Archiv der Kategorie: Verkehrsrecht

Kollision Pkw und Bahn wegen offener Schranken, oder: Bahnbetreiber haftet i..d.R. allein

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By Feuermond16 – Own work

Im zweiten Posting stellt ich das OLG Celle, Urt. v. 31.01.2023 – 14 U 133/22. In der – umfangreich begründeten – Entscheidung geht es um Schadensersatz nach einem Bahnunfall. Zugrunde liegt dem Urteil folgender Sachverhalt:

„Die am pp. 1952 geborene Klägerin nimmt die Beklagten als Gesamtschuldner auf Schadensersatz und Schmerzensgeld aus einem Schienenbahnunfall in Anspruch.

Am Freitag, den 02. August 2019, befuhr die Klägerin auf dem Weg zum Zahnarzt mit ihrem Pkw Opel Corsa, pp., in R.-E. die B. Straße Richtung Bpp. Gegen 10:42 Uhr erreichte sie den Bahnübergang in Höhe des Bahnkilometers pp. der Eisenbahnstrecke von H. O. nach R., Streckennummer pp.

Der Übergang führte über die eingleisige nicht elektrifizierte Bahnlinie. Dort galt in beiden Fahrtrichtungen eine Höchstgeschwindigkeit für Züge von 120 km/h. Der Bahnübergang war gesichert mit Andreaskreuz, Halbschranken auf beiden Seiten und einer Lichtzeichenanlage. Verbaut war eine sog. Bahnübergangssicherungsanlage (künftig auch: BÜSA) der Fa. S. und B. mit Einheits-Bahnübergangstechnik (EBÜT) aus den 1980-er Jahren. Diese BÜSA wurde nicht vom Fahrdienstleiter oder Schrankenwärter bedient, sondern durch Überfahren eines Einschaltkontaktes durch den Zug aktiviert. Der Kontakt war aus Richtung H. O. kommend am Bahnkilometer pp. angebracht. Wenn beim Überfahren dieses Kontaktes eine Störung auftrat, wurde diese nicht dem Triebwagenführer angezeigt, sondern lief bei dem zuständigen Fahrdienstleiter in R. auf, der dann den Zugführer über Funk verständigen musste.

Dort waren am 02. August 2019 gegen 10:42 Uhr aufgrund einer technischen Störung die Schranken offen, die Lichtanlage war außer Funktion. Zugleich funktionierte auch die Noteinschaltung nicht.

Die Bahnstrecke wurde zu dieser Zeit befahren in Richtung R. von der pp.Bahn (pp.), RB pp., Zugnummer pp., gesteuert von dem Zugführer und Zeugen K. B. Er näherte sich dem oben genannten Bahnübergang mit einer Geschwindigkeit von etwa 116 km/h. Dabei war dem Zugführer bis zu diesem Zeitpunkt der Ausfall der Schranken und der Signale nicht bekannt. Zuständiger Fahrdienstleiter für den Übergang war Herr R. P., der sich in seinem Kontrollraum in R. befand. Ca. 175 m vor dem Übergang löste der Zeuge B. eine Schnellbremsung aus, nachdem er die offenstehenden Schranken bemerkt hatte. Der RB pp. wurde daraufhin etwas langsamer, fuhr beim Erreichen des Übergangs aber immer noch 96 km/h schnell. Zwischen den Parteien ist streitig, ob und ggfs. wann und wie lange der Zeuge B. zusätzlich das Makrofon, die Hupe des Zuges, betätigt hat.

Auf dem Bahnübergang kam es zur Kollision zwischen dem RB pp. und dem von der Klägerin gesteuerten Pkw Opel Corsa. Das Auto wurde vom Zug auf der Beifahrerseite erfasst und zunächst durch die Luft gegen zwei dort abgestellte DB-Fahrzeuge geschleudert, ehe es sich teilweise um die eigene Achse drehte und erheblich deformiert und beschädigt in umgekehrter Fahrtrichtung zwischen den DB-Fahrzeugen und dem Schrankenantrieb zum Stehen kam.

