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OWi I: Nicht passende Software beim Messgerät LIDAR, oder: Niedrige Geschwindigkeitsbegrenzung/Vorsatz

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Zum allmählichen Wochenausklang 🙂 gibt es heute dann noch OWi-Entscheidungen.

Ich beginne mit zwei Entscheidungen zur Geschwindigkeitsüberschreitung, und zwar:

Passt die auf dem Messgerät LIDAR aufgespielte Software nur zu der LIDAR-Variante RLS 1000 1.1, obwohl im Eichschein die LIDAR-Variante RLS 1000 angegeben ist, begründet das in Verbindung mit der im Messprotokoll bezeichneten richtigen Software nicht die Annahme, dass die Eichung des Gerätes fehlerhaft gewesen sein könnte.

1. Eine Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit um 40 % oder mehr lässt bei einer sehr niedrigen Geschwindigkeitsbegrenzung für sich genommen noch nicht den Rückschluss auf zumindest bedingt vorsätzliches Verhalten des Fahrzeugführers zu.

2. In diesen Fällen müssen neben dem relativen Ausmaß der Geschwindigkeitsüberschreitung noch weitere Beweisanzeichen (wie etwa ein erhebliches absolutes Ausmaß der Überschreitung) hinzukommen, um auf ein zumindest bedingt vorsätzliches Verhalten schließen können.

3. Eine sehr niedrige Geschwindigkeitsbegrenzung in diesen Sinne dürfte erst ab einer zulässigen Höchstgeschwindigkeit deutlich unterhalb von 80 km/h vorliegen.

OWi I: Verkehrszeichen ohne amtliche Anordnung, oder: Wenn Beweisanträge Sinn machen

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Und dann gibt es hier – endlich (?) – mal wieder OWi-Entscheidungen. Man sieht an den großen Lücken zwischen OWi-Tagen, dass es im Moment aus dem Bereich wenig zu berichten gibt.

Ich beginne mit einer kleinen, aber feinen Entscheidung des AG Landstuhl. Das hat im AG Landstuhl, Urt. v. 03.06.2025 – 2 OWi 4211 Js 4445/25 – zu zwei Fragen Stellung genommen, nämlich zur Gültigkeit eines Verkehrszeichens ohne amtliche Anordnung und zur vorsätzlichen Geschwindigkeitsüberschreitung.

Dem Betroffenen war im Bußgeldbescheid zur Last gelegt worden, die durch Verkehrszeichen 274-70 angeordnete zulässige Höchstgeschwindigkeit von 70 km/h außerhalb geschlossener Ortschaften fahrlässig um 71 km/h überschritten zu haben. Die gemessene Geschwindigkeit habe nach Abzug der Toleranz 141 km/h betragen. Das AG hat den Betroffenen indes nur wegen einer  – allerdings vorsätzlichen – Überschreitung der außerhalb geschlossener Ortschaften gem. § 3 Abs. 3 lit. c Satz 1 StVO zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 100 km/h um 41 km/h (nach Toleranzabzug) zu einer Geldbuße von 640 EUR verurteilt und ein Fahrverbot von einem Monat verhängt.

Begründung:

„Die Fahrereigenschaft des Betroffenen sowie die Richtigkeit des Messergebnisses sind vorliegend nicht angezweifelt worden und stehen aufgrund des Ergebnisses der Beweisaufnahme zur Überzeugung des Gerichts fest. Indes kann dem Betroffenen lediglich der Vorwurf einer (allerdings vorsätzlichen) Überschreitung der außerhalb geschlossener Ortschaften gem. § 3 Abs. 3 lit. c Satz 1 StVO zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 100 km/h um 41 km/h (nach Toleranzabzug) gemacht werden, weil die im Tatzeitpunkt durch Verkehrszeichen 274-70 angeordnete zulässige Höchstgeschwindigkeit von 70 km/h nicht befolgungspflichtig war.

Aus einer E-Mail der Kreisverwaltung Kaiserslautern (Fachbereich 3.3, Verkehrswesen) vom 13.05.2025 an das erkennende Gericht ergibt sich, dass für die verfahrensgegenständliche Geschwindigkeitsbegrenzung keine verkehrsbehördliche Anordnung existiert.

