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Vollmacht I: Vorlage einer Vollmacht nicht erforderlich, oder: Das wissen nun auch AG Linz/LG Koblenz

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Heute dann ein Tag mit „Vollmachtsentscheidungen“ – eine Problemtik die die Praxis ja immer wieder bewegt.

An der Spitze ein „Knaller“ aus Rheinland-Pfalz, nämlich der VerfGH Rheinland-Pfalz, Beschl. v. 28.01.2021 – VGH B 71/20. Gestritten worden ist da beim AG Linz und LG Koblenz um die Wirksamkeit eines Einspruchs gegen einen Bußgeldbescheid. AG und LG hatten die Einspruch als unwirksam angesehen. Der Verteidiger hatte bei Einspruchslegung keine schriftliche Vollmacht vorgelegt. Später hatte er dann eine Vollmacht nachgereicht, die aber auf einen Zeitpunkt nach Einspruchseinlegung datiert war. AG und LG haben den Einspruch als unzulässig angesehen. Zur Begründung hat man darauf verwiesen, dass das Einspruchsschreiben des Verteidigers zwar grundsätzlich fristwahrend bei der zuständigen Bußgeldbehörde eingegangen sei. Es genüge jedoch nicht den Anforderungen an einen wirksamen Einspruch. Hierfür sei erforderlich, dass die Vollmacht bereits zum Zeitpunkt der Einlegung des Rechtsmittels erteilt worden und dies auch nachgewiesen sei. Daran fehle es. Die Verfassungsbeschwerde des Betroffenen hatte dann aber Erfolg:

„Die Verfassungsbeschwerde ist auch begründet. Die angegriffenen Beschlüsse verletzen den Beschwerdeführer in seinem Recht auf ein faires Verfahren in Verbindung mit der Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes.

……

2. Hieran gemessen verletzen die Beschlüsse des Amtsgerichts Linz am Rhein sowie des Landgerichts Koblenz den Beschwerdeführer in seinen Rechten auf ein faires Verfahren und auf effektiven Rechtsschutz. Die angegriffenen Entscheidungen überspannen in Verkennung der Verfahrensgrundrechte der Landesverfassung die Anforderungen an den Nachweis einer Vollmacht im (gerichtlichen) Bußgeldverfahren.

a) Einfach-rechtlicher Ausgangspunkt für die Verwerfung des Einspruchs durch das Gericht ist § 70 1 des Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten – OWiG –. Danach erfolgt eine Verwerfung als unzulässig, wenn die Vorschriften über die Einlegung des Einspruchs nicht eingehalten wurden. Wie sich mit Blick auf § 69 Abs. 1 Satz 1 OWiG ergibt, sind damit in erster Linie die Vorgaben über die form- und fristgerechte Einlegung gemeint (vgl. auch Krumm, in: Gassner/Seith [Hrsg.], OWiG, 2. Aufl. 2020, § 70 Rn. 3). Nach 67 Abs. 1 Satz 1 OWiG kann der Betroffene gegen den Bußgeldbescheid innerhalb von zwei Wochen nach Zustellung schriftlich oder zur Niederschrift bei der Verwaltungsbehörde, die den Bußgeldbescheid erlassen hat, Einspruch einlegen. Einspruchsberechtigt ist neben der Person des Betroffenen unter anderem auch der (nicht gegen den ausdrücklichen Willen des Betroffenen handelnde) Verteidiger (§ 67 Abs. 1 Satz 2 OWiG i.V.m. § 297 der Strafprozeßordnung – StPO –) sowie – nach allgemeinen Grundsätzen – der (bevollmächtigte) Vertreter (vgl. nur Krenberger, in: Haus/Krumm/Quarch [Hrsg.], Gesamtes Verkehrsrecht, 2. Aufl. 2017, § 67 OWiG Rn. 3).

aa) Voraussetzung für eine wirksame Einspruchseinlegung durch einen Dritten ist das Bestehen der Bevollmächtigung bereits im Zeitpunkt der Einspruchseinlegung (Blum/Stahnke, in: Gassner/Seith [Hrsg.], OWiG, 2. Aufl. 2020, § 67 Rn. 10). Fehlt es an der Vertretungsmacht, ist der Einspruch unwirksam. Bei Nichtbestehen der Verteidigungsbefugnis bzw. Bevollmächtigung ist der durch den Verteidiger eingelegte Einspruch als unzulässig zu verwerfen (vgl. etwa Ellbogen, in: Karlsruher Kommentar zum OWiG, 5. Aufl. 2018, § 67 Rn. 21). Auch durch eine nachträgliche Genehmigung der Stellvertretung kann diese Unwirksamkeit nicht mehr behoben werden (vgl. auch Paul, in: Karlsruher Kommentar zur Strafprozessordnung, 8. Aufl. 2019, § 297 Rn. 1).