Zur Zeit des Unfalls befanden sich die beiden Mitarbeiter B. K. und M. W. der Beklagten zu 2) im Bereich des Bahnübergangs.

Die Klägerin wurde bei dem Zusammenstoß schwer verletzt. Sie musste von Feuerwehrleuten aus dem Fahrzeugwrack ihres Pkw befreit werden. Die Klägerin erlitt bei dem Unfall ein Polytrauma mit gedecktem Schädelhirntrauma und multiple Kontusionsblutungen rechts frontal und temporal, weiter eine Rippenserienfraktur rechts, mit traumatischem Pneumohämatothorax rechts, eine ausgedehnte Rissquetschwunde am distalen Oberarm rechts, eine Radiusköpfchenfraktur mit Gelenkbeteiligung und knöcherner Absprengung am Olekranon rechts (Ellenbogenhöcker an der Spitze des Ellenbogens) und eine Milzkontusion. Die Olekranon-Fraktur wurde noch am Unfalltag operativ versorgt. Die Klägerin wurde vom 02. August 2019 bis 26. August 2019 im Krankenhaus M. stationär behandelt. Nach der Entlassung aus dem Krankenhaus war sie bis zum 17. September 2019 zu einer Rehabilitation in einer Klinik in Bad O. Danach konnte sie in ihre eigene Wohnung entlassen werden.

Die Beklagte zu 1) zahlte außergerichtlich auf das Schmerzensgeld 4.000,00 € an die Klägerin.“

Das LG hat die Beklagten zur Zahlung eines Schmerzensgeldes in Höhe von 56.000,00 €, zur Zahlung weiterer 443,98 € sowie 2.561,83 € vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten verurteilt, festgestellt, dass die Beklagten der Klägerin auch zum Ersatz zukünftiger materieller und immaterieller Schäden verpflichtet sind und die Klage im Übrigen hinsichtlich des begehrten Haushaltsführungsschadens überwiegend abgewiesen. Dagegen die Berufungen der Beklagten und der Klägerin.

Die Berufung der Beklagten hatte keinen Erfolg, die der Klägerin war hingegen erfolgreich. Ich beschränke mich hier auf die (amtlichen) Leitsätze der Entscheidung, den Rest bitte im verlinkten Volltext selbst lesen:

  1. Bei einem Zusammenstoß von Kfz und Bahn infolge geöffneter Schranken haftet der Bahnbetreiber im Grundsatz alleine. Eine Mithaftung auf Seiten des beteiligten Pkws kommt nur dann in Betracht, wenn der herannahende Zug für den Kfz-Fahrer erkennbar gewesen ist.
  2. Die Beweislast für die optische und/oder akustische Erkennbarkeit eines herannahenden Schienenfahrzeugs für den Straßenverkehr einschließlich der Wahrnehmbarkeit akustischer Warnsignale, hier für ein rechtzeitiges Betätigen des Makrofons durch den Zugführer, liegt bei den beteiligten Eisenbahnunternehmen.
  3. Es liegt grundsätzlich ein erhebliches Organisationsverschulden des für die Bahnstrecke verantwortlichen Unternehmens der Deutschen Bahn vor, wenn es an einem Bahnübergang in weniger als einem Monat zu 15 Störungsfällen und schließlich zu einer Kollision zwischen Bahn und Pkw wegen der defekten Bahnübergangssicherungsanlage (BÜSA) deswegen kommt, weil bis zur Klärung der Ursache der Störungsserie keine zusätzlichen Sicherungsmaßnahmen für den betroffenen Bahnübergang getroffen worden sind.
  4. Zur Erhöhung des Schmerzensgeldes aufgrund eines nicht nachvollziehbaren Regulierungsverhaltens (hier: Komplettverweigerung bei erheblicher Mitverantwortung für ein Unfallgeschehen trotz schwerer Verletzungen der Geschädigten).

Beim Elektroroller explodiert die ausgebaute Batterie, oder: Haftet der Halter?

