Archiv der Kategorie: Verkehrsrecht

OWi III: Vorgaben für standardisiertes Messverfahren?, oder: Nachweis durch Messbeamten

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Und dann zur Abrundung des Tages noch der OLG Karlsruhe, Beschl. v. 29.08.2023 – 2 ORbs 37 Ss 506/23 – zur Bedeutung des Messprotokolls für die Anwendung der Grundsätze des standardisierten Messverfahrens.

Dazu das OLG:

„Dabei kann letztlich dahingestellt bleiben, ob die zur Geltendmachung eines – aus einer angeblich fehlenden Unterzeichnung des Messprotokolls abgeleiteten – Beweisverwertungsverbots erforderliche Verfahrensrüge (BGH NStZ 2019, 171) in einer den Anforderungen der §§ 80 Abs. 3 Satz 3 OWiG, 344 Abs. 2 Satz 2 StPO genügenden Weise ausgeführt ist, wobei im Hinblick auf die erhobene Sachrüge auch die Ausführungen in den Urteilsgründen ergänzend zu berücksichtigen sind (BGH NStZ-RR 2013, 352 mw.N.). Denn die Beanstandung erweist sich ungeachtet der Frage, ob es über die geleisteten Unterschriften hinaus einer weiteren Unterzeichnung des Messprotokolls bedurft hätte, als jedenfalls unbegründet. Beim Messprotokoll handelt es sich um in einer Urkunde enthaltene Erklärungen der Verfolgungsbehörden über Ermittlungshandlungen, die keine Vernehmung zum Gegenstand haben (OLG Hamm ZfS 2014, 651). Ob die beurkundete Durchführung der Ermittlungshandlungen tatsächlich stattgefunden hat, ist eine Frage der allgemeinen Beweiswürdigung. Dies kann sich aus der Urkunde selbst, aber auch aus anderen Umständen ergeben. Vorliegend hat sich das Amtsgericht durch die Vernehmung der die maßgeblichen Untersuchungshandlungen durchführenden Beamtin von der Richtigkeit der Eintragungen im Messprotokoll überzeugt. Dies ist rechtsbeschwerderechtlich nicht zu beanstanden.“

OWi II: Einsicht in die gesamte Messreihe zur Messung, oder: Einsichtsrecht und Aussetzungsantrag

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Die zweite Entscheidung des Tages kommt dann vom OLG Köln. Sie ist schon etwas älter, ich habe sie aber erst vor kurzem übersandt bekommen.

In dem Beschluss geht es um das Einsichtsrecht des Verteidigers in die so. Messreihe. Das OLG Köln begründet im OLG Köln, Beschl. v. 30.05.2023 – 1 RBs 288/22 – eingehend, warum der Verteidiger/Betroffene ein Einsichtsrecht hat und dass die Hauptverhandlung ggf. aus Antrag auszusetzen ist, wenn das Einsichtsrecht nicht beachtet worden ist.

Wegen der Einzelheiten bitte „Selbststudium. Hier nur mein Leitsatz:

Dem Verteidiger des Betroffenen ist im Hinblick auf die Rechtsprechung des BVerfG ggf. auf Antrag die vollständige Messreihe zu einer Geschwindigkeitsmessung zur Verfügung zu 72123, BeckRS 2023, 9523).

OWi I: Einsicht in Messunterlagen zur Messung, oder: Alles muss auf den Tisch

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Und heute dann mal – seit längerem – wieder OWi-Entscheidungen. Zwei der vorgestellten OLG-Entscheidungen befassen sich (noch einmal) mit dem Einsichtsrecht des Verteidigers/Betroffenen in Messdaten und Messunterlagen. Zu diesen beiden Entscheidungen stelle ich, da sie umfangreich begründet sind, nur die Leitsätze vor.

Und schon hier der Hinweis: Beide Entscheidungen sind nicht „Mainstream“.

Ich beginne mit dem OLG Karlsruhe, Beschl. v. 22.08.2023 – 1 ORbs 34 Ss 468/23 . Dem liegt das übliche „Procedere“ zugrunde“. Der Verteidiger hat beantragt, ihm (Mess)Unterlagen zur Verfügung zu stellen. Die erhält er nicht. Nach Verurteilung des Mandanten Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde, die Erfolg hat.

