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OWi III: Abwesenheitsverhandlung im OWi-Verfahren, oder: Schriftliche (Vor)Erklärungen/Sacheinlassungen

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Und dann habe ich noch etwas Verfahrensrechtliches, nämlich den OLG Koblenz, Beschl. v. 06.10.2025 – 3 Orbs 4 SsRs 29/25 – zum Abwesenheitsverfahren nach § 74 Abs. 1 OWiG. Nichts Dolles, aber immerhin 🙂 .

Der Betroffene ist mit Abwesenheitsurteil wegen fahrlässigen Überschreitens der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften zu einer Geldbuße verurteilt worden. Dagegen die Rechtsbeschwerde, die beim OLG Erfolg hatte:

„Das statthafte (§§ 79 Abs. 1 Satz 2, 80 Abs. 1 OWG), form- und fristgerecht eingelegte und begründete Rechtsmittel hat in der Sache einen jedenfalls vorläufigen Erfolg.

Vorliegend ist die Rechtsbeschwerde gemäß § 80 Abs. 1 Nr. 2 OWiG zuzulassen, weil es geboten ist, das Urteil wegen Versagung des rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) aufzuheben. Die Rüge der Verletzung des rechtlichen Gehörs ist mit dem Vortrag, das Ausgangsgericht habe vor-terminliches Vorbringen des Verteidigers unberücksichtigt gelassen, mit den für eine Verfahrensrüge nach §§ 80 Abs. 3, 79 Abs. 3 OWG, § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO erforderlichen Angaben erhoben und auch in der Sache begründet. Die (zugelassene) Rechtsbeschwerde ist mit der Verletzung des rechtlichen Gehörs ihrerseits begründet.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat hierzu ausgeführt:

„Das Amtsgericht verfuhr vorliegend nach § 74 Abs. 1 OWiG, da ausweislich des Protokolls im Hauptverhandlungstermin vom 07.01.2025 weder der von seiner Verpflichtung zu persönlichem Erscheinen entbundene Betroffene noch sein Verteidiger erschienen waren. Wird das Abwesenheitsverfahren nach § 74 Abs. 1 OWiG durchgeführt, so ist der wesentliche Inhalt früherer Vernehmungen des Betroffenen und seine schriftlichen oder protokollierten Erklärungen durch Mitteilung ihres wesentlichen Inhalts oder durch Verlesung in die Hauptverhandlung einzuführen, § 74 Abs. 1 Satz 2 OWiG. Dadurch wird sichergestellt, dass zum Ausgleich für die weitgehende Durchbrechung des das Strafverfahren beherrschenden Mündlichkeitsprinzips alle wesentlichen Erklärungen, die der Betroffene in irgendeinem Stadium des Bußgeldverfahrens zu der gegen ihn erhobenen Beschuldigung abgegeben hat, bei der Entscheidung berücksichtigt werden (vgl. BayObLG, Beschluss vom 03.01.1996, Az. 2 ObOWi 911/95; OLG Celle, Beschluss vom 28.06.2016, 2 Ss (OWi) 125/16; jeweils bei juris). Die Verlesung bzw. Bekanntgabe gehört zu den wesentlichen Förmlichkeiten der Hauptverhandlung im Sinne des § 274 StPO i.V.m. § 71 Abs. 1 OWiG, deren Beobachtung nur durch das Protokoll bewiesen werden kann (BayObLG, a.a.O., m.w.N.). Zu den früheren Vernehmungen des Betroffenen und seinen protokollierten und sonstigen Einlassungen gemäß § 74 Abs. 1 S. 2 OWiG gehören auch Sacheinlassungen des Verteidigers, jedenfalls dann, wenn dieser gemäß § 73 Abs. 3 OWG bevollmächtigt war (OLG Hamburg Beschl. v. 25.5.2023 — 6 ORbs 19/23, BeckRS 2023, 34942, beck-online)