Für die Bevollmächtigung zur Einlegung eines Einspruchs im Bußgeldverfahren ist keine besondere Form erforderlich, insbesondere kann sie auch mündlich erteilt werden (Krenberger/Krumm, OWiG, 6. Aufl. 2020, § 67 Rn. 13; Blum/Stahnke, in: Gassner/Seith [Hrsg.], OWiG, 2. Aufl. 2020, § 67 Rn. 12; Burhoff/Kotz, Handbuch für die strafrechtlichen Rechtsmittel und Rechtsbehelfe, 2. Aufl. 2016, Teil A Rn. 1774). Gleichfalls anerkannt ist, dass die Bevollmächtigung auch noch nach Ablauf der Einspruchsfrist nachgewiesen werden kann (vgl. OLG Stuttgart, Beschluss vom 5. Mai 1994 – 1 Ss 113/94 –, juris Rn. 3; Allgayer, NStZ 2016, 192 [193]; Blum/Stahnke, in: Gassner/Seith [Hrsg.], OWiG, 2. Aufl. 2020, § 67 Rn. 10; Lay, in: Dötsch u.a. [Hrsg.], BeckOK Straßenverkehrsrecht, § 67 OWiG Rn. 10 [Oktober 2020]; vgl. auch BGH, Urteil vom 19. August 1982 – 4 StR 387/82 –, juris Rn. 9, zur Strafantragsfrist). Damit hängt die Wirksamkeit des Einspruchs weder davon ab, dass eine schriftliche Vollmacht eingereicht wird, noch ist erforderlich, dass dies innerhalb der Einspruchsfrist des § 67 Abs. 1 Satz 1 OWiG erfolgt (Thiele, DAR 1981, 11). Anders gewendet ist der Einspruch wirksam eingelegt, wenn die betreffende Person bevollmächtigt war, als sie ihn einlegte (vgl. auch OLG Nürnberg, Beschluss vom 10. April 2007 – 2 St OLG Ss 10/07 –, NJW 2007, 1767 [1768], zur Revisionsbegründung). Dies gilt auch dann, wenn der Nachweis der Bevollmächtigung erst nach Ablauf der Frist des § 67 Abs. 1 Satz 1 OWiG erfolgt.

bb) Was die Anforderungen an den Nachweis der Bevollmächtigung anbelangt, ist nach der Person des Bevollmächtigten zu differenzieren. Wird der Einspruch durch einen Rechtsanwalt eingelegt, spricht – vor dem Hintergrund seiner Stellung als Organ der Rechtspflege (vgl. § 1 der Bundesrechtsanwaltsordnung) – in der Regel eine Vermutung dafür, dass er hierzu bevollmächtigt ist (Kaiser, NJW 1982, 1367 [1369]; Thiele, DAR 1981, 11 mit Fn. 6; vgl. auch OLG Hamm, Beschluss vom 17. Januar 2005 – 2 Ws 7/05 –, juris Rn. 13, allg. zur Rechtsmitteleinlegung). Der Vorlage einer Vollmachtsurkunde bedarf es – von gesetzlich angeordneten Ausnahmen (vgl. etwa § 51 3 Satz 1 OWiG) abgesehen – grundsätzlich nicht. Hiervon wird namentlich dann auszugehen sein, wenn der Rechtsanwalt namens des Betroffenen tätig wird und Prozesserklärungen abgibt, etwa ein Rechtsmittel einlegt und begründet (Kaiser, NJW 1982, 1367 [1368]; Kurz, in: Karlsruher Kommentar zum OWiG, 5. Aufl. 2018, § 60 Rn. 5). Eine andere Beurteilung ließe sich allenfalls durch das Vorliegen konkreter und gewichtiger, gegen eine Bevollmächtigung des Rechtsanwalts sprechender Anhaltspunkte rechtfertigen (Thiele, DAR 1981, 11). Nur für Fälle, in denen der Einspruch durch einen Dritten, der kein Rechtsanwalt ist, eingelegt wird, gilt eine vergleichbare Vermutungsregel nicht. In dieser Situation erschient es mit Blick auf die Folgen einer Einspruchseinlegung vielmehr vertretbar, den zweifelsfreien Nachweis über die Bevollmächtigung zu fordern (Thiele, DAR 1981, 11).

