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Verjährung bei der Pauschgebühr nach 3 Jahren, oder: Aber: Ab wann feiert das LG Bochum Weihnachten?

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Heute am RVG-Tag dann zwei OLG-Entscheidungen zur Pauschgebühr des Pflichtverteidiges (§ 51 RVG). Beide Entscheidungen sind „unschön“.

Ich beginne mit dem OLG Hamm, Beschl. v. 27.02.2024 – 5 AR 7/24 -, der folgenden Sachverhalt hat: Der Kollege, der mir den Beschluss geschickt hat, war Pflichtverteidiger des Angeklagten in einem Verfahren mit dem Vorwurf des Totschlags. Er ist der Verurteilten am 01.11.2017 als Pflichtverteidiger beigeordnet worden. Nach Teilaufhebung eines ersten Urteils und Zurückverweisung durch den BGH verurteilte das LG Bochum die Verurteilte am 25.09.2019 wegen Totschlags. Mit Beschluss vom 12.02.2020 hat der BGH die gegen dieses Urteil gerichtete Revision verworfen.

Mit Schriftsatz vom 14.12.2023, eingegangen beim LG Bochum am selben Tag, hat der Kollege beantragt, ihm eine Pauschvergütung gemäß § 51 RVG zu bewilligen. Beim OLG ging der Antrag nach dem 15.01.2024 ein. Die Vertreterin der Staatskasse hat die Einrede der Verjährung erhoben. Das OLG hat den Antrag zurückgewiesen:

„Der Antrag auf Bewilligung einer Pauschgebühr nach § 51 Abs. 1 S. 1 RVG war
zurückzuweisen, da die von der Vertreterin der Staatskasse erhobene
Verjährungseinrede (§ 214 BGB) durchgreift.

1. Der Anspruch des Pflichtverteidigers auf Bewilligung einer Pauschgebühr verjährt nach allgemeiner Auffassung in entsprechender Anwendung des § 195 BGB in drei Jahren (Beschlüsse des erkennenden Senats vom 23.01.2020 – III 5 RVGs 71/19 und vom 14.07.2014 — III 5 RVGs 57/14; KG Berlin NStZ-RR 2015, 296; OLG Braunschweig NJW-RR 2019, 761; Gerold/Schmidt-Burhoff, 26. Aufl., 2023, § 51 RVG Rn. 52 m.w.N.). Die Verjährungsfristbeginnt hierbei entsprechend § 199 Abs. 1 Nr. 1 BGB in dem Jahr, in welchem der Vergütungsanspruch fällig geworden ist und damit mit rechtskräftigem Abschluss des Verfahrens (OLG Braunschweig NJW-RR 2018, 761; KG Berlin NStZ-RR 2015, 296). Da das dem Vergütungsanspruch zugrundeliegende Verfahren mit der Verwerfung der Revision am 12.02.2020 rechtskräftig abgeschlossen wurde, endete die Verjährungsfrist mit Ablauf des Jahres 2023.

2. Die vorbezeichnete Verjährungsfrist ist durch den Pauschgebührenantrag des Antragstellers vom 14.12.2023 nicht rechtzeitig gehemmt worden. Die Verjährungsfrist wird ausschließlich durch den Eingang des Pauschgebührenantrags bei dem zur Entscheidung berufenen Oberlandesgericht gewahrt, während der Eingang des Antrags bei einem unzuständigen Gericht keinen Einfluss auf Lauf der Verjährung hat (OLG Braunschweig NJW-RR 2019, 761; Gerold/Schmidt- Burhoff, a.a.O., § 51 RVG Rn. 54). Vorliegend ging der Antrag erst am 15.01.2024 und damit nach Ablauf der Verjährungsfrist beim Oberlandesgericht Hamm ein.

3. Die Erhebung der Verjährungseinrede durch die Vertreterin der Staatskasse stellt auch keine unzulässige Rechtsausübung im Sinne von § 242 BGB dar.

a) Eine unzulässige Rechtsausübung ist nur dann anzunehmen, wenn besondere Umstände vorliegen, die die Einrede als groben Verstoß gegen Treu und Glauben erscheinen lassen (Beck’scherOK-Henrich: Stand: 01.02.2023, § 214 BGB Rn. 9). Voraussetzung hierfür ist, dass der Schuldner den Gläubiger durch sein Verhalten objektiv – sei es auch unabsichtlich – davon abgehalten hat, verjährungshemmende Maßnahmen zu ergreifen und die spätere Verjährungseinrede unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls mit dem Gebot von Treu und Glauben unvereinbar wäre (BGH NJW-RR 2022, 740 Rn. 49 m.w.N.). Insofern ist ein strenger Maßstab anzulegen (BGH BeckRS 2018, 31360).