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Und heute dann zwei zivilgerichtliche Entscheidungen.

Zunächst hier das zu BGH, Urt. v. 23.01.2023 – VI ZR 1234/20 – zur Haftun des Halters eines Elektrorollers, wenn dessen ausgebaute Batterie bei einer Inspektion während des Aufladens explodiert und eine Werkstatt in Brand setzt. Geklagt hatte hier der Gebäudeversicherer gegen die Haftpflichtversicherung des Elektrorollers. Der Halter hatte den zur Inspektion in die Werkstatt gebracht, die bei der Klägerin versichert war. Ein Mitarbeiter des Werkstattinhabers hatte die Batterie aus dem Rollen genommen, um sie aufzuladen. Dabei erhitzte sich diese so stark, dass er sie vom Stromnetz trennen musste und sie zur Abkühlung auf den Boden der Werkstatt legte. Kurz darauf explodierte dann der Akku und setzte das Gebäude in Brand.

LG und OLG haben die Klage abgewiesen. Die Revision hatte dann beim BGH keinen Erfolg:

„1. Das Berufungsgericht hat im Ergebnis zutreffend angenommen, dass die Batterie nicht im Sinne von § 7 Abs. 1 StVG bei dem Betrieb des Elektrorollers explodierte.

a) Voraussetzung des § 7 Abs. 1 StVG ist, dass eines der dort genannten Rechtsgüter „bei dem Betrieb eines Kraftfahrzeugs“ verletzt bzw. beschädigt worden ist. Dieses Haftungsmerkmal ist entsprechend dem umfassenden Schutzzweck der Norm weit auszulegen. Denn die Haftung nach § 7 Abs. 1 StVG ist der Preis dafür, dass durch die Verwendung eines Kraftfahrzeugs erlaubterweise eine Gefahrenquelle eröffnet wird; die Vorschrift will daher alle durch den Kraftfahrzeugverkehr beeinflussten Schadensabläufe erfassen. Ein Schaden ist demgemäß bereits dann „bei dem Betrieb“ eines Kraftfahrzeugs entstanden, wenn sich in ihm die von dem Kraftfahrzeug ausgehenden Gefahren ausgewirkt haben, das heißt, wenn bei der insoweit gebotenen wertenden Betrachtung das Schadensgeschehen durch das Kraftfahrzeug (mit)geprägt worden ist. Erforderlich ist aber stets, dass es sich bei dem Schaden, für den Ersatz verlangt wird, um eine Auswirkung derjenigen Gefahren handelt, hinsichtlich derer der Verkehr nach dem Sinn der Haftungsvorschrift schadlos gehalten werden soll, das heißt, die Schadensfolge muss in den Bereich der Gefahren fallen, um derentwillen die Rechtsnorm erlassen worden ist. Für die Zurechnung der Betriebsgefahr kommt es damit maßgeblich darauf an, dass die Schadensursache in einem nahen örtlichen und zeitlichen Zusammenhang mit einem bestimmten Betriebsvorgang oder einer bestimmten Betriebseinrichtung des Kraftfahrzeugs steht (vgl. Senatsurteile vom 20. Oktober 2020 – VI ZR 319/18, VersR 2021, 597 Rn. 7; – VI ZR 374/19, DAR 2021, 87 Rn. 7; – VI ZR 158/19, NJW 2021, 1157 Rn. 7 mAnm Makowsky, JR 2021, 386; jeweils mwN).

