Heute im „Kessel-Buntes“ zwei Entscheidungen aus Zivilverfahren, die aber mit Sicherheit Bezug auch zu Straf- und Bußgeldsachen haben.
Zunächst kommt hier ein AG-Urteil aus einem Schadenersatzprozess einer RSV mit einem Verteidiger. Inbesondere in Bußgeldsachen kommt es ja häufiger vor, dass Rechtsschutzversicherer Verteidigern bestimmte Sachverständige vorschlagen. Dabei handelt es ist i.d.R. um solche, die lediglich sehr niedrige Honorare für die Gutachtenerstellung vorsehen. In der Praxis sind dann deren Gutachten häufig nur eingeschränkt verwertbar und qualitativ deutlich schwächer als solche von frei beauftragten Sachverständigen. Daher folgen Verteidiger diesen „Empfehlungen“ meist nicht und beauftragen andere Sachverständige. Das führt dann nicht selten zum Streit um den Ersatz der bei den entstandenen Kosten. Mit einer solchen Konstellation hat sich das AG Zwickau im AG Zwickau, Urt. v. 30.07.2025 – 22 C 5/25 – befasst.
In dem Verfahren hat die Klägerin, eine Rechtsschutzversicherung, den Beklagten, einen Rechtsanwalt/Verteidiger, aus übergegangenem Recht ihres Versicherungsnehmers V auf Ersatz eines Kostenschadens wegen angefallener Sachverständigengebühren in Anspruch genommen. Zwischen der Klägerin und Herrn V. bestand eine Rechtsschutzversicherung. Die Klägerin hatte in einem Bußgeldverfahren, in dem V den Beklagten mit seiner Verteidigung beauftragt hatte, Deckungszusage erteilt.
Unter dem 16.12.2019 bat der Beklagte das Schadensabwicklungsunternehmen um Kostenübernahme für die Einholung eines verkehrstechnischen Sachverständigengutachtens. Am 17.12.2019 wurde Deckung für die Einholung eines solchen Gutachtens zugesagt. Zugleich erteilte man unmittelbar gegenüber dem Versicherungsnehmer die Weisung, eine Sachverständigengesellschaft mbH & Co. KG mit der Begutachtung zu beauftragen. Der Beklagte erhielt eine Abschrift dieses Schreibens unmittelbar übersandt.
Die Beauftragung eines Sachverständigen erfolgte dann nicht durch den Versicherungsnehmer, sondern unmittelbar durch den Beklagten. Dieser beauftragte in Kenntnis der an den Versicherungsnehmer gerichteten Weisung allerdings nicht die von der Klägerin genannte Firma, sondern das Ingenieurbüro F. Dieses Büro erstattete am 27.12.2019 ein Gutachten und stellte dafür eine Vergütung in Höhe von 1.947,32 EUR in Rechnung.
Die Klägerin verweigerte mit Schreiben vom 27.1.2020 aufgrund der Beauftragung eines nicht von ihr genannten Sachverständigen die Freistellung ihres Versicherungsnehmers V von der noch offenen Restforderung des Ingenieurbüros F. in Höhe von 1.447,32 EUR, sie zahlte lediglich 500,00 EUR. Der Versicherungsnehmer nahm daraufhin – vertreten durch den Beklagten – das Schadensabwicklungsunternehmen der Klägerin vor dem AG Zwickau auf Freistellung in Anspruch. Die Klage wurde abgewiesen und hiergegen durch den Beklagten für V Berufung eingelegt. Das LG Zwickau hat auf die Berufung des Versicherungsnehmers das Urteil des AG Zwickau abgeändert und das Schadensabwicklungsunternehmen zur Freistellung von weiteren 1.442,32 EUR Sachverständigenkosten verurteilt.
Nun verlangt die Klägerin Schadensersatz von dem Verteidiger wegen der Beauftragung des anderen Sachverständigen. Ohne Erfolg:
„Die Klägerin hat keinen Anspruch gegen den Beklagten gemäß §§ 675, 280 BGB, 86 VVG.
1. Ein Anspruch der Klägerin aus übergegangenem Recht besteht bereits dem Grunde nach nicht.
Die Klägerin nimmt den Beklagten aus abgetretenem Recht (§ 86 VVG) in Anspruch, sodass es für die Beurteilung eines Anspruchs auf Schadensersatz auf das Verhältnis Versicherungsnehmer und dem Beklagten ankommt.
