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Abriss des Tankdeckels in der Waschstraße ab, oder: Keine Haftung des Waschstraßenbetreibers

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Im „Kessel Buntes“ heute dann zweimal etwas vom BGH.

Zunächst kommt hier das BGH, Urt. v. 22.05.2025 – VII ZR 157/24, in dem sich der BGH noch einmal zur Haftung des Betreibers einer Waschstraße für die Beschädigung eines Fahr­zeugs geäußert hat.

Gestritten wird um Schadensersatz für Schäden an seinem Pkw des Klägers nach Nutzung einer von der Beklagten betriebenen Autowaschan­lage. Das AG hatte zugesprochen, das LG in der Berufung dann Schadensersatz verweigert. Nach dem Sachverhalt befand sich vor der Einfahrt in die Waschstraße ein Hinweisschild „Einfahrbedingungen & Hausrecht“, das auszugsweise wie folgt lautete:“ Es gelten die folgenden Benutzungshinweise: Bedienungshinweise des Fahrzeugherstellers zur Wasch­straßenbenutzung unbedingt beachten. Tank- und Wartungsklappen müssen sicher verriegelt sein, Nummernschilder müssen vorschriftsmäßig und sicher befestigt sein.“

Der Kläger benutzte die Waschstraße mit seinem Fahrzeug der Marke BMW, Modell X 3. Das Fahrzeug ist – wie alle Fahrzeuge aus derselben Baureihe – mit einem Tankdeckel ohne Verriegelungsmöglichkeit bei der Nutzung einer üblichen vollautomatisierten Waschstraße ausgestattet. Nach dem Waschvorgang zeigte der Kläger gegenüber der Beklagten an, dass der Tankdeckel des Fahrzeugs abgerissen und das Fahrzeug am Kotflügel be­schädigt war.

Die vom LG zugelassene Revision der Klägers ist erfolglos geblieben:

Das hält rechtlicher Nachprüfung im Ergebnis stand.

„1. Rechtsfehlerfrei hat das Berufungsgericht angenommen, dass es sich bei dem Vertrag über die Reinigung eines Fahrzeugs um einen Werkvertrag handelt und sich aus einem solchen Vertrag als Nebenpflicht die Schutzpflicht des Anlagenbetreibers ergibt, das Fahrzeug des Kunden vor Beschädigungen beim Waschvorgang zu bewahren (BGH, Urteil vom 21. November 2024 – VII ZR 39/24 Rn. 18, NJW 2025, 435; Urteil vom 19. Juli 2018 – VII ZR 251/17 Rn. 12 m.w.N., NJW 2018, 2956). Die Verkehrssicherungspflichten innerhalb eines Vertragsverhältnisses sind zugleich Vertragspflichten; die auf den Werkvertrag bezogene Verkehrssicherungspflicht des Unternehmers geht nicht weiter als die werkvertragliche Schutzpflicht des Unternehmers (BGH, Urteil vom 21. November 2024 – VII ZR 39/24 Rn. 18, NJW 2025, 435; Urteil vom 19. Juli 2018 – VII ZR 251/17 Rn. 12 m.w.N., NJW 2018, 2956).

2. Für Fahrzeugschäden während des Waschvorgangs haftet der Betreiber einer Waschanlage im Grundsatz nur bei Vorliegen einer von ihm zu vertretenden Pflichtverletzung (BGH, Urteil vom 21. November 2024 – VII ZR 39/24 Rn. 22 m.w.N., NJW 2025, 435). Ohne ausdrückliche Verein-barung der Parteien – für die hier keine Anhaltspunkte bestehen – kann nicht davon ausgegangen werden, dass er dem Kunden verschuldensunabhängig garantieren will, dass sein Fahrzeug nicht beschädigt wird (BGH, Urteil vom 21. November 2024 – VII ZR 39/24 Rn. 22 m.w.N., NJW 2025, 435).

3. Derjenige, der eine Gefahrenlage – wie durch den Betrieb einer Waschanlage – schafft, ist grundsätzlich verpflichtet, die notwendigen und zumutbaren Vorkehrungen zu treffen, um eine Schädigung anderer möglichst zu verhindern. Der Betreiber einer Waschanlage hat dafür Sorge zu tragen, dass die Fahrzeuge seiner Kunden nicht beschädigt werden. Die rechtlich gebotene Verkehrssicherung umfasst diejenigen Maßnahmen, die ein umsichtiger und verständiger, in vernünftigen Grenzen vorsichtiger Anlagenbetreiber für notwendig und ausreichend hält, um andere vor Schäden zu bewahren. Dabei ist zu berücksichtigen, dass nicht jeder abstrakten Gefahr vorbeugend begegnet werden kann (BGH, Urteil vom 21. November 2024 – VII ZR 39/24 Rn. 20, NJW 2025, 435).

Der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt (§ 276 Abs. 2 BGB) ist genügt, wenn im Ergebnis derjenige Sicherheitsgrad erreicht ist, den die in dem entsprechenden Bereich herrschende Verkehrsauffassung für erforderlich hält. Daher genügt es, diejenigen Sicherungsvorkehrungen zu treffen, die ein verständiger, umsichtiger, vorsichtiger und gewissenhafter Angehöriger der betroffenen Verkehrskreise – hier der Betreiber von Waschanlagen – für ausreichend halten darf, um andere Personen – hier die Kunden – vor Schäden zu bewahren, und die dem Verkehrssicherungspflichtigen den Umständen nach zuzumuten sind. Die Zumutbarkeit von Sicherungsvorkehrungen bestimmt sich dabei unter Abwägung der Wahrscheinlichkeit der Gefahrverwirklichung, der Gewichtigkeit möglicher Schadensfolgen und der Höhe des Kostenaufwands, der mit etwaigen Sicherungsvorkehrungen einhergeht (vgl. BGH, Urteil vom 21. November 2024 – VII ZR 39/24 Rn. 21, NJW 2025, 435; Urteil vom 19. Juli 2018 – VII ZR 251/17 Rn. 17 f. m.w.N., NJW 2018, 2956).

