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Auslagenerstattung nach Einstellung des Verfahrens, oder: Wie oft denn noch?

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Und dann heute der letzte Gebührenfreitag. Heute zum Jahresabschluss noch einmal mit zwei kostenrechtlichen Entscheidungen. Beide stammen aus dem Bußgeldverfahren.

Ich beginne mit dem LG Meiningen, Beschl. v. 06.10.2023 – 6 Qs 122/23 – noch einmal bzw. mal wieder zur Frage der Auslagenerstattung, wenn das Verfahren gegen den Betroffenen eingestellt worden ist. Das AG hatte die Auslagenerstattung abgelehnt, das LG sieht das anders und hat den AG-Beschluss aufgehoben und die Erstattung angeordnet:

„Die Auferlegung der Auslagen der Beschwerdeführerin zum Nachteil derselben hat auch unter Berücksichtigung der Regelung des § 467 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 StPO keinen Bestand. So schließt sich die Kammer zunächst der Auffassung an, wonach die Vorschrift auch dann anwendbar ist, wenn die Verfahrenseinstellung vor oder außerhalb der Hauptverhandlung erfolgt. (Dazu: Mey-er-Goßnerischmitt,64. Aufl. 2021, § 467, Rdn. 16 ff. m.w.N. und BeckOK, StPO, 48. Ed. 1.7.2023, § 467, Rdn. 13 m.w.N.) Es berücksichtigt dabei insbesondere den Umstand, dass die eng auszulegende Ausnahmevorschrift keine strafähnlich wirkende Schuldfeststellung trifft und daher keinen Verstoß gegen die.in Art. 6 Abs. 2 MRK verankerte Unschuldsvermutung darstellt. (MüKo, StPO, 1. Aufl. 2019, StPO § 467, Rdn. 2 m.w.N.) Nach der Vorschrift des § 467 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 StPO kann zwar grundsätzlich von der Kostenauferlegung abgesehen werden, wenn das Gericht das Verfahren wegen eines Verfahrenshindernisses — hier der Verfolgungsverjährung — einstellt, es aber bei Hinwegdenken dieses Hindernisses mit Sicherheit zu einer Verurteilung gekommen wäre (BGH NStZ 1995, S. 406). Dabei handelt es sich jedoch um eine Ausnahmevorschrift, die eng auszulegen ist, daher muss ein „erheblicher Tatverdacht“ bestehen (OLG Jena Beschl. v. 11.01.2007 — 1 Ws 195/05 = NStZ-RR 2007, S. 254). Hinsichtlich der insoweit zu treffenden Prognose über den mutmaßlichen Verfahrensausgang ohne Schuldfeststellung ist auf die bisherige Beweisaufnahme, notfalls auch auf die reine Aktenlage zurückzugreifen. Da das Ermessen („kann davon absehen“) jedoch erst dann und nur dann eröffnet ist, wenn das Gericht (bereits) davon überzeugt ist, dass der Betroffene, ohne das Verfahrenshindernis verurteilt werden würde, müssen zu dem Verfahrenshindernis als alleinigem der Verurteilung entgegenstehendem Umstand demnach weitere besondere Umstände hinzutreten, die es billig erscheinen lassen, dem Betroffenen die Auslagenerstattung zu versagen (BVerfG [3. Kammer des 2. Senats] Beschl. v. 26.05.2017 — 2 BvR 1821/16 = NJW 2017, S. 2459).

Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze liegen die Voraussetzungen des § 467 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 StPO vorliegend gerade nicht vor. Die gilt auch unabhängig davon, ob hinsichtlich der Beschwerdeführerin ein hinreichender und erheblicher Tatverdacht für die ihr vorgeworfene Tat bestand, worauf zumindest — im Einklang mit den Ausführungen des Amtsgerichts — sämtlich in der Akte befindlichen Unterlagen, die nach der einschlägigen obergerichtlichen eine tragfähige Verurteilung ermöglichen würden (Annahme der Fahrereigenschaft (Lichtbildvergleich), den Tatvorwurf stützendes Messprotokoll sowie Geschwindigkeitsmessblatt nebst Schulungsnachweis und Eichurkunde), hinweisen. Dies begründet sich damit, dass es vorliegend jedenfalls an dem Hinzutreten weiterer besonderer Umstände (sowie entsprechenden diesbezüglichen Ausführungen des Amtsgerichts dazu) fehlt, da das Verfahrenshindernis schon vor Erlass des Bußgeldbescheides und damit auch schon vor Einleitung des gerichtlichen Verfahrens bestand. So war vorliegend —entsprechend der polizeilichen Stellungnahme — gerade keine verjährungshemmende Anhörung der Beschwerdeführerin am 22.12.2022 erfolgt, sodass die Verjährung noch Ende Dezember 2022 eintrat. Gleichwohl erging unter dem 16.01.2023 der streitgegenständliche Bußgeldbescheid. Damit lag der Eintritt des Verfahrenshindernisses noch weit vor Eröffnung des Hauptverfahrens, sodass eine Auslagenaufbürdung auf den Betroffenen grundsätzlich auszuscheiden hat. (Dazu: Meyer-Goßner/schmitt,64. Aufl. 2021, §.467, Rdn. 18 m.w.N. und Gercke/Temming/Zöller, StPO; 7. Auflage 2023, § 467 StPO, Rdn. 10 f. m.w.N.) Anhaltspunkte, die ausnahmsweise eine andere Einschätzung ermöglichen würden, sind hingegen weder aus der Akte, noch aus dem angegriffenen Beschlusses ersichtlich. Dies gilt umso mehr; da der Umstand des Verjährungseintritts auch von vornherein für alle erkennbar und der Eintritt des Verfahrenshindernisses vorhersehbar war, sodass die entstandenen Kosten vorliegend vielmehr der staatlichen Sphäre zuzurechnen sind und es somit bei der Regelung des § 467 Abs. 1 StPO verbleibt.“

Dass man als Verteidiger für den Mandanten in der Frage immer wieder „kämpfen“ muss.

OWi III: Verjährungsunterbrechung durch Anhörung?, oder: Anordnung eines Druckauftrags

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Und dann zum Tagesschluss noch der AG Dortmund, Beschl. v. 11.05.2023 – 729 OWi-265 Js 838/23-63/23 – zur Verjährungsunterbrechung (§ 33 OWiG). Der Sachverhalt ergibt sich aus den Beschlussgründen:

„Gegen den Betroffenen ist am 14.03.2023 ein Bußgeldbescheid erlassen worden, gegen den er rechtzeitig Einspruch eingelegt hat.

Die weitere Verfolgung der Ordnungswidrigkeit ist ausgeschlossen, weil inzwischen Verjährung eingetreten ist. Die Tat wurde begangen am 10.12.2022. Der Bußgeldbescheid wurde nicht innerhalb der maßgeblichen 3-Monats-Verjährungsfrist des § 26 Abs. 3 StVG, sondern erst am 14.3.2023  erlassen.

Eine zwischenzeitliche Verjährungsunterbrechung nach § 33 Abs. 1 OWiG kam lediglich durch Anhörung in Betracht. Hierzu finden sich in einer Datenübersicht Bl. 4 d.A. drei Eintragungen, die einer Anhörung möglicherweise zuzuordnen sein könnten:

  1. 12.2022 Druckauftrag „Anhoer“

19.1.2023 Druckauftrag „AnhFErm“

13.2.2023 Druckauftrag „Anhoer“

Ein Druckauftrag kann insoweit zwar u.U. als maßgebliche Unterbrechungshandlung ausreichen (vgl. OLG Hamm SVR 2005, 438; Krenberger/Krumm, OWiG, § 33 Rn. 25). Für keinen dieser Druckaufträge findet sich aber in der Akte ein Schriftstück oder eine andere Art der Dokumentation, was Gegenstand und Inhalt des jeweiligen Druckauftrags oder wer Adressat des möglicherweise erstellten Schriftstücks war. Nicht einmal ist klar, ob mit „Anhoer“ überhaupt eine Anhörung des Betroffenen im OWi-Verfahren gemeint ist. Da eine Unterbrechungshandlung vor Erlass des Bußgeldbescheides also nicht festgestellt werden konnte, war das Verfahren wegen Verjährung gem. §§ 206a StPO, 46 OWiG einzustellen.   Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 46 OWiG i.V.m. § 467 Abs. 1 StPO.“

Vollzug II: Anspruch auf Eigengeldauszahlung, oder: Wenn das gesamte Vermögen bar verwahrt wird

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Die zweite Entscheidung, der BayObLG, Beschl. v. 03.01.2023 – 203 StObWs 412/22 – gehört für mich in die Rubrik: Was es nicht alles gibt. Denn der Beschluss hat einen etwas ungewöhnlichen Sachverhalt, und zwarI.