Der Beklagte ist danach zur Überzeugung des Gerichts dem Versicherungsnehmer nicht zum Schadensersatz verpflichtet. Ein solcher Anspruch besteht nicht, da zum einen keine Pflicht-verletzung des Beklagten gegen seine Beratungs- und Aufklärungspflichten gegenüber dem Versicherungsnehmer vorliegt (a.) und dem Versicherungsnehmer jedenfalls kein Schaden entstanden ist (b.).
a) Umfang und Inhalt der vertraglichen Pflichten des Rechtsanwalts richten sich nach dem jeweiligen Mandat und den Umständen des Einzelfalles. In diesen Grenzen ist der Rechtsanwalt zu einer umfassenden und möglichst erschöpfenden Belehrung des Auftraggebers verpflichtet. Er muss den Auftragsgeber die Entscheidungsgrundlagen mitteilen, nicht erforderlich ist eine umfassende rechtliche Analyse. Er muss ihn vor Irrtümer bewahren und der Rechtsanwalt hat dem Mandanten diejenigen Schritte anzuraten, die zum erstrebten Ziel führen sowie den Eintritt von Nachteilen oder Schäden zu verhindern, die voraussehbar und vermeidbar sind. Dazu hat er den Mandanten über die möglichen Risiken aufzuklären und im Interesse des Mandanten den sichersten Weg zu wählen (Grüneberg in: Grüneberg BGB, § 280 Rn. 66 ff.).
Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze liegt keine Pflichtverletzung durch den Beklagten vor. Eine solche ergibt sich zum einen nicht aus der anderweitigen Beauftragung des Ingenieurbüros pp. entgegen der erteilten Weisung der Klägerin im Schreiben vom 17.12.2019. Der Beklagte hat zwar unstreitig bewusst entgegen der mit Schreiben vom 17.12.2019 erteilten Weisung einen anderen Sachverständigen beauftragt. Diese Weisung war jedoch unwirksam. Nach § 82 Abs. 2 VVG hat der Versicherungsnehmer Weisungen des Versicherers, soweit für ihn zumutbar, zu befolgen sowie Weisungen einzuholen, wenn die Umstände dies gestatten.
In der Weisung im Schreiben vom 17.12.2019 kann zur Überzeugung des Gerichts jedoch keine Weisung gesehen werden, welche den Zumutbarkeitskriterien entspricht. Die Vorgabe eines konkreten Sachverständigen zur Einholung eines außergerichtlichen Gutachtens im Versicherungsfall, wie hier der pp. Sachverständigengesellschaft mbH & Co. KG, benachteiligt den Versicherungsnehmer unangemessen (Amtsgericht Paderborn, Urteil vom 16.06.2023, Az.: 51 C 175/22). Es handelt sich dabei um eine unzulässige Einschränkung der Verteidigungsmöglichkeiten des Versicherungsnehmers, wenn diesem die Beauftragung eines konkreten Sachverständigen vorgegeben wird, ohne auch die Möglichkeit zu eröffnen, einen anderen Sachverständigen mit der Erstattung eines Gutachtens zu beauftragen. Grund hierfür ist, dass Sachverständige sich hinsichtlich Qualität und Brauchbarkeit der von ihnen erstatteten Gutachten unterscheiden. Welcher Sachverständige für das in Rede stehende Verfahren ein brauchbares Gutachten erstellt und damit die effektivsten Verteidigungsmöglichkeiten bietet, kann dabei ausschließlich der Versicherungsnehmer als Betroffener beziehungsweise der Verteidiger bewerten. Vorliegend führt der Beklagte plausibel an, dass er unter Berücksichtigung einer effektiven Rechtsverfolgung seine Bedenken gegen den angewiesenen Sachverständigen geäußert hat und zur ordnungsgemäßen Bearbeitung des Mandats, nachdem kein sachlicher Grund für die Auswahl durch die Klägerseite erklärt wurde, das Ingenieurbüro pp. beauftragt hat.
Aus dem Schreiben vom 17.12.2019 ist auch kein vernünftiger Grund dafür ersichtlich, dass der Versicherungsnehmer ausschließlich die pp. Sachverständigengesellschaft mbH & Co. KG mit der Erstattung eines Gutachtens hätte beauftragen müssen. Es hätte für den Fall, dass die Beauftragung der pp. Sachverständigengesellschaft mbH & Co. KG geringere Kosten zum Beispiel aufgrund einer Kostenvereinbarung hervorgerufen hätte, ein entsprechender Kostenrahmen in dem Schreiben offengelegt und im Rahmen der Weisung auf die entsprechende kostengünstigere Möglichkeit hingewiesen werden müssen. Eine solche offene Weisung ist nicht ersichtlich. Die Klägerin verweist in dem Schreiben vom 17.12.2019 allein auf den Sachverständigen ohne konkrete Begründung. Auch auf Nachfrage des Beklagten mit Schreiben vom 06.01.2020 (Anlage B 3) hat die Klägerseite keine Gründe für die Vorgabe des konkreten Sachverständigen genannt.
