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BtM II: Heimlich Ecstasy-Tablette im Orangensaft, oder: Verbrauchsüberlassung von Betäubungsmitteln

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Und als zweite Entscheidung habe ich dann hier den BGH, Beschl. v. 23.07.2025 – 3 StR 227/25.

Das LG hat den Angeklagten wegen mehrerer Taten verurteilt. Die dagegen vollumfänglich eingelegte Revision hat wegen einer Tat zu einer Änderung des Schuldspruchs geführt.

Nach insoweit vom LG getroffenen Feststellungen hielt sich der Angeklagte, ein Facharzt für Anästhesie, an einem Nachmittag im Herbst 2021 mit der Nebenklägerin – seiner damaligen Lebensgefährtin – in seiner Wohnung auf. Um ihre Bereitschaft zu von ihm gewünschten sexuellen Aktivitäten zu wecken, versetzte er ein Glas Orangensaft heimlich mit Bröseln einer Ecstasy-Tablette und reichte es ihr. In Unkenntnis des Umstandes, dass das Getränk mit einer Droge versetzt war, trank die im Umgang mit Betäubungsmitteln unerfahrene Nebenklägerin einige Schlucke. Sodann bemerkte sie die Krümel in dem Glas und fragte den Angeklagten, was er ihr gegeben habe. Wahrheitswidrig antwortete dieser, er habe zu ihrer Entspannung das Benzodiazepin Dormicum in das Getränk getan. Als die Nebenklägerin, die als ausgebildete Intensivkrankenschwester um die Wirkung von Dormicum wusste, bei sich stark geweitete Pupillen und damit eine mit der Einnahme dieses Medikaments unvereinbare Reaktion bemerkte, räumte der Angeklagte ein, Drogen in das Getränk getan zu haben. Daraufhin geriet die Nebenklägerin in Panik, schloss sich angsterfüllt allein im Schlafzimmer der Wohnung ein und fiel in einen vom Angeklagten billigend in Kauf genommenen starken Drogenrausch mit deutlicher Bewusstseinseintrübung, an dessen Dauer sie sich nachfolgend nicht mehr zu erinnern vermochte.

Das LG hatte den Angeklagten wegen dieser Tat der gefährlichen Körperverletzung in Tateinheit mit „unerlaubtem“ Verabreichen von Betäubungsmitteln schuldig gesprochen. Das beanstandet der BGH:

„aa) Rechtsfehlerfrei ist der Schuldspruch wegen gefährlicher Körperverletzung gemäß § 224 Abs. 1 Nr. 1 Alternative 1, Nr. 3 StGB. Indem der Angeklagte das unwissende Tatopfer veranlasste, das Rauschgift zu sich zu nehmen, brachte er ihr Gift im Sinne des § 224 Abs. 1 Nr. 1 Alternative 1 StGB mittels eines hinterlistigen Überfalls im Sinne des § 224 Abs. 1 Nr. 3 StGB bei. Die Einnahme der Droge führte zu einer erheblichen gesundheitlichen Beeinträchtigung des Tatopfers.

bb) Tateinheitlich hierzu hat sich der Angeklagte wegen Verbrauchsüberlassung von Betäubungsmitteln nach § 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 Buchst. b Alternative 2 BtMG, nicht jedoch – wie von der Strafkammer angenommen – wegen Verabreichens von Betäubungsmitteln gemäß § 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 Buchst. b Alternative 1 BtMG strafbar gemacht. Denn wird ein Betäubungsmittel zum sofortigen Gebrauch an Ort und Stelle hingegeben, ist die Tatbestandsvariante des Überlassens zum unmittelbaren Verbrauch erfüllt (vgl. BGH, Beschlüsse vom 24. Januar 2024 – 3 StR 453/23, StV 2025, 8 Rn. 5 mwN; vom 9. Januar 2024 – 2 StR 443/23, NStZ-RR 2024, 176; vom 8. Februar 2022 – 3 StR 458/21, BGHR BtMG § 29a Abs. 1 Nr. 1 Verbrauchsüberlassung 1 Rn. 7 mwN).

