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OWi II: Die Zustellung ohne Vollmachtsnachweis, oder: Das reicht auch nach neuem Recht nicht

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Und dann die zweite Entscheidung, und zwar der LG Meiningen, Beschl. v. 23.01.2023 – 6 Qs 240/22. Schon etwas älter, ist aber jetzt erst „rein gekommen“.

Der Beschluss behandelt mal wieder eine Verjährungsfrage, und zwar Zustellung des Bußgeldbescheide an den Verteidiger, der keine Vollmacht vorgelegt hatte. Insofern enthält die Entscheidung nichts Neues, aber: Interessant sind die Ausführungen des LG zur Neufassung des § 51 Abs. 4 OWiG:

„Die Beschwerde der Staatsanwaltschaft hat in der Sache keinen Erfolg. Die angefochtene Entscheidung entspricht der Sach- und Rechtslage. Die Kammer teilt die Auffassung des Erstgerichts und tritt den Gründen der angefochtenen Entscheidung bei.

Das Amtsgericht pp. hat zutreffend festgestellt, dass der Verfolgung der Tat deren Verjährung entgegensteht, § 31 Abs. 1 S. 1 OWiG.

Die dreimonatige Verjährungsfrist aus § 26 Abs. 3 HS 1 StVG, die am 17.09.2021 zu laufen begonnen hat, wurde nur durch die Anhörung des Betroffenen am 05.10.2021 gern. § 33 Abs. 1 Ziff.1, Abs. 2 OWiG unterbrochen. Mit der Folge, dass nun das Ende der Verjährungsfrist auf den 05.01.2022 fiel.

Eine Unterbrechung durch Zustellung des Bußgeldbescheides fand indes nicht statt. Dieser. wurde durch die Bußgeldbehörde nur an den Verteidiger – nicht aber an den Betroffenen – zugestellt. An den gewählten Verteidiger kann gem: § 51. Abs. 3 S. 1 OWiG nur dann wirksam zugestellt werden, wenn dessen Bevollmächtigung nachgewiesen ist und zwar mindestens durch die Übermittlung einer Kopie der Vollmacht durch den Verteidiger. Die reine Anzeige der Verteidigung mit Schreiben vom 12.10.2022 ist hierfür nicht ausreichend (OLG Saarbrücken Beschl. v. 29.4.2009 – Ss (Z) 205/2009 (37/09), BeckRS 2009, 23759, beck-online).

Entgegen der Auffassung der Staatsanwaltschaft ändert auch die Neufassung des § 51 Abs. OWiG nichts an dieser Einschätzung. Der Wahlverteidiger hat seine Bevollmächtigung nachzuweisen, § 53 Abs. 3 S. 1 OWiG. Zur Erleichterung der elektronischen Einreichung der Verteidigervollmacht wird nunmehr auf das Erfordernis des Vorliegens der (Original-)Vollmachtsurkunde bei den Akten verzichtet. Es genügt die elektronische Einreichung einer digitalen Kopie der Vollmachtsurkunde, vgl. § 53 Abs. 3 S. 2 OWiG (vgl. BR-Drs. 57/21, 38, 149, vgl. BeckOK OWiG/A. Bücherl, 36. Ed. 1.10.2022, OWiG § 51 Rn. 62). Spätestens zum Zeitpunkt der Ausführung der Zustellung muss die Bevollmächtigung nachgewiesen sein (vgl. OLG Hamm NStZ 1982, 129); liegt der Nachweis der Bevollmächtigung zu diesem Zeitpunkt nicht vor, so ist die Zustellung an den Verteidiger unwirksam (vgl. OLG Karlsruhe Justiz 1982, 375). Gelangt der Nachweis der Bevollmächtigung später zu den Akten, heilt dies den Mangel nicht (vgl. OLG Stuttgart Justiz 1983, 466; Göhler/Seitz/Bauer Rn. 44a, vgl. BeckOK OWiG/A. Bücherl, 36. Ed. 1.10.2022, OWiG § 51 Rn. 63).

Vorliegend liegen keine Umstände vor, die mit der erforderlichen Sicherheit darauf schließen lassen, dass der Verteidigung zum Zeitpunkt der Zustellung des Bußgeldbescheides zur Entgegennahme von Zustellungen für den Betroffenen ermächtigt war.

Zudem ist dem Amtsgericht beizupflichten, insofern es die Einschlägigkeit des § 26 Abs. 3 Hs. 3 StVG verneint (vgl. BGH, Beschluss vom 28.10.1999, 4stR 453/99 – NJW 2000, 820 (821)).