Im Rahmen dieser Sorgfaltspflichten hat der Anlagenbetreiber über die mit der Nutzung der Anlage einhergehenden Gefahren in geeigneter, ihm zumut-barer, ausreichend deutlicher und verständlicher Weise zu informieren (vgl. BGH, Urteil vom 19. Juli 2018 – VII ZR 251/17, Rn. 25, NJW 2018, 2956; Urteil vom 5. Oktober 2004 – VI ZR 294/03, MDR 2005, 335, juris Rn. 24).

4. Dafür, dass der Schuldner eine ihm obliegende Pflicht verletzt und diese Pflichtverletzung einen Schaden verursacht hat, trägt grundsätzlich der Gläubiger, hier der Kläger beziehungsweise der Kunde der Waschanlage, die Darlegungs- und Beweislast (vgl. BGH, Urteil vom 21. November 2024 – VII ZR 39/24 Rn. 24, NJW 2025, 435; Urteil vom 22. Oktober 2008 – XII ZR 148/06 Rn. 15, NJW 2009, 142). Dies gilt auch bei der Verletzung einer Schutzpflicht, so dass es – ohne Vorliegen besonderer Umstände – nicht genügt, wenn der Gläubiger lediglich nachweist, dass ihm im Zusammenhang mit der Durchführung eines Vertrags ein Schaden entstanden ist (vgl. BGH, Urteil vom 21. November 2024 – VII ZR 39/24 Rn. 24, NJW 2025, 435; Urteil vom 28. April 2005 – III ZR 399/04, BGHZ 163, 53, juris Rn. 8).

Nur wenn die für den Schaden in Betracht kommenden Ursachen allein im Obhuts- und Gefahrenbereich des Schuldners, hier des Anlagenbetreibers, liegen, muss abweichend von den vorstehenden Grundsätzen der Schuldner darlegen und gegebenenfalls beweisen, dass ihn keine Pflichtverletzung trifft (BGH, Urteil vom 21. November 2024 – VII ZR 39/24 Rn. 25, NJW 2025, 435; Urteil vom 19. Juli 2018 – VII ZR 251/17 Rn. 14 m.w.N., NJW 2018, 2956).

Ein solcher Ausnahmefall liegt hier nicht vor. Die Vorinstanzen sind übereinstimmend und von der Revision unangegriffen davon ausgegangen, dass der mit der Klage geltend gemachte Schaden auf einem selbsttätigen Öffnen des Tankdeckels durch Druck auf den Deckel während des Waschvorgangs beruht und diese Öffnung des Tankdeckels ihre Ursache darin hat, dass das Fahrzeug des Klägers aufgrund seiner baureihenspezifischen technischen Ausstattung über keine Verriegelungsmöglichkeit bei der Nutzung einer vollautomatisierten Waschstraße verfügt. Dieses spezifische technische Ausstattungsmerkmal fällt nicht in den Obhuts- und Gefahrenbereich des Anlagenbetreibers.

5. Der hiernach ihn treffenden Darlegungs- und Beweislast für eine Pflichtverletzung der Beklagten ist der Kläger, wie das Berufungsgericht mit Recht angenommen hat, nicht hinreichend nachgekommen.

a) Auszuschließen ist eine Pflichtverletzung wegen einer Fehlfunktion der Anlage. Nach den nicht angegriffenen Feststellungen des Berufungsgerichts funktionierte die Anlage „regelkonform“.

b) Auch die Verletzung einer Hinweispflicht scheidet aus, weil die Beklagte mit dem Hinweis „Tank- und Wartungsklappen müssen sicher verriegelt sein“ über die mit der Nutzung der Anlage einhergehende Gefahr der Öffnung des Tankdeckels in der Anlage in geeigneter, zumutbarer sowie ausreichend deutlicher und verständlicher Weise informiert hat. Sowohl nach dem allgemeinen Sprachgebrauch als auch nach dem Verständnis des durchschnittlichen Waschstraßenkunden in der Situation vor der Einfahrt in die Waschstraße bedeutet „sicher verriegelt“ jedenfalls mehr als lediglich „geschlossen“. Ein zusätzlicher Hinweis darauf, dass das Fahrzeug andernfalls beschädigt werden kann, ist nicht erforderlich, weil dies im gegebenen Zusammenhang selbstverständlich ist.

Für den Umstand, dass das Fahrzeug des Klägers – wie nach den außer Streit stehenden Feststellungen des Berufungsgerichts alle Fahrzeuge aus dieser Baureihe – über keine Verriegelungsmöglichkeit des Tankdeckels bei der Nutzung einer vollautomatisierten Waschstraße verfügt, trifft den Anlagenbetreiber grundsätzlich keine Hinweispflicht. Es ist vielmehr Sache des Kunden, entweder den Hinweis vor Einfahrt in die Waschstraße umzusetzen und sicherzustellen, dass dies bei seinem Fahrzeug möglich ist, oder andernfalls von der Nutzung der Anlage Abstand zu nehmen.

