Schlagwort-Archive: Nötigung

Klima I: Rechtsprechung zu Klimaktivisten-Fällen, oder: Straßenblockade, Hausfriedensbruch, Festkleben

Bild von Pete Linforth auf Pixabay

Zum Wochenanfang der 35 KW. stelle ich – seit längerem – mal wieder einige Entscheidungen auf Verfahren betreffend Klimaktivisten vor. Mehr als diese insgesamt vier Entscheidungen habe ich leider nicht. Ich habe zwar versucht, an die Volltextevon Entscheidungen zu kommen, über die in der letzten Zeit berichtet worden ist, aber das hat leider nur in einem Fall, der vom AG München stammt, geklappt. Alle anderen Anfragen hatten keinen Erfolg. Die StA Neuruppin gibt den „Kriminelle Vereinigung“-Beschluss des LG Potsdam nicht heraus, weil es esich um ein laufendes Verfahren handelt, das LG hatte ich zuvor bereits hinter der StA versteckt. Und auch das AG Tiergarten ist sehr zögerlich. Schade.

Vorstellen kann ich dann aber:

Eine Straßenblockade durch Klimaaktivisten stellt nach der sog. „Zweite-Reihe-Rechtsprechung“ des BGH Gewalt im Sinne des § 240 Abs. 1 StGB dar. Denn die Fahrer in der zweiten Reihe und den nachfolgenden Reihen werden durch unüberwindbare physische Hindernisse, nämlich den Fahrzeugen vor und hinter ihnen, an der Weiterfahrt gehindert, womit auch der erstrebte Nötigungserfolg eingetreten ist. Die darin liegende Nötigung anderer Verkehrsteilnehmer kann jedoch nach Abwägung aller Umstände gem. § 240 Abs. 2 StGB gerechtfertigt sein,

Zur Rechtfertigung des unerlaubten Betretens eines Fußballfeldes während eines laufenden Spieles aus „Klimaschutzgründen“.

1. Bei der den Protestierenden sog. „Letzten Generation“ vorgeworfenen Nötigung sind bei Anwendung und Auslegung der Verwerflichkeitsklausel nach § 240 Abs. 2 StGB im Lichte des Art. 8 GG die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts (Beschluss vom 24. Oktober 2001 – 1 BvR 1190/90 -, BVerfGE 104, 92-126, Rn. 64) zu beachten. Wichtige Abwägungselemente sind unter anderem die Dauer und Intensität der Aktion, deren vorherige Bekanntgabe, Ausweichmöglichkeiten über andere Zufahrten, die Dringlichkeit des blockierten Transports, aber auch der Sachbezug zwischen den in ihrer Fortbewegungsfreiheit beeinträchtigten Personen und dem Protestgegenstand.
2. Wurden Autofahrende auf einer der staubelasteten Autobahn Deutschlands durch die Blockade rund 30 Minuten an der Weiterfahrt gehindert, wobei sich ein Stau von mehreren Metern bildete, die Blockadeaktion jedoch zumindest abstrakt im Vorfeld medial angekündigt wurde und ein konkreter Sachbezug („Öl sparen statt Bohren“ und „Nordseeöl? Nö!“) gegeben war, stellt sich die Nötigung nicht als verwerflich im Sinne des § 240 Abs. 2 StGB dar, wenn die Polizei die Blockade vor der Räumung versammlungsrechtlich nicht beschränkt oder aufgelöst hat.
3. Ist die Nötigung nicht verwerflich im Sinne des § 240 Abs. 2 StGB, kommt ein Verstoß gegen das VersFG Bln in Betracht, wenn die Polizei die Versammlung beschränkt bzw. aufgelöst hat, die Protestierenden hierauf jedoch nicht reagiert haben.1. Bei der den Protestierenden sog. „Letzten Generation“ vorgeworfenen Nötigung sind bei Anwendung und Auslegung der Verwerflichkeitsklausel nach § 240 Abs. 2 StGB im Lichte des Art. 8 GG die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts (Beschluss vom 24. Oktober 2001 – 1 BvR 1190/90 -, BVerfGE 104, 92-126, Rn. 64) zu beachten. Wichtige Abwägungselemente sind unter anderem die Dauer und Intensität der Aktion, deren vorherige Bekanntgabe, Ausweichmöglichkeiten über andere Zufahrten, die Dringlichkeit des blockierten Transports, aber auch der Sachbezug zwischen den in ihrer Fortbewegungsfreiheit beeinträchtigten Personen und dem Protestgegenstand.
2. Wurden Autofahrende auf einer der staubelasteten Autobahn Deutschlands durch die Blockade rund 30 Minuten an der Weiterfahrt gehindert, wobei sich ein Stau von mehreren Metern bildete, die Blockadeaktion jedoch zumindest abstrakt im Vorfeld medial angekündigt wurde und ein konkreter Sachbezug („Öl sparen statt Bohren“ und „Nordseeöl? Nö!“) gegeben war, stellt sich die Nötigung nicht als verwerflich im Sinne des § 240 Abs. 2 StGB dar, wenn die Polizei die Blockade vor der Räumung versammlungsrechtlich nicht beschränkt oder aufgelöst hat.
3. Ist die Nötigung nicht verwerflich im Sinne des § 240 Abs. 2 StGB, kommt ein Verstoß gegen das VersFG Bln in Betracht, wenn die Polizei die Versammlung beschränkt bzw. aufgelöst hat, die Protestierenden hierauf jedoch nicht reagiert haben.