Damit war zum Zeitpunkt der nächsten Unterbrechung mit Vorlage der Akten an das Amtsgericht Meiningen am 10.03.2022 bereits Verjährung eingetreten.“

Anmerkung: Soweit es im Beschluss an zwei Stellen „§ 53 OWiG“ heißt, handelt es sich um einen offensichtlichen Schreibfehler, der auch im Originalbeschluss enthalten ist.

OWi III: Erlass eines zweiten Bußgeldbescheides, oder: Verjährung und Aufenthaltsermittlung

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Und zum Tagesschluss dann noch der AG Landstuhl, Beschl. v. 26.07.2022 – 2 OWi 4211 Js 8465/22, der sich mit Verjährungsfragen befasst.

Gegen den Betroffenen war wegen einer am 03.12.2021 begangenen Ordnungswidrigkeit ein Bußgeldverfahren anhängig. Das AG hat das Verfahren gem. § 46 Abs. 1 OWiG i.V.m. § 206a Abs. 1 StPO eingestellt, weil Verfolgungsverjährung eingetreten ist. In der Akte haben sich zwei Bußgeldbescheide gegen denselben Betroffenen, die sich auf dieselbe Tat bezogen und die beide auf den 20.01.2022 datiert waren, jedoch teilweise einen unterschiedlichen Inhalt hatten (Anschrift des Betroffenen, Höhe der Auslagen und der Gesamtforderung), befunden.

Das AG hat das Verfahren eingestellt:

„1. Das Verfahren ist gem. § 46 Abs. 1 OWiG i.V.m. § 206a Abs. 1 StPO einzustellen, weil ein unbehebbares Verfahrenshindernis vorliegt. Der Verfolgung der Tat steht die eingetretene Verfolgungsverjährung entgegen.

1.1 Tattag laut Bußgeldbescheid war der 03.12.2021.

Fraglich ist bereits, ob mit der am 18.01.2022 erfolgten Anhörung des Betroffenen überhaupt eine Unterbrechung der Verjährung nach § 33 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 OWiG bewirkt wurde. Denn die Verwaltungsbehörde erließ bereits am 20.01.2022, also zwei Tage nach Versendung der Anhörung an den Betroffenen (und damit deutlich vor Ablauf der diesem gesetzten Stellungnahmefrist von einer Woche), einen Bußgeldbescheid gegen ihn, sodass einiges dafür spricht, dass es sich bei der Anhörung, deren Ergebnis von der Verwaltungsbehörde nicht abgewartet wurde, um eine Scheinmaßnahme handelte, durch die die Verjährung nicht unterbrochen werden konnte (vgl. KK-OWiG/Ellbogen, 5. Aufl. 2018, § 33 Rn. 10a m.w.N.).

Die Frage des Vorliegens einer Scheinmaßnahme kann aber im Ergebnis dahinstehen, da ungeachtet dessen in der Folge ohnehin Verjährung eingetreten ist.

1.2 Eine Verjährungsunterbrechung wurde nämlich nicht durch den Erlass oder die Zustellung eines Bußgeldbescheids bewirkt.

In der Akte finden sich zwei Bußgeldbescheide gegen denselben Betroffenen (Bl. 47 f. u. Bl. 69 f. d.A.), die sich auf dieselbe Tat beziehen und die ? was sich dem Gericht bereits im Ansatz nicht erschließt ? beide auf den 20.01.2022 datiert sind, jedoch teilweise einen unterschiedlichen Inhalt haben (Anschrift des Betroffenen, Höhe der Auslagen und der Gesamtforderung).

Mangels Zustellung des ersten Bußgeldbescheids (Bl. 47 f. d.A.) trat indes weder durch dessen Erlass noch durch dessen Zustellung eine Unterbrechung der Verjährung nach § 33 Abs. 1 S. 1 Nr. 9 OWiG ein. Ebenso verlängerte sich die Verfolgungsverjährungsfrist durch den Erlass des Bußgeldbescheids nicht gem. § 26 Abs. 3 S. 1 2. Alt. StVG von drei auf sechs Monate, da die Fristverlängerung erst mit (wirksamer) Zustellung des Bußgeldbescheids eintritt (BGH, NZV 2000, 131 f.; OLG Bamberg, NJW 2006, 1078 (1079); OLG Brandenburg, Beschl. v. 04.12.2008, Az. 2 Ss (OWi) 121 Z/08 ? juris, Rn. 22), was vorliegend jedoch nicht erfolgte.

1.3 Der Verfahrensübersicht (Bl. 9 d.A.) ist zwar zu entnehmen, dass die Verjährung sodann am 02.02.2022 durch eine „vorläufige Verfahrenseinstellung wegen Abwesenheit des Betroffenen gemäß § 33 OWiG und Aufenthaltsermittlung oder weitere Aufenthaltsermittlung nach vorläufiger Einstellung (Entscheidung Aufenthaltsermittlung vom 02.02.2022)“ unterbrochen worden sein soll, dies ist jedoch tatsächlich nicht der Fall.

