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StPO III: Mal wieder etwas zum letzten Wort vom BGH, oder: Gewährung von genügend Vorbereitungszeit

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Und dann noch die angekündigte Entscheidung des BGH zum letzten Wort. Es handelt sich um den BGH, Beschl. v. 18.04.2024 – 6 StR 545/23 – mit der Problemati: Genügend Vorbereitungszeit für das letzte Wort?

Das LG hat den Angeklagten wegen versuchten Mordes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung sowie wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Jugendstrafe von fünf Jahren verurteilt. Mit seiner Rüge rügt der Angeklagte eine Verletzung des § 258 Abs. 1 StPO.

Dem liegt folgender Verfahrensgang zugrunde: Dem Angeklagten war mit der Anklageschrift versuchter Totschlag in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zum Nachteil des Adhäsionsklägers H. und gefährliche Körperverletzung zum Nachteil einer weiteren Geschädigten vorgeworfen worden. Der Strafkammervorsitzende terminierte die Hauptverhandlung auf drei Sitzungstage.

Am 2. Sitzungstag erteilte der Vorsitzende um 14:47 Uhr einen rechtlichen Hinweis; demzufolge sollte hinsichtlich der Tat zum Nachteil des Adhäsionsklägers auch eine Verurteilung wegen „tateinheitlichen versuchten Mordes gemäß § 211 Abs. 2 Var. 4 und 5 StGB  – sonstiger niedriger Beweggrund bzw. Heimtücke – in Betracht kommen. Die Vorschrift wurde verlesen, ein Haftbefehl verkündet und der Angeklagte um 14:56 Uhr im Saal verhaftet. Im Haftbefehl wurde der Tatvorwurf zu Fall 1 der Anklageschrift dahin konkretisiert, dass der Angeklagte die ihm zur Last gelegten Messerstiche in Richtung des Oberkörpers des sich „keines Angriffs versehenen und deshalb wehrlosen“ Adhäsionsklägers geführt habe. Ein vom Verteidiger daraufhin gestellter Aussetzungsantrag, gestützt auf die wegen des verschärften Tatvorwurfs notwendige Vorbereitungszeit, wurde zurückgewiesen und auch die hilfsweise begehrte Unterbrechung für die Dauer von einer Woche abgelehnt. Es seien keine neuen Tatsachen oder tatsächlichen Verhältnisse in der Hauptverhandlung aufgetreten, die der Angeklagte nicht bereits der Anklageschrift oder dem Eröffnungsbeschluss habe entnehmen können. Die Hauptverhandlung wurde um 15:16 Uhr bis zum nächsten Sitzungstag unterbrochen.

Am Morgen des folgenden Tages wurde die Hauptverhandlung fortgesetzt. Nach weiteren Beweiserhebungen, insbesondere Vernehmungen von Zeugen und Sachverständigen, wurde die Beweisaufnahme „im allseitigen Einverständnis“ geschlossen. Der Verteidiger beantragte um 14:15 Uhr zur Vorbereitung auf den Schlussvortrag eine Unterbrechung der Hauptverhandlung bis zu einem weiteren, noch abzustimmenden Sitzungstag. Er sehe sich eingedenk des Verfahrensablaufs, namentlich des gerichtlichen Hinweises, der Verhaftung seines Mandanten im Sitzungssaal und der bis 14:10 Uhr durchgeführten Beweisaufnahme nicht in der Lage, sachgerecht zu plädieren. Den Antrag wies der Vorsitzende unter Hinweis auf die Gründe der abgelehnten Aussetzung vom vorangegangenen Sitzungstag zurück. Es seien „netto drei Stunden“ verhandelt worden, sodass keine Gründe ersichtlich seien, die einen Schlussvortrag nicht zuließen. Diese Anordnung wurde von der Kammer sodann bestätigt. Nach den Schlussvorträgen wurde das angefochtene Urteil verkündet.