Das gilt auch dann, wenn der Täter – wie hier – einem anderen ein Lebensmittel zum sofortigen Verzehr übergibt, dabei verschweigt, dass dieses Betäubungsmittel enthält, und der Empfänger das Rauschgift daher unwissentlich konsumiert (BGH, Beschluss vom 8. Februar 2022 – 3 StR 458/21, BGHR BtMG § 29a Abs. 1 Nr. 1 Verbrauchsüberlassung 1 Rn. 8). Die Abgrenzung des Tatbestands des Verabreichens von demjenigen der Verbrauchsüberlassung bestimmt sich allein nach dem äußeren Geschehensablauf. Ein Verabreichen ist gegeben, wenn der Täter dem Empfänger das Betäubungsmittel ohne dessen aktive Mitwirkung zuführt, etwa durch Injizieren, Einreiben oder Einflößen (Fremdapplikation; vgl. BGH, Beschluss vom 8. Februar 2022 – 3 StR 458/21, BGHR BtMG § 29a Abs. 1 Nr. 1 Verbrauchsüberlassung 1 Rn. 9; BeckOK BtMG/Hochstein, 27. Ed., § 29 Rn. 597; Patzak/Fabricius/Patzak, BtMG, 11. Aufl., § 29 Rn. 1198; Weber/Kornprobst/Maier, BtMG, 6. Aufl., § 29 Rn. 1538). Übergibt der Täter dagegen einer anderen Person Betäubungsmittel und führt diese sie sich eigenständig zu (Eigenapplikation), ist der Tatbestand der Verbrauchsüberlassung verwirklicht (BGH, Beschluss vom 8. Februar 2022 – 3 StR 458/21, BGHR BtMG § 29a Abs. 1 Nr. 1 Verbrauchsüberlassung 1 Rn. 9; BeckOK BtMG/Hochstein, 27. Ed., § 29 Rn. 601; Patzak/Fabricius/Patzak, BtMG, 11. Aufl., § 29 Rn. 1205 f.; Weber/Kornprobst/Maier, BtMG, 6. Aufl., § 29 Rn. 1544). Darauf, ob der Empfänger Kenntnis davon hat, dass er ein Betäubungsmittel konsumiert, kommt es demgegenüber nicht an (BGH, Beschluss vom 8. Februar 2022 – 3 StR 458/21, BGHR BtMG § 29a Abs. 1 Nr. 1 Verbrauchsüberlassung 1 Rn. 9; BeckOK BtMG/Hochstein, 27. Ed., § 29 Rn. 602; Patzak/Fabricius/Patzak, BtMG, 11. Aufl., § 29 Rn. 1206).“

Sonntagswitz, heute wegen Siebenschläfer zum Wetter

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Und dann haben wir noch den Sonntagswitz. Thema heute: Wetter, da wir ja am 27.06. den Siebenschläfertag hatten und der hat mit Wetter zu tun. Hier kommen dann:

Welcher Tag ist für die Beamten der höchste Feiertag?

Siebenschläfer.


Ein Ehepaar sitzt beim Frühstück.

Sie: „Ich wette, du weißt nicht, was für ein Tag heute ist.“

Er: „Natürlich weiß ich das.“ und geht ins Büro.

Um 10 Uhr kommt ein Strauß Blumen von Fleurop zuhause an, gegen 12: 00 Uhr eine große Schachtel Pralinen und als ob das nicht genug wäre um 15 Uhr ein sauteures Kleid vom Designer.

Natürlich ist die Frau überglücklich und ruft ihren Gatten bei der Arbeit an: „Liebling, ich bin dir so dankbar! Ich hatte in meinem ganzen Leben noch nie so einen schönen Siebenschläfertag!“


Alle beschweren sich wegen dem Wetter.

Außer Germanistik-Studenten, die beschweren sich wegen des Wetters.


Seit Jahrzehnten erklären alle Eltern ihren Kindern: „Esst eure Teller leer, dann wird schönes Wetter!“

Und was haben wir davon? Fette Kinder und Klimaerwärmung!

Strafbefehl II: Falsche Beschluss-Entscheidung des AG, oder: Wird das Verfahren dadurch erledigt?