Der Klammerzusatz „Entscheidung Aufenthaltsermittlung vom 02.02.2022“ lässt besorgen, dass die Verwaltungsbehörde rechtsirrig davon ausging, dass bereits in der bloßen Veranlassung einer Aufenthaltsermittlung eine vorläufige Einstellung des Verfahrens i.S.d. § 46 Abs. 1 OWiG i.V.m. § 205 StPO mit verjährungsunterbrechender Wirkung zu erblicken sei. Indes kann eine Anordnung der Aufenthaltsermittlung durch die Verwaltungsbehörde nur dann zur Verjährungsunterbrechung führen, wenn sie nach vorläufiger Einstellung des Verfahrens wegen Abwesenheit des Betroffenen erfolgt. Aus dem Erfordernis, dass die vorläufige Einstellung des Verfahrens der Aufenthaltsermittlung vorangegangen sein muss, also im Zeitpunkt der Anordnung der Aufenthaltsermittlung noch andauern muss, folgt, dass es sich hierbei um eigenständige Entscheidungen handelt; namentlich impliziert die bloße Veranlassung einer Aufenthaltsermittlung nicht auch die vorläufige Einstellung des Verfahrens. Im Gegenteil verhält es sich sogar so, dass die Voraussetzungen für eine vorläufige Einstellung nach § 46 Abs. 1 OWiG i.V.m. § 205 StPO nicht vorliegen, wenn die Behörde davon ausgeht, den Aufenthalt zeitnah ermitteln zu können, da es dann an einer länger andauernden Abwesenheit des Betroffenen fehlt, wie sie § 205 StPO jedoch voraussetzt (vgl. KK-StPO/Schneider, 8. Aufl. 2019, § 205 Rn. 8; BeckOK-StPO/Ritscher, 43. Edition 2022, § 205 Rn. 4)). Die bloße Veranlassung von Aufenthaltsermittlungen ohne vorangegangene Einstellungsentscheidung reicht jedenfalls zur Verjährungsunterbrechung nicht aus (BayObLG VRS 62, 288; OLG Celle, BeckRS 2015, 17625 (Rn. 10 f.).

1.4 Selbst wenn man davon ausginge, dass in der entsprechenden Eintragung in der Übersicht über den Verfahrenslauf eine Einstellung des Verfahrens nach § 46 Abs. 1 OWiG i.V.m. § 205 StPO zu erblicken wäre, wogegen allerdings neben dem Wortlaut des Klammerzusatzes auch der Umstand spricht, dass der geäußerte Wille der Unterbrechungshandlung durch die Sachbearbeiterin mit der erforderlichen Gewissheit aus der Akte ersichtlich sein muss (KK-OWiG/Ellbogen, 5. Aufl. 2018, § 33 Rn. 11), sodass jedenfalls zweifelhaft ist, ob eine Eintragung in der Übersicht über den Verfahrenslauf diese Voraussetzung überhaupt erfüllen kann, wäre gleichwohl zwischenzeitlich Verfolgungsverjährung eingetreten.

Entgegen der Auffassung der Verwaltungsbehörde unterbrachen nämlich weder der Erlass noch die Zustellung des zweiten Bußgeldbescheids (Bl. 69 f.d.A.) die Verjährung, da dieser nichtig ist und somit keine Rechtswirkungen entfalten kann. Grundsätzlich kann, solange ein Bußgeldbescheid existiert, aufgrund des Grundsatzes ne bis in idem wegen derselben Tat kein zweiter Bußgeldbescheid erlassen werden (KK-OWiG/Kurz, 5. Aufl. 2018, § 65 Rn. 24). Im vorliegenden Fall existierte, in Gestalt des (ersten) Bescheids vom 20.01.2022 (Bl. 47 f. d.A.), bereits ein Bußgeldbescheid in gleicher Sache, sodass die Verwaltungsbehörde am Erlass eines weiteren Bußgeldbescheids wegen derselben Tat gegen denselben Betroffenen gehindert war. Der erste Bußgeldbescheid war insbesondere auch nicht durch die fehlgeschlagene Zustellung unwirksam. Denn ein Bußgeldbescheid erlangt bereits mit seinem Erlass, nicht erst mit seiner Zustellung, Rechtswirksamkeit. Erlassen ist ein Bußgeldbescheid, wenn er vollinhaltlich aktenmäßig zur Kenntnis von Personen außerhalb der Verwaltungsbehörde niedergelegt ist und entweder unterschrieben ist oder aus den Umständen erkennbar ist, dass die in den Akten befindliche Entscheidung auf dem Willen des zuständigen Behördenbediensteten beruht (KK-OWiG/Kurz, 5. Aufl. 2018, § 65 Rn. 10 f. m.w.N.). Spätestens mit dem (wenn auch erfolglosen) Versuch der Zustellung des Bescheids an den Betroffenen ist der Wille der Sachbearbeiterin, den Bescheid zur Kenntnis von Personen außerhalb der Verwaltungsbehörde zu geben, aktenersichtlich zum Ausdruck gekommen, sodass der Bußgeldbescheid im Rechtssinne erlassen wurde.