Und es kommt, was m.E. kommen musste: Der BGH hat aufgehoben:

„2. Die Rüge der Verletzung des § 258 Abs. 1 StPO ist begründet. Auf die ebenfalls beanstandeten mehrfachen Verletzungen des § 265 Abs. 1 StPO kommt es deshalb ebenso wie auf die sachlich-rechtlichen Beanstandungen nicht an.

a) Der Angeklagte erhält durch § 258 Abs. 1 StPO das Recht, nach Beendigung der Beweisaufnahme und vor der endgültigen Entscheidung des Gerichts zum gesamten Sachverhalt und zu allen Rechtsfragen des Verfahrens Stellung zu nehmen. Die Vorschrift dient damit unmittelbar der Gewährleistung des durch Art. 103 Abs. 1 GG garantierten Anspruchs auf rechtliches Gehör (vgl. BVerfGE 54, 140, 141 f.; Remmert in Dürig/Herzog/Scholz, GG, 103. EL, Art. 103 Abs. 1 Rn. 66). Zur Ausübung dessen kann der Angeklagte sich – wie in § 258 Abs. 3 StPO vorausgesetzt – eines Verteidigers bedienen (vgl. KK-StPO/Tiemann, 9. Aufl., § 258 Rn. 5). Dieses Recht erschöpft sich aufgrund seiner überragenden Bedeutung nicht in der bloßen Möglichkeit zur Äußerung; vielmehr muss den Verfahrensbeteiligten eine wirksame Ausübung ermöglicht werden (vgl. BeckOK-StPO/Eschelbach, 50. Ed., § 258 Rn. 14; MüKo-StPO/Niehaus, 2. Aufl., § 258 Rn. 7). Das Gericht ist daher dazu verpflichtet, angemessene Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass die Verfahrensbeteiligten einen Schlussvortrag in der Weise halten können, wie sie ihn für sachdienlich erachten (vgl. BGH, Beschlüsse vom 21. März 1989 – 5 StR 120/88, BGHR StPO § 258 Abs. 1 Schlussvortrag 1; vom 24. Januar 2023 – 3 StR 80/22, NStZ 2023, 437).

Dabei steht es indes nicht im Belieben der Verfahrensbeteiligten, ob und in welchem Umfang eine Vorbereitungszeit zu gewähren ist. Was dazu erforderlich ist, bestimmt sich vielmehr nach den Umständen des Einzelfalls. Danach kann es je nach Umfang und Dauer der Hauptverhandlung sowie dem konkreten Prozessverlauf notwendig sein, zur Ausarbeitung der Schlussvorträge eine angemessene Vorbereitungszeit einzuräumen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 21. März 1989 – 5 StR 120/88, aaO; vom 11. Mai 2005 – 2 StR 150/05, NStZ 2005, 650; vom 24. Januar 2023 – 3 StR 80/22, NStZ 2023, 437; LR/Esser, StPO, 27. Aufl., Art. 6 EMRK Rn. 887 mwN). Ob und gegebenenfalls in welchem Umfang diese zu gewähren ist, hat das Tatgericht nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden, wenn die Verfahrensbeteiligten eine Vorbereitungszeit verlangen. Für die Beurteilung der Angemessenheit derselben kann neben der Komplexität und dem Umfang der Sach- und Rechtslage insbesondere auch relevant sein, dass die Verfahrensbeteiligten bereits zuvor auf den anstehenden Schluss der Beweisaufnahme hingewiesen wurden oder aus anderen Gründen damit rechnen mussten, ihre Plädoyers halten zu müssen (vgl. dazu BGH, Beschluss vom 21. März 1989 – 5 StR 120/88, aaO); in diesem Fall können sie die Zeit zwischen den Hauptverhandlungsterminen bereits zur Vorbereitung ihrer Vorträge und gegebenenfalls erforderlichen Besprechung und Abstimmung mit dem Mandanten nutzen, sodass die Notwendigkeit einer (weiteren) Unterbrechung ganz entfallen oder jedenfalls ihre Dauer kürzer zu bemessen sein kann (vgl. BGH, Beschluss vom 24. Januar 2023 – 3 StR 80/22, aaO).

b) Die vollständige Versagung einer Vorbereitungszeit erweist sich hier als rechtsfehlerhaft.

Zwar konnten die Verfahrensbeteiligten ursprünglich davon ausgehen, dass am letzten von drei terminierten Hauptverhandlungstagen die Beweisaufnahme geschlossen wird und die Schlussvorträge zu halten sind. Da aber entgegen der Ladungsverfügung (§ 214 Abs. 1 StPO) am letzten Sitzungstag ab 9:30 Uhr unter anderem mehrere Zeugen und zwei Sachverständige vernommen wurden, durfte die Strafkammer von den Verfahrensbeteiligten nicht bereits wegen der ursprünglichen Terminierung verlangen, unmittelbar nach dem Schluss der Beweisaufnahme den Verfahrensstoff sachgerecht aufbereitet zu haben (vgl. BGH, Beschluss vom 21. Juli 2020 – 5 StR 236/20, NStZ 2021, 56). Dies gilt erst recht mit Blick darauf, dass der Angeklagte erst am Ende des zweiten von drei Sitzungstagen auf den gravierend verschärften Tatvorwurf des versuchten Mordes hingewiesen und zeitgleich im Saal verhaftet worden war.