Und der Vollständigkeit halber weise ich dann auch noch einmal hin auf den KG, Beschl. v. 16.08.2023 – 3 ORs 46/23 – 161 Ss 61/23 -, über den ich ja schon in der vergangenen Woche berichtet habe (vgl. StGB III: Widerstand durch Festkleben auf der Straße, oder: Das hätte das KG gern in den Urteilgründen). Die Leitsätze:

1. Um die Beweiswürdigung des Tatrichters auf sachlich-rechtliche Fehler hin überprüfen zu können, bedarf es einer geschlossenen und zusammenhän-genden Wiedergabe wenigstens der wesentlichen Grundzüge der Einlassung des Angeklagten. Der bloße Hinweis, das Geständnis entspreche dem „akten-kundigen Ermittlungsergebnis“, genügt dafür nicht.
2. Eine Strafbarkeit wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte nach § 113 Abs. 1 StGB kommt auch dann in Betracht, wenn sich der Täter bereits vor Beginn der Vollstreckungshandlung auf der Fahrbahn mit Sekundenkleber o.ä. festklebt, um die von ihm erwartete alsbaldige polizeiliche Räumung der Fahrbahn nicht nur unwesentlich zu erschweren.
3. Um ein gezieltes Verhalten des Täters vom bloßen Ausnutzen eines bereits vorhandenen Hindernisses abzugrenzen, muss in derartigen Fallgestaltungen der Wille des Täters dahin gehen, durch seine Tätigkeit den Widerstand vor-zubereiten.
4. Dass Polizeibeamte das durch Festkleben entstandene physische Hindernis durch Geschicklichkeit – hier unter Verwendung eines Lösungsmittels – zu be-seitigen in der Lage sind, steht dem Merkmal der Gewalt nicht grundsätzlich entgegen und nimmt ihm in Bezug auf den dem Vollstreckungsbeamten nicht ohne weiteres die körperliche Spürbarkeit.

StGB II: Versuchte Nötigung in Form der Drohung, oder: Antippen des Gaspedals = Androhung des Anfahrens

Bild von Uwe Hoh auf Pixabay

Und als zweite Entscheidung stelle ich das BGH, Urt. v. 10.11.2022 – 4 StR 91/22. Schon etwas älter, aber jetzt erst auf der Homepage des BGH veröffentlicht.

Das LG hat den Angeklagten u.a. wegen wegen fahrlässiger Körperverletzung in Tateinheit mit unerlaubtem Entfernen vom Unfallort verurteilt. Dagegen die Revision der StA, die Erfolge hatte:

„Das Landgericht hat zu den Fällen II.2 und II.3 der Urteilsgründe folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:

1. Zwischen dem Angeklagten und seiner Freundin kam es am Tattag in ihrer Wohnung zu einem Gespräch, das die Zeugin u. a. auf die Herkunft des Angeklagten und die „Taliban“ brachte. Der Angeklagte, dem die Fragen der Zeugin seltsam vorkamen, bemerkte deren Smartphone, das zwischen der Kante und der Matratze des Bettes eingeklemmt war und mit dem die Zeugin das Gespräch aufzeichnete. Nachdem der Angeklagte das Smartphone an sich genommen hatte, versuchte er, die Sprachaufnahme zu stoppen und zu löschen. Die Zeugin wollte dies verhindern und dem Angeklagten das Smartphone entreißen. Es entwickelte sich eine Rangelei, in deren Verlauf der Angeklagte aus Verärgerung über die heimliche Aufnahme der Zeugin mit der flachen Hand in das Gesicht schlug und ihr dadurch Schmerzen verursachte.

Als der Angeklagte versuchte, die Wohnung zu verlassen, um die Aufnahme auf dem Smartphone zu löschen, kündigte ihm die Zeugin an, mit einem älteren Handy wegen des Schlages die Polizei zu rufen. Um dies zu verhindern, riss ihr der Angeklagte dieses Handy aus der Hand, wobei die „übertölpelte“ Zeugin keinen Widerstand leistete (Fall II.2 der Urteilsgründe).

Die Strafkammer hat den Schlag als Körperverletzung gemäß § 223 Abs. 1 StGB gewürdigt und das Verhalten des Angeklagten hinsichtlich der beiden Mobiltelefone als straflos bewertet, weil er insoweit keine Gewalt angewendet und nicht in Zueignungsabsicht gehandelt habe.

2. Als der Angeklagte im Anschluss an die Rangelei mit seinem Pkw wegfahren wollte, um das Smartphone in Sicherheit zu bringen, stellte sich die Zeugin in den Bereich des Frontscheinwerfers auf der Fahrerseite, stützte sich mit den Händen auf der Kühlerhaube ab und forderte die Herausgabe ihrer beiden Mobiltelefone. Der Angeklagte tippte zwei- oder dreimal kurz das Gaspedal an, trat aber jeweils sofort wieder auf die Bremse, weil die Zeugin weiterhin im Weg stand. Als diese eine kurze Bewegung weg vom Fahrzeug machte, fuhr der Angeklagte geradeaus nach vorne an, um das Smartphone mit der Sprachaufzeichnung in Sicherheit zu bringen. Dabei vertraute er darauf, dass die Zeugin nicht verletzt würde. Entgegen der Erwartung des Angeklagten kam diese ins Straucheln und erlitt durch den Sturz auf die Straße eine Beckenprellung.

Der Angeklagte, der den Sturz der Zeugin bemerkte und es für möglich hielt, dass sie sich dabei eine Verletzung zugezogen hatte, fuhr ohne Unterbrechung zügig weiter (Fall II.3 der Urteilsgründe).

Das Landgericht hat dieses Geschehen als fahrlässige Körperverletzung (§ 229 StGB) in Tateinheit mit unerlaubtem Entfernen vom Unfallort (§ 142 Abs. 1 Nr. 1 StGB) gewürdigt.

II.

Die zuungunsten des Angeklagten eingelegte Revision der Generalstaatsanwaltschaft ist wirksam auf die Verurteilung des Angeklagten in den Fällen II.2 und II.3 der Urteilsgründe beschränkt. Sie führt zur Aufhebung der Verurteilung im Fall II.3 der Urteilsgründe. Dies zieht die Aufhebung des Gesamtstrafenausspruchs und der Anordnung des Fahrverbots nach sich. Im Übrigen bleibt die Revision erfolglos.