cc) Vor diesem Hintergrund sind bereits keine berechtigten Zweifel an der Bevollmächtigung des für den Beschwerdeführer tätigen Rechtsanwalts ersichtlich, da dieser den Einspruch „namens“ des Beschwerdeführers eingelegt und das Bestehen einer Vollmacht damit anwaltlich versichert hat. Eine andere Beurteilung ergibt sich auch nicht aus der Passage im Text des – nicht an das Gericht, sondern an die Zentrale Bußgeldstelle gerichteten – Schreibens vom 12. November 2019, wonach der Bevollmächtigte des Beschwerdeführers die Vertretung der Firma S. übernommen habe. Bei lebensnaher Betrachtung dieses Schriftsatzes spricht vieles für ein offensichtliches Schreibversehen, da im Betreff des genannten Schreibens der vollständige Name des Beschwerdeführers und – noch gewichtiger und aussagekräftiger – das korrekte Aktenzeichen des Bußgeldbescheides genannt wurden. Spätestens unter Berücksichtigung des Schriftsatzes des Bevollmächtigten vom 16. November 2019, in welchem ausdrücklich und ausschließlich im Namen des Beschwerdeführers – ohne Bezug auf die vorgenannte Firma – Einspruch eingelegt wurde, sprechen mehr Gesichtspunkte für als gegen die Annahme eines bloßen Schreibversehens. Auch die Zentrale Bußgeldstelle hatte ersichtlich keine Bedenken an einer ordnungsgemäßen Bevollmächtigung, sondern gewährte mit Schreiben vom 22. November 2019 die beantragte Akteneinsicht und bewertete kurz darauf den mit Schreiben des Bevollmächtigten vom 16. November 2019 erhobenen Einspruch als zulässig. Ebenso hat das Amtsgericht über einen Zeitraum von mehreren Monaten zwar um die Vorlage einer Vollmacht gebeten, zugleich aber Ladungen an den Bevollmächtigten des Beschwerdeführers herausgegeben und mit diesem korrespondiert. Ein solches Verhalten erscheint jedenfalls erklärungsbedürftig, zumal eine Verlängerung der Belastungen durch das Bußgeldverfahren und die mögliche Verursachung von weiteren (Verfahrens-)Kosten im Interesse des Einspruchseinlegenden nicht angezeigt sind, wenn der Einspruch zu verwerfen ist (vgl. auch Gertler, in: Graf [Hrsg.], BeckOK OWiG, § 70 Rn. 3 [Oktober 2020]). Zudem hat das Amtsgericht auf Antrag des Bevollmächtigten des Beschwerdeführers letzteren mit Beschluss vom 3. Juni 2020 von der Pflicht zum persönlichen Erscheinen entbunden. Die stattgebende Entscheidung über einen solchen nicht vom Betroffenen selbst gestellten Antrag (vgl. § 73 2 OWiG) setzt aber das Bestehen einer Vollmacht (vgl. auch die Gesetzesbegründung zu § 73 OWiG, BT-Drucks. 13/3691, S. 8: „durch den bevollmächtigten Vertreter“) voraus, da über ein Recht des Betroffenen verfügt wird, dessen Ausübung ihm selbst vorbehalten ist (vgl. auch Hettenbach, in: Graf [Hrsg.], BeckOK OWiG, § 73 Rn. 5 [Oktober 2020]). Mit Blick auf den Beschluss vom 3. Juni 2020 ist nicht nachvollziehbar, warum das Amtsgericht die Verwerfung des Einspruchs in seinem Beschluss vom 28. Juli 2020 auf das Fehlen einer ordnungsgemäßen Bevollmächtigung gestützt hat.

