Archiv der Kategorie: Verkehrsrecht

OWi III: Entgegen dem BayObLG Einsicht in Messreihe, oder: Ende der Karriere :-)

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Und dann zum Schluss noch ein AG-Beschluss zum Dauerbrennerthema „Akteneinsicht im Bußgeldverfahren“. Ich stelle den Beschluss vor, weil er sich vom Mainstream der OLG-Rechtsprechung wohltuend absetzt und das in Bayern (!!).

Der Verteidiger des Betroffenen, dem eine Geschwindigkeitsüberschreitung zur Last gelegt wird, hat Akteneinsicht beantragt, die nur teilweise gewährt worden ist. Gegen die Versagung der Gewährung von Akteneinsicht ist Antrag auf gerichtliche Entscheidung gemäß § 62 OWiG gestellt worden

Das AG Passau hat im AG Passau, Beschl. v. 13.02.2024 – 4 OWi 749/23 – das bayerische Polizeiverwaltungsamt „angewiesen, dem Verteidiger die mit Antragsschriftssatz vom 16.12.2023 angeforderten Unterlagen in Form des ersten und des letzten Bildes der gesamten Messereihe sowie der jeweils 5 Bilder vor und nach der Messung des Betroffenen im Rahmen einer erneuten Akteneinsicht zur Verfügung zu stellen.“

Begründung:

„Dieser Antrag erweist sich als zulässig und begründet.

Grundsätzlich steht einem Verteidiger ein Akteneinsichtsrecht zu gemäß § 46 I OWiG in Verbindung mit § 147 StPO.

Dieses umfasst regelmäßig lediglich die in der Akte des Bußgeldverfahrens enthaltenen Unterlagen. Das Akteneinsichtsrecht begründet grundsätzlich keinen Anspruch auf Erweiterung des Aktenbestandes.

Ein solcher Anspruch ergibt sich jedoch im vorliegenden Verfahren aus der gesetzlich gebotenen Aufklärungspflicht, denn die im Beschlusstenor genannten Unterlagen sind zur Überprüfung der verfahrensgegenständlichen Messung durch einen Sachverständigen spätestens diesem in der Praxis regelmäßig vorzulegen.

Entgegen der Rechtsansicht des BayObLG verwenden Sachverständige diese Bilder der Messreihe zur Überprüfung einer Geschwindigkeitsmessung regelmäßig und ziehen aus diesen Rückschlüsse auf die Richtigkeit bzw. Unrichtigkeit der Messung, welche sich beispielsweise durch eine im Rahmen des Vergleichs der Messbilder festzustellende Veränderung der Bildeinstellung ergeben kann.“

„Entgegen der Rechtsansicht des BayObLG“ = Ende der Karriere 🙂 .

OWi II: Absehen vom Fahrverbot wegen „Notstands“, oder: Dringende „Pinkelpause“ auf der BAB

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Die Entscheidung in diesem zweiten Posting des Tages stammt auch vom OLG Hamm. Mal wieder etwas zum Fahrverbot, und zwar Absehen wegen Verneinung eines „groben Verstoßes“.

Verurteilt worden ist der Betroffene wegen fahrlässiger unberechtigter Benutzung einer freien Gasse für die Durchfahrt von Polizei- oder Hilfsfahrzeugen auf einer Autobahn zu einer Geldbuße in Höhe von 240 EUR. Von der Verhängung eines Fahrverbotes hat das AG abgesehen. Der Betroffene hatte ein dringendes Bedürfnis zur Verrichtung der Notdurft geltend gemacht. Die StA hatte mit ihrer Rechtsbeschwerde keinen Erfolg. Das OLG hat die im OLG Hamm, Beschl. v. 28.03.2024 – 5 ORbs 35/24 – verworfen.

„Die zu Lasten des Betroffenen eingelegte Rechtsbeschwerde ist unbegründet, da das angefochtene Urteil keinen Rechtsfehler aufweist. Das Tatgericht ist im Rechtsfolgenausspruch in rechtlich nicht zu beanstandender Weise davon ausgegangen, dass – trotz der Indizwirkung der Bußgeldkatalogverordnung (§ 4 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 BKatV) – kein Fall der groben Verletzung der Pflichten eines Fahrzeugführers i.S.v. § 25 Abs. 1 S. 1 StVG vorliegt; im Einzelnen:

1. Eine grobe Pflichtverletzung liegt dann vor, wenn die Pflichtverletzung des Betroffenen objektiv abstrakt oder konkret besonders gefährlich gewesen ist (vgl. OLG Düsseldorf Entscheidung v. 28.7.1998 – 5 Ss (OWi) 235/98 = BeckRS 1998, 155012, beck-online). Hinzukommen muss, dass der Täter auch subjektiv besonders verantwortungslos handelt (vgl. BGH, NZV 1997, 525, beck-online). Regelbeispiele für ein derartiges Verhalten finden sich in § 4 Abs. 1, 2 BKatV. Bei diesen Katalogtaten ist das Vorliegen einer groben Verletzung der Pflichten eines Kfz-Führers zwar indiziert (vgl. BGHSt 38, 125 (134) = NZV 1992, 117); die Regelbeispiele ersetzen aber nicht gesetzliche Merkmal des § 25 I StVG. Die Bußgeldkatalogverordnung befreit daher die Tatgerichte nicht von der Erforderlichkeit einer Einzelfallprüfung; sie schränkt nur den Begründungsaufwand ein (vgl. BVerfG, DAR 1996, 196 (198) = NZV 1996, 284; BGHSt 38, 125 (136) = NZV 1992, 117 (120). Dementsprechend muss eine im Sinne der Regelbeispiele der Bußgeldkatalogverordnung tatbestandsmäßige Handlung dann (ausnahmsweise) nicht zwingend mit einem Fahrverbot geahndet werden, wenn als Ergebnis der gebotenen Würdigung der Umstände des Einzelfalles eine grobe Pflichtverletzung – sei es in objektiver oder in subjektiver Hinsicht -ausscheidet (vgl. BGH NZV 1997, 525, beck-online). Bei der Frage, ob ein grober Verstoß gegeben ist, sind die Umstände des Einzelfalles – auch unter Berücksichtigung von Irrtumsaspekten – gegeneinander abzuwägen (vgl. OLG Bamberg Beschl. v. 1.12.2015 – 3 Ss OWi 834/15, BeckRS 2015, 20269 Rn. 12, beck-online).