„Der im April 2021 verstorbene, von den drei Antragstellerinnen beerbte Erblasser war in den Jahren 2013 und 2019 bis 2020 mehrmals kurzzeitig in der Justizvollzugsanstalt (JVA) Bamberg inhaftiert. Beim Zugang am 4. März 2013 zahlte der Erblasser, der nach dem Vortrag der Antragstellerinnen über kein Konto verfügte und sein gesamtes Vermögen in bar verwahrte, nach der von den Antragstellerinnen nicht in Frage gestellten Darstellung des Antragsgegners bei der JVA Bamberg einen Betrag von 10.465,75 Euro in bar ein; das Guthaben wurde einen Tag später auf dem Gefangenengeldkonto gutgeschrieben. Nach seiner Entlassung verweigerte er es, den Empfang des verbleibenden Betrages von 8.557,25 Euro zu quittieren, woraufhin ihm der Geldbetrag nicht ausgehändigt wurde (Anlage B 4). Einer anschließenden schriftlichen Aufforderung, ein Konto zu benennen oder das Geld abzuholen, kam er nicht nach (Anlage B 5). Anlässlich des Zugangs am 1. August 2013 zum Vollzug einer Ersatzfreiheitsstrafe zahlte er bei der JVA Bamberg auf das Gefangenengeldkonto einen Bargeldbetrag in Höhe von 125.105,13 Euro ein, der am Folgetag als Guthaben des Strafgefangenen gebucht wurde. Nach seiner Entlassung am 7. August 2013 nahm der Gefangene das verbleibende Geld in Höhe von 121.781,63 Euro nicht an sich, woraufhin ein Mitarbeiter der JVA unterschriftlich auf einem Ausdruck mit der Bezeichnung „Kontenabschluss“ vermerkte: „Geld wurde von Herrn A… nicht mitgenommen. Geld wieder auf Konto gutgeschrieben“ (Anlage B 8). Am 28. Oktober 2013 löste die JVA ohne weitere Kontaktaufnahme mit dem Erblasser das interne Gefangenenkonto auf und zahlte das Eigengeld des Erblassers in Höhe von 130.338.88 Euro bei der Landesjustizkasse Bamberg zur Verwahrung ein (Anlagen B 7, B 9). Anlässlich eines Zugangs am 13. Mai 2019 zahlte der Erblasser bei der JVA Bamberg einen Betrag von 22,70 Euro ein, nach der Unterbrechung der Vollstreckung wurde das Guthaben am 4. November 2019 ebenfalls bei der Landesjustizkasse gebucht. Das bei einer weiteren Inhaftierung im Jahr 2019 einbezahlte Gefangenengeld wurde dem Erblasser bei seiner Entlassung am 10. Januar 2020 in bar ausgehändigt, bei seiner letzten Inhaftierung im Jahr 2020 zahlte er kein Bargeld ein.

Nach dem Tod ihres Vaters baten die drei mit Erbschein ausgewiesenen Miterbinnen in einem an die JVA Bamberg gerichteten Schreiben vom 15. Juni 2021 um Prüfung, ob noch Forderungen gegen den Freistaat bestünden. Daraufhin teilte die JVA Bamberg den drei Miterbinnen mit Schreiben vom 7. September 2021 mit, dass aus den Inhaftierungen des Erblassers im Jahre 2013 resultierend aus Bargeldeinzahlungen auf das Gefangenengeldkonto ursprünglich ein Betrag von 130.338,88 Euro offen gewesen, der Rückforderungsanspruch jedoch mittlerweile verjährt wäre; aus der Inhaftierung im Jahr 2019 bestünde noch ein Rückzahlungsanspruch in Höhe von 22,70 Euro. Die drei Miterbinnen traten dem entgegen und verlangten unter Vollmachtsanzeige mit anwaltlichem Schreiben vom 7. Oktober 2021 von der JVA nähere Auskünfte zu den Einzahlungen, den Verfügungen und dem Verbleib des Geldes sowie Einsicht in den Vollzugsplan. Mit Schreiben vom 25. Oktober 2021 erteilte die JVA weitere Auskünfte zu den Vollzugszeiten, den Einzahlungen, den Buchungsvorgängen und den jeweiligen Guthaben des Erblassers und wiederholte ihre Rechtsansicht, dass bezüglich eines Betrages von 130.338,88 Euro zum Ende des Jahres 2016 Verjährung eingetreten sei. Daraufhin widersprach der anwaltliche Vertreter der Antragstellerinnen unter Bezugnahme auf das Schreiben der JVA vom 25. Oktober 2021 mit Schreiben vom 2. November 2021 den Ausführungen zur Verjährung und forderte von der JVA Bamberg die Auszahlung des „Restbetrags“ unter Fristsetzung bis zum 15. November 2021. Nachdem die JVA auf die Zahlungsaufforderung nicht reagierte, reichten die Miterbinnen mit anwaltlichem Schriftsatz am 21. Dezember 2021 Klage auf Zahlung von 130.338,88 Euro nebst Zahlung vorgerichtlicher Anwaltskosten zum Landgericht Bamberg ein.