b) Zwar ist entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts der Umstand, dass sich der Elektroroller und die Batterie zur Inspektion in einer Werkstatt befanden, für die Frage der Haftung gemäß § 7 Abs. 1 StVG unerheblich. Denn dass Dritte durch den Defekt einer Betriebseinrichtung eines Kraftfahrzeuges an ihren Rechtsgütern einen Schaden erleiden, gehört zu den spezifischen Auswirkungen derjenigen Gefahren, für die die Haftungsvorschrift des § 7 StVG den Verkehr schadlos halten will. Dabei macht es rechtlich keinen Unterschied, ob der Brand unabhängig vom Fahrbetrieb selbst vor, während oder nach einer Fahrt eintritt. Wollte man die Haftung aus § 7 Abs. 1 StVG auf Schadensfolgen begrenzen, die durch den Fahrbetrieb selbst und dessen Nachwirkungen verursacht worden sind, liefe die Haftung in all den Fällen leer, in denen unabhängig von einem Betriebsvorgang allein ein technischer Defekt einer Betriebseinrichtung für den Schaden eines Dritten ursächlich geworden ist. Bei der gebotenen wertenden Betrachtung ist das Schadensgeschehen jedoch auch in diesen Fällen durch das Kraftfahrzeug selbst und die von ihm ausgehenden Gefahren entscheidend (mit)geprägt worden. Hierzu reicht es aus, dass der Brand oder dessen Übergreifen in einem ursächlichen Zusammenhang mit einer Betriebseinrichtung des Kraftfahrzeuges steht (vgl. die nach Verkündung des Berufungsurteils ergangenen Senatsurteile vom 20. Oktober 2020 – VI ZR 319/18, VersR 2021, 597 Rn. 8 [schwer beschädigtes und nicht fahrbereites Fahrzeug in Lagerhalle]; – VI ZR 374/19, DAR 2021, 87 Rn. 8 ff. [in Werkstattgebäude zur Reparatur aufgebockter LKW]; – VI ZR 158/19, NJW 2021, 1157 Rn. 13 ff. [zur TÜV-Untersuchung in Werkstattgebäude abgestellter LKW]).

c) Allerdings ist nicht festgestellt – und die Revision zeigt dazu auch keinen übergangenen Vortrag auf -, dass die Erhitzung und die nachfolgende Explosion der Batterie bei der insoweit gebotenen wertenden Betrachtung in einem nahen örtlichen und zeitlichen Zusammenhang mit einer Betriebseinrichtung im Sinne von § 7 Abs. 1 StVG standen. Denn zu diesem Zeitpunkt war die Batterie bereits aus dem Elektroroller ausgebaut und hatte zu diesem keine Verbindung mehr. Bei dieser Sachlage besteht kein Unterschied zu der Situation, in der eine zuvor nicht im Elektroroller befindliche Batterie dort eingebaut werden soll und zu diesem Zweck vorher aufgeladen wird. In diesen Fällen ist die Batterie nicht mehr bzw. noch nicht Teil der Betriebseinrichtung.

Weiter ist nicht festgestellt – und die Revision zeigt auch dazu keinen übergangenen Vortrag auf -, dass die Explosion der Batterie in einem nahen örtlichen und zeitlichen Zusammenhang mit einem Betriebsvorgang stand (vgl. dazu Senatsurteil vom 26. März 2019 – VI ZR 236/18, NJW 2019, 2227 Rn. 9). Allein der Umstand, dass sich die Batterie zuvor im Elektroroller befand und in diesem entladen wurde, begründet nicht den erforderlichen Zurechnungszusammenhang.

2. Es bedarf daher keiner Klärung, ob die von der Revision angegriffenen Erwägungen des Berufungsgerichts zur möglichen Verursachung des Brandes durch ein schadhaftes Ladegerät und zur bauartbedingten Höchstgeschwindigkeit des Elektrorollers revisionsrechtlicher Prüfung standhalten würden.“

OWi III: „Sinnfreies“ Einkopieren des Akteninhalts, oder: Rechtlicher Hinweis nach Zurückverweisung?

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Und dann noch der OLG Düsseldorf, Beschl. v. 21.02.2023 – IV – 2 RBs 18/23 –, der u.a. zwei Fragen behandelt, nämlich zunächst die zutreffende Begründung der Verfahrensrüge einer Rechtsbeschwerde und dann die Frage nach der Erforderlichkeit eines rechtlichen Hinweises (§ 265 StPO) nach Zurückverweisung:

„Das Amtsgericht hat den Betroffenen am 10. Februar 2022 wegen vorsätzlicher Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit innerhalb geschlossener Ortschaften um 38 km/h zu einer Geldbuße von 320 Euro verurteilt und ein einmonatiges Fahrverbot verhängt.

Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen hat der Senat über dieses Urteil mit Beschluss vom 30. Mai 2022 wie folgt entschieden:

  1. Das angefochtene Urteil wird mit den Feststellungen aufgehoben. Jedoch bleiben die Feststellungen zum objektiven Tatgeschehen mit Ausnahme derjenigen zur Fahrereigenschaft des Betroffenen aufrechterhalten.
  2. Die weitergehende Rechtsbeschwerde wird als unbegründet verworfen.
  3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde, an dieselbe Abteilung des Amtsgerichts Duisburg zurückverwiesen.

Am 8. November 2022 hat das Amtsgericht den Betroffenen wegen vorsätzlicher Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit erneut zu eine Geldbuße von 320 Euro verurteilt und ein einmonatiges Fahrverbot verhängt. Hiergegen richtet sich dessen Rechtsbeschwerde, die sich auf Verfahrensrügen und die Sachrüge stützt.

II.

Die Rechtsbeschwerde ist unbegründet.

1. Die von dem Betroffenen erhobenen Verfahrensrügen erweisen sich als unzulässig, weil sie nicht in der nach § 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG, § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO gebotenen Form angebracht worden sind.

Die Rüge wegen Verletzung der Hinweispflicht umfasst 154 Seiten, wobei sinnfrei nahezu der gesamte Akteninhalt einkopiert worden ist. Von den 16 Seiten, die keine Aktenkopien darstellen, entfallen 13 Seiten auf jeweils wenige Zeilen umfassende Trennblätter, mit denen die nachgeheftete Ablichtung bezeichnet wird.

Bei der Rüge wegen Verletzung der Aufklärungspflicht wurde derselbe Akteninhalt mit denselben Trennblättern sinnfrei erneut in die Begründungsschrift eingefügt, so dass sich deren Papierumfang ohne Erkenntnisgewinn verdoppelt hat. Lediglich die Eingangsseite mit dem Obersatz und die beiden letzten Seiten unterscheiden sich inhaltlich von der vorherigen Verfahrensrüge.

Die mangelnde Eignung der gewählten „Gestaltung“ lässt sich exemplarisch daran ablesen, dass zu den beiden nunmehr erhobenen Verfahrensrügen jeweils die vollständige Begründungsschrift (83 Seiten) aus dem ersten Rechtsbeschwerdeverfahren einkopiert worden ist. Die dortigen Verfahrensrügen, die sich insbesondere gegen die Richtigkeit der Messung und die Verwertbarkeit des Messergebnisses richteten, sind für das zweite Rechtsbeschwerdeverfahren indes nicht relevant. Der Senat hat in seiner Entscheidung vom 30. Mai 2022 mit eingehender Begründung die Feststellungen zum objektiven Tatgeschehen mit Ausnahme derjenigen zur Fahrereigenschaft des Betroffenen aufrechterhalten.

Das zweimalige Einkopieren der ihrerseits (teils doppelte) Aktenauszüge enthaltenden Begründungsschrift aus dem ersten Rechtsbeschwerdeverfahren hat im Übrigen zur Folge, dass sich in der vorliegenden Begründungsschrift nunmehr einige Akteninhalte in vierfacher oder gar sechsfacher Anzahl befinden.

Die unübersichtliche Begründungsschrift lässt einen Zusammenhang zwischen der jeweiligen Verfahrensrüge und den zweimal identisch einkopierten Akteninhalten weitgehend vermissen. Es ist nicht Aufgabe des Rechtsbeschwerdegerichts, sich die wenigen relevanten Unterlagen aus dem ca. 300 Seiten umfassenden Konvolut herauszusuchen und den Sachzusammenhang selbst herzustellen. Vielmehr wäre es erforderlich gewesen, bezogen auf die konkrete Verfahrensrüge (lediglich) den insoweit relevanten Verfahrensstoff mitzuteilen (vgl. zur Revision: BGH NStZ 2020, 625; NStZ 2023, 127). Daran fehlt es hier.