Sofern die Behörde, wofür die Angaben in der Verfahrensübersicht sprechen könnten, davon ausgegangen sein sollte, dass es sich bei dem inhaltlich abgeänderten Bußgeldbescheid (Bl. 69 f. d.A.) nicht um einen Neuerlass, sondern lediglich um eine Art Modifizierung, Berichtigung oder Ergänzung des Ursprungsbescheids handelt, würde auch dies nichts am Eintritt der Verfolgungsverjährung ändern. Ein einmal erlassener Bußgeldbescheid kann, auch wenn er dem Betroffenen nicht (wirksam) zugestellt wurde, nachträglich nicht mehr abgeändert werden; Änderungen sind dann nur noch über eine Rücknahme und einen Neuerlass möglich. Hält die Behörde einen früheren Bußgeldbescheid für fehlerhaft oder möchte sie ihn ergänzen, so steht es ihr frei, diesen, so lange das Verfahren noch bei ihr anhängig und der Bußgeldbescheid noch nicht in Rechtskraft erwachsen ist, diesen zurückzunehmen und einen neuen, inhaltlich abweichenden, Bußgeldbescheid zu erlassen (vgl. etwa OLG Stuttgart, VRS 68, 128 ff.; OLG Düsseldorf, NJW 1986, 1505; OLG Köln, NStZ-RR 1998, 375 f.). Hierzu bedarf es jedoch zweier, ggf. auch in einer Urkunde zusammenzufassender, Entscheidungen der Verwaltungsbehörde, nämlich der Rücknahme des früheren Bescheids und des Erlasses eines neuen Bescheids (freilich dann auch nicht unter dem Datum des früheren Bescheids, sondern unter dem Datum des Tages des Neuerlasses). Indes wäre es im vorliegenden Fall auch möglich gewesen, den ursprünglichen Bußgeldbescheid (Bl. 47 f. d.A.) unter der ermittelten Anschrift neu zuzustellen. Dass in dem Bescheid dann eine mit der Zustellanschrift des Betroffenen nicht (vollständig) identische Anschrift enthalten gewesen wäre, wäre unschädlich gewesen, da eine Zuordnung zum Betroffenen anhand der übrigen Angaben im Bescheid (insb. Geburtsdatum und Geburtsort) ohne Weiteres möglich geblieben wäre. Sofern die Behörde allerdings auch die weiteren Zustellkosten dem Betroffenen auferlegen will oder der Auffassung ist, die Identifizierbarkeit des Betroffenen sei aufgrund der fehlerhaften Anschrift nicht mehr gegeben (was vorliegend angesichts eines bloßen Schreibfehlers im Straßennamen jedoch fernliegt), verbleibt nur der Weg über eine Rücknahme des alten Bescheids und einen Neuerlass.

Wird allerdings, wie vorliegend, in derselben Sache ein neuer Bescheid erlassen, ohne dass sich in diesem ein Hinweis auf die Rücknahme des alten Bescheids befindet, ist der neue Bußgeldbescheid wegen Verstoßes gegen den Grundsatz ne bis in idem nichtig und damit unwirksam (OLG Zweibrücken, NZV 1993, 451 f.). Dies gilt auch dann, wenn die Verwaltungsbehörde rechtsirrig davon ausgeht, keinen neuen Bescheid zu erlassen, sondern lediglich einen alten Bescheid inhaltlich abzuändern. Maßgeblich bleibt, da dies rechtlich nicht möglich ist, nämlich auch in diesem Fall der Bußgeldbescheid in der Form, wie er ursprünglich erlassen wurde. Der zweite Bescheid (Bl. 69 f. d.A.) stellt ein rechtliches nullum dar, das nicht geeignet ist, wie auch immer geartete Rechtswirkungen zu entfalten. Somit waren weder dessen Erlass noch dessen Zustellung dazu geeignet, die verjährungsunterbrechende Wirkung nach § 33 Abs. 1 S. 1 Nr. 9 OWiG herbeizuführen.