Dass das als Beweisanregung zu verstehende Vorbringen des Betroffenen hinsichtlich des Ergebnisses des von ihm eingebrachten privaten Sachverständigengutachtens sowie der im Schriftsatz enthaltene weitere Vortrag des fehlerhaft um 1 km/h zu gering erfolgten Toleranzabzuges der Geschwindigkeitsmessung nicht in die Hauptverhandlung eingebracht wurde, ergibt sich aus dem Schweigen des Protokolls hierüber. Das Amtsgericht hätte sich jedenfalls in den Urteilsgründen mit dem Vorbringen auseinandersetzen und in einer für das Rechtsbeschwerdegericht nachprüfbaren Weise begründen müssen, weshalb es eine weitere Aufklärung nicht für erforderlich erachtet hat und wie der Vortrag zum fehlerhaften Toleranzabzug bewertet wird. Hierzu wird im angefochtenen Urteil jedoch nichts ausgeführt. So wird der Einwand, es könnte zu einem Übertragungsfehler gekommen sein, nicht angesprochen. Vielmehr geht das Amtsgericht im Urteil trotz der dem Rügevorbringen zu entnehmenden klaren Sachlage hinsichtlich des fehlerhaften Toleranzabzuges und auch der vom Gericht erfolgten Nachermittlungen weiterhin von Geschwindigkeitsüberschreitung von 36 km/h aus, die aus einem fehlerhaftem Toleranzabzug von nur 4 km/h resultiert.

Durch diese Verfahrensweise dürfte dem Betroffenen rechtliches Gehör versagt worden sein.

Das Gebot des rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) soll als Prozessgrundrecht sicherstellen, dass die erlassene Entscheidung frei von Verfahrensfehlern ergeht, welche ihren Grund in unterlassener Kenntnisnahme und Nichtberücksichtigung des Sachvortrags der Parteien haben. Art. 103 Abs. 1 GG verpflichtet daher das Gericht, die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen (vgl. BayObLG, a.a.O., m.w.N.). Der Umstand, dass das Amtsgericht ausweislich des Protokolls der Hauptverhandlung die Beweisanregungen und Einwendungen des Betroffenen weder in die Hauptverhandlung eingeführt noch in den Urteilsgründen sich mit ihm auseinandergesetzt hat, insbesondere im Urteil von einem fehlerhaften Toleranzabzug ausgeht, lässt besorgen, dass es bei seiner Entscheidung die Ausführungen des Verteidigers insoweit nicht zur Kenntnis genommen oder nicht in Erwägung gezogen hat. Damit dürfte der Tatrichter das unabdingbare Maß verfassungsrechtlich verbürgten rechtlichen Gehörs verkürzt haben.“

Diesen zutreffenden Ausführungen schließt sich der Einzelrichter des Senats nach eigener Prüfung an.

Das Urteil beruht auch auf der Verletzung rechtlichen Gehörs. Denn es kann nicht ausgeschlossen werden, dass der Bußgeldrichter unter Berücksichtigung des Vortrags des Betroffenen zu einer anderen Entscheidung gelangt, insbesondere etwa weitere Beweiserhebungen durchgeführt hätte (vgl. OLG Hamburg, Beschl. v. 25.05.2023 – 6 ORbs 19/23, juris). Das angefochtene Urteil ist daher mit den getroffenen Feststellungen aufzuheben und die Sache gemäß § 79 Abs. 6 OWiG zu neuer Verhandlung und Entscheidung an dieselbe Abteilung des Amtsgerichts Simmern/Hunsrück zurückzuverweisen.“

OWi II: (Entschuldigtes) Ausbleiben des Betroffenen, oder: Entbindungsantrag, Krankheit, Entschuldigung

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Und dann im Mittagsposting Entscheidungen zur Verwerfung des Einspruchs wegen Ausbleibens des Betroffenen und zur Entbindung (§§ 73, 74 OWiG). Das ist sicherlich der verfahrensrechtliche Dauerbrenner im OWi-Verfahren. Ich habe dazu heute drei Entscheidungen, alle kommen vom OLG Brandenburg. Und da die Beschlüsse nichts wesentlich Neues aussagen, stelle ich jeweils nur die Leitsätze vor. Es handelt sich um folgende Beschlüsse:

1. Eine Krankheit stellt einen ausreichenden Entschuldigungsgrund dar, wenn sie nach ihrer Art und nach ihren Wirkungen, insbesondere nach dem Umfang der von ihr ausgehenden körperlichen und geistigen Beeinträchtigungen eine Beteiligung an der Hauptverhandlung unzumutbar erscheinen lässt.

