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StPO III: Einseitiger Widerruf der Zustellungsvollmacht, oder: Geht das?

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Und dann noch zum Schluss hier noch der LG Nürnberg-Fürth, Beschl. v. 24.05.2023 – 12 Qs 38/23. In ihm hat das LG zur (weiteren) Wirksamkeit einer nach § 132 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StPO erteilte Zustellungsvollmacht Stellung genommen.

Der einer Körperverletzung verdächtige Beschuldigte wurde am 01.02.2022 von der Polizei zur Sache vernommen. Weil er keine feste Wohnadresse im Inland angeben konnte, ordnete der zuständige Staatsanwalt an, der Beschuldigte solle einen Zustellungsbevollmächtigten benennen. Daraufhin unterschrieb der Beschuldigte ein Formular, in dem er dem Polizeibeamten POM S von der Polizeiinspektion F „unwiderruflich … Vollmacht zum Empfang sämtlicher gerichtlicher Mitteilungen, Zustellungen und Ladungen“ erteilte. Auf dem Formular finden sich oberhalb der Unterschrift des Beschuldigten die von ihm handgeschriebenen, durchgestrichenen Worte „unter Vorbehalt“. Am 02.02.2022 ging ein Fax des Beschuldigten bei der Polizeiinspektion F ein. Dieses bestand aus seiner Kopie des Formulars, auf das er – mit seiner Unterschrift versehen – geschrieben hatte: „Hiermit widerrufe ich die Zustellvollmacht“.

Am 01.02.2022 erließ das AG einen Strafbefehl gegen den Beschuldigten. Dieser wurde vom Postboten am 06.09.2022 in der Polizeiinspektion F übergeben. Nach Anbringung des Rechtskraftvermerks leitete die Staatsanwaltschaft die Vollstreckung ein.

Am 22.02.2023 wurde der Beschuldigte am Flughafen Berlin bei der Ausreise kontrolliert und aufgrund des zwischenzeitlich erlassenen Vollstreckungshaftbefehls angehalten. Nach Zahlung der Geldstrafe konnte er seinen Flug antreten. Am 01.03.2023 ging beim AG der Einspruch der Verteidigerin gegen den Strafbefehl samt Wiedereinsetzungsantrag ein. Der Beschuldigte habe, so die Begründung, von dem gegen ihn erlassenen Strafbefehl keine Kenntnis gehabt dieser sei nicht wirksam zugestellt worden. Das AG hat Einspruch und Wiedereinsetzungsantrag verworfen. Hiergegen richtet sich die sofortige Beschwerde des Beschuldigten. Ohne Erfolg:

„1. Der Strafbefehl wurde am 6. September 2022 wirksam an den Zustellungsbevollmächtigten zugestellt, sodass die Einspruchsfrist zwei Wochen später ablief. Demgemäß hat das Amtsgericht den Einspruch zutreffend als verfristet verworfen.

a) Der Beschuldigte hat – nach entsprechender Anordnung (§ 132 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, Abs. 2 StPO) – POM S wirksam zur Entgegennahme von Zustellungen bevollmächtigt. Unschädlich ist, dass er dabei auf dem Vollmachtformular die Worte „unter Vorbehalt“ angebracht hat. Selbst wenn man der Verteidigung darin folgt, dass diese Bemerkung vom Beschuldigten nicht durchgestrichen, sondern unterstrichen worden sei, entfaltet sie keine Rechtswirkungen, weil Aussage und Gehalt des Vorbehalts unklar blieben und der Vorbehalt angesichts der Unterzeichnung der Vollmacht nach Lage der Dinge ohnehin eine unbeachtliche protestatio facto contraria darstellte.

