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Rechtsbeschwerde III: Zunächst Entbindung von der HV, oder: Gesinnungswandel – ich will doch, bin aber krank

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Und als dritte Entscheidung dann noch ein Beschluss, der vom KG stammt. Da hatte dann aber die Rechtsbeschwerde mal Erfolg.

Das AG hatte nach Einspruch der Betroffenen Termin zur Hazptverhandlung auf den 21.09.2021 anberaumt. Zu dem Termin waren der Betroffene und sein Verteidiger erschienen . Während der Hauptverhandlung ist der Betroffene dann durch Beschluss des AG auf seinen Antrag von der (weiteren) Anwesenheit in der Hauptverhandlung entbunden worden. In deren weiteren Verlauf wurde die Hauptverhandlung unterbrochen und für den 30.09.2021 Termin zur Fortsetzung anberaumt. Bei Wideraufruf der Sache erklärte der Verteidiger dem AG, der Betroffene wolle nun doch zur Hauptverhandlung erscheinen und sich zum Sachverhalt persönlich äußern, sei daran jedoch wegen einer akuten Erkrankung gehindert. Nach einer kurzen Unterbrechung der Hauptverhandlung hat der Verteidiger dem Gericht ein am 30.09.2021 von einer Fachärztin für Allgemeinmedizin erstelltes Attest überreicht, das folgenden Inhalt hat:

“Herr D. ist am heutigen Tage bei mir in der Praxis erschienen und hat folgende Beschwerden mitgeteilt: Husten, Kopf- und Gliederschmerzen, Brustschmerzen bei Atmung und Fieber. Nach einer umfangreichen Untersuchung wurde folgende Diagnose gestellt: akute spastische Bronchitis. Aus ärztlicher Sicht und Beurteilung ist Herr D. vom 30.09.21 bis voraussichtlich zum 06.10.21 verhandlungsunfähig erkrankt.”

Zugleich hat der Verteidiger den Antrag gestellt, die Hauptverhandlung auszusetzen, hilfsweise zu unterbrechen, da der erkrankte Betroffene an der Hauptverhandlung teilnehmen wolle. Daraufhin hat das AG auf § 74 Abs. 1 OWiG verwiesen, weil der Betroffene von seiner Pflicht zum persönlichen Erscheinen entbunden worden sei. Es hat die Hauptverhandlung fortgesetzt und den Betroffenen wegen eines vorsätzlichen Geschwindigkeitsverstoßes zu einer Geldbuße von 240,- EUR verurteilt.

Die Rechtsbeschwerde des Betroffenen hatte Erfolg. Das KG hat im KG, Beschl. v. 17.03.2022 – 3 Ws (B) 37/22 – das AG-Urteil aufgehoben:

„Der Zulassungsantrag und die Rechtsbeschwerde haben Erfolg.

1. Die Rechtsbeschwerde ist gemäß § 80 Abs. 1 Nr. 2 OWiG zuzulassen, weil es geboten ist, das Urteil wegen Versagung des rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) aufzuheben.

a) Die Rüge ist zulässig, insbesondere entspricht sie den Darlegungsanforderungen von §§ 80 Abs. 3 Satz 1 OWiG, 344 Abs. 2 StPO. Danach müssen die den Mangel begründenden Tatsachen so genau bezeichnet und vollständig angegeben werden, dass das Rechtsbeschwerdegericht allein auf Grund der Begründungsschrift ohne Rückgriff auf die Akte erschöpfend prüfen kann, ob ein Verfahrensfehler vorliegt, wenn die behaupteten Tatsachen – ihre Erweisbarkeit vorausgesetzt – zutreffen (vgl. BGH, Beschluss vom 12. März 2013 – 2 StR 34/13 – juris; Senat, Beschlüsse vom 27. Januar 2021 – 3 Ws (B) 7/21 – und 5. Februar 2019 – 3 Ws (B) 3/19 – m.w.N.).