Selbst wenn man aber trotz der vorgenannten Umstände die Anforderung eines Nachweises über die Vollmacht als gerechtfertigt ansähe, sind die vom Amtsgericht aus der vorgelegten Vollmachtsurkunde gezogenen Schlussfolgerungen zum Nichtvorliegen einer Bevollmächtigung im Zeitpunkt der Einspruchseinlegung offenkundig rechtlich unzutreffend. Das Amtsgericht beschränkt sich in der angegriffenen Entscheidung auf die Feststellung, dass der Zeitpunkt der Ausstellung der Vollmachtsurkunde (die zwar keinen konkreten Betreff enthält, aber bei einer Gesamtschau mit dem Übersendungsschriftsatz des Bevollmächtigten dem Verfahren zugeordnet werden kann) nach Ablauf der Einspruchsfrist liege. Dies ist zwar richtig, allein aus diesem Umstand lässt sich aber nicht herleiten, dass eine Vollmacht im Zeitpunkt der Einspruchseinlegung nicht vorgelegen hat. Maßgeblich sind dann die Gesamtumstände. Auf diese frühe Klarstellung des Reichsgerichts (vgl. Urteil vom 21. November 1912 – I 957/12 –, RGSt 46, 372) wird auch heute noch in der Kommentarliteratur hingewiesen (vgl. etwa Ellbogen, in: Karlsruher Kommentar zum OWiG, 5. Aufl. 2018, § 67 Rn. 19; Krenberger/Krumm, OWiG, 6. Aufl. 2020, § 67 Rn. 13 mit Fn. 10; Gertler, in: Graf [Hrsg.], BeckOK OWiG, § 67 Rn. 24 [Oktober 2020]). Vorliegend erfolgte lediglich der Nachweis der Vollmachtserteilung nach Ablauf der Einspruchsfrist; allein hieraus auf das Nichtbestehen der Vollmacht zu schließen, verkürzte die Rechte des Betroffenen unangemessen (vgl. auch OLG Hamm, Beschluss vom 17. Januar 2005 – 2 Ws 7/05 –, juris Rn. 10, zur Berufungsfrist). Vielmehr musste sich in der vorliegenden Konstellation das Bestehen einer Vollmacht im Zeitpunkt der Einspruchseinlegung für das Amtsgericht geradezu aufdrängen. Es fehlt insbesondere eine nachvollziehbare Erklärung für die (implizite) Annahme des Amtsgerichts, der Beschwerdeführer habe eine Vollmacht erst mit Wirkung vom 30. Mai 2020 an und damit ex nunc erteilen wollen. Eine solche Auslegung zulasten des Beschwerdeführers liegt nicht nahe, denn eine Vollmachtserteilung nach Ablauf der Einspruchsfrist löste im Verhältnis zwischen Mandant und Anwalt zwar Kosten aus, wäre zu diesem Zeitpunkt in der Sache aber nutzlos. Zudem lässt sich ein solches Verständnis auch nicht mit den Rechtsgrundsätzen zur Vollmachtserteilung in Einklang bringen. Wenn eine Vollmacht zur Einlegung eines Einspruchs – nach allgemeiner Auffassung – nicht schriftlich erteilt werden muss, muss auch keine auf den Zeitpunkt der Einspruchseinlegung datierte Vollmachtsurkunde vorliegen.“

Bei solchen Entscheidung frage ich mich immer, warum man dafür eigentlich ein Verfassungsgericht braucht? Aber jedes Ding hat zwei Seiten. Und positiv für die Praxis ist es, dass mal wieder ein Verfassungsgericht zu den Vollmachtsfragen Stellung genommen hat und sich klar positioniert mit dem Satz: „Der Vorlage einer Vollmachtsurkunde bedarf es – von gesetzlich angeordneten Ausnahmen (vgl. etwa § 51 Abs. 3 Satz 1 OWiG) abgesehen – grundsätzlich nicht.“

Ein Umstand ist zudem noch bemerkenswert: Das AG hat nach dem Einspruch des Betroffenen und Abgabe der Akten an das AG Termin zur Hauptverhandlung bestimmt und dann auch noch den Betroffenen von der Pflicht zum persönlichen Erscheinen entbunden (§ 73 Abs. 2 OWiG). Man fragt sich insbesondere, was das Letztere soll, wenn zu dem Zeitpunkt keine ausreichende Bevollmächtigung des Verteidigers vorgelegen hat bzw. man von einer nicht ausreichenden Bevollmächtigung ausgehen musste.

Die Vertretungsvollmacht in der Berufungs-HV, oder: Nachweis durch ein elektronisches Dokument?

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In der zweiten Entscheidung, dem OLG Karlsruhe, Beschl. v. 18.11.2020 – 2 Rv 21 Ss 483/20 – spielt die Frage des Nachweises der Vertretungsvollmacht des Verteidigers eine Rolle. Das LG hat die Berufung des Angeklagten verworfen. Dagegen hat er Revision eingelegt, die das OLG als unzulässig, weil nicht ausreichend begründet (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO) verworfen hat.

„b) Soweit die Rüge in erster Linie darauf gestützt ist, dass der Verwerfung die Anwesenheit eines Verteidigers mit nachgewiesener Vertretungsvollmacht entgegengestanden habe, ist der Vortrag ebenfalls nicht so vollständig, dass dem Senat eine rechtliche Prüfung möglich ist.

Im Hinblick darauf, dass die Strafkammer nach dem Vorbringen in der Revisionsbegründung eine vom Verteidiger vorgezeigte Vollmacht als inhaltlich nicht ausreichend beanstandet hatte, hätte es des Vortrags in der Begründungsschrift selbst bedurft, welchen Inhalt diese und eine weitere Vollmacht hatte, über die der Verteidiger nach dem Vortrag in der Revisionsbegründung verfügte. Die bloße Bezugnahme in der Begründungschrift ist insoweit nicht ausreichend.