1. Die Verurteilung des Angeklagten lediglich wegen fahrlässiger Körperverletzung in Tateinheit mit unerlaubtem Entfernen vom Unfallort im Fall II.3 der Urteilsgründe kann schon deshalb nicht bestehen bleiben, weil das Landgericht die Annahme einer versuchten Nötigung gemäß § 240 Abs. 3, §§ 22, 23 Abs. 1 StGB mit rechtsfehlerhaften Erwägungen verneint hat.

a) Die Strafkammer hat keine Anhaltspunkte dafür gesehen, dass der Angeklagte durch das mehrfache kurze Antippen des Gaspedals der Zeugin konkludent drohen wollte, sie anzufahren, falls sie den Weg nicht freigebe. Vielmehr habe er sofort gebremst, als er bemerkte, dass die Zeugin stehen blieb. Auch habe die Zeugin das Verhalten des Angeklagten nicht als Drohung verstanden, sondern sei fest davon ausgegangen, dass dieser nicht losfahren werde, solange sie direkt vor der Kühlerhaube stehe.

b) Diese Erwägungen tragen die Verneinung eines auf die Begehung einer Nötigung gemäß § 240 Abs. 1 StGB gerichteten Tatentschlusses nicht.

aa) Der Tatbestand eines versuchten Delikts verlangt in subjektiver Hinsicht (Tatentschluss) das Vorliegen einer vorsatzgleichen Vorstellung, die sich auf alle Umstände des äußeren Tatbestands bezieht (vgl. BGH, Beschluss vom 9. Januar 2020 – 4 StR 324/19, NStZ 2020, 402 Rn. 17; Urteil vom 10. September 2015 – 4 StR 151/15, NJW 2015, 3732 Rn. 13). Die Annahme einer versuchten Nötigung gemäß § 240 Abs. 3 StGB in der Variante der Drohung mit einem empfindlichen Übel setzt daher in subjektiver Hinsicht voraus, dass der Täter zumindest für möglich gehalten und billigend in Kauf genommen hat (bedingter Vorsatz; vgl. dazu BGH, Urteil vom 2. Oktober 1953 – 3 StR 153/53, BGHSt 5, 245, 246), dass sein Verhalten von dem Tatopfer als ein Inaussichtstellen eines erheblichen Nachteils (hier eines Anfahrens mit dem Pkw) verstanden wird. Dazu bedarf es einer umfassenden Würdigung aller objektiven und subjektiven Umstände.

bb) Diesen Anforderungen werden die Ausführungen des Landgerichts nicht gerecht. Die Erwägungen des Landgerichts zum Bremsen nach dem Ausbleiben einer Reaktion der Zeugin legen gerade nahe, dass der Angeklagte beim Antippen des Gaspedals damit rechnete, die Zeugin werde sein Verhalten als die Androhung eines Anfahrens verstehen und deshalb den Weg freigeben. Dass der Angeklagte tatsächlich vom Gas ging, zeigt für sich genommen lediglich, dass er die angekündigte Handlung bei Erfolglosigkeit seiner Drohung nicht in die Tat umsetzen wollte. Der Umstand, dass die Zeugin das Verhalten des Angeklagten nicht als eine Drohung verstand, steht dem nicht entgegen, da es insoweit auf das Vorstellungsbild des Angeklagten ankommt.

c) Um dem neuen Tatrichter widerspruchsfreie Feststellungen zu ermöglichen, hebt der Senat die Verurteilung im Fall II.3 der Urteilsgründe insgesamt auf. Dies zieht die Aufhebung der Gesamtstrafe und der Anordnung des Fahrverbots nach sich.“

Klima I: Straßenschilder besteigen und Abseilen, oder: Man muss das Gesamtgeschehen bewerten

Klima

Und zum Wochenanfang dann „Klima-Entscheidungen“.

Zunächst hier zwei schon etwas ältere Entscheidungen aus Bremen, auf die ich im Zusammenhang mit der Recherche wegen einer anderen Frage gestoßen bin. Ich stelle sie trotz ihres Alters noch vor.

Folgender Sachverhalt: Die Staatsanwaltschaft Bremen hat dem Beschuldigten vier Nötigungen in Bremen vorgeworfen. Der Beschuldigte soll als Kontaktstelle und Sprecher der mindestens ca. 120-130 Mitglieder umfassenden Gruppe „Extinction Rebellion“ (?) an der Planung, Vorbereitung und Organisation einer im Stadtgebiet Bremen durchgeführten Aktion beteiligt, gewesen sein, in deren Zuge Aktivisten der Gruppe u. a. Straßenschilder bestiegen, um darauf Plakate für den Klimawandel und die Verkehrswende zu befestigen, was teilweise mit einem Abseilen von den Schildern in Richtung der Straße verbunden war. Dabei kam es zu Verkehrsbehinderungen. Der Beschuldigte selber soll persönlich bei einer Aktion beteiligt gewesen sein.

Die Staatsanwaltschaft hat die Durchsuchung beim Beschuldigten beantragt. Das AG Bremen hat das im AG Bremen, Beschl. v. 18.05 – 92b Gs 448/21 (225 Js 25762/21) – abgelehnt:

„Die Voraussetzungen für den Erlass der beantragten Anordnung liegen nach Auffassung des Gerichts jedoch nicht vor, da die Tat nicht als verwerflich i.S.v. § 240 Abs. 2 StGB anzusehen ist. Demnach ist die Tat rechtswidrig, wenn die Anwendung der Gewalt oder die Androhung des Übels zu dem angestrebten Zweck als verwerflich anzusehen ist. Verwerflichkeit meint einen erhöhten Grad sittlicher Missbilligung, vgl. Fischer, StGB-Kommentar, 68. Aufl. 2021, § 240, Rn. 40. Nach der vierten Blockadeentscheidung des BVerfG aus dem Jahre 2001 muss im Rahmen des § 240 Abs. 2 StGB auch das Grundrecht aus Art. 8 GG Berücksichtigung finden. Dabei ist die Strafzumessungslösung praktisch verworfen und der Weg der praktischen Konkordanz im Rahmen der Verwerflichkeitsklausel gewählt worden. Bei der vorzunehmenden Gesamtbewertung des Geschehens und der Frage, ob die Tathandlung als verwerflich anzusehen ist, ist die soziale Gewichtigkeit des Blockadeanliegens ausschlaggebend, vgl. für Vorstehendes MüKo § 240, Rn. 143 f. Dabei ist nicht jede Gewaltanwendung, die darauf ausgelegt ist, die Bewegungsfreiheit Dritter zu beeinträchtigen, als verwerflich anzusehen. Die Handlungen des Beschuldigten fallen solange unter den Schutz von Art. 8 GG, als dass sie nicht unfriedlich sind. Unfriedlichkeit ist erst bei Handlungen von einiger Gefährlichkeit anzunehmen (Eisele, in Schönke/Schröder Strafgesetzbuch, § 240, 30. Aufl. 2019, Rn. 28).  Auch daraus, dass eine Handlung nicht mehr verwaltungsmäßig ist, folgt nicht die Strafrechtswidrigkeit, so dass auch eine fortgesetzte Versammlung nach erfolgter Auflösung nicht per se verwerflich ist (Eisele, a.a.O. Rn. 28). Daneben ist bei der erforderlichen Gesamtabwägung auf die soziale Gewichtigkeit des verfolgten Anliegens abzustellen, wobei existenziellen Fragen der Allgemeinheit grundsätzlich größeres Gewicht zukommt als Eigeninteressen. Im Ergebnis ist der Grad der Beeinträchtigung einerseits und die Art der Demonstrationsmotive zu berücksichtigen (Eisele, a.a.O. Rn. 29).