1.5 Demnach ist, selbst wenn man von Unterbrechungen am 18.01.2022 (oben 1.1) sowie am 02.02.2022 (oben 1.3) ausginge, spätestens am 02.05.2022 Verfolgungsverjährung eingetreten.“

Und: Das AG ist not amused:

„2. Das Gericht hat die Verwaltungsbehörde bereits in der Vergangenheit darauf hingewiesen, dass der Erlass eines inhaltlich vom Ursprungsbescheid abweichenden neuen Bußgeldbescheids unter dem Datum des Ursprungsbescheids untunlich ist und zu erheblichen rechtlichen Friktionen führen kann, was sich im vorliegenden Verfahren nunmehr bewahrheitet hat.

Das Gericht wird zukünftig Verfahren, in denen sich in der Akte mehrere Bußgeldbescheide unter identischem Datum, jedoch mit unterschiedlichem Inhalt, finden, gem. § 69 Abs. 5 S. 1 OWiG an die Verwaltungsbehörde zurückverweisen, sofern die Staatsanwaltschaft zustimmt und nicht ? wie vorliegend ? ohnehin bereits Verfolgungsverjährung eingetreten ist. Anderenfalls wird das Gericht zu prüfen haben, ob die fehlerhafte Vorgehensweise der Verwaltungsbehörde zur Folge hat, dass eine Ahndung der Ordnungswidrigkeit nicht geboten und das Verfahren nach § 47 Abs. 2 OWiG einzustellen ist.“

OWi II: „Anordnung der Anhörung ohne Versand“, oder: Keine Verjährungsunterbrechung

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Jeder Verkehrsrechtler (und auch andere) weiß: Nach § 33 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 OWiG unterbricht im Bußgeldverfahren die Anordnung der Vernehmung des Betroffenen die Verjährung auch dann, wenn sie nicht erfolgreich vollzogen werden kann. Was ist aber, wenn eine Anordnung für eine Anhörung getroffen wird, die (zunächst) nicht durchgeführt werden soll?

Für den Fall wird die Verjährungsunterbrechung verneint. Das gilt nach Auffassung des BayObLG im BayObLG, Beschl. v. 30.09.21 – 201 ObOWi 1165/21,  auch, wenn die Anordnung einer Vernehmung den Zusatz „Anhörung angeordnet ohne Versand“ enthält, der polizeiliche Sachbearbeiter zeitgleich ein Lichtbild des Betroffenen bei der Verwaltungsbehörde des Wohnsitzes anfordert und erst nach dessen Eingang und Durchführung der Identifizierung des Betroffenen als Fahrzeugführer der Versand des schriftlichen Anhörungsbogens an diesen angeordnet wird.

Wegen der Einzelheiten verweise ich auf den Volltext des Beschlusses. Und zu den Verjährungsfragen Gübner in: Burhoff (HRsg.), Handbuch für das straßenverkehrsrechtliche OWi-Verfahren, 6. Aufl., 2021, Rn. 3959 ff.). Ich meine ja nur 🙂 . Bestellen kann man das hier.

Die Verjährungsunterbrechung im Kostenrecht, oder: Zugang der Zahlungsaufforderung?

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Die zweite Entscheidung des Tages kommt dann aus dem Kostenrecht. Es handelt sich um den OLG Brandenburg, Beschl. v. 11.08.2021 – 2 Ws 2/21 (S), der sich zur Verjährungsunterbrechung im Kostenrecht durch Zahlungsaufforderung verhält. Folgender Sachverhalt:

Das Land Brandenburg nimmt die Schuldnerin auf Grundlage einer Kostenrechnung zu einem ehemals bei der Staatsanwaltschaft Cottbus anhängigen Verfahren (1704 Js 2231/05) vom 11.05.2017 sowie einer Kostenrechnung zum Verfahren der Staatsanwaltschaft Cottbus (1750 Js 393/95) vom 04.11.2009 im Wege der Zwangsvollstreckung in Anspruch und hat beim AG Cottbus einen am 11.02.2020 erlassenen Pfändungs- und Überweisungsbeschluss erwirkt. Auf die Erinnerung der Schuldnerin hat das LG den Pfändungs- und Überweisungsbeschluss aufgehoben, soweit damit durch die weitere Beteiligte die Kostenforderung zum Strafverfahren der Staatsanwaltschaft Cottbus mit dem Aktenzeichen 1704 Js 2231/05 vollstreckt werde. Die weitergehende Erinnerung hat das LG zurückgewiesen. Die Schuldnerin hat hiergegen Beschwerde eingelegt (§ 8 Abs. 1 JBeitrG, § 66 Abs. 2 GKG), die beim OLG Erfolg hatte

„Entgegen der Auffassung des Landgerichts ist die Erinnerung der Schuldnerin gegen den Pfändungs- und Überweisungsbeschluss auch insoweit begründet, als sie sich gegen die Vollstreckung der Kosten zu dem Verfahren der Staatsanwaltschaft Cottbus mit dem Aktenzeichen 1750 Js 393/95 (Kostenrechnung vom 4. November 2009, Kassenzeichen b…) richtet, denn auch insoweit ist die Einrede der Verjährung erfolgreich.

