Schlagwort-Archive: Rechtsmissbrauch

Rechtsmissbrauch ==> Unzulässiges Rechtsmittel, oder: Nach 409 Vorgängen in fünf Jahren: Wir sind es leid

© rdnzl – Fotolia.com

Zum Rechtsmissbrauch bei Rechtsmitteln/Eingaben liest man m.E. wenig. Die Gerichte sind mit dem scharfen Schwert – die Annahme von Rechtsmissbrauch führt nämlich zur Unzulässigkeit des Rechtsmittels/der Eingabe – sehr vorsichtig. Denn man bewegt sich da im Anwendungsbereich des Art. 19 Abs. 4 GG. Aber irgendwann ist dann doch Schluss und es wird Rechtsmissbrauch und damit dann die Unzulässigkeit eines Rechtsmittel festgestellt.

Und einen solchen Beschluss stelle ich dann heute mit dem OLG Zweibrücken, Beschl. v. 16.03.2021 – 1 Ws 367/19 – vor. Da ist dem OLG ersichtlich der „sprichwörtliche Draht aus der Mütze gesprungen“ und das OLG sagt: Wenn es „seit 2016 409 Vorgänge (168 familienrechtliche, 206 strafrechtliche und 35 verwaltungsrechtliche) mit den Eingaben des Antragstellers“ gibt, heißt es: Irgendwann ist Schluss, oder: Genug ist genug und die jetzt noch gestellten Anträge des Antragstellers wegen Rechtsmissbrauch als unzulässig abgelehnt:

„Grundsätzlich garantiert Artikel 19 Abs. 4 GG jedem, der durch die öffentliche Gewalt in seinen Rechten verletzt wird, einen offenstehenden Rechtsweg. Dieser Gewährleistung liegt der rechtsstaatliche Gedanke einer allgemeinen und lückenlosen gerichtlichen Sicherung gegen Maßnahmen von Trägern der öffentlichen Gewalt im Bereich der individuellen Rechte zu Grunde (vgl. BVerfG, stattgebender Kammerbeschluss vom 21. August 2001 – 2 BvR 282/20, juris Rn. 9). Diese Rechtsweggarantie gilt allerdings nur im Rahmen der jeweiligen Prozessordnung. Es ist insoweit in der höchstrichterlichen Rechtsprechung und der Literatur anerkannt, dass ein Rechtsmittel als rechtsmissbräuchlich und somit unzulässig zurückgewiesen werden kann, wenn der Missbrauch der einzige Zweck des Rechtsmittels ist (vgl. BVerfG, stattgebender Kammerbeschluss vom 21. August 2001 – 2 BvR 282/20, juris Rn. 11; BGH, Urteil vom 7. November 1991 – 4 StR 252/91, juris Rn 37; Urteil vom 11. August 2006 – 3 StR 284/05, juris Rn 16; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 13. September 2019 – I-3 VA 6/19, juris; OLG Rostock, Beschluss vom 9. Februar 2005 – 2 Ss (OWi) 14/05 I 25/05, juris; Meyer/Goßner, StPO, 63. Aufl. 2020, Vor § 33 Rn 10 f; KK-StPO, 8. Aufl. 2019, § 171 Rn 7; BeckOK StPO/Gorf, 38. Edition, 2020, StPO § 171 Rn 7 BT-Drucksache 18/4621, Änderung des § 171 StPO, Seite 26). Ein Rechtsmittel ist dann als rechtsmissbräuchlich einzustufen, wenn der Rechtsmittelführer die ihm eingeräumten prozessualen Möglichkeiten nicht zur Wahrung seiner Belange, sondern gezielt zu verfahrensfremden und verfahrenswidrigen Zwecken einsetzt etwa um den Antragsgegner zu schädigen oder das Gericht zu belästigen. Ein sachliches, von der eingeräumten prozessualen Befugnis gedecktes Anliegen wird dann nicht mehr verfolgt (vgl. BVerfG, stattgebender Kammerbeschluss vom 21. August 2001 – 2 BvR 282/20, juris Rn. 15; BGH, Urteil vom 7. November 1991 – 4 StR 252/91, juris Rn 37; Urteil vom 11. August 2006 – 3 StR 284/05, juris Rn 17; OLG Stuttgart, Beschluss von 15. März 2002 – 1 Ws 41/02, juris Rn 3; OLG Rostock, Beschluss vom 09. Februar 2005 – 2 Ss (OWi) 14/05 I 25/05, juris OLG Karlsruhe, Beschluss vom 12. April 2018 – 2 VAs 25/18; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 13. September 2019 – I-3 VA 6/19, juris BT- Drucksache 18/4621, Änderung des § 171 StPO, Seite 26). Neben dem Verhalten des Rechtsmittelführers im konkreten Verfahren kann auch eine Gesamtbetrachtung seines bisherigen Verhaltens gegenüber der Justiz bei der Beurteilung, ob ein rechtsmissbräuchliches Verhalten vorliegt, herangezogen werden (vgl. BVerfG, stattgebender Kammerbeschluss vom 21. August 2001 – 2 BvR 282/20, juris Rn. 15).