Bei der Frage der Verwerflichkeit der Tathandlung ist somit der Eingriff in die Fortbewegungsfreiheit der stehenden Autofahrer und das Ziel der Demonstranten gegeneinander abzuwägen. Dabei kommt dem Ziel, auf die Notwendigkeit des Klimaschutzes hinzuweisen, erhebliches Gewicht zu, wobei nach Auffassung des Gerichts die Fortbewegungsfreiheit der im Stau stehenden Autofahrer nicht erheblich beeinträchtigt ist, zumal es insbesondere auf Autobahnen und insbesondere auf der Lesumbrücke schon aufgrund der nunmehr mehrere Jahre andauernden Bauarbeiten stets zu verkehrsbedingten Behinderungen kommen kann. Bei der Frage der Verwerflichkeit ist hier auch zu berücksichtigen, dass eine Gefährlichkeit für Dritte bislang nicht festgestellt worden ist. Ein erhöhter Grad sittlicher Missbilligung kann in diesem Fall nach Auffassung des Gerichts nicht angenommen werden, so dass die dem Beschuldigten vorgeworfenen Handlungen nicht als verwerflich anzusehen sind. Trotz zielgerichteter Blockade des Verkehrs ist den Demonstrant:innen ein Akt der auf das Ziel hinweisenden Kommunikation zuzugestehen, der in diesem Fall noch nicht derart tief in die Fortbewegungsfreiheit der Autofahrer eingreift, als dass er eine Strafbarkeit gem. § 240 StGB begründen und die Anordnung einer Durchsuchung rechtfertigen würde.“

Die Staatsanwaltsschaft hat dann dagegen Beschwerde eingelegt. Die hat das LG Bremen mit dem LG Bremen, Beschl. v. 22.06.2021 – 2 Qs 213/21 – zurückgewiesen. Zur Abwäging führt das LG u.a. noch aus:

„Ein gewichtiger Umstand im Rahmen der Abwägung ist der Sachbezug der von der Blockade betroffenen Personen – nämlich die Teilnehmer des Individualverkehrs. Stehen die äußere Gestaltung der Blockademaßnahme und die durch sie ausgelösten Behinderungen in einem Zusammenhang mit dem Versammlungsthema und/oder betrifft das Anliegen auch die von der Demonstration nachteilig Betroffenen, kann die Beeinträchtigung ihrer Freiheitsrechte unter Berücksichtigung der jeweiligen Umstände möglicherweise eher sozial erträglich und damit in größerem Maße hinzunehmen sein, als wenn dies nicht der Fall ist. Demgemäß ist im Rahmen der Abwägung zu berücksichtigen, ob und inwieweit die Wahl des Versammlungsortes und die konkrete Ausgestaltung der Versammlung sowie die von ihr betroffenen Personen einen auf die Feststellung der Verwerflichkeit einwirkenden Bezug zum Versammlungsthema haben (OLG Karlsruhe, Beschluss vom 08. Januar 2015 – 1 (8) Ss 510/13 –, juris).

Vor diesem Hintergrund ist die Einordnung des Geschehens als Meinungsäußerung und nicht nur als längerfristige Verhinderung des Verkehrs in der Gesamtschau der bisher bekannten bzw. ermittelten Umstände auch aus Sicht der Kammer nicht zu beanstanden.“

Klima II: Straßenblockaden der Klimaaktivisten, oder: Erstmals (kurze) Haftstrafen ohne Bewährung

entnommen wikimediacommons

Und im zweiten Posting dann eine/die Entscheidung, die vor einigen Tagen die Gemüter bewegt hat. Es handelt sich um das – noch nicht rechtskräftige – AG Heilbronn, Urt. v. 06.03.2023 – 26 Ds 16 Js 4813/23  -, das mir der Kollege Dr. J. Rienhoff aus Marburg übersandt hat. Über das Urteil ist ja auch in der Tagespresse berichtet worden, vor allem wohl deshalb weil es – so weit ersichtlich – die erste Entscheidung ist, die für Straßenblockaden der Klimaaktivisten Freiheitsstrafen ohne Bewährung verhängt hat.

Nach den Feststellungen des AG hatten die Angeklagten am 06.02.2023 an einer bundesweiten Protestaktion in Form einer Straßenblockade der „Letzte Generation“ teilgenommen. Ziel der Angeklagten, die sich allesamt aus politischer Überzeugung der „Letzte Generation.“ angeschlossen hatten, war es, den Verkehr öffentlichkeitswirksam zu blockieren, Aufmerksamkeit für die Belange des Klimaschutzes zu erregen und Druck auf die Bundesregierung auszuüben, insbesondere zur Einrichtung eines sog, „Gesellschaftsrats“. Die Protestaktion war für mehrere Städte – darunter Heilbronn – im Vorfeld medial ohne Mitteilung der genauen Orte der Straßenblockade angekündigt worden.

