Schlagwort-Archive: ärztliche Bescheinigung

Corona II: Ärztliche „Befreiung“ von der Maskenpflicht, oder: Der gemeinsame Aufenthalt von Mobiltelefonen

Bild von Wilfried Pohnke auf Pixabay

Und im zweiten Corona-Posting dann zunächst der OLG Karlsruhe, Beschl. v. 25.04.2022 – 2 Rb 37 Ss 25/22 –, der zu den Anforderungen an eine ärztliche Bescheinigung zur Befreiung von der bußgeldbewehrten Maskenpflicht Stellung nimmt.

Das Amtsgericht hat die Betroffene mit Urteil vom 06.07.2021 wegen einer vorsätzlichen Ordnungswidrigkeit des Nichttragens einer nicht medizinischen Alltagsmaske oder einer vergleichbaren Mund-Nasenbedeckung entgegen der zur Tatzeit gültigen Corona-Verordnung in Baden-Würrtemberg verurteilt. Nach den vom AG getroffenen Feststellungen hielt sich die Betroffene am 12.12.2020 um 13:26 Uhr in den Geschäftsräumen eines Einkaufsmarktes auf, ohne die erforderliche Mund-Nasen-Bedeckung zu tragen. Dabei habe die Betroffene gewusst, dass sie sich in einem Ladengeschäft aufhielt, in dem eine Mund-Nasen-Bedeckung getragen werden muss. Dass der Betroffenen das Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung aus gesundheitlichen oder sonstigen zwingenden Gründen nicht möglich oder zumutbar gewesen sei, habe sie nicht glaubhaft gemacht. Das von ihr vorgelegte ärztliche Attest habe dazu nicht ausgereicht, weil sich aus ihm nicht nachvollziehbar ergebe, welche konkret zu benennenden gesundheitlichen Beeinträchtigungen aufgrund der Verpflichtung zum Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung zu erwarten seien, woraus diese im Einzelnen resultieren, ob und wenn ja welche Vorerkrankungen vorliegen und auf welcher Grundlage der attestierende Arzt zu seiner Einschätzung gelangt sei. Die bloße Feststellung, dass die Betroffene aus medizinischen Gründen keine Mund-Nasen-Bedeckung tragen müsse, genüge insoweit nicht.

Dagegen der Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde. Das OLG hat zugelassen, das amtsgerichtliche Urteil aufgehoben und die Betroffene frei gesprochen. Das OLG nimmt ausführlich zu den Anforderungen an die ärztliche Befreiuung und an die Glaubhaftmachung Stellung. Ich stelle hier nur die Leitsätze des Beschlusses ein, den Rest bitte selbst lesen:

  1. Das Infektionsschutzgesetz enthielt mit den in den §§ 28, 28a, 32, 73 Abs. 1a Nr. 24 getroffenen Regelungen eine ausreichende, verfassungskonforme Ermächtigung für die in § 3 Abs. 1 Nr. 4 CoronaVO vom 30. November 2020 angeordnete Beschränkung (Pflicht zum Tragen einer nicht-medizinischen Alltagsmaske oder einer vergleichbaren Mund-Nasen-Bedeckung in und im Warte- und Zugangsbereich von Einkaufzentren und Ladengeschäften) und deren Bußgeldbewehrung in § 19 Nr. 2 CoronaVO.
  2. Auch ein verwaltungsrechtlicher Erlaubnistatbestand, den eine Straf- oder Bußgeldvorschrift in Bezug nimmt (wie die Bußgeldbewehrung eines Verstoßes gegen die in § 3 Abs. 1 CoronaVO geregelte Maskenpflicht in § 19 Nr. 2 CoronaVO, sofern keiner der Ausnahmetatbestände nach § 3 Abs. 2 CoronaVO vorliegt), unterliegt jedenfalls dann den strengen Beschränkungen des Art. 103 Abs. 2 GG, wenn er zur Ausfüllung der straf- oder bußgeldrechtlichen Blankettnorm herangezogen und damit selbst zum Teil der Straf- bzw. Bußgeldnorm wird.
  3. Allein aus der Verwendung des Begriffs „ärztliche Bescheinigung“ in § 3 Abs. 2 Nr. 2 CoronaVO ist – auch in Verbindung mit dem jedenfalls durch gefestigte Rechtsprechung konkretisierten Begriff der „Glaubhaftmachung“ – für den Normadressaten nicht erkennbar, welche inhaltlichen Anforderungen an eine solche Bescheinigung zu stellen sind.
  4. Eine Auslegung des in § 3 Abs. 2 Nr. 2 CoronaVO verwandten Begriffs „ärztliche Bescheinigung“ dahingehend, dass die Vorlage eines qualifizierten ärztlichen Attests mit Angaben dazu erforderlich sei, welche gesundheitlichen Beeinträchtigungen aufgrund der Verpflichtung zum Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung zu erwarten sind und woraus diese im Einzelnen resultieren, ob und ggf. welche relevanten Vorerkrankungen bestanden und auf welcher Grundlage der attestierende Arzt zu seiner Einschätzung gelangt ist, stellt eine vom Willen des baden-württembergischen Verordnungsgebers offensichtlich abweichende Auslegung der Ausnahmevorschrift dar und verletzt damit das im Straf- und Ordnungswidrigkeitenrecht besondere Geltung beanspruchende Bestimmtheitsgebot aus Ar.t 103 Abs. 2 GG, das die Legislative von Verfassungs wegen verpflichtet, die Grenzen der Strafbarkeit selbst zu bestimmen.

Und als zweite Entscheidung dann noch der AG Dilligen, Beschl. v. 18.02.2022 – 303 OWi 106 Js 123156/21 jug. Den Betroffenen – vier Minderjährige, drei Heranwachsende – ist in dem Verfahren zur Last gelegt worden, am 27.04.2021 um 17:35 Uhr an einem Gemeindeweiher mit mehr als 3 Personen aus verschiedenen Haushalten zusammengekommen zu sein und öffentlich gefeiert zu haben und dadurch gegen die damals geltenden Vorschriften der 12. Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmen-VO verstoßen zu haben. Gegen sie waren Bußgelder zwischen 400,- EUR und 600,- EUR festgesetzt worden. Das AG hat das Verfahren nach § 47 Abs. 2 OWiG eingestellt.

„Die Verfahren waren allesamt gem. § 47 Abs. 2 OWiG einzustellen.

Es bestehen Zweifel, ob sich gegen die Betroffenen ein Tatnachweis würde führen lassen. Der Vorwurf fußt im Wesentlichen nicht auf dem Umstand, dass man vor Ort die Betroffenen selbst angetroffen hat, sondern dass ihre jeweiligen Mobiltelefone am Steg des Weihers durch die Polizei sichergestellt und über die Rufnummer den Betroffenen in der Folge zugeordnet wurden.

Es stellt sich freilich die Frage, wie die Telefone ihren Weg an den Weiher gefunden haben. Die Betroffenen lassen sich jedoch – berechtigt – zur Sache nicht ein und bestreiten ihre Anwesenheit.

Im Rahmen der Betroffenenvernehmungen durch die Polizei wurden nicht in jedem Fall die Erziehungsberechtigten der Betroffenen hinzugezogen, was aber jedenfalls bei den jugendlichen Betroffenen geboten gewesen wäre.

3, § 4, 5 der 12. BayIfSMV untersagten zum fraglichen Zeitpunkt den gemeinsamen Aufenthalt und das Feiern mit mehreren Personen außerhalb des eigenen Hausstandes.

Der gemeinsame Aufenthalt von Mobiltelefonen mehrerer Personen war indes nicht bußgeldbewehrt.