aa) Das Anwesenheitsrecht des Betroffenen wird durch die in § 73 Abs. 2 OWiG geregelte Möglichkeit, den Betroffenen von seiner Pflicht zur Anwesenheit in der Hauptverhandlung nach § 73 Abs. 1 OWiG zu entbinden, nicht berührt (vgl. Seitz/Bauer in Göhler, OWiG 18. Aufl., § 73 Rdn. 17 m.w.N.). Ebenso wenig wie ein Verwerfungsurteil nach § 74 Abs. 2 OWiG bei entschuldigtem Ausbleiben ergehen darf, darf in Abwesenheit des Betroffenen eine Hauptverhandlung durchgeführt werden, wenn er teilnehmen will und ihm ein Erscheinen unmöglich oder unzumutbar ist und er deshalb Terminsverlegung beantragt hat (vgl. OLG Köln, Beschluss vom 20. September 1999 – Ss 452/99 -, juris m.w.N.; BayObLG VRS 50, 224; NStZ 1995, 39; OLG Karlsruhe VRS 59, 450 u. 91, 193; Senge in KK-OWiG 5. Aufl., § 73 Rdn. 9 m.w.N.). Das gilt selbst dann, wenn der Betroffene durch einen Verteidiger vertreten ist, es sei denn, dass dieser sich gleichwohl mit einer Verhandlung in Abwesenheit des Betroffenen einverstanden erklärt (vgl. OLG Köln a.a.O.). Gibt der Betroffene trotz antragsgemäßer Entbindung von der Pflicht zum Erscheinen zu erkennen, dass er von seinem Anwesenheitsrecht in der Hauptverhandlung Gebrauch machen will und ist er dazu ohne eigenes Verschulden außerstande, darf in seiner Abwesenheit nicht nach § 74 Abs. 1 OWiG verhandelt werden (vgl. OLG Düsseldorf NZV 1998, 516; Senge a.a.O. m.w.N.). Krankheit entschuldigt auch in so gelagerten Fällen das Ausbleiben, wenn sie nach Art und Auswirkung eine Beteiligung an der Hauptverhandlung unzumutbar macht; eine Verhandlungsunfähigkeit muss nicht vorliegen (vgl. OLG Köln a.a.O. und VRS 72, 442, 444; 75, 113; 83, 444, 446; OLG Düsseldorf NStZ 1984, 331; OLG Hamm NStZ-RR 1998, 281).

bb) Dem folgend muss das Beschwerdevorbringen Angaben dazu enthalten, dass der Betroffene in einer anberaumten Hauptverhandlung nicht anwesend war, das Gericht aber gleichwohl zur Sache verhandelt hat, obwohl der vom Erscheinen in der Hauptverhandlung entbundene Betroffene dem Gericht seinen Willen, an dieser teilzunehmen, mitgeteilt hat. Daneben muss der Betroffene mitteilen, auf Grund welcher konkreten Tatsachen, die dem Gericht bekannt waren oder zumindest hätten bekannt sein müssen, es für ihn unzumutbar oder unmöglich war, an der Hauptverhandlung teilzunehmen, sowie ob und gegebenenfalls wie er sich in der versäumten Hauptverhandlung verteidigt hätte.

cc) Macht der vom persönlichen Erscheinen entbundene Betroffene geltend, er sei krankheitsbedingt nicht in der Lage gewesen, an der Hauptverhandlung teilzunehmen, kann für die Anforderungen an das Rügevorbringen nichts Anderes gelten als in Fällen von Verwerfungsurteilen nach § 74 Abs. 2 OWiG. Deswegen sind vom Betroffenen die jedenfalls nach allgemeinem Sprachgebrauch zu benennende Art der Erkrankung, die konkrete Symptomatik und die daraus zur Terminszeit resultierenden konkreten körperlichen oder geistigen Beeinträchtigungen vorzutragen (vgl. Senat, Beschlüsse vom 7. Februar 2022 – 3 Ws (B) 328/21 -, juris, 24. Juli 2020 – 3 Ws (B) 166/20 -, 5. Juni 2018 – 3 Ws (B) 161/18 – m.w.N., 24. Oktober 2016 – 3 Ws (B) 504/16 – und 16. Februar 2015 – 3 Ws (B) 80/15 -; OLG Hamm NZV 2014, 140 sowie NZV 2009, 158). Des Weiteren hat der Betroffene bei dieser Rüge vorzutragen, ob das Tatgericht vom Entschuldigungsgrund Kenntnis hatte oder hätte haben müssen oder das Vorbringen rechtsfehlerhaft bewertet hat. Nur wenn die eine dieser Möglichkeiten belegenden tatsächlichen Umstände dargelegt sind, kann das Rechtsbeschwerdegericht beurteilen, ob das Fernbleiben des Betroffenen unverschuldet war (vgl. Senat, Beschluss vom 5. Juni 2018 a.a.O.).