b) Hiervon ausgehend kann vorliegend ein grober Treueverstoß nicht darin erblickt werden, dass das Landgericht Bochum den am 14.12.2023 eingegangenen Antrag nicht verjährungsfristwahrend bis zum 31.12.2023 an das Oberlandesgericht weitergeleitet hat. Da die Prüfung der Verjährungsfrist nicht zu den Aufgaben des Landgerichts gehört, käme ein grober Treueverstoß allenfalls dann in Betracht, wenn sich dem Landgericht die Eilbedürftigkeit der Weiterleitung hätte aufdrängen müssen und es gleichwohl die unverzügliche Weiterleitung des Antrags unterließ. Dies ist indes nicht der Fall. Im Pauschvergütungsantrag wird zum einen nicht auf die Eilbedürftigkeit der Angelegenheit hingewiesen. Zum anderen lagen unter Berücksichtigung der Weihnachtsfeiertage. zwischen Antragseingang und Ablauf der Verjährungsfrist lediglich neun Arbeitstage. Dass in dieser Zeitspanne keine Weiterleitung an das Oberlandesgericht erfolgt, stellt jedenfalls bei mangelndem Hinweis auf die Eilbedürftigkeit keine grobe Treuwidrigkeit dar.“

Dazu folgendes:

1. Die rechtlichen Ausführungen des OLG zum Eintritt der Verjährung und der nicht erfolgten Hemmung des Ablaufs der Verjährungsfrist sind zutreffend. Es ist nun mal herrschende Meinung, dass nur der Eingang des Pauschgebührantrages beim zuständigen OLG die Verjährungsfrist unterbricht (s. auch Burhoff/Volpert/Burhoff, RVG, Straf- und Bußgeldsachen, 6. Aufl., 2021, § 51 Rn 91 ff. mit weiteren Nachweisen). Den Schuh, das übersehen zu haben, muss der Verteidiger sich hier schon anziehen. Auch wenn es sich sonst zur Verfahrensbeschleunigung empfehlen kann, den Pauschgebührantrag nicht beim OLG sondern beim „Tatgericht“ zu stellen, muss man damit – wie dieser Fall schmerzlich zeigt – vorsichtig sein. Denn: Geholfen wird dem Pflichtverteidiger nicht bzw. man lässt keine Milde mit ihm und seinem (vermutlichen) „Irrläufer“ walten.

2. Und dieser Punkt führt dann – zumindest bei mir zur Verärgerung -, und zwar sowohl über die Vertreterin der Staatskasse als auch über das OLG. Dazu stelle ich mir zwei Fragen:

  • Zunächst stellt sich schon die Frage, warum die Vertreterin der Staatskasse überhaupt die Einrede der Verjährung erhoben hat. Ich verkenne nicht, dass das natürlich ihr gutes (?) Recht war, aber: Musste das hier sein? Denn der Antrag des Pflichtverteidigers war ja an sich fristwahrend eingegangen, wenn auch beim unzuständigen Gericht. Warum muss man dann, wenn der Antrag gut zwei Wochen später – endlich, dazu gleich mehr – beim zuständigen Gericht eingegangen ist, die Einrede der Verjährung erheben und so die Chance auf eine Pauschgebühr zunichtemachen. Und das alles in Kenntnis des Umstandes, dass das LG/die Justiz mehr als einen Monat gebraucht hat, um den Antrag zum zuständigen OLG zu befördern.
  • Und dann das OLG.  Ist es wirklich kein „grober Verstoß“? Der Antrag geht 17 Tage vor Ablauf der Verjährungsfrist am 31.12.2023 am 14.12.203 beim LG Bochum ein. Und was macht man dort? Man feiert offenbar vorab schon mal Weihnachten bzw. ist in Weihnachtsurlaub, jedenfalls hält man es nicht für nötig, mal in den Antrag zu schauen, der ja erkennbar nicht in die Zuständigkeit des LG fiel. Hätte man das getan, dann hätte man vielleicht erkannt, dass dieser Antrag schnell noch zum OLG gesandt werden musste, damit er dort noch vor dem 31.12.2023 einging. Es ist richtig, dass die Prüfung der Verjährungsfrist nicht in den Zuständigkeitsbereich des LG fällt. Aber man kann doch wohl von einem Schwurgericht – dort dürfte der Antrag in dem Verfahren mit dem Totschlagsvorwurf eingegangen sein – erwarten, dass es diese Fristen kennt, denn es wird im Zweifel häufiger mit Pauschgebührfragen zu tun haben. Zwischen Eingang des Antrags und Ablauf der Verjährungsfrist lagen immerhin neun Arbeitstage. Also Zeit genug zu prüfen und den Antrag an das OLG zu senden. Beim LG Bochum dürfte man auch über ein Fax verfügen. Zur Not hätte man auch eine Postkutsche beauftragen können und der Antrag wäre im Zweifel immer noch rechtzeitig beim OLG eingegangen. Das alles interessiert das OLG aber nicht bzw. wird mit den Argumenten: Der Verteidiger hat auf den drohenden Fristablauf nicht hingewiesen und schließlich stand Weihnachten vor der Tür, weggewischt.