Das Landgericht Bamberg – 4. Zivilkammer – hat sich mit Beschluss vom 11. Mai 2022 für funktionell unzuständig erklärt und den Rechtsstreit auf Antrag der Kläger an die Strafvollstreckungskammer abgegeben. Die Strafvollstreckungskammer hat mit Beschluss vom 12. August 2022 „den Antrag“ auf gerichtliche Entscheidung vom 21. Dezember 2021 wegen der Versäumung der Frist von § 112 StVollzG als unzulässig verworfen. Mit der Frage der Erstattung der außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten hat sich die Strafvollstreckungskammer nicht befasst.

Gegen diese Entscheidung wenden sich die Antragstellerinnen mit ihrer Rechtsbeschwerde und beantragen, den angefochtenen Beschluss aufzuheben und den Antragsgegner zur Zahlung von 130.338,88 Euro zu verpflichten, hilfsweise die Sache an die Strafvollstreckungskammer zurückzuverweisen. Zur Begründung führen sie an, dass §§ 109, 112 StVollzG nicht anwendbar und der auf sie übergegangene Anspruch auf die Zahlung des Eigengelds nicht verjährt sei. Zu den ursprünglich in der Klageschrift geltend gemachten Rechtsanwaltskosten verhalten sie sich nicht ausdrücklich. Die Generalstaatsanwaltschaft München hat beantragt, die Rechtsbeschwerde als unzulässig zu verwerfen.“

Und: Die drei Damen hatten beim BayObLG Erfolg. Hier die Leitsätze zu der Entscheidung:

  1. Hat die Justizvollzugsanstalt auf eine Aufforderung des Berechtigten auf Auskunft über Eigengeld hin den Einwand der Verjährung erhoben, steht die Regelung von § 112 StVollzG einer gerichtlichen Geltendmachung des Zahlungsanspruchs nicht entgegen.
  2. Dem Strafgefangenen steht ab dem Zeitpunkt der Gutschrift von Eigengeld gegen das Land als Träger der Justizvollzugsanstalt ein schuldrechtsähnlicher Anspruch auf Auszahlung seines Eigengeldguthabens nach § 700 Abs. 1 Satz 2, § 488 Abs. 1 Satz 2 BGB analog zu.
  3. Der Lauf der Fristen nach Art. 71 BayAGBGB und §§ 195, 199 BGB wird weder mit der Einzahlung noch mit der Entlassung aus der Haft, sondern gemäß § 695 S. 2 BGB analog mit einem Zahlungsverlangen des Berechtigten ausgelöst.

Wie gesagt: Was es nicht alles gibt. Und: Gut, dass wir darüber gesprochen haben.

Einstellung des Bußgeldverfahrens wegen Verjährung, oder: Klare Worte zum „Regel-Ausnahme-Verhältnis

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Die zweite Entscheidung, der LG Trier, Beschl. v. 30.05.2023 – 1 Qs 24/23, behandelt auch die Frage der Auferlegung der notwendigen Auslagen des Betroffenen auf die Staatskasse, wenn das Bußgeldverfahren wegen Verjährung eingestellt wird. Auch hier klare Worte zum Regel-Ausnahme-Verhältnis – wie im AG Büdingen, Beschl. v. 30.05.2023 – 60 OWi 48/23:

„Sie ist auch begründet. Das Amtsgericht hat die notwendigen Auslagen des Betroffenen zu Unrecht nicht der Staatskasse auferlegt.

Nach dem Grundsatz des § 46 Abs. 1 OWiG i.V.m. § 467 Abs. 1 StPO fallen die Kosten des Verfahrens sowie die notwendigen Auslagen des Betroffenen der Staatskasse zur Last, soweit das Verfahren gegen ihn eingestellt wird.