Vorliegend ist ein solcher Rechtsmissbrauch zweifellos zu bejahen. Der Antragsteller überzieht die Justiz seit Jahren mit einer Vielzahl an familiengerichtlicher und strafrechtlicher Verfahren. Ausgangspunkt war eine familiengerichtliche Streitigkeit mit seiner früheren Ehefrau bezüglich der Scheidung und des Sorge- und Umgangsrechts für den gemeinsamen Sohn, deren Ergebnis nicht den Vorstellungen des Antragstellers entsprach.

Im Anschluss kam es zu mehreren Verfahren nach dem Gewaltschutzgesetz, die die Kindsmutter gegen ihn beantragt hatte, und zu Verurteilungen des Antragstellers wegen diesbezüglichen Verstößen. Bereits zu Beginn wurde nahezu jede Entscheidung der Gerichte – und später auch der Staatsanwaltschaften – vom Antragsteller angefochten und nach Abschluss der Rechtsmittelinstanz Gehörsrügen und Gegenvorstellungen erhoben. An die gerichtlichen Verfahren knüpften sich regelmäßig neue Strafanzeigen gegen die verfahrensbeteiligten Personen (Antragsgegner, Zeugen, Rechtsbeistände, Richter etc.) an, die im Falle einer Einstellung des Verfahrens wiederum zu Kettenanzeigen der mit dem Vorgang befassten Dezernenten der Staatsanwaltschaften und der Generalstaatsanwaltschaft führten. Hierbei schöpfte der Antragsteller gewöhnlich den vollen Rechtsweg aus. Darüber hinaus lehnte er schematisch und durch alle Rechtsinstanzen hindurch die mit seinen Verfahren befassten Richter wegen der Besorgnis der Befangenheit ab – oft ohne nähere Begründung und selbst dann, wenn ihm die Gerichtsbesetzung nicht bekannt war -, und rügte die gerichtliche Besetzung, mehrfach verbunden mit Anträgen, Einsicht in die gerichtsinternen Geschäftsverteilungspläne der letzten Jahre nehmen zu dürfen. Auch hier führte eine Ablehnung seines Ansinnens wiederkehrend zu neuen Befangenheitsanträgen, Dienstaufsichtsbeschwerden und Strafanzeigen gegen die entscheidenden Gerichtspersonen. Die Folge war ein schier unendlicher Kreislauf, den keine der erfolgten gerichtlichen Bescheidungen durchbrechen konnte, da jede Entscheidung eine Flut neuer Anträge und Anzeigen nach sich zog und ähnlich einem Schneeballsystem zu einer Ausuferung der Verfahren führte. Die dargestellte Vorgehensweise beschränkte sich auch nicht nur auf Vorgänge beim Pfälzische Oberlandesgericht, sondern wurde vom Antragsteller bei allen Gerichten von den Amtsgerichten bis zum Bundesgerichtshof in einer Vielzahl von Fällen praktiziert. Allein beim Pfälzischen Oberlandesgericht Zweibrücken befassen sich seit 2016 409 Vorgänge (168 familienrechtliche, 206 strafrechtliche und 35 verwaltungsrechtliche) mit den Eingaben des Antragstellers, wobei diese oftmals eine Vielzahl an Entscheidungen beinhalteten. Hierbei entfernten sich die Verfahren zunehmend von ihrem ursprünglichen Belang, aber auch von einem sachlichen Kern. Aus den Schriftsätzen und den über Internetplattformen wie Youtube und Facebook verbreiteten Äußerungen des Antragstellers lässt sich deutlich entnehmen, dass dieser sich inzwischen als Opfer einer behördenübergreifenden, justiziellen Verschwörung sieht. Justizpersonen, die seinen Anträgen nicht stattgeben, unterstellt er willkürliche, sachfremde oder generell väterfeindliche Motive. Er sieht sich einer ihm negativ gesinnten, aus „verfassungsfeindlichen Freisler-Juristen“ bestehenden Unrechtsjustiz gegenüber, die ihn gezielt verfolgt, ihm schaden und ihn letztlich zum Schweigen bringen will, und die er mit allen ihm zur Verfügung stehenden Mitteln bekämpfen muss. Hierbei ist der Antragsteller inzwischen derart in seinem Verfolgungs- und Verschwörungsideen verhaftet, dass er schon bei einfachen prozessualen Handlungen der angerufenen Gerichte reflexartig und ohne jegliche Auseinandersetzung mit der Sache mit neuen Befangenheitsanträgen oder Strafanzeigen reagiert.