Bei Regelungen durch Verkehrszeichen handelt es sich nach mittlerweile allgemeiner Auffassung um Verwaltungsakte in Gestalt von Allgemeinverfügungen (§ 35 Satz 2 VwVfG). Ob es sich bei einem Verkehrszeichen, dem keine verkehrsbehördliche Anordnung zugrundeliegt, mangels Handelns einer Behörde (§ 1 Abs. 4 VwVfG) um einen Nichtakt (Scheinverwaltungsakt) handelt, der schon aus diesem Grund keine Rechtswirkungen entfalten kann, oder „lediglich“ um einen nichtigen Verwaltungsakt i.S.d. § 44 VwVfG, der gern. § 1 Abs. 1 LVwVfG RP i.V.m. § 43 Abs. 3 VwVfG nicht befolgungspflichtig ist, kann vorliegend im Ergebnis dahinstehen. Für einen Nichtakt würde zwar sprechen, dass das aufgestellte Verkehrszeichen nicht den Verwaltungsakt selbst, sondern lediglich dessen Bekanntgabe nach Maßgabe von § 39 Abs. 1, § 45 Abs. 4 StVO darstellt, sodass diese ins Leere geht, wenn es bereits an dem ihr zugrundeliegenden Verwaltungsakt fehlt. Für eine „bloße“ Nichtigkeit könnte andererseits aber sprechen, dass es sich bei einem Verkehrszeichen, das zwar auf behördliche Veranlassung hin aufgestellt, jedoch von dieser nicht wirksam angeordnet wurde, um eine der Straßenverkehrsbehörde zurechenbare Maßnahme handeln könnte, bei der aufgrund der äußeren Gestaltungsform nach dem objektiven Empfängerhorizont vom Vor-liegen der Merkmale des § 35 VwVfG ausgegangen werden kann, sodass diese als (zumindest formeller) Verwaltungsakt angesehen werden muss (vgl. etwa BVerwG, NVwZ 2012, 506 (507)). Da in Rechtsprechung und Literatur anerkannt ist, dass nicht behördlich angeordnete Verkehrs-zeichen nicht befolgungspflichtig sind (vgl. etwa VGH Mannheim, ESVGH 60, 160 (161 ff.) m.w.N.; OLG Zweibrücken, VerkMitt 1977 Nr. 5; VG Koblenz, Urt. v. 16.04.2007 — 4 K 1022/06.KO, juris Rn. 20; Rebler, DAR 2010, 377 (380 f.); Sauthoff, Öffentliche Straßen, 3. Aufl. 2020, Rn. 1115), kommt es im Ergebnis auf die genaue Einordnung im vorliegenden Fall nicht an. Das nicht auf einer amtlichen Anordnung beruhende Verkehrszeichen kann unter keinem Gesichtspunkt eine Grundlage für eine bußgeldrechtliche Ahndung darstellen.

Soweit der Betroffene im Hinblick auf die innere Tatseite eingewendet hat, sich seiner Fahrgeschwindigkeit nicht bewusst gewesen zu sein, handelt es sich hierbei zur Überzeugung des Gerichts um eine Schutzbehauptung. Eine Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit um mehr als 40 % stellt im Hinblick auf die Wahrnehmung der Fahrgeschwindigkeit regelmäßig ein verlässliches Indiz für zumindest bedingt vorsätzliches Handeln dar (OLG Zweibrücken, ZfSch 2020, 591 (592); DAR 2022, 401 = ZfSch 2022, 592 f.). Das Gericht ist auch nicht nach dem Zweifelssatz verpflichtet, eine nicht eindeutig widerlegbare Einlassung eines Betroffenen ungeprüft zu übernehmen, sondern hat diese anhand der festgestellten objektiven Tatumstände auf ihre Nachvollziehbarkeit zu prüfen und mit dem Beweisergebnis im Übrigen in eine Gesamtwürdigung einzustellen. Angesichts des mit 41 km/h bzw. 41 % der zulässigen Höchstgeschwindigkeit immer noch erheblichen sowohl absoluten als auch relativen Ausmaßes der Geschwindigkeits-überschreitung kann dem Betroffenen aufgrund der Fahrgeräusche, der Fahrzeugvibration und der Schnelligkeit, mit der sich die Umgebung änderte, nicht verborgen geblieben sein, dass seine Fahrgeschwindigkeit jedenfalls oberhalb der außerhalb geschlossener Ortschaften abseits von Autobahnen und Kraftfahrstraßen generell für Pkw gültigen Höchstgeschwindigkeit von 100 km/h lag.