Ob Abweichendes dann gilt, wenn der Anlagenbetreiber – zum Zeitpunkt der Waschstraßennutzung durch den Kunden – die fehlende Verriegelungsmöglichkeit des Tankdeckels an Fahrzeugen wie demjenigen des Klägers positiv kennt, kann dahinstehen, weil nach den Feststellungen des Berufungsgerichts der Kläger eine positive Kenntnis der Beklagten zum maßgeblichen Schadenszeitpunkt nicht nachgewiesen hat. Die hiergegen erhobene Verfahrensrüge hat der Senat geprüft und nicht für durchgreifend erachtet, § 564 Satz 1 ZPO.

c) Sonstige Umstände, die eine Pflichtverletzung begründen könnten, hat der Kläger nicht dargelegt.“

 

OWi III: Geldbußenbemessung im Bußgeldverfahren, oder: Verwertung von tilgungsreifen Voreintragungen

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Und dann zum Tagesschluss noch etwas zur Geldbußenbemessung, und zwar der OLG Naumburg, Beschl. v. 06.05.2025 – ORbs 104/25. Nichts Dolles, aber ich bin ja froh, wenn ich überhaupt OWi-Entscheidungen habe, über die ich berichten kann.

Das AG hat gegen den Betroffenen wegen fahrlässiger Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit ein Bußgeld von 350,00 EUR€ verhängt. Dieses Urteil ist dem Betroffenen am 22. Januar 2025 zugestellt worden. Dagegen die Rechtsbeschwerde, die hinsichtlich des Rechtsfolgenausspruchs Erfolg hatte:

„Das angefochtene Urteil weist hinsichtlich der Bemessung der Geldbuße einen durchgreifen-den Rechtsfehler auf. Hierzu hat die Generalstaatsanwaltschaft in ihrer Zuschrift an den Senat vom 11. April 2025 das Folgende ausgeführt:

„Das Amtsgericht hat bei der Bemessung der Höhe der Geldbuße die verkehrsrechtlichen Voreintragungen des Betroffenen berücksichtigt (UA S. 3 f) — unter anderem diejenige gemäß Bußgeldbescheid des Kreises Soest vom 28.04.2022 (rechtskräftig seit 17.05.2022), mit dem gegen den Betroffenen eine Geldbuße von 200 Euro wegen Geschwindigkeitsüberschreitung außerhalb geschlossener Ortschaften um 33 km/h beim Führen eines PKW festgesetzt wurde.

Im Ergebnis zu Recht weist die Rechtsbeschwerde darauf hin, dass die Verwertung dieser verkehrsrechtlichen Vorahndung gegen das absolute Verwertungsverbot gemäß § 29 Abs. 7 S. 1 i V. m. § 28 Abs. 2 Nr. 3 StVG verstößt. Danach darf eine eingetragene Tat und Entscheidung aus dem Verkehrseignungsregister für die Ahndung der Verstöße von Personen, die wiederholt Straftaten oder Ordnungswidrigkeiten im Zusammenhang mit dem Straßenverkehr begehen, nicht mehr vorgehalten und nicht zu ihrem Nachteil verwertet werden, wenn die Eintragung im Fahreignungsregister gelöscht wurde. Dies gilt auch, wenn die Eintragung tilgungsreif ist. Maßgeblicher Zeitpunkt für das Vorliegen eines Verwertungsverbots ist nicht der Tattag, sondern an dem die letzte tatrichterliche Entscheidung ergeht (Euler, in BeckOK-OWiG, 45. Edition, Stand: 01.01.2025, § 29 StVG Rn. 8 m. weit. Nachw.)

Die vorstehende Eintragung vom 28.04.2022 (rechtskräftig seit 17.05.2022) war zum Zeitpunkt der Entscheidung des Amtsgerichts Weißenfels vom 02.12.2024 tilgungsreif. Nach § 29 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 lit. a StVG beträgt die Tilgungsfrist zwei Jahre und 6 Monate, wenn eine mit einem Punkt bewertete verkehrsbeeinträchtigende Ordnungswidrigkeit im Sinne Fahrerlaubnisverordnung (FeV) gegeben ist. Dies ist nach der Nr. 3.2.2 der Anlage 13 zu § 40 FeV (Fassung vom 20.04.2020, gültig vom 28.04.2020 bis 21.08.2024) in Verbindung mit Nr. 11.3.6 des Anhangs zu Nr. 11 (Tabelle 1) der Anlage zu § 1 Abs. 1 BKatV hier der Fall (in der aktuellen Fassung vom 13.10.2021, gültig seit dem 09.11.2021).

Die Tilgungsfrist begann gemäß § 29 Abs. 4 Nr. 3 StVG mit Eintritt der Rechtskraft der Bußgeldentscheidung vom 28.04.2022, mithin am 17.05.2022 zu laufen. Tilgungsreife trat somit am 17.11.2024 ein.

Zum Zeitpunkt der Entscheidung des Amtsgerichts am 02.12.2024 durfte die besagte Voreintragung somit nicht mehr verwertet werden. Da sie gleichwohl bei der Bemessung der Geldbuße berücksichtigt wurde, ist nicht auszuschließen, dass das Amtsgericht bei Beachtung des Verwertungsverbots zu einem anderen Ergebnis gelangt wäre. Das angegriffene Urteil ist daher im Rechtsfolgenausspruch aufzuheben.