2. Das Amtsgericht hat in der angefochtenen Entscheidung im Einzelnen dargelegt, warum es im vorliegenden Einzelfall von der Anordnung des einmonatigen Fahrverbots ausnahmsweise abgesehen hat (vgl. UA S. 6 – 8). Zwar deuten die Urteilsgründe darauf hin, dass das Amtsgericht von einem Erlaubnistatbestandsirrtum des Betroffenen ausgeht, obwohl die irrige Annahme des Betroffenen von der Freigabe des Verkehrs die Tatbestandsmäßigkeit des Handelns (§ 11 OWiG) betrifft. Allerdings beruht die angefochtene Entscheidung nicht darauf, da diese Erwägung nicht tragend ist. Vielmehr stellt das Tatgericht bei seiner Begründung des Absehens vom Fahrverbot darauf ab, dass der Betroffene nach den Umständen des Einzelfalls subjektiv nicht besonders verantwortungslos handelte. Das ist rechtlich nicht zu beanstanden.

3. Es ist in der obergerichtlichen Rechtsprechung anerkannt, dass in notstandsähnlichen Situationen (konkret: dringendes Bedürfnis zur Verrichtung der Notdurft) das Handlungsunrecht für die Anordnung eines Fahrverbotes – je nach den Umständen des Einzelfalls – fehlen kann (vgl. bei Geschwindigkeitsverstößen: OLG Hamm Beschl. v. 10.10.2017 – 4 RBs 326/17 = BeckRS 2017, 129512 Rn. 7, beck-online; OLG Zweibrücken, Beschluss vom 19.12.1996 – 1 Ss 291/96 = NStZ-RR 1997, 379, beck-online; OLG Brandenburg (1. Strafsenat – Senat für Bußgeldsachen), Beschluss vom 25.02.2019 – (1 B) 53 Ss-OWi 41/19 (45/19) = BeckRS 2019, 2716, beck-online). Das ist hier auf der Grundlage – der revisionsrechtlich ohnehin nur beschränkt überprüfbaren – Feststellungen des Amtsgerichts der Fall. Das Handeln des Betroffenen stellt in subjektiver Hinsicht kein besonders vorwerfbares Verhalten dar. Nach den amtsgerichtlichen Feststellungen neigte der Angeklagte aufgrund der von ihm eingenommenen Medikation zu einem erhöhten Harndrang, der bereits kurz nach Beginn des Staus einsetzte. Zudem ist er im Hinblick auf den wiedereinsetzenden Verkehr davon ausgegangen, die Rettungsgasse bereits wieder befahren zu dürfen. Insoweit liegt zwar weder ein Notstand i.S.v. § 16 OWiG noch ein Erlaubnistatbestandsirrtum vor. Allerdings befand sich der Betroffene in einer – durch Medikamentenwirkung hervorgerufenen – notstandsähnlichen Situation; dazu hat das Amtsgericht festgestellt, dass zum Tatzeitpunkt bereits ein erheblicher Harndrang bzw. Druckgefühl vorhanden war (vgl. UA S. 6). Entgegen der Ansicht der Generalstaatsanwaltschaft konnte der Betroffene auch nicht etwa seine Notdurft außerhalb des Fahrzeugs verrichten. Denn – worauf die Verteidigung in ihrer Stellungnahme zur Antragsschrift zu Recht hinweist – ein Betreten der Autobahn ist grundsätzlich nicht erlaubt (§ 18 Abs. 9 StVO). Außerdem wäre ihm dieses Handeln unter dem Gesichtspunkt naheliegender Eigengefährdung rechtlich nicht zumutbar gewesen.

Des Weiteren war seine Pflichtverletzung als Fahrzeugführer in subjektiver Sicht infolge der – irrigen – Annahme der Verkehrsfreigabe nicht besonders verantwortungslos. Der Einwand der Generalstaatsanwaltschaft, der Betroffene habe durch sein Verhalten die Notstandslage erst herbeigeführt, verfängt nicht. Ausweislich der Feststellungen verspürte er den Harndrang bereits fünf Minuten, nachdem der Stau einsetzte. Es gehört jedenfalls nicht zu den Pflichten eines Fahrzeugführers, seine Toilettenverhalten bzw. Toilettengangintervalle nach einem unvorhersehbaren Stauereignis auszurichten.

Letztlich ist auch zu berücksichtigen, dass der Erfolgsunwert infolge der zwischenzeitlich erfolgten Verkehrsfreigabe objektiv nicht von besonderem Gewicht war.“

Erfreulich. Aber Vorsicht mit dieser oder ähnlichen Einlassungen. Folgt man dem nicht, droht ggf. eine Verurteilung wegen Vorsatzes.

OWi I: Unternehmerverstöße gegen das FahrpersonalG, oder: Wer ist Unternehmer und ist die Geldbuße ok?

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Und dann ein OWi-Tag.

Den eröffne ich mit zwei Entscheidungen des OLG Hamm zum FahrpersonalG, und zwar zu Verstöße eines Unternehmers gegen das FahrpersonalG. In beiden Entscheidungen geht es darum, dass dem betroffenen Unternehmer Verstöße gegen § 8a Abs. 1 Nr. 2 FPersG zur Last gelegt worden waren. Diese Vorschrift verlangt vom Unternehmer, dass er dafür sorgt, dass die vorgeschriebenen Lenkzeiten und Fahrtunterbrechung oder die erforderlichen Ruhezeiten vom Fahrer eingehalten werden.