Die Rechtfolgenbemessung entspricht dem Regelsatz nach der Bußgeldkatalogverordnung (§ 3 Abs. 4a, § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Satz 2 BKatV, Nr. 11.3.7 BKat). Zu einem Abweichen von diesem Regelsatz hat kein Anlass bestanden (§ 17 Abs. 3 OWiG). Insbesondere hat auch kein Anlass bestanden, das hiernach indizierte Fahrverbot in Wegfall zu bringen oder von diesem gegen angemessene Erhöhung der Geldbuße (§ 4 Abs. 4 BKatV) abzusehen.“

Für den Betroffenen ist die Verurteilung „nur“ zu einer Geldbuße von 640 EUR mit einem Fahrverbot von einem Monat – trotz der Annahme von Vorsatz – ein Erfolg. Denn wäre es bei dem ursprünglichen Vorwurf geblieben, hätte ihm nach Nr. 11.3.10 BKat eine Geldbuße von 700 EUR und die Verhängung eines Fahrverbotes von drei Monaten gedroht. Dieser Erfolg beruht, wie der Kollege, der mir die Entscheidung geschickt hat, angemerkt hat, die auf einem – erfolgreichen – Beweisantrag auf Einholung der verkehrsrechtlichen Anordnung des Verkehrszeichens. Das zeigt: Solche Beweisanträge können Sinn machen.

OWi I: Gegenstand der erweiterten Akteneinsicht, oder: Relevanz der Falldatensätze der Messreihe

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Und dann geht es weiter mit Owi-Entscheidungen.

Zunächst hier zwei AG-Entscheidungen zur Akteneinsicht, allerdings nur die Leitsätze. Es handelt sich um:

1. Der Grundsatz des fairen Verfahrens begründet für die Verteidigung ein Recht auf sogenannte erweiterte Akteneinsicht. Diese erweiterte Akteneinsicht betrifft Unterlagen und Daten, die bei der Behörde vorhanden sind und von denen sich die Verteidigung erhofft bzw. erhoffen kann, die Effektivität der Verteidigung erhöhen zu können und die insbesondere bei Überprüfung von Messverfahren auch einem Sachverständigen auf dessen Anforderung hin zur Verfügung gestellt werden würden. Dies gilt für die Falldatei inklusive der Rohmessdaten, für den hierfür notwendigen Token, das Passwort und schließlich auch für die digitalen Falldaten der gesamten Messreihe des Tattages.

2. Was nicht existent ist, kann hingegen nicht Gegenstand der erweiterten Akteneinsicht sein. Das gilt für ein Ersteinrichtung- und Aufbauprotokoll für das Messgerät nebst Gehäuse.

Eine (potentielle) Relevanz der Falldatensätze der sog. „gesamten Messreihe“ sowie der Statistikdatei für die Verteidigung eines Betroffenen im Bußgeldverfahren besteht nach derzeitigem Erkenntnisstand nicht.

Auslagenerstattung: Zunächst Angehörigenschutz, oder: Wenn das Zeugnisverweigerungsrecht wegfällt

Schirm, Schutz

Die Flut von Entscheidungen, die sich mit der Auslagenerstattung befassen, wenn das Buß-geldverfahren eingestellt worden ist, reißt, wie man sieht, nicht ab. Das AG Landstuhl hat sich in seinem dazu ergangenen AG Landstuhl, Beschl. v. 11.07.2024 – 2 OWi 4211 Js 14253/23 – mit der Frage befasst, wie damit umzugehen ist, wenn der Betroffene zunächst berechtigt war, von seinem Zeugnisverweigerungsrecht zugunsten eine nahen Angehörigen Gebrauch zu machen, dieses Recht dann aber im Laufe des Verfahrens entfallen ist.

