Archiv der Kategorie: Klimaaktivisten

Klima II: Lösen eines Klimaklebers von der Straße, oder: Gebührenbescheid der Polizei

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Und als zweite „Klima-Kleber-Entscheidung“ habe ich hier den OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 10.09.2024 – OVG 1 S 81/23 -, der sich mit der „Nachbereitung“ befasst

Und zwar hat die Polizei Berlin einen Gebührenbescheid in Höhe von 241,- EUR erlassen, mit dem die Kosten für das Lösen eines Klimaaklebers von der Straße geltend gemacht worden sind. Dagegen das Rechtsmittel zum VG, das Erfolg hatte. Und dagegen dann die Beschwerde zum OVG, die keinen Erfolg hatte. Das OVG folgt dem VG, dass davon ausgegangen ist, dass der Gebührenbescheid nicht in rechtmäßiger Weise auf §§ 1 Abs. 1, 3 Abs. 1 und Abs. 2, 6 Abs. 1, 9 Abs. 2, 10 Abs. 2 des Gesetzes über Gebühren und Beiträge (GebBtrG) i.V.m. Tarifstelle 8 des Gebührenverzeichnisses der Gebührenordnung für die Benutzung öffentlicher Einrichtungen (PolBenGebO) gestützt werden könne:

„Mit diesem Vorbringen vermag die Beschwerde nicht durchzudringen.

Die Beschwerde wendet sich nicht gegen die Feststellung des Verwaltungsgerichts, das Ablösen der Hand des Antragstellers von der Fahrbahnoberfläche und das anschließende Wegtragen sei schon deshalb nicht als Ersatzvornahme i.S.d. §§ 9 Abs. 1 lit. a), 10 VwVG zu qualifizieren, da es sich dabei um eine nicht vertretbare Handlung gehandelt habe, die der Ersatzvornahme nicht zugänglich sei.

Soweit die Beschwerde moniert, das Verwaltungsgericht habe verkannt, dass es sich bei den polizeilichen Maßnahmen um eine unmittelbare Ausführung i.S.d. § 15 ASOG – und nicht um einen Sofortvollzug i.S.d. § 6 Abs. 2 VwVG – gehandelt habe, führt dies nicht zu der Einschätzung, das öffentliche Interesse an der Vollziehung des angegriffenen Bescheides überwiege das private Interesse, von der Vollziehung einstweilen verschont zu bleiben.

Das Verwaltungsgericht hat in zutreffender Weise die Regelungen des §§ 1 Abs. 1, 3 Abs. 1 und Abs. 2, 6 Abs. 1, 9 Abs. 2, 10 Abs. 2 des Gesetzes über Gebühren und Beiträge (GebBtrG) i.V.m. Tarifstelle 8 des Gebührenverzeichnisses der Gebührenordnung für die Benutzung öffentlicher Einrichtungen (PolBenGebO) als maßgebliche Rechtsgrundlage für den Gebührenbescheid erachtet. Dem tritt die Beschwerde nicht entgegen.

Danach kann für eine unmittelbare Ausführung von Maßnahmen und Ersatzvornahmen zur Gefahrenabwehr für Personen, Sachen oder Tiere gemäß den §§ 14, 15 und 36 des ASOG, insbesondere Sicherung von Gefahrenstellen auf öffentlichem Straßenland oder Baustellensicherungen, für Personen und Tiere in Notlagen eine Gebühr zuzüglich der durch die Ersatzvornahme entstandenen Auslagen erhoben werden, sofern nicht eine speziellere Tarifstelle einschlägig ist.

Das Verwaltungsgericht hat zunächst für die hier vorliegende Sachlage – von der Beschwerde insoweit unbeanstandet – angenommen, dass die Voraussetzungen einer Ersatzvornahme nach § 10 VwVG nicht vorliegen und im Folgenden die Frage beantwortet, ob das Lösen der Klebeverbindung zwischen der Hand des Antragstellers und der Straßenoberfläche und das anschließende Wegtragen als unmittelbare Ausführung i.S.d. § 15 ASOG qualifizieren werden kann, hat dies jedoch verneint. Soweit die Beschwerde dagegen einwendet, die Abgrenzung zwischen der unmittelbaren Ausführung nach § 15 ASOG und einem Sofortvollzug nach § 6 Abs. 2 VwVG könne nicht dahingehend erfolgen, ob die Maßnahme im (mutmaßlichen) Willen des Verantwortlichen erfolgt – dann unmittelbare Ausführung – oder der entgegenstehende Wille des Verantwortlichen überwunden werden muss – dann Sofortvollzug –, denn eine Abgrenzung nach der Zwangsqualität würde zu Regelungslücken in den Bundesländern führen, die nicht über beide Institute verfügen, führt dies für das vorliegende Verfahren nicht weiter, denn im Land Berlin sind beide Institute gesetzlich geregelt. Soweit der Antragsgegner der Auffassung ist, den Streit um die Abgrenzung beider Institute habe der Landesgesetzgeber durch die Einführung des § 23 des Berliner Mobilitätsgesetzes (MobG BE) dahingehend entschieden, dass die unmittelbare Ausführung (auch) als Ausübung von Verwaltungszwang zu qualifizieren sei, steht der Senat dieser Sichtweise skeptisch gegenüber. § 23 MobG BE eröffnet den Berliner Verkehrsbetrieben (BVG) die Möglichkeit, Fahrzeuge auf Bussonderspuren, in Haltestellenbereichen und auf Wendeanlagen eigenständig umzusetzen. Zur Realisierung dürfen besonders ausgebildete Beschäftigte der BVG bestimmte Befugnisse, wie z.B. die unmittelbare Ausführung gem. § 15 ASOG (§ 23 Abs. 3 Nr. 1 lit. a MobG BE), die Ersatzvornahme gem. § 10 VwVG (§ 23 Abs. 3 Nr. 2 lit. a MobG BE) und den unmittelbaren Zwang gegenüber Sachen (§ 23 Abs. 3 Nr. 2 lit. b MobG BE) ausüben. Daraus nun aber ableiten zu wollen, der Landesgesetzgeber habe die unmittelbare Ausführung nunmehr (auch) als Ausübung von Verwaltungszwang qualifiziert mit der Folge, dass eine Abgrenzung beider Institute nur noch danach erfolgen könne, ob die Gefahrenabwehrbehörde (dann § 15 ASOG) oder eine andere Verwaltungsbehörde (dann § 6 Abs. 2 VwVG) tätig wird, erscheint keineswegs zwingend. Denn genauso gut könnte der Landesgesetzgeber im Rahmen des § 23 MobG BE nur die einzelnen Befugnisse der BVG übertragen haben, die für die Beseitigung der den Busverkehr behindernden Fahrzeuge notwendig und erforderlich sind, ohne damit eine Entscheidung über die hier aufgeworfene Frage zu treffen. Ein diesbezüglicher Wille des Gesetzgebers lässt sich der Begründung jedenfalls nicht entnehmen, denn die Regelung des § 23 MobG BE hat erst auf Vorschlag des Ausschusses für Umwelt, Verkehr und Kilmaschutz vom 7. Juni 2018 (Drs. 18/1177) während des laufenden Gesetzgebungsprozesses Eingang in das Gesetz gefunden und wird daher von der Begründung des Gesetzesentwurfs vom 27. Februar 2018 (Drs. 18/0878) nicht erfasst.