Vorsorglich wird darauf hingewiesen, dass im Rahmen der neu zu treffenden Sachentscheidung durch den Tatrichter zwischenzeitlich auch hinsichtlich der Voreintragung vom 02.12.2019 (rechtskräftig seit 21.12.2019) Tilgungsreife eingetreten ist. Die Tilgungsfrist betrug vorliegend gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 2 lit. b StVG 5 Jahre. Es handelt sich hier bei der Geschwindigkeitsüberschreitung außerhalb geschlossener Ortschaften um 58 km/h – um eine besonders verkehrsbeeinträchtigende Ordnungswidrigkeit, die mit zwei Punkten nach der FeV bewertet ist, Nr. 2.2.3 der Anlage 13 zu § 40 FeV (Fassung vom 06.10.2017, gültig vom 19.10.2017 bis 27.04.2020) in Verbindung mit Nr. 11.3.8 der Tabelle 1 (Anhang zu Nr. 11) zur Anlage zu § 1 Abs. 1 BKatV (Fassung des Bußgeldkatalogs vom 05.11.2013, gültig vom 01.05.2014 bis 27.04.2020).

Auch bezüglich der weiteren Voreintragungen vom 17.03.2023 (rechtskräftig seit 06.04.2023) und vom 17.08.2023 (rechtskräftig seit 06.09.2023) wird der Tatrichter die jeweilige Tilgungsreife bezogen auf den Zeitpunkt seiner neuen Entscheidung zu prüfen haben.“

Dem schließt sich der Senat an. Die Entscheidung über die Zurückverweisung folgt aus § 79 Abs. 6 OWiG.“

OWi I: Verkehrszeichen ohne amtliche Anordnung, oder: Wenn Beweisanträge Sinn machen

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Und dann gibt es hier – endlich (?) – mal wieder OWi-Entscheidungen. Man sieht an den großen Lücken zwischen OWi-Tagen, dass es im Moment aus dem Bereich wenig zu berichten gibt.

Ich beginne mit einer kleinen, aber feinen Entscheidung des AG Landstuhl. Das hat im AG Landstuhl, Urt. v. 03.06.2025 – 2 OWi 4211 Js 4445/25 – zu zwei Fragen Stellung genommen, nämlich zur Gültigkeit eines Verkehrszeichens ohne amtliche Anordnung und zur vorsätzlichen Geschwindigkeitsüberschreitung.

Dem Betroffenen war im Bußgeldbescheid zur Last gelegt worden, die durch Verkehrszeichen 274-70 angeordnete zulässige Höchstgeschwindigkeit von 70 km/h außerhalb geschlossener Ortschaften fahrlässig um 71 km/h überschritten zu haben. Die gemessene Geschwindigkeit habe nach Abzug der Toleranz 141 km/h betragen. Das AG hat den Betroffenen indes nur wegen einer  – allerdings vorsätzlichen – Überschreitung der außerhalb geschlossener Ortschaften gem. § 3 Abs. 3 lit. c Satz 1 StVO zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 100 km/h um 41 km/h (nach Toleranzabzug) zu einer Geldbuße von 640 EUR verurteilt und ein Fahrverbot von einem Monat verhängt.

Begründung:

„Die Fahrereigenschaft des Betroffenen sowie die Richtigkeit des Messergebnisses sind vorliegend nicht angezweifelt worden und stehen aufgrund des Ergebnisses der Beweisaufnahme zur Überzeugung des Gerichts fest. Indes kann dem Betroffenen lediglich der Vorwurf einer (allerdings vorsätzlichen) Überschreitung der außerhalb geschlossener Ortschaften gem. § 3 Abs. 3 lit. c Satz 1 StVO zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 100 km/h um 41 km/h (nach Toleranzabzug) gemacht werden, weil die im Tatzeitpunkt durch Verkehrszeichen 274-70 angeordnete zulässige Höchstgeschwindigkeit von 70 km/h nicht befolgungspflichtig war.

Aus einer E-Mail der Kreisverwaltung Kaiserslautern (Fachbereich 3.3, Verkehrswesen) vom 13.05.2025 an das erkennende Gericht ergibt sich, dass für die verfahrensgegenständliche Geschwindigkeitsbegrenzung keine verkehrsbehördliche Anordnung existiert.

Bei Regelungen durch Verkehrszeichen handelt es sich nach mittlerweile allgemeiner Auffassung um Verwaltungsakte in Gestalt von Allgemeinverfügungen (§ 35 Satz 2 VwVfG). Ob es sich bei einem Verkehrszeichen, dem keine verkehrsbehördliche Anordnung zugrundeliegt, mangels Handelns einer Behörde (§ 1 Abs. 4 VwVfG) um einen Nichtakt (Scheinverwaltungsakt) handelt, der schon aus diesem Grund keine Rechtswirkungen entfalten kann, oder „lediglich“ um einen nichtigen Verwaltungsakt i.S.d. § 44 VwVfG, der gern. § 1 Abs. 1 LVwVfG RP i.V.m. § 43 Abs. 3 VwVfG nicht befolgungspflichtig ist, kann vorliegend im Ergebnis dahinstehen. Für einen Nichtakt würde zwar sprechen, dass das aufgestellte Verkehrszeichen nicht den Verwaltungsakt selbst, sondern lediglich dessen Bekanntgabe nach Maßgabe von § 39 Abs. 1, § 45 Abs. 4 StVO darstellt, sodass diese ins Leere geht, wenn es bereits an dem ihr zugrundeliegenden Verwaltungsakt fehlt. Für eine „bloße“ Nichtigkeit könnte andererseits aber sprechen, dass es sich bei einem Verkehrszeichen, das zwar auf behördliche Veranlassung hin aufgestellt, jedoch von dieser nicht wirksam angeordnet wurde, um eine der Straßenverkehrsbehörde zurechenbare Maßnahme handeln könnte, bei der aufgrund der äußeren Gestaltungsform nach dem objektiven Empfängerhorizont vom Vor-liegen der Merkmale des § 35 VwVfG ausgegangen werden kann, sodass diese als (zumindest formeller) Verwaltungsakt angesehen werden muss (vgl. etwa BVerwG, NVwZ 2012, 506 (507)). Da in Rechtsprechung und Literatur anerkannt ist, dass nicht behördlich angeordnete Verkehrs-zeichen nicht befolgungspflichtig sind (vgl. etwa VGH Mannheim, ESVGH 60, 160 (161 ff.) m.w.N.; OLG Zweibrücken, VerkMitt 1977 Nr. 5; VG Koblenz, Urt. v. 16.04.2007 — 4 K 1022/06.KO, juris Rn. 20; Rebler, DAR 2010, 377 (380 f.); Sauthoff, Öffentliche Straßen, 3. Aufl. 2020, Rn. 1115), kommt es im Ergebnis auf die genaue Einordnung im vorliegenden Fall nicht an. Das nicht auf einer amtlichen Anordnung beruhende Verkehrszeichen kann unter keinem Gesichtspunkt eine Grundlage für eine bußgeldrechtliche Ahndung darstellen.