Unvertretbar aber war die Versagung jedweder Unterbrechung jedenfalls in der Zusammenschau mit der Bedeutung der Aussage des am letzten Sitzungstag vernommenen Zeugen B. . Dessen Angaben waren nicht allein für den Tötungsvorsatz bedeutsam; besondere Relevanz kam ihnen ausweislich der Urteilsgründe (UA S. 17) und der Anklageschrift (S. 22) für das Tötungsmotiv zu. Damit bestand ein unmittelbarer Zusammenhang zu dem Hinweis auf eine Verurteilung des Angeklagten wegen des höchststrafwürdigen Tötungsverbrechens eines versuchten Mordes aus niedrigen Beweggründen (§ 211 Abs. 2 StGB), der trotz der seit der Anklageerhebung unveränderten Sachlage erst tags zuvor erteilt worden war.

c) Das Urteil beruht auf dem dargelegten Verfahrensfehler (§ 337 Abs. 1 StPO). Es ist nicht ausgeschlossen, dass der Inhalt eines sachgerecht vorbereiteten Schlussvortrags ein für den Angeklagten günstigeres Ergebnis bewirkt hätte.“

StPO I: Selbstläuferrevision: Fehler beim letzten Wort, oder: Wiedereintritt in die Beweisaufnahme

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Und dann heute noch einmal StPO-Entscheidungen.

Den Auftakt mache ich mit dem BGH, Beschl. v. 16.08.2023 – 2 StR 308/22. Mal wieder eine dieser „Selbstläuferrevisionen“. Gerügt worden war die Verletzung des Rechts auf das letzte Wort (§ 258 StPO).

Das Landgericht hat den Angeklagten u.a. wegen dirigistischer Zuhälterei verurteilt sowie Einziehungsentscheidungen getroffen. Die Revision hatte hinsichtlich der Strafaussprüche teilweise Erfolg.

Der Rüge liegt folgendes Verfahrensgeschehen zugrunde:

„Die Beweisaufnahme wurde am 23. Hauptverhandlungstag, dem 7. Dezember 2021, geschlossen. Die Staatsanwaltschaft und die Nebenklägervertreter hielten ihre Plädoyers und stellten ihre Schlussanträge. Dabei beantragte der Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft auch die Einziehung des Wertersatzes von Taterträgen zugunsten der Nebenklägerinnen C. und M. Im darauffolgenden Termin am 13. Dezember 2021 plädierten die Verteidiger des Angeklagten. Dem Angeklagten wurde Gelegenheit gegeben, noch etwas zu seiner Verteidigung zu sagen. Er hatte das letzte Wort. Die Hauptverhandlung wurde sodann unterbrochen; Termin zur Fortsetzung war auf den 22. Dezember 2021 festgesetzt. Einen Tag zuvor ging bei der Strafkammer ein Faxschreiben von Rechtsanwalt D. ein. Er übersandte zwei an den Angeklagten gerichtete Schriftstücke, zum einen einen Anwaltsschriftsatz, mit dem im Auftrag der Nebenklägerin C. ein Schmerzensgeld in Höhe von 30.000 € geltend gemacht wurde, zum anderen einen Antrag auf Prozesskostenhilfe der Nebenklägerin M. zur Durchführung eines Mahnverfahrens über 40.000 €. Rechtsanwalt D. kündigte an, im folgenden Termin den Wiedereintritt in die Beweisaufnahme zu beantragen, um dem Angeklagten Gelegenheit zu geben, die Ansprüche, jedenfalls teilweise, anzuerkennen.

In der Hauptverhandlung vom 22. Dezember 2021 stellte Rechtsanwalt D. einen entsprechenden Antrag. Die Vorsitzende erörterte dies mit den Verfahrensbeteiligten und gab Gelegenheit zur Stellungnahme. Dabei erklärten die Nebenklägerinnen über ihre anwaltlichen Vertreterinnen, nach wie vor keinem Täter-Opfer-Ausgleich zuzustimmen. Die Staatsanwaltschaft sah keinen Bedarf, die Beweisaufnahme noch einmal zu eröffnen. Sodann gab die Vorsitzende bekannt, dass auch die Strafkammer keinen Grund sehe, erneut in die Hauptverhandlung einzutreten. Nach geheimer Beratung wurde sodann das angefochtene Urteil verkündet, ohne dass dem Angeklagten (erneut) das letzte Wort gewährt wurde.