In Ausführung dieses Planes setzen sich die Angeklagten gegen 8 Uhr in Heilbronn auf die stadteinwärts führende mehrspurige Neckarsulmer Straße (B27) und setzten sich dem gemeinsamen Tatplan entsprechend mit jeweils rund einem bis eineinhalb Meter Abstand zueinander in einer Reihe auf die drei Richtungsfahrbahnen. Dem Tatplan entsprechend befestigte sodann zwei Angeklagte jeweils eine Hand mittels Kleber auf dem Asphalt, so dass die Angeklagten beim Heranfahren von Kraftfahrzeugen nicht ausweichen konnten, und um hierdurch zugleich die Einsatzkräfte für eine nicht unerhebliche Zeit daran zu hindern, die Fahrbahn zu räumen, und die auf der Neckarsulmer Straße stadteinwärts am Verkehr teilnehmenden Kraftfahrzeugfahrer während der Dauer der Blockadeaktion von der Weiterfahrt abzuhalten.

Wie von den Angeklagten beabsichtigt, hielten die dann in der ersten Reihe stehenden Fahrzeuge, unter anderem die Zeugin E. mit ihrem Pkw Ford Kuga, amtliches Kennzeichen pp., an, wodurch, wie von den Angeklagten beabsichtigt, die dahinter befindlichen Kraftfahrzeuge aufgrund der die Fahrbahn blockierenden Fahrzeuge ihrerseits am Weiterfahren gehindert waren, so dass es zu einem Rückstau kam, wobei, wie von allen Angeklagten aufgrund ihrer Aktion beabsichtigt, insbesondere ein in zweiter Reihe mit seinem Pkw befindlicher Arzt sowie eine in dritter Reihe mit ihrem Fahrzeug stehende weitere Geschädigte nicht mehr weiterfahren konnten. Wegen der weiteren Einzelheiten verweise ich auf den verlinkten Volltext.

Das AG hat die Angeklagten wegen Nötigung gemäß § 240 Abs. 1 und 2 StGB in zwei tateinheitlichen Fällen verurteilt. Insoweit verweise ich wegen der Begründung/Ausführungen des AG ebenfalls auf den Volltext. Die Überlegungen des AG lassen sich in folgenden Leitsätzen zusammen fassen:

    1. Keine Gewalt i.S. des § 240 StGB ist die „bloße Anwesenheit“ von Demonstranten auf der Fahrbahn, soweit sie sich nur als psychische Hemmung auf die anhaltenden Fahrer auswirkt, die Demonstranten nicht zu überfahren. Ab der „zweiten Reihe“ der anhaltenden Fahrer wirkt aber nicht nur die psychische Hemmung, sondern auch die in erster Reihe bzw. davorstehenden Fahrzeuge als physische Sperre.
    2. Zur Verwerflichkeit einer Straßenblockade i.S. von § 240 Abs. 2 StGB
    3. Auch wenn man den Klimawandel als eine gegenwärtige Gefahr einstuft, ist eine Straßenblockade dennoch weder ein erforderliches noch angemessenes Mittel zur Gefahrenabwehr im Sinne des § 34 StGB.

Von besonderem Interesse dann aber die Strafzumessungserwägungen des AG. Dazu heißt es:

„Der Strafrahmen ist § 240 Abs. 1 StGB zu entnehmen, der Geldstrafe bzw. Freiheitsstrafe bis 3 Jahre vorsieht.

Im Rahmen der konkreten Strafzumessung ist zugunsten aller Angeklagten zu berücksichtigen, dass sie bislang alle nicht vorbestraft sind und Motiv der Tat ein für die Allgemeinheit wichtiges Thema darstellt. Auch war zu berücksichtigen, dass die Angeklagten eine Konfrontation mit der Staatsgewalt und Gewalttätigkeiten oder weitere Eskalationen vermeiden wollten und zugleich mittels ihrer Banner dafür sorgten, den Sinn ihrer Aktion zu verdeutlichen. Weiter ist den Angeklagten zu Gute halten, dass sich bewusst nur die äußersten Sitzblockadeteilnehmer am Asphalt festklebten, um im Notfall eine Rettungsgasse freimachen zu können, wobei diesbezüglich anzumerken ist, dass infolge des geringen Abstands von an der Ampel haltenden Fahrzeugen ein Rangieren und damit das Freimachen einer Rettungsgasse nicht möglich sein dürfte.

Strafschärfend fiel ins Gewicht, dass eine Vielzahl von Verkehrsteilnehmern von der Straßenblockade betroffen waren und infolge der Blockade der Zeuge Dr. pp. mit einer Verspätung von einer Stunde an seiner Arztpraxis ankam, sodass zahlreiche Patienten, darunter auch ein Notfall, nicht behandelt werden konnten.

1. PP1 und PP2

Zulasten der Angeklagten PP1 und PP2 ist weiterhin zu berücksichtigen, dass sie bereits an Straßenblockaden – laut der seitens der Staatsanwaltschaft übergebenen und als Anlage zu Protokoll genommenen ZStV für den Angeklagten PP1 41 an der Zahl, für den Angeklagten PP2 zwei an der Zahl teilgenommen haben, die jeweils gegen sie eingeleiteten Ermittlungsverfahren sie nicht beeindruckt haben, sondern sie vielmehr weiterhin an Straßenblockaden bundesweit teilnehmen und teilzunehmen beabsichtigen, was zeigt, dass keinerlei Unrechtseinsicht bei ihnen vorhanden ist und eine rasante Rückfallgeschwindigkeit vorliegt. Auch konnten den Angeklagten PP1 ergangene, jedoch noch nicht rechtskräftige Strafbefehle sowie eine bereits gegen ihn durchgeführte Hauptverhandlung nicht beeindrucken.

Vor diesem Hintergrund und dem Umstand, dass der Angeklagte PP1 angibt, kein Urteil könne ihn davon abhalten, weiterhin gleichgelagerte Straftaten zu begehen und Geldstrafen träfen ihn nicht, da er die eidesstattliche Versicherung abgegeben habe und eine Geldstrafe auf dem Stapel unbezahlter Rechnungen lande, liegen besondere Umstände in der Persönlichkeit des Angeklagten PP1 vor, die zur Einwirkung auf ihn die Verhängung einer kurzen Freiheitsstrafe gemäß § 47 Abs. 1 StGB auch unter Berücksichtigung des Übermaßverbotes unerlässlich machen.