Soweit der Betroffene im Hinblick auf die innere Tatseite eingewendet hat, sich seiner Fahrgeschwindigkeit nicht bewusst gewesen zu sein, handelt es sich hierbei zur Überzeugung des Gerichts um eine Schutzbehauptung. Eine Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit um mehr als 40 % stellt im Hinblick auf die Wahrnehmung der Fahrgeschwindigkeit regelmäßig ein verlässliches Indiz für zumindest bedingt vorsätzliches Handeln dar (OLG Zweibrücken, ZfSch 2020, 591 (592); DAR 2022, 401 = ZfSch 2022, 592 f.). Das Gericht ist auch nicht nach dem Zweifelssatz verpflichtet, eine nicht eindeutig widerlegbare Einlassung eines Betroffenen ungeprüft zu übernehmen, sondern hat diese anhand der festgestellten objektiven Tatumstände auf ihre Nachvollziehbarkeit zu prüfen und mit dem Beweisergebnis im Übrigen in eine Gesamtwürdigung einzustellen. Angesichts des mit 41 km/h bzw. 41 % der zulässigen Höchstgeschwindigkeit immer noch erheblichen sowohl absoluten als auch relativen Ausmaßes der Geschwindigkeits-überschreitung kann dem Betroffenen aufgrund der Fahrgeräusche, der Fahrzeugvibration und der Schnelligkeit, mit der sich die Umgebung änderte, nicht verborgen geblieben sein, dass seine Fahrgeschwindigkeit jedenfalls oberhalb der außerhalb geschlossener Ortschaften abseits von Autobahnen und Kraftfahrstraßen generell für Pkw gültigen Höchstgeschwindigkeit von 100 km/h lag.

Die Rechtfolgenbemessung entspricht dem Regelsatz nach der Bußgeldkatalogverordnung (§ 3 Abs. 4a, § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Satz 2 BKatV, Nr. 11.3.7 BKat). Zu einem Abweichen von diesem Regelsatz hat kein Anlass bestanden (§ 17 Abs. 3 OWiG). Insbesondere hat auch kein Anlass bestanden, das hiernach indizierte Fahrverbot in Wegfall zu bringen oder von diesem gegen angemessene Erhöhung der Geldbuße (§ 4 Abs. 4 BKatV) abzusehen.“

Für den Betroffenen ist die Verurteilung „nur“ zu einer Geldbuße von 640 EUR mit einem Fahrverbot von einem Monat – trotz der Annahme von Vorsatz – ein Erfolg. Denn wäre es bei dem ursprünglichen Vorwurf geblieben, hätte ihm nach Nr. 11.3.10 BKat eine Geldbuße von 700 EUR und die Verhängung eines Fahrverbotes von drei Monaten gedroht. Dieser Erfolg beruht, wie der Kollege, der mir die Entscheidung geschickt hat, angemerkt hat, die auf einem – erfolgreichen – Beweisantrag auf Einholung der verkehrsrechtlichen Anordnung des Verkehrszeichens. Das zeigt: Solche Beweisanträge können Sinn machen.

Unfallschadenregulierung nach einem Zweitunfall, oder: Erneute Abrechnung auf Totalschadenbasis?

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Und dann im letzten Posting vor Pfingsten hier noch etwas zur Unfallschadenregulierung, und zwar zur Schadensberechnung bei erneuter Abrechnung auf Totalschadenbasis nach einem Zweitunfall.

Gestritten wird um Schadensersatz aus einem Verkehrsunfall vom 15.11.2022. Bei derm Unfall kam es zur Kollision zwischen denr Fahrzeugen der Parteien, bei dem das Klägerfahrzeug, welches bereits im Jahr 2020 einen Schaden an der linken hinteren Fahrzeugseite erlitten hatte ebenda erneut beschädigt wurde.

Das Klägerfahrzeug wurde nach dem Zweitunfall vom Kläger für den Restwert in Höhe von 1.455,00 EUR verkauft. Für den Vorschaden hatte der Kläger im Jahr 2020 bereits von der K.-Versicherung Schadensersatz auf Totalschadenbasis in Höhe von 2.300,00 EUR (= Wiederbeschaffungswert gemäß Vorschadensgutachten in Höhe von 3.500,00 EUR minus vorgeblicher Restwert in Höhe von 1.200,00 EUR) erhalten.

Mit anwaltlichem Schreiben wurde die beklagte Versicherung vom Kläger zur Zahlung von Schadensersatz unter Hinweis auf vorgeblich reparierte Vorschäden aufgefordert. Eine Zahlung der Beklagten erfolgte vorgerichtlich jedoch nicht.