Diese Verfahrensweise verstieß nach Auffassung des BGH gegen § 258 Abs. 2 Halbsatz 2, Abs. 3 StPO:

„Dem Angeklagten hätte nach der Erörterung über den von Rechtsanwalt D. beantragten Wiedereintritt in die Beweisaufnahme erneut Gelegenheit gegeben werden müssen, zu seiner Verteidigung vorzutragen und Ausführungen im Rahmen des letzten Worts zu machen.

a) Nach einem Wiedereintritt in die Verhandlung muss das Gericht die Möglichkeit zu umfassenden Schlussvorträgen und das letzte Wort erneut gewähren, auch wenn er nur einen unwesentlichen Aspekt oder einen Teil der Anklagevorwürfe betrifft, weil jeder Wiedereintritt den vorangegangenen Ausführungen ihre rechtliche Bedeutung als Schlussvorträge und letztes Wort nimmt (vgl. BGH, Beschluss vom 20. September 2017 – 1 StR 391/16, BGHR StPO § 258 Abs. 3 Wiedereintritt 20 Rn. 6; Urteil vom 24. Februar 2022 – 3 StR 202/21, NJW 2022, 1631, 1632). Ein Wiedereintritt in die Verhandlung kann durch eine ausdrückliche Erklärung des Vorsitzenden beziehungsweise des Gerichts oder stillschweigend geschehen (vgl. BGH, Urteil vom 24. Februar 2022 – 3 StR 202/21, NJW 2022, 1631, 1632 f.; Beschluss vom 24. Juni 2014 – 3 StR 185/14, NStZ 2015, 105). Für letzteres genügt jede Betätigung, in welcher der Wille des Gerichts, mit der Untersuchung und der Aburteilung fortzufahren, erkennbar zutage tritt, auch wenn das Gericht darin keine Wiedereröffnung der Verhandlung erblickt oder diese nicht beabsichtigt. Dies ist der Fall bei jedem Vorgang, der die gerichtliche Sachentscheidung auch nur mittelbar beeinflussen könnte, indem er eine tatsächliche oder rechtliche Bewertung des bisherigen Verfahrensergebnisses zum Ausdruck bringt. Auf Umfang und Bedeutung der nochmaligen Verhandlungen kommt es dabei nicht an. Ob ein Wiedereintritt vorliegt, richtet sich nach den konkreten Umständen des Einzelfalls (s. BGH, Urteil vom 24. Februar 2022 – 3 StR 202/21, NJW 2022, 1631, 1633; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 66. Aufl., § 258 Rn. 28). Er kann auch darin liegen, dass Anträge erörtert werden, ohne dass ihnen letztlich stattgegeben wird (BGH, Beschluss vom 20. September 2017 – 1 StR 391/16, NJW 2018, 414, 415; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 66. Aufl., § 258, Rn. 28; Tiemann, in: KK-StPO, 9. Aufl., § 258, Rn. 24).

b) Gemessen daran ist das Landgericht durch die Erörterung mit den Verfahrensbeteiligten über den Antrag von Rechtsanwalt D. , die Beweisaufnahme zu eröffnen, stillschweigend wieder in die Hauptverhandlung eingetreten. Der Antrag zielte darauf ab, dem Angeklagten die Chance einzuräumen, durch eine zumindest teilweise Anerkennung der nunmehr gegen ihn außerhalb der Hauptverhandlung geltend gemachten Ansprüche im Rahmen des Strafverfahrens Schadenswiedergutmachung zu leisten. Er war insoweit darauf gerichtet, Einfluss auf die Strafzumessung durch das Landgericht zu nehmen, das gemäß § 46 Abs. 2 StGB das Verhalten des Angeklagten nach der Tat und dabei insbesondere auch ein Bemühen, den Schaden wiedergutzumachen, in den Blick zu nehmen hatte. Dieser Antrag wurde nicht lediglich entgegengenommen, sondern war im Folgenden förmlicher Gegenstand der Erörterung, wie mit ihm umzugehen sei. Damit ging – da der Gegenstand des Antrags wie ausgeführt die gerichtliche Sachentscheidung zu beeinflussen geeignet war – der (faktische) Wiedereintritt in die Hauptverhandlung einher; belegt wird dies im Übrigen durch den unwidersprochen gebliebenen Vortrag der Revision, die Nebenklägerinnen hätten klargestellt, einem Täter-Opfer-Ausgleich nach wie vor nicht zuzustimmen. Dass dem Antrag letztlich nicht stattgegeben wurde, das Gericht vielmehr ausdrücklich mitteilte, keinen Grund zu sehen, erneut in die Hauptverhandlung einzutreten, ändert an dieser Feststellung nichts (vgl. BGH, Beschluss vom 20. September 2017 – 1 StR 391/16, NJW 2018, 414, 415).