Zur konkreten Vorstellung nehme ich dann mal den OLG Hamm, Beschl. v. 19.03.2024 – III-4 ORbs 31/24. Das OLG das amtsgerichtliche Urteil, mit dem der Betroffene zu einer Geldbuße von 25.000 EUR verurteilt worden ist, wegen nicht ausreichender Feststellungen aufgehoben. Begründung, in der das OLG zunächst die Stellungnahme der GsTA „eingerückt“ hat:

„Die gemäß § 79 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 OWiG statthafte Rechtsbeschwerde ist rechtzeitig eingelegt sowie form- und fristgerecht begründet worden und hat auch in der Sache – jedenfalls vorläufig – Erfolg.

Das Urteil unterliegt bereits auf die Sachrüge der Aufhebung, da es keine ausreichenden Feststellungen zu den Tatvorwürfen enthält.

a) Die Vorschrift des § 8a Abs. 1 Nr. 2 FPersG, auf welche das Amtsgericht die Verurteilung u. a. gestützt hat, nimmt Bezug auf die Verordnung (EG) Nr. 561/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. März 2006. Gemäß Art. 2 Abs. 1 a) der vorgenannten Verordnung gilt diese nur für Güterbeförderungen im Straßenverkehr, deren zulässige Höchstmasse einschließlich Anhänger oder Sattelanhänger 3,5 t übersteigt.

Gemäß ihres Art. 2 Abs. 2 gilt sie in räumlicher Hinsicht zudem ausschließlich für Beförderungen im Straßenverkehr innerhalb der Gemeinschaft oder zwischen der Gemeinschaft, der Schweiz und den Vertragsstaaten des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum. Das Vorliegen dieser Voraussetzungen ist in dem angefochtenen Urteil indes nicht festgestellt. Insbesondere enthält die mit dem Urteil verbundene Verstoßliste keine entsprechenden Fahrzeug- bzw. Streckeninformationen. Es ist daher unklar, ob der Anwendungsbereich der angewandten Bußgeldnorm überhaupt eröffnet ist.

Gleiches gilt, soweit Verstöße – jedenfalls ausweislich der diesbezüglichen Liste – zum Teil auf § 8 Abs. 1 Nr. 1 b) FPersG.i. V. m. Art. 32 Abs. 1 der VO (EU) Nr. 165/2014 gestützt werden, da diese Verordnung gemäß ihres Art. 3 Abs. 1 nur für Fahrzeug gilt, die dem Anwendungsbereich der Verordnung (EG) Nr. 561/2006 unterfallen, was vorliegend nicht ausreichend festgestellt ist.

b) Auch die Überprüfung des Rechtsfolgenausspruchs führt zur Aufdeckung von Rechtsfehlern zum Nachteil des Betroffenen. Insbesondere ist zu bemängeln, dass das Amtsgericht keinerlei Feststellungen zu den wirtschaftlichen Verhältnissen des Betroffenen getroffen hat (§ 17 Abs. 3 S. 2 OWiG). Die Feststellung, es lägen keine Anhaltspunkte dafür vor, die verhängte Geldbuße könne den Betroffenen in finanzielle Nöte stürzen, zumal dessen Verteidiger auf entsprechende Nachfrage keine Angaben gemacht habe, reichen insoweit nicht aus. Weitergehende Feststellungen zu den wirtschaftlichen Verhältnissen sind nur bei geringfügigen Geldbußen entbehrlich. Hiervon kann bei einer Summe von 25.000,- € indes nicht die Rede sein.

2. Auf die von dem Betroffenen erhobenen Verfahrensrügen kommt es nicht mehr an.

Die Sache bedarf insgesamt erneuter Verhandlung und Entscheidung.“

Diesen zutreffenden Ausführungen der Generalstaatsanwaltschaft schließt sich der Senat nach eigener Sachprüfung an und macht sie zum Gegenstand seiner Entscheidung.“

Und dann gibt es aber noch reichlich Eigenes 🙂 :

„Für das weitere Verfahren weist der Senat auf Folgendes hin:

1. Ordnungswidrig sind nur Verstöße, die von einem Unternehmer (§ 8 Abs. 1 und § 8a Abs. 1 FPersG) begangen worden. sind. Bei der hier vorliegenden Internationalen Speditions-GmbH & Co. KG erfüllt der Betroffene nur dann das besondere persönliche Merkmal eines „Unternehmers“, wenn und soweit er als vertretungsberechtigtes Organ (Geschäftsführer) der Komplementär-GmbH (§ 9 Abs. 1 Ziff. 1 OWiG) gehandelt hat bzw. wenn und soweit er – ohne selbst Geschäftsführer zu sein – von dem Geschäftsführer der Komplementär-GmbH oder einem sonst dazu Befugten beauftragt ist, den Betrieb ganz oder zum Teil zu leiten oder ausdrücklich beauftragt ist, in eigener Verantwortung Aufgaben wahrzunehmen, die dem Inhaber des Betriebs obliegen und aufgrund dieses Auftrags gehandelt hat (§ 9 Abs. 2 Ziff. 1 bzw. Ziff. 2 OWiG) (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 12. Dezember 2006 – IV-2 Ss (OWi) 124/06 – (OWi) 67/06 III – juris Rn. 6).

Im Übrigen kann zur Bestimmung des Unternehmerbegriffs ergänzend auch auf die entsprechende Regelung in § 3 PBefG Bezug genommen werden. Danach gilt als Unternehmer, wer den Verkehr im eigenen Namen unter eigener Verantwortung und für eigene Rechnung betreibt. Im eigenen Namen betreibt ein Unternehmen, wer nach außen hin als Inhaber des Unternehmens auftritt. Unter eigener Verantwortung bedeutet, dass der Handelnde der Genehmigungs- und Aufsichtsbehörde gegenüber die Verantwortung für die ordnungsgemäße Durchführung des Betriebs trägt. Für eigene Rechnung handelt derjenige, dem Lasten und Nutzen des Betriebes, wenn auch nicht ganz, so doch mindestens zu einem erheblichen Teil zufallen. Folglich gilt als Unternehmer, wer u.a. die Fahrzeuge einsetzt, Verträge abschließt, Arbeitskräfte bestellt, Fahrzeuge zur Reparatur gibt, Art und Inhalt der Buchführung bestimmt und jederzeit die Kontrollmöglichkeit hat. Für diese rechtliche Beurteilung der Unternehmereigenschaft ist dabei vor allem die Eintragung im Handelsregister, die Gewerbeanmeldung sowie die Erteilung der CEMT-Genehmigung für den Verkehr zwischen Staaten der EU und anderen Staaten ein wichtiges Indiz und bedarf entsprechender konkreter Feststellungen durch das Tatgericht (OLG Bamberg, Beschluss vom 4. Dezember 2007 – 2 Ss OWi 1265/07 -juris Rn. 23).