2. Ungeachtet dessen hätte die Rüge, dass nach der Zurückverweisung der Sache kein (erneuter) Hinweis auf die Möglichkeit einer Verurteilung wegen vorsätzlicher Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit erfolgt ist, auch bei zulässiger Erhebung keinen Erfolg gehabt.

Das Amtsgericht hatte dem Betroffenen bereits im „ersten Durchgang“ mit der Ladung zu der Hauptverhandlung vom 10. Februar 2022 einen solchen Hinweis erteilt, da nach dem Bußgeldbescheid mangels Bezeichnung der Schuldform von dem Vorwurf fahrlässigen Handelns auszugehen war (vgl. OLG Bamberg DAR 2017, 383). Zudem ist der Betroffene am 10. Februar 2022 wegen vorsätzlicher Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit verurteilt worden. Bei dieser Sachlage bedurfte es nach der Zurückverweisung der Sache keiner Wiederholung des Hinweises auf die Möglichkeit einer Verurteilung wegen vorsätzlicher Tatbegehung (vgl. BGH bei Dallinger MDR 1971, 363; OLG Köln NJW 1957, 473; OLG Stuttgart MDR 1967, 233; Stuckenberg in: Löwe-Rosenberg, StPO, 26. Aufl., § 265 Rdn. 14). Die Verurteilung wegen einer Vorsatztat beinhaltet den unmissverständlichen und fortwirkenden Hinweis, dass der Betroffene auch im weiteren Verfahren – sei es nach Zurückverweisung der Sache, sei es in einer höheren Instanz – mit einer solchen rechtlichen Bewertung seiner Tat rechnen muss…..“

OWi II: Abweichung von der Bedienungsanleitung, oder: Welche Feststellungen beim Freispruch?

Das BayObLG hat im BayObLG, Beschl. v. 21.11.2022 – 202 OBOWi 1291/22 – zu den Anforderungen an die tatsächlichen Feststellungen bei einem freisprechenden Urteil Stellung genommen.

Das AG hat den Betroffenen aus tatsächlichen Gründen vom Vorwurf, am 29.04.2020 auf der A-Straße in B. mit einem Kraftfahrzeug fahrlässig die zulässige Höchstgeschwindigkeit innerorts um 34 km/h überschritten zu haben, freigesprochen. Gegen diese Entscheidung wendet sich die Staatsanwaltschaft mit der Rechtsbeschwerde und begründet diese mit der Sachrüge sowie mit der Verfahrensrüge der Verletzung der gerichtlichen Aufklärungspflicht.

Nach den Feststellungen des AG erfolgte die Geschwindigkeitsmessung mit einem geeichten Messgerät PoliScanSpeed, Softwareversion 3.2.4., welches zum Zeitpunkt der verfahrensgegenständlichen Messung auf einem Stativ auf einer Rasenfläche neben der Fahr-bahn aufgestellt war. Das Amtsgericht sah es nach durchgeführter Beweisaufnahme als erwiesen an, dass das Messgerät entgegen den Vorgaben in Ziffer 7.1.1 der Bedienungsanleitung des Geräteherstellers nicht auf einem hinreichend festen Untergrund aufgestellt gewesen sei. So habe der als Zeuge vernommene Messbeamte zwar pauschal bestätigt, dass er die Messung entsprechend seiner Schulung und gemäß der Bedienungsanleitung durchgeführt habe, sich aber nicht mit Sicherheit daran erinnern können, dass er auf ausreichend festen Unter-grund bei der Aufstellung des Messgeräts im Stativbetrieb geachtet habe. Zudem habe der hinzugezogene Sachverständige für Geräte zur Verkehrsüberwachung feststellen können, dass sich während der Messung der horizontale Schwenkwinkel des Messgerätes verändert habe, und daraus den Schluss gezogen, dass das Messgerät nicht auf einem hinreichend festen Untergrund aufgestellt worden sei und damit ein Verstoß gegen die Bedienungsanleitung vorliege. Das AG ging deshalb nicht vom Vorliegen einer Messung im sog. standardisierten Messverfahren aus. Die damit erforderliche nachträgliche individuelle Überprüfung auf Messfehler sei dem Sachverständigen aufgrund der ihm vorliegenden Anknüpfungstatsachen aber nicht möglich gewesen, da die hierzu von ihm benötigten Daten durch das Gerät nicht gespeichert werden. Daher sei der Betroffene freizusprechen.