2. Ebenso wenig wie z.B. eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung automatisch die Verhandlungsunfähigkeit einschließt, führt nicht jede Erkrankung zur Verhandlungsunfähigkeit eines Betroffenen. Bei der Überprüfung der Verhandlungsfähigkeit kommt es nicht allein auf die medizinische Schwere einer Gesundheitsstörung an. Entscheidend ist vielmehr, in welchem Ausmaß eine Erkrankung die einem Betroffenen in der konkreten Verfahrenssituation zu gewährleistenden Mitwirkungsmöglichkeiten beeinträchtigt. Für die Klärung dieser Rechtsfrage kommt es allein auf die wirkliche Sachlage an; dem Tatgericht steht dabei kein Ermessensspielraum zu. Es ist gehalten, bei Zweifeln an einem berechtigten Fernbleiben im Termin von Amts wegen im Freibeweis, etwa durch Erkundigungen beim behandelnden Arzt oder durch eine amtsärztliche Untersuchung zu klären, ob das Ausbleiben genügend entschuldigt ist.

1. Ein wirksamer Entbindungsantrag nach § 73 Abs. 2 OWiG ist an keine bestimmte Form gebunden. Es reicht, dass das Antragsvorbringen erkennen lässt, dass der Betroffene nicht an der Hauptverhandlung teilnehmen will.

2. Der Betroffene ist nach § 73 Abs. 2 OWG von seiner Anwesenheitspflicht zu entbinden, wenn er sich zur Sache geäußert oder erklärt hat, dass er sich im Termin nicht äußern werde und seine Anwesenheit zur Aufklärung wesentlicher Gesichtspunkte des Sachverhalts (beispielsweise zur Klärung der Identität) nicht erforderlich ist. Dabei ist zu beachten, dass die Entscheidung über den Entbindungsantrag nicht in das Ermessen des Gerichts gestellt ist.

1. Soweit bei der Rüge der Verletzung rechtlichen Gehörs grundsätzlich darzulegen ist, was der Betroffene im Falle der Gewährung rechtlichen Gehörs vorgetragen hätte, erfährt dies dann eine Ausnahme, wenn gerügt wird, die Verwerfung nach § 74 Abs. 2 OWiG beruhe auf einer Missachtung der voraufgegangenen Entbindung des Betroffenen von seiner Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen in der Hauptverhandlung.

2. Ist der Betroffene gemäß § 73 Abs. 1 OWiG von seiner Pflicht zum persönlichen Erscheinen entbunden worden, muss das Amtsgericht, wenn der Betroffene nicht erscheint, nach § 74 Abs. 1 OWG verfahren und die Hauptverhandlung in Abwesenheit des Betroffenen durchführen. Dass ggf. auch der Verteidiger des Betroffenen in der Hauptverhandlung nicht erschienen ist, ist ohne Belang.

 

StPO III: Berufung gegen Abwesenheitsurteil des AG, oder: Wann beginnt die Berufungseinlegungsfrist?

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Im dritten „Berufungs-Posting“ dann noch etwas zur „Berufungseinlegungsfrist“, und zwar in den Fällen, in denen der Verteidiger in der Abwesenheitsverhandlung – nach Einspruch gegen einen Strafbefehl – erklärt hat, mangels Absprache mit der Angeklagten nicht als ihr Vertreter aufzutreten. Frage: Fristbeginn nach   § 314 Abs. 2, 2. Hs. StPO oder nach § 314 Abs. 2, 1. Hs. StPO?

Das LG hatte eine Berufung als verspätet angesehen. Das OLG Celle sagt auf die Beschwerde im OLG Celle, Beschl. v. 11.02.2025 – 2 Ws 334/24: Das geht nach § 314 Abs. 2, 1. Hs. StPO:

„2. Das Landgericht ist zu Unrecht davon ausgegangen, dass die Berufung der Angeklagten verspätet eingelegt worden ist.

Zwar war der seinerzeitige Verteidiger der Angeklagte tatsächlich im Hauptverhandlungstermin anwesend. Es fehlte ihm jedoch, nachdem er erklärt hatte, mangels Absprache mit der Angeklagten nicht als ihr Vertreter aufzutreten, an der erforderlichen Verteidigungsbereitschaft, sodass sich die Rechtsmittelfrist nicht nach § 314 Abs. 2, 2. HS. StPO, sondern nach § 314 Abs. 2, 1. HS StPO bestimmt.

