein wenig schmunzeln über den „gemeinsamen Aufenthalt von Mobiltelefonen mehrerer Personen„. Andererseits ist aber doch ein wenig erschrocken über die Höhe der angeordneten Geldbußen, freut sich dann aber über die „Einsicht“ des AG, das Verfahren einzustellen – und das mit einer „befürwortenden“ Staatsanwaltschaft. Was ist los in Bayern? 🙂

Divers III: Die mündliche Anklage im beschleunigten Verfahren, oder: Was ist in der HV passiert?

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Und als dritte und letzte Entscheidung dann nochder LG Bochum, Beschl. v. 31.03.2021 – 17 Ns 45/20. Ergangen ist er im Berufungsverfahren in einem beschleunigten Verfahren. Das LG hat das Verfahren eingestellt:

„Der Durchführung des Berufungsverfahrens steht ein Verfahrenshindernis entgegen, das — auch in zweiter Instanz — zur Einstellung des Verfahrens nach § 206a StPO führt (vgl. BGH NStZ 1997, 331, 332 m.w.N.). Es fehlt an einer ordnungsgemäßen Anklageerhebung gemäß § 418 Abs. 3 i.V.m. §§ 199, 200 StPO.

Im beschleunigten Verfahren erfolgt die Anklageerhebung entweder durch Einreichung einer Anklageschrift oder mündlich zu Beginn der Hauptverhandlung (§ 418 Abs. 3 StPO), wobei die mündliche Anklageerhebung nicht dazu führt, dass die Voraussetzungen des § 200 Abs. 1 Satz 1 StPO hinsichtlich des Anklagesatzes nicht gelten würden. Die mündliche Anklageerhebung ist ebenso wie die Verlesung des Anklagesatzes nach § 273 Abs. 1 StPO als wesentliche Förmlichkeit in das Hauptverhandlungsprotokoll aufzunehmen, wobei nach § 418 Abs. 3 Satz 2 StPO der wesentliche Inhalt der Anklage in das Protokoll aufzunehmen ist, d.h. der den Anforderungen des § 200 Abs. 1 Satz 1 entsprechende (abstrakte und konkrete) Anklagesatz (vgl. OLG Frankfurt, Beschluss vom 19. Oktober 2000 — 3 Ss 346/00 —, juris; Hanseatisches Oberlandesgericht Hamburg, Beschluss vom 18. August 2011 — 3 – 16/11 (REV) juris; LG Köln, Beschluss vom 31. Januar 2002 — 152 – 20/01 —, juris; KK-StPO/Graf, 8. Aufl. 2019, StPO § 418 Rn. 8). Der Beweis darüber, dass mündlich Anklage erhoben worden ist und welchen wesentlichen Inhalt sie hat, kann als wesentliche Förmlichkeit der Hauptverhandlung nach § 274 StPO nur durch die Sitzungsniederschrift bewiesen werden (vgl. KK-StPO/Graf, a.a.O.).

Aus dem Hauptverhandlungsprotokoll ergibt sich weder eine schriftliche Anklage noch ein ihr gleichkommender Antrag auf Aburteilung im beschleunigten Verfahren noch eine wirksame mündliche Anklageerhebung. Die Anforderungen an die Aufnahme des wesentlichen Inhalts der Anklage in das Sitzungsprotokoll nach § 274 StPO sind nicht erfüllt. Im Hauptverhandlungsprotokoll heißt es: „Die Staatsanwaltschaft klagte den Beschuldigten an, am 21.09.2020 in Recklinghausen eine fremde bewegliche Sache einem anderen in der Absicht weggenommen zu haben, die Sache sich rechtswidrig zuzueignen. Verbrechen — Vergehen nach § 242 Abs. 1 StGB.“ Jegliche weitere Konkretisierung des Vorwurfs fehlt. Es fehlt auch jegliche Bezugnahme auf den bei den Akten befindlichen — nicht unterzeichneten —Antrag auf Entscheidung im beschleunigten Verfahren. Ein derartiger schriftlicher Antrag wird im Hauptverhandlungsprotokoll nicht erwähnt und ist auch nicht als Anlage zu Protokoll genommen worden. Der Inhalt des Antrags muss aber nach § 418 Abs. 3 Satz 2 StPO der Sitzungsniederschrift selbst zu entnehmen sein (vgl. Hanseatisches Oberlandesgericht Hamburg, a.a.O. m.w.N.). Umstände, die zum Wegfall der Beweiskraft des Protokolls führen könnten, sind nicht ersichtlich.“