Dem Betroffenen war eine Geschwindigkeitsüberschreitung zur Last gelegt worden. Das AG hat das Verfahren gem. § 47 Abs. 2 OWiG eingestellt, weil es eine Ahndung nicht für geboten gehalten hat. Neben dem Betroffenen komme als Fahrzeugführer im Vorfallszeitpunkt auch dessen Bruder in Betracht, den das Gericht in der Hauptverhandlung als Zeuge vernommen habe. Dieser habe die Fahrereigenschaft eingeräumt. Das von dem Messgerät gefertigte Lichtbild sei für eine Identifizierung nur sehr eingeschränkt geeignet, sodass das Gericht zum Zwecke der Fahreridentifizierung auf sachverständige Hilfe angewiesen wäre. Die erwartbaren Kosten, die im Falle einer weiteren Sachverhaltsaufklärung anfielen, stünden außer Verhältnis zur Bedeutung des Tatvorwurfs. Dies gelte insbesondere vor dem Hintergrund der Tatsache, dass eine Ordnungswidrigkeit der vorgeworfenen Art nicht im Fahreignungsregister einzutragen wäre.

Die Kosten des Verfahrens hat der AG der Staatskasse auferlegt. Seine notwendigen Auslagen habe der Betroffene hingegen selbst zu tragen. Dazu führt das AG aus:

„Dieses Ergebnis rechtfertigt sich aus einer Heranziehung des Rechtsgedankens von § 109a Abs. 2 OWiG. Das Gericht hat dabei nicht verkannt, dass in der Rechtsprechung anerkannt ist, dass der Schutz eines nahen Angehörigen vor der Verfolgung eine Benennung i.S.d. § 109a Abs. 2 OWiG unzumutbar machen kann. Keine Einigkeit herrscht indes hinsichtlich der Frage, ob die Unzumutbarkeit von Angaben, die einen nahen Angehörigen belasten, entfällt, sobald hinsichtlich des Angehörigen Verfolgungsverjährung eingetreten ist (in diesem Sinne OLG Köln, ZfS 1995, 350; AG Oberhausen, Beschl. v. 31.03.2011 — 23 OWi 3/11, BeckRS 2013, 19244; a.A. LG Zweibrücken, NZV 2007, 431 f.). Das Gericht bejaht diese Frage, denn der Eintritt der Verfolgungsverjährung gegen einen nahen Angehörigen hat den Entfall der Konfliktsituation zur Folge, in der sich ein Betroffener befindet und vor der er durch das Kriterium der Unzumutbarkeit geschützt werden soll, wenn er sich von einem gegen ihn bestehenden Verdacht nur dadurch befreien kann, dass er einen nahen Angehörigen als Täter benennt und diesen damit der Gefahr einer Verfolgung aussetzt. Dies zeigt insbesondere der Vergleich zu der Regelung in § 55 StPO, der eine vergleichbare Konfliktsituation zu Grunde liegt und im Rahmen derer anerkannt ist, dass ein Auskunftsverweigerungsrecht nicht mehr besteht, wenn gegen einen als Täter in Betracht kommenden Angehörigen auf Grund eingetretener Verfolgungsverjährung keine Verfolgungsgefahr mehr bestehen kann (BGH, NStZ 2010, 463 f.; 2017, 546 (547)). Nach Eintritt der Verfolgungsverjährung gegen den nahen Angehörigen besteht daher nach Auffassung des Gerichts keine Situation mehr, die dessen Benennung unzumutbar i.S.d. § 109a Abs. 2 OWiG machen würde.