b) Die Zustellungsvollmacht wurde nicht wirksam widerrufen. Vor Abschluss des Verfahrens kann diese vom Vollmachtgeber nämlich nicht einseitig zum Erlöschen gebracht werden (KG, Beschluss vom 19. September 2011 -1 Ss 361/11, juris Rn. 7; OLG Koblenz, Beschluss vom 1. Juni 2004 – 1 Ss 311/03, NStZ-RR 2004, 373, 375; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 18. Juli 1986 – 5 Ss [OWi] 237/86-197/86 I, VRS 71, 369, 370; Claus in SSW-StPO, 5. Aufl., § 37 Rn. 43; Schmitt in Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 66. Aufl., § 116a Rn. 6; Lind in LR-StPO, 27. Aufl., § 116a Rn. 29; Graf in KK-StPO, 9. Aufl., § 116a Rn. 9). Der abweichenden Auffassung, die Zustellungsvollmacht bleibe gegenüber dem Gericht (nur) so lange wirksam, bis ihm deren Erlöschen angezeigt worden ist (Graalmann-Scheerer in LR-StPO, 27. Aufl., § 37 Rn. 6), folgt die Kammer nicht. Zwar hat diese Auffassung die Wertung des § 170 BGB für sich, allerdings wird diese dadurch überlagert, dass die Erteilung der Zustellungsvollmacht der Durchführung eines hoheitlichen Verfahrens dient, was leerliefe, wäre die Vollmacht widerruflich.

c) Die Zustellung konnte wirksam in der Dienststelle des Bevollmächtigten ausgeführt werden, denn bei dieser handelt es sich um dessen Geschäftsraum i.S.d. § 178 Abs. 1 Nr. 2 ZPO i.V.m. § 37 Abs. 1 StPO (vgl. Graalmann-Scheerer in LR-StPO, 27. Aufl., § 37 Rn. 71; Schmitt in Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 66. Aufl., § 37 Rn. 13). Daher konnte ein an ihn gerichtetes Schriftstück bei Nichtantreffen des Bevollmächtigten an eine dort beschäftigte Person übergeben werden. So war das hier, als der Postbote den Strafbefehl an D aushändigte. Zu Unrecht beruft sich die Verteidigung in dem Zusammenhang auf den Beschluss der Kammer vom 23. August 2021 (12 Qs 57/21, juris). Dort scheiterte die Zustellung daran, dass der benannte Bevollmächtigte bei Zugang des Schriftstücks bereits aus dem Polizeidienst ausgeschieden und sein Nachfolger nicht bevollmächtigt war. Hier geht es dagegen lediglich darum, dass der Bevollmächtigte bei Eintreffen des Postboten gerade nicht auf der Wache anwesend war und deshalb eine Ersatzzustellung vorgenommen wurde.

d) Nach allem wahrte der Einspruch vom 1. März 2023 die zweiwöchige Einlegungsfrist (§ 410 Abs. 1 Satz 1 StPO) nicht, sodass er zu verwerfen war (§ 411 Abs. 1 Satz 1 StPO).

2. Zu Recht hat das Amtsgericht dem Beschuldigten keine Wiedereinsetzung in die Einspruchsfrist gewährt, denn er hat die Frist nicht ohne Verschulden versäumt.

a) Dem Angeklagten obliegt nach der Erteilung der Zustellungsvollmacht, selbst dafür zu sorgen, dass der Bevollmächtigte ihn zuverlässig unterrichten kann. Gegebenenfalls muss er sich beim Bevollmächtigten über den etwaigen Eingang von Schriftstücken informieren (Kammer, Beschluss vom 23. August 2021 – 12 Qs 57/21, juris Rn. 10 m.w.N.). Das hat der Beschuldigte unterlassen. Auf fehlendes Verschulden (§ 44 Satz 1 StPO) kann er sich dabei nicht berufen. Am 1. Februar 2022 hat nämlich eine körperliche Auseinandersetzung des Beschuldigten mit dem Zeugen K stattgefunden, die bei letzterem nicht unerhebliche Verletzungen zur Folge hatte. Der Beschuldigte wurde daraufhin von der Polizei als Beschuldigter belehrt und vernommen, wobei er behauptete, selbst angegriffen worden zu sein. Damit war ihm jedenfalls klar, dass ein Ermittlungsverfahren gegen ihn eröffnet worden ist. In dieser Situation oblag es ihm, sich nach dessen Fortgang zu erkundigen. Er konnte nicht darauf vertrauen, dass seine – auch von der Verteidigerin vorgetragene – Sichtweise, er habe in Notwehr gehandelt und sei deshalb unschuldig, sich im Verfahrensfortgang durchsetzt, weshalb er auch keinen amtlichen Schriftverkehr zu erwarten hätte. Im Gegenteil, Staatsanwaltschaft und Amtsgericht haben den Akteninhalt gegen den Beschuldigten gewertet, weshalb der hier angegriffene Strafbefehl erging.