c) Auf dem dargelegten Verfahrensfehler beruhen die Strafaussprüche in den Fällen II.2 bis II.5 der Urteilsgründe, nicht jedoch die ihnen zugrundeliegenden Schuldsprüche.

Der Senat schließt aus, dass der Angeklagte in einem – erneuten – letzten Wort etwas Erhebliches zu den Schuldsprüchen hätte bekunden können. Hingegen ist nicht auszuschließen, dass der Angeklagte, wäre ihm das letzte Wort erneut erteilt worden, Ausführungen gemacht hätte, die die Strafzumessung zu seinen Gunsten beeinflusst hätten (vgl. zum Einverständnis zur förmlichen Einziehung sichergestellter Gegenstände BGH, Beschluss vom 4. Februar 2010 – 1 StR 3/10, NStZ-RR 2010, 152). Dies gilt hier insbesondere mit Blick auf die in dem ursprünglichen Schriftsatz von Rechtsanwalt D. angekündigte (teilweise) Anerkennung der geltend gemachten Schmerzensgeldansprüche. Dies wäre über das bloße in der Hauptverhandlung bereits abgegebene Angebot, Schmerzensgeld zu zahlen, hinausgegangen, insbesondere vor dem Hintergrund, dass der Angeklagte auf die Herausgabe sichergestellten Bargelds in Höhe von 161.500 € auch gegenüber den Nebenklägerinnen M. und C. verzichtet hatte. Dass diese im Übrigen nicht bereit waren, sich weitergehend auf einen Täter-Opfer-Ausgleich einzulassen, ändert nichts daran, dass bereits einer möglichen förmlichen Anerkennung geltend gemachter Ansprüche eine weitergehende strafmildernde Bedeutung zukommen kann.“

StPO I: Das hohe Gut „letztes Wort des Angeklagten“, oder: Letztes Wort, wenn Angeklagter zurückkommt.

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Und heute dann 3 x StPO vom BGH.

Ich beginne mit dem BGH, Beschl. v. 18.04.2023 – 3 StR 10/23. Das LG hatte die Angeklagte S.  wegen unerlaubten Erbringens von Zahlungsdiensten verurteilt. Dagegen die Revision der Angeklagten, die mit der Verfahrenrüge der Verletzung des § 258 Abs. 2 StPO – also letztes Wort – Erfolg hatte:

„2. Die Revision der Angeklagten S. dringt mit der Verfahrensbeanstandung durch, ihr sei entgegen § 258 Abs. 2 StPO nicht das letzte Wort gewährt worden.

a) Der Rüge liegt im Wesentlichen das folgende Geschehen zugrunde:

Die Angeklagte war am 21. Tag der Hauptverhandlung nicht erschienen. Nach einem entsprechenden Beschluss des Landgerichts gemäß § 231 Abs. 2 StPO wurde die Verhandlung ohne sie fortgesetzt. Am selben Tag erhielten die Verteidiger beider Angeklagter und der Mitangeklagten das Wort für ihre Schlussvorträge sowie der Angeklagte und die Mitangeklagten das letzte Wort. Am nächsten Hauptverhandlungstag war die Angeklagte von Beginn an anwesend. Der Vorsitzende verkündete einen Kammerbeschluss und nach Unterbrechung der Verhandlung das Urteil, ohne der Angeklagten das letzte Wort zu erteilen.

b) Diese Verfahrensweise entsprach nicht § 258 Abs. 2 StPO, nach dem der Angeklagten das letzte Wort gebührt.