Unabhängig von den von der Beschwerde weiter aufgeworfenen Fragen, ob hier von einer konkreten Gefahr für Personen, Sachen oder Tiere ausgegangen werden kann und ob eine Gebührenpflichtigkeit auch dann besteht, wenn sich die unmittelbare Ausführung gegen den Verhaltensstörer richtet, obwohl § 13 ASOG nicht unmittelbar in der Tarifstelle 8 PolBenGebO genannt wird, kann die Beschwerde bereits deshalb keinen Erfolg haben, weil sie nicht darlegt, dass der Zweck der Maßnahme durch eine Inanspruchnahme des Verhaltensstörers nicht oder nicht rechtzeitig hätte erreicht werden können. Im Grundsatz müssen die durch einen polizeirechtlich Verantwortlichen hervorgerufenen Gefahren oder Störungen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung diesem gegenüber untersagt und ggfs. mit den Mittel des Verwaltungsvollstreckungsrechts durchgesetzt werden. Nur dann, wenn der Zweck der Maßnahme auf diesem Wege nicht oder nicht rechtzeitig erreicht werden kann, ist der Anwendungsbereich der unmittelbaren Ausführung nach § 15 ASOG eröffnet (vgl. hierzu: Pewestorf in: Pewestorf/Söllner/Tölle, Polizei- und Ordnungsrecht, 3. Auflage 2022, § 15 Rn. 5; Graulich in: Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, 7. Auflage 2021, Abschnitt E Rn. 296; Knape/Schönrock, Allgemeines Sicherheits- und Ordnungsgesetz für Berlin, 11. Auflage 2016, § 15 Rn. 15, 23). Bezogen auf den hier vorliegenden Fall hat der Antragsgegner aber nicht dargelegt, warum der Zweck der Maßnahme – das Freimachen der Straße für den Straßenverkehr – nicht bzw. nicht rechtzeitig mit den zur Verfügung stehenden Mitteln des Vollstreckungsrechts zu erreichen gewesen wäre. Denn es erschließt sich dem Senat nicht, warum im vorliegenden Fall der solchermaßen definierte Zweck nicht nach Auflösung der Versammlung durch Vollstreckung im Wege des unmittelbaren Zwangs gem. § 12 VwVG der gegenüber dem anwesenden Antragsteller unstreitig ausgesprochenen Aufforderung, die Fahrbahn zu verlassen (Platzverweis), erreichbar gewesen sein soll. Gegensätzliches wird auch von der Beschwerde nicht vorgetragen. Der Senat geht zwar entgegen den Ausführungen des Antragstellers nicht davon aus, dass die Verbindung seiner Hand mit der Straßenoberfläche mittels Sekundenklebers durch „wiederholtes Bewegen und Anspannen der Hand“ durch den Antragsteller selbst hätte gelöst werden können. Allerdings erscheint eine Durchsetzung der Anordnung mit den Mitteln des Vollstreckungsrechts – Anordnung der sofortigen Vollziehung mit verbundener Androhung des unmittelbaren Zwangs unter sofortiger Fristsetzung – durchaus möglich.“

Klima I: Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte, oder: Ankleben an einen Reisebus

entnommen wikimedia commons Author Jan Hagelskamp1

Im ersten „Kessel Buntes“ des Jahres 2025 köcheln zwei Entscheidungen zum Klimakleben und zu „Klimaklebern“. Die Thematik hat uns ja in in der vergangenen Zeit reichlich beschäftigt, inzwischen ist die Thematik ein wenig abgeklungen, aber die Gerichte sind – wie man sieht – immer noch mit der Nachbereitung befasst.