Ich verkenne nicht, dass der Ursprungsfehler beim Kollegen lag, Aber trotzdem: Ärgerlich.

Auslagenerstattung nach Einstellung des Verfahrens, oder: Wie oft denn noch?

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Und dann heute der letzte Gebührenfreitag. Heute zum Jahresabschluss noch einmal mit zwei kostenrechtlichen Entscheidungen. Beide stammen aus dem Bußgeldverfahren.

Ich beginne mit dem LG Meiningen, Beschl. v. 06.10.2023 – 6 Qs 122/23 – noch einmal bzw. mal wieder zur Frage der Auslagenerstattung, wenn das Verfahren gegen den Betroffenen eingestellt worden ist. Das AG hatte die Auslagenerstattung abgelehnt, das LG sieht das anders und hat den AG-Beschluss aufgehoben und die Erstattung angeordnet:

„Die Auferlegung der Auslagen der Beschwerdeführerin zum Nachteil derselben hat auch unter Berücksichtigung der Regelung des § 467 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 StPO keinen Bestand. So schließt sich die Kammer zunächst der Auffassung an, wonach die Vorschrift auch dann anwendbar ist, wenn die Verfahrenseinstellung vor oder außerhalb der Hauptverhandlung erfolgt. (Dazu: Mey-er-Goßnerischmitt,64. Aufl. 2021, § 467, Rdn. 16 ff. m.w.N. und BeckOK, StPO, 48. Ed. 1.7.2023, § 467, Rdn. 13 m.w.N.) Es berücksichtigt dabei insbesondere den Umstand, dass die eng auszulegende Ausnahmevorschrift keine strafähnlich wirkende Schuldfeststellung trifft und daher keinen Verstoß gegen die.in Art. 6 Abs. 2 MRK verankerte Unschuldsvermutung darstellt. (MüKo, StPO, 1. Aufl. 2019, StPO § 467, Rdn. 2 m.w.N.) Nach der Vorschrift des § 467 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 StPO kann zwar grundsätzlich von der Kostenauferlegung abgesehen werden, wenn das Gericht das Verfahren wegen eines Verfahrenshindernisses — hier der Verfolgungsverjährung — einstellt, es aber bei Hinwegdenken dieses Hindernisses mit Sicherheit zu einer Verurteilung gekommen wäre (BGH NStZ 1995, S. 406). Dabei handelt es sich jedoch um eine Ausnahmevorschrift, die eng auszulegen ist, daher muss ein „erheblicher Tatverdacht“ bestehen (OLG Jena Beschl. v. 11.01.2007 — 1 Ws 195/05 = NStZ-RR 2007, S. 254). Hinsichtlich der insoweit zu treffenden Prognose über den mutmaßlichen Verfahrensausgang ohne Schuldfeststellung ist auf die bisherige Beweisaufnahme, notfalls auch auf die reine Aktenlage zurückzugreifen. Da das Ermessen („kann davon absehen“) jedoch erst dann und nur dann eröffnet ist, wenn das Gericht (bereits) davon überzeugt ist, dass der Betroffene, ohne das Verfahrenshindernis verurteilt werden würde, müssen zu dem Verfahrenshindernis als alleinigem der Verurteilung entgegenstehendem Umstand demnach weitere besondere Umstände hinzutreten, die es billig erscheinen lassen, dem Betroffenen die Auslagenerstattung zu versagen (BVerfG [3. Kammer des 2. Senats] Beschl. v. 26.05.2017 — 2 BvR 1821/16 = NJW 2017, S. 2459).

Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze liegen die Voraussetzungen des § 467 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 StPO vorliegend gerade nicht vor. Die gilt auch unabhängig davon, ob hinsichtlich der Beschwerdeführerin ein hinreichender und erheblicher Tatverdacht für die ihr vorgeworfene Tat bestand, worauf zumindest — im Einklang mit den Ausführungen des Amtsgerichts — sämtlich in der Akte befindlichen Unterlagen, die nach der einschlägigen obergerichtlichen eine tragfähige Verurteilung ermöglichen würden (Annahme der Fahrereigenschaft (Lichtbildvergleich), den Tatvorwurf stützendes Messprotokoll sowie Geschwindigkeitsmessblatt nebst Schulungsnachweis und Eichurkunde), hinweisen. Dies begründet sich damit, dass es vorliegend jedenfalls an dem Hinzutreten weiterer besonderer Umstände (sowie entsprechenden diesbezüglichen Ausführungen des Amtsgerichts dazu) fehlt, da das Verfahrenshindernis schon vor Erlass des Bußgeldbescheides und damit auch schon vor Einleitung des gerichtlichen Verfahrens bestand. So war vorliegend —entsprechend der polizeilichen Stellungnahme — gerade keine verjährungshemmende Anhörung der Beschwerdeführerin am 22.12.2022 erfolgt, sodass die Verjährung noch Ende Dezember 2022 eintrat. Gleichwohl erging unter dem 16.01.2023 der streitgegenständliche Bußgeldbescheid. Damit lag der Eintritt des Verfahrenshindernisses noch weit vor Eröffnung des Hauptverfahrens, sodass eine Auslagenaufbürdung auf den Betroffenen grundsätzlich auszuscheiden hat. (Dazu: Meyer-Goßner/schmitt,64. Aufl. 2021, §.467, Rdn. 18 m.w.N. und Gercke/Temming/Zöller, StPO; 7. Auflage 2023, § 467 StPO, Rdn. 10 f. m.w.N.) Anhaltspunkte, die ausnahmsweise eine andere Einschätzung ermöglichen würden, sind hingegen weder aus der Akte, noch aus dem angegriffenen Beschlusses ersichtlich. Dies gilt umso mehr; da der Umstand des Verjährungseintritts auch von vornherein für alle erkennbar und der Eintritt des Verfahrenshindernisses vorhersehbar war, sodass die entstandenen Kosten vorliegend vielmehr der staatlichen Sphäre zuzurechnen sind und es somit bei der Regelung des § 467 Abs. 1 StPO verbleibt.“

Dass man als Verteidiger für den Mandanten in der Frage immer wieder „kämpfen“ muss.

OWi III: Verjährungsunterbrechung durch Anhörung?, oder: Anordnung eines Druckauftrags

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Und dann zum Tagesschluss noch der AG Dortmund, Beschl. v. 11.05.2023 – 729 OWi-265 Js 838/23-63/23 – zur Verjährungsunterbrechung (§ 33 OWiG). Der Sachverhalt ergibt sich aus den Beschlussgründen:

„Gegen den Betroffenen ist am 14.03.2023 ein Bußgeldbescheid erlassen worden, gegen den er rechtzeitig Einspruch eingelegt hat.

Die weitere Verfolgung der Ordnungswidrigkeit ist ausgeschlossen, weil inzwischen Verjährung eingetreten ist. Die Tat wurde begangen am 10.12.2022. Der Bußgeldbescheid wurde nicht innerhalb der maßgeblichen 3-Monats-Verjährungsfrist des § 26 Abs. 3 StVG, sondern erst am 14.3.2023  erlassen.