Als Ausnahme hiervon kann das Gericht nach § 46 Abs. 1 OWiG i.V.m. § 467 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 StPO davon absehen, die notwendigen Auslagen des Betroffenen der Staatskasse aufzuerlegen, wenn er wegen einer Ordnungswidrigkeit nur deshalb nicht verurteilt wird, weil ein Verfahrenshindernis besteht. Bei Hinwegdenken dieses Verfahrenshindernisses – hier der eingetretenen Verfolgungsverjährung – muss feststehen, dass es mit Sicherheit zu einer Verurteilung gekommen wäre (BGH, NStZ 1995. 406, 407). Als Ausnahmevorschrift ist diese eng auszulegen (OLG Stuttgart, Beschl. v. 19.11.2014 – 2 Ss 142/14, BeckRS 2015, 337 Rn. 4 m.w.N.).

Eine solche Schuldspruchreife kann nur nach vollständig durchgeführter Hauptverhandlung und dem letzten Wort des Betroffenen eintreten (BGH. NJW 1992, 1612, 1613; dem folgend Niesler, in: BeckOK StPO. 45. Edition, Stand: 01.10.2022, StPO § 467 Rn. 11; siehe auch BGH. Beschl. v. 19.06.2008 – 3 StR 545/07, Rn. 17 – juris).

Selbst wenn man der Gegenansicht folgt, wonach von der Auslagenerstattung durch die Staatskasse bereits zu einem früheren Zeitpunkt abgesehen werden kann. wenn nämlich ein auf die bisherige Beweisaufnahme gestützter erheblicher Tatverdacht besteht und keine Umstände erkennbar sind, die bei Fortführung der Hauptverhandlung die Verdichtung des Tatverdachts zur prozessordnungsgemäßen Feststellung der Tatschuld in Frage stellen würden (so etwa BGH. NStZ 2000, 330, 331; siehe auch die insoweit kritische Anmerkung von Hilger, a.a.O.), führt dies im vorliegenden Fall zu keiner anderen Beurteilung. Denn es begründet insofern durchgreifende Bedenken, dass die Verteidigung des Betroffenen insofern beeinträchtigt war, als ihm die Bußgeldstelle – entgegen der gerichtlichen Entscheidung nach § 62 OWiG – die Baumusterprüfbescheinigung des verwendeten Messgeräts und die verkehrsrechtliche Anordnung der maßgeblichen Geschwindigkeitsbeschränkungen nicht zur Verfügung gestellt hat.

Nach diesen Erwägungen war die Verurteilung des Betroffenen – auch wenn keine Verfolgungsverjährung eingetreten wäre – nicht derart sicher gewesen, dass von der Ausnahmevorschrift des § 467 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 StPO Gebrauch zu machen gewesen wäre, zumal die unterlassene Überlassung bestimmter Unterlagen an die Verteidigung auch bei Ausübung des von dieser Vorschrift eingeräumten Ermessens zu würdigen ist. Vielmehr hatte es bei dem Grundsatz der Tragung der notwendigen Auslagen des Betroffenen durch die Staatskasse zu bleiben.“

Einstellung des Bußgeldverfahrens wegen Verjährung, oder: „Danke“ für die Auslagenerstattung

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Zum (Fast)Wochenschluss dann noch Gebührenentscheidungen bzw. heute zwei Entscheidungen zur Auslagenerstattung im Bußgeldverfahren. Beide sind m.E. „interessant“, beide stammen vom Kollegen Gratz aus Bous.

Ich beginne mit AG Büdingen, Beschl. v. 30.05.2023 – 60 OWi 48/23. Der Betroffenen wurde in dem Verfahren eine Geschwindigkeitsüberschreitung zur Last gelegt. Im Laufe des Verfahrens beantragte der Verteidiger gerichtliche Entscheidung bezüglich verschiedener, ihm seitens der Verwaltungsbehörde nicht zur Verfügung gestellter, Beweismittel. Mit Beschluss des AG wurde dem Antrag teilweise stattgegeben. Zu diesem Zeitpunkt war dem AG nicht bekannt, dass die Verwaltungsbehörde das Verfahren gegen die Betroffene bereits gemäß § 46 OWiG i.V.m. § 170 StPO eingestellt und den erlassenen Bußgeldbescheid zurückgenommen hatte.