Gem. §§ 412, 329 Abs. 1 StPO ist für den Fall, dass ein Verteidiger mit nachgewiesener Vertretungsvollmacht zu einer umfassenden Vertretung nicht bereit ist, oder er geltend macht, hierzu aus tatsächlichen Gründen (z.B. wegen fehlender Informationen) nicht in der Lage zu sein, der Angeklagte als nicht vertreten bzw. der Verteidiger nicht als erschienener Vertreter des Angeklagten anzusehen (MüKo StPO/Quentin, 2. Aufl. 2024, StPO § 329 Rn. 27, beck-online; Meyer Goßner/Schmitt, StPO, 67. Aufl. 2024, § 329 Rn. 16/ § 412 Rn. 5; OLG Celle, B.  v. 06.10.2016 – 2 Ss 112/16 (nicht veröffentlicht); OLG Hamm, B.v. 10.1.2006 – 2 Ss 509/05, BeckRS 2006, 03029; KG U. v. 18.4.1985 – 1 Ss 329/84, JR 1985, 343).

Für die Beurteilung der Frage, ob die Verkündung des Urteils im Sinne von § 314 Abs. 2 StPO in Abwesenheit des Angeklagten bzw. in Anwesenheit eines Verteidigers mit nachgewiesener Vertretungsvollmacht stattgefunden hat, kann jedoch nichts anderes gelten.

Dafür spricht zunächst der Sinn und Zweck der Vorschrift. § 329 Abs. 1 i.V.m. Abs. 2 S. 1 StPO sollen sowohl das rechtliche Gehör des bzw. der Angeklagten sicherstellen als auch eine effektive Verteidigung gewährleisten (vgl. BeckOK StPO/Eschelbach, 54. Ed. 1.1.2025, StPO § 329 Rn. 1, 2; KK-StPO/Paul, 9. Aufl. 2023, StPO § 329 Rn. 1, 1a). Gleiches gilt auch für § 314 Abs. 2 StPO. Mit diesen Gesetzeszweck wäre es jedoch nicht in Einklang zu bringen, wenn in einem Fall, in dem der Verteidiger aus objektiv nachvollziehbaren Gründen erklärt, mangels Kontakt zu seiner Mandantschaft von der gewährten Vollmacht keinen Gebrauch machen zu können und daher nicht als deren Vertreter aufzutreten, von einer Urteilsverkündung in Anwesenheit eines Verteidigers mit nachgewiesener Vollmacht ausgegangen werden würde. Denn bei fehlender Verteidigungsbereitschaft ist auch im Hinblick auf die Einhaltung der Berufungseinlegungsfrist das rechtliche Gehör bzw. die effektive Verteidigung betroffen.

Allein der Umstand, dass der Verteidiger vorliegend nach dieser Erklärung ausweislich des Protokolls tatsächlich im Sitzungssaal verblieb, vermag daran nichts zu ändern. Gleiches gilt auch für den Umstand, dass vorliegend das Mandat des Verteidigers erst deutlich später gekündigt worden ist.

Daneben spricht dafür auch der nahezu identisch formulierte Wortlaut der beiden Normen. Während es nach § 329 Abs. 1 StPO darauf ankommt, ob ein Verteidiger mit nachgewiesener Vertretungsvollmacht erschienen ist, kommt es für die Bestimmung der Restmittelfrist nach § 314 Abs. 2, 2. HS StPO darauf an, ob ein Verteidiger mit nachgewiesener Vertretungsvollmacht anwesend war. Vor diesem Hintergrund wäre es widersprüchlich, in den Wortlaut von § 329 Abs. 1 StPO das Erfordernis der Verteidigungsbereitschaft hineinzulesen, in den von § 314 Abs. 2, 2. HS StPO hingegen nicht.

Für die oben genannte Auslegung spricht letztlich auch ein Vergleich mit der ähnlich gelagerten Konstellation, dass ein Angeklagter, der sich vor dem Ende der Urteilsverkündung aus dem Saal entfernt oder der entfernt wird, als bei der Verkündung nicht anwesend zu gelten hat und infolgedessen die Revisionseinlegungsfrist nach § 341 Abs. 2 StPO erst mit der Zustellung des Urteils zu laufen beginnt. Die Urteilsverkündung dient insbesondere dazu, den Verfahrensbeteiligten die Kenntnis zu vermitteln, wie das Gericht entschieden und aus welchen Gründen es so erkannt hat (vgl. BGH NStZ 2000, 498, beck-online). Dieser Informationsfunktion würde vorliegend nicht entsprochen, wenn man trotz des unklaren Vertretungsverhältnisses von einem Fall des § 314 Abs. 2, 2. HS StPO ausginge.