dd) Das Antragsvorbringen erfüllt die dargelegten Voraussetzungen. Insbesondere hat der Betroffene hinreichend dargelegt, wegen seiner dem Amtsgericht bekannten Erkrankung am beabsichtigten Erscheinen im Fortsetzungstermin verhindert gewesen zu sein. Dass der Betroffene den auf seinen Entbindungsantrag erlassenen stattgebenden Beschluss nicht wörtlich wiedergegeben hat, steht der Zulässigkeit seiner Rüge nicht entgegen. Denn zum einen hat das Amtsgericht, wie in der Antragsschrift mitgeteilt, in einem offenkundig vor dem Fortsetzungstermin vom 30. September 2021 verfassten Schreiben an den Betroffenen ausdrücklich auf den am 21. September 2021 erlassenen Entbindungsbeschluss und die dadurch für den Betroffenen entfallene Erscheinenspflicht hingewiesen. Zum anderen ist in den Blick zu nehmen, dass im vorliegenden Fall nicht der Erlass eines Verwerfungsurteils trotz Entbindung des Betroffenen von seiner Erscheinenspflicht gerügt wird, sondern die Verletzung seines Anwesenheitsrechts, die auch dann – und gerade dann – gegeben wäre, wenn das Gericht keinen Entbindungsbeschluss nach § 73 Abs. 2 OWiG erlassen hätte und eine Abwesenheitsentscheidung nach § 74 Abs. 1 Satz 1 OWiG ohnehin ausgeschlossen wäre. Der Mitteilung des Wortlauts der Entbindungsentscheidung bedurfte es daher im vorliegenden Fall nicht.

b) Die Rüge ist auch begründet. Zwar ist der Vortrag des Betroffenen, er sei akut erkrankt gewesen, für sich genommen ohne Aussagekraft. Hinzu tritt jedoch, dass die von der Ärztin mitgeteilte Diagnose akute spastische Bronchitis einen durch die internationale Krankheitsklassifizierung unter ICD-10 J.20 erfassten Krankheitszustand beschreibt, der regelmäßig mit erschwerter Atmung, Kurzatmigkeit, krampfartigem Husten und in der Folge schneller Erschöpfung einhergeht. Bei etwa 90% der Fälle ist die Bronchitis viralen Ursprungs, weswegen erhöhte Ansteckungsgefahr besteht (vgl. Helmholtz Munich in https://www.lungeninformationsdienst.de/krankheiten/virale-infekte/akute-und-chronische-bronchitis/grundlagen/index.html). Hinzu tritt, dass der Betroffene nach der – auch zur Zeit des Fortsetzungstermins gültigen – Verfügung des Präsidenten des Amtsgerichts Tiergarten in Verbindung mit § 12 Abs. 2 der vierten SARS-CoV-2-Infektionsschutzmaßnahmenverordnung des Landes Berlin – vorbehaltlich abweichender sitzungspolizeilicher Anordnungen nach § 176 GVG oder sonstiger verfahrensleitender Maßnahmen des Vorsitzenden – verpflichtet war, im Gerichtsgebäude eine geeignete medizinische Schutzmaske zu tragen, was ihm das Atmen zusätzlich erschwert hätte. Bei einer derartigen Erkrankung war es dem Betroffenen deshalb nicht zuzumuten, zum Fortsetzungstermin zu erscheinen. Das Amtsgericht hätte folglich ohne ihn nicht weiterverhandeln dürfen, sondern wäre stattdessen verpflichtet gewesen, die Hauptverhandlung zumindest (erneut) zu unterbrechen. Dass es dies nicht getan, sondern gleichwohl in Abwesenheit des Betroffenen in der Sache weiterverhandelt hat, erweist sich als Verletzung des dem Betroffenen zustehenden Anwesenheitsrechts und seines damit verknüpften Anspruchs aus Art. 103 Abs. 1 GG auf rechtliches Gehör.