Der Betroffene hat seine Fahrereigenschaft im Rahmen einer Online-Anhörung am 16.05.2023 (BI. 62 d.A.) lediglich pauschal bestritten. Verfolgungsverjährung gegen den Bruder des Betroffenen ist gem. § 26 Abs. 3 Satz 1 Var. 1 StVG am 19.07.2023 eingetreten, die Abgabe des Verfahrens von der Verwaltungsbehörde an die Staatsanwaltschaft ist indes erst am 09.08.2023 erfolgt (BI. 106 d.A.). Der Betroffene hätte mithin ausreichende Gelegenheit gehabt, seinen Bruder noch im behördlichen Zwischenverfahren als möglichen weiteren Fahrzeugführer zu benennen, ohne diesen der Gefahr einer bußgeldrechtlichen Verfolgung auszusetzen.

Im vorliegenden Fall wäre die Benennung für das weitere Verfahren auch wesentlich gewesen. Denn ein rechtzeitiges Vorbringen des Umstands, dass der Bruder des Betroffenen ebenfalls als Fahrzeugführer in Betracht kommt, hätte bei der Bußgeldbehörde eine weitere Aufklärungspflicht ausgelöst und wäre potentiell geeignet gewesen, das anschließende gerichtliche Verfahren – und damit auch die hierdurch verursachten Auslagen des Betroffenen – zu vermeiden (BVerfG, NZV 2014, 95 (96); Thoma, in Göhler, OWiG, 19. Aufl. 2024, § 109a Rn. 10).“

Ich habe mit der Entscheidung Probleme, denn die vom AG getroffene Entscheidung ist m.E. aus verschiedenen Gründen nicht unbedenklich.

1. Man fragt sich zunächst, ob der Rückgriff des AG auf § 109a Abs. 2 OWiG überhaupt möglich ist. Denn § 109 a Abs. 2 OWiG ist dann nicht anwendbar, wenn die Verwaltungsbehörde bei der ihr obliegenden Sachaufklärung die entlastenden Umstände selbst hätte aufklären können, wie z. B. durch einen Fotovergleich (vgl. Göhler/Thoma, a.a.O.§ 109 a Rn 7 m.w.N.). Ist bzw. war der aber nicht möglich, hätte das Verfahren schon von der Verwaltungsbehörde eingestellt werden können/müssen und allein deshalb wären weitere Kosten, die erst durch die Abgabe an die Staatsanwaltschaft und die Vorlage bei Gericht entstanden sind, vermieden worden.

2. Hinzu kommt, dass fraglich ist, ob man § 109a OWiG, auf den das AG zur Stützung seiner Entscheidung verweist, überhaupt heranziehen kann. Die Vorschrift will Missbräuchen vorbeugen und ist deshalb nur in Fällen heranzuziehen, in denen nicht rechtzeitiges Vorbringen als missbräuchlich oder unlauter anzusehen ist. Es kommt darauf an, ob sich für das Verhalten des Betroffenen ein vernünftiger und billigenswerter Grund anführen lässt. Billigenswerter Grund für die Zurückhaltung des entlastenden Umstandes ist nach überwiegender Ansicht der Schutz eines nahen Angehörigen vor der Verfolgung. Der Betroffene hat demnach in zulässiger Weise seinen Bruder vor der Verfolgung geschützt und war m.E. nicht verpflichtet, nach Eintritt der Verjährung ihn als Fahrer zu benennen.

3. Und schließlich: Das AG hat dem Kosten seine notwendigen Kosten insgesamt auferlegt. Auch das erscheint bedenklich. Denn nach § 109 Abs. 2 OWiG kann nur „soweit“ von der Auferlegung auf die Staatskasse abgesehen werden, als Auslagen entstanden sind, „die er (der Betroffene) durch ein rechtzeitiges Vorbringen entlastender Umstände hätte vermeiden können“. Es kann also auch nur teilweise davon abgesehen werden, der Staatskasse notwendige Auslagen aufzulegen. Das bedeutet, dass man unterscheiden muss, welche notwendigen Auslagen bereits entstanden waren, als gegenüber dem Bruder des Betroffenen Verjährung eingetreten ist. Denn bis dahin musste der Betroffene auch nach der Ansicht des AG seinen Bruder nicht als Fahrer benennen. D.h., dass ggf. die Gebühren aus dem Vorverfahren, also Grundgebühr Nr. 5100 VV RVG und die Verfahrensgebühr für das Verfahren vor der Verwaltungsbehörde (Nrn. 5101 ff. VV RVG) der Staatskasse aufzulegen gewesen wären, je nachdem wie sich das Verfahren gestaltet hat. Dazu schweigt das AG, wenn es diesen Umstand überhaupt gesehen hat, aber leider.