Der Lauf der vierjährigen Verjährungsfrist (§ 5 Abs. 1 Satz 1 GKG) begann mit Erlass der rechtskräftigen Kostengrundentscheidung durch Beschluss des Senats vom 24. Januar 2008 (2 Ws 158/06). Ob die Verjährung mit einer – von der Schuldnerin bestrittenen – Übersendung der zugrunde liegenden Kostenrechnung vom 4. November 2009 neu begonnen hat, kann dahinstehen, weil es bis zum danach geltenden Ablauf der Verjährungsfrist zum 31. Dezember 2013 keine erneute wirksame Unterbrechungshandlung gegeben hat.

Die vom Landgericht insoweit herangezogenen Zahlungsaufforderungen vom 4. Juni 2010 und vom 13. August 2012 habe nicht zu einem Neubeginn der Verjährung geführt.

Nach § 5 Abs. 3 Satz 2 GKG beginnt zwar die Verjährung des Anspruchs auf Zahlung von Kosten auch durch die Aufforderung zur Zahlung neu. Auch wenn eine förmliche Zustellung insoweit nicht erforderlich ist, müssen Zahlungsaufforderungen dem Schuldner jedoch zugegangen sein (Binz/Dörndorfer/Zimmermann; GKG, FamGKG, JVEG, 5. Aufl. § 5 GKG Rn. 12). Dies folgt im Umkehrschluss auch aus der Regelung in § 5 Abs. 3 Satz 3 GKG, wonach bei unbekanntem Aufenthalt des Schuldners ausnahmsweise die Zustellung durch Aufgabe zur Post unter seiner letzten bekannten Anschrift ausnahmsweise ausreicht und als bewirkt anzusehen ist. Entgegen der Auffassung des Landgerichts ergibt sich hierzu aus der Entscheidung des Saarländischen Oberlandesgerichts vom 18. März 2010 (9 WF 25/10, zit. nach Juris) nichts Abweichendes. Vielmehr hat auch danach die Staatskasse zur Verjährungsunterbrechung grundsätzlich den Zugang voll zu beweisen und kann nicht geltend machen, der Beweis des ersten Anscheins spreche für den Zugang einer der Deutschen Post zur Beförderung übergehenden Sendung.

Dass die Schuldnerin in Abrede stellt, die betreffenden Zahlungsaufforderungen erhalten zu haben, ist ihr nicht zu widerlegen. Hinsichtlich der Aufforderung zur Zahlung vom 4. Juni 2010 ist soweit ersichtlich bereits das zugrunde liegende Schriftstück nicht aktenkundig. Entgegen der Annahme des Landgerichts kann im Übrigen ein Indizienbeweis mit der Maßgabe, dass das Vorbringen der Schuldnerin als bloße Schutzbehauptung bewertet werden müsse, nicht geführt werden. Die von der Kammer hierzu herangezogenen Umstände betreffen spätere Handlungen und Reaktionen der Schuldnerin, die einen konkreten Rückschluss auf den Erhalt von Zahlungserinnerungen vom 4. Juni 2010 bzw. 13. August 2012 nicht zulassen.

Der am 29. Januar 2014 erteilte Vollstreckungsauftrag konnte die Verjährung nicht mehr gemäß § 5 Abs. 3 GKG, § 212 Abs. 1 Nr. 2 BGB unterbrechen, weil sie zu diesem Zeitpunkt bereits abgelaufen war.“

Es dürfte in der Praxis nicht so häufig vorkommen, dass Kostenforderungen der Staatskasse gegen den Schuldner, im Strafverfahren in der Regel gegen den Beschuldigten, verjähren. Aber ausgeschlossen ist das, wie die Entscheidung zeigt, nicht. Deshalb kann es sich – im wahrsten Sinn – ggf. lohnen, wenn eine bereits ältere Kostenrechnung vollstreckt werden soll, zu prüfen, ob nicht bereits Verjährung eingetreten ist.