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Und dann als zweite Entscheidung der LG Nürnberg-Fürth, Beschl. v. 26.05.2025 – 12 Qs 17/25 – mit folgendem Sachverhalt:

Die Angeklagte wurde mit Strafbefehl des AG zu einer Geldstrafe von 70 Tagessätzen zu je 50 EUR verurteilt. Dagegen legte sie mit Schreiben vom 22.12.2024 Einspruch ein. Darin heißt es:

„Berufung gegen die Höhe der verhängten Geldbuße

Gegen mich wurde eine Geldstrafe in Höhe von 70 Tagessätzen verhängt. Der Tagessatz wird auf 50,00 EURO festgesetzt. Die Geldstrafe beträgt somit insgesamt 3.500 EURO. Ich bitte Sie, die Höhe des Bußgeldes herabzusetzen, da ich diesen Betrag derzeit nicht zahlen kann. Jeden Monat haben wir Schwierigkeiten, Zahlungen zu leisten und Lebensmittel bereitzustellen. Aufgrund dieser Situation beantrage ich eine Herabsetzung des Bußgeldes …“

Das AG forderte daraufhin einen Nachweis über die Höhe des bezogenen Arbeitslosengeldes von der Angeklagten, den sie übersandte. Anschließend teilte es der Staatsanwaltschaft mit, dass es das Schreiben vom 22.12.2024 als „beschränkten Einspruch“ auslege und aufgrund der vorgelegten Unterlagen eine Tagessatzhöhe von 40 EUR angemessen erscheine. Die Staatsanwaltschaft stimmte dem zu und erklärte ihr Einverständnis mit einer Entscheidung im Beschlusswege.

Mit Beschluss vom 04.02.2025 änderte das AG den Strafbefehl im Rechtsfolgenausspruch dahingehend ab, dass die Höhe des Tagessatzes 40 EUR beträgt. Zugleich wurde der Angeklagten gestattet, die Geldstrafe in Raten zu bezahlen.

Gegen diesen Beschluss wandte sie sich mit an die Staatsanwaltschaft gerichtetem Schreiben vom 17.02.2025, das dort am 19.02.2025 und – entsprechend weitergeleitet – beim AG am 27.02.2025 einging. Darin bat sie wiederum um Herabsetzung des zu zahlenden Geldbetrages.

Das Amtsgericht legte das Schreiben als sofortige Beschwerde aus und half ihr nicht ab. Das LG hat die sofortige Beschwerde als unzulässig verworfen:

„Die sofortige Beschwerde war als unzulässig zu verwerfen.

Die vom Amtsgericht zutreffend angenommene sofortige Beschwerde war unzulässig, da die Wochenfrist des § 311 Abs. 2 StPO zu ihrer Einlegung bereits am 18.02.2025 abgelaufen war. Ein Angeklagter darf bei der Einlegung eines Rechtsmittels auf die normalen Postlaufzeiten vertrauen (vgl. Kammer, Beschluss vom 23.08.2021 – 12 Qs 57/21, juris Rn. 20 m.w.N.). Bis Ende 2024 konnte er daher damit rechnen, dass ein Brief einen bzw. zwei Werktage nach der Einlieferung beim Empfänger ausgeliefert wird (vgl. § 2 Nr. 3 PUDLF a.F.). Seit dem 01.01.2025 gilt aber die Vorgabe, dass ein Standardbrief erst am dritten bzw. vierten auf den Einlieferungstag folgenden Werktag zugestellt wird (§ 18 Abs. 1 mit § 112 Abs. 4 PostG i.d.F. vom 15.07.2024, BGBl. I Nr. 236). Ob diese Kombination einer verlängerten Auslieferungsfrist mit der knappen Frist für die Einlegung der sofortigen Beschwerde noch die verfassungsrechtlichen Mindeststandards für die Gewährung effektiven Rechtsschutzes wahrt, mag zweifelhaft erscheinen. Denn sieht die Prozessordnung ein Rechtsmittel vor, so darf der Zugang dazu nicht in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise erschwert werden (vgl. BVerfG, Beschluss vom 16.07.2019 – 2 BvR 881/17, juris Rn. 16 m.w.N.). Allerdings kam es hier darauf nicht an, weil das Schreiben der Angeklagten trotz ordnungsgemäßer Rechtsmittelbelehrung an den falschen Adressaten gerichtet war, der keine gemeinsame Briefannahmestelle mit dem Amtsgericht teilt, sodass es auch aus diesem Grunde verspätet an das Amtsgericht weitergeleitet wurde. Für die Fristwahrung maßgeblich war der Zugang dort. Eine Wiedereinsetzung war daher wegen des Verschuldens der Angeklagten ausgeschlossen (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 25.03.2002 – 2 Ws 79/02, juris Rn. 5).