Zudem ergibt sich aus dem Vortrag in der Begründungschrift, dass der Verteidiger nicht über eine schriftliche Vollmacht verfügte, sondern diese ihm als eingescannte elektronische Dokumente auf sein Laptop übermittelt worden waren. Soweit der Nachweis nach früherer Rechtslage allein schriftlich möglich war, ist dies zwar durch das Gesetz zur Einführung der elektronischen Akte in der Justiz und zur weiteren Förderung des elektronischen Rechtsverkehrs vom 5.7.2017 (BGBl. I 2017, 2208) zugunsten einer medienneutralen Formulierung aufgegeben worden, ohne indes das Erfordernis eines sicheren Nachweises über die Bevollmächtigung aufzugeben (amtl. Begründung des Gesetzentwurfs, BT-Drs. 18/9416 S. 70). Nach der in § 32a StPO getroffenen Regelung zur Ersetzung der Schriftform bei elektronischen Dokumenten bedarf es danach entweder einer qualifizierten elektronischen Signierung des Dokuments oder der Übermittlung des (einfach) signierten Dokuments auf einem der in § 32a Abs. 4 StPO bezeichneten sicheren Übermittlungswege. Ob diese Erfordernisse vorliegend eingehalten waren, ergibt sich jedoch aus dem Vortrag in der Revisionsbegründung nicht.

c) Soweit die Rüge – wie auch die Rüge der Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör – auch darauf gestützt ist, dass dem Verteidiger nicht ausreichend Zeit gegeben wurde, um den Nachweis für seine Vertretungsvollmacht zu erbringen, kann letztlich dahinstehen, ob im Hinblick auf den Gesetzeswortlaut des § 329 Abs. 1 Satz 1 StPO, der auf den Beginn eines Hauptverhandlungstermins als den für die Voraussetzungen einer Verwerfungsentscheidung maßgeblichen Zeitpunkt abstellt, das Gericht – entsprechend der Pflicht zum Zuwarten beim Ausbleiben des Angeklagten – dem Verteidiger angemessene Zeit einräumen muss, die für den Nachweis erforderlichen Unterlagen erst herbeizuschaffen. Denn jedenfalls hätte es – wie die Generalstaatsanwaltschaft Karlsruhe in ihrer Antragsschrift zutreffend ausführt – einer genauen und vollständigen Wiedergabe der zeitlichen Abläufe in der Hauptverhandlung am 15.4.2020 bedurft, ohne die dem Senat eine Beurteilung nicht möglich ist, ob das Landgericht vor seiner Verwerfungsentscheidung angemessen zugewartet hat.

2. Die Rüge der Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör ist auch im Übrigen nicht in einer der Vorschrift des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO genügenden Weise ausgeführt.

Dazu wird in der Revisionsbegründung vorgetragen, dem Verteidiger sei bei seinen Ausführungen zum Vorliegen ausreichender Bevollmächtigung mitten im Satz das Wort entzogen worden, so dass er nicht mehr habe mitteilen können, dass ihm nach Zurückweisung der zunächst in elektronischer Form vorgezeigten Bevollmächtigung eine weitere Vollmacht als elektronisches Dokument übermittelt worden sei. Auch der Zulässigkeit dieser Rüge steht jedoch entgegen, dass weder der Inhalt dieses zweiten elektronischen Dokuments noch mitgeteilt wird, ob dieses den in § 32a StPO aufgestellten Anforderungen an ein schriftformersetzendes elektronisches Dokument genügte. Ohne diesen Vortrag kann der Senat aber nicht beurteilen, ob das zweite dem Verteidiger übermittelte elektronische Dokument zum sicheren Nachweis einer Vertretungsvollmacht geeignet war. Nur dann aber wäre das rechtliche Gehör – wie dies Art. 103 Abs. 1 GG voraussetzt – in entscheidungserheblicher Weise beeinträchtigt worden.“

Mal wieder: (Zustellungs)Vollmacht, oder: Nicht so zwingend….

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Zustellungs- und Vollmachtsfragen spielen in der Praxis immer wieder eine große Rolle. Vor allem dann, wenn eine Fristversäumung des Verteidigers im Raum steht. Dann geht es häufig um die Frage: Ist dem Verteidiger überhaupt wirksam zugestellt und/oder hatte der Verteidiger eine Zustellungsvollmacht? Die Fragen spielen auch im OLG Saarbrücken, Beschl. v. 20.04.2016 – 1 Ws 40/16 – ein Rolle. In dem Verfahren ist die wirksame Zustellung eines Widerrufsbeschlusses im Streit.  Das OLG ist von einer rechtsgeschäftlichen Zustellungsvollmacht und deren späterem Nachweis durch Vorlage einer StPO-Vollmacht ausgegangen. Die Leitsätze:

  1. An den gewählten Verteidiger kann auch dann wirksam zugestellt werden, wenn sich dessen Vollmacht nicht bei den Akten befindet, ihm aber vor Ausführung der Zustellung eine rechtsgeschäftliche Zustellungsvollmacht erteilt worden war.
  2. Der Nachweis einer solchen rechtsgeschäftlichen Zustellungsvollmacht kann auch dann erbracht sein, wenn der Verurteilte dem Wahlverteidiger in einer anderen Strafsache eine Strafprozessvollmacht erteilt hat, die diesen ausdrücklich auch zur Entgegennahme von Zustellungen ermächtigte, und ihn kurze Zeit später in der in Rede stehenden Sache mündlich mit der Verteidigung beauftragt hat.