OWi II: Keine wirksame Ersatzzustellung des BGB, oder: Keine Verjährungsunterbrechung

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Und als zweite Entscheidung dann ein BayObLG-Beschluss auf dem Bußgeldverfahren. Es geht um die Wirksamkeit einer Ersatzzustellung und damit verknüpft um die Frage der Verjährungsunterbrechung. Das AG hatte verurteilt, das BayObLG stellt im BayObLG, Beschl. v. 17.11.2020 – 201 ObOWi 1385/20 – ein:

„1. Folgender Verfahrensablauf liegt zugrunde:

Halter des bei dem Verkehrsverstoß festgestellten Fahrzeugs ist der Vater des Betroffenen, der in A gemeldet ist. Dessen Anhörung wurde am 02.09.2019 angeordnet. Nach Erholung eines Lichtbildes des Vaters des Betroffenen wurde am 01.10.2019 der Polizeiposten in A um Ermittlung des Fahrers zur Tatzeit gebeten. Von der Polizei in A wurde unter dem 08.10.2019 mitgeteilt, dass die durchgeführten Ermittlungen über die Meldedaten und Erholung eines Lichtbildes des Betroffenen ergaben, dass mit hoher Wahrscheinlichkeit der Betroffene den Pkw geführt haben dürfte. Unter dem 15.10.2019 ordnete daraufhin ein Mitarbeiter des Bayerischen Polizeiverwaltungsamtes die Anhörung des Betroffenen an. Der Bußgeldbescheid wurde am 20.11.2019 erlassen und durch Niederlegung in den zur Wohnung gehörenden Briefkasten am 22.11.2019 unter der Anschrift in A zugestellt. Der Betroffene war seit 01.08.2019 mit Hauptwohnsitz in F und in A mit einer Nebenwohnung gemeldet.

Die Verteidigerin hat mit am 06.12.2019 beim bayerischen Polizeiverwaltungsamt eingegangenem Schreiben gegen den Bußgeldbescheid vom 20.11.2019 „namens und in Vollmacht des Mandanten“ Einspruch eingelegt, ohne eine schriftliche Verteidigervollmacht vorzulegen. Die Akten wurden am 11.02.2020 dem Amtsgericht vorgelegt, wo dann am 08.04.2020 und am 17.04.2020 Termine zur Hauptverhandlung anberaumt worden sind. Eine von der Verteidigerin vorgelegte schriftliche Strafprozessvollmacht wurde vom Betroffenen am 20.04.2020 unterzeichnet. Nach Vortrag der Verteidigerin blieb der in A zugestellte Bußgeldbescheid ungeöffnet und ist dem Betroffenen zu keinem Zeitpunkt bekannt gegeben worden. Sie habe dem Betroffenen den Bußgeldbescheid auch nicht in Textform übermittelt.

2. Das Verfahren ist wegen eines Verfahrenshindernisses einzustellen (§ 260 Abs. 3 StPO i.V.m. § 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG), weil bereits vor Urteilsverkündung Verfolgungsverjährung (§ 31 Abs. 1 Satz 1 OWiG) eingetreten war.

…….

c) Die Verjährungsfrist ist hingegen nicht nach § 26 Abs. 3 Halbsatz 2 StVG auf sechs Monate verlängert und auch nicht nach § 33 Abs. 1 Nr. 9 OWiG erneut unterbrochen worden durch den Erlass des Bußgeldbescheides am 20.11.2019; denn der Bußgeldbescheid ist nicht innerhalb von zwei Wochen ab Erlass wirksam zugestellt worden. Sowohl für die Verlängerung der Frist auf sechs Monate als auch für die Unterbrechung der Verjährung nach § 33 Abs. 1 Nr. 9 OWiG ist nicht nur ein wirksamer Bußgeldbescheid, sondern auch dessen wirksame Zustellung erforderlich (vgl. BGHSt 45, 261, 263; OLG Bamberg NJW 2006, 1078; OLG Celle ZfSch 2011, 647).