Dazu hier zunächst den KG, Beschl. v. 14.11.2024 – 3 ORs 65/24 – 161 SRs 104/24.  Das AG hatte die Angeklagte wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte zu einer Geldstrafe von 30 Tagessätzen zu je 25 Euro verurteilt. Ihre Berufung hiergegen hat das LG Berlin mit der Maßgabe verworfen, dass die Höhe der Tagessätze auf 15 EUR herabgesetzt und der Angeklagten Ratenzahlung gewährt wird.

„Dem Urteil des LG liegen die folgenden Feststellungen zugrunde (Fehler im Original):

„Am 20.04.2023 fanden verschiedene Aktionen der Gruppe [Anm. des Senats: „Letzte Generation“] statt.

Die Angeklagte und drei weitere Personen begaben sich zum M-Hotel in Berlin-Tiergarten, um einen Reisebus zu blockieren, welcher dort übernachtende Teilnehmer der Tagung „Familienunternehmertage“ des Verbandes „DIE FAMILIENUNTERNEHMER“ mit einer vorgesehenen Abfahrtszeit um 8:00 Uhr zu der Tagung bringen sollte. Hierzu wollten die Aktivisten sich an dem Bus ankleben und ihn so an der Abfahrt hindern. Sie wollten hierdurch auf ihre Ziele aufmerksam machen. Das Ziel ihrer Aktion wählten die Aktivisten aus, weil es sich aus ihrer Sicht bei dem Verband um eine Lobbyistenvereinigung handelte, welche für die von ihnen als schädlich angesehenen Strukturen stand.

Auf dem vor dem M.-Hotel liegenden I-Platz stand der entsprechende Reisebus des Unternehmens „P-GmbH“ mit dem Kennzeichen B. Durchgangsverkehr wurde durch die Warteposition des Busses nicht beeinträchtigt.

Gegen 07:50 Uhr klebte die Angeklagte mit Sekundenkleber die Innenfläche ihrer linken Hand und die Finger an die rechte Rückleuchte des Reisebusses. Die Fläche, über die eine Verbindung Hand und Bus entstand, erstreckte sich über den Großteil der Handinnenfläche; weiterhin waren alle fünf Finger mit einem oder mehreren Fingergliedern mit dem Bus verbunden.

Drei weitere Aktivisten klebten ihre Hände zeitgleich auf die gleiche Weise an anderen Stellen des Busses an. Ein fünfter Aktivist wurde von dem Busfahrer von dem Bus weggezogen, bevor der Sekundenkleber trocknen konnte. Er setzte sich anschließend vor dem Bus auf den Boden.

Die Angeklagte und ein neben ihr stehender Aktivist hielten ein Banner mit einem Herz und dem Text „ART. 20A GG = LEBEN SCHÜZEN“.

Die Bewegungsfreiheit des Busses war damit – planmäßig – faktisch aufgehoben, da ein Bewegen des Busses nur noch unter Inkaufnahme schwerer Verletzungen der angeklebten Personen (und je nach Fahrtrichtung der vor dem Bus sitzenden Person) möglich gewesen wäre. Die Teilnehmer der Veranstaltung „Familienunternehmertage“ begaben sich mit anderen Verkehrsmitteln (etwa Taxen) zum Veranstaltungsort.

Der Angeklagten und den übrigen Aktivisten war beim Ankleben bewusst, dass es eine sehr wahrscheinliche Möglichkeit im weiteren Verlaufs sein würde, dass die Polizei hinzugerufen werden würde, um die Bewegungsfreiheit des Busses wieder herzustellen, dass die Polizei hierzu auf eine rechtmäßige Weise, die Aktivisten von Ort und Stelle verweisen könnte, und dass die Polizei, würden die Aktivisten der Wegweisung keine Folge leisten, diese sodann nötigenfalls wegtragen würde.

Der Angeklagten und den übrigen Aktivisten war es beim Ankleben weiterhin bewusst und sie setzen es zielgerichtet ein, dass ab dem Trocknen des Sekundenklebers sich ihre Hände nur noch ablösen lassen würden entweder durch kraftvolles Abreißen unter Inkaufnahme von Verletzungen an der jeweils angeklebten Hand oder aber, wenn man solche Verletzungen vermeiden wollte, durch ein vorsichtiges und zeitaufwändiges Hin- und Herbewegen der Hand, gegebenenfalls unterstützt von Hilfsmitteln wie Öl. Sie gingen davon aus, dass beliebige, nicht näher bestimmte Dritte – wie der Busfahrer, Fahrgäste, Hotelmitarbeiter oder andere Personen, aber eben auch hinzugerufene Polizisten versuchen würden, sie von dem Bus zu entfernen, um dessen Bewegungsfreiheit wiederherzustellen. Sie rechneten weiterhin damit, dass jedenfalls Polizeibeamte sie nicht gewaltsam vom Bus abreißen würden.

Ziel des Anklebens war unter anderem – unter den vorbeschriebenen Prämissen für polizeiliches Handeln – die Umsetzung der als möglichen und wahrscheinlich angesehenen polizeilichen Anordnung, sich zu entfernen, welche die Polizei ohne Ankleben durch ein einfaches Wegtragen hätte durchsetzen können, zu erschweren. Die Polizeibeamten sollten in eine zeitaufwändige Ablöseprozedur gezwungen werden, die Blockade sollte hierdurch verlängert werden und die Aufmerksamkeit für die Ziele sollte durch die damit einhergehende nachhaltigere Störung vergrößert werden.

Tatsächlich rief der Busfahrer die Polizei zur Hilfe.