Die bloße tatsächliche Wahrnehmung der dem Inhaber des Betriebes aus dem Fahrpersonalgesetz erwachsenen Pflichten durch den Betroffenen würde für eine Verantwortlichkeit im Sinne des § 9 Abs. 2 Nr. 2 OWiG nicht ausreichen. Erforderlich wäre vielmehr ein Auftrag, der ausdrücklich und unter Hinweis auf die Verantwortlichkeit für die Pflichten, die dem Betriebsinhaber bei der Überwachung des Fahrpersonals obliegen, erteilt worden wäre. Dabei hätte der Betroffene damit beauftragt werden müssen, diese Pflichten in eigener Verantwortung zu erfüllen, d.h. mit entsprechenden Selbständigkeit und Entscheidungsfreiheit (vgl. OLG Hamm a.a.O., OLG Schleswig VRS 58, 384, 386). Der Betroffene hätte in der Lage sein müssen, von sich aus ohne Weisung des Betriebsinhabers die Maßnahmen zu ergreifen, die zur Erfüllung der Pflichten aus dem Fahrpersonalgesetz notwendig waren (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 12. Dezember 2006, a.a.O., Rn. 7, juris).

Entsprechende Feststellungen lässt die angefochtene Entscheidung vermissen. Dort ist ausgeführt, der Betroffene sei bis zum 15. Juli 2019 Geschäftsführer (gemeint ist wohl Geschäftsführer der Komplementär-GmbH) gewesen und ab dem 16. Juli 2019 habe pp. die Geschäftsführung und zugleich die Aufgabe des Verkehrsleiters übernommen, es sei jedoch originäre Aufgabe des Betroffenen als bis dahin Verantwortlicher und Geschäftsführer, dafür Sorge zu tragen, dass ein neuer Geschäftsführer und Verkehrsleiter seinen Aufgaben unter Einhaltung der Rechtsvorschriften nachkomme. Aus diesen Erwägungen allein kann eine Verantwortlichkeit des Betroffenen für die Zeit ab dem 15. Juli 2019 jedoch nicht begründet werden. Eine solche würde nur dann bestehen, wenn – was im Einzelnen festzustellen wäre – der Betroffene von dem Geschäftsführer gemäß den vorstehenden Ausführungen konkret mit der Überwachung des Fahrpersonals in eigener Verantwortung beauftragt worden wäre, was ggf. auch durch die Vernehmung einzelner Mitarbeiter aufgeklärt werden kann. Zudem werden die einschlägigen Handelsregisterauszüge (auch betreffend die Komplementär-GmbH) beizuziehen und durch Verlesung in die Hauptverhandlung einzubeziehen sein.

2. Die bußgeldbewehrte Pflichtwidrigkeit besteht darin, dass der Unternehmer nicht dafür sorgt, dass die Sozialvorschriften eingehalten werden, also in einem Unterlassen. Das Amtsgericht muss folglich Feststellungen dazu treffen, welche Verpflichtungen den Betroffenen treffen, ob und inwieweit der Betroffene gegen diese Verpflichtungen verstoßen hat und ‚ob die Pflichtverletzung kausal zu Verstößen gegen Sozialvorschriften geführt hat. Solche Feststellungen fehlen bislang gänzlich und müssten zunächst noch getroffen werden.

Dabei wird das Amtsgericht davon auszugehen haben, dass der Unternehmer verpflichtet ist, das Fahrpersonal in regelmäßigen zeitlichen Abständen auf die maßgeblichen Lenk- und Ruhezeiten hinzuweisen, wöchentlich die Schaublätter der EG-Kontrollgeräte zu überprüfen und im Übrigen die Fahrten so zu disponieren, dass den Fahrern unter Berücksichtigung des Bestimmungsortes, der Streckenführung und der Zeiten für An- und Abfahrt sowie für Be- und Entladung die Einhaltung der Lenk- und Ruhezeiten möglich ist. Bei Vernachlässigung dieser Pflichten wird ferner zu prüfen sein, ob festgestellten Verstöße gegen Sozialvorschriften ursächlich auf die fehlende oder unzulängliche Belehrung und Überwachung zurückzuführen sind (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 12. Dezember 2006 – IV-2 Ss (OWi) 124/06 – (0Wi) 67/06 III – juris Rn. 14; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 21. Dezember 2007 – IV-2 Ss (OWi) 83/07 – (OWi) 64/07 III – juris Rn. 18 ff.; OLG Koblenz, Beschluss vom 23. April 2001 – 1 Ss 29/01 – juris Rn. 20 f.; vgl. zu den Verpflichtungen Häberle in Erbs/Kohlhaas, Strafrechtliche Nebengesetze, Werkstand 249. EL September 2023, Verordnung (EU) 561/2006 Art. 10 Rn. 4 ff.).

Entsprechende Feststellungen im Hinblick auf den Pflichtenkreis des Unternehmers werden sich wohl erst nach Auswertung von Geschäftsunterlagen bzw. der diesbezüglichen Vernehmung des Zeugen H. und erforderlichenfalls auch der zeugenschaftlichen Vernehmung von einzelnen Fahrern treffen lassen.