Eine zwischenzeitliche Verjährungsunterbrechung nach § 33 Abs. 1 OWiG kam lediglich durch Anhörung in Betracht. Hierzu finden sich in einer Datenübersicht Bl. 4 d.A. drei Eintragungen, die einer Anhörung möglicherweise zuzuordnen sein könnten:

  1. 12.2022 Druckauftrag „Anhoer“

19.1.2023 Druckauftrag „AnhFErm“

13.2.2023 Druckauftrag „Anhoer“

Ein Druckauftrag kann insoweit zwar u.U. als maßgebliche Unterbrechungshandlung ausreichen (vgl. OLG Hamm SVR 2005, 438; Krenberger/Krumm, OWiG, § 33 Rn. 25). Für keinen dieser Druckaufträge findet sich aber in der Akte ein Schriftstück oder eine andere Art der Dokumentation, was Gegenstand und Inhalt des jeweiligen Druckauftrags oder wer Adressat des möglicherweise erstellten Schriftstücks war. Nicht einmal ist klar, ob mit „Anhoer“ überhaupt eine Anhörung des Betroffenen im OWi-Verfahren gemeint ist. Da eine Unterbrechungshandlung vor Erlass des Bußgeldbescheides also nicht festgestellt werden konnte, war das Verfahren wegen Verjährung gem. §§ 206a StPO, 46 OWiG einzustellen.   Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 46 OWiG i.V.m. § 467 Abs. 1 StPO.“

Vollzug II: Anspruch auf Eigengeldauszahlung, oder: Wenn das gesamte Vermögen bar verwahrt wird

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Die zweite Entscheidung, der BayObLG, Beschl. v. 03.01.2023 – 203 StObWs 412/22 – gehört für mich in die Rubrik: Was es nicht alles gibt. Denn der Beschluss hat einen etwas ungewöhnlichen Sachverhalt, und zwarI.

„Der im April 2021 verstorbene, von den drei Antragstellerinnen beerbte Erblasser war in den Jahren 2013 und 2019 bis 2020 mehrmals kurzzeitig in der Justizvollzugsanstalt (JVA) Bamberg inhaftiert. Beim Zugang am 4. März 2013 zahlte der Erblasser, der nach dem Vortrag der Antragstellerinnen über kein Konto verfügte und sein gesamtes Vermögen in bar verwahrte, nach der von den Antragstellerinnen nicht in Frage gestellten Darstellung des Antragsgegners bei der JVA Bamberg einen Betrag von 10.465,75 Euro in bar ein; das Guthaben wurde einen Tag später auf dem Gefangenengeldkonto gutgeschrieben. Nach seiner Entlassung verweigerte er es, den Empfang des verbleibenden Betrages von 8.557,25 Euro zu quittieren, woraufhin ihm der Geldbetrag nicht ausgehändigt wurde (Anlage B 4). Einer anschließenden schriftlichen Aufforderung, ein Konto zu benennen oder das Geld abzuholen, kam er nicht nach (Anlage B 5). Anlässlich des Zugangs am 1. August 2013 zum Vollzug einer Ersatzfreiheitsstrafe zahlte er bei der JVA Bamberg auf das Gefangenengeldkonto einen Bargeldbetrag in Höhe von 125.105,13 Euro ein, der am Folgetag als Guthaben des Strafgefangenen gebucht wurde. Nach seiner Entlassung am 7. August 2013 nahm der Gefangene das verbleibende Geld in Höhe von 121.781,63 Euro nicht an sich, woraufhin ein Mitarbeiter der JVA unterschriftlich auf einem Ausdruck mit der Bezeichnung „Kontenabschluss“ vermerkte: „Geld wurde von Herrn A… nicht mitgenommen. Geld wieder auf Konto gutgeschrieben“ (Anlage B 8). Am 28. Oktober 2013 löste die JVA ohne weitere Kontaktaufnahme mit dem Erblasser das interne Gefangenenkonto auf und zahlte das Eigengeld des Erblassers in Höhe von 130.338.88 Euro bei der Landesjustizkasse Bamberg zur Verwahrung ein (Anlagen B 7, B 9). Anlässlich eines Zugangs am 13. Mai 2019 zahlte der Erblasser bei der JVA Bamberg einen Betrag von 22,70 Euro ein, nach der Unterbrechung der Vollstreckung wurde das Guthaben am 4. November 2019 ebenfalls bei der Landesjustizkasse gebucht. Das bei einer weiteren Inhaftierung im Jahr 2019 einbezahlte Gefangenengeld wurde dem Erblasser bei seiner Entlassung am 10. Januar 2020 in bar ausgehändigt, bei seiner letzten Inhaftierung im Jahr 2020 zahlte er kein Bargeld ein.