Zunächst traf ein Streifenwagen des Polizeiabschnitts A28 der Polizei Berlin ein. Gegen 08:11 Uhr kamen hinzugerufene Kräfte des 2. Zuges der 31. Einsatzhundertschaft der Polizei Berlin vor Ort an und übernahmen die weiteren Maßnahmen.

Der Einsatzleiter PHK K kam zu der Einschätzung, dass die Aktion Versammlungscharakter habe und stufte sie als Versammlung im Sinne des VerfG Bln ein. Er erkundigte sich nach einem Versammlungsleiter, ihm wurde aber kein solcher benannt.

Sodann tätigte PK M um 08:34, um 08:40 und um 08:52 Uhr drei – polizeiintern standardisiert und den Beamten als schriftlicher Mustertext zur Verfügung stehenden – Verfügungsdurchsagen durch, mit denen die Versammlung als unerlaubte Versammlung eingestuft und auf die gegenüberliegende Seite verlegt wurde, sodann, als die Angeklagten und die übrigen Aktivisten keine Anstalten machten, sich selbständig abzulösen und auf die andere Straßenseite zu begeben, Zwangsmittel angedroht und schließlich die Auflösung der Versammlung nach § 14 Abs. 1 VerFG Bln angeordnet wurde.

Sodann setzten die Polizeibeamten die Auflösung durch.

Hierzu lösten sie in der Zeit von 08:52 bis 09:17 die Angeklagte und die drei anderen angeklebten Aktivisten durch Einpinseln der Ränder der Kontaktflächen zwischen Händen und Bus mit Speiseöl und durch vorsichtiges Hin- und Herbewegen der Hände ab. Es ist nicht auszuschließen gewesen, dass Polizeibeamte in Erwartung des weiteren Ablaufes auch schon vor Erlass der Verfügung, mit welcher die Versammlung letztlich aufgelöst wurde, Öl auf die angeklebten Hände der Aktivisten gaben.

Konkret das Ablösen der Angeklagten wurde POM S in der Zeit von 09:05 Uhr bis 09:17 Uhr durchgeführt.

Nach dem Ablösen begaben sich die Angeklagte und die weiteren Aktivisten freiwillig vom Ort weg bzw. stellten sich den polizeilichen erkennungsdienstlichen Maßnahmen.“

Mit ihrer Revision hat die Angeklagte die Verletzung materiellen Rechts gerügt. Sie beanstandet insbesondere die Würdigung der Strafkammer, wonach es sich bei dem Ankleben an den Reisebus um Widerstand mit Gewalt i.S.d. § 113 Abs. 1 StGB handelt sowie die Annahme einer rechtmäßigen Diensthandlung durch die Polizeibeamten, § 113 Abs. 3 Satz 1 StGB.

Die Revision hatte beim KG keinen Erfolg. Hier die Leitsätze zu dem KG-Beschluss:

1. Für das Tatbestandsmerkmal „bei der Vornahme einer Diensthandlung“ reicht es aus, dass der Täter die Kraft schon vor Beginn der Diensthandlung entfaltet, sofern diese – vom Täter auch so gewünscht – das spätere polizeiliche Tätigwerden deutlich erschwert.

2. Entscheidend für die Bewertung der Widerstandshandlung als „mit Gewalt“ ist die Intensität der Kraftentfaltung durch das materielle Zwangsmittel und damit zusammenhängend die Kraft, die aufgewandt werden muss, um diese zu überwinden.

3. Die gezielte Beeinträchtigung privaten Eigentums, die sich nicht als zwangsläufige Folge einer Demonstration ergibt, sondern deren maßgeblicher Bestandteil ist, ist eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit i.S.d. des Versammlungsgesetzes bzw. Versammlungsfreiheitsgesetzes Berlin.

Klima: Klimastraßenkleber leisten Widerstand, oder: Bedeutung der Ablösedauer

entnommen wikimedia commons Author Jan Hagelskamp1

Und dann habe ich hier noch den KG, Beschl. v. 10.07.2024 – 3 ORs 30/24 – 161 SRs 26/24zu einem Klimakleberfall.

AG/LG haben die Angeklagte wegen (gemeinschaftlicher) Nötigung in Tateinheit mit Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte in zwei Fällen verurteilt, und zwar auf der Grundlage folgender Feststellungen:

„Am 12. Juli 2022 beteiligte sich die Angeklagte an einer Straßensitzblockade der Gruppierung „Aufstand der letzten Generation“ auf der BAB 111 im Bereich der Ausfahrt H-Damm in Berlin. Sechs weitere Personen und sie setzten sich aufgrund eines zuvor gefassten gemeinsamen Tatplans um 8:45 Uhr am Ende der Autobahnabfahrt auf die Fahrbahnen, wobei sie sich so gleichmäßig über alle drei Fahrbahnen der Ausfahrt verteilten, dass zwischen ihnen kein Fahrzeug mehr durchfahren konnte, ohne sie zu gefährden bzw. zu verletzen.  Die Angeklagte saß dabei auf der von den Fahrzeugen aus gesehen ganz rechten Fahrbahn. Als die hinzugerufene Polizei erschien, klebten sich ein Aktivist und drei Aktivistinnen, unter anderem die Angeklagte, mit jeweils einer Hand mittels Sekundenkleber auf der Fahrbahn fest, um sich so fest mit dieser zu verbinden. Die Absicht der Angeklagten war es dabei, die Störung des Verkehrs dadurch möglichst in die Länge zu ziehen, dass die von ihr erwarteten polizeilichen Maßnahmen zur Räumung der Straße erheblich erschwert würden. Die Angeklagte klebte sich zumindest auch deswegen fest, um sich der von ihr erwarteten polizeilichen Räumung nach Auflösung der Versammlung zu widersetzen.