Der Kläger hat erstinstanzlich behauptet, dass durch die Kollision die iin einem eingeholten Privatgutachten vom 25.11.2022 genannten Schäden am Klägerfahrzeug entstanden seien. Altschäden im überlagernden Bereich hätten nicht bestanden. Der Wiederbeschaffungswert würde 4.200,00 EUR brutto betragen. Der Kläger war erstinstanzlich der Ansicht, dass ihm die Beklagten zum Schadensersatz auf Totalschadenbasis inkl. Sachverständigen- und vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten verpflichtet seien. Er hat einen Betrag von 3.709,61 EUR geltend gemacht.

Die Beklagten hatten erstinstanzlich behauptet, dass durch die Zweitkollision kein weiterer Schaden am Klägerfahrzeug entstanden sei, zumal die vorhandenen Schäden mit der Zweitkollision nicht kompatibel seien. Der Wiederbeschaffungswert würde sich auf unter 3.500,00 EUR brutto belaufen. Sie waren der Ansicht, dass sie mangels Schadensvertiefung an der linken hinteren Fahrzeugseite nicht zur Zahlung von Schadensersatz verpflichtet seien.

Das AG hat der Klage nach Einholung eines Schadensgutachtens eines Sachverständigen  in Höhe von 1.245,00 EUR nebst Unfallpauschale stattgegeben. Das Klägerfahrzeug hätte nach den sachverständigen Feststellungen im Jahr 2020 lediglich oberflächliche, nicht reparierte Verkratzungen an der linken hinteren Seite erlitten und sei nach dem Vorunfall noch uneingeschränkt verkehrs- und betriebssicher gewesen, was nach dem streitgegenständlichen Unfall nicht mehr der Fall gewesen sei, sodass aus technischer Sicht durch den Zweitunfall ein Mehrschaden entstanden sei. Der Wiederbeschaffungswert würde ausweislich des eingeholten Sachverständigengutachtens 2.700,00 EUR betragen, sodass sich abzüglich des Restwerts in Höhe von 1.455,00 EUR ein Schadensbetrag in Höhe von 1.245,00 EUR ergeben würde. Hinzu käme die Unfallpauschale in Höhe von 25,00 EUR. Die Kosten des Klägers für die Erstellung des aufgrund der gegenüber dem Privatsachverständigen verschwiegenen Vorschäden unbrauchbaren Privatgutachtens seien hingegen von den Beklagten nicht zu erstatten.

Dagegen die Berufung der Beklagten mit ihrer Berufung. Sie meinen vor, dass das AG zu Unrecht einen Schaden beim Kläger angenommen hätte. Die unbewusste Überzahlung der K.-Versicherung infolge des Erstunfalls in Höhe von 1.500,00 EUR hätte auf den Schadensersatzanspruch des Klägers aus dem Zweitunfall angerechnet werden müssen, da der Kläger ansonsten unter Verstoß gegen das sog. Bereicherungsverbot am Zweitunfall verdienen würde. Entgegen der Annahme des Amtsgerichts sei auch keine klare Abgrenzung zwischen Alt- und Neuschaden möglich.

Die Berufung hatte mit dem LG Ellwangen, Urt. v. 14.05.2025 – 1 S 94/24 – keinen Erfolg:

„Der Anspruch des Klägers Anspruch auf Zahlung von Schadensersatz in Höhe von 1.245,00 EUR ergibt sich aus §§ 7 Abs. 1 bzw. 18 StVG, hinsichtlich der Beklagten zu 2.) i.V.m. § 115 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 VVG.

a) Zu Recht kam das Amtsgericht im Ausgangspunkt zu der Überzeugung im Sinne von § 286 ZPO, dass durch den streitgegenständlichen Zweitunfall ein neuer technischer wie rechnerischer sowie kompatibler Schaden am Klägerfahrzeug entstanden ist, der sich auf 1.245,00 EUR beziffern lässt (ausführlich zur hier vorliegenden Konstellation „nicht reparierte Altschäden im überlagernden und nicht überlangernden Bereich: Nugel, ZfS 2020, 490; Maschwitz, NZV 2024, 268; Almeroth in: Schadensersatz/ders., 1. Aufl. 2023, Rn. 637 ff. m.d.N.).

So hat der Sachverständige Dipl.-Ing. K. in der Sitzung des Amtsgerichts Neresheim vom 24.07.2024 ein Schadensgutachten mit folgenden Ergebnissen erstattet (Bl. 105 ff. d. AG-eAkte):

– Die Beschädigungen an den beiden unfallbeteiligten Fahrzeugen seien mit dem streitgegenständlichen Unfall hinsichtlich Lage und Intensität kompatibel, sie würden insbesondere an beiden Fahrzeugen jeweils bis in eine statische Höhe von 74 cm reichen.

– Der Vorschaden am Klägerfahrzeug aus dem Jahr 2020 sei nicht repariert worden, andernfalls wären auf den aktuellen Lichtbildern vom Klägerfahrzeug Instandsetzungsspuren zu erwarten.

– Nach dem Unfall im Jahr 2020 sei das Klägerfahrzeug noch uneingeschränkt verkehrs- und betriebssicher gewesen, sodass durch den streitgegenständlichen Unfall aus technischer Sicht ein zusätzlicher Schaden eingetreten sei. So hätte die hintere linke Tür des Klägerfahrzeugs nach dem ersten Unfall nur lackiert, nach dem zweiten Unfall ausgetauscht werden müssen. Darüber hinaus sei (nur) beim zweiten Unfall das Rad hinten links beaufschlagt und die Heckverkleidung seitlich links verkratzt worden.