Zuletzt führten bereits gewöhnliche und gesetzlich vorgeschriebene Handlungen des Senatsvorsitzenden wie die Gewährung rechtlichen Gehörs oder die Zustellung von Stellungnahmen zu neuen Befangenheitsanträgen gegen den verfügenden Richter. Eine sachliche Auseinandersetzung mit den staatsanwaltschaftlichen und gerichtlichen Argumenten findet nicht mehr statt, stattdessen überhäuft der Antragsteller die Justiz automatisch und unreflektiert mit immer weiteren Anträgen und Beschwerden, größtenteils durch wortidentische Schriftsätze aus anderen Verfahren und ohne eine auf die Sache bezogene, konkrete Begründung. Ein von seinen prozessualen Rechten gedecktes Anliegen in der Sache selbst ist hierbei nicht mehr ersichtlich. Die Schriftsätze verfolgen offenkundig den alleinigen Zweck, als Vergeltung für die vom Antragsteller als Unrecht empfundene früheren Gerichtsentscheidungen die Justiz unnötig zu beschäftigen, Kosten zu erzeugen und den Abschluss der Verfahren zu verhindern. Soweit der Antragsteller sich wiederkehrend auf eine Verfahrensunfähigkeit seiner Person beruft und die Aussetzung der Verfahren begehrt, war dem nicht mehr weiter nachzugehen. Anhaltspunkte für eine solche ergeben sich weder aus dem wiederholt vorgelegten Attest des Z vom 24. Oktober 2019, noch aus dem forensisch-psychiatrischen Gutachten von C vom 16. April 2019, das dieser im Auftrag des 6. Zivilsenats erstattet hat. Das Verhalten und die weiteren Eingaben des Antragstellers geben auch keinen Hinweis darauf, dass sich sein geistiger Gesundheitszustand seitdem verschlechtert haben könnte. Dagegen spricht insbesondere, dass der Antragsteller zuletzt selbst wieder schriftlich gegenüber den Justizbehörden tätig wurde und nicht (vorgeblich) dritte Personen mit der Abfassung von Schriftsätzen beauftragte. Es drängt sich vielmehr der nachhaltige Eindruck auf, dass der Antragsteller auch mit diesem Vortrag nur die Behinderung des Verfahrensfortgangs sowie die unnötige Beschäftigung der Justiz beabsichtigt. Insoweit waren die Anträge des Antragstellers insgesamt wegen Rechtsmissbrauch als unzulässig abzulehnen.