Die Versammlung war nicht angemeldet. Durch EPHK Z wurde um 8:54 Uhr über Lautsprecher durchgesagt, dass wegen der Grundrechtseinschränkung für die blockierten Autofahrer der Versammlung ein neuer Ort auf dem Gehweg zugewiesen würde. Dies wurde um 9:00 Uhr nochmals wiederholt. Nachdem die Aktivistinnen und Aktivisten sich nicht an den neuen Versammlungsort begeben hatten, wurde die Versammlung durch Lautsprecherdurchsage durch EPKH Z um 9.08 Uhr aufgelöst. Die Angeklagte befolgte die Aufforderung, die Straße zu verlassen, nicht. Da sie festgeklebt war, konnten die Polizeibeamten sie – wie sie wusste – nicht einfach wegtragen, sondern mussten sie erst von der Straße lösen. Die Ablösung ihrer Hand dauerte von 9:39 Uhr bis 10:05 Uhr. Sodann wurde sie von zwei Polizeibeamten von der Straße getragen.

Die Angeklagte handelte zusammen mit den übrigen Aktivistinnen und Aktivisten, um mindestens die auf der Autobahnabfahrt befindlichen Fahrzeugführer bis zur Beendigung der Räumung der Blockade durch Polizeivollzugsbeamte bzw. bis zu einer rückwärtigen Ableitung aus der Autobahnabfahrt an der Fortsetzung ihrer Fahrt zu hindern und dadurch erhöhte öffentliche Aufmerksamkeit für die aus ihrer Sicht unzureichenden politischen Maßnahmen gegen ein Fortschreiten des Klimawandels und im Speziellen gegen zu hohen Ölverbrauch zu erzielen. Wie von der Angeklagten und ihren Mitgliedern beabsichtigt, kam es aufgrund der Blockade, welche die gesamte Breite der – im unteren Bereich über zwei und im oberen Bereich über drei Fahrspuren verfügenden – Fahrbahn der Autobahnabfahrt einnahm, zu erheblichen Verkehrsbeeinträchtigungen in Form eines Rückstaus zahlreicher Fahrzeuge. Bereits um 8:46 Uhr war die Autobahnausfahrt zwischen ihrem Beginn bei der Autobahn bis zu der von der Angeklagten und ihren Mittätern gebildeten Menschenkette im oberen Bereich am H-Damm, also über eine Länge von etwa 150 m, vollständig mit Fahrzeugen gefüllt, unter anderem einem Bus der BVG. Diesen Fahrzeugen war es zunächst nicht möglich, die Blockade zu umfahren. Erst nach und nach vermochten die Fahrzeuge – abgeleitet von den Verkehrsdiensten der Polizei – rückwärts von der Autobahnausfahrt auf die Autobahn zurückzufahren und ihren Weg fortzusetzen – wenn auch nicht über die zuvor beabsichtigte Autobahnausfahrt H-Damm. Die Zeugin X, die in der 3. Reihe der blockierten Fahrzeuge stand, steckte dort bis mindestens 9:05 Uhr fest, bevor sie rückwärts von der Polizei auf die Autobahn geleitet wurde. 

Am 15. Juli 2022 strömte die Angeklagte gemeinsam mit zahlreichen weiteren Personen durch das Unterholz neben der Autobahn BAB 103 auf die Fahrbahn der Autobahnausfahrt Sachsendamm einige Meter vor der Ampel auf dem Sachsendamm. Der Polizei war es aufgrund der Anzahl der Aktivistinnen und Aktivisten nicht möglich, diese daran zu hindern, sich – entsprechend eines zuvor gemeinsam gefassten Tatplanes – auf die Fahrbahn zu setzen und teilweise dort zu verkleben. Die Aktivistinnen und Aktivisten formten spätestens um 7:45 Uhr zwei Blockadelinien etwa 15 m voneinander entfernt und schlossen zwischen beiden Linien einen Lkw ein. Die gesamte Breite der drei Fahrspuren wurde durch die Aktivistinnen und Aktivisten blockiert, wobei die Angeklagte – von den zum Stillstand gebrachten Fahrzeugen aus gesehen – in der ersten Blockade, die aus 18 Aktivisten und Aktivistinnen gebildet wurde, links vorne saß. Sie benetzte ihre Hand mit Sekundenkleber und klebte sich auf die Fahrbahn. Damit wollte sie die Störung durch die Blockade möglichst in die Länge zu ziehen, indem die Bemühungen der eingesetzten Polizeibeamten, sie nach der von der Angeklagten erwarteten Auflösung der Versammlung von der Straße zu entfernen, erheblich erschwert und in die Länge gezogen werden sollten.

Durch die Blockade kam es – wie von der Angeklagten beabsichtigt – zu einem erheblichen Rückstau sämtlicher Verkehrsteilnehmer, die sich zum Zeitpunkt des Blockierens auf den Fahrspuren im Bereich zwischen der A 100 und der Blockade befanden. Der Berufsverkehr auf sämtlichen Spuren der Autobahnabfahrt kam mindestens im Bereich bis zur BAB 100 zum Erliegen. Jedenfalls bis 8:30 Uhr standen noch Fahrzeuge auf der Autobahnausfahrt, bevor sie rückwärts von der Polizei aus der Abfahrt abgeleitet wurden und ihren Weg fortsetzen konnten.