b) Schuldhaft, weil durch schutzwürdiges Vertrauen nicht gedeckt, meinte der Beschuldigte, es werde deshalb keine Post für ihn beim Bevollmächtigten eingehen, weil er die Zustellungsvollmacht widerrufen habe. Gegen das Vertrauen auf die Wirksamkeit seines Widerrufs spricht allerdings schon, dass er die Vollmacht ausdrücklich unwiderruflich erteilt hat und dies auch aus der ihm mitgegebenen Kopie des Formulars, die er für den Widerruf nutzte, ersichtlich war.

c) Schließlich durfte der Beschuldigte nicht darauf vertrauen, er müsse deshalb mit keiner Zustellung rechnen, weil er die Zustellungsvollmacht „unter Vorbehalt“ unterschrieben habe. Unbeschadet der rechtlichen Unbestimmtheit dessen wurde der Beschuldigte nach dem glaubhaften und unwidersprochen gebliebenen Vermerk der polizeilichen Sachbearbeiterin POM´in B ausdrücklich darauf hingewiesen, dass ein solcher Zusatz „nicht geht“, woraufhin der Beschuldigte ihn selbst durchgestrichen habe. Das ist in sich schlüssig. Demgegenüber ist die Behauptung des Beschuldigten, bei dem Strich handele es sich um eine (bekräftigende) Unterstreichung, schon deshalb unplausibel, weil der Strich die Buchstaben augenscheinlich nicht unter-, sondern durchstreicht.

d) Darauf, dass die Ausführungen der Verteidigerin keinerlei Glaubhaftmachung (§ 45 Abs. 2 Satz 1 StPO) zur Stützung des Wiedereinsetzungsantrags enthielten, kam es nach alldem nicht mehr an.“

StPO III: Wirksame Zustellung des Bußgeldbescheides, oder: Hatte der Verteidiger eine Zustellungsvollmacht?

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Die dritte StPO-Entscheidung kommt aus dem OWi-Verfahren :-). Thema: Wirksamkeit der Zustellung des Bußgeldbescheides und damit Unterbrechung der Verfolgungsverjährung?

Dazu das AG Landstuhl im AG Landstuhl, Beschl. v. 26.01.2023 – 2 OWi 4211 Js 13113/22 -, den mir der Kollege Gratz geschickt hat:

„Entgegen der Auffassung der Verwaltungsbehörde kommt es im vorliegenden Fall für die Unterbrechung der Verfolgungsverjährungsfrist nach § 33 Abs. 1 S. 1 Nr. 9 OWiG sowie für deren Verlängerung nach § 26 Abs. 3 S. 1 Alt. 2 StVG auf einen Nachweis des Zugangs des Bußgeldbescheids beim Betroffenen an. Aus der von der Verwaltungsbehörde (der Sache nach) in Bezug genommenen Entscheidung des OLG Koblenz (Beschl. v. 31.03.2022, Az.: 1 OWi 32 SsBs 233/21 ? veröffentlicht u.a. in BeckRS 2022, 11004) ergibt sich nichts anderes, da sich die vorliegende Fallkonstellation von der dortigen Fallkonstellation unterscheidet. Selbst wenn man eine Heilung von Zustellungsmängeln auch dann als möglich erachten wollte, wenn der Zustellungswille der Verwaltungsbehörde auf eine Zustellung beim Betroffenen gerichtet war, ein anderer Zustellberechtigter das Schriftstück aber tatsächlich erhält, kommt eine Heilung vorliegend nicht in Betracht, da der Verteidiger – mangels nachgewiesener Vollmacht (§ 53 Abs. 3 S. 1 OWiG) – nicht zustellberechtigt ist. Eine entsprechende Zustellberechtigung derjenigen Person, die tat-sächlich Kenntnis von dem zuzustellenden Schriftstück erhält, ist jedoch für die Bewirkung einer Heilung nach § 51 Abs. 1 S. 1 OWiG i.V.m. § 1 Abs. 1 u. 2 Nr. 4 LVwZG RP, § 8 VwZG zwingend erforderlich (so auch OLG Koblenz, a.a.O. (Rn. 7 f.)). Da vorliegend keine gesetzliche Zustellvoll-macht vorliegt und sich die Erteilung einer rechtsgeschäftlichen Zustellvollmacht dem Akteninhalt nicht entnehmen lässt, kommt eine Heilung des Zustellmangels nicht in Betracht.