Wiedereinsetzung (von Amts wegen) ist übrigens nicht gewährt worden:

„3. Gründe, die es gebieten könnten, wegen der Fristversäumnis von Amts wegen Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren (§ 45 Abs. 2 Satz 3 StPO), sind nicht erkennbar. Zwar lässt sich der Verfügung des Vorsitzenden der Jugendkammer I vom 3. März 2016 (Bl. 74 Rs des Bewährungshefts) und dem übrigen Inhalt der Akte nicht entnehmen, dass der Verurteilte – neben der formlosen Übersendung einer Abschrift der Entscheidung an ihn – von der an den Wahlverteidiger erfolgten Zustellung des Widerrufsbeschlusses unterrichtet wurde, was – über den Wortlaut des § 145a Abs. 3 Satz 1 StPO hinausgehend – in entsprechender Anwendung dieser Vorschrift auch dann geboten ist, wenn – wie hier – nicht aufgrund einer gesetzlichen Zustellungsvollmacht nach § 145a Abs. 1 StPO, sondern aufgrund einer rechtsgeschäftlichen Zustellungsvollmacht wirksam an den Wahlverteidiger zugestellt wird (vgl. Löwe-Rosenberg/Lüderssen/Jahn, StPO, 26. Aufl., § 145a Rn. 13; vgl. auch SK-Wohlers, a. a. O., § 145a Rn. 24); das Unterbleiben der Unterrichtung des Beschuldigten nach § 145a Abs. 3 Satz 1 StPO kann – ebenso wie das Unterlassen der Mitteilung an den Verteidiger nach § 145a Abs. 3 Satz 2 StPO (vgl. hierzu Senatsbeschlüsse vom 11. Mai 2011 – 1 Ws 75/11 – und vom 22. Juni 2011 – 1 Ws 146/11 -) – einen Wiedereinsetzungsgrund darstellen, wenn die Fristversäumung hierauf beruht (vgl. BGH NStZ-RR 2006, 211 f. – juris Rn. 7 f.; Meyer-Goßner/Schmitt, a. a. O., § 44 Rn. 17). Dass der Verurteilte gerade deshalb, weil er nicht über die an den Verteidiger erfolgte Zustellung des Widerrufsbeschlusses unterrichtet wurde, in Unkenntnis über den Beginn der einwöchigen Frist zur Einlegung der sofortigen Beschwerde gegen den Widerrufsbeschluss war, lässt sich jedoch allein anhand des Akteninhalts nicht feststellen.“

Für mich alles nicht so zwingend….

Nochmals Vandalismusschaden: Der „Höllenlärm“ beim Schlagen mit dem „Latthammer“

entnommen wikimedia.org Urheber Mig

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Hier ist ja schon am vergangenen Samstag unter dem Titel Vandalismusschaden am Pkw – wie beweist man den? So jedenfalls nicht ein Posting zum LG Duisburg, Urt. v. 17.04.2014 – 12 S 61/13 – gelaufen. Die Thematik „Vandalismusschaden“ greife ich dann heute noch einmal auf und weise auf das LG Köln, Urt. v. 11.12.2013 – 20 O 434/12 – hin, das sich ebenfalls mit einem (vom Versicherungsnehmer zu beweisenden) Vandalismusschaden befasst. Und auch da hat es nicht „geklappt“. Denn:

„….Vorliegend stehen dem Kläger bereits keine Zeugen zur Verfügung, die bekunden können, das Fahrzeug im relevanten Zeitpunkt vollkommen unbeschädigt und kurze Zeit ,später mit erheblichen Beschädigungen gesehen zu haben. Der Kläger selbst – selbst wenn man seine Anhörung trotz der ihm nicht zuzubilligenden Beweiserleichterungen überhaupt in Betracht zöge — kann nicht einmal einen konkreten Ort Und Zeitpunkt benennen, zu dem die Beschädigungen an seinem Fahrzeug angebracht worden sein sollen: auf dem Parkplatz in der Nähe des Dänischen Bettenlagers oder in der Tiefgarage unter dem Markplatz in Dorsten-Wulfen? Da sich der Kläger zudem zum fraglichen Zeitpunkt räumlich entfernt von seinem Wohnort aufgehalten hat, ist auch sein Hinweis auf die üblichen Neider lebensfremd.