Der Antragsteller wird darauf hingewiesen, dass eventuell eingehende weitere Schreiben in den Verfahren, die Gegenstand dieses Beschlusses sind, zwar inhaltlich überprüft werden, aber seitens des Senats keine Reaktion mehr erfolgen wird, soweit sich daraus keine neuen rechtlichen oder tatsächlich bedeutsamen Umstände ergeben. Ein Gericht muss es nicht hinnehmen, durch sinnlose Inanspruchnahme seiner Arbeitskapazität bei der Erfüllung seiner Aufgaben behindert zu werden, so dass anderen Rechtssuchenden nur verzögert Rechtsschutz gewährt werden kann (vgl. BGH, Beschluss vom 7. Februar 2017 – 5 AR (VS 4/17); Beschluss vom 11. Mai 2017 – 2 ARs 290/16; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 12. April 2018 – 2 VAs 25/18, unter Hinweis auf BVerfG, Beschlüsse vom 23. Februar 2016 – 2 BvR 63/16 und 2 BvR 60/16 – und vom 29. Juni 2010 – 1 BvR 2358/08).“

Das enthebt das OLG nun, wie es richtig schreibt, nicht von der inhaltlichen Prüfung, aber im Zweifel wird es keinen weiteren Beschluss mehr geben, es sei denn es kommt etwas Neues.

StPO III: Dreimal Vollmacht, oder: Einmal Vertretung, zweimal Rechtsmittelrücknahme

© artefacti – Fotolia.com

Und im dritten Posting des Tages dann dreimal Vollmacht. Bei allen drei Entscheidungen reicht m.E. der Leitsatz, und zwar:

BayObLG, Beschl. v. 01.02.2021 – 202 StRR 4/21

  1. Die nachträgliche Beschränkung einer Berufung auf den Rechtsfolgenausspruch stellt eine Teilrücknahme des Rechtsmittels dar, für die der Verteidiger einer ausdrücklichen Ermächtigung des Angeklagten nach § 302 Abs. 2 StPO bedarf.

  2. Der Nachweis, dass eine ausdrückliche Ermächtigung im Sinne des § 302 Abs. 2 StPO im Zeitpunkt der Erklärung der Rechtsmittelbeschränkung vorgelegen hat, kann auch nachträglich erfolgen.

OLG Stuttgart, Beschl. v. 14.12.2020 – 7 Rb 24 Ss 986/20

  1. Bei Beurteilung der Frage, ob eine besondere Ermächtigung i.S.d. § 302 Abs. 2 StPO vorliegt, sind der zeitliche Zusammenhang zwischen Vollmachtserteilung und Hauptverhandlung sowie Erklärungen des Verteidigers im Lauf des Verfahrens in und außerhalb von Hauptverhandlungen heranzuziehen.

  2. Die Gesamtbeurteilung dieser Umstände kann zudem ergeben, dass die erst zu einem späten Zeitpunkt erfolgende Berufung auf eine angeblich fehlende Ermächtigung rechtsmissbräuchlich ist.

OLG Jena, Beschl. v. 2.2.2021 – 1 OLG 331 Ss 83/20

Die Vollmacht zur Vertretung des in der Berufungshauptverhandlung ausgebliebenen Angeklagten muss sich nicht ausdrücklich auch „auf die Abwesenheitsvertretung in der Berufungshauptverhandlung“ oder gar auf eine bestimmt bezeichnete Berufungshauptverhandlung beziehen. Ausreichend als Grundlage für eine Abwesenheitsvertretung ist regelmäßig die (praxisübliche) Formulierung „zu verteidigen und zu vertreten“, und zwar auch dann, wenn sie bereits in der allgemeinen Verteidigervollmacht enthalten ist.

