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Zustellung III: Reichweite einer Zustellungsvollmacht, oder: Keine Erstreckung auf andere Verfahren

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Und dann noch die dritte Entscheidung, der LG Nürnberg-Fürth, Beschl. v. 14.03.2024 – 12 Qs 7/24 – ebenfalls zur Wirksamkeit einer Zustellung. Konkret geht es um die Wirksamkeit bzw. Reichweite einer Zustellungsvollmacht.

Folgender Sachverhalt: Im Rahmen eines Ermittlungsverfahrens wegen Verstoßes gegen das PflVversG benannte die Angeklagte am 06.10.2020 den M mit dessen Zustimmung als Zustellungsbevollmächtigten. In dem Vollmachtformular fand sich dazu folgender Eintrag:

Zustellungsvollmacht … wegen (Straftat(en) / Ordnungswidrigkeiten(en) / verletzte Bestimmung(en) / Fundstelle(n): PflVersG i.S. NEA – …

Ich erteile hiermit unwiderruflich Herrn/Frau M … die Vollmacht zum Empfang sämtlicher gerichtlicher/staatsanwaltlicher Mitteilungen, Zustellungen oder Ladungen …“

Die Polizei nahm dieses Formular auch zur Akte des Vorgangs gegen die Angeklagte, in dem es um einen Verstoß gegen das Tierschutzgesetz geht und nun der LG-beschluss ergangen ist. In diesem Verfahren erließ das AG am 20.11.2020 Strafbefehl gegen die Angeklagte. Dieser wurde am 25.11.2020 an M zugestellt.

Die Angeklagte nahm am 12.07.2023 auf der Geschäftsstelle der Staatsanwaltschaft Einsicht in hiesige Verfahrensakte. Mit Schreiben vom 15.08.2023 wandte sie sich gegen den in der Akte enthaltenen Strafbefehl.

Das AG hat den Antrag der Angeklagten auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand als unbegründet und den Einspruch gegen den Strafbefehl als unzulässig verworfen.. Hiergegen legte die Angeklagte „Beschwerde“ ein. Die hatte Erfolg:

„1. Der Angeklagten war Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren (§ 44 Satz 1, § 46 Abs. 1 StPO analog). Wiedereinsetzung erfolgt auch dann, wenn der Betroffene zwar keine Frist versäumt hat, aber irrtümlich so behandelt wurde und dementsprechend auf das Rechtsmittel angewiesen ist (BGH, Beschl. v. 02.09.2015 – 2 StR 294/15, juris Rn. 2; LG Nürnberg-Fürth, Beschluss vom 22.09.2023 – 12 Qs 66/23, juris Rn. 10). Einer weiteren Sachprüfung des Wiedereinsetzungsgesuchs bedarf es nicht. So liegen die Dinge hier, weil das Amtsgericht die Angeklagte so behandelt hat, als hätte sie die Einspruchsfrist versäumt, was tatsächlich nicht der Fall war.

a) Die Zustellung des Strafbefehls an M entfaltete keine Rechtswirkungen zum Nachteil der Angeklagten. Voraussetzung der Wirksamkeit der Zustellung an einen Zustellungsbevollmächtigten auch gegenüber dem Vollmachtgeber ist, dass erster vom letzteren wirksam benannt wurde und der Bevollmächtigte mit seiner Bestellung auch einverstanden war (OLG Karlsruhe, Beschluss vom 11.01.2017 – 1 Ws 274/06, juris Rn. 7). Beides war nicht der Fall.