Der Verteidiger hat der Verwaltungsbehörde seine Kostenrechnung übermittelt. Mit selbständigen Kostenbescheid vom 7.3.2023 hat die Verwaltungsbehörde entschieden, dass „nach Rücknahme des Bußgeldbescheides … und nach Einstellung des Verfahrens auf Antrag des Betroffenen die ihm entstandenen notwendigen Auslagen der Staatskasse auferlegt“ werden. In der Begründung wird darauf abgestellt, dass das Verfahren eingestellt worden sei, weil nach Erlass des Bußgeldbescheides Verfolgungsverjährung eingetreten und gleichzeitig der Bußgeldbescheid zurückgenommen worden sei. Nach Aktenlage bestehe, wenn man die Verjährung außer Betracht lässt, ein dringender Tatverdacht dahingehend, dass die Betroffene die vorgeworfene Ordnungswidrigkeit begangen habe. Die Geschwindigkeitsmessung sei ordnungsgemäß erfolgt, das Gerät sei geeicht gewesen, die mit der Messung beauftragten Personen seien entsprechend geschult und in staatlicher Anstellung. Die Messunterlagen seien vollständig gewesen. Das Fahrerfoto entspreche dem Lichtbild des Betroffenen bei der Personalausweisbehörde. Und weiter: „Da der Betroffene folglich nur nicht belangt wurde, weil ein Verfahrenshindernis bestand, konnte die Verwaltungsbehörde gemäß § 105 Abs. 1 OWiG, §§ 467a Abs. 1 S. 2 Nr. 2 StPO davon absehen, die notwendigen Auslagen des Betroffenen der Staatskasse aufzuerlegen (vgl. AG FFM, 981 OWi 75/21, AG Lampertheim 53 AR 70/22).“

Hierauf hat der Verteidiger „sich für die Auslagenerstattung bedankt und den Bescheid vom 07.03.2023 „insoweit angenommen“. Weiterhin hat er endgültige Festsetzung und Ausgleichung der Kosten beantragt.

Mit erneuten selbständigen Kostenbescheid vom 6.4.2023 hat die Verwaltungsbehörde den Antrag, die notwendigen Auslagen der Staatskasse aufzuerlegen, zurückgewiesen und den selbstständigen Kostenbescheid vom 7.3.2023 für nichtig erklärt. Dieser Bescheid enthält dieselbe Begründung wie der Kostenbescheid vom 7.3.2023.

Hiergegen hat der Verteidiger Rechtsmittel eingelegt. Die Verwaltungsbehörde hat eine Nichtabhilfeentscheidung getroffen und das wie folgt begründet: „In analoger Anwendung der verwaltungsverfahrensrechtlichen Grundsätze ist mein Bescheid vom 07.03.2023 als nichtig anzusehen. Nichtigkeit eines Bescheides liegt bei besonders schwerwiegenden und offenkundigen Fehlern vor. Mein o.g. Bescheid enthält keine inhaltlich konsistente Kostenentscheidung, hier in der Form einer Auslagenentscheidung. Zwar erlegt der Tenor des Bescheids der Staatskasse die Auslagen auf, die Gründe tragen jedoch diese Entscheidung nicht, da sie in sich widersprüchlich sind. So wird an einer Stelle zur Auferlegung an die Staatskasse verwiesen, an anderer Stelle wiederum an die Betroffene. Der Verweis auf § 467 Abs. 3 S.1 StPO schon nicht zum Sachverhalt des vorliegenden Ordnungswidrigkeitsverfahrens. Die damit vorliegenden Fehler sind schwerwiegend und offensichtlich und ohne weiteres erkennbar. Es entspricht zudem der ständigen Veraltungspraxis, in vergleichbaren Verfahrenskonstellationen von der Auferlegung der Kosten/Auslagen zum Nachteil der Staatskasse abzusehen, wenn lediglich die Zustellurkunde zum Bußgeldbescheid nicht in Rücklauf kommt und damit ein Fall des § 467 Abs. 3 S. 2 Nr. 1 StPO vorliegt.“

Der Antrag des Betroffenen auf gerichtliche Entscheidung hatte Erfolg. Das AG hat den selbstständige Kostenbescheid vom 6.4.2023 aufgehoben und festgestellt, dass die Staatskasse die der Betroffenen entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen hat:

„Der zulässige Antrag auf gerichtliche Entscheidung ist auch begründet.