Hier der Leitsatz zur Entscheidung – Rest dann bitte im Volltext lesen:

  1. Die Verwaltungsbehörde hat dem Verteidiger der Betroffenen oder einem von diesem beauftragten Sachverständigen auf seinen Antrag sämtliche auch nicht bei den Akten befindliche amtliche Messunterlagen zur Verfügung stellen, die erforderlich sind, um der Betroffenen zu ermöglichen, die Berechtigung des auf das Ergebnis eines (standardisierten) Messverfahrens gestützten Tatvorwurfs mit Hilfe eines Sachverständigen selbständig zu überprüfen.

  2. Ein Beweisverwertungsverbot für Messdaten entsteht nicht daraus, dass das verwendete Messgerät sogenannte Rohmessdaten nicht speichert.

Schadensminderungspflicht und Mietwagenkosten, oder: Waren die Mietwagenkosten unverhältnismäßig?

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Und die zweite Entscheidung kommt mit dem OLG Celle, Urt. v. 13.09.2023 – 14 U 19/23 – vom OLG Celle. Gestritten worden ist in dem Verfahren um Mietwagenkosten. Die beklagte Versicherung hatte die nach einem Verkehrsunfall als unverhältnismäßig angesehen. Das LG war dem zum Teil gefolgt. Dagegen dann die Berufung der Klägering, die beim OLG Erfolg hatte:

„1. Die Klägerin hat einen Anspruch auf Ersatz der Mietwagenkosten in Höhe von insgesamt 5.939,17 € gem. § 7 Abs. 1 StVG, § 6 AuslPflVG, § 398 BGB, § 115 Abs. 1 Nr. 1 VVG.

a) Gem. § 249 Abs. 2 BGB sind grundsätzlich die Kosten zu ersetzen, die ein verständiger, wirtschaftlich denkender Mensch in der Lage des Geschädigten zum Ausgleich des Gebrauchsentzuges seines Fahrzeuges für erforderlich halten durfte (BGH, Urteil vom 2. März 1982 – VI ZR 35/80, Rn. 9, juris). Allerdings dürfen dem Schädiger keine unverhältnismäßigen Aufwendungen auferlegt werden. Das ergibt sich aus dem Grundsatz der Schadensminderungspflicht. Die Vorschrift des § 254 Abs. 2 BGB findet im Rahmen des § 249 BGB sinngemäß, d.h. mit ihrem letztlich auf § 242 BGB zurückzuführenden Grundgedanken Anwendung (OLG Karlsruhe, Urteil vom 10. Februar 2014 – 13 U 213/11, Rn. 22, juris).

Der Unfallgeschädigte hat nach diesem Grundsatz die Pflicht, diejenigen Maßnahmen zu treffen, die nach allgemeiner Auffassung nach Treu und Glauben von einem ordentlichen Menschen getroffen werden müssen, um den Schaden von sich abzuwenden oder zu mindern, wobei für einen schuldhaften Verstoß gegen diese Pflicht bzw. diese Obliegenheit der Schädiger beweispflichtig ist (OLG Koblenz, Urteil vom 6. März 2023 – 12 U 1409/22, Rn. 6, juris).

Einen Verstoß gegen die der Geschädigten obliegende Schadensminderungspflicht konnte der Beklagte nach den Feststellungen des Landgerichts nicht beweisen. Insoweit hätte festgestellt werden müssen, dass der Geschädigten bzw. ihrem Prozessbevollmächtigten die grundsätzliche Möglichkeit einer Notreparatur und deren Wirtschaftlichkeit ggü. den anfallenden Mitwagenkosten bekannt waren und sie diese dennoch unterlassen haben. Eine derartige Behauptung hat bereits der Beklagte nicht erhoben und ist auch ansonsten nicht ersichtlich.