Vollmacht III: „ich hatte doch keine Ermächtigung zur Beschränkung … „… oder: Rechtsmissbrauch?

© sharpi1980 – Fotolia.com

Und als dritte und letzte Entscheidung dann noch einmal etwas aus dem Bußgeldverfahren, nämlich den OLG Stuttgart, Beschl. v. 14.12.2020 – 7 Rb 24 Ss 986/20 – zur Ermächtigung betreffend die nachträgliche Beschränkung des Einspruchs gegen den Bußgeldbescheid.

Der Verteidiger hat im ersten Hauptverhandlungstermin am 15.10.2019 vor dem AG die Beschränkung des Einspruchs auf den Rechtsfolgenausspruch erklärt; der Betroffene war antragsgemäß von der Pflicht zum persönlichen Erscheinen entbunden worden. Nach Vertagung der Hauptverhandlung, mehrmaliger Aufhebung von Hauptverhandlungsterminen und Anregungen des Verteidigers gegenüber dem AG, im Beschlusswege ohne Hauptverhandlung und ohne ausführliche Begründung zu entscheiden, verurteilte das AG den wiederum antragsgemäß von der Pflicht zum persönlichen Erscheinen entbundenen Betroffenen dann am 16.06.2020 zu der Geldbuße von 500,- € und verhängte gegen ihn ein Fahrverbot von einem Monat. Der Verteidiger hatte in diesem Termin erklärt, dass der Tatvorwurf vollumfänglich eingeräumt werde und es nur „um die Rechtsfolgen“ gehe; das AG hielt im Protokoll fest, dass die Beschränkung des Einspruchs auf die Rechtsfolgen bereits im Hauptverhandlungstermin vom 15.10.2019 erklärt worden sei.

Dagegen dann die Rechtsbeschwerde, mit der der Verteidiger die festgesetzten Rechtsfolgen beanstandet. Erstmals in seiner Gegenerklärung zur Stellungnahme der Generalstaatsanwaltschaft rügte er dann die Wirksamkeit der Beschränkung des Einspruchs. Diese habe er ohne die gemäß § 67 Abs. 1 S. 2 OWiG, § 302 Abs. 2 StPO erforderliche „ausdrückliche Ermächtigung“ des Betroffenen erklärt; daher treffe das Urteil keine ausreichenden Feststellungen.

Das macht das OLG nicht mit:

„2. Das Amtsgericht ist zu Recht von einer wirksamen Beschränkung des Einspruchs nach § 67 Abs. 2 OWiG ausgegangen mit der Folge, dass der Bußgeldbescheid im Schuldspruch in Rechtskraft erwachsen ist. Die beschränkte Einlegung des Einspruchs führt zu einer Bindungswirkung hinsichtlich der nicht angegriffenen Teile des Bußgeldbescheides; das Gericht darf diese Teile nicht überprüfen (vgl. KK-OWiG/Ellbogen, 5. Aufl., § 67 Rn. 58).

Im Einzelnen:

a) Die nachträgliche Beschränkung – wie hier auf den Rechtfolgenausspruch – des zunächst unbeschränkt eingelegten Einspruchs ist als teilweise Zurücknahme des Rechtsbehelfs gemäß § 67 Abs. 1 S. 2 OWiG i.V.m. § 302 Abs. 2 StPO zu beurteilen (vgl. OLG Bamberg, a.a.O., Rn. 6 ; KG Berlin, Beschluss vom 19. Februar 1999 – 2 Ss 419/985 Ws (B) 717/98 – juris Rn. 6).