Nach dem Tod ihres Vaters baten die drei mit Erbschein ausgewiesenen Miterbinnen in einem an die JVA Bamberg gerichteten Schreiben vom 15. Juni 2021 um Prüfung, ob noch Forderungen gegen den Freistaat bestünden. Daraufhin teilte die JVA Bamberg den drei Miterbinnen mit Schreiben vom 7. September 2021 mit, dass aus den Inhaftierungen des Erblassers im Jahre 2013 resultierend aus Bargeldeinzahlungen auf das Gefangenengeldkonto ursprünglich ein Betrag von 130.338,88 Euro offen gewesen, der Rückforderungsanspruch jedoch mittlerweile verjährt wäre; aus der Inhaftierung im Jahr 2019 bestünde noch ein Rückzahlungsanspruch in Höhe von 22,70 Euro. Die drei Miterbinnen traten dem entgegen und verlangten unter Vollmachtsanzeige mit anwaltlichem Schreiben vom 7. Oktober 2021 von der JVA nähere Auskünfte zu den Einzahlungen, den Verfügungen und dem Verbleib des Geldes sowie Einsicht in den Vollzugsplan. Mit Schreiben vom 25. Oktober 2021 erteilte die JVA weitere Auskünfte zu den Vollzugszeiten, den Einzahlungen, den Buchungsvorgängen und den jeweiligen Guthaben des Erblassers und wiederholte ihre Rechtsansicht, dass bezüglich eines Betrages von 130.338,88 Euro zum Ende des Jahres 2016 Verjährung eingetreten sei. Daraufhin widersprach der anwaltliche Vertreter der Antragstellerinnen unter Bezugnahme auf das Schreiben der JVA vom 25. Oktober 2021 mit Schreiben vom 2. November 2021 den Ausführungen zur Verjährung und forderte von der JVA Bamberg die Auszahlung des „Restbetrags“ unter Fristsetzung bis zum 15. November 2021. Nachdem die JVA auf die Zahlungsaufforderung nicht reagierte, reichten die Miterbinnen mit anwaltlichem Schriftsatz am 21. Dezember 2021 Klage auf Zahlung von 130.338,88 Euro nebst Zahlung vorgerichtlicher Anwaltskosten zum Landgericht Bamberg ein.

Das Landgericht Bamberg – 4. Zivilkammer – hat sich mit Beschluss vom 11. Mai 2022 für funktionell unzuständig erklärt und den Rechtsstreit auf Antrag der Kläger an die Strafvollstreckungskammer abgegeben. Die Strafvollstreckungskammer hat mit Beschluss vom 12. August 2022 „den Antrag“ auf gerichtliche Entscheidung vom 21. Dezember 2021 wegen der Versäumung der Frist von § 112 StVollzG als unzulässig verworfen. Mit der Frage der Erstattung der außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten hat sich die Strafvollstreckungskammer nicht befasst.

Gegen diese Entscheidung wenden sich die Antragstellerinnen mit ihrer Rechtsbeschwerde und beantragen, den angefochtenen Beschluss aufzuheben und den Antragsgegner zur Zahlung von 130.338,88 Euro zu verpflichten, hilfsweise die Sache an die Strafvollstreckungskammer zurückzuverweisen. Zur Begründung führen sie an, dass §§ 109, 112 StVollzG nicht anwendbar und der auf sie übergegangene Anspruch auf die Zahlung des Eigengelds nicht verjährt sei. Zu den ursprünglich in der Klageschrift geltend gemachten Rechtsanwaltskosten verhalten sie sich nicht ausdrücklich. Die Generalstaatsanwaltschaft München hat beantragt, die Rechtsbeschwerde als unzulässig zu verwerfen.“

Und: Die drei Damen hatten beim BayObLG Erfolg. Hier die Leitsätze zu der Entscheidung:

  1. Hat die Justizvollzugsanstalt auf eine Aufforderung des Berechtigten auf Auskunft über Eigengeld hin den Einwand der Verjährung erhoben, steht die Regelung von § 112 StVollzG einer gerichtlichen Geltendmachung des Zahlungsanspruchs nicht entgegen.
  2. Dem Strafgefangenen steht ab dem Zeitpunkt der Gutschrift von Eigengeld gegen das Land als Träger der Justizvollzugsanstalt ein schuldrechtsähnlicher Anspruch auf Auszahlung seines Eigengeldguthabens nach § 700 Abs. 1 Satz 2, § 488 Abs. 1 Satz 2 BGB analog zu.
  3. Der Lauf der Fristen nach Art. 71 BayAGBGB und §§ 195, 199 BGB wird weder mit der Einzahlung noch mit der Entlassung aus der Haft, sondern gemäß § 695 S. 2 BGB analog mit einem Zahlungsverlangen des Berechtigten ausgelöst.