Soweit es um die Frage geht, ob Verstöße des Unternehmers gegen die ihm obliegenden Pflichten sich kausal durch Verstöße gegen Sozialvorschriften ausgewirkt haben, kommt es nicht darauf an, ob die einzelnen Verstöße den Fahrern jeweils subjektiv vorwerfbar sind. Denn Sanktionsgrund gegenüber dem Unternehmer ist die Verletzung seiner einheitlichen umfassenden Aufsichts- und Überwachungspflicht, während der Fahrer – worauf es hier nicht ankommt – mit jedem einzelnen Verstoß gegen die Bestimmungen der EU-Verordnungen ordnungswidrig handelt (vgl. OLG Frankfurt, Beschluss vom 15. Juli 2010 – 2 Ss-OWi 276/10 – juris Rn. 19). Daher ist es in diesem Zusammenhang ausreichend, wenn das Vorliegen von – kausal verursachten – Verstößen gegen Sozialvorschriften objektiv festgestellt werden kann. Nicht auch wird es einer zeugenschaftlichen Vernehmung von Fahrern zu der Frage bedürfen, inwieweit der Verstoß jeweils dem Fahrer individuell vorwerfbar ist.

3. Die Verordnung (EG) Nr. 561/2006 gilt nur für Beförderungen im Straßenverkehr ausschließlich innerhalb der Europäischen Gemeinschaft oder zwischen der Gemeinschaft, der Schweiz und den Vertragsstaaten des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum (Art. 2 Abs. 2 der Verordnung).

Aus den Feststellungen des Urteils muss sich daher ergeben, dass es sich bei den Fahrten, bei denen es infolge des Pflichtverstoßes des Betroffenen zu Verstößen gegen die zulässige Lenk- bzw. Ruhezeit gekommen. ist, um Beförderungen innerhalb des vorgenannten räumlichen Gebiets gehandelt hat (vgl. OLG Koblenz, Beschluss vom 23. April 2001 – 1 Ss 29/01 -juris Rn. 17; OLG Bamberg, Beschluss vom 30. Januar 2014 – 3 Ss OWi 284/13 juris Rn. 5).

4. Die Feststellungen in der angefochtenen Entscheidung vermögen eine vorsätzliche Pflichtverletzung nicht. zu tragen. Ein vorsätzlicher Verstoß kann nur dann bejaht werden, wenn der Betroffene positiv gewusst hat, dass er seinen Organisations-, Anweisungs- bzw. Überprüfungspflichten nicht gerecht wird oder dies jedenfalls billigend in Kauf genommen hat.

Es ist aber zulässig, aus dem Vorhandensein einer Vielzahl festgestellter Verstöße . Rückschlüsse auf das subjektive Element zu ziehen.

5. Der Vorwurf, nicht für die Einhaltung der Lenkzeiten, Fahrtunterbrechungen oder Ruhezeiten von (mehreren) Fahrern oder die richtige Verwendung von EG-Kontrollgeräten Sorge getragen zu haben, knüpft an ein (echtes) Unterlassen an, weshalb regelmäßig von nur einem einheitlichen Verstoß auszugehen und nur eine einzige Geldbuße festzusetzen ist (OLG Bamberg, Beschluss vom 30. Januar 2014 – 3 Ss OWi 284/13 – juris; OLG Koblenz, Beschluss vom 23. April 2001 – 1 Ss 29/01 – juris; OLG Bamberg, Beschluss vom 30.01.2014 – 3 Ss OWi 284/13 – juris)

6. Die Urteilsgründe müssen stets eine in sich geschlossene, aus sich heraus verständliche Darstellung der Feststellungen und der sie tragenden Beweiserwägungen enthalten (vgl. Schmitt in: Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 66. Auflage 2023, § 267 Rn. 2). Zwar kann bei einer Vielzahl von sich wiederholenden gleichartigen Sachverhalten wegen der Einzelheiten auf eine in dem Urteil enthaltene tabellarische Aufstellung Bezug genommen werden. Jedoch entbinden tabellarische Darstellungen nicht davon, den zugrunde liegenden Sachverhalt, insbesondere das zugrunde liegende tatsächliche Geschehen zunächst einleitend in verständlicher Weise in Worten zu beschreiben.

Entscheidend ist, dass der Verstoß jeweils – differenziert nach Art des Verstoßes (also Lenkzeitverstoß, Ruhezeitverstoß pp.) – in verständlicher Weise beschrieben wird und nur wegen der Gesamtzahl der Verstöße auf Daten Bezug genommen wird, die sich in der in die Darstellung einbezogenen tabellarischen Aufstellung befinden.

Diesen Anforderungen wird die vom Amtsgericht bisher gewählte Art der Darstellung nicht gerecht.

7. Wenn – wie hier – unter nahezu vollständiger Ausschöpfung des Bußgeldrahmens ein Bußgeld in erheblicher Höhe‘ festgesetzt wird, so muss das Urteil in hinreichendem Umfang Feststellungen zu den wirtschaftlichen Verhältnissen des Betroffenen enthalten.

Einen entsprechenden Hinweis hatte •der Senat dem Amtsgericht in der vorliegenden Sache bereits in seinem Beschluss vom 20. Dezember 2022 erteilt, durch den das vorangegangene Urteil des Amtsgerichts aufgehoben worden war.