Unstreitig lag der Geschädigten ein Gutachten ihres Privatsachverständigen M. vom 17. August 2017 vor (Anlage K15, Bl. 82 ff), der eine Reparatur vorschlug und dafür ca. 8.247,12 € (brutto) veranschlagte. Mit Schreiben vom 28.3.2018 (Anlage K11, Bl. 44) wies er darauf hin: „Eine Notreparatur für das in Rede stehende Fahrzeug hätte einen erheblichen Aufwand erfordert und wäre unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten nicht gerechtfertigt gewesen.“ Mit einer weiteren Stellungnahme vom 30. April 2018 (Anlage K19, Bl. 112) erläuterte der Privatsachverständige seine Auffassung wie folgt: „Um das Fahrzeug mittels Notreparatur in einen verkehrssicheren sowie fahrfähigen Zustand zu versetzen, wäre ein erheblicher Eingriff in die Karosserie notwendig.“

Die Geschädigte durfte dieser plausiblen und nachvollziehbaren Einschätzung ihres Sachverständigen folgen. Darauf, welche Schadensbehebung objektiv erforderlich und möglich gewesen wäre, kommt es wegen der subjektbezogenen Schadensbetrachtung nicht an; das sog. Werkstattrisiko (hier: welche Art der Schadensbehebung, Lieferverzögerung des Ersatzteils) geht zu Lasten des Schädigers (vgl. OLG Stuttgart, Urteil vom 16. Februar 2023 – 2 U 226/21, Rn. 7, juris).

Es muss vielmehr auf die zum Zeitpunkt der Schadensbeseitigung gegebenenfalls beschränkten Erkenntnis- und Einflussmöglichkeiten des Geschädigten abgestellt werden. Diese wirken im Rahmen der sog. subjektbezogenen Schadensbetrachtung allenfalls anspruchserweiternd, nicht jedoch anspruchsverkürzend (BGH, Urteil vom 14. Mai 2019 – VI ZR 393/18, Rn. 25; BGH, Urteil vom 15. Oktober 2013 – VI ZR 528/12, Rn. 19; BGH, Urteil vom 7. Februar 2023 – VI ZR 137/22, Rn. 53, alle juris).

Es sind auch keine sonstigen Umstände ersichtlich oder von dem Beklagten behauptet, nach denen die Geschädigte Zweifel an der Unabhängigkeit oder an der Qualifikation des von ihr ausgewählten Sachverständigen hätte haben müssen.

Es kann daher dahingestellt bleiben, ob die o.g. Feststellungen des Sachverständigen in letzter Konsequenz tragen. Der vom Landgericht beauftragte Sachverständige hat insoweit – entgegen den privatgutachterlichen Feststellungen – dargelegt, dass er eine Notreparatur für möglich und wirtschaftlich erachtet hätte. Er hat in seiner persönlichen Anhörung aber auch bekundet, dass der Privatgutachter die Wirtschaftlichkeit bzw. Möglichkeit einer Notreparatur nicht hätte erkennen können, weil dieser – unterstellt – keinen Zugriff auf das VW-Bestellsystem gehabt habe. Ebenso hätte die Geschädigte als Laiin nicht die Möglichkeit einer Notreparatur erkennen können (Protokoll vom 7.11.2022, Seite 3, Bl. 273).

Soweit das Landgericht der Rechtsprechung des OLG Oldenburg gefolgt ist, nach der der Geschädigte aus einem Verkehrsunfall mit wirtschaftlichem Totalschaden die ihm obliegende Schadenminderungspflicht verletzt, wenn er das verunfallte Fahrzeug nach einer zumutbaren Notreparatur und Bestellung eines Ersatzwagens nicht weiterbenutzt, sondern einen Mietwagen anmietet (OLG Oldenburg (Oldenburg), Urteil vom 8. September 1989 – 6 U 106/89, juris, bzw. mit Entscheidungsgründen bei beck-online: OLG Oldenburg Urt. v. 8.9.1989 – 6 U 106/89, BeckRS 2008, 18830, beck-online), hält der Senat diesen Sachverhalt nicht für uneingeschränkt übertragbar.

Im dortigen Fall handelte es sich um einen wirtschaftlichen Totalschaden, es war aber unstreitig eine Notreparatur möglich, die der Geschädigte nicht hat vornehmen lassen. Der dortige Kläger stand demnach vor der Frage, ob er sein Fahrzeug notdürftig instandsetzen und bis zum Erwerb eines Ersatzfahrzeuges weiterbenutzen oder ob er ein anderes Fahrzeug mieten sollte. Bei verständiger Betrachtung hätte der dortige Kläger zu dem Ergebnis kommen müssen, dass die Mietwagenkosten gänzlich außer Verhältnis zu den Kosten einer Notreparatur stehen würden (OLG Oldenburg Urt. v. 8.9.1989 – 6 U 106/89, BeckRS 2008, 18830, beck-online).