 

Prozessual teilt die Kammer nach alldem nicht die Auffassung des LG Regensburg (Beschluss vom 22.08.2019 – 5 Qs 151/19, juris), wonach aus dem Umstand, dass ein rechtswidrig nach § 411 Abs. 1 Satz 3 StPO ergangener Beschluss das Verfahren nicht abschließt – das wertet die Kammer hier nicht anders (dazu unter III) – zugleich folgt, dass die dagegen eingelegte sofortige Beschwerde ins Leere geht und sich als gegenstandslos erweist (LG Regensburg, aaO Rn. 18). Das Vorliegen einer Beschwerde rechtfertigt erst die Sachbefassung durch das Beschwerdegericht. Was eine „gegenstandslose“ Beschwerde in diesem Kontext bedeuten soll, erschließt sich ebenso wenig, wie dass eine gegenstandslose Beschwerde das Beschwerdegericht instand setzen soll, die Ausgangsentscheidung (deklaratorisch) für gegenstandslos zu erklären.

III.

Kosten waren nicht zu erheben. Die Niederschlagung der Kosten gem. § 21 Abs. 1 Satz 1 GKG kommt in Betracht, wenn diese bei richtiger Sachbehandlung nicht entstanden wären. Das war der Fall.

Eine wirksame Beschränkung des Einspruchs auf die Tagessatzhöhe lag nicht vor. Bei verständiger Würdigung des Schreibens der Angeklagten vom 22.12.2024 ergibt sich zwar, dass der Einspruch auf die Rechtsfolgenseite beschränkt war. Er richtete sich allerdings nicht nur gegen die Tagessatzhöhe. Die verhängte Geldstrafe erschien der Angeklagten insgesamt zu hoch. Die Höhe der Strafe wird durch die Anzahl und die Höhe der Tagessätze bestimmt. Beide Faktoren sind für das von der Angeklagten als zu hart empfundene Ergebnis gleicherweise maßgeblich. Dass die Angeklagte nur den einen Faktor herabgesetzt sehen wollte, den anderen dagegen nicht, dafür ist dem Einspruchsschreiben nichts zu entnehmen.

Mangels wirksamer Beschränkung des Einspruchs nur auf die Tagessatzhöhe war eine Entscheidung des Amtsgerichts im Beschlusswege nicht statthaft. Vielmehr hätte über den Einspruch mündlich verhandelt werden müssen (§ 411 Abs. 1 Satz 2 StPO), zumal auch eine Zustimmung der Angeklagten zur Entscheidung im Beschlusswege (§ 411 Abs. 1 Satz 3 StPO) der Akte nicht entnommen werden kann.

Hätte das Amtsgericht Termin zur Hauptverhandlung anberaumt, hätte die Angeklagte keine Veranlassung gehabt, sich gegen den Beschluss vom 04.02.2025 zu wenden, sodass auch die Kosten des Beschwerdeverfahrens bei richtiger Sachbehandlung nicht entstanden wären. Das Strafverfahren als solches ist durch den rechtswidrigen Beschluss des Amtsgerichts noch nicht abgeschlossen (ebenso LG Regensburg, Beschluss vom 22.08.2019 – 5 Qs 151/19, juris; KK-StPO/Maur, 9. Aufl., § 411 Rn. 9a). Das Amtsgericht wird insoweit in eigener Zuständigkeit das Weitere veranlassen.“

StPO II: Akteneinsichtsrecht für den Nebenkläger, oder: Aussage-gegen-Aussage-Konstellation

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Als zweite Entscheidung dann der OLG Schleswig, Beschl. v. 06.05.2025 – 1 Ws 56/25. Der äußert sich zur Gewährung von Akteneinsicht an den Nebenkläger bei einer Aussage-gegen-Aussage-Konstellation und zum Beschwerderecht des Angeklagten.