– Der im Jahr 2020 vom damaligen Privatgutachter angegebene Restwert des Klägerfahrzeugs in Höhe von 1.200,00 EUR brutto sei nicht nachvollziehbar, was allein schon die Tatsache zeige, dass das (unreparierte) Klägerfahrzeug nach dem streitgegenständlichen Zweitunfall für 1.455,00 EUR brutto weiterverkauft wurde. Der Wiederbeschaffungswert hätte nach dem Erstunfall im Hinblick auf die seinerzeit weiterhin gegebene Verkehrs- und Betriebssicherheit sowie die bloß optischen Schäden 2.700,00 EUR betragen.

Dieses amtsgerichtliche Beweisergebnis ist für die Kammer gemäß § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO bindend. Lediglich in eng begrenzten Fällen, insbesondere wenn Rechtsfehler im Rahmen der Beweiswürdigung nach § 286 ZPO vorliegen, etwa Beweismaß oder Beweislast verkannt werden, einzelne beweiswürdigende Darlegungen nachvollziehbarer Grundlage entbehren oder ganz fehlen, gegen Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verstoßen wird oder Verfahrensfehler unterlaufen sind, wäre der Kammer eine Nachprüfung der Beweiswürdigung möglich. Dies ist vorliegend jedoch nicht der Fall, insbesondere hat das Amtsgericht den Sachverständigen entgegen der Ansicht der Beklagten nicht falsch verstanden. Auf dessen oben dargestellte überzeugende Argumentation kann vollumfänglich verwiesen werden.

b) Da der Restwert des Klägerfahrzeugs ausweislich des eingeholten Sachverständigengutachtens K. nach dem Erstunfall richtigerweise 2.700,00 EUR, nach dem Zweitunfall unstrittig 1.455,00 EUR betrug, hat das Amtsgericht die Beklagten in konsequenter Durchführung der Differenzhypothese folglich zu Recht u.a. zur Zahlung von Schadensersatz in Höhe von 1.245,00 EUR verurteilt (vgl. Zur, DAR 2024, 442 [442], wonach, wenn das Fahrzeug bereits vor dem Unfall ein wirtschaftlicher Totalschaden war, nur ein Schaden bestehen kann, wenn der Restwert durch den Unfall noch weiter herabgesetzt wurde).

Entgegen der Ansicht der Beklagten war dieses Ergebnis nicht deshalb unter Wertungsgesichtspunkten zu korrigieren, weil der Kläger – wie sich nun anhand des überzeugenden Schadensgutachtens des Sachverständigen Kast herausgestellt hat – von der K.-Versicherung infolge des Erstunfalls eine Überzahlung in Höhe von 1.500,00 EUR erhalten hatte.

Abgesehen davon, dass die (unbewusste) Überzahlung der K.-Versicherung aus dem Jahr 2020 und der Zweitunfall – wie das Amtsgericht richtig ausführt – in keinerlei Zusammenhang stehen, hatte die Zahlung der K.-Versicherung (unstrittig) nicht den Zweck, künftige Haftpflichtversicherer von ihrer Schadensersatzpflicht zu entlasten, weswegen sich der Kläger im hiesigen Haftpflichtfall die seinerzeitige Überzahlung nicht anrechnen zu lassen hat (vgl. die Rechtsprechungsübersichten zu den Kriterien einer Vorteilsanrechnung bei: BeckOGK/Brand, 1.3.2022, BGB § 249 Rn. 294 ff.; MüKoBGB/Oetker, 9. Aufl. 2022, BGB § 249 Rn. 233 ff.).

c) Ein Entfallen des Schadensersatzanspruchs nach § 242 BGB für den hiesigen Fall des Verschweigens bzw. Leugnens von überlagernden, unreparierten Altschäden wird von der oberlandesgerichtlichen Rechtsprechung einhellig abgelehnt (Rechtsprechungsübersicht bei Almeroth, a.a.O., Rn. 648), da dem deutschen Zivilrecht derartige Strafgedanken fremd sind (Zur, a.a.O., [445] m.d.N.).“

Erstattung von Zinsen für finanzierten Autokauf, oder: Verzögerte Regulierung eines Versicherungsfalles

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Zu Beginn des Pfingstwochenendes „köcheln“ im „Kessel Buntes“ dann zwei zivilrechtliche LG-Entscheidungen.

Ich beginne mit dem LG Frankfurt am Main, Urt. v. 28.01.2025 – 2-08 O 190/24 – zum Anspruch auf Erstattung von Zinszahlungen für einen Autofinanzierungskredit wegen verzögerter Regulierung eines Versicherungsfalles.

Der Kläger war Besitzer und Halter eines Pkw Audi RS6. Das Fahrzeug war finanziert und stand im Eigentum der Audi Bank. Für das vorgenannte Fahrzeug bestand bei der Beklagten eine Kaskoversicherung. Mit Urteil vom 20.04.2022 hat das LG Marburg festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger für ein Schadensereignis (Entwendung des Fahrzeuges) am 15.09.2019 iVersicherungsschutz aus dem Versicherungsvertrag zu gewähren. Zur Durchsetzung von Ansprüchen in eigenem Namen war der Kläger zuvor mit Schreiben der Audi Bank vom 17.11.2020 legitimiert worden. Die gegen das Urteil des LG Marburg eingelegte Berufung nahm die Beklagte zurück.

Der Kläger führte das Darlehen an die Audi Bank zurück, nachdem die Beklagte den Unfall regulierte und den Tilgungsbetrag dem Kläger zur Verfügung stellte. Bis zu diesem Zeitpunkt zahlte der Kläger für den Zeitraum ab dem 15.09.2019 bis Ende 2023 weiter Zinsen in Höhe von insgesamt EUR 5.503,58 an die Audi Bank.