Letztlich kann dies aber alles dahinstehen, Das Gutachten des gerichtsbekannt kompetenten Sachverständigen pp., dessen Ausführungen von den Parteien nicht angegriffen werden, hat festgestellt, dass die Beschädigungen an dem Fahrzeug mittels eines Latthammers verursacht werden sind. Soweit der Kläger dies wiederum einem gezielt agierenden Feind zuschreibt, spricht dagegen bereits der erwähnte Umstand, dass es mehr als unwahrscheinlich ist, dass ein mit einem Latthammer ausgerüsteter „Feind“ hinter dem Kläger herreist, um die fraglichen Schäden an dessen Fahrzeug anzubringen. Wie der Sachverständige weiter nachvollziehbar ausgeführt hat, spricht gegen einen zufälligen Vandalen, dass die Hammerschläge — wie die Versuche gezeigt haben — einen „Höllenlärm“ verursachen, was an einem öffentlichen Platz sicherlich aufgefallen wäre. Der Sachverständige pp. kommt ferner zu dem Ergebnis, dass auf sämtlichen Blechteilen – mit Ausnahme der Motorhaube — jeweils nur ein Schlag platziert worden ist, was einerseits die Instandsetzung und Neulackierung des gesamten Teils begründet, tatsächlich aber mit einem Minimum an Instandsetzungsarbeit bewältigt werden kann. Am linken Vorderrad ist zudem mit besonderer Sorgfalt und Konzentration gearbeitet worden. Auch hat der Schädiger auffallender weise darauf verzichtet, das Material zu durchschlagen, was eine Instandsetzung des betroffenen Teils unmöglich gemacht hätte. Das Kratzspurenbild an Scheinwerfer und Rückleuchte betrifft nur die Randbereiche, so dass die Funktionsfähigkeit dieser Teile nicht beeinträchtigt ist; dazu passt die weitere vom Sachverständigen bei der Nachbesichtigung getroffenen Feststellung, dass diese Teile auch nicht ersetzt worden sind. Insgesamt lässt das Schadenbild den Schluss zu, dass es dem Verursacher darum ging, den Differenzbetrag zwischen ordnungsgemäß kalkuliertem Schaden und tatsächlich ausgeführter Reparatur zu maximieren.“

 

Aus dem Rechtspflegerforum: „Kopiekosten per Fax nachgewiesen“ – geht das?

Ich stöbere ja immer auch mal im Rechtspflegerforum – natürlich unter Klarnamen, denn was habe ich zu bzw. warum soll ich mich verbergen? Dabei geht es mir um die häufig interessanten RVG-Fragen, die die Rechtspfleger und sonstigen Nutzer diskutieren und darum, ob man die mit unserem RVG-Kommentar beantworten kann. Wenn nicht, dann muss und wird an der Stelle „nachgearbeitet“.

Bei meinem Stöbern stoße ich auch immer wieder auf interessante Postings, die sich nicht unbedingt mit dem RVG befassen, aber ebenso interessante andere Gebiete/Fragen enthalten. So vor einiger Zeit auf das Posting, das überschrieben war:

„Kopiekosten per Fax nachgewiesen“ – das man m.E. aber auch mit „Retourkutsche“ oder „Wie man in den Wald hineinruft…“ hätte überschreiben können. In dem Posting berichtet der Fragesteller über Folgendes:

Das hatte ich auch noch nicht: Ich habe den Pflichtverteidiger gebeten, die geltend gemachten Kopiekosten nachzuweisen. Er hat mir darauf per Fax den Aktenauszug geschickt (er möchte ihn nicht zurückgeschickt bekommen…). Es sind also nicht nur die Kopiekosten auf seiner Seite entstanden, sondern auch die Kosten bei uns durch den Ausdruck des Faxes. Habt Ihr so etwas schon mal gehabt? Habt Ihr ihm die notwendigen Kopiekosten gezahlt? Was ist mit den Faxkosten?“

Und darauf hat es dann reichlich  Antworten gegeben, die mich, das räume ich ein, überrascht haben.