Insoweit weist der Senat ergänzend darauf hin, dass die Einkünfte auch durch Schätzung ermittelt werden können. Eine Schätzung ist dann angezeigt, wenn ein Betroffener keine, unzureichende oder gar unzutreffende Angaben macht und eine Ausschöpfung der Beweismittel das Verfahren unangemessen verzögem würde oder der Ermittlungsaufwand zu der konkreten Geldbuße in einem unangemessenen Verhältnis stünde. Als Kriterium einer Schätzgrundlage kommen regelmäßig der – ausgeübte – Beruf eines Betroffenen aber auch sonstige Anzeichen seines sozialen Status in Betracht (OLG Zweibrücken, Beschluss vom 30. September 2021 – 1 OWi 2 SsBs 62/20 – juris Rn. 27; OLG Hamm, Beschluss vom 10. Juli 2019 – 111-3 RBs 82/19 -, juris Rn. 19; Bayerisches Oberstes Landesgericht, Beschluss vom • 11. Februar 2020 – 201 ObOW12771/20 juris Rn. 11). Sollte der Betroffene vorliegend weiterhin keine Angaben zu seinen Einkünften machen, wird das Amtsgericht im Wege einer Schätzung das durchschnittliche Gehalt des Geschäftsführers eines Speditionsunternehmens der Größenordnung des hier in Rede stehenden Unternehmens zugrunde legen dürfen. Bewertungskriterien dürften hierbei insbesondere der Jahresumsatz, die Anzahl der Mitarbeiter und die Größe des Fuhrparks sein.

8. Das Amtsgericht hat bei der Bemessung der Geldbuße zu Lasten des Betroffenen gewürdigt, dieser sei aufgrund vergangener Bußgeldverfahren bereits sensibilisiert, obwohl sich aus den Feststellungen ’nicht ergibt, dass es gegen den Betroffenen in der Vergangenheit überhaupt weitere Bußgeldverfahren gegeben hat, welcher Vorwurf Gegenstand dieser Verfahren war und ob es zu der Festsetzung von Bußgeldern gekommen ist.“

Auf derselben Linie liegt dann die zweite Entscheidung, der OLG Hamm, Beschl. v. 19.03.2024 – III-4 ORbs 334/23, den ich daher nicht mehr vollständig einstelle.

OWi II: OLG beanstandet wortreich Schuldspruch, oder: Aufhebung nur der Rechtsfolgen? – Brett vorm Kopf

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Und dann die zweite Entscheidung, der OLG Jena, Beschl. v. 04.04.2024 – 1 ORbs 191 SsBs 9/24, der mich (auch) ein wenig ratlos zurücklässt.

Das AG hat den Betroffenen wegen fahrlässiger Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften zu einer Geldbuße verurteilt und ein Fahrverbot von 1 Monat angeordnet. Dagegen die Rechtsbeschwerde, die beim OLG – Einzelrichter – Erfolg hat. Genauer: „teilweise Erfolg hat“, denn das OLG hat „im Rechtsfolgeausspruch mit den zugehörigen Feststellungen sowie in der Kostenentscheidung aufgehoben.“

Zur Begründung bezieht es sich auf die Zuschrift der GStA, die es „einrückt“. In der heißt es:

„Die Thüringer Generalstaatsanwaltschaft hat in ihrer Zuschrift vom 30.01.2024 ebenfalls beantragt, das Urteil wegen sachlich-rechtlicher Mängel aufzuheben.

Die gemäß § 79 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 OWiG statthafte und im Übrigen zulässige Rechtsbeschwerde des Betroffenen ist begründet.

Die Thüringer Generalstaatsanwaltschaft hat in ihrer Zuschrift ausgeführt:

„1. Das angegriffene Urteil leidet zum einen an einem durchgreifenden Darstellungsmangel, weil es die Einlassung des Betroffenen nicht wiedergibt. Zwar ergibt sich aus der Verfahrensvorschrift des § 267 Abs. 1 StPO i.V.m. § 46 Abs. 1 OWiG nicht, dass das Gericht in jedem Fall verpflichtet ist, eine Beweiswürdigung im Urteil wiederzugeben, in der die Einlassung des Betroffenen mitgeteilt und diese Einlassung unter Bewertung der sonstigen Beweismittel gewürdigt wird.  Gänzlich entbehrlich ist die Wiedergabe und Auseinandersetzung mit der Einlassung grundsätzlich nur in seltenen Ausnahmefällen, die sachlich und rechtlich einfach gelagert und von geringer Bedeutung sind (Göhler, OWiG, 18. Aufl. (2021), § 71 Rn. 43 m.w.N.)

Anhand der Urteilsbegründung lässt sich nur erahnen, dass der Betroffene seine Fahrer-eigenschaft abgestritten hat. Dies folgt insbesondere aus den Ausführungen zu den Ein-schätzungen der Sachverständigen bzw. den Angaben zu einem Beweisantrag zur Einvernahme des Zeugen P. Das Urteil schweigt jedoch zu der Frage, ob der Betroffene seine Fahrereigenschaft qualifiziert oder lediglich pauschal bestritten hat. Angesichts dessen lässt sich durch das Rechtsbeschwerdegericht aber nicht beurteilen, ob der Bußgeldrichter eine (evtl.) Einlassung des Betroffenen zur Fahrereigenschaft unter Berücksichtigung der dazu ergangenen Ausführungen der Sachverständigen rechtlich zutreffend gewürdigt hat. Insbesondere bei der oftmals problematischen und daher die Einholung eines Sachverständigengutachtens erforderlich machenden Frage einer Fahreridentifizierung ist es regelmäßig für die Überprüfung der Beweiswürdigung unabdingbar mitzuteilen, ob und wenn ja, wie, sich der Betroffene eingelassen hat

Eine Wiedergabe bzw. Auseinandersetzung mit einer Einlassung des Betroffenen war schließlich schon deshalb nicht entbehrlich, weil der Betroffene wegen des Geschwindigkeitsverstoßes zu einem einmonatigen Fahrverbot verurteilt worden ist.

2. Das angegriffene Urteil leidet hinsichtlich der Feststellung der Fahrereigenschaft auch in-soweit an einem weiteren Darstellungsmangel, als sich aus dem Urteil nicht in einer für das Rechtsbeschwerdegericht hinreichend rechtlich nachprüfbarer Weise ergibt, worauf das Amtsgericht seine Überzeugung von der Fahrereigenschaft des Betroffenen zur Tatzeit stützt.