Der Kläger ist der Auffassung, ihm stünde ein Anspruch auf Erstattung der Zinszahlungen nach §§ 280, 286 BGB gegen die Beklagte wegen verzögerter Regulierung des Versicherungsfalles zu. Hätte die Beklagte den Versicherungsfall ordnungsgemäß reguliert, hätte der Kläger das Darlehen bereits früher zurückzahlen können und die Zinsen wären nicht angefallen. Die Beklagte ist der Ansicht, dass die Voraussetzungen für einen Verzugsschaden nicht vorlägen. Denn die Verpflichtung zur Übernahme der Darlehenszinsen sei der Kläger schon vor der behaupteten Entwendung des Fahrzeuges eingegangen. Diese Vermögenslage habe sich nach der Entwendung daher nicht verändert. Jedenfalls fehle es an einem Verzug der Beklagten vor dem Ende des Jahres 2019 bzw. vor dem Ende des Jahres 2020. Erst nachdem die Beklagte den Schadenshergang umfassend prüfen habe können, sei die Leistung der Beklagten fällig gewesen. Zudem stehe der Audi Bank nach dem Darlehensvertrags zwischen dem Kläger und der Audi Bank ein Vorfälligkeitsschaden zu. Dieser sei zu berücksichtigten und von den tatsächlich erbrachten Zinsen abzuziehen sei; lediglich eine etwaige Differenz wäre zu erstatten.

Das LG hat die Klage abgewiesen:

„Die Klage ist zulässig, aber unbegründet……

II. Die Klage ist jedoch unbegründet. Dem Kläger steht ein Anspruch aus Ersatz der an die Audi-Bank AG entrichteten Zinsen weder aus dem zwischen den Parteien abgeschlossenen Versicherungsvertrag noch aus §§ 280 Abs. 1, Abs. 2, 286 Abs. 1 BGB zu.

Ein Anspruch auf Zahlung der geltend gemachten Zinsen folgt nicht bereits aus dem zwischen den Parteien bestehenden Versicherungsvertrag. Denn die Parteien haben lediglich eine Kfz-Haftpflicht-, eine Vollkasko inklusive Teilkasko- und eine Fahrerschutzversicherung abgeschlossen. Nach Ziffer A.2.6. lit. a AKB wird im Falle des Verlustes des Fahrzeuges lediglich der Wiederbeschaffungswert abzüglich des Restwertes erstattet. Für kreditfinanzierte Fahrzeuge besteht zudem die Möglichkeit des Abschlusses einer sog. GAP-Versicherung, siehe Ziffer A.7.5 lit. b AKB. Eine solche wurde ausweislich des als Anlage B 3 (Bl. 569-570) eingereichten Versicherungsschein zwischen den Parteien indes nicht vereinbart.

Die Übernahme von Finanzierungszinsen ist zwischen den Parteien nicht vereinbart.

2. Ein Anspruch auf Zahlung des geltend gemachten Betrags folgt ebenfalls nicht aus §§ 280 Abs. 1, Abs. 2, 286 Abs. 1 BGB. Denn der Kläger hat die auf Grund des behaupteten Verzugs der Beklagten geltend gemachte Schadenshöhe nicht schlüssig dargelegt.

Es kann dahinstehen, ob und seit wann sich die Beklagte mit der Regulierung des Versicherungsfalles, wie vom Kläger behauptet, in Verzug befindet.

Denn im Falle der vorzeitigen Rückzahlung des Darlehens kann die Audi Bank nach Ziff. 2 c) (Anlage B 1, Bl. 77-82 d.A.) des Darlehensvertrages von dem Kläger eine angemessene Vorfälligkeitsentschädigung verlangen. Somit hätte der Kläger im Falle der vorzeitigen Beendigung des Darlehnsvertrages zwar keine weiteren Zinsen mehr an die Audi Bank AG zahlen müssen, die Audi Bank AG hätte indes einen Vorfälligkeitsschaden gegenüber dem Kläger geltend machen können. Dieser Vorfälligkeitsschaden ist mithin bei der Berechnung des Schadens seitens des Klägers zu berücksichtigen.

Etwas anders würde nur gelten, wenn die Parteien auch eine GAP-Versicherung abgeschlossen hätten. In diesem Fall wäre die Beklagte bei ordnungsgemäßer Erfüllung ihrer Leistungspflicht nämlich auch verpflichtet gewesen, eine etwaige Vorfälligkeitsentschädigung zu ersetzen. Eine solche wurde zwischen den Parteien indes nicht vereinbart. Ausweislich der AKB lässt sich dem Versicherungsschein entnehmen, welche Versicherungen zwischen den Parteien abgeschlossen wurden. Aus dem als Anlage B 3 vorgelegten Versicherungsschein ergibt sich sodann, dass zwischen den Parteien eine Haftpflicht- und Vollkaskoversicherung inkl. Teilkaskoversicherung abgeschlossen wurde. Für die Versicherungsformen sind die zu leistenden Beiträge in dem Versicherungsschein aufgeschlüsselt festzuhalten. Der Abschluss einer GAP-Versicherung, für die sodann die Ziffer A.7 AKB gelten würde, ist dem Versicherungsschein indes nicht zu entnehmen.

Für den Umstand, dass ein Vorfälligkeitsschaden von der Audi Bank AG vorliegend nicht geltend gemacht wurde, ist der Kläger darlegungs- und beweisbelastet. Weder hat der Kläger eine entsprechende Bestätigung durch die Audi Bank AG vorgelegt noch sonst einen Beweis für seine Behauptung angetreten.“