Danach ist sie gemäß § 258 Abs. 3 StPO auch dann zu befragen, ob sie selbst noch etwas zu ihrer Verteidigung anzuführen habe, wenn ein Verteidiger für sie gesprochen hat. Die zeitweise Verhandlung in ihrer Abwesenheit nach § 231 Abs. 2 StPO enthebt das Landgericht nicht von der Pflicht, der wieder anwesenden Angeklagten das letzte Wort zu erteilen. Kehrt sie in die Hauptverhandlung zurück, nimmt sie ihre Stellung mit allen ihren Rechten wieder ein. Das Recht zur Ausübung des letzten Wortes hat sie nicht dadurch verwirkt, dass sie während eines Verfahrensabschnittes abwesend war, in dem Mitangeklagte Gelegenheit zum letzten Wort hatten. Dem Recht der Angeklagten auf das letzte Wort entspricht die Verpflichtung des Gerichts, nach § 258 Abs. 3 StPO den Angeklagten von Amts wegen Gelegenheit zu geben, sich als Letzte persönlich abschließend zur Sache zu äußern. Das ist angesichts der Bedeutung dieses Rechts selbst dann erforderlich, wenn das Gericht das Beweisergebnis schon abschließend beraten hat und zur Verkündung des Urteils bereit ist (s. insgesamt BGH, Beschluss vom 27. Februar 1990 – 5 StR 56/90, BGHR StPO § 258 Abs. 3 Letztes Wort 2 mwN; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 65. Aufl., § 258 Rn. 20).

Diese Anforderungen wurden nicht eingehalten.

c) Soweit das Urteil die Angeklagte betrifft, beruht es im Sinne des § 337 Abs. 1 StPO auf dem aufgezeigten Verfahrensfehler; denn es ist nicht auszuschließen, dass sie bei Erteilung des letzten Wortes noch Ausführungen gemacht und dies sich auf die Entscheidung des Landgerichts ausgewirkt hätte (vgl. zum Beruhen etwa BGH, Beschlüsse vom 7. Mai 2002 – 3 StR 499/01, wistra 2002, 308; vom 11. März 2014 – 5 StR 70/14, StraFo 2014, 251; vom 20. August 2008 – 5 StR 350/08, NStZ 2009, 50; vom 2. Mai 1989 – 5 StR 154/89, BGHR StPO § 258 Abs. 3 Letztes Wort 1; BVerfG, Beschluss vom 13. Mai 1980 – 2 BvR 705/79, BVerfGE 54, 140, 142; KK-StPO/Tiemann, 9. Aufl., § 258 Rn. 35 f.). Allein daraus, dass die in L.     lebende Angeklagte zu dem auf den Schlussvortrag des Staatsanwalts folgenden Hauptverhandlungstag nicht erschien, ist nicht zu folgern, sie habe wie zuvor von ihrem Schweigerecht Gebrauch machen und sich nicht äußern wollen. So ließ sich etwa der ebenfalls zuvor schweigende Angeklagte erst im Rahmen seines letzten Wortes zur Sache ein.

d) Danach ist die Verurteilung der Angeklagten S. insgesamt mit den zugehörigen Feststellungen aufzuheben…..“

StPO II: Noch einmal das nicht gewährte letzte Wort, oder: Was gehört in die Verfahrensrüge?

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Und als zweite Entscheidugn stelle ich dann den BGH, Beschl. v. 16.08.2022 – 5 StR 101/22 – vor. Es geht mal wieder um das nicht gewährte letzte Wort. Der Angeklagte hatte das mit seiner Revision gegen seine Verurteilung gerügt und hatte damit Erfolg. Ich stelle den Beschluss wegen der Ausführungen des BGH zur Begründung der Verfahrensrüge vor:

„1. Die Rüge einer Verletzung des § 258 Abs. 2 StPO führt zur Aufhebung des Strafausspruchs.

a) Der Verfahrensrüge liegt das folgende Geschehen zugrunde: Am vorletzten Tag der Hauptverhandlung, dem 15. September 2021, hielt – nachdem bereits die Staatsanwaltschaft und die Verteidiger von Mitangeklagten an früheren Tagen plädiert hatten – der Verteidiger des Angeklagten seinen Schlussvortrag. Anschließend erhielten alle – nicht revidierenden – Mitangeklagten das letzte Wort, nicht aber der Angeklagte. Sodann wurde die Hauptverhandlung unterbrochen; im Fortsetzungstermin am 6. Oktober 2021 wurde – ohne dem Angeklagten vorher das letzte Wort zu gewähren – unmittelbar das Urteil verkündet.