Im hiesigen Fall war der Privatsachverständige der Geschädigten der Ansicht, eine Notreparatur sei gemessen an den anschließenden (erforderlichen) Reparaturkosten nicht wirtschaftlich. Dieser Ansicht durfte die Geschädigte folgen (s.o.). Überdies war auch unklar, wann das für die Reparatur erforderliche Seitenteil eintreffen würde (vgl. Anlage K12, Bl. 45; Anlage K8, Bl. 50). Der Prozessbevollmächtigte gibt an, der Geschädigten sei bei telefonischen Erkundigungen bei der Werkstatt mitgeteilt worden, es sei in „allernächster Zeit“ mit der Lieferung der Ersatzteile zu rechnen (Anlage K20, Bl. 114).

Eine durchgeführte Notreparatur und ein kurz darauf eintreffendes Seitenteil hätten ebenso zum Vorwurf der Schadensminderungspflichtverletzung für die Geschädigten werden können.

b) Es liegt auch kein Fall von unverhältnismäßig hohen Mietwagenkosten vor, die jeden Maßstab einer wirtschaftlich vernünftigen Schadensbehebung sprengen und den Geschädigten veranlassen müssten, einen Gebrauchtwagen als Interimsfahrzeug anzuschaffen oder sich zunächst einmal mit einer Notreparatur zufrieden zu geben (vgl. hierzu BGH, Urteil vom 2. März 1982 – VI ZR 35/80; BGH, Urteil vom 15. Oktober 1991 – VI ZR 314/90, beide juris).

So lag der Sachverhalt in einem vom OLG Karlsruhe zu entscheidendem Fall:  Mietwagenkosten bei der Anschaffung eines Neufahrzeugs von über 100.000,00 € bei einem Wiederbeschaffungswert von 9.500,-€ brutto und Reparaturkosten von 9.802,57 €. Das dortige Fahrzeug wäre mit einem geringen Kosten- und Zeitaufwand in einen verkehrssicheren Zustand zu versetzen gewesen, aufgrund dessen es in dem zu überbrückenden Zeitraum bis zur Auslieferung des Neufahrzeugs ohne Bedenken als Rettungswagen von der Klägerin hätte eingesetzt werden können (vgl. OLG Karlsruhe, Urteil vom 10. Februar 2014 – 13 U 213/11, juris).

Auch diese Rechtsprechung ist nicht vergleichbar. Zwar kann ein Vergleich von Reparaturaufwand und Wiederbeschaffungswert seine Aussagekraft für die Berechtigung der Reparatur verlieren, wenn die Mietwagenkosten bei der Reparatur in krassem Missverhältnis zu denjenigen bei einer Ersatzbeschaffung stehen (siehe BGH, Urteil vom 15. Oktober 1991 – VI ZR 314/90, juris).

Der Gesamtbetrag von Nettoreparaturkosten und Nettomietwagenkosten von insgesamt ca. 14.000,00 € liegt hier jedoch deutlich unter dem Betrag, der für eine Ersatzbeschaffung des beschädigten Fahrzeugs hätte aufgewendet werden müssen. Dieser Betrag dürfte nach einer überschlägigen Schätzung bei mindestens 30.000,00 € liegen, wobei sich die 3,5t Zuglastanforderung preiserhöhend auswirkt, wie der Senat aufgrund seiner Spezialisierung im Verkehrsunfallrecht einzuschätzen vermag.

Überdies war der Geschädigten die Möglichkeit einer Notreparatur als nicht möglich bzw. wirtschaftlich dargelegt worden (s.o.).“

Straßenverkehrsrechtliches Bußgeld-Verfahren, oder: Mit drei Sachverständigen „äußerst einfach gelagert“?

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Am Gebührenfreitag heute zunächst etwas aus Koblenz, und zwar der LG Koblenz, Beschl. v. 22.08.2023 – 6 Qs 38/23 – zu den Rahmengebühren in Verkehrsordnungswidrigkeitenverfahren.