c) Zu keinem anderen Ergebnis käme man, wenn man dem Vortrag des Verteidigers, der Betroffene wolle nun doch an der Hauptverhandlung teilnehmen, den Erklärungswert eines konkludenten Verzichts auf die Entbindung vom persönlichen Erscheinen beimisst (so Seitz/Bauer a.a.O. Rdn. 19). Denn auch dann wäre dem Gericht die Befugnis zur Abwesenheitsverhandlung nach § 74 Abs. 1 OWiG genommen (vgl. Senge a.a.O. Rdn. 21). Das Tatgericht muss in Fällen der Rücknahme des Entbindungsantrags den Entbindungsbeschluss aufheben und ohne (weitere) Verhandlung zur Sache ein Verwerfungsurteil nach § 74 Abs. 2 OWiG erlassen (zur Anwendbarkeit von § 74 Abs. 2 OWiG auf Fortsetzungstermine vgl. Senat, Beschlüsse vom 16. März 2017 – 3 Ws (B) 68/17 – und 5. November 2014 – 3 Ws (B) 575/14 – m.w.N.; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 17. August 2020 – 6 Kart 10/19 (OWi) -; alle juris), wofür aber im vorliegenden Fall – wie bereits dargelegt – mangels unentschuldigten Fernbleibens des Betroffenen kein Raum war. Dass das Amtsgericht gleichwohl weiterverhandelt und ein Sachurteil erlassen hat, erweist sich – wie dargelegt – als rechtswidriger Eingriff in den Anspruch des Betroffenen auf rechtliches Gehör.“

OWI III: Urkunden in der Abwesenheitsverhandlung, oder: Verlesung der Einlassung/eines Telefonvermerks

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Und im dritten Tagesposting dann mal wieder etwas zur sog. Abwesenheitsverhandlung (§ 74 Abs. 1 OWiG). Es geht um die Verlesung der Einlassung der Betroffenen in der OWi-Abwesenheitsverhandlung. Das AG hatte den Betroffenen gem. § 73 OWiG von seiner Anwesenheitspflicht entbunden. In der Hauptverhandlung sind dann u.a. die Einlassung des Betroffenen, die der Verteidiger „namens und in Vollmacht der Betroffenen“ eingereicht hatte, und ein Vermerk eines Behördenmitarbeiters, demzufolge der Bruder der Betroffenen im Ermittlungsverfahren geäußert habe, diese befinde sich mitsamt den Autoschlüsseln in der Türkei, verlesen worden. Danach hat das AG die abwesende Betroffene zu einer Geldbuße von 500 EUR verurteilt worden. Dagegen richtet sich ihre Rechtsbeschwerde. Sie beanstandet, weder ihre Einlassung noch der Vermerk des Verwaltungsbediensteten habe verlesen werden dürfen. Das Rechtsmittel hatte Erfolg beim KG mit dem KG, Beschl. v. 11.02.2022 – 3 Ws (B) 40/22.

Zunächst:

„1. Unzulässig, jedenfalls unbegründet ist allerdings die Verfahrensrüge, das Amtsgericht habe unter Verstoß gegen § 250 StPO (i. V. m. § 71 OWiG) die durch den Verteidiger übersandte Einlassung der Betroffenen verlesen. Diese Beanstandung verkennt, dass das Amtsgericht nach § 74 Abs. 1 OWiG in Abwesenheit der Betroffenen verhandelt hat. § 74 Abs. 1 Satz 2 OWiG enthält hierfür eine Sondervorschrift, welche die Verlesung von Erklärungen des Betroffenen gestattet. Diese gegenüber §§ 71, 77 ff. OWiG, 250 ff. StPO spezialgesetzliche Regelung ermöglicht, dass entgegen dem in § 73 Abs. 1 OWiG enthaltenen Grundsatz der Anwesenheitspflicht überhaupt ohne den Betroffenen verhandelt werden kann.