Der Betroffene wird sich gefreut haben, aber zu früh. Das BayObLG hat aufgehoben und zurückverwiesen. Ihm reichen die Feststellungen des AG nicht.

Hier nur die Leitsätze zu der Entscheidung:

    1. Wird bei der Durchführung einer amtlichen Geschwindigkeitsmessung von den Vorgaben der Bedienungsanleitung des Geräteherstellers abgewichen, gibt dies Anlass zu der Überprüfung, ob das erzielte Messergebnis den Vorgaben eines sog. standardisierten Messverfahrens entspricht.
    2. Abweichungen von Vorgaben der Bedienungsanleitung des Geräteherstellers vermögen das Vorliegen eines sog. standardisierten Messverfahrens jedenfalls dann nicht in Frage zu stellen, wenn die Möglichkeit einer fehlerhaften Messung ausgeschlossen ist.

OWi I: Gibt es eine Halterhaftung beim E-Scooter?, oder: AG Frankfurt/Main versus AG Hamburg-Altona

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Am Dienstag heute ist OWi-Tag.

Zum Warmwerden beginne ich mit zwei AG-Entscheidungen zur Halterhaftung nach § 25a StVG, und zwar: Halterhaftung beim E-Scooter?

Bei der einen Entscheidung handelt es sich um den schon etwas älteren AG Frankfurt am Main, Beschl. v. 12.08.2022 – 971 OWi 51/21. Da lag der Bescheid gegen ein bundesweit agierendes Unternehmen, das u. a. E-Scooter Dritten für einen spontanen Gebrauch zur eigenverantwortlichen Nutzung mittels App überlässt, zugrunde. Ein E-Scooter war verbotswidrig abgestellt worden. Das AG Frankfurt am Main hat eine „Haftung“ des Unternehmens abgelehnt. Bei einem E-Scooter handele es sich nach § 1 Abs. 1 eKFV  um ein sog. Elektrokleinstfahrzeuge. Für die gelte nach § 9 eKFV die StVO nach Maßgabe von §§ 10 bis 13 eKFV. Nach  § 11 Abs. 5 eKFV gelten für das Abstellen von Elektrokleinstfahrzeugen damit  die für Fahrräder geltenden Parkvorschriften entsprechend. Damit sei zugleich die Anwendung der für Kraftfahrzeuge im Übrigen geltenden Parkvorschriften der §§ 12 und 13 StVO ausgeschlossen.

Demgegenüber hat das AG Hamburg-Altona im AG Hamburg – Altona, Beschl. v. 23.01.2023 – 327b OWi 1/23,  die Anwendbarkeit bejaht. Das hat es damit begründet, dass es spezielle Parkvorschriften für Fahrräder nicht gibt. Für Fahrräder komme allein ein Verstoß gegen § 1 Abs.2 StVO, also das allgemeine Rücksichtnahmegebot in Betracht. Nur dieses könne der Gesetzgeber mit seinem Verweis auf die „Parkvorschriften für Fahrräder“ also gemeint haben. In dem Falle stelle daher ein Verstoß gegen § 1 Abs.2 StVO somit auch einen Halt- oder Parkverstoß im Sinne des § 25a StVG dar.

Die letztere Entscheidung dürfte im Hinblick darauf, dass es allgemeine Meinung ist, dass § 25a StVG auch in den Fällen des Verstoßes gegen § 1 Abs. 2 StVO Anwendung findet, m.E. zutreffend sein.