3. Angesichts des Umstandes, dass es somit vorliegend nicht auf die Verkündung des Urteils am 04.09.2024, sondern auf die Zustellung an den Verteidiger am 10.09.2024 ankam, war das am 16.09.2024 eingelegte Rechtsmittel nicht verspätet.“

StPO II: Rücknahme der Staatsanwalts-Berufung, oder: Zeitliche Grenze für zustimmungsfreie Rücknahme

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In diesem Posting geht es dann um den OLG Nürnberg, Beschl. v. 16.04.2025 – Ws 258/25 u. Ws 259/25.

Der Angeklagte ist durch das AG wegen vorsätzlicher Körperverletzung verurteilt worden. Gegen das Urteil haben der Angeklagte und die Staatsanwaltschaft – beschränkt auf den Rechtsfolgenausspruch – Berufung eingelegt. In der Berufungshauptverhandlung beim LG erschien der Angeklagte trotz ordnungsgemäßer Ladung ohne ausreichende Entschuldigung nicht, weshalb seine Berufung nach Aufruf der Sache ohne Verhandlung zur Sache gemäß § 329 StPO verworfen wurde.

Den Wiedereinsetzungsantrag des Angeklagten in den vorigen Stand gegen die Versäumnis des Berufungshauptverhandlungstermins hat das LG als unzulässig zurückgewiesen. Die hiergegen gerichtete sofortige Beschwerde des Angeklagten hat das OLG als unbegründet verworfen. Mit Beschluss des BayObLG wurde auch die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des LG als unbegründet verworfen.

Mit Schreiben vom 03.01.2025 hat dann nahm die Staatsanwaltschaft ihre Berufung gegen das Urteil des AG zurückgenommen.

Das LG hat die Kosten der von der Staatsanwaltschaft eingelegten und wieder zurückgenommenen Berufung einschließlich der insoweit dem Angeklagten entstandenen notwendigen Auslagen der Staatskasse auferlegt und im Übrigen entschieden, dass es hinsichtlich der Berufung des Angeklagten bei der Kostenentscheidung des LG-Urteils verbleibe.

Hiergegen legte der Angeklagte sofortige Beschwerde ein und begründete diese damit, dass eine Zustimmung des Angeklagten zur Berufungsrücknahme der Staatsanwaltschaft erforderlich sei. Da eine solche nicht vorliege, sei die Berufung nicht wirksam zurückgenommen worden. Das LG stellte mit Beschluss fest, dass die Staatsanwaltschaft ihre Berufung ohne Zustimmung des Angeklagten wirksam zurückgenommen habe.

Dagegen die sofortige Beschwerde des Angeklagten,die beim OLG Erfolg hatte:

2. Beide Beschwerden haben auch in der Sache Erfolg, da die Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth ihre Berufung mangels hierfür erforderlicher Zustimmung des Angeklagten nicht wirksam zurückgenommen hat.

a) Durch den angefochtenen Beschluss vom 24.02.2025 hat die Berufungskammer entsprechend § 322 StPO deklaratorisch festgestellt, dass die Rücknahmeerklärung der Staatsanwaltschaft wirksam ist und sich infolgedessen deren Rechtsmittel durch Rücknahme erledigt hat (Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 67. Auflage, § 302 Rz. 11a m.w.N).

b) Die Staatsanwaltschaft kann gemäß § 303 StPO ihre Berufung nach dem Beginn der Hauptverhandlung zu dem Rechtsmittel nur mit Zustimmung des Gegners, hier also des Angeklagten, zurücknehmen. Dieses Zustimmungserfordernis gilt ab dem Beginn der ersten Hauptverhandlung für das gesamte Verfahren (vgl. BGHSt 23, 277). Eine Ausnahme besteht nach § 329 Abs. 5 Satz 2, Abs. 1 Satz 1 StPO für den Fall des unentschuldigten Fernbleibens des Angeklagten bei Beginn und gemäß § 329 Abs. 5 Satz 2, Abs. 1 Satz 2 StPO bei Fortführung der Berufungshauptverhandlung.

Von dieser Ausnahmemöglichkeit hat die Staatsanwaltschaft in der Hauptverhandlung am 28.06.2024 keinen Gebrauch gemacht.

c) Mit dem Ende der Hauptverhandlung endete auch die mit § 329 Abs. 5 Satz 2 StPO gewährte ausnahmsweise Möglichkeit für die Staatsanwaltschaft, ihre Berufung ohne Zustimmung des Angeklagten zurückzunehmen. § 329 Abs. 1 StPO begrenzt den Zeitraum, in dem dies unter den jeweiligen Voraussetzungen der Sätze 1 und 2 möglich ist, auf die Dauer der Hauptverhandlung.