Auch handelte es sich bei der verlesenen Erklärung um eine solche der Betroffenen. Denn der Verteidiger hatte sie „namens und in Vollmacht“ der Betroffenen und mithin als deren Vertreter abgegeben. Die Auffassung der Rechtsbeschwerde, es handele sich (nur) um eine Erklärung des Verteidigers, ist unzutreffend und eröffnet die Frage, welche (andere) Bedeutung der durch einen zugelassenen Rechtsanwalt abgegebenen Phrase, eine Erklärung werde „namens und in Vollmacht“ einer anderen Person abgegeben, zukommen soll.2

Aber:

„2. Mit der Beanstandung, das Amtsgericht habe unter Verstoß gegen § 77a Abs. 4 OWiG eine behördliche Erklärung verlesen, dringt die Rechtsbeschwerde durch.

a) Die Verfahrensrüge teilt mit, dass das Amtsgericht eine Aktennotiz eines Mitarbeiters des Bezirksamts Lichtenberg verlesen habe, ohne dass hierüber ein förmlicher Beschluss gefasst worden sei und die Verteidigung zugestimmt habe. Nachvollziehbar schildert die Rechtsbeschwerde auch ein Verfahrensgeschehen, das eine konkludent erteilte Zustimmung als fernliegend erscheinen lässt.

b) Die mitgeteilten Verfahrenstatsachen werden durch die positive (Verlesung) und die negative Beweiskraft des Protokolls (Zustimmung und Beschlussfassung) bewiesen.

c) Die Verlesung geschah damit unter Verstoß gegen Verfahrensrecht. Zum einen bedurfte sie nach § 77a Abs. 4 Satz 2 OWiG i. V. m. § 251 Abs. 4 Satz 1 StPO eines förmlichen Beschlusses, der nach §§ 71 OWiG, 273 StPO als wesentliche Förmlichkeit ins Protokoll aufzunehmen gewesen wäre (vgl. Seitz/Bauer in Göhler, OWiG 18. Aufl., § 77a Rn. 20). Zum anderen fehlte es an der nach § 77a Abs. 4 Satz 1 OWiG erforderlichen Zustimmung des Verteidigers.

d) Zutreffend führt die Generalstaatsanwaltschaft zudem aus, dass die Verlesung auch nicht auf §§ 71 OWiG, 256 StPO gestützt werden konnte. Unanwendbar ist zunächst § 256 Abs. 1 Nr. 1a StPO, weil es sich bei einem über ein Telefonat mit einem Zeugen gefertigten Vermerk nicht um ein „Zeugnis“ der Behörde handelt. Zu denken wäre demgegenüber an die Anwendung des § 256 Abs. 1 Nr. 5 StPO (behördliche Erklärungen über Ermittlungshandlungen). Die Vorschrift nimmt aber Vernehmungen ausdrücklich von der Verlesbarkeit aus. Da der Vernehmungsbegriff hier mit guten Gründen weit zu fassen ist (vgl. Meyer/Goßner-Schmitt, StPO 68. Aufl., § 256 Rn. 27), konnte das Amtsgericht den behördlichen Telefonvermerk, der die Aussage eines – zudem zur Verweigerung des Zeugnisses berechtigten – Zeugen enthielt, auch nicht ohne Zustimmung der Verteidigung nach § 256 StPO verlesen.“

OWi III: Das letzte Wort des entbundenen Betroffenen, oder: Hat der „Vertretungsverteidiger“ das letzte Wort?

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Und zum Tagesschluss dann noch eine Entscheidung zu einer verfahrensrechtlichen Frage, nämlich: Muss dem von der Anwesenheitspflicht entbundenen Betroffenen, für den ein Verteidiger mit Vertretungsvollmacht anwesend ist, das letzte Wort gewährt werden?

Das OLG Hamm sagt im OLG Hamm, Beschl. v. 12.04.2022 – 5 RBs 98/22 – nein:

„Ergänzend bemerkt der Senat: Die Rüge der Verletzung der Gewährung des letzten Worts an den Betroffenen greift nicht durch. Soweit der von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen entbundene, in der Hauptverhandlung nicht erschienene Betroffene eine Verletzung des § 258 Abs. 2 StPO i.V.m. § 46 OWiG geltend macht, ist festzustellen, dass sein Verteidiger vor der Urteilsverkündung als letztes gesprochen hat. Da der Betroffene selbst nicht erschienen war, konnte ihm selbst das letzte Wort zwangläufig auch nicht gewährt werden.