aa) Eine wirksame Zustellung an den Betroffenen ist unter der Anschrift in A nicht erfolgt. Nach § 51 Abs. 1 OWiG, Art. 3 Abs. 2 Satz 1 BayVwZVG gelten für die Zustellung eines Bußgeldbescheides durch die Post mittels Zustellungsurkunde die Vorschriften der §§ 177182 ZPO entsprechend. Nach §§ 178 Abs. 1, 180 Satz 1 ZPO erfordert eine Ersatzzustellung durch Niederlegung in den zur Wohnung gehörenden Briefkasten, dass der Betroffene dort tatsächlich wohnhaft ist. Für den Begriff der Wohnung im Sinne der Zustellungsvorschriften kommt es auf das tatsächliche Wohnen an, nämlich darauf, ob der Zustellungsempfänger hauptsächlich in den Räumen lebt und dort auch schläft bzw. dort seinen Lebensmittelpunkt hat und den er regelmäßig aufsucht, ohne dass der melderechtliche Status ausschlaggebend ist (vgl. BGH NJW-RR 1994, 564; BeckOK/Dörndorfer ZPO [Stand: 01.09.2020] § 178 Rn. 3). Dies war für die Wohnung in A zum Zeitpunkt der Zustellung nicht der Fall. Der Betroffene trägt nachvollziehbar und durch die eidesstattliche Versicherung seines Vaters bestätigt vor, dass er sich seit 01.08.2019 nicht mehr in A aufgehalten hat. Er war seit diesem Zeitpunkt tatsächlich mit Hauptwohnsitz in F gemeldet. Auch die im Freibeweisverfahren erholte dienstliche Stellungnahme eines Beamten des Polizeipostens A hat keine gegenteiligen Erkenntnisse erbracht. Zwar kann unter Umständen eine Ersatzzustellung unter dem Nebenwohnsitz erfolgen. Dies setzt aber voraus, dass der Betroffene entweder den Anschein gesetzt hat, dort tatsächlich aufhältlich zu sein oder sich tatsächlich dort aufgehalten hat (vgl. VGH München, Beschluss vom 23.08.1999 – 7 ZB 99.1380 = BayVBl 2000, 403 = BeckRS 1999, 22873); BeckOK/Dörndorfer a.a.O. § 178 Rn. 4). Beides kann hier nicht nachgewiesen werden. Der Zugang von Briefsendungen kann nur durch positive Beweisanzeichen festgestellt werden (vgl. KG NZV 2002,200; OLG Celle a.a.O.).

bb) Eine Heilung dieses Zustellungsmangels ist nicht eingetreten, § 51 Abs. 1 OWiG i.V.m. Art. 9 BayVwZVG, da kein Zugang bei einem tatsächlich Empfangsberechtigten festgestellt werden kann. Der Betroffene bzw. sein Vater versichern und versuchen, dies anhand eines Lichtbildes zu belegen, dass der Bußgeldbescheid vom Betroffenen zu keinem Zeitpunkt aus dem Kuvert genommen worden ist, auf welchem das Zustellungsdatum vermerkt ist. Seine Verteidigerin, die den Bußgeldbescheid gemäß § 51 Abs. 3 Satz 3 OWiG formlos in Abschrift erhalten hat und deshalb bei Einspruchseinlegung auch das Datum des Bußgeldbescheides kannte, trägt vor, dass sie dem Betroffenen zu keinem Zeitpunkt den Bußgeldbescheid in Textform übermittelt habe. Für eine Heilung des Zustellungsmangels ist zwar nicht der Zugang des Originals des Schriftstücks erforderlich, sondern es genügen vielmehr auch die Übersendung einer Kopie oder eines Scans. Andere Formen der Übermittlung führen aber wegen der Fehleranfälligkeiten derartiger Übermittlungswege grundsätzlich nicht zur Heilung eines Zustellungsmangels (vgl. BGH, Beschluss vom 12.03.2020 – I ZB 64/19 = MDR 2020, 750 = WRP 2020, 740 = DGVZ 2020, 121 = GRUR 2020, 776 = ZMR 2020, 803). Die Verteidigerin hat vorliegend gemäß § 51 Abs. 3 Satz 3 OWiG lediglich formlos eine Abschrift des Bußgeldbescheides erhalten. Schon von daher fehlt bezogen auf die Verteidigerin der Zustellungswille der Verwaltungsbehörde. Es kann vorliegend auch dahinstehen, ob es für die Heilung eines Zustellungsmangels genügt, wenn die Verteidigerin anstelle des Betroffenen vom Inhalt des Bußgeldbescheides Kenntnis erlangt hat (vgl. zum Fall der Kenntniserlangung des Betroffenen bei missglückter Zustellung an den Verteidiger OLG Hamm, Beschluss vom 08.08.2017 – 3 RBs 106/17 bei juris). Die Heilung nach Art. 9 BayVwZVG i.V.m. § 189 2. Alt. BGB setzt voraus, dass der Bußgeldbescheid (in Textform) einem Empfangsberechtigten tatsächlich zugegangen ist. Der Wahlverteidiger gilt aber nur dann als empfangsberechtigt, wenn zum Zeitpunkt der Zustellung seine Vollmacht bereits zu den Akten gelangt ist (vgl. KK/Lampe OWiG 5. Aufl. § 51 Rn. 84 m.w.N.). Eine Abschrift der Verteidigervollmacht ist vorliegend aber erst am 23.04.2020 dem Amtsgericht überlassen worden. Demnach war die Verteidigerin vorliegend bei formloser Übersendung des Bußgeldbescheides (noch) nicht empfangsberechtigt. Es bestehen vorliegend auch keine Anhaltspunkte dafür, dass der Verteidigerin zum Zeitpunkt der Übersendung des Bußgeldbescheides bereits rechtsgeschäftliche Zustellungsvollmacht erteilt worden war.“