Folgender Sachverhalt:

Dem Angeklagten wird u. a. sexuelle Nötigung zum Nachteil der Nebenklägerin vorgeworfen. Die Strafkammer hat mit Beschluss vom 10.02.2025 das Hauptverfahren eröffnet, Haftfortdauer angeordnet und den Anschluss der Zeugin als Nebenklägerin für berechtigt erklärt. Die Hauptverhandlung läuft seit dem 02.05.2025 und ist derzeit bis zum 23.06.2025 geplant. Die Vernehmung der Nebenklägerin als Zeugin ist/war für den 13.05.2025 vorgesehen.

Bereits am 15.11.2024 hatte der Beistand der Nebenklägerin Akteneinsicht beantragt und zugleich versichert, der Nebenklägerin keine Akteninhalte zur Verfügung zu stellen. Am 27.03.2025 hat der Verteidiger in einem Telefongespräch mit dem Vorsitzenden der Gewährung von Akteneinsicht an den Beistand der Nebenklägerin widersprochen und dies mit Schriftsatz vom 07.04.2025 wiederholt.

Der Vorsitzende hat mit Verfügung vom 09.04.2025 Akteneinsicht für den Beistand der Nebenklägerin gewährt und dies dem Angeklagten, dem Verteidiger und dem Beistand der Nebenklägerin zur Kenntnis gegeben. Vor dem Hintergrund der anhängigen Beschwerde vom 14.04.2025 ist die Gewährung von Akteneinsicht auf die Verfügung des Vorsitzenden allerdings noch zurückgestellt worden, zunächst bis zum 30.04.2025 und nunmehr bis zum 06.052025. Damit ist/war die Akteneinsicht für den Beistand der Nebenklägerin faktisch noch nicht durchgeführt.

Das OLG hat die Beschwerde als zulässig, aber als unbegründet angesehen.

Das OLG folgt hinsichtlich des Beschwerderechts des Angeklagten in diesen Fällen der Auffassung in der Rechtsprechung, nach welcher der Angeklagte auch im Falle des Versagungsgrundes nach § 406e Abs. 2 Satz 2 StPO (Gefährdung des Untersuchungszwecks) beschwert ist, wenn dem Verletzten Akteneinsicht gewährt wird. Insoweit verweise ich wegen der Einzelheiten der Begründung auf den verlinkten Volltext.

Zur Begründetheit führt es sodann aus:

„Die Beschwerde ist indes unbegründet.

a) Im maßgeblichen Ausgangspunkt folgt der Senat dabei den in der Entscheidung OLG Braunschweig, Beschluss vom 3. Dezember 2015 ? 1 Ws 309/15, NStZ 2016, 629, niedergelegten Erwägungen (i. Ü. auch Anschluss BGH, Beschluss vom 5. April 2016 – 5 StR 40/16, BeckRS 2016, 07515, OLG Schleswig, Beschluss vom 5. April 2023 – 2 Ws 33/23). Demnach kann in der besonderen Beweiskonstellation „Aussage gegen Aussage“ eine Gefährdung des Untersuchungszwecks nach § 406e Abs. 2 Satz 2 StPO gegeben sein, wenn die Kenntnis des Verletzten vom Akteninhalt die Unbefangenheit, die Zuverlässigkeit oder den Wahrheitsgehalt einer von ihm zu erwartenden Zeugenaussage beeinträchtigen könnte. Dies ist allerdings nicht schon generell und ohne weiteres der Fall. Vielmehr ist dem Vorsitzenden bei seiner Entscheidung darüber, ob einem Akteneinsichtsbegehren § 406e Abs. 2 Satz 2 StPO entgegensteht, auch in dieser Konstellation ein weiter Ermessensspielraum eröffnet [vgl. BGH, Beschluss vom 11. Januar 2005 – 1 StR 498/04; Senat, Beschluss vom 19. Februar 2016 – 1 Ws 59/16 (33/16) -, juris, Rn. 5]. Das Beschwerdegericht trifft eine eigene Ermessensentscheidung. Es ist nicht darauf beschränkt ist, die angefochtene Entscheidung auf Ermessensfehler zu überprüfen.