Der Aufwand, der für die Aufklärung der Frage des Zugangs des Bußgeldbescheids beim Betroffenen erforderlich werden würde, steht außer Verhältnis zur Bedeutung der Sache, zumal der Betroffene verkehrsrechtlich unvorbelastet ist und kein Regelfahrverbot verwirkt wurde. Die gem. § 47 Abs. 2 S. 1 OWiG für eine Einstellung außerhalb der Hauptverhandlung erforderliche Zustimmung der Staatsanwaltschaft ist erteilt worden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 46 Abs. 1 OWiG i.V.m. § 467 Abs. 1 StPO. Hinsichtlich der notwendigen Auslagen des Betroffenen hat das Gericht von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, diese nicht der Staatskasse aufzuerlegen (§ 46 Abs. 1 OWiG i.V.m. § 467 Abs. 4 StPO). Das Gericht hat dabei berücksichtigt, dass dem Betroffenen in diesem Verfahrensstadium noch keine bußgeldrechtliche Vorwerfbarkeit zugeschrieben werden kann; da er nach Aktenlage jedoch weiterhin dringend verdächtig ist, die ihm zur Last gelegte Ordnungswidrigkeit (ungeachtet der Frage ihrer Verfolgbarkeit) begangen zu haben, ist es im vorliegenden Fall sachgerecht, seine notwendigen Auslagen ausnahmsweise nicht der Staatskasse aufzuerlegen.“

Die Zustellungsvollmacht des Verteidigers, oder: Anwaltliche Versicherung reicht nicht

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Erst gestern hat mit der Kollege Frank Schneider aus Bad Harzburg den OLG Celle, Beschl. v. 30.08.2018 – 3 Ss (OWi) 157/18 – übersandt, den ich dann mal gleich heute „einstellen“ will. Thematik (mal wieder: Zustellungsvollmacht. Der Kollege hatte im Verfahren keine schriftliche Vollmacht vorgelegt, sondern nur seine Bevollmächtigung anwaltlich versichert. Dennoch war ihm das amtsgerichtliche Urteil zugestellt worden. Das OLG sagt: Zustellung ist unwirksam und muss nachgeholt werden.

„Der Senat ist zu einer Entscheidung über die Rechtsbeschwerde (noch) nicht berufen, da die Zustellung des Urteils noch nicht wirksam erfolgt ist. Eine Zustellung erfolgte zwar auf Verfügung des Gerichts vom 22.06.2018 an den Verteidiger, diese Zustellung dürfte jedoch nicht wirksam sein, da eine Bevollmächtigung des Verteidigers zum Empfang von Zustellungen nicht ersichtlich ist.

Insbesondere befindet sich keine schriftliche Vollmacht bei den Akten, so dass die gesetzlich fingierte Zustellungsvollmacht gern. § 51 Abs. 3 OWiG nicht gegeben ist. Auch aus dem Protokoll der Hauptverhandlung vom 01.03.2018 ergibt sich keine Zustellungsvollmacht.

Unabhängig von der gesetzlichen Fiktion des § 51 Abs. 3 OWiG ist eine rechtsgeschäftliche Verteidigervollmacht durchaus möglich. Die Regelung der §§ 145a StPO, 51 Abs. 3 OWiG schließt eine rechtsgeschäftlich erteilte Vollmacht keineswegs aus, sondern schafft nur daneben eine zusätzliche – fingierte —Rechtsmacht zur Entgegennahme von Zustellungen durch einen Strafverteidiger. Auch einem Verteidiger kann aber – zusätzlich – durch Rechtsgeschäft eine Zustellungsvollmacht erteilt werden. Diese bedarf dann keiner besonderen Form (§ 167 BGB), so dass sie bspw. auch mündlich erteilt werden kann (OLG Braunschweig, Beschluss vom 13. Mai 2013 — 1 Ss (OWi) 83/13 —, Rn. 21, juris).

So kann etwa auch durch eine Bestätigung der Empfangslegitimation seitens der Verteidigung auf dem Empfangsbekenntnis der Nachweis einer rechtsgeschäftlichen Zustellungsvollmacht gegeben sein (OLG Karlsruhe, Beschluss vom 08. Oktober 2015 — 2 (7) SsBs 467/15 —, juris). Auch kann ein Nachweis durch anwaltliche Versicherung erfolgen (Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, § 145a, Rn. 2a m.w.N.). Das Auftreten in der Hauptverhandlung reicht hingegen nicht aus‘ (BGH, Beschluss vom 03. Dezember 2008 — 2 StR 500/08 —, juris). Eine mit Abschluss des Verteidigervertrages als Geschäftsbesorgungsvertrag entstandene rechtsgeschäftliche Zustellungsvollmacht muß, notfalls auch nachträglich, nachgewiesen werden (BGH, Beschluss vom 18. Februar 1997 — 1 StR 772/96 Rn. 1, juris). Der Umfang ist im Einzelfall zu bestimmen (Göhler, OVVIG, § 51, Rn. 44a).