Dem mit Vertretungsvollmacht ausgestatteten Verteidiger musste bei Abwesenheit des Betroffenen nicht die Möglichkeit eingeräumt werden, für diesen das letzte Wort zu sprechen. Die auf § 258 Abs. 3 StPO i.V.m. § 46 OWiG gestützte gegenteilige Auffassung des Betroffenen trifft nicht zu. Das letzte Wort ist ein höchstpersönliches Recht des Betroffenen (vgl. BGH NJW 1962, 500, 501), das ihm die Möglichkeit geben soll, sich – unabhängig von dem Schlussvortrag des Verteidigers – mit seinen eigenen Worten abschließend zur Sache zu äußern (OLG Düsseldorf, Beschl. v. 30.03.2020 – IV-2 RBs 47/20 – juris; Bock ZStW 2017, 745, 754; Stuckenberg in: Löwe/Rosenberg, StPO, 26. Aufl., § 258 Rdn. 38 m.w.N.). Dieses Recht ist seiner Natur nach nicht übertragbar. Daher ist der Verteidiger – auch als bevollmächtigter Vertreter des abwesenden Betroffenen – weder zum letzten Wort aufzufordern noch kann er verlangen, nach seinem Schlussvortrag noch ein letztes Wort zu haben (vgl. nur: (KG Berlin, Beschl. v. 30.08.1999 – 2 Ss 161/993 Ws (B) 436/99 -juris; OLG Düsseldorf, Beschl. v. 30.03.2020 – IV-2 RBs 47/20 – juris m. zahlr. w. Nachw.; OLG Koblenz NJW 1978, 2257 – LS -). Die von der Verteidigung vertretene Auffassung, dass der mit Vertretungsmacht ausgestattete Verteidiger das letzte Wort für den nicht erschienenen Angeklagten haben müsse, widerspricht der ständigen höchstrichterlichen und obergerichtlichen Rechtsprechung (vgl. die obigen Nachweise). § 258 Abs. 3 StPO soll sicherstellen, dass (auch) dem Angeklagten – sofern verteidigt neben dem Verteidiger – selbst volle Freiheit zur Äußerung gewährt wird (BGH NJW 1959, 1093). Dieser Zweck zeigt sich darin, dass dort ausdrücklich zwischen dem Angeklagten und seinem Verteidiger differenziert wird und dass „er selbst“ (also der Angeklagte in Person) sich äußern können soll, etwa auch, um eine von seinem Verteidiger abweichende Darstellung zu geben (vgl. BGH NJW 1962, 500, 501). Ob es vor diesem Hintergrund konsequent ist, dass es gleichwohl möglich sein soll, dass der Verteidiger das letzte Wort für den anwesenden Angeklagten (bzw. Betroffenen) wahrnehmen können soll (so: OLG Oldenburg NJW 1957, 839; Bock a.a.O. S. 755) – wofür sprechen könnte, dass der anwesende Angeklagte oder Betroffene dann immer noch zu erkennen geben kann, ob die Äußerungen des Verteidigers seinem Willen entsprechen – kann dahinstehen, denn im vorliegenden Fall war der von der Verpflichtung zum Erscheinen in der Hauptverhandlung entbundene Betroffene nicht anwesend. Soweit der Betroffene meint, dass wegen der dem Verteidiger erteilten Vertretungsmacht die persönlichen Verfahrensrechte auf diesen übergingen und sich insoweit auf die Entscheidung KG Berlin NStZ-RR 2015, 385 bezieht, kann er damit nicht durchdringen. Die Entscheidung bezieht sich nicht auf § 258 Abs. 3 StPO. Die Vertretung des (abwesenden) Betroffenen ist eben bzgl. solcher Verfahrensrechte nicht möglich, die ihm ausdrücklich in Abgrenzung zu seinem Verteidiger (vgl. hierzu: BGH NJW 1963, 259, 260; Ott in: KK-StPO, 8. Aufl., § 258 Rdn. 14) eingeräumt worden sind.“

Gilt dann auch in anderen Fällen der erlaubten Abwesenheit.