Der Senat folgt auf Grundlage des Gesetzeswortlauts der Rechtsprechung des Oberlandesgerichts München (Beschluss vom 24.09.2007, 2 Ws 890/07 K, juris, bestätigt durch den Beschluss des Bayerischen Obersten Landesgerichts vom 29.09.2020, 206 StRR 277/20, Rz. 29, juris), dass die Ausnahmeregelung des § 329 Abs. 5 Satz 2 StPO nicht über die Berufungshauptverhandlung hinaus anzuwenden ist. Dem steht der Ausnahmecharakter dieser Regelung gegenüber der Grundregel des § 303 StPO entgegen, wonach das Zustimmungsbedürfnis ab dem Beginn der ersten Berufungshauptverhandlung dauerhafter Natur bis zum Abschluss des gesamten Verfahrens ist. Ausnahmeregelungen sind eng auszulegen, so dass sich eine Anwendung des § 329 Abs. 5 Satz 2 StPO auf Fälle der Berufungsrücknahme außerhalb der Hauptverhandlung nach geltendem Recht verbietet.

Die davon abweichende Auffassung des Kammergerichts Berlin (Beschluss vom 04.09.2020, 5 Ws 217/19, juris) unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des Landgerichts Dresden (Beschluss 16.11.1998, 8 Ns 103 Js 12674/96), dass die gesetzliche Regelung der Verfahrensbeschleunigung diene und zudem das Nichterscheinen des Angeklagten mit einem Verzicht auf sein Zustimmungsrecht bei Rücknahme der Berufung der Staatsanwaltschaft einhergehe, der auch über die Aussetzung der Hauptverhandlung fortdauere, überzeugt angesichts der klaren gesetzlichen Regelung nicht. Auch wäre das nach Auffassung des Kammergerichts spätere Wiederaufleben des Zustimmungserfordernisses des Angeklagten zu einer Berufungsrücknahme der Staatsanwaltschaft, sobald – etwa im Fall einer erfolgreichen Revision – eine erneute Hauptverhandlung in seiner Anwesenheit beginnt, mit der Rechtswirkung eines wirksamen Verzichts des Angeklagten auf das Zustimmungserfordernis nicht vereinbar.

Auch der Normzweck der Beschleunigung des Verfahrensabschlusses erfordert keine andere Auslegung der Ausnahmevorschrift des § 329 Abs. 5 Satz 2 StPO. Auch wenn das Verfahren mit der Anfrage zur Zustimmung zur Berufungsrücknahme der Staatsanwaltschaft nach der Hauptverhandlung bei dem Angeklagten und, falls er diese nicht erteilt, mit der nochmaligen Anberaumung einer Hauptverhandlung nicht so zügig abgeschlossen wird, wie es ohne das Zustimmungserfordernis wäre, wird ein zeitnaher Abschluss des Verfahrens hierdurch nicht verhindert.

3. Da das Verfahren über die Berufung der Staatsanwaltschaft noch nicht abgeschlossen ist, ist auch der Beschluss des Landgerichts vom 13.01.2025 über die Kosten dieses Verfahrens aufzuheben. Hinsichtlich des Beschwerdeverfahrens ist eine Kostenentscheidung derzeit nicht veranlasst und bleibt der abschließenden Kostenentscheidung im Hauptsacheverfahren vorbehalten.“

OWi II: Rechtliches Gehör des abwesenden Betroffenen, oder: Verlesung früherer Vernehmungen/Erklärungen

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Und dann hier als zweite Entscheidung der OLG Düsseldorf, Beschl. v. 02.10.2024 – IV-2 ORBs 97/24. Es geht auch noch einmal um die Abwesenheitsverhandlung nach § 74 Abs. 1 OWiG.

Der Betroffene hat gegen seine Verurteilung wegen einer Geschwindigkeitsüberschreitung Rechtsbeschwerde eingelegt. Das AG hatte den Betroffenen im Termin der Hauptverhandlung antragsgemäß von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen und hatte in Abwesenheit verhandelt. Das OLG hat das AG-Urteil wegen Versagung des rechtlichen Gehörs aufgehoben.