Zunächst bedarf es keiner ausdrücklichen Entscheidung, ob die Rechtsauffassung des Regierungspräsidiums zutreffend ist, wonach der Kostenbescheid vom 07.03.2023 nichtig ist. Dagegen würde jedenfalls sprechen, dass der Tenor der Entscheidung eindeutig formuliert ist, auch wenn die Gründe hierzu und auch in sich zum Teil widersprüchlich sind. Darüber hinaus korrespondiert der Tenor im selbständigen Kostenbescheid mit der grundlegenden Entscheidung des Gesetzgebers, wonach regelmäßig bei Rücknahme des Bußgeldbescheides und Einstellung des Verfahrens die Staatskasse die notwendigen Auslagen des Betroffenen zu tragen hat (vgl. § 105 Abs. 1 OWiG i.V.m. § 467a StPO und § 467 Abs. 2 bis 5 StPO). Deshalb dürfte auch eine Berichtigung wegen offensichtlicher Unrichtigkeit ausscheiden.

Ebenfalls offenbleiben kann, ob die Verwaltungsbehörde, unabhängig davon, zur Abänderung dieser, die Betroffene begünstigten, Entscheidung (analog §§ 48, 49 VwVfG) befugt war.

Denn auch wenn man von der Befugnis der Behörde, erneut über die Frage der Auslagenerstattung zu entscheiden, ausgeht, erweist sich der Antrag auf gerichtliche Entscheidung als begründet. Die notwendigen Auslagen der Betroffenen sind zu erstatten.

Zutreffend ist die Verwaltungsbehörde davon ausgegangen, dass sie, nachdem sie das Verfahren eingestellt hat, über die Auslagen der Betroffenen zu entscheiden hat. Denn eine Auslagenentscheidung der Verwaltungsbehörde ist nach § 105 Abs. 1 OWiG i.V.m. § 467a StPO erforderlich, wenn das Verfahren nach Rücknahme eines Bußgeldbescheids eingestellt wird. § 467a Abs. 1 StPO regelt sinngemäß, dass die dem Betroffenen erwachsenen notwendigen Auslagen der Staatskasse aufzuerlegen sind, wobei § 467 Abs. 2 bis 5 StPO ebenfalls sinngemäß gilt (Grommes, in: BeckOK OWiG, Graf, 38. Edition, Stand: 01.04.2023 Rn. 8 ff.).

Daraus ergibt sich die grundlegende Entscheidung des Gesetzgebers, dass regelmäßig bei Rücknahme des Bußgeldbescheides und Einstellung des Verfahrens die Staatskasse auch die notwendigen Auslagen des Betroffenen zu tragen hat. Die im vorliegenden Fall einzig in Betracht kommende Ausnahme hiervon regelt § 467 Abs. 3 Nr. 2 StPO, wonach von der Auslagenerstattung abgesehen werden kann, wenn es nur deshalb nicht zu einer Verurteilung kommt, weil ein Verfahrenshindernis besteht.

Diese Ausnahmevoraussetzung liegt im Ergebnis nicht vor, so dass die entstandenen notwendigen Auslagen der Betroffenen zu erstatten sind.

Zum Zeitpunkt der Rücknahme des Bußgeldbescheides lag zwar Verfolgungsverjährung vor (§ 31 OWiG). Gemäß § 26 Abs. 3 S. 1 StVG beträgt die Frist der Verfolgungsverjährung bei Ordnungswidrigkeiten nach § 24 Abs. 1 drei Monate, solange wegen der Handlung weder ein Bußgeldbescheid ergangen ist noch öffentliche Klage erhoben worden ist, danach sechs Monate. Zunächst wurde die Verfolgungsverjährung durch die am 17.08.2022 seitens der Verwaltungsbehörde verfügte Anhörung der Betroffenen unterbrochen. Zwar wurde vor Ablauf der Dreimonatsfrist am 10.11.2022 der Bußgeldbescheid erlassen. Allerdings gelangte die Zustellungsurkunde nicht in Rücklauf, so dass die Verjährung gemäß § 33 Abs. 1 Nr. 9 OWiG nicht unterbrochen wurde.

Allerdings fehlt es an der weiteren Voraussetzung, dass es nur wegen des Verfahrenshindernisses nicht zu einer Verurteilung gekommen ist. Hierbei ist nämlich stets dem Ausnahmecharakter der Bestimmung Rechnung zu tragen. Bei Hinwegdenken des Verfahrenshindernisses muss deshalb mit Sicherheit von einer Verurteilung auszugehen sein. Ist diese zweifelhaft, sind auch die notwendigen Auslagen des Beschuldigten bzw. Betroffenen der Staatskasse aufzuerlegen (Gieg, in: Karlsruher Kommentar zur Strafprozessordnung, 9. Auflage 2023, § 467 Rn. 10 f. m.w.N.).