OWi II: Polizeiliche Sicherstellung des Führerscheins, oder: Anrechnung auf die Fahrverbotsdauer

Im zweiten Posting dann mal etwas aus dem vollstreckungsrechtlichen Bereich, und zwar den AG Landstuhl, Beschl. v. 05.09.2024 – 2 OWi 157/24. Es geht um die Anrechnung einer polizeirechtlichen Sicherstellung des Führerscheins auf ein Fahrverbot im Vollstreckungsverfahren.

Folgender Sachverhalt: Der Führerschein des Betroffenen war am Tattag, dem 25.05.2023, nach einer Drogenfahrt nach § 24a Abs. 2 StVG durch Anordnung einer Polizeibeamtin auf der Grundlage von § 22 Nr. 1 POG RP präventiv zur „Abwehr einer gegenwärtigen Gefahr“ „kurzzeitig sichergestellt“ und sodann in amtlichen Gewahrsam verbracht worden. Der Führerschein wurde von dem Betroffenen erst nach dem 28.07.2023 wieder aus dem amtlichen Gewahrsam abgeholt, wo er sich seit der Sicherstellung am 25.05.2023 durchgängig befunden hatte. Der Betroffene hat gegenüber der Verwaltungsbehörde beantragt, die Dauer, in der sich sein Führerschein infolge der vorbezeichneten Sicherstellungsanordnung in amtlichem Gewahrsam befand, auf das rechtskräftig gegen ihn verhängte Fahrverbot anzurechnen. Die Verwaltungsbehörde hat die beantragte Anrechnung abgelehnt. Den hiergegen gestellten Antrag auf gerichtliche Entscheidung hat das AG als unbegründet verworfen:

„2.1 Das Amtsgericht Landstuhl ist gem. § 103 Abs. 1 Nr. 3, § 104 Abs. 1 Nr. 1 OWiG i.V.m. § 68 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 OWiG, § 4 StrafZustV RP für die Entscheidung über die begehrte Anrechnung örtlich und sachlich zuständig, weil der Begehungsort der dem Vollstreckungsverfahren zu Grunde liegenden Verkehrsordnungswidrigkeit im Bezirk dieses Gerichts liegt (§ 7 OWiG) und es sich bei der Nichtanrechnungsentscheidung durch die Verwaltungsbehörde um eine nicht von § 103 Abs. 1 Nrn. 1 und 2 OWiG umfasste, bei der Vollstreckung getroffene Maßnahme i.S.d. § 103 Abs. 1 Nr. 3 OWiG handelt (vgl. Krumm, Fahrverbot in Bußgeldsachen, 5. Aufl. 2021, § 14 Rn. 1).

Dem statthaften und auch sonst zulässigen Antrag des Betroffenen auf gerichtliche Entscheidung bleibt der Erfolg indes versagt, weil sich die Nichtanrechnung der Dauer, in der sich der Führerschein infolge der auf polizeirechtlicher Grundlage erfolgten Sicherstellung in amtlichem Gewahrsam befand, durch die Verwaltungsbehörde jedenfalls im Ergebnis als zutreffend erweist.

2.2 Gemäß § 25 Abs. 6 Satz 1 StVG wird die Dauer einer vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis nach § 111a StPO auf das Fahrverbot angerechnet. Nach § 25 Abs. 6 Satz 3 StVG steht der vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis die Verwahrung, Sicherstellung oder Beschlagnahme des Führerscheins nach § 94 StPO gleich. Hieran fehlt es vorliegend, weil dem Betroffenen die Fahrerlaubnis nicht gem. § 111a StPO vorläufig entzogen wurde. Sein Führerschein war auch nicht gem. § 94 StPO verwahrt, sichergestellt oder beschlagnahmt. Rechtsgrundlage für die am 25.05.2023 erfolgte Sicherstellung war vielmehr ausweislich des Sicherstellungsprotokolls ausschließlich § 22 Nr. 1 POG RP.