Nach Abwägung der vorgenannten Strafzumessungserwägungen hielt das Gericht daher die Verhängung einer Freiheitsstrafe von 3 Monaten gegen den Angeklagten PP1 für tat- und schuldangemessen.

Nachdem der Angeklagte PP2 ebenfalls glaubhaft angegeben hat, von strafrechtlichen Sanktionen nicht davon abgehalten zu werden, gleichgelagerte Straftaten zu begehen, liegen besondere Umstände in der Persönlichkeit des Angeklagten PP2 vor, die zur Einwirkung auf ihn die Verhängung einer kurzen Freiheitsstrafe gemäß § 47 Abs. 1 StGB auch unter Berücksichtigung des Übermaßverbotes unerlässlich machen.

Nach nochmaliger Abwägung der vorgenannten Strafzumessungserwägungen hielt das Gericht daher die Verhängung einer Freiheitsstrafe von 2 Monaten gegen den Angeklagten PP2 für tat- und schuldangemessen.

Die Vollstreckung der Freiheitsstrafen konnte für die Angeklagten PP1 und PP2 nicht gemäß § 56 Abs. 1 StGB zur Bewährung ausgesetzt werden. Dass die Angeklagten auch ohne die Einwirkung des Strafvollzugs keine weiteren Straftaten mehr begehen werden, kann nicht erwartet werden. Nicht übersehen wurde dabei, dass die Angeklagten erstmals zu einer Freiheitsstrafe verurteilt wurden, der Angeklagte PP2 darüber hinaus das erste Mal vor Gericht stand. Trotzdem erscheint selbst bei Ausschöpfung aller, nicht im Strafvollzug bestehenden Sanktionen die Wahrscheinlichkeit künftigen straffreien Verhaltens nicht größer als diejenige neuer Straftaten. Denn nicht zu übersehen ist, dass beide Angeklagten glaubhaft und nachdrücklich bekundet haben, von neuen gleichgelagerten Straftaten durch kein Urteil der Welt abzuhalten zu sein. Durch die bislang eingeleiteten Ermittlungsverfahren waren die beiden Angeklagten nicht zu beeindrucken. Auch die bereits gegen den Angeklagten PP1 durchgeführte Hauptverhandlung hat ihn von weiteren zumindest tatbestandsmäßigen Handlungen nicht abgehalten. Dies zeigt, dass bei beiden Angeklagten mit weiteren gleichgelagerten Straftaten jederzeit zu rechnen ist, sodass eine Einwirkung auf sie mittels des Strafvollzugs als einzig zur Verfügung stehendes Mittel anzusehen ist.

2. PP3, pp4 und pp5

Nachdem die Angeklagten PP3, pp4 und pp5 sich erstmals einem Strafverfahren stellen müssen, hielt das Gericht unter Abwägung der vorgenannten Strafzumessungserwägungen folgende Geldstrafen für tat- und schuldangemessen:……“

Nun, wie gesagt: Das Urteil ist nicht rechtskräftig. Wir werden dann zu den Fragen, vor allem auch zur Strafzumessung, sicher etwas vom zuständigen OLG Stuttgart hören. Ich frage mich allerdings, welche Sanktionen das AG – bei den Feststellungen – sonst hätte verhängen sollen.

Und die Geschichte mit dem „Gesellschaftsrat“ muss man mir auch erst mal erklären. Ich meine, den haben wir bereits. Den nennt man Bundestag. Dem soll dann also ein Gremien „aus zufällig gelosten Menschen, die die Bevölkerung Deutschlands nach Kriterien wie Alter, Geschlecht, Bildungsabschluss und Migrationshintergrund bestmöglich abbilden“ Vorgaben machen?

StGB III: Fahrbahnsitzblockade von Klimaaktivisten, oder: Keine Rechtfertigung, da „Selbstdarstellung“.

entnommen openclipart

Ich hatte heute Mittag ja schon über eine „Klima-Entscheidung“ berichtet, und zwar hier unter StGB II: Festkleben auf Fahrbahn durch „Klimaaktivist“, oder: Nötigung und Widerstand über den LG Berlin, Beschl. v. 21.11.2022 – 534 Qs 80/22. 

Zu der Problematik gibt es dann noch eine weitere Entscheidung des LG Berlin, nämlich das LG Berlin, Urt. v. 18.01.2023 – 518 Ns 31/22. Mit dem Urteil hat das LG die Berufung gegen ein Urteil des AG Tiergarten verworfen, durch das der Angeklagte wegen einer Blockade wegen einer Nötigung verurteilt worden war. Der Angeklagte hatte sich im Februar 2022 mit elf weiteren Aktivisten der Gruppe „Letzte Generation“ im Bereich einer Zufahrt zur Stadtautobahn A 100 in Berlin-Moabit „nur“ auf die Fahrbahn gesetzt, während zwei andere Demonstranten sich auf der Fahrbahn mit Sekundenkleber festgeklebt hatten. Das AG hatte eine Geldstrafe von 30 Tagessätzen zu je 20 EUR verhängt. Das LG bestätigt das.

Zu Verwerflichkeit i.S. von § 240 Abs. 2 StGB führt das LG aus:

„Die Tat war auch als verwerflich i. S. d. § 240 Abs. 2 StGB anzusehen und insbesondere nicht durch die in Art. 8 Abs. 1 GG geschützte Versammlungsfreiheit, deren Prüfungsmaßstab hier allein maßgeblich ist (vgl. BVerfG, Beschluss vom 24.10.2001 – 1 BvR 1190/90, 1 BvR 2173/93, 1 BvR 433/96 -, juris Rn. 38), gerechtfertigt. Die vorzunehmende Prüfung der Zweck-Mittel-Relation ergibt im vorliegenden Fall, dass der Einsatz des Nötigungsmittels der Gewalt (gewaltsame, gezielte Blockade der Verkehrsteilnehmer) zu dem angestrebten Zweck (öffentlich-mediale Aufmerksamkeit erlangen) als verwerflich anzusehen ist.