Ein die Antworten dann hier als Zitat:

1. „Was ist mit den Faxkosten?
Nichts. Ich sehe hier keinen Auslagentatbestand, insbesondere nicht Ziff. 9000 GKG-KV. Es waren keine Mehrfertigungen zu erstellen, sondern es handelte sich um ein nur an das Gericht gerichtete Schreiben. „

2.„Wie viel Seiten waren es denn?“

3.„Sehe hier dann nur die Möglichkeit die Kopierkosten entsprechend der Notwendigkeit festzusetzen. Hinsichtlich der vom RA verursachten Kosten für das Fax sehe ebenfalls keine Handhabe diese dem RA in Rechnung zu stellen, auch wenn dieses Verhalten aus meiner Sicht nicht so dolle ist.“

4.“…Ich sehe hier keinen Auslagentatbestand, insbesondere nicht Ziff. 9000 GKG-KV. Es waren keine Mehrfertigungen zu erstellen, sondern es handelte sich um ein nur an das Gericht gerichtete Schreiben„…
Jepp. Der RA wurde aufgefordert, die Kopierkosten nachzuweisen – und das hat er getan.“

5.„Ich meine, bei einem 20-Seiten-Fax müssen wir nicht drüber reden (dann allerdings frage ich mich, warum man bei 20 Aktenkopien einen Nachweis anfordert). Angenommen, der hat jetzt 1000 Seiten Akte gefaxt und dafür das Gerichtsfaxgerät 6 Stunden blockiert (+Papier und Toner alle), würde ich schon über eine Reaktion nachdenken. Daher meine Frage in post #2.

Anmerkung: Wo liegt dann eine Anspruchsgrundlage?

6.„Festsetzen und mal mit den Strafrichtern reden. Ein solches Verhalten ist sicherlich einer Karriere als Pflichtverteidiger nicht förderlich. „

7.„Da sieht man mal, welche Blüten das treiben kann. Vielleicht hilft der Fall mal drüber nachzudenken, wie kleinlich man mit Kopierauslagen umgehen sollte.

8.„Darüber hinaus wäre es praxisgerechter, die Ansprüche an die Beweisführung der behaupteten Kopiekosten auf ein Mindestmaß zu reduzieren. Bei extremen Forderungen (kurzer Prozessverlauf, 20 Seiten Gerichtsakte und Abrechnung von 150 Seiten Kopiekosten) würde mir eine plausible Erklärung des Anwalts reichen. Bei 29 Seiten würde ich nicht einmal nachfragen.“

9. „Ich sehe das beim Verteidiger nämlich auch als klaren Fall von Kragen geplatzt, weil zum zigsten Mal an 3 Kopien gezweifelt.

10. „Und sollte mal wirklich einer 1.000 Kopien faxen, weil in einem Umfangsverfahren mit kiloweise Kopien wegen 3 angezweifelten der Nachweis verlangt wurde, würde ich ganz ehrlich nicht unbedingt aufgrund von Ressourcenverschwendung an einer weiteren Berücksichtigung des Verteidigers zweifeln (wie denn bitte eigentlich das, die Jungs werden ja nun mitnichten einfach mal so durchs Gericht zugeteilt – und die Verweigerung des die Beiordnung beantragenden Wahlverteidigers wegen vorhergehenden Ärgers mit Kopierkosten wäre ein trefflicher Revisionsgrund…), sondern auch mal den Sachbearbeiter bei Gericht fragen, inwieweit dieser Aufriss nun ihm zu verdanken ist. „

11. „Das hat der RA fein gemacht. Auf die Idee bin ich noch gar nicht gekommen, die Kopien per Fax nachzuweisen. Kann man ja auch an alle Fax Geräte im Gebäude schicken, falls bei einem der Toner oder das Papier ausgeht……………. „.

 12.„…Wahrscheinlich hätte ich in meiner Anfrage um Nachweisung der gefertigten Kopien durch Vorlage oder (!) Hergabe einer Kopieranweisung o. ä. gebeten.
Bei 29 per Fax nachgewiesenen Kopien würde ich nach Festsetzung lediglich mitteilen, dass der Nachweis der Kopien per Fax eher unüblich ist und ggfs. zukünftig telefonisch oder persönlich kurze Rücksprache erbeten wird. „

 Und ich hatte gepostet:

 „Nette Idee 🙂

Hallo, sind das nicht ein wenig die Geister, die man rief? Ich verstehe immer nicht, warum eigentlich nachgefragt und um die Kopiekosten häufig ein Theater gemacht wird. Betriebswirtschaftlich sinnvoll ist das alles nicht. Ich glaube auch nicht, dass es hilft, den Vordruck zu ändern und die Nachweisform vorzugeben. Ich sehe nämlich dafür im Moment keine Rechtsgrundlage. Oder übersehe ich was?“

Fazit: M.E. für den ein oder anderern Leser wahrscheinlich auch überraschend. Denn es geht in den Antworten nicht bzw. nicht vornehmlich um die Frage bzw. Konstruktionen, wie man denn nun dem Pflichtverteidiger die „Kosten des Ausdrucks des Faxs“ in Rechnung stellen könne, sondern sehr schnell darum, dass man vielleicht bei der Frage des Nachweises großzügiger sein solle. Und das ist doch etwas, über das Verteidiger immer wieder klagen.