Auch die Beratung des Beklagten nach dem Schreiben vom 17.12.2019 und Schreiben vom 17.01.2020 (Anlage B 4), dass der Versicherungsnehmer seine Kosten auch bei Beauftragung eines anderen Sachverständigen erstattet erhält, stellt keine Pflichtverletzung gegenüber dem Versicherungsnehmer als Mandanten dar. Schlussendlich war die Beratung korrekt, da der Versicherungsnehmer durch gerichtliche Feststellung des Landgerichts Zwickau vom 24.03.2022, Az.: 6 S 91/21 die Erstattung/Freistellung von Kosten des vom Beklagten beauftragten Sachverständigen zugesprochen bekam, entsprechend der Beratung des Beklagten gegenüber dem Versicherungsnehmer der Klägerin, über eine Summe von 500,00 EUR hinaus.
Ein Blick auf § 5 Abs. 1 f. aa) ARB lässt keine anderweitige Beurteilung zu. Diese sind unstreitig Vertragsgegenstand. Die Klägerseite hat in dem Schreiben vom 17.12.2019 ausdrücklich auf die zwischen den Parteien bestehenden allgemeinen Versicherungsbedingungen hingewiesen. Aus diesen ergibt sich, dass die übliche Vergütung eines öffentlich bestellten technischen Sachverständigen oder einer rechtsfähigen technischen Sachverständigenorganisation in Fällen der Verteidigung in verkehrsrechtlichen Straf- und Ordnungswidrigkeitenverfahren erstattet wird. Ausweislich der zur Akte gereichten landgerichtlichen Entscheidung vom 24.03.2022, Az.: 6 S 91/21 ist die Vergütung des tatsächlich durch den Beklagten beauftragten, öffentlich bestellten Sachverständigen als üblich und deshalb erstattungsfähig anzusehen.
b) Indem der Versicherungsnehmer der Klägerin schlussendlich auch die aus Sicht der Klägerin überhöhten Kosten für das Ingenieurbüro pp. von der Klägerin erstattet bekommen hat, liegt jedenfalls keine unfreiwillige Vermögenseinbuße des Versicherungsnehmers durch die Beauftragung des Ingenieurbüros pp. statt der pp. Sachverständigengesellschaft mbH & Co. KG und daraus entstandene (Mehr-)Kosten vor. Die Klägerin klagt aus übergegangenem Recht des Versicherungsnehmers, weshalb es auf dessen Rechtspositionen und -güter ankommt und nicht auf diese der Klägerin. Es überzeugt nicht, dass die Klägerin aus übergegangenem Recht des Versicherungsnehmers klagt, welcher die Kosten vollumfänglich erstattet bekam, jedoch mit Mehrkosten als Schaden argumentiert, welche allein in der Sphäre der Klägerin angefallen sind. Dem Versicherungsnehmer sind keine Mehrkosten durch die Beauftragung des Sachverständigen durch den Beklagten entgegen der klägerischen Weisung entstanden, da die Klägerin vollumfänglich einstandspflichtig war.
2. Jedenfalls ist ein Anspruch auf Schadensersatz des Versicherungsnehmers gegen den Beklagten nicht durchsetzbar, da er mit Ablauf des 31.12.2023 verjährt ist. ….“
Eine „schöne“ Entscheidung, mit der mal wieder (ähnlich das zitierte AG Paderborn, Urt. v. 16.6.2023 – 51 C 175/22) mit deutlichen Worten die vielfach anzutreffende Praxis der Rechtsschutzversicherungen, dem Versicherungsnehmer einen kostengünstigen Sachverständigen „aufzudrängen“ als unzulässig gerügt wird. Im Übrigen muss man darüber hinaus auch erst mal auf die Idee kommen, nach einem Unterliegen im Freistellungprozess dann den Verteidiger auf Schadensersatz in Anspruch nehmen zu wollen. Man fragt sich, was sich manche Rechtsschutzversicherungen denken.