aa) M wurde von der Beschwerdeführerin schon nicht für Zustellungen im hiesigen Verfahren wegen Verstößen gegen das TierSchG benannt. Bei der Benennung einer Person als Zustellungsbevollmächtigten handelt es sich um die Erteilung einer rechtsgeschäftlichen Empfangsvollmacht, die entweder generell oder aber auch nur für einzelne Fälle erteilt werden kann. Nur soweit sie erteilt ist, kann auch wirksam an die benannte Person zugestellt werden (vgl. BGH, Beschluss vom 13.09.2016 – VI ZB 21/15, juris Rn. 45 m.w.N.). Ist eine Zustellungsvollmacht nur für ein Ermittlungsverfahren erteilt worden, kann auf ihrer Grundlage in anderen Ermittlungsverfahren nicht wirksam zugestellt werden. Vorliegend hat die Beschwerdeführerin, wie sie in ihrem Schreiben vom 15.08.2023 ausführt, allein eine Empfangsvollmacht für Zustellungen im Verfahren wegen des Verstoßes gegen das Pflichtversicherungsgesetz erteilt und nicht auch bezüglich des hiesigen Schuldvorwurfs. Wenn es in der Urkunde heißt, dass die Vollmacht „zum Empfang sämtlicher … Zustellungen oder Ladungen“ berechtige, dann ist das nämlich dahin zu verstehen, dass damit der Empfang sämtlicher Schriftstücke gemeint ist, der den im Formular umrissenen Gegenstand („wegen …: PflVersG i.S. NEA -…“) betrifft. Eine Auslegung dahin, dass jedweder Schriftverkehr mit den Strafverfolgungsbehörden ohne eine zeitliche und gegenständliche Begrenzung umfasst sein sollte, hat den Wortlaut der Vollmachtsurkunde gegen sich und wird weder dem Interesse des Vollmachtgebers noch dem des Bevollmächtigten gerecht.

bb) Im Übrigen war M auch nicht damit einverstanden, dass Zustellungen an ihn gerichtet werden, die nicht den Verstoß gegen das Pflichtversicherungsgesetz betreffen. Das ergibt sich aus dem Telefonvermerk der Justizangestellten K des Amtsgerichts Neustadt a.d. Aisch vom 09.01.2024, wonach M mitteilte, gar nicht zu wissen, wie es zu seiner Benennung als Zustellungsbevollmächtigter gekommen sei. Die Kammer hat ergänzend dazu telefonisch bei M angefragt. Er teilte mit, nur einmal der Bevollmächtigung im Zusammenhang mit der Entstempelung eines Kfz der Angeklagten zugestimmt zu haben und ansonsten nicht.

b) Der Zustellungsmangel wurde nicht gem. § 37 StPO i.V.m. § 189 ZPO durch die von der Angeklagten genommene Akteneinsicht geheilt (vgl. BayObLG Beschluss vom 16.06.2004 – 2Z BR 253/03, juris Rn. 9; LG Nürnberg-Fürth, Beschluss vom 24.08.2021 – 12 Qs 58/21, juris Rn. 12). ….“

StGB II: Vermummungsverbot bei einer Versammlung, oder: Vermummung zum Selbstschutz?

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Als zweite Entscheidung stelle ich das OLG Karlsruhe, Urt. v. 30.06.2022 – 2 Rv 34 Ss 789/21 – vor. Es nimmt zur Reichweite des versammlungsrechtlichen Vermummungsverbots Stellung.

Das AG hatte den Angeklagten wegen Verstoßes gegen das versammlungsrechtliche Vermummungsverbot zu einer Geldstrafe verurteilt. Auf die Berufung des Angeklagten sprach das LG den Angeklagten frei gesprochen, weil es zum einen nicht ausschließen zu können meinte, die vermummende Aufmachung sei den Wetterbedingungen geschuldet gewesen, zum anderen dem Urteilsspruch zugrundelegte, dass eine Vermummung, die nicht auf die Verhinderung der Identifizierung durch die Ordnungsbehörden, sondern durch Dritte gerichtet sei, nicht gegen § 17a Abs. 2 Nr. 1 VersG verstoße.