Zwar hat der Verteidiger in seinem Schriftsatz vom 04.02.2018 eine Bevollmächtigung des Betroffenen angezeigt und anwaltlich versichert. Diese anwaltliche Versicherung umfasst jedoch nicht die Erklärung, dass der Verteidiger rechtsgeschäftlich zur Empfangnahme von Zustellungen bevollmächtigt ist. Nach außen erkennbar ist aufgrund der anwaltlichen Versicherung nur die Bevollmächtigung hinsichtlich der vom Verteidiger vorgenommenen Verteidigungshandlungen. Die Zustellungsvollmacht hat hingegen passiven Charakter. Aus dem Verhalten des Verteidigers kann hier eine entsprechende Bevollmächtigung daher nicht geschlossen werden. Auch die Regelungen der §§ 145a StPO, 51 Abs. 3 OWiG deuten darauf hin, dass ein bevollmächtigter Verteidiger aüch über keine Zustellungsvollmacht verfügen könnte. Andernfalls wäre die gesetzliche Fiktion der §§ 145a StPO, 51 Abs. 3 OWiG überflüssig.“

Ein weiteres „Mosaiksteinchen“ in der Reihe der Vollmachtsentscheidungen…

Finger von der (Zustellungs)Vollmacht, oder: Dann kann man sich freuen

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Und dann bringe ich gleich noch ein OWi-Urteil, und zwar das AG Lüdenscheid, Urt. v. 29.03.2017 – 80 OWi 36/17. Es enthält nichts bahnbrechend Neues, sondern nur die Binsenweisheit, die man sich als Verteidiger hinter die sprichwörtlich Ohren schreiben sollte, so der Leitsatz:

„An den gewählten Verteidiger kann nur dann wirksam zugestellt werden, wenn sich gemäß § 51 Abs. 3 Satz 1 OWiG eine Urkunde über seine Bevollmächtigung bei den Akten befindet.“

Daraus folgt dann: Der Verteidiger legt eine schriftliche Vollmacht nicht vor. denn (nur) dann kann man lesen:

„Die letzte die Verfolgungsverjährung unterbrechende Handlung ist das an den Betroffenen gerichtete Anhörungsschreiben vom 14.09.2016.

Innerhalb der damit erneut in Gang gesetzten Verjährungsfrist von 3 Monaten ist keine weitere verjährungsunterbrechende Handlung vorgenommen worden.

Die Zustellung des Bußgeldbescheides an den Verteidiger hat nicht zu einer Unterbrechung der Verjährung geführt. Insoweit ist keine wirksame Zustellung des Bußgeldbescheides erfolgt. An den gewählten Verteidiger kann nur dann wirksam zugestellt werden, wenn sich gemäß § 51 Abs. 3 Satz 1 OWiG eine Urkunde über seine Bevollmächtigung bei den Akten befindet. Diese Voraussetzung war nicht gegeben. Eine solche Bevollmächtigung ist erstmals im Hauptverhandlungstermin am 29.03.2017 zur Akte gereicht worden.

Dem Verteidiger war auch keine ausdrückliche Zustellungsvollmacht erteilt worden. Die formlose Zusendung des Bußgeldbescheides an den Betroffenen ersetzt auch nicht die Zustellung des Bußgeldbescheides. Die Verjährung ist daher durch den Bußgeldbescheid nicht gemäß § 33 Abs. 1 Nr. 9 OWiG unterbrochen worden. Die Ordnungswidrigkeit ist daher verjährt.“

Und darüber kann/darf man sich dann freuen.