Der Sachverhalt (wegen der Einzelheiten bitte dne Volltext lesen): Ausgangspunkt ist ein Bußgeldbescheid wegen einer Geschwindigkeitsüberschreitung außerorts um 22 km/h eine Geldbuße von 120,00 EUR festgesetzt worden, was nach Rechtskraft des Bußgeldbescheides die Eintragung eines Punktes im Fahreignungsregister zur Folge gehabt hätte. Der Verteidiger, der Kollege Gratz aus Bous, der mir den Beschluss geschickt hat, hat Einspruch eingelegt und dann „verteidigt“ und dabei  die (erforderlichen) Anträge auf Einsicht in diverse Aufzeichnungen und Unterlagen, u.a. in die Videoaufnahmen der Übersichts- und Identkameras im Originalformat, den öffentlichen Schlüsseln („Public Key“), die Statistikdatei, das Referenzvideo betreffend die Einrichtung der Messstelle, vorhandene Wartungs-. Instandsetzungs- und Eichunterlagen des Messgeräts, die „Lebensakte“, die Gebrauchsanweisung des Messgeräts. Protokolldateien der Wechselverkehrszeichenanlage, die Baumusterprüfbescheinigung, Konformitätsbescheinigung und die Konformitätserklärung gestellt. Das zieht sich hin und die Bußgeldbehörde mauert.

Im Hauptverhandlungstermin am 9.11.2022 bestreitet die Betroffene dann ihre Fahrereigenschaft. Es wird ein privat eingeholtes Sachverständigengutachten zur Messung eingeholt. Daraufhin setzte das AG das Verfahren aus und beauftragte sowohl ein anthropologisches als auch ein messtechnisches Sachverständigengutachten und beraumt einen neuen Hauptverhandlungstermin an, in dem die Betroffene dann frei gesprochen wird.

Es wird dann Auslagenerstattung geltend gemacht. Der Kollege setzt an für die Grundgebühr Nr. 5100 VV RVG 110,00 EUR, Verfahrensgebühr Nr. 5103 VV RVG 211,00 EUR, Verfahrensgebühr Nr. 5109 VV RVG 211,00 EUR, Terminsgebühr für Termin am 9.11.2022 Nr. 5110 VV RVG 280,50 EUR, Terminsgebühr für Termin am 16.2.2022 5110 VV RVG 336,00 EUR. Der Bezirksrevisor „mault“. Das AG setzt dann  wie folgt festgesetzt: Gebühr Nr. 5100 VV RVG 110,00 EUR, Verfahrensgebühr Nr. 5103 VV RVG 105,00 EUR, Verfahrensgebühr Nr. 5109 VV RVG 136,00 EUR, Terminsgebühr 5110 VV RVG (9.11.2022) 170,00 EUR und Terminsgebühr Nr. 5110 VV RVG (21.3.2023) 225,00 EUR.

Dagegen dann die sofortige Beschwerde. Die hat, was mich in Koblenz nicht überrascht, keinen Erfolg. Die allgemeinen Erwägungen des LG zu § 14 RVG lasse ich mal außen vor. Konkret zur Sache führt das LG aus:

2. In dem vorliegenden Verfahren waren die durch das Amtsgericht Bad Neuenahr-Ahrweiler festgesetzten Gebühren angemessen und haben auch den Ermessensspielraum des Verteidigers von 20 % ausreichend inkludiert.

Die auf dieser Grundlage festgesetzten Gebühren bewegen sich durchgehend weit über den Mindestsätzen. Sie tragen auch der Bedeutung der Sache für den Betroffenen hinreichend Rechnung. Dies gilt insbesondere auch mit Rücksicht darauf, dass die angesetzte Geldbuße auf 120,00 € festgesetzt worden war und damit einhergehend die Eintragung eines Punktes im Fahreignungsregister im Raum stand, weshalb die Angelegenheit bei den bestehenden Voreintragungen und im Hinblick auf mögliche Maßnahmen der Fahrerlaubnisbehörde als nicht ganz unerheblich für den Betroffenen einzustufen ist. In diesem Zusammenhang ist jedoch einschränkend zu berücksichtigen, dass gegen den Betroffenen kein Fahrverbot verhängt wurde, die unmittelbaren Folgen sich als nicht gravierend und möglicherweise berufsbeeinträchtigend darstellen. Auch dass die Regelgeldbuße gemäß § 17 OWiG i.V.m. § 3 BKatV wegen einer oder mehrerer Voreintragungen im Fahreignungsregister auf insgesamt 120,00 erhöht wurde, lässt mangels dahin-gehenden Vortrags eine finanzielle Notlage und dadurch eine gesteigerte Bedeutung für den Betroffenen nicht erkennen. Hinsichtlich der Einkommensverhältnisse des Betroffenen ergibt sich aus der Akte lediglich, dass dieser als selbstständiger Gastronom tätig ist und in geordneten wirtschaftlichen Verhältnissen lebt.