Um 7:47 Uhr wurde durch PHK A gegenüber den Protestierenden eine erste beschränkende Verfügung erlassen mit dem Inhalt, dass es sich vorliegend um eine nicht angezeigte Versammlung handele, das Verhalten der Aktivisten und Aktivistinnen eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit darstelle und deswegen die Fahrbahn zu verlassen sei und die Versammlung zum neu zugewiesenen Versammlungsort auf dem Gehweg zu verlegen sei. Um 7:50 Uhr wies PHK A erneut auf den neu zugewiesenen Versammlungsort hin und gab bekannt, dass bei einem weiteren Nicht-Nachkommen der Beschränkung polizeiliche Maßnahmen folgen würden auch unter Anwendung von unmittelbarem Zwang. Schließlich wurde die Versammlung um 7:56 Uhr durch PHK A aufgelöst. Die Aktivisten und Aktivistinnen wurden darüber in Kenntnis gesetzt, dass die Polizei unmittelbaren Zwang gegen sie einsetzen würde, sollte der Auflösungsverfügung nicht nachgekommen werden. Die Angeklagte kam der Auflösungsverfügung nicht nach. Das Ablösen der Hand der Angeklagten, die sich mit ihrer Hand auf der Fahrbahn festgeklebt hatte, dauerte über 40 Minuten lang, nämlich von 8:17 Uhr bis 9:01 Uhr.  Die Ablösung einer weiteren Person dauerte bis 9:15 Uhr.

Im Vorfeld dieser beiden nicht als Versammlungen angemeldeten Aktionen wurde von der Gruppierung „Angehörige der letzten Generation“ im Internet angekündigt, es werde Aktionen im Berliner Stadtgebiet geben. Konkrete Zeitpunkte und Orte wurden jedoch nicht genannt. Die Aktivistinnen und Aktivisten breiteten während der Blockaden jeweils zumindest ein Transparent vor sich aus, auf dem es hieß: „Öl sparen statt bohren“.  Ziel war jeweils eine möglichst große – auch mediale – Aufmerksamkeit für dieses Anliegen.“

Das KG hat die Revision verworfen. Hier die Leitsätze der Entscheidung, die m.E., nachdem die Fragen derzeit nicht mehr so aktuell sind, genügen:

1. Eine Bewertung des Gerichts, ob das Anliegen als nützlich und wertvoll einzuschätzen und ob das verfolgte Ziel nach gerichtlicher Beurteilung zu billigen ist, verbietet sich, weil der Staat gegenüber der Grundrechtsbetätigung der Bürger auch im Interesse der Offenheit kommunikativer Prozesse inhaltsneutral bleiben muss.

2. Für das Tatbestandsmerkmal „bei der Vornahme einer Diensthandlung“ reicht es aus, dass der Täter die Kraft schon vor Beginn der Diensthandlung entfaltet, sofern diese – vom Täter auch so gewünscht – das spätere polizeiliche Tätigwerden deutlich erschwert.

3. Entscheidend für die Bewertung der Widerstandshandlung als „mit Gewalt“ ist die Intensität der Kraftentfaltung durch das materielle Zwangsmittel und damit zusammenhängend die Kraft, die aufgewandt werden muss, um diese zu überwinden.

4. Indem der Täter die mit Sekundenkleber benetzte Hand so auf die Fahrbahn drückt, dass Hand und Fahrbahn eine feste Verbindung eingehen, leistet er Widerstand mit Gewalt im Sinne des § 113 Abs. 1 Alt. 1 StGB, wenn hierdurch vorsatzgemäß die nach Auflösung der Versammlung erfolgende polizeiliche Räumung der Fahrbahn durch Polizeibeamte deutlich erschwert wird.

5. Die Ablösedauer ist lediglich ein Anhaltspunkt dafür, wie stark die zu überwindenden Kräfte wirken. Ein schnelles, aber kurzzeitig kraftintensives Wegreißen kann ebenso für einen Widerstand „mit Gewalt“ sprechen wie eine vorsichtige Methode, bei der die die Vollstreckungsmaßnahme erschwerenden Kräfte über einen längeren Zeitraum gelöst werden.

KCanG I: Erneut „alte“ Überwachungserkenntnisse, oder: Einige OLG für, einige gegen Verwertbarkeit

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Und dann heute nach längerer Zeit mal wieder einige Entscheidungen zum KCanG.

Ich beginne mit einer Zusammenstellung der mir vorliegenden Rechtsprechung der OLG zu den Auswirkungen des KCanG auf die Verwertbarkeit „alter“ EncroChat-ANOM_Überwachungsdaten. Dazu habe ich hier vier Entscheidungen, und zwar:

Für eine Verwertbarkeit von vor Inkrafttreten des KCanG gewonnenen Überwachungsdaten haben sich ausgesprochen:

Vergehen nach § 34 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 KCanG rechtfertigen als „schwere Straftaten“ weiterhin die Anordnung einer Telekommunikationsüberwachung nach § 100a StPO (§ 100a Abs. 2 Nr. 7a StPO). Sie gehören indes nicht zu den Delikten, die als „besonders schwere Straftaten“ nach § 100b Abs. 2 StPO die Anordnung einer Online-Durchsuchung erlauben würden. Das hat aber keinen Einfluss auf die Verwertbarkeit von vor dem Inkrafttreten des KCanG durch eine EncroChat-Maßnahme gewonnene Daten.

Zur – bejahten _ Verwertbarkeit von EncroChat- und SkyECC-Daten nach Einführung des KCanG.