Gründet die Überzeugung des Tatrichters von der Identität des Betroffenen zum Tatzeitpunkt auf einer Lichtbildidentifizierung der Person des Betroffenen, muss auf ein bei den Akten befindliches und nicht selbst oder als Kopie in das Urteil unmittelbar aufgenommenes Messfoto bzw. Frontfoto oder Radarfoto, soll es zum Bestandteil der Urteilsurkunde werden, deutlich und zweifelsfrei nach § 267 Abs. 1 Satz 3 StPO i.V.m. § 71 Abs. 1 OWiG Bezug genommen werden, um so über die Dokumentation und Beschreibung der Art und Weise der Beweiserhebung hinaus unmissverständlich auch den Willen zur Verweisung bei Abfassung der Urteilsgründe zum Ausdruck zu bringen Notwendig und ausreichend ist vielmehr, dass der Wille zur Bezugnahme unter Berücksichtigung der Urteilsgründe in ihrer Gesamtheit eindeutig und bestimmt zum Ausdruck gebracht ist (BayObLG Beschl. v. 18.2.2021 —202 ObOWi 15/21, BeckRS 2021, 14749, Rn. 4 m.w.N.). Eine diesen Mindestanforderungen genügende Bezugnahme ist hier nicht erfolgt.

Das Tatgericht hat seine Überzeugung von der Fahrereigenschaft des Betroffenen aufgrund eines Bezugsbildes gestützt („Bild der Geschwindigkeitsmessung“), ohne freilich hier oder an anderer Stelle seines Urteils einen Hinweis auf die konkrete Fundstelle des erwähnten „Bezugsbildes“ bzw. das nach seiner Überzeugung den Betroffenen abbildende „Foto“ oder „Messfoto“ in den Gerichtsakten zu geben, wozu allerdings zumindest die Angabe einer bestimmten Blattzahl erforderlich, aber auch regelmäßig ausreichend gewesen wäre (BayObLG a.a.O. Rn. 6 m.w.N.). Das Amtsgericht hat damit auch unter Berücksichtigung der Urteilsgründe in ihrer Gesamtheit nicht in zureichender und wirksamer Weise, nämlich durch ausdrückliche und genaue Nennung der Fundstelle in den Akten -ggf. in Verbindung mit einer unmittelbar anschließenden zusätzlichen Beschreibung der als charakteristisch erachteten Merkmale der Physiognomie des Betroffenen – deutlich und zweifelsfrei erklärt, über die Beschreibung des Vorgangs der Beweiserhebung als solche hinaus auf ein bestimmtes Messfoto Bezug zu nehmen. Es hat deshalb das in den Gründen genannte Foto nicht wirksam zum Bestandteil der Gründe seines Urteils gemacht mit der Folge, dass es dem Senat wegen des Fehlens einer prozessordnungsgemäßen Bezugnahme verwehrt bleibt, die fragliche Abbildung aus eigener Anschauung zu würdigen und selbst zu beurteilen, ob diese als taugliche Grundlage einer Identifizierung in Betracht kommt.

Eine für den Fall der fehlenden Bezugnahme alternativ erforderliche Beschreibung des Frontfotos durch das Tatgericht fehlt zudem in Gänze.

Sieht der Tatrichter – wie hier – von der die Abfassung der Urteilsgründe erleichternden Verweisung auf das Beweisfoto ab, so genügt es weder, wenn er das Ergebnis seiner Überzeugungsbildung mitteilt, noch, wenn er die von ihm zur Identifizierung herangezogenen Merkmale auflistet. Vielmehr muss er dem Rechtsmittelgericht, dem das Foto dann nicht als Anschauungsobjekt zur Verfügung steht, durch eine entsprechend ausführliche Beschreibung die Prüfung ermöglichen, ob es für eine Identifizierung geeignet ist. In diesem Fall muss das Urteil Ausführungen zur Bildqualität (insbesondere zur Bildschärfe) enthalten und die abgebildete Person oder jedenfalls mehrere Identifizierungsmerkmale (in ihren charakteristischen Eigenarten) so präzise beschreiben, dass dem Rechtsmittelgericht anhand der Beschreibung in gleicher Weise wie bei Betrachtung des Fotos die Prüfung der Ergiebigkeit ermöglicht wird….

Bei der Beantwortung der Frage, ob nach diesen Grundsätzen die vom Tatgericht gegebene Beschreibung des Fahrers ausreichend ist, darf jedoch die sonstige Beweissituation nicht außer Betracht bleiben. Bestreitet der Betroffene mit näheren Ausführungen, der Fahrer gewesen zu sein, und benennt er etwa andere Personen, die als Fahrer in Betracht kommen, so kann eine eingehendere Darstellung der Beweiswürdigung – unter Umständen auch unter Berücksichtigung der Ergebnisse einer erweiterten Beweisaufnahme geboten sein. Umgekehrt kann eine Gesamtwürdigung aller Umstände – der sich aus dem Foto ergebenden Anhaltspunkte sowie weiterer Indizien, etwa der Haltereigenschaft, der Fahrtstrecke oder -zeit – auch dann zur Überführung des Beschuldigten ausreichen, wenn der Vergleich des Fotos mit dem Betroffenen für sich allein diesen Schluss nicht rechtfertigt (so Thüringer Oberlandesgericht, Beschluss vom 16. Mai 2006 —1 Ss 106/06 —, juris, Rn. 23)“

Diesen Ausführungen schließt sich der Senat vollumfänglich an. Die Beweiswürdigung ist daher in mehrfacher Hinsicht rechtsfehlerhaft. Es ist nicht ausgeschlossen, dass bei ordnungsgemäßer Beweiswürdigung eine der Betroffenen günstigere Entscheidung ergangen wäre. Damit beruht das angegriffene Urteil auf den aufgezeigten Rechtsfehlern.

Auf die weitergehend erhobene Rügen der Verteidigung kommt es nicht an.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Amtsgericht Stadtroda zurückverwiesen (§ 79 Abs. 6 OWiG).“

Es ist ja schön, dass wir das alles noch einmal lesen dürfen, was das OLG da aus anderen abegschrieben hat. Nun ja, warum auch nicht, da die Frage ja schon zig-mal entschieden sind.