Die weitere Aufklärung des Sachverhaltes erscheint unverhältnismäßig, zumal allen Beteiligten weiterhin ein umfassendes Schweigerecht zusteht, §§ 136, 163 StPO i.V.m. § 46 OWiG, und unmittelbare Tatzeugen nicht vorhanden sind.“

Wenn man es so liest, muss man schon ein wenig schmunzeln über den „gemeinsamen Aufenthalt von Mobiltelefonen mehrerer Personen„. Andererseits ist aber doch ein wenig erschrocken über die Höhe der angeordneten Geldbußen, freut sich dann aber über die „Einsicht“ des AG, das Verfahren einzustellen – und das mit einer „befürwortenden“ Staatsanwaltschaft. Was ist los in Bayern? 🙂

OWi II: Zu Entbindungsantrag/Verwerfungsurteil, oder: Attest, Aufklärungspflicht, Rüge, Entbindungsverzicht

Bild von Arek Socha auf Pixabay

Und im zweiten Posting dann zwei Entscheidungen zum verfahrensrechtlichen Dauerbrenner: Entbindungsantrag und/oder Verwerfung des Einspruchs, also §3 73, 74 OWiG. Beide  vorgestellten Entscheidungen stammen vom KG aus Berlin. Im Einzelnen:

    1. Für eine formgerechte Begründung der Verfahrensrüge der Verletzung des § 74 Abs. 2 OWiG müssen im Fall einer Erkrankung die Art der Erkrankung, die aktuell bestehende Symptomatik und die daraus zur Terminzeit resultierenden konkreten körperlichen oder geistigen Beeinträchtigungen dargelegt werden, die eine Beteiligung an der Hauptverhandlung unmöglich gemacht haben oder unzumutbar erscheinen lassen, und dass dies dem Gericht zum Zeitpunkt der Entscheidung bekannt war oder im Rahmen seiner Aufklärungspflicht hätte bekannt sein müssen.
    2. Ein Betroffener ist nicht zur Glaubhaftmachung oder zum Nachweis der vorgebrachten Entschuldigungsgründe verpflichtet.
    3. Die bloße Mitteilung, der Betroffene sei (verhandlungsunfähig) erkrankt, bietet für sich genommen noch keinen Anhaltspunkt für eine genügende Entschuldigung und Anlass, im Freibeweis Feststellungen zur Verhandlungs(un)fähigkeit des Betroffenen zu treffen.
    4. Eine ärztliche Bescheinigung löst die gerichtliche Aufklärungspflicht aus, weil sich aus ihr in aller Regel hinreichende – wenn auch im Rahmen der gerichtlichen Nachforschungspflicht gegebenenfalls zu verifizierende – Anhaltspunkte für eine genügende Entschuldigung ergeben.
    5. Soweit das Tatgericht trotz einer die „Verhandlungsunfähigkeit“ attestierenden ärztlichen Bescheinigung das Erscheinen des Betroffenen in der Hauptverhandlung für möglich und zumutbar hält, muss es im Urteil darlegen, warum es von der Unrichtigkeit der Bescheinigung überzeugt ist oder warum es die Krankheit in ihren Auswirkungen für so unbedeutend hält, dass sie einer Teilnahme an der Hauptverhandlung nicht entgegensteht.

Ebenso wenig wie ein Verwerfungsurteil nach § 74 Abs. 2 OVVIG bei entschuldigtem Ausbleiben ergehen darf, darf in Abwesenheit des Betroffenen eine Hauptverhandlung durchgeführt werden, wenn er teilnehmen will und ihm ein Erscheinen unmöglich oder unzumutbar ist und er deshalb Terminsverlegung beantragt hat. Das gilt selbst dann, wenn der Betroffene durch einen Verteidiger vertreten, ist, es sei denn, dass dieser sich gleichwohl mit einer Verhandlung in Abwesenheit des Betroffenen einverstanden erklärt.