Daher bedarf der Verteidiger für die vor oder in der Hauptverhandlung erklärte nachträgliche Beschränkung gemäß § 302 Abs. 2 StPO einer „ausdrücklichen Ermächtigung“ des Betroffenen. Diese ist indes an keine Form gebunden und kann auch mündlich erteilt werden; für ihren Nachweis genügt die anwaltliche Versicherung des Verteidigers (vgl. BGH, Beschluss vom 6. Dezember 2016 – 4 StR 558/16 – juris Rn. 5). Sie kann ferner aus den sonstigen Umständen ersichtlich sein (OLG Karlsruhe, Beschluss vom 8. Oktober 2015 – 2 (7) SsBs 467/15 – juris Rn. 22).

b) Auf die umstrittene Frage, ob die „ausdrückliche Ermächtigung“ zur Zurücknahme eines Rechtsmittels dem Verteidiger auch im Voraus, etwa im Rahmen des (allgemeinen) Vollmachtformulars, erteilt werden kann, und damit bereits zu einem Zeitpunkt, in dem der Inhalt der Entscheidung möglicherweise noch unbekannt und das Bedürfnis einer Anfechtung der Entscheidung noch unklar ist (so OLG Hamm, Entscheidung vom 17. Mai 2005 – 1 Ss 62/05 -, juris Rn. 13 m.w.N. zur früher vorherrschenden Rechtsprechung; Seitz/Bauer in Göhler, OWiG, 17. Aufl., § 67 Rn. 36; KK-OWiG/Ellbogen, § 67 Rn. 99), oder ob diese Ermächtigung angesichts der Tragweite der Erklärung erst erteilt werden kann, wenn feststeht, um welche konkrete Entscheidung es sich handelt und auf welches Rechtsmittel sich die Ermächtigung zur Rücknahme oder zum Verzicht konkret bezieht (so die mittlerweile vorherrschende Meinung, vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 63. Aufl., § 302 Rn. 32; OLG Bamberg, Beschluss vom 3. April 2018 – 3 Ss OWi 330/18 – juris Rn. 7; KG Berlin, a.a.O., Rn. 6) kommt es hier nicht an. Denn die erforderliche, bereits zum Zeitpunkt der Einspruchsbeschränkung erteilte ausdrückliche Ermächtigung ergibt sich aus der in den Akten befindlichen Vollmachtsurkunde und den Erklärungen des Verteidigers.

c) Die Anforderungen an den Nachweis einer Ermächtigung i.S.d. § 302 Abs. 2 StPO dürfen nicht überspannt werden. Bei Beurteilung der Frage, ob eine „besondere Ermächtigung“ vorliegt, können ein zeitlicher Zusammenhang zwischen Vollmachtserteilung und Hauptverhandlung sowie Erklärungen des Verteidigers im Lauf des Verfahrens in und außerhalb von Hauptverhandlungen herangezogen werden.

Der Verteidiger hat – erst – am 14. Oktober 2019 eine auf den 10. Oktober 2019 datierte und vom Betroffenen unterschriebene Vollmachtsurkunde übersandt. Diese wurde somit vom Betroffenen kurz vor dem ersten Hauptverhandlungstermin bzw. deutlich nach Erlass des Bußgeldbescheides vom 16. April 2019 und nach dem durch den Verteidiger zunächst unbeschränkt eingelegten Einspruch vom 2. Mai 2019 erteilt, dem der Verteidiger noch keine Vollmacht beigefügt hatte. Die Vollmachtsurkunde enthält ausdrücklich die „besondere Befugnis“ zur Einlegung und – auch teilweisen – Rücknahme von Rechtsmitteln. Unter „Rechtsmittel“ ist hierbei auch der Einspruch gemäß § 67 OWiG als „Rechtsbehelf eigener Art“ (vgl. nur Seitz/Bauer, a.a.O., Vor § 67 Rn. 1) zu fassen.