Das Amtsgericht ist bei der Festsetzung der zu erstattenden Gebühren zudem zu Recht davon ausgegangen, dass es sich um eine Angelegenheit handelt, die nach der Sach- und Rechtslage und ihrer Schwierigkeit als deutlich unter dem Durchschnitt der Bußgeldverfahren liegend anzusehen ist. Denn Maßstab für die Beurteilung der Schwierigkeit wie auch des zeitlichen Aufwands sind nicht isoliert Verkehrsordnungswidrigkeiten, sondern es ist das gesamte Spektrum an Ordnungswidrigkeiten zu berücksichtigen, die von den Gebührensätzen, die im Vergütungsverzeichnis vorgesehen sind, abgedeckt werden. Um zu spezialgesetzlichen Bußgeldtatbeständen etwa auf dem Gebiet des Umwelt-, Wirtschafts- und Steuerrechts, die einerseits erhebliche Bußgelder vorsehen, andererseits häufig mit rechtlichen Schwierigkeiten sowie umfangreicher Sachaufklärung verbunden sind, eine angemessene Relation herzustellen, können bei Verfahren wegen Verkehrsordnungswidrigkeiten daher im Regelfall nur unter den Rahmenmittelsätzen liegende Verteidigergebühren als angemessen angesehen werden (vgl. LG Koblenz, Beschluss vom 11.07.2012, 1 Qs 149/12. juris Rdnr. 8).

So liegt der Fall auch hier. Es handelte sich der Sache nach um einen äußerst einfach gelagerten Fall, in dem es um einen Geschwindigkeitsverstoß mit einem Lichtbild als Beweismittel ging. Den Einspruch hat der Verteidiger im Verfahren vor der Verwaltungsbehörde nicht begründet. Den in der Folge entstandenen Besonderheiten – es wurde ein gerichtliches Verfahren nach § 62 OWiG eingeleitet sowie ein zweiter Hauptverhandlungstermin durchgeführt, in dem ein anthropologisches Sachverständigengutachten eingeholt wurde – ist durch die Erhöhung der Mindestgebühren angemessen Rechnung getragen worden. Ansonsten kann allenfalls von einem für Verkehrsordnungswidrigkeiten durchschnittlichen Aufwand ausgegangen werden. Der Betroffene hat seine Fahrereigenschaft sowie – nach Vorlage eines Privatgutachtens – die Richtigkeit der Messung bestritten.

Darüber hinaus hat der Verteidiger wiederholt die Unvollständigkeit der zur Verfügung gestellten Messdaten und -unterlagen gerügt und die Übersendung diverser Dateien und Dokumente beantragt. Dies erfolgte zunächst jedoch ebenfalls durch pauschale Aufzählung sämtlicher ein Mess-verfahren betreffender Unterlagen. Bei der dann folgenden – auf den ersten Blick umfangreichen – Begründung des Antrags auf gerichtliche Entscheidung nach § 62 OWiG handelt es sich offen-kundig um allgemeine Textbausteine nebst beigefügten gerichtlichen Entscheidungen. Überdies ist in dem gesonderten Verfahren 2 OWi 57/22 eine eigenständige Kosten- und Auslagenentscheidung getroffen worden, sodass auch unter diesem Gesichtspunkt keine erhöhten Gebühren wegen der Einleitung eines solchen Verfahrens verlangt werden können, da sich im Falle des dortigen Obsiegens die Auslagen für den konkreten Aufwand des Verfahrens nach § 62 OWiG für die Staatskasse „doppelt“ niederschlagen würden, obgleich diese nur einmal angefallen sind.