Vorauszuschicken ist zunächst, dass eine inhaltliche Bewertung der politischen Ziele der Versammlungsteilnehmer durch das Gericht bei der Prüfung der Zweck-Mittel-Relation grundsätzlich nicht stattzufinden hat, vielmehr hat das Gericht, wie auch der Staat insgesamt, gegenüber der Grundrechtsbetätigung der Bürger inhaltsneutral zu bleiben (vgl. BVerfG, aaO. Rn. 60). Andererseits sind diese politischen Ziele aber auch nicht als Zwecke iSd. im Rahmen der Verwerflichkeitsprüfung durchzuführenden Zweck-Mittel-Relation des § 240 Abs. 2 StGB zu berücksichtigen (vgl. Fischer, aaO., Rn. 44). Dies hat zur Folge, dass bei der Bewertung eines Eingriffs in die Rechte Dritter durch politische Versammlungen der Inhalt eines politischen Ziels grundsätzlich keine Rolle spielen darf, also nicht etwa bestimmte Ziele (selbst wenn sie noch so hochstehend und wertvoll erscheinen) seitens des Gerichts als wertvoller angesehen werden dürfen als andere. Dies gilt uneingeschränkt und trotz der Regelung des Art. 20a GG auch im Zusammenhang mit dem vom Angeklagten verfolgten politischen Anliegen des Klimaschutzes. In Art 20a GG wird zwar der Umweltschutz als Staatsziel festgeschrieben. Das darin enthaltene Klimaschutzgebot normiert aber auch nach der Rechtsprechung des BVerfG (BVerfGE 157, 30 ff) (nur) eine Pflicht des Staates zum Klimaschutz bzw. eine Pflicht des Staates zur Herstellung von Klimaneutralität. Diese Pflicht des Staates soll bei Vorliegen der weiteren gesetzlichen Voraussetzungen trotz des weiten Gestaltungsspielraums des Gesetzgebers gegenüber dem Staat einklagbar sein. Eine Ermächtigung des einzelnen zum (willkürlichen) Eingriff in die Rechte anderer zum Zwecke der Erreichung von medialer öffentlicher Aufmerksamkeit für weiter gehende Klimaschutzmaßnahmen ist damit jedoch keineswegs verbunden, so dass die Regelung des Art. 20a GG bei der gemäß § 240 Abs. 2 StGB vorzunehmenden Prüfung der Zweck-Mittel-Relation außer Beachtung zu bleiben hat.

Der Angeklagten und seine Mittäter können sich zwar auf das Grundrecht der Versammlungsfreiheit nach Art. 8 Abs. 1 GG berufen. Demnach dürfen sie sich zu einem kommunikativen Zweck mit anderen friedlich versammeln, ein Grundrecht, das für die Willensbildung im demokratischen Rechtsstaat konstitutiv ist. Dabei haben die Grundrechtsträger grundsätzlich das Recht, selbst über Ziel, Gegenstand, Ort, Zeitpunkt und Art der Versammlung zu bestimmen, wodurch ihnen auch grundsätzlich die Möglichkeit eröffnet ist, durch Sitzblockaden Aufmerksamkeit für ihre politisch-gesellschaftlichen (Fern-) Ziele zu generieren (vgl. BVerfG aaO. Rn. 39, 63). Andrerseits ist von dem Selbstbestimmungsrecht der Versammlungsteilnehmer als Träger des Grundrechts der Versammlungsfreiheit nicht die Entscheidung umfasst, welche Beeinträchtigung die Träger kollidierender Rechtsgüter hinzunehmen haben. Denn Art. 8 GG schützt die Teilhabe an der Willensbildung, nicht aber die zwangsweise oder sonst wie selbsthilfeähnliche Durchsetzung eigener Forderungen (BVerfG, aaO., Rn. 44). Nur mit der Ausübung des Versammlungsrechts unvermeidbare nötigende Wirkungen in Gestalt von Behinderungen Dritter und Zwangswirkungen sind durch Art. 8 GG ohne Weiteres gerechtfertigt, soweit sie als sozial-adäquate Nebenfolgen mit rechtmäßigen Demonstrationen verbunden sind (BVerfG, aaO., Rn. 54). So liegt der Fall hier jedoch nicht. Vielmehr diente die verfahrensgegenständliche Straßenblockade gerade und ausschließlich dem Zweck, die Verkehrsteilnehmer auf der Autobahnabfahrt gezielt zu blockieren, diese also gezielt in ihrer Fortbewegungsfreiheit und ihrer allgemeinen Handlungsfreiheit zu beschränken.

Während sich der Angeklagte und seine Mittäter auf das Versammlungsrecht nach Art. 8 GG berufen können, ist andererseits festzuhalten, dass ihr Handeln (gezielt und absichtlich) die allgemeine Handlungsfreiheit der zwangsweise auf der Autobahnabfahrt stehenden Verkehrsteilnehmer gemäß Art. 2 Abs. 1 GG erheblich beeinträchtigt hat. Diese konnten sich weder mit ihrem Fahrzeug in die gewünschte Richtung fortbewegen, noch einen Umweg nehmen und damit der Blockade ausweichen oder diese umfahren. Ebenso wenig war es ihnen möglich, ihre Fahrzeug zu verlassen und ihren Weg zu Fuß fortzusetzen, weil sie dieses dadurch aufgeben und ihrerseits den nachfolgenden Verkehr unzulässig dauerhaft behindert hätten. Damit waren sie im Ergebnis für die Zeit bis zur Beendigung der Blockade durch die Polizei räumlich auf den Bereich in ihrem bzw. unmittelbar um ihr Fahrzeug herum beschränkt, was dem Zustand des Eingesperrt seins zwar nicht gleich-, aber in seiner ganz erheblichen Zwangswirkung doch durchaus nahe kommt. Zu dieser unmittelbaren Zwangswirkung kommen die daraus folgenden weiteren Einschränkungen der blockierten Verkehrsteilnehmer hinzu, die durch das Verhindern jeglicher nennenswerter Fortbewegungsmöglichkeiten in ihren Plänen an diesem Tag zeitlich ganz erheblich beeinträchtigt wurden.