Bei der Entscheidung gilt:

Eine Gefährdung des Untersuchungszwecks durch Gewährung von Akteneinsicht an den Nebenklägervertreter ist auch bei einer Aussage-gegen-Aussage-Konstellation regelmäßig auszuschließen, wenn der Nebenklägervertreter — wie hier — zusagt, die Akte der vertretenen Person nicht zugänglich zu machen (Anschluss OLG Braunschweig a. a. O.).

Zwar ist eine solche Verzichtserklärung letztlich nicht durchsetzbar, gleichwohl aber durch das Tatgericht im Rahmen der zeugenschaftlichen Befragung des Nebenklägers als Zeuge überprüfbar. Zudem liegt es auch im Interesse des Nebenklägervertreters, den Beweiswert der Angaben seines Mandanten nicht zu gefährden. Darüber hinaus sieht auch das Bundesverfassungsgericht (vgl. BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 21. März 2002 – 1 BvR 2119/01, juris, Rn. 13), dass Rechtsanwälte ihre Aufgaben als vertrauenswürdige Organe der Rechtspflege wahrnehmen, der Rechtsverkehr also in der Regel auf ihre Integrität und Zuverlässigkeit vertrauen darf. Dies im Übrigen, auch unter Berücksichtigung des Vorbringens der Verteidigung in ihrem Schriftsatz vom 2. Mai 2025, soweit es um § 11 Abs. 1 BORA (diese Vorschrift dürfte mit dem von der Verteidigung in Bezug genommenen § 12 Abs. 1 BORA gemeint gewesen sein) und § 1 Abs. 3 Satz 1 BORA geht, die jeweils einer Verzichtserklärung nicht zwingend entgegenstehen.

Dagegen würde ein genereller und letztlich ausnahmsloser Wegfall der Akteneinsicht für den Beistand des Nebenklägers bei Vorliegen einer Aussage-gegen-Aussage-Konstellation (so im Ergebnis HansOLG Hamburg, Beschluss vom 11. November 2022 – 6 Ws 74/22 – „Ermessensreduzierung auf Null“) die Verfahrensbeteiligungsrechte von Verletzten und Nebenklägern in bedenklicher Weise und entgegen den Grundgedanken des 2. Opferrechtsreformgesetzes (BGBl. 2009 I 2280) einschränken. Denn insbesondere das Fragerecht in der Hauptverhandlung kommt nur dann wirksam zur Geltung, wenn etwa Vorhalte getätigt werden können; auch Beanstandungs- und Antragsrechte können von dem Beistand des Nebenklägers nur dann wirksam ausgeübt werden, wenn Aktenkenntnis besteht.

Im Einzelnen:

b) Der Beistand der Nebenklägerin hat vorliegend gemäß § 406?e Abs.1 StPO einen Anspruch auf umfassende Einsicht in die Verfahrensakten. Ein Versagungsgrund, insbesondere ein solcher nach § 406?e Abs. 2 Satz 2 StPO, besteht nicht. Nach dieser Vorschrift kann die Akteneinsicht des Berechtigten versagt werden, soweit der Untersuchungszweck gefährdet erscheint. Dies ist hier nicht der Fall. Der Beschuldigte hatte vor der Akteneinsicht das erforderliche rechtliche Gehör (vgl. BVerfG, Beschluss vom 8. Oktober 2021 – 1 BvR 2192/21).