Soweit daneben die Einarbeitung in das „neue“ Messgerät VKS 4.5 zu einem überdurchschnittlichen Aufwand geführt haben soll, so ist dies zum einen mit der überdurchschnittlichen und antragsgemäßen Festsetzung der Grundgebühr (Nr. 5100 VV RVG) von 110.00 € hinreichend berücksichtigt. da diese Gebühr gerade für die erstmalige Einarbeitung in den Rechtsfall gewährt wird. Zum anderen dürfte zweifelhaft sein, ob für den konkret vorliegenden Fall – mit welchem der Verteidiger erstmals im März 2022 befasst war – eine umfassende Einarbeitung in die Funktionsweise des neuen Messgerätes erfolgen musste. So findet sich auf der Internetpräsenz des Verteidigers ein ausführlicher Artikel mit dem Titel „Abstands- und Geschwindigkeitsmessungen mit VKS 4.5 – neue Verteidigungsansätze“. der auf den 27.01.2022 datiert und sich umfassend mit den Verteidigungsstrategien bei dem genannten Messverfahren beschäftigt.

Weiter ist zu berücksichtigen, dass die Akte zum Zeitpunkt des ersten Akteneinsichtsgesuchs am 10.03.2020 einen Umfang von 41 Seiten hatte. Zwar gibt es auch Bußgeldakten, die im Anfangs-stadium noch bei der Bußgeldstelle deutlich weniger Seiten aufweisen. Gleichwohl ist dieser Aktenumfang in Verfahren, die den Tatvorwurf einer Verkehrsordnungswidrigkeit in Form eines Geschwindigkeitsverstoßes zum Gegenstand haben, als durchschnittlich anzusehen. da oftmals -und so auch hier – zunächst Ermittlungen zur Identifizierung des verantwortlichen Betroffenen durch Ausgabe von Zeugenfragenbögen bzw. Halteranhörungen seitens der Bußgeldbehörde anzustellen sind. Der Aktenumfang bis zur Beendigung des Verfahrens stellt sich zwar als überdurchschnittlich dar. Dies resultiert jedoch insbesondere aus einer Vielzahl seitens der Verteidigung schriftlich gestellter und oftmals inhaltsgleicher oder -ähnlicher Anträge.

Neben vorstehenden Erwägungen gilt im Hinblick auf die Verfahrensgebühren Nr. 5103 und 5109 VV RVG zudem ebenfalls, dass die Höhe der Geldbuße im Bußgeldverfahren maßgebliches Kriterium für die Gebührenhöhe ist, was der Gesetzgeber hier durch die Bestimmung eines Wertrahmens zum Ausdruck gebracht hat: anderenfalls hätte es einer Gebührenstaffelung für verschiedene Geldbußen gerade nicht bedurft (LG Koblenz, Beschluss vom 15.09.2010, 4 Qs 53/10). Hier liegt die verhängte Geldbuße mit 120,00 € am untersten Rand der Staffelung (60,- bis 5.000,- €), was den Ansatz von Mittelgebühren ebenfalls nicht zwingend nahelegt. Generell ist auch hier der anzusetzende Vergleichsmaßstab nicht innerhalb verschiedener Verkehrsordnungswidrigkeiten zu suchen, sondern vielmehr im Hinblick auf die Frage, ob es sich um ein tatsächlich und rechtlich einfach gelagertes Bußgeldverfahren handelt, ein Vergleich zwischen Verkehrsordnungswidrigkeiten einerseits und spezialgesetzlichen Bußgeldtatbeständen andererseits anzustellen.

Hinsichtlich der Terminsgebühr (Nr. 5110 VV RVG) für die Termine am 09.11.2022 und am 21.02.2023 ist ebenfalls zunächst auf die vorstehenden Ausführungen zu verweisen. Die Dauer des Hauptverhandlungstermins am 21.02.2023 geht aus dem Protokoll mangels Angabe des Sitzungsendes (vgl. BI. 163) nicht hervor. Der Umstand, dass dieser Termin für Bußgeldangelegenheiten aber offenbar vergleichsweise lange andauerte und ein Zeuge sowie eine Sachverständige gehört worden sind, ist vom Amtsgericht (das sogar von zwei Sachverständigen ausgegangen ist, obwohl der Gutachter pp. im Termin offenbar nicht zu Wort kam) hinreichend berücksichtigt worden. Im Übrigen sind die in den jeweiligen Terminen durch die Unterbevollmächtigten vorgelegten ,.Einsichts- bzw. Aussetzungsanträge“ wortgleich. Der Antrag auf Aussetzung der Hauptverhandlung und auf gerichtliche Entscheidung bezieht sich in der knappen Begründung erneut auf die bereits seitens der Vereidigung zuvor dargestellte Problematik der umfassenden Ein-sicht in alle Unterlagen und Dateien der Messung, bedurfte mithin keiner erneuten Einarbeitung…..“

Wenn ich es lese, mag ich kaum glauben, dass ein LG so viel gebührenrechtlich Falsches zusammenschreiben kann. Aber leider ist das der Fall. Und leider scheint das, da das LG an verschiedenen Stellen auf eigene Rechtsprechung – andere kennt man offenbar nicht – Bezug nimmt – „herrschende Meinung“ in der Kammer zu sein.