„2. Die Verfahrensrüge ist auch begründet, da das Amtsgericht das rechtliche Gehör des Betroffenen verletzt hat.

Das Gebot des rechtlichen Gehörs soll als Prozessgrundrecht sicherstellen, dass die erlassene Entscheidung frei von Verfahrensfehlern ergeht, welche ihren Grund in der unterlassenen Kenntnisnahme und Nichtberücksichtigung des Sachvortrags der Parteien haben (BVerfG, Beschluss vom 24. Februar 1992 – 2 BvR 700/91 m. w. N.). Der Grundsatz des rechtlichen Gehörs verpflichtet das Gericht, die Ausführungen des Betroffenen zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen; die wesentlichen, der Rechtsverfolgung und Rechtsverteidigung dienenden Tatsachenbehauptungen müssen in den Entscheidungsgründen verarbeitet werden (vgl. OLG Schleswig, Beschluss vom 23. Juni 2021 – I OLG 95/21; OLG Frankfurt, Beschluss vom 25.Mai 2020 – 1 Ss-OWi 464/20).

Nach diesen Grundsätzen rechtfertigt das Beschwerdevorbringen die Annahme der Verletzung des rechtlichen Gehörs des Betroffenen, da nicht erkennbar ist, dass das Amtsgericht die vor der Hauptverhandlung abgegebenen Erklärungen und Anträge des Betroffenen zur Kenntnis genommen und diese erwogen hat.

Der Betroffene war von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen entbunden worden und im Termin zur Hauptverhandlung weder selbst anwesend, noch war sein Verteidiger erschienen. Der Betroffene hatte aber im Vorfeld der Hauptverhandlung über seinen Verteidiger in einem Schriftsatz vom 16. Februar 2023 verschiedene Anträge gestellt und zum Verfahren vorgetragen, insbesondere Einwendungen hinsichtlich der Geschwindigkeitsmessung vorgebracht.

§ 74 Abs. 1 Satz 1 OWiG bestimmt, dass die Hauptverhandlung dann in Abwesenheit des Betroffenen durchgeführt wird, wenn er – wie hier – nicht erschienen ist und von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen entbunden war. Gemäß § 74 Abs. 1 Satz 2 OWiG sind frühere Vernehmungen des Betroffenen und seine schriftlichen oder protokollierten Erklärungen durch Mitteilung ihres wesentlichen Inhalts oder Verlesung in die Haupthandlung einzuführen. § 74 Abs. 1 Satz 2 OWiG soll sicherstellen, dass zum Ausgleich für die weitgehende Durch-brechung der auch im Bußgeldverfahren zu beachtenden Mündlichkeits- und Unmittelbarkeitsgrundsätze alle wesentlichen Erklärungen, die der Betroffene in ir-gendeinem Stadium des Verfahrens zu der gegen ihn erhobenen Beschuldigung abgegeben hat, im Falle des ihm gestatteten Fernbleibens von der Hauptverhandlung bei der Entscheidung berücksichtigt werden; es handelt sich hierbei um zwingendes Recht (vgl. Senge in: Karlsruher Kommentar zum OWiG, 4. Auflage, § 74 Rn 11 m. w. N.). Hierzu sind auch Sacheinlassungen des Verteidigers zu zählen, jedenfalls dann, wenn dieser, wie vorliegend, gemäß § 73 Abs. 3 OWiG bevollmächtigt war (vgl. Senge, a. O., Rn 10 m. w. N.). Die Verlesung bzw. Bekanntgabe gehört dabei zu den wesentlichen Förmlichkeiten, deren Beobachtung nur durch das Protokoll bewiesen werden kann (vgl. BayObLG, Beschluss vom 3. Januar 1996 – 2 ObOWi 911/95).

Vorliegend lässt weder das Urteil, welches in fehlerhafter Weise keine Gründe enthält, obwohl die Voraussetzungen des § 77b OWiG nicht gegeben waren, noch das Hauptverhandlungsprotokoll eine hinreichende Auseinandersetzung mit den schriftsätzlichen Ausführungen des Betroffenen erkennen.

Ausweislich des Protokolls der Hauptverhandlung vom 17. Februar 2023 ist nur Seite 1 des Schriftsatzes vom 16. Februar 2023, nicht aber der vollständige Schriftsatz zum Gegenstand der Hauptverhandlung gemacht worden. Weiter wird in dem Hauptverhandlungsprotokoll auf den Schriftsatz vom 16. Februar 2023 lediglich bezüglich des Antrags auf Entbindung von der Pflicht zum persönlichen Erscheinen sowie dem Antrag auf Terminverlegung eingegangen.