b) Die Rüge ist zulässig erhoben (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO). Dem steht insbesondere nicht entgegen, dass die Revision keine ausdrücklichen Angaben dazu gemacht hat, ob der Angeklagte am letzten Tag der Hauptverhandlung tatsächlich anwesend war und nicht nach § 231 Abs. 2 StPO in Abwesenheit gegen ihn verhandelt wurde. Zwar müssen bei einer Verfahrensrüge die den geltend gemachten Verstoß enthaltenden Tatsachen so vollständig und genau dargelegt werden, dass das Revisionsgericht allein auf Grund dieser Darlegung das Vorhandensein eines Verfahrensmangels feststellen kann, wenn die behaupteten Tatsachen bewiesen sind oder bewiesen werden; dabei darf der Beschwerdeführer die ihm nachteiligen Tatsachen nicht übergehen und muss auch die Fakten vortragen, die für das Vorliegen eines Ausnahmetatbestandes sprechen können, der seiner Rüge den Boden entzöge (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Beschluss vom 23. September 2008 – 1 StR 484/08, BGHSt 52, 355, 357 mwN). Hier ist es indes nicht zu einer Abwesenheitsverhandlung gekommen, so dass es eines entsprechenden Vortrags unter dem Gesichtspunkt der Verpflichtung zur Mitteilung rügevernichtender Umstände (vgl. insoweit etwa Cirener, NStZ-RR 2010, 97, 100) nicht bedurfte. Ebensowenig war hier der Vortrag erforderlich, dass „nicht nach § 231 Abs. 2 StPO verfahren worden“ war, denn solche „Negativtatsachen“ sind nur dann mitzuteilen, wenn eine dem geltend gemachten prozessualen Fehler entgegenstehende Verfahrenslage nach der konkreten Fallgestaltung ernsthaft in Frage kommt (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 28. November 1990 – 3 StR 170/90, BGHSt 37, 245, 248; Beschluss vom 5. August 2021 – 4 StR 143/21, NStZ 2022, 126 mwN). So verhielt es sich hier nicht, denn die Anwesenheit des Angeklagten bei Schluss der Beweisaufnahme und Verkündung des Urteils stellt den von der Strafprozessordnung vorgesehenen Normalfall dar; es gab keine Hinweise darauf, dass davon abgewichen worden war.

Des vollständigen Vortrags der dienstlichen Stellungnahmen der Berufsrichter bedurfte es ebenfalls nicht, weil zur Prüfung des Vorhandenseins des Verfahrensmangels der „Hintergrund des Verfahrensgeschehens“ nicht von Bedeutung ist.

c) Der aufgezeigte und durch das Sitzungsprotokoll bewiesene (§ 274 Satz 1 StPO) Verstoß gegen § 258 Abs. 2 StPO führt zur Aufhebung des Urteils im Strafausspruch.

Wie der Generalbundesanwalt zutreffend ausgeführt hat, beruht der Schuldspruch nicht auf dem Verfahrensfehler. Mit Blick auf das Geständnis des Angeklagten, die geständigen Einlassungen der Nichtrevidenten und die übrigen Beweismittel ist auszuschließen, dass das Landgericht bei Gewährung des letzten Worts insoweit zu einer anderen Entscheidung gelangt wäre (vgl. BGH, Beschluss vom 11. Mai 2017 – 1 StR 35/17, NStZ 2018, 290, 291). Auch die Revision trägt mit der Erwägung, der Angeklagte hätte sich möglicherweise bei Geschädigten in den Fällen 1 und 3 der Urteilsgründe entschuldigt, nur für den Strafausspruch relevante Umstände vor. Insoweit kann der Revision der Erfolg allerdings nicht versagt bleiben; der Senat kann nicht ausschließen, dass der Angeklagte in seinem letzten Wort Ausführungen gemacht hätte, die den Strafausspruch hätten beeinflussen können.“

OWi III: Das letzte Wort des entbundenen Betroffenen, oder: Hat der „Vertretungsverteidiger“ das letzte Wort?

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Und zum Tagesschluss dann noch eine Entscheidung zu einer verfahrensrechtlichen Frage, nämlich: Muss dem von der Anwesenheitspflicht entbundenen Betroffenen, für den ein Verteidiger mit Vertretungsvollmacht anwesend ist, das letzte Wort gewährt werden?