(Keine) Verjährungsunterbrechung, oder: Bloß keine Vollmacht vorlegen

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Aus der „Rubrik“/Gruppe von Entscheidungen mit der Überschrift: „Bloß keine Vollmacht vorlegen“ stammt der AG Mettmann, Beschl. v. 25.01.2017 – 32 OWI 174/16. Es geht um die Zustellung eines Bußgeldbescheides und die damit (nicht) herbeigeführte Verjährungsunterbrechung. Letzte die Verfolgungsverjährung unterbrechende Handlung war die Anhörung des Betroffenen vom 11.12.2015. Verfolgungsverjährung ist daher am 11.03.2016 eingetreten. Zwischendurch ist zwar noch der Bußgeldbescheid erlassen worden. Aber:

„Für den Bußgeldbescheid vom 22.01.2016 findet sich keine Zustellungsurkunde in der Akte. Die Verwaltungsbehörde beruft sich auf eine „Zustellung nach § 50 Abs. 2 OWiG durch Empfangsbekenntnis“, da der Rechtsanwalt Einspruch gegen den Bußgeldbescheid eingelegt hat. Der Verteidiger hat in der Hauptverhandlung Verjährung eingewendet, da der Bußgeldbescheid seinem Mandanten nicht zugestellt worden sei. Er habe Einspruch eingelegt, da ihm der Bußgeldbescheid formlos übersandt worden sei.

50 Abs. 2 OWiG lautet: „Bei der Bekanntmachung eines Bescheides der Verwaltungsbehörde, der durch einen befristeten Rechtsbehelf angefochten werden kann, ist die Person, an die sich die Maßnahme richtet, über die Möglichkeit der Anfechtung und die dafür vorgeschriebene First und Form zu belehren.“ Wie sich daraus die Zulässigkeit der Zustellung per Empfangsbekenntnis ergeben soll, erschließt sich dem Gericht nicht. Auch aus der Kommentierung ist nichts Entsprechendes ersichtlich. § 50 Abs. 2 OWiG schreibt viel mehr die Rechtsbehelfsbelehrung zwingend vor.

Nach § 51 Abs. 1 OWiG richtet sich das Zustellungsverfahren nach dem Landeszustellungsgesetz (LZG). Im LZG ist u.a. die Zustellung durch die Post mittels Zustellungsurkunde (§ 3), mittels Einschreiben (§ 4), durch die Behörde gegen Empfangsbekenntnis, und die Zustellung an Bevollmächtigte (§ 7) geregelt. Die Behörde hat nach § 2 Abs. 3 LZG die Wahl zwischen den einzelnen Zustellungsarten. Hier hat sich die Behörde für die Zustellungen durch die Post mittels Zustellungsurkunde entschieden. Allerdings ist die Zustellungsurkunde durch die Post verloren gegangen. Somit liegt ein Nachweis für die Zustellung erst mal nicht vor.

Nach § 8 LZG gilt das Schriftstück in einem solchen Fall als zugestellt, wenn es dem Empfangsberechtigten nachweislich zugegangen ist. Dieser Zeitpunkt ist aus der Akte jedoch nicht ersichtlich. Dieser Zeitpunkt muss aber nachweislich, also feststellbar, sein. Der Eingang beim Verteidiger ist insoweit nicht ausreichend, da der Verteidiger nach § 7 Abs. 1 LZG, wie auch nach § 51 Abs. 3 OWiG, nicht empfangsberechtigt war. Es lag zum Zeitpunkt der Zustellung keine schriftliche Vollmacht vor. Auch bis heute befindet sich eine solche nicht bei den Akten (auch wenn laut BI. 22 d.A. dem Schreiben eine solche beigefügt gewesen sein soll). Neben der Zustellung an den Betroffenen ist dem Verteidiger auch formlos eine Abschrift des Bescheides übersandt worden (BI. 3 d.A.). Der Einspruch des Verteidigers sagt damit nichts über den Zugang des Bescheides beim Betroffenen aus. Auf diesen kommt es aber entscheidend an. Es ist im Rahmen des Möglichen (und sogar sehr wahrscheinlich), dass der Verteidiger beauftragt war, grundsätzlich gegen jeden Bußgeldbescheid Einspruch einzulegen. Der Rückschluss, dass der Betroffene auch zwingend Kenntnis vom Bußgeldbescheid hatte, als der Verteidiger Einspruch eingelegt hat, ist nach hiesiger Auffassung nicht möglich.

Die Verjährung ist daher durch den Bußgeldbescheid nach § 33 Abs. 1 Nr. 9 OWiG nicht unterbrochen worden. Die Ordnungswidrigkeit vom 23.11.2015 ist daher verjährt.“