Und dann habe ich noch etwas Verfahrensrechtliches, nämlich den OLG Koblenz, Beschl. v. 06.10.2025 – 3 Orbs 4 SsRs 29/25 – zum Abwesenheitsverfahren nach § 74 Abs. 1 OWiG. Nichts Dolles, aber immerhin 🙂 .
Der Betroffene ist mit Abwesenheitsurteil wegen fahrlässigen Überschreitens der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften zu einer Geldbuße verurteilt worden. Dagegen die Rechtsbeschwerde, die beim OLG Erfolg hatte:
„Das statthafte (§§ 79 Abs. 1 Satz 2, 80 Abs. 1 OWG), form- und fristgerecht eingelegte und begründete Rechtsmittel hat in der Sache einen jedenfalls vorläufigen Erfolg.
Vorliegend ist die Rechtsbeschwerde gemäß § 80 Abs. 1 Nr. 2 OWiG zuzulassen, weil es geboten ist, das Urteil wegen Versagung des rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) aufzuheben. Die Rüge der Verletzung des rechtlichen Gehörs ist mit dem Vortrag, das Ausgangsgericht habe vor-terminliches Vorbringen des Verteidigers unberücksichtigt gelassen, mit den für eine Verfahrensrüge nach §§ 80 Abs. 3, 79 Abs. 3 OWG, § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO erforderlichen Angaben erhoben und auch in der Sache begründet. Die (zugelassene) Rechtsbeschwerde ist mit der Verletzung des rechtlichen Gehörs ihrerseits begründet.
Die Generalstaatsanwaltschaft hat hierzu ausgeführt:
„Das Amtsgericht verfuhr vorliegend nach § 74 Abs. 1 OWiG, da ausweislich des Protokolls im Hauptverhandlungstermin vom 07.01.2025 weder der von seiner Verpflichtung zu persönlichem Erscheinen entbundene Betroffene noch sein Verteidiger erschienen waren. Wird das Abwesenheitsverfahren nach § 74 Abs. 1 OWiG durchgeführt, so ist der wesentliche Inhalt früherer Vernehmungen des Betroffenen und seine schriftlichen oder protokollierten Erklärungen durch Mitteilung ihres wesentlichen Inhalts oder durch Verlesung in die Hauptverhandlung einzuführen, § 74 Abs. 1 Satz 2 OWiG. Dadurch wird sichergestellt, dass zum Ausgleich für die weitgehende Durchbrechung des das Strafverfahren beherrschenden Mündlichkeitsprinzips alle wesentlichen Erklärungen, die der Betroffene in irgendeinem Stadium des Bußgeldverfahrens zu der gegen ihn erhobenen Beschuldigung abgegeben hat, bei der Entscheidung berücksichtigt werden (vgl. BayObLG, Beschluss vom 03.01.1996, Az. 2 ObOWi 911/95; OLG Celle, Beschluss vom 28.06.2016, 2 Ss (OWi) 125/16; jeweils bei juris). Die Verlesung bzw. Bekanntgabe gehört zu den wesentlichen Förmlichkeiten der Hauptverhandlung im Sinne des § 274 StPO i.V.m. § 71 Abs. 1 OWiG, deren Beobachtung nur durch das Protokoll bewiesen werden kann (BayObLG, a.a.O., m.w.N.). Zu den früheren Vernehmungen des Betroffenen und seinen protokollierten und sonstigen Einlassungen gemäß § 74 Abs. 1 S. 2 OWiG gehören auch Sacheinlassungen des Verteidigers, jedenfalls dann, wenn dieser gemäß § 73 Abs. 3 OWG bevollmächtigt war (OLG Hamburg Beschl. v. 25.5.2023 — 6 ORbs 19/23, BeckRS 2023, 34942, beck-online)
Dass das als Beweisanregung zu verstehende Vorbringen des Betroffenen hinsichtlich des Ergebnisses des von ihm eingebrachten privaten Sachverständigengutachtens sowie der im Schriftsatz enthaltene weitere Vortrag des fehlerhaft um 1 km/h zu gering erfolgten Toleranzabzuges der Geschwindigkeitsmessung nicht in die Hauptverhandlung eingebracht wurde, ergibt sich aus dem Schweigen des Protokolls hierüber. Das Amtsgericht hätte sich jedenfalls in den Urteilsgründen mit dem Vorbringen auseinandersetzen und in einer für das Rechtsbeschwerdegericht nachprüfbaren Weise begründen müssen, weshalb es eine weitere Aufklärung nicht für erforderlich erachtet hat und wie der Vortrag zum fehlerhaften Toleranzabzug bewertet wird. Hierzu wird im angefochtenen Urteil jedoch nichts ausgeführt. So wird der Einwand, es könnte zu einem Übertragungsfehler gekommen sein, nicht angesprochen. Vielmehr geht das Amtsgericht im Urteil trotz der dem Rügevorbringen zu entnehmenden klaren Sachlage hinsichtlich des fehlerhaften Toleranzabzuges und auch der vom Gericht erfolgten Nachermittlungen weiterhin von Geschwindigkeitsüberschreitung von 36 km/h aus, die aus einem fehlerhaftem Toleranzabzug von nur 4 km/h resultiert.
Durch diese Verfahrensweise dürfte dem Betroffenen rechtliches Gehör versagt worden sein.
Das Gebot des rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) soll als Prozessgrundrecht sicherstellen, dass die erlassene Entscheidung frei von Verfahrensfehlern ergeht, welche ihren Grund in unterlassener Kenntnisnahme und Nichtberücksichtigung des Sachvortrags der Parteien haben. Art. 103 Abs. 1 GG verpflichtet daher das Gericht, die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen (vgl. BayObLG, a.a.O., m.w.N.). Der Umstand, dass das Amtsgericht ausweislich des Protokolls der Hauptverhandlung die Beweisanregungen und Einwendungen des Betroffenen weder in die Hauptverhandlung eingeführt noch in den Urteilsgründen sich mit ihm auseinandergesetzt hat, insbesondere im Urteil von einem fehlerhaften Toleranzabzug ausgeht, lässt besorgen, dass es bei seiner Entscheidung die Ausführungen des Verteidigers insoweit nicht zur Kenntnis genommen oder nicht in Erwägung gezogen hat. Damit dürfte der Tatrichter das unabdingbare Maß verfassungsrechtlich verbürgten rechtlichen Gehörs verkürzt haben.“
Diesen zutreffenden Ausführungen schließt sich der Einzelrichter des Senats nach eigener Prüfung an.
Das Urteil beruht auch auf der Verletzung rechtlichen Gehörs. Denn es kann nicht ausgeschlossen werden, dass der Bußgeldrichter unter Berücksichtigung des Vortrags des Betroffenen zu einer anderen Entscheidung gelangt, insbesondere etwa weitere Beweiserhebungen durchgeführt hätte (vgl. OLG Hamburg, Beschl. v. 25.05.2023 – 6 ORbs 19/23, juris). Das angefochtene Urteil ist daher mit den getroffenen Feststellungen aufzuheben und die Sache gemäß § 79 Abs. 6 OWiG zu neuer Verhandlung und Entscheidung an dieselbe Abteilung des Amtsgerichts Simmern/Hunsrück zurückzuverweisen.“