Die Revision der StA hatte Erfolg. Das OLG sieht die Urteilsgründe als lückenhaft an und führt weiter aus:

„3. Schließlich vermag sich der Senat auch nicht der den Freispruch weiter tragenden einschränkenden Auslegung von § 17a Abs. 2 Nr. 1 VersG anzuschließen.

a) Wie das Kammergericht (Urteil vom 7.10.2008 – (4) 1 Ss 486/07 = StV 2010, 637 und Beschluss vom 11.12.2012 – (4) 161 Ss 198/12 (310/12) = NStZ 2013, 178) und das Oberlandesgericht Dresden (Beschluss vom 23.9.2013 – 2 OLG 21 Ss 693/13, juris) – ebenso OLG Zweibrücken, Beschluss vom 19.1.2021 – 1 OLG 2 Ss 87/20 = NStZ 2022, 243 – unter Berücksichtigung von Wortlaut, Entstehungsgeschichte und Systematik überzeugend dargelegt haben, ist § 17a Abs. 2 Nr. 1 VersG vom Gesetzgeber bewusst als abstraktes Gefährdungsdelikt ausgestaltet worden, weil das Auftreten Vermummter die Bereitschaft zur Gewalt und zur Begehung von Straftaten indiziere und provoziere, Vermummte bei einer Demonstration regelmäßig den Kern der Gewalttäter stellten und diejenigen Demonstrationsteilnehmer, die ohnehin zur Anwendung von Gewalt neigten, in ihrer Gewaltbereitschaft bestärkten (BT-Drs. 11/4359 S. 14). Eine einschränkende Auslegung, wonach eine lediglich aus Gründen des Selbstschutzes erfolgte Vermummung als nicht tatbestandsmäßig anzusehen sei (LG Hannover StV 2010, 640; AG Tiergarten, Urteils vom 21.4.2005 – 256 Cs 81 Js 1217/04, juris; AG Rotenburg a.d. Wümme, Urteil vom 12.7.2005 – 7 Cs 523 Js 23546/04, juris; AG Wuppertal, Beschluss vom 2.12.2015 – 25 Ds 521 Js 17/15, juris; Deutscher Bundestag Wissenschaftliche Dienste, Das versammlungsrechtliche Vermummungsverbot, 2018 – WD 3 – 3000 – 313/18 S. 6; Dürig-Friedl/Enders, Versammlungsrecht, § 17a VersG Rn. 6; Lembke in Ridder/Breitbach/Deiseroth, Versammlungsrecht, 2. Aufl., § 17a VersG Rn. 62; Güven NStZ 2012, 425; dagegen MK-Tölle, StGB, 4. Aufl., § 17a VersG Rn. 30), ist damit nicht vereinbar. Vielmehr sind solche Fallgestaltungen der Anlass für den Gesetzgeber gewesen, in § 17a Abs. 3 Satz 2 VersG eine Befreiung vom Vermummungsverbot durch behördliche Erlaubnis zu schaffen (BT-Drs. 11/4359 S. 14; Dietzel/Gintzel/Kniesel, Versammlungsgesetze, 17. Aufl., § 17a VersG Rn. 15). Im Hinblick auf diese Befreiungsmöglichkeit ist nach Auffassung des Senats eine einschränkende Auslegung auch nicht geboten, um eine unverhältnismäßige Beschränkung der grundrechtlich verbürgten Versammlungsfreiheit (Art. 8 GG) zu verhindern (vgl. Wache in Erbs/Kohlhaas, Strafrechtliche Nebengesetze, 228. ErgLfg, § 17a VersG Rn. 1).

b) Die auf die Einlassung des Angeklagten gestützte Annahme, die Vermummung des Angeklagten habe nicht die Verhinderung der Identifizierung durch die Polizei oder die Ordnungsbehörde bezweckt, sondern habe ausschließlich der Verbergung der Identität gegenüber Teilnehmern der Gegendemonstration im Hinblick auf die Befürchtung von diesen ausgehender Repressalien gedient, lässt danach die Tatbestandsmäßigkeit einer Vermummung nicht entfallen, sondern kann, nachdem die Annahme einer Rechtfertigung fern liegt (vgl. dazu KG a.a.O.), nur im Rahmen der Strafzumessung Berücksichtigung finden.