Auf die Frage, ob eine Sicherstellung des Führerscheins nach polizeirechtlichen Vorschriften überhaupt rechtmäßig erfolgen kann, kommt es nicht entscheidungserheblich an (ebenso offengelassen durch BGH, NJW 1969, 1308 (1310 a.E.)), denn einer Anrechnung sind ohnehin nur solche Maßnahmen zugänglich, die im Hinblick auf eine mögliche Entziehung der Fahrerlaubnis erfolgen. Andere Maßnahmen, wie etwa eine Sicherstellung oder Beschlagnahme des Führerscheins alleine aus beweisrechtlichen Gründen (§ 94 Abs. 1 StPO), sind nach zutreffender Auffassung nicht auf ein später verhängtes Fahrverbot anzurechnen (so jeweils für § 51 Abs. 5 Satz 2 StGB König, in: LK-StGB, 13. Aufl. 2020, § 44 Rn. 72; Grohmann, DAR 1988, 45 ff.; a.A. Lackner/Kühl/Heger, StGB, 30. Aufl. 2023, § 51 Rn. 14). Für eine Differenzierung nach Maßnahmen, die im Hinblick auf eine mögliche Entziehung der Fahrerlaubnis erfolgen und anderen Maßnahmen spricht insbesondere der teleologische Zusammenhang von § 25 Abs. 6 Satz 3 StVG zu § 111a StPO und § 69 StGB. Nach § 111a Abs. 5 Satz 1 StPO endet eine Verwahrung, Sicherstellung oder Beschlagnahme des Führerscheins in den dort bestimmten Fällen nur, wenn diese im Hinblick auf eine mögliche Einziehung nach § 69 Abs. 3 Satz 2 StGB erfolgt ist, die Maßnahme ihre Rechtsgrundlage also ausschließlich in § 94 Abs. 3 i.V.m. § 94 Abs. 1 oder 2 StPO gefunden hat (Hauschild, in: MüKo-StPO, 2. Aufl.2023, § 111a Rn. 40; Hauck, in: LR-StPO, 27. Aufl. 2019, § 111a Rn. 73). Eine (auch) zu Beweiszwecken erfolgte Verwahrung, Sicherstellung oder Beschlagnahme des Führerscheins (§ 94 Abs. 1 oder 2 StPO) kann demnach nicht gem. § 111a Abs. 5 Satz 1 StPO beendet werden; ebenso kann die gem. § 98 Abs. 2 Satz 1 StPO erforderliche Bestätigung einer (auch) zu Beweiszwecken erfolgten Beschlagnahme nicht nach § 111a Abs. 4 StPO durch die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis ersetzt werden. Ein nach § 21 Abs. 2 Nr. 2 StVG strafbewehrtes Verbot des Führens von Kraftfahrzeugen im öffentlichen Straßenverkehr folgt indes lediglich aus solchen Maßnahmen nach § 94 StPO, die nach Lage der Dinge zu einer Entziehung der Fahrerlaubnis führen können (König, in: Hentschel/König/Dauer, StVR, 47. Aufl. 2023, § 21 StVG Rn. 22; ders., in: LK-StGB, 13. Aufl. 2020, § 44 Rn. 72; in diese Richtung auch BGH, NJW 1982, 182 (183); OVG Schleswig, DAR 1968, 135). Das Führen eines Kraftfahrzeugs während der Dauer einer auf polizeirechtlicher Grundlage erfolgten Sicherstellung des Führerscheins ist nicht nach § 21 Abs. 2 Nr. 2 StVG strafbar, sondern lediglich nach § 75 Nr. 4 i.V.m. § 4 Abs. 2 Satz 2 FeV ahndbar (OLG Köln, NJW 1968, 666; Hühnermann, in: Burmann u.a., StVR, 28. Aufl. 2024, § 21 Rn. 42; König, in: Hentschel/König/Dauer, StVR, 47. Aufl. 2023, § 21 StVG Rn. 22; Hauck, in: LR-StPO, 27. Aufl. 2019, § 111a Rn. 72; Trupp, NZV 2004, 389 (394)). Demnach kann auch eine Sicherstellung des Führerscheins auf polizeirechtlicher Grundlage nicht von § 25 Abs. 6 Satz 3 StVG erfasst sein, weil diese nicht im Hinblick auf eine mögliche Entziehung der Fahrerlaubnis, sondern alleine aus präventiven Gründen erfolgt.