Zweck des Angeklagten und seiner Mittäter iSd. § 240 Abs. 2 StGB war es im vorliegenden Fall nicht (wie auch in anderen Fällen gezielter politischer Sitzblockaden, sofern es nicht tatsächlich in erster Linie um die Verhinderung des Zugangs zu einer bestimmten Örtlichkeit geht, was hier nicht der Fall war), konkret diese Straße zu diesem Zeitpunkt zu blockieren. Vielmehr diente diese Straßenblockade gezielt der Lahmlegung des Verkehrs auf einer stark frequentierten Straße in Berlin zu einer Hauptverkehrszeit am Morgen an einem Werktag. Damit sollte eine möglichst weit reichende mediale, öffentliche Aufmerksamkeit für die Fernziele der Versammlungsteilnehmer (verstärkte Anstrengungen zum Klimaschutz u.ä.) und ein möglichst großes Aufsehen in der Öffentlichkeit hervorgerufen werden (vgl. BVerfG aaO Rn. 61; Fischer, aaO., Rn. 44, 46). Die solcherart gezielt und nicht nur als Folge einer Demonstration zwangsläufig-unbeabsichtigt betroffenen Dritte wurden so zu einem Objekt der Meinungsäußerung des Angeklagten und seiner Mittäter instrumentalisiert.

Mittel des Angeklagten und seiner Mittäter iSd. § 240 StGB waren hier die festgestellten Zwangseinwirkungen auf Dritte, die allein darauf abzielten, durch die Zwangseinwirkung gesteigerte öffentlich-mediale Aufmerksamkeit und Aufsehen in der Öffentlichkeit zu erreichen.

Entscheidend zu berücksichtigen ist im Rahmen der vorzunehmenden Abwägung vor allem das Gewicht des gewaltsamen Eingriffs in die Rechte Dritter, die von den Tätern zu Objekten ihrer Selbstdarstellung gemacht werden (Fischer aaO. Rn. 46).

Bei der vorzunehmenden Abwägung waren dabei vorliegend insbesondere die folgenden Umstände zu berücksichtigen:

– Dauer der Blockade: Die Blockade dauerte etwa anderthalb Stunden und war damit von einer erheblich Dauer. Die blockierten Verkehrsteilnehmer mussten damit eine nicht nur in ihren Wirkungen erhebliche, sondern auch länger andauernde Freiheitseinschränkung mit der Folge erheblicher Zeitverzögerungen und Verspätungen hinnehmen.

– vorherige Bekanntgabe der Blockade: Die betroffenen Verkehrsteilnehmer hatten zudem keine Möglichkeit, sich vorher auf die Blockade einzustellen, weil diese weder zeitlich noch örtlich konkret angekündigt worden war; nur ganz allgemein war aufgrund einer Pressemitteilung vom 31. Januar 2022, also vier Tage zuvor, in der Zukunft mit Blockaden auch in Berlin und damit wohl auch wie in der Vergangenheit auf der BAB 100 zu rechnen. Ein allgemeines In-Aussicht-Stellen solcher Blockaden für nicht weiter konkretisierte künftige Orte und Zeitpunkte, wie sie durch die sog. „Letzten Generation“ zuvor erfolgt war, genügt aber nicht, um sich hinsichtlich Wahl des Verkehrsmittels oder der Fahrtstrecke darauf einzustellen, weil eine solche Ankündigung hinsichtlich Zeitraum und Ort viel zu unbestimmt ist, um sich als möglicher betroffener Verkehrsteilnehmer auf die Behinderungen und deren mögliche weitere Auswirkungen einzustellen und eine Alternativstrecke zu planen oder ein Alternativverkehrsmittel nebst Extra-Zeit zu organisieren.

– Umfang der Blockade, Ausweichmöglichkeiten: Auch war den Blockierten ein spontanes Ausweichen auf der Autobahnausfahrt – wie oben dargestellt – nicht möglich. Die Blockade war für die auf der Autobahnausfahrt stehenden Verkehrsteilnehmer „total“.

– Sachbezug der Blockade: Andererseits besteht zwar ein gewisser sachlicher Zusammenhang zwischen dem fortschreitenden Klimawandel und den Schadstoffemissionen von Fahrzeugen, die hier blockiert worden sind. Dieser scheint aber eher allgemein zu bestehen und schwach ausgeprägt zu sein, da sich die Aktion nicht gegen Schadstoffemissionen von Kraftfahrzeugen richtete, sondern global gegen den Klimawandel und für weiterreichende politische Klimaschutzmaßnahmen. Darüber hinaus wurde während der Blockadeaktion auf Transparenten auch auf eine Lebensmittelverschwendung hingewiesen. Ein sachlicher Zusammenhang zwischen diesem politischen Anliegen und der verfahrensgegenständlichen Verkehrsblockade ist nicht ersichtlich.

Die bei der Abwägung zu berücksichtigenden, zunächst genannten drei Aspekte, die gerade auch in ihrer Zusammenschau zu der Feststellung eines erheblichen Eingriffs in die Rechte der betroffenen unbeteiligten Verkehrsteilnehmer führten, sorgten dafür, dass die zudem gezielt und absichtsvoll und nicht nur als Nebenwirkung einer Demonstration blockierten Fahrzeugführer dem Willen der Versammlungsteilnehmer in besonders starkem Maße ausgeliefert waren. Andererseits ist ein Sachzusammenhang zwischen der Blockadeaktion und den konkret von ihr Betroffenen zwar vorhanden, aber eher gering, und konnte sich im Ergebnis angesichts der hiesigen, dargestellten Eingriffsstärke in die Rechts Dritter bei der Abwägung nicht entscheidend zugunsten des Angeklagten auszuwirken.

Die verfahrensgegenständliche Anwendung von Gewalt gegen die Verkehrsteilnehmer war daher zu dem angestrebten Zweck im Ergebnis der Abwägung als verwerflich im Sinne des § 240 Abs. 2 StGB anzusehen.“