Nur, was neu ist und war ich nicht verstehe:  Warum wird nur im Rechtsfolgenausspruch aufgehoben ist. Es ist doch nichts beschränkt und die Ausführungen des OLG beziehen sich allein auf den Schuldspruch. Der hätte doch aufgehoben werden müssen, zumal das OLG zu den Rechtsfolgen kein Wort verliert. Was übersehe ich? Wo und warum habe ich „ein Brett vorm Kopf“?

Ich habe dem Kollegen, der mir die Entscheidung geschickt hat, geraten, doch ganz schnell Berichtigung zu beantragen. 🙂

OWi I: Verstoß gegen das Verschlechterungsverbot, oder: Hat das AG nicht erneut die Akte angesehen?

Smiley

Und dann ein wenig aus dem OWi-Bereich, aber nichts Besonderes, sondern „Main-Stream“. Alle drei Entscheidungen behandeln verfahrensrechtliche Fragen.

Ich starte mit dem OLG Karlsruhe, Beschl. v. 28.03.2024 – 2 ORbs 350 SsBs 54/24.

Das AG hatte den Betroffenen am 20.12.2022 wegen einer fahrlässigen Geschwindigkeitsüberschreitung zu einer Geldbuße von 500 EUR verurteilt. Auf die dagegen eingelegte Rechtsbeschwerde des Betroffenen hatte das OLG Karlsruhe das Urteil mit den zugrundeliegenden Feststellungen aufgehoben und zurückverwiesen.

Mit Urteil vom 12.09.2023 verhängte das AG gegen den Betroffenen dann wegen fahrlässiger Geschwindigkeitsüberschreitung eine Geldbuße in Höhe von 200 EUR und ordnete zudem ein einmonatiges Fahrverbot nach Maßgabe des § 25 Abs. 2a StVG an. Gegen diese Entscheidung wendet sich der Betroffene erneut mit der Rechtsbeschwerde, die – zum Teil – erfolgreich war. Das OLG hat das Fahrverbot entfallen lassen:

„1. Soweit das Amtsgericht gegen den Betroffenen ein Fahrverbot verhängt hat, hat es wie der Rechtsbeschwerdeführer und die Generalstaatsanwaltschaft zutreffend darlegen – gegen das Verbot der Schlechterstellung gemäß § 79 Abs. 3 S. 1 OWiG i.V.m. § 358 Abs. 2 S. 1 StPO verstoßen (vgl. OLG Bamberg, NStZ-RR 2015, 184; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 16.07.1993 – 3 Ss 99/93-, NZV 1993, 450). Das hat der Senat von Amts wegen zu beachten, weil es sich insoweit um ein Verfahrenshindernis handelt (vgl. BGH, StV 2014, 466). Der Umstand, dass das Amtsgericht die ursprüngliche Geldbuße von 500 Euro auf 200 Euro reduziert hat, ändert hieran nichts (OLG Bamberg, a.a.O.; OLG Hamm, Beschluss vom 02.07.2007 – 3 Ss Owi 360/07 -, NZV 2007, 635).

2. Die weitergehende Rechtsbeschwerde wird aus den von der Generalstaatsanwaltschaft in ihrer Antragsschrift vom 24.01.2024 zutreffend genannten Gründen, auf die der Senat verweist, als unbegründet verworfen.

3. Zwar kann nicht ausgeschlossen werden, dass sich die rechtsfehlerhafte Verhängung des Fahrverbots wegen der Wechselwirkung zwischen Geldbuße und Fahrverbot (dazu: BGH, Beschluss vom 11.11.1970 – 4 StR 66/70 – = BGHSt 24,11) auf die Bußgeldhöhe ausgewirkt hat, was sich hier bereits an der vom Amtsgericht vorgenommenen Reduzierung der ursprünglichen Bußgeldhöhe zeigt. Das Amtsgericht wäre auch im Falle einer Zurückverweisung der Sache nicht wegen des Verschlechterungsverbots gehindert, nunmehr eine die zuletzt verhängte Geldbuße von 200 Euro übersteigende Geldbuße festzusetzen. Denn im Hinblick darauf, dass das Fahrverbot die schwerwiegendere Sanktion darstellt, wäre insoweit die Verhängung einer höheren Geldbuße anstelle des Fahrverbots als milderes Mittel nicht unzulässig (BGH, a.a.O.; OLG Bamberg, a.a.O.).

Der Senat sieht aber auf den entsprechenden Antrag der Generalstaatsanwaltschaft hin aus prozessökonomischen Gründen und im Hinblick auf den Zeitablauf seit der Tat von einer (erneuten) Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und Zurückverweisung der Sache ab und macht von der ihm nach § 79 Abs. 6 OWiG eingeräumten Möglichkeit Gebrauch, in der Sache selbst zu entscheiden. Entgegen dem Wortlaut dieser Vorschrift kann er auch dann ohne vorherige Aufhebung des angefochtenen Urteils selbst entscheiden, wenn und soweit er – wie vorliegend – der angefochtenen Entscheidung im Übrigen folgt und die vom Amtsgericht getroffenen Feststellung für eine eigene Bewertung der Rechtsfolgen ausreichend sind (vgl. BayObLG, Beschluss vom 18.07.1997 – 2 ObOWi 352/97 -, BeckRS 1997, 7105; OLG Bamberg, a.a.O.). Da es sich bei der vom Amtsgericht verhängten Geldbuße von 200 Euro um die Regelgeldbuße gemäß Nr. 11.3.6 BKat handelt, sieht der Senat keinen Anlass, hiervon nach oben oder unten abzuweichen. Trotz der vorhandenen Voreintragungen im FAER erschien eine Erhöhung der Regelgeldbuße im Hinblick darauf, dass die Tat inzwischen mehr als 1 1/2 Jahre zurückliegt und der Betroffene seither nicht mehr in Erscheinung getreten ist, nicht mehr sachgerecht.“

Ich frage mich: Hat man beim AG die Akten nicht noch einmal gelesen? Kopfschüttel…..