Gegen eine Verwertbarkeit von vor Inkrafttreten des KCanG gewonnenen Überwachungsdaten haben sich ausgesprochen:

1. Erkenntnisse aus der Auswertung des über den Kryptomessenger-Dienst ANOM geführten Chatverkehrs sind unter Berücksichtigung des Grundgedankens der Verwendungsschranke des § 100e Abs. 6 StPO verwertbar. Eine Beweisverwertung derart erlangter Daten ist demnach stets unzulässig, sofern diese den Kernbereich privater Lebensführung i. S. v. § 100d Abs. 2 S. 1 StPO betreffen. Darüber hinaus dürfen die Erkenntnisse in einem Strafverfahren ohne Einwilligung der überwachten Person nur zur Aufklärung des Verdachts einer Katalogtat i. S. v. § 100b Abs. 2 StPO oder zur Ermittlung des Aufenthalts der einer solchen Straftat beschuldigten Person verwendet werden. Ferner sind die einschränkenden Voraussetzungen des § 100b Abs. 1 Nr. 2 und 3 StPO zu beachten, wonach die Straftat auch im Einzelfall besonders schwer wiegen und die Erforschung des Sachverhalts oder die Ermittlung des Aufenthaltsorts auf andere Weise wesentlich erschwert oder aussichtslos sein muss.

2. Für die Prüfung, ob die Voraussetzungen einer Katalogtat i. S. v. § 100b StPO erfüllt sind, ist auf den Zeitpunkt der Verwendung der Beweisergebnisse abzustellen. Vor dem 01.04.2024 im Zuge der Überwachung der „ANOM“-Chats erlangte Erkenntnisse sind demnach nur verwertbar, wenn die betreffenden Delikte auch im Verwertungszeitpunkt noch den Anforderungen des § 100e Abs. 6 StPO genügen, wenn sie also auch nach Inkrafttreten des KCanG zum 01.04.2024 noch als Katalogtaten i. S. v. § 100b Abs. 2 StPO einzustufen sind.

Der Senat hält auch in Anbetracht der zwischenzeitlich zur Frage der Verwertbarkeit der bei dem Krypto-Dienstanbieter EncroChat in Frankreich gesicherten und den deutschen Strafverfolgungsbehörden übermittelten Daten ergangenen, in der Sache divergierenden obergerichtlichen Rechtsprechung daran fest, dass diese Daten nur in denjenigen Fällen verwertbar sind, in denen sich der Tatvorwurf auf eine Katalogtat im Sinne des § 100b Abs. 2 StPO bezieht. Hiervon nicht umfasst sind Straftaten gemäß § 34 Abs. 3 Satz 2 KCanG, also Fälle wie– das gewerbsmäßige Handeltreiben mit Cannabis in nicht geringer Menge gemäß § 34 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 und Nr. 4 KCanG und die Abgabe von Cannabis in nicht geringer Menge gemäß § 34 Abs. 3 Satz 2 Nr. 4 KCanG.

Edit: Die Entscheidung des OLG Hamm muss man genau lesen. Das hatte ich erst nicht, habe ich dann aber auf netten Hinweis noch einmal getan und dann den Beitrag und die Überschrift etwas abgeändert

Klima: Nochmals zur Nötigung in einem „Klimafall“, oder: Flachdach einer Halle – befriedetes Besitztum?

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Und als zweite Entscheidung der OLG Stuttgart, Beschl. v. 16.02.2024 – 1 ORs 25 Ss 1/23. Er äußert sich noch einmal zu den sog. Klimaaktivistenfällen.

Die StA hatte der Angeklagten das Abhalten einer unangemeldeten Versammlung in Tateinheit mit Hausfriedensbruch am 22. 02.2021 (Tatvorwurf 1), das Abhalten einer unangemeldeten Versammlung im März 2021 (Tatvorwurf 2) sowie Nötigung in Tateinheit mit der Teilnahme an einer Versammlung in einer Aufmachung zur Verhinderung der Feststellung ihrer Identität am 29.04.2021 (Tatvorwurf 3) zur Last gelegt. Wegen dieser Taten hat das AG die Angeklagte verurteilt. Die Berufung der Angeklagten führte vor dem LG zum Freispruch. Hiergegen richtet sich die Revision der StA. Sie greift – nach teilweiser Rücknahme der Revision sowie nach der Beschränkung des Verfahrens auf die Vorwürfe des Hausfriedensbruchs und der Nötigung – den Freispruch von den Tatvorwürfen 1 und 3 an. In dem Umfang hatte die Revision vollen Erfolg.

Das OLG ist von folgenden Feststellungen ausgegangen:

„1. Zum ersten Tatvorwurf hat das Landgericht im Wesentlichen festgestellt:

Am 22. Februar 2021 fand ab 19 Uhr in der Mehrzweckhalle der Gemeinde pp. eine Gemeinderatssitzung zum Regionalplan Bodensee-Oberschwaben statt. Gegen 18.30 Uhr kletterten die Angeklagte und der gesondert verfolgte pp. mit Hilfe einer Leiter auf das nicht gesicherte Hallenflachdach und enthüllten dort ein ca. acht Quadratmeter großes Transparent mit der Aufschrift „Stoppt den Klimahöllenplan“, um die Teilnehmer der Gemeinderatssitzung auf ihrer Meinung nach mit den Projekten des Regionalplans einhergehenden Folgen für die Umwelt aufmerksam zu machen. Die Angeklagte und pp. verließen das Dach erst nach Beginn der Gemeinderatssitzung. Der Bürgermeister der Gemeinde stellte am 2. März 2021 Strafantrag wegen Hausfriedensbruchs.

Den Freispruch von diesem Vorwurf hat das Landgericht damit begründet, dass es an einem Eindringen in ein befriedetes Besitztum fehle.