Vorliegend ist zu beachten, dass den Tatvorwürfen schon nicht durchweg eine Aussage-gegen-Aussage-Konstellation zugrunde liegt. Keine solche, besondere Beweissituation liegt vor, wenn die belastende Aussage — wie hier — durch andere Beweismittel bestätigt wird (vgl. KK-StPO/Tiemann, 9. Aufl. 2023, StPO § 261 Rn. 100). Dies ist bereits der Fall, wenn die Aussage der Belastungszeugin jedenfalls in den Randbereichen durch Bekundungen eines anderen Zeugen bestätigt wird (vgl. BGH, Urteil vom 28. Mai 2003 – 2 StR 486/02, NStZ-RR 2003, 268) oder andere belastende Indizien vorliegen (vgl. BGH, Beschluss vom 2. September 2015 – 2 StR 101/15, NStZ-RR 2016, 87). Vorliegend werden die Angaben der Nebenklägerin sowohl durch Bekundungen anderer Zeugen, als auch durch weitere belastende Indizien bestätigt (vgl. Senat, Beschluss vom 5. März 2025 – 1 Ws 30/25).

Im Übrigen sind die entgegenstehenden Interessen im Rahmen einer Ermessensentscheidung in einen angemessenen Ausgleich zu bringen.

Einzustellen in die Ermessensentscheidung ist zum einen, dass mit dem Grundsatz der Wahrheitsermittlung als Ausfluss seiner Freiheitsrechte nach Art. 2 Abs. 2 S. 2, 20 Abs. 3 und 104 Abs. 1 GG ein sehr hohes Gut zugunsten des Angeschuldigten streitet. Demgegenüber stehen ein Informationsrecht des Verletzten sowie seine Rechte auf Fürsorge, Gleichbehandlung und Menschenwürde, wobei letztere ebenfalls Verfassungsrang (Art. 1 Abs. 1, 2 Abs. 2 S. 2, 3 Abs. 1, 20 Abs. 1, 103 Abs. 1 GG) genießen.

Der Grundsatz der Wahrheitsermittlung bei einer umfassenden Akteneinsicht der Nebenklägerin erscheint im vorliegenden Verfahren kaum nennenswert gefährdet. Vor dem Hintergrund der vorgenannten Erwägungen und auch unter dem Aspekt der Waffengleichheit bedarf der Nebenklägervertreter zur sachgerechten Vorbereitung der Vernehmung seiner Mandantin und zur effektiven Wahrung ihrer Verfahrensrechte und nicht zuletzt unter Opferschutzgesichtspunkten möglichst umfassende Akteneinsicht. Es besteht hier nicht die Besorgnis, dass der Nebenklägervertreter entgegen seiner Zusage die Akten oder Bestandteile hiervon der Nebenklägerin zugänglich machen wird; konkrete tatsächliche Anhaltspunkte dafür hat der Senat nicht.

…“

Neuerteilung der Fahrerlaubnis nach Sperrfristablauf, oder: Keine automatische Wiedererteilung

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Im „Kessel Buntes“ heute zwei verkehrsverwaltungsrechtliche Entscheidungen.

Den Opener macht der VG Bremen, Beschl. v. 02.04.2025 – 5 V 245/25. Gestritten wird um die  vorläufige Neuerteilung seiner Fahrerlaubnis. Der Antragsteller war Inhaber einer Fahrerlaubnis u.a. der Klassen B, C, AM und L. Mit Strafbefehl vom 22.05.2024, rechtskräftig seit dem 11.06.2024, verurteilte das AG ihn wegen fahrlässiger Trunkenheit im Verkehr (Tatzeit: 25.01.2024) zu einer Geldstrafe, entzog ihm die Fahrerlaubnis und ordnete eine neumonatige Sperre für die Wiedererteilung der Fahrerlaubnis an.