Von einer sicheren Verurteilung kann bereits deshalb nicht ausgegangen werden, da eine Identifizierung der Betroffenen als Fahrerin durch den Tatrichter nicht stattgefunden hat. Zwar legt ein Abgleich der Messbilder mit den in der Akte befindlichen Lichtbildern der Betroffenen nahe, dass diese das Fahrzeug zur Tatzeit geführt hat. Die Fahrereigenschaft wurde allerdings nicht eingeräumt und es kann nicht mit hinreichender Sicherheit ausgeschlossen werden, dass nicht ein ähnlich aussehender Familienangehöriger das Fahrzeug gesteuert hat. Jedenfalls wäre das Gericht im Rahmen einer Hauptverhandlung gehalten gewesen, einem solchen – möglichen – Einwand nachzugehen.

Darüber hinaus kann auch nicht mit hinreichender Sicherheit von dem vorgeworfenen Höchstgeschwindigkeitsverstoß ausgegangen werden. Mit Beschluss des Amtsgerichts Büdingen vom 12.04.2023 wurde die Verwaltungsbehörde dazu verpflichtet, dem Verteidiger verschiedene Beweismittel zur Verfügung zu stellen und darüber hinaus wurde in diesem Beschluss ausdrücklich darauf hingewiesen, dass weitere Fragen des Verteidigers im Rahmen einer Hauptverhandlung durch Zeugenvernehmung geklärt werden können. Auch wenn bislang nach Aktenlage von einer ordnungsgemäßen Messung auszugehen ist, ist es, wie sich gelegentlich zeigt, gerade nicht auszuschließen, dass sich dies u.a. durch Vernehmung des Messbeamten in der Hauptverhandlung ausnahmsweise anders darstellt.

Im Übrigen wäre es inkonsequent, wenn nun von einer zu erwartenden sicheren Verurteilung ausgegangen würde, wenngleich mit Beschluss vom 12.04.2023 dem Antrag des Verteidigers auf Überlassung von Beweismitteln teilweise stattgegeben und darüber hinaus ausdrücklich darauf hingewiesen worden ist, dass weitere, vom Verteidiger aufgeworfene Fragen, in der Hauptverhandlung zu klären seien. Zu diesem Beschluss mit dieser Begründung wäre es allerdings nicht gekommen, wenn die Verwaltungsbehörde dem Gericht mitgeteilt hätte, dass der Bußgeldbescheid aufgehoben und das Verfahren eingestellt worden ist. Deshalb wird dringend angeraten, dem Gericht zukünftig zeitnah eine erfolgte Verfahrenseinstellung  mitzuteilen, wenn dort (lediglich) ein Antrag auf gerichtliche Entscheidung in derselben Sache anhängig ist.

Auf die Frage, ob die Verwaltungsbehörde ihr Ermessen ordnungsgemäß ausgeübt hat, kommt es mangels Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen nicht an.“

Eine schöne Entscheidung, die hinsichtlich der Auslagenerstattung in diesen Fällen noch einmal ins Gedächtnis ruft, dass es sich die Verwaltungsbehörde manchmal doch recht einfach machen, wenn es um die Auferlegung der notwendigen Auslagen des Betroffenen auf die Staatskasse nach einer Einstellung geht. „Übersehen“ wird nämlich häufig, dass in der Regel die Staatskasse diese zu tragen hat und sie nur in Ausnahmefällen dem Betroffenen selbst auferlegt werden können. Dieses „Regel-Ausnahme-Verhältnis“ wird von den Verwaltungsbehörden „gern“ umgekehrt. Treffend ist in dem Zusammenhang der Hinweis des Gerichts auf eine potentielle Widersprüchlichkeit, wenn man im Rahmen der Auslagenerstattung von einer sicheren Verurteilung des Betroffenen ausgeht, dem aber im Vorverfahren die Einsicht und das Zurverfügungstellen weiterer Unterlagen zur Überprüfung der Messung zugebilligt hat. So sicher war die Verurteilung dann wohl doch nicht.

Treffend übrigens auch das „Dankeschön“ des betroffenen Kollegen 🙂

Ob die Frage der Zulässigkeit der Rücknahme dahinstehen konnte, ist letztlich egal, da es am Ergebnis nichts ändert.