Das OLG Hamm sagt im OLG Hamm, Beschl. v. 12.04.2022 – 5 RBs 98/22 – nein:

„Ergänzend bemerkt der Senat: Die Rüge der Verletzung der Gewährung des letzten Worts an den Betroffenen greift nicht durch. Soweit der von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen entbundene, in der Hauptverhandlung nicht erschienene Betroffene eine Verletzung des § 258 Abs. 2 StPO i.V.m. § 46 OWiG geltend macht, ist festzustellen, dass sein Verteidiger vor der Urteilsverkündung als letztes gesprochen hat. Da der Betroffene selbst nicht erschienen war, konnte ihm selbst das letzte Wort zwangläufig auch nicht gewährt werden.

Dem mit Vertretungsvollmacht ausgestatteten Verteidiger musste bei Abwesenheit des Betroffenen nicht die Möglichkeit eingeräumt werden, für diesen das letzte Wort zu sprechen. Die auf § 258 Abs. 3 StPO i.V.m. § 46 OWiG gestützte gegenteilige Auffassung des Betroffenen trifft nicht zu. Das letzte Wort ist ein höchstpersönliches Recht des Betroffenen (vgl. BGH NJW 1962, 500, 501), das ihm die Möglichkeit geben soll, sich – unabhängig von dem Schlussvortrag des Verteidigers – mit seinen eigenen Worten abschließend zur Sache zu äußern (OLG Düsseldorf, Beschl. v. 30.03.2020 – IV-2 RBs 47/20 – juris; Bock ZStW 2017, 745, 754; Stuckenberg in: Löwe/Rosenberg, StPO, 26. Aufl., § 258 Rdn. 38 m.w.N.). Dieses Recht ist seiner Natur nach nicht übertragbar. Daher ist der Verteidiger – auch als bevollmächtigter Vertreter des abwesenden Betroffenen – weder zum letzten Wort aufzufordern noch kann er verlangen, nach seinem Schlussvortrag noch ein letztes Wort zu haben (vgl. nur: (KG Berlin, Beschl. v. 30.08.1999 – 2 Ss 161/993 Ws (B) 436/99 -juris; OLG Düsseldorf, Beschl. v. 30.03.2020 – IV-2 RBs 47/20 – juris m. zahlr. w. Nachw.; OLG Koblenz NJW 1978, 2257 – LS -). Die von der Verteidigung vertretene Auffassung, dass der mit Vertretungsmacht ausgestattete Verteidiger das letzte Wort für den nicht erschienenen Angeklagten haben müsse, widerspricht der ständigen höchstrichterlichen und obergerichtlichen Rechtsprechung (vgl. die obigen Nachweise). § 258 Abs. 3 StPO soll sicherstellen, dass (auch) dem Angeklagten – sofern verteidigt neben dem Verteidiger – selbst volle Freiheit zur Äußerung gewährt wird (BGH NJW 1959, 1093). Dieser Zweck zeigt sich darin, dass dort ausdrücklich zwischen dem Angeklagten und seinem Verteidiger differenziert wird und dass „er selbst“ (also der Angeklagte in Person) sich äußern können soll, etwa auch, um eine von seinem Verteidiger abweichende Darstellung zu geben (vgl. BGH NJW 1962, 500, 501). Ob es vor diesem Hintergrund konsequent ist, dass es gleichwohl möglich sein soll, dass der Verteidiger das letzte Wort für den anwesenden Angeklagten (bzw. Betroffenen) wahrnehmen können soll (so: OLG Oldenburg NJW 1957, 839; Bock a.a.O. S. 755) – wofür sprechen könnte, dass der anwesende Angeklagte oder Betroffene dann immer noch zu erkennen geben kann, ob die Äußerungen des Verteidigers seinem Willen entsprechen – kann dahinstehen, denn im vorliegenden Fall war der von der Verpflichtung zum Erscheinen in der Hauptverhandlung entbundene Betroffene nicht anwesend. Soweit der Betroffene meint, dass wegen der dem Verteidiger erteilten Vertretungsmacht die persönlichen Verfahrensrechte auf diesen übergingen und sich insoweit auf die Entscheidung KG Berlin NStZ-RR 2015, 385 bezieht, kann er damit nicht durchdringen. Die Entscheidung bezieht sich nicht auf § 258 Abs. 3 StPO. Die Vertretung des (abwesenden) Betroffenen ist eben bzgl. solcher Verfahrensrechte nicht möglich, die ihm ausdrücklich in Abgrenzung zu seinem Verteidiger (vgl. hierzu: BGH NJW 1963, 259, 260; Ott in: KK-StPO, 8. Aufl., § 258 Rdn. 14) eingeräumt worden sind.“

Gilt dann auch in anderen Fällen der erlaubten Abwesenheit.