Wie gesagt: Was es nicht alles gibt. Und: Gut, dass wir darüber gesprochen haben.

Einstellung des Bußgeldverfahrens wegen Verjährung, oder: Klare Worte zum „Regel-Ausnahme-Verhältnis

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Die zweite Entscheidung, der LG Trier, Beschl. v. 30.05.2023 – 1 Qs 24/23, behandelt auch die Frage der Auferlegung der notwendigen Auslagen des Betroffenen auf die Staatskasse, wenn das Bußgeldverfahren wegen Verjährung eingestellt wird. Auch hier klare Worte zum Regel-Ausnahme-Verhältnis – wie im AG Büdingen, Beschl. v. 30.05.2023 – 60 OWi 48/23:

„Sie ist auch begründet. Das Amtsgericht hat die notwendigen Auslagen des Betroffenen zu Unrecht nicht der Staatskasse auferlegt.

Nach dem Grundsatz des § 46 Abs. 1 OWiG i.V.m. § 467 Abs. 1 StPO fallen die Kosten des Verfahrens sowie die notwendigen Auslagen des Betroffenen der Staatskasse zur Last, soweit das Verfahren gegen ihn eingestellt wird.

Als Ausnahme hiervon kann das Gericht nach § 46 Abs. 1 OWiG i.V.m. § 467 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 StPO davon absehen, die notwendigen Auslagen des Betroffenen der Staatskasse aufzuerlegen, wenn er wegen einer Ordnungswidrigkeit nur deshalb nicht verurteilt wird, weil ein Verfahrenshindernis besteht. Bei Hinwegdenken dieses Verfahrenshindernisses – hier der eingetretenen Verfolgungsverjährung – muss feststehen, dass es mit Sicherheit zu einer Verurteilung gekommen wäre (BGH, NStZ 1995. 406, 407). Als Ausnahmevorschrift ist diese eng auszulegen (OLG Stuttgart, Beschl. v. 19.11.2014 – 2 Ss 142/14, BeckRS 2015, 337 Rn. 4 m.w.N.).

Eine solche Schuldspruchreife kann nur nach vollständig durchgeführter Hauptverhandlung und dem letzten Wort des Betroffenen eintreten (BGH. NJW 1992, 1612, 1613; dem folgend Niesler, in: BeckOK StPO. 45. Edition, Stand: 01.10.2022, StPO § 467 Rn. 11; siehe auch BGH. Beschl. v. 19.06.2008 – 3 StR 545/07, Rn. 17 – juris).

Selbst wenn man der Gegenansicht folgt, wonach von der Auslagenerstattung durch die Staatskasse bereits zu einem früheren Zeitpunkt abgesehen werden kann. wenn nämlich ein auf die bisherige Beweisaufnahme gestützter erheblicher Tatverdacht besteht und keine Umstände erkennbar sind, die bei Fortführung der Hauptverhandlung die Verdichtung des Tatverdachts zur prozessordnungsgemäßen Feststellung der Tatschuld in Frage stellen würden (so etwa BGH. NStZ 2000, 330, 331; siehe auch die insoweit kritische Anmerkung von Hilger, a.a.O.), führt dies im vorliegenden Fall zu keiner anderen Beurteilung. Denn es begründet insofern durchgreifende Bedenken, dass die Verteidigung des Betroffenen insofern beeinträchtigt war, als ihm die Bußgeldstelle – entgegen der gerichtlichen Entscheidung nach § 62 OWiG – die Baumusterprüfbescheinigung des verwendeten Messgeräts und die verkehrsrechtliche Anordnung der maßgeblichen Geschwindigkeitsbeschränkungen nicht zur Verfügung gestellt hat.

Nach diesen Erwägungen war die Verurteilung des Betroffenen – auch wenn keine Verfolgungsverjährung eingetreten wäre – nicht derart sicher gewesen, dass von der Ausnahmevorschrift des § 467 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 StPO Gebrauch zu machen gewesen wäre, zumal die unterlassene Überlassung bestimmter Unterlagen an die Verteidigung auch bei Ausübung des von dieser Vorschrift eingeräumten Ermessens zu würdigen ist. Vielmehr hatte es bei dem Grundsatz der Tragung der notwendigen Auslagen des Betroffenen durch die Staatskasse zu bleiben.“