OWi II: Zu Entbindungsantrag/Verwerfungsurteil, oder: Attest, Aufklärungspflicht, Rüge, Entbindungsverzicht

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Und im zweiten Posting dann zwei Entscheidungen zum verfahrensrechtlichen Dauerbrenner: Entbindungsantrag und/oder Verwerfung des Einspruchs, also §3 73, 74 OWiG. Beide  vorgestellten Entscheidungen stammen vom KG aus Berlin. Im Einzelnen:

    1. Für eine formgerechte Begründung der Verfahrensrüge der Verletzung des § 74 Abs. 2 OWiG müssen im Fall einer Erkrankung die Art der Erkrankung, die aktuell bestehende Symptomatik und die daraus zur Terminzeit resultierenden konkreten körperlichen oder geistigen Beeinträchtigungen dargelegt werden, die eine Beteiligung an der Hauptverhandlung unmöglich gemacht haben oder unzumutbar erscheinen lassen, und dass dies dem Gericht zum Zeitpunkt der Entscheidung bekannt war oder im Rahmen seiner Aufklärungspflicht hätte bekannt sein müssen.
    2. Ein Betroffener ist nicht zur Glaubhaftmachung oder zum Nachweis der vorgebrachten Entschuldigungsgründe verpflichtet.
    3. Die bloße Mitteilung, der Betroffene sei (verhandlungsunfähig) erkrankt, bietet für sich genommen noch keinen Anhaltspunkt für eine genügende Entschuldigung und Anlass, im Freibeweis Feststellungen zur Verhandlungs(un)fähigkeit des Betroffenen zu treffen.
    4. Eine ärztliche Bescheinigung löst die gerichtliche Aufklärungspflicht aus, weil sich aus ihr in aller Regel hinreichende – wenn auch im Rahmen der gerichtlichen Nachforschungspflicht gegebenenfalls zu verifizierende – Anhaltspunkte für eine genügende Entschuldigung ergeben.
    5. Soweit das Tatgericht trotz einer die „Verhandlungsunfähigkeit“ attestierenden ärztlichen Bescheinigung das Erscheinen des Betroffenen in der Hauptverhandlung für möglich und zumutbar hält, muss es im Urteil darlegen, warum es von der Unrichtigkeit der Bescheinigung überzeugt ist oder warum es die Krankheit in ihren Auswirkungen für so unbedeutend hält, dass sie einer Teilnahme an der Hauptverhandlung nicht entgegensteht.

Ebenso wenig wie ein Verwerfungsurteil nach § 74 Abs. 2 OVVIG bei entschuldigtem Ausbleiben ergehen darf, darf in Abwesenheit des Betroffenen eine Hauptverhandlung durchgeführt werden, wenn er teilnehmen will und ihm ein Erscheinen unmöglich oder unzumutbar ist und er deshalb Terminsverlegung beantragt hat. Das gilt selbst dann, wenn der Betroffene durch einen Verteidiger vertreten, ist, es sei denn, dass dieser sich gleichwohl mit einer Verhandlung in Abwesenheit des Betroffenen einverstanden erklärt.

OWi III: Nochmals Abwesenheit der Betroffenen, oder: Abwesenheitsverhandlung/Verwerfungsurteil

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Und im dritten Posting dann noch einmal Abwesenheit des Betroffenen (§3 73, 74 OWiG), und zwar mit zwei Entscheidungen zur Abwesenheitsverhandlung und zur Begründung der Rechtsbeschwerde gegen ein Verwerfungsurteil. Beide Entscheidungen behandeln „Dauerbrennerfragen“, und zwar:

Hat das AG in einer sog. Abwesenheitsverhandlung nicht frühere Äußerungen und Anträge des Betroffenen zum Gegenstand der Hauptverhandlung gemacht und diese weder in der Hauptverhandlung noch in den Urteilsgründen beschieden, ist das Recht des Betroffenen auf rechtliches Gehör verletzt.

Bei der Verwerfung eines Einspruchs nach § 74 OWiG muss sich das Gericht in den Urteilsgründen mit den Einwendungen und Bedenken gegen eine Verwerfung auseinandersetzen, insbesondere auch mit der Zulässigkeit eines Antrags und dessen Begründung, den Betroffenen von der Verpflichtung zum Erscheinen in der Hauptverhandlung zu entbinden, sowie den Erwägungen zur Ablehnung des Antrags. Das Urteil ist schon dann fehlerhaft, wenn es den Entbindungsantrag des Betroffenen nicht erwähnt.