Dem Hauptverhandlungsprotokoll kann indes nicht entnommen werden, dass das Amtsgericht sich mit dem Antrag auf Einsicht in die im Schriftsatz vom 16. Februar 2023 auf Seite 2 näher bezeichneten Unterlagen, dem Antrag auf Aussetzung der Hauptverhandlung sowie dem diesbezüglich gerügten Verstoß gegen das Recht auf ein faires Verfahren (Seiten 2 bis 5 des Schriftsatzes) auseinandergesetzt bzw. darüber entschieden hat, sowie, dass der Betroffene über seinen Verteidiger die Verletzung des Rechts auf ein faires Verfahren wegen Nichtspeicherung von Messdaten gerügt und der Einführung des Messfotos und des Geschwindigkeitsergebnisses sowie der Verwertung dieser Beweismittel widersprochen (Seiten 5 bis 6 des Schriftsatzes) hat, und dass er zur Unverwertbarkeit der Messung in Bezug auf die Nichteinhaltung des Messbereichs (Seite 6 des Schriftsatzes) und zu einer fehlerhaften und nicht bzw. schlecht sichtbaren Beschilderung vorgetragen hat.

Es ist deshalb zu besorgen, dass das Amtsgericht die Ausführung des Betroffenen nicht ausreichend zur Kenntnis genommen oder bei seiner Entscheidung nicht in Erwägung gezogen hat. Wegen der Verletzung rechtlichen Gehörs war die Rechtsbeschwerde deshalb zuzulassen.

3. Die Rechtsbeschwerde erweist sich aus diesem Grunde auch als begründet.

Das angefochtene Urteil war daher aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieselbe Abteilung des Amtsgerichts Duisburg zurückzuverweisen.

4. Ergänzend ergeht folgender Hinweis:

Vorliegend wird bei erneuter Entscheidung das Vorliegen einer rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung zu prüfen sein, da das Urteil vom 17. Februar 2023 dem Betroffenen (über seinen Bevollmächtigten) erst knapp 16 Monate später – am 10. Juni 2024 – wirksam zugestellt worden ist.

Die im Strafverfahren entwickelten Grundsätze für erhebliche rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerungen (sog. Vollstreckungslösung) finden auch im Bußgeldverfahren Anwendung (vgl. BVerfG, Beschluss vom 2. Juli 2003 – 2 BvR 273/03; Senat, Beschluss vom 6. Dezember 2019 – 2 RBs 171/19; OLG Bamberg, Beschluss vom 4. Dezember 2008 – 3 Ss OWi 1386/08; OLG Hamm, Beschluss vom 11. Februar 2021 – 4 RBs 13/21, OLG Hamburg, Beschluss vom 2. April 2019 – 2 RBs 27/17). Ob eine rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung vorliegt, somit das Verfahren ohne zwingenden Grund für eine nicht unerhebliche Dauer zum Stillstand gekommen ist, hängt von den Umständen des konkreten Einzelfalls ab. Faktoren, die regelmäßig von Bedeutung sind, sind dabei insbesondere der durch eine Verzögerung seitens der Justizorgane verursachte Zeitraum der Verfahrensverlängerung, die Gesamtdauer des Verfahrens, die Schwere des Tatvorwurfs, der Umfang und die Schwierigkeit des Verfahrens seinem Gegenstand nach sowie das Ausmaß der mit der Dauer des schwebenden Verfahrens für den Betroffenen verbundenen besonderen Belastungen (vgl. BVerfG, a. a. O.). Da zur Beurteilung von Verfahrensverzögerungen im Ordnungswidrigkeitenverfahren wegen der im Vergleich zur staatlichen Strafe geringeren Eingriffsintensität aber ein milderer Maßstab anzulegen ist, legt der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz hier Auswirkungen auf den Rechtsfolgenausspruch erst dann nahe, wenn die schuldhafte Verfahrensverzögerung ein Vielfaches der normalen Verjährungsfrist erreicht (vgl. BVerfG, a. a. O., OLG Düsseldorf, Beschluss vom 6. Februar 2008 – IV-5 Ss (OWi) 33/07 – (OWi) 9/08 I).“