2.3 Eine analoge Anwendung von § 25 Abs. 6 Satz 3 StVG für den Fall einer Sicherstellung des Führerscheins auf polizeirechtlicher Grundlage scheidet aus, weil im Hinblick auf die Eingriffsintensität keine Vergleichbarkeit mit den von § 25 Abs. 6 Sätze 1 und 3 StVG erfassten Maßnahmen besteht. Denn wie bereits dargestellt, hätte sich der Betroffene nicht strafbar, sondern lediglich ahndbar gemacht, wenn er während der Dauer der auf polizeirechtlicher Grundlage erfolgten Sicherstellung seines Führerscheins ein Kraftfahrzeug im öffentlichen Straßenverkehr geführt hätte. Die lediglich zur Gefahrenabwehr erfolgte Sicherstellung des Führerscheins ist zudem im Vergleich zu Maßnahmen nach §§ 94, 111a StPO für den Betroffenen weit weniger belastend, weil sie nach Wegfall der Gefahrenlage aufgehoben wird und damit regelmäßig nur von kurzer Dauer ist. Nach dem Sachverhaltsvermerk von PKin … vom 31.07.2023 sowie ihrer Stellungnahme gegenüber der Verwaltungsbehörde vom 22.07.2024, an deren Richtigkeit zu zweifeln das Gericht jeweils keinen Anlass hat, war dies auch vorliegend der Fall.

Soweit das Oberlandesgericht Frankfurt am Main in einem Beschluss vom 16.07.2020 eine analoge Anwendung von § 25 Abs. 6 StVG für möglich gehalten hat (OLG Frankfurt a.M., Beschl. v. 16.07.2020 ? 1 Ss-OWi 309/20, BeckRS 2020, 28167 (Rn. 8)), ist der dieser Entscheidung zu Grunde liegende Sachverhalt mit dem hiesigen Sachverhalt nicht vergleichbar. Denn in dem Verfahren vor dem Oberlandesgericht Frankfurt am Main wurde dem Betroffenen anlässlich der dort verfahrensgegenständlichen Tat die Fahrerlaubnis von der Fahrerlaubnisbehörde während des laufenden Bußgeldverfahrens ohne ausreichende Grundlage sofort vollziehbar entzogen. Die Entziehungsentscheidung wurde erst knapp fünf Monate später vom Verwaltungsgericht aufgehoben und hätte wegen § 43 Abs. 2 VwVfG HE, § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO zur Folge gehabt, dass sich der Betroffene gem. § 21 Abs. 1 Nr. 1 StVG strafbar gemacht hätte, wenn er bis zur Aufhebung durch das Verwaltungsgericht ein Kraftfahrzeug im öffentlichen Straßenverkehr geführt hätte. Dies ist vorliegend jedoch nicht der Fall.

2.4 Auf die Frage, ob der Betroffene subjektiv davon ausging, dass die Sicherstellung jedenfalls bis zum 28.07.2024 angedauert habe und ihm infolgedessen das Führen eines Kraftfahrzeugs verboten gewesen sei, kommt es nicht an. Ein Irrtum des Betroffenen über die Rechtswirkungen der erfolgten Sicherstellung hätte lediglich im Erkenntnisverfahren Berücksichtigung finden können; eine Berücksichtigung im Vollstreckungsverfahren kommt hingegen nicht mehr in Betracht (OLG Zweibrücken, Beschl. v. 20.01.2016 ? 1 OWi SsBs 3/16, BeckRS 2016, 12320 (Rn. 5f.); vgl. zur Berücksichtigungsfähigkeit im Erkenntnisverfahren auch OLG Koblenz, Blutalkohol 41 (2004), 533 (534)).“