Der Entscheidung insgesamt ist m.E. anzumerken, dass das LG mit dem Beschluss die Verteidigungsstrategie und das Verteidigungskonzept der Verteidigers abstrafen will, um nicht das Wort „Retourkutsche“ zu gebrauchen. Nur dabei übersieht es, dass der Verteidiger im Hinblick auf die Rechtsprechung des BVerfG in 2 BvR 1167/20 in straßenverkehrsrechtlichen Bußgeldverfahren nicht nur alles beanstanden darf, sondern sogar beanstanden muss, wenn es um das Messverfahren geht. Anders hat er – vor allem auch im Hinblick auf die Rechtsprechung der OLG – kaum eine Chance, die Ordnungsgemäßheit einer Messung zu beanstanden. Und das geht, wenn die Verwaltungsbehörden und zunächst wohl auch das AG „bockig“ sind, eben nur mit ggf. wortgleichen Anträgen und Textbausteinen, die ein Verteidiger ebenso wie ein AG bzw. LG zur Verfügung hat. Das kann man ihm also nicht „vorhalten.

Darüber hinaus ist auf folgende Punkte hinzuweisen: Schon der Ansatz des LG, im straßenverkehrsrechtlichen Bußgeldverfahren in der Regel von Gebühren unterhalb der Mittelgebühr auszugehen, ist falsch, wird aber leider – nicht nur vom LG Koblenz – immer wieder gewählt (vgl. zu der Problematik Burhoff/Volpert/Burhoff, RVG, Straf- und Bußgeldsachen, 6. Aufl. 2021, Vorbem. 5 VV Rn 55). Dieser gebührenrechtliche Nonsens, für den sich im RVG kein Anknüpfungspunkt findet, wird leider immer wieder vertreten. Auch spielt die Höhe der Geldbuße bei der Bemessung der Gebühr keine Rolle mehr. Der Bemessungsumstand ist durch die Einordnung der Gebühr in die jeweilige Gebührenstufe verbraucht (Burhoff/Volpert/Burhoff, RVG, a.O., Vorbem. 5 Rn 57 m.w.N.). Es besteht ein gebührenrechtliches Doppelverwertungsverbot. Für die Abweichung bleibt das LG eine nachvollziehbare Begründung schuldig.

Hinzu kommt, dass nicht ganz klar ist, von welcher Bemessungsgrundlage das LG im Nachgang zum AG überhaupt ausgeht. Man hat den Eindruck, dass man von den „Mindestgebühren“ ausgegangen ist und die dann angemessen (?) erhöht und geprüft hat, ob die Mittelgebühr angemessen ist. Das ist jedoch vollkommen falsch, denn Ausgangspunkt für die Gebührenbemessung ist (immer) die Mittelgebühr, die dann unter Berücksichtigung aller gebührenerhöhenden und –ermäßigenden Umstände zu erhöhen oder zu erniedrigen ist (vgl. nur Burhoff/Volpert/Burhoff, RVG, a.a.O., Teil A Rn 1793 ff.). Das sollte auch in Koblenz bekannt sein.

Zur Wertung der einzelnen Umstände durch das AG ist nur anzumerken, dass diese m.E. – zumindest teilweise – falsch gewichtet werden, war ersichtlich damit zusammenhängt, dass man offensichtlich die Verteidigungsstrategie „nicht mag“ und wohl abstrafen will. In dem Zusammenhang soll nur darauf hingewiesen werden, dass es sich nicht um einen „äußerst einfach gelagerten Fall“ handelt, wenn Fahrereigenschaft und Ordnungsgemäßheit der Messung im Streit sind. Das zeigt sich allein schon daran, dass im Verfahren insgesamt wohl drei Sachverständigengutachten erstattet worden sind. Man fragt sich, wenn das LG Koblenz von einem „schwierigen Verfahren“ ausgehen will.