2. Zum Tatvorwurf 3 hat das Landgericht festgestellt:

Die Angeklagte schloss sich mit zehn Personen zusammen, um durch eine auf „einen gemeinsamen Tatplan zurückgehende gemeinschaftlich ausgeführte Aktion“ den Betrieb von zwei Kieswerken zu stören. In Umsetzung dieser Aktion, die wegen des beabsichtigten Überraschungseffekts vorher geheim gehalten wurde, wurden fünf aus je zwei Personen bestehende „Posten“ gebildet.

Vier dieser Posten besetzten die Zufahrten zum Kieswerk pp. GmbH & Co.KG in pp., indem sie – auf einer Fahrbahnseite 4-5m über dem Boden, auf der anderen Seite bodennah, dh schräg abfallend über die Straße – Seile spannten, an denen sie Hängematten befestigten. In jeder Hängematte lag eine Person; die andere Person postierte sich davor mit einem Hinweis auf die Hängematte bzw. einer „Warnung vor Weiterfahrt“. Ferner waren Hinweisschilder mit dem Schriftzug „da hängt ein Leben dran“ angebracht. Ein Kappen der Seile hätte zum Sturz der in den Matten liegenden Aktivisten aus lebensgefährdender Höhe geführt.

Infolge der blockierten Zufahrten bildete sich an der Hauptzufahrt (besetzt vom gesondert verfolgten pp. und einem Unbekannten) ein Stau aus den Pkws der Kieswerkmitarbeiter und mindestens 20 Lkws. Der Fahrer des ersten Fahrzeugs fühlte sich psychisch an der Weiterfahrt gehindert; die Weiterfahrt wäre ihm zwar möglich gewesen, hätte aber wahrscheinlich das gespannte Seil gekappt und dadurch zum Absturz der Hängematte und der darin befindlichen Person geführt. Die von der Angeklagten besetzte Zufahrt versuchte nur ein Pkw zu passieren, der „letztlich“ am Fahrbahnrand unter der am gespannten Seil angebrachten Hängematte hindurch weiterfahren konnte. Der Betrieb der Kieswerke war über Stunden hinweg gestört. Die Angeklagte und die weiteren Aktivisten wurden von Polizeikräften mittels Drehleitern aus den Hängematten geholt. Die pp. GmbH & Co.KG macht zivilrechtlich Schadensersatz in Höhe von ca. 30.000 Euro geltend. Ein weiterer Posten blockierte die Zufahrt des mehrere Kilometer entfernten Kieswerks pp., wo sich aus Angst, das gespannte Seil zu kappen, ein Lkw-Fahrer an der Weiterfahrt gehindert sah.

Das Landgericht hat die Angeklagte auch von diesem Vorwurf freigesprochen. Eine Nötigung mit Gewalt hat es verneint, da an der Sperre der Angeklagten kein Fahrzeug an der Durchfahrt gehindert gewesen sei und die Angeklagte eine möglicherweise entstehende physische Blockade nicht in ihr Vorstellungsbild aufgenommen habe; sie habe angesichts ihrer Entfernung von 500 bzw. 700 Metern zu den anderen Sperren die dortigen Geschehnisse nicht sehen oder beeinflussen können. Die freie Gegenspur hätten die Fahrer nicht zum Ausscheren genutzt, da sie annahmen, am Eingang ebenso wie der dortige erste Lkw an der Weiterfahrt gehindert zu sein.“

Das OLG sieht das beides anders und hat aufgehoben. Es reichen, da doe Fragen ja inzwischen schon häufiger entschieden worden sind, die Leitsätze der Entscheidung. Sie lauten:

In pp.

  1. Eine Nötigung mit Gewalt im Sinne des § 240 Abs. 1 StGB liegt vor, wenn der durch das Blockieren einer Straße gegenüber den ersten Kraftfahrern ausgeübte Zwang sich unmittelbar in physische Hindernisse umsetzt, indem diese Personen und ihre Fahrzeuge bewusst als Werkzeug zur tatsächlichen Behinderung der Nachfolgenden benutzt werden. Anlass, von dieser verfassungsrechtlich nicht zu beanstandenden sog. Zweite-Reihe-Rechtsprechung abzuweichen, besteht nicht.
  2. Entspricht das Blockieren mehrerer Straßen einem gemeinsam gefassten Tatplan, muss sich jeder in die Aktion eingebundene Mittäter die durch das Handeln seiner Tatgenossen plangemäß errichteten Straßensperren und dadurch hervorgerufene Folgen zurechnen lassen.
  3. Die Beurteilung der Verwerflichkeit im Sinne des § 240 Abs. 2 StGB erfordert eine an den Einzelfallumständen orientierte Abwägung. Im Hinblick auf den Wortlaut und den von § 240 StGB bezweckten Schutz der Freiheit der Willensentschließung und der Willensbetätigung kann die Grenze zur Verwerflichkeit ohne Weiteres auch ohne eine Gefährdung Dritter überschritten sein. Eine Rechtfertigung von Straßenblockaden aus Art. 8 Abs. 1 GG, nach § 34 StGB sowie unter dem Aspekt des sog. zivilen Ungehorsams ist ausgeschlossen.
  4. Das Flachdach einer Mehrzweckhalle, zu dem kein allgemeiner oder regulärer Zugang eröffnet ist und dessen Betreten ohne mitgebrachte Aufstiegshilfe unmöglich ist, stellt ein befriedetes Besitztum im Sinne des § 123 Abs. 1 StGB dar.