Nachdem der Antragsteller in der Zeit vom 27.08.2024 bis 10.09.2024 an einem besonderen Aufbauseminar teilgenommen hatte, verkürzte das AD die Sperrfrist mit Beschluss vom 29.10.2024 um zwei Monate, sodass sie am 21.12.2024 endete. Unter dem 19.09.2024 beantragte der Antragsteller die Neuerteilung seiner Fahrerlaubnis. Mit Schreiben vom 15.01.2025 forderte die Behörde ihn auf, bis zum 15.07.2025 ein medizinisch-psychologisches Gutachten zur Beantwortung der Fragestellung beizubringen: „Ist aufgrund des Verstoßes/der Verstöße gegen verkehrsrechtliche Vorschriften zu erwarten, dass Frau/Herr pp. auch zukünftig gegen verkehrsrechtliche Bestimmungen verstoßen wird und/oder künftig allgemeine Straftaten in Zusammenhang mit dem Straßenverkehr begehen wird?“. Zur Begründung wurde ausgeführt, die Behörde könne bei Bekanntwerden von Bedenken gegen die Fahreignung gemäß § 11 Abs. 3 Nr. 4 FeV bzw. im Falle der Neuerteilung gemäß § 11 Abs. 3 Nr. 9b FeV die Beibringung eines entsprechenden Gutachtens fordern. Derartige Bedenken ergäben sich aus wiederholten Verstößen gegen verkehrsrechtliche Bestimmungen (Nichteinhaltung des Mindestabstandes auf der Autobahn, mehrere näher bezeichnete Geschwindigkeitsverstöße sowie die Trunkenheitsfahrt vom 25.01.2024). Die Anordnung stehe im Ermessen der Behörde. In Abwägung der hiermit für ihn verbundenen Nachteile mit dem Interesse der Allgemeinheit an der Aufrechterhaltung der Verkehrssicherheit sei die Gutachtenvorlage nach den bekannten Umständen ein geeignetes, verhältnismäßiges und erforderliches Mittel zur Ausräumung der Bedenken.

Der Antragsteller hat am 31.01.2025 einen Eilantrag gestellt. Er erfülle sämtliche Voraussetzungen für die Neuerteilung der Fahrerlaubnis. Die Voraussetzungen für die Anordnung einer medizinisch-psychologischen Untersuchung gemäß § 13 FeV seien nicht erfüllt. Der Schluss auf seine Nichteignung sei nicht gerechtfertigt und ergebe sich nicht aus den in der Untersuchungsanordnung aufgeführten Verkehrsverstößen. Die Anordnung sei zudem ermessensfehlerhaft und nur formelhaft begründet. Eine Ermessensreduzierung auf Null habe nicht vorgelegen. Die Untersuchungsanordnung sei nicht zwingend erforderlich gewesen. Die Antragsgegnerin habe sich nicht damit auseinandergesetzt, dass verkehrspsychologische Maßnahmen wie diejenige, an der er teilgenommen habe, zu einem Wegfall des Eignungsmangels und jedenfalls zu einer Sperrfristverkürzung führen könnten. Die Antragsgegnerin habe ferner zu berücksichtigen, dass die vorläufige Fahrerlaubnisentziehung mittlerweile beendet sei und er seitdem kein Fahrzeug führen dürfe. Im Rahmen einer Gesamtwürdigung seien bei der anzustellenden Prognose auch die lange Verfahrensdauer und der Umstand zu berücksichtigen, dass er die begangene Straftat bereue. Auch genüge die festgelegte Fragestellung nicht den rechtlichen Vorgaben. Da die Anordnung des Gutachtens rechtswidrig sei, dürfe aus der Nichtvorlage nicht auf die fehlende Eignung geschlossen werden. Eine Interessenabwägung falle zu seinen Gunsten aus. Er sei auf die Fahrerlaubnis angewiesen. Er sei zwei minderjährigen Kindern zum Unterhalt verpflichtet und benötige die Fahrerlaubnis zur Aufnahme einer bereits in Aussicht stehenden Arbeitsstelle.

Das VG hat der Behörde Recht gegeben und den Antrag abgelehnt. Die Entscheidung des VG Bremen hat folgende Leitsätze:

1. Der Ablauf einer Sperrfrist nach § 69a StGB führt nicht automatisch zur Wiedererteilung der Fahrerlaubnis nach Entziehung durch ein Strafgericht.

2. Bei entzogener Fahrerlaubnis besteht kein Spannungsverhältnis zwischen § 11 Abs. 3 FeV und Maßnahmen nach § 4 Abs. 5 StVG.

3. § 13 FeV entfaltet keine Sperrwirkung dahingehend, dass Verkehrsverstöße mit Alkoholbezug nicht mehr im Rahmen von § 11 FeV herangezogen werden dürfen.