Der Senat geht mit Blick darauf, dass zwischen der Erteilung der Vollmacht und dem ersten Hauptverhandlungstermin nur fünf Tage lagen und der Verteidiger in diesem Termin vor Eintritt in die Beweisaufnahme die Beschränkung des Einspruchs auf die Rechtsfolgen erklärte, davon aus, dass sich die Vollmachtserteilung nur auf den gegenständlichen Bußgeldbescheid, den konkreten Rechtsbehelf des Einspruchs und dessen Beschränkung bezogen haben kann. Eine im Sinne der zitierten vorherrschenden Rechtsauffassung lediglich im Voraus „allgemein erteilte Ermächtigung“ lag nicht vor. Schon angesichts der Umstände und namentlich des dargelegten zeitlichen Zusammenhangs ist der vorliegende Fall anders gelagert als die den vom Verteidiger angeführten Entscheidungen zugrundeliegenden Sachverhalte, in denen etwa ein Unterbevollmächtigter die Einspruchsbeschränkung erklärt oder die Vollmacht bereits vor Erlass des Bußgeldbescheides bzw. lange vor Einlegung der Revision bei der allgemeinen Übernahme des Mandats erteilt worden war.

Hinzu kommt ein klares, aus den in und außerhalb der Hauptverhandlungen abgegebenen Erklärungen des Verteidigers entstandenes Gesamtbild. So hat dieser nicht nur – hier sogar wiederholt – die Beschränkung des Einspruchs erklärt, sondern für den vom persönlichen Erscheinen entbundenen Betroffenen auch damit korrespondierende Erklärungen zur Sache wie das vollumfängliche Einräumen des Sachverhalts abgegeben. Zudem hat der Verteidiger betont, es gehe nur um die Rechtsfolgen, und wiederholt mitgeteilt, eine Hauptverhandlung sei entbehrlich und die Entscheidung im Beschlusswege sowie die Aufhebung eines angesetzten Termins angeregt. Dafür, dass all dies ohne entsprechende Bevollmächtigung oder gar gegen den Willen des Betroffenen geschehen sein könnte, fehlt jeder Anhaltspunkt.

d) Vor diesem Gesamthintergrund erscheint die erst jetzt erfolgende Berufung auf die Unwirksamkeit der Beschränkung und eine angeblich fehlende Ermächtigung zudem rechtsmissbräuchlich. Das Verhalten und die Erklärungen des Verteidigers, die weit über eine bloße Beschränkungserklärung hinausgehen, lassen vernünftiger- und redlicherweise keine andere Auslegung zu, als dass die von § 302 Abs. 2 StPO verlangte Ermächtigung vorlag. Die Annahme des Gegenteils liefe nicht nur auf eine nicht zu rechtfertigende Entwertung der Funktion des Rechtsanwalts und seiner Bevollmächtigung, sondern auch darauf hinaus, dass die Tatgerichte – auch bei vorliegender Vollmacht zur teilweisen Rechtsmittelrücknahme – noch zusätzliche Vollmachtsnachweise erheben müssten (zutreffend Krenberger, Anm. zu OLG Bamberg, Beschluss vom 8. Februar 2019 – 2 Ss OWi 123/19 -, jurisPR-VerkR 9/2019 Anm. 5).

Der Senat verweist insoweit auch auf die unter dem Stichwort der sog. „Verjährungsfalle“ im Rahmen des § 51 Abs. 3 S. 1 Hs. 1 OWiG angeführte Argumentation. So wird es in diesem Zusammenhang teilweise als rechtsmissbräuchlich angesehen, wenn sich der Verteidiger auf das Vorliegen einer bloßen „außergerichtlichen Vollmacht“ sowie darauf beruft, dass sich keine schriftliche Vollmacht in den Akten befinde, sodass die Zustellung unwirksam sei, obwohl aufgrund seines Verhaltens bei Abwägung aller Umstände eindeutig vom Vorliegen einer Verteidigungsvollmacht mit gesetzlich gegebener Zustellungsvollmacht ausgegangen werden könne (vgl. hierzu nur Seitz/Bauer, a.a.O., § 51 Rn. 44a m.w.N. zur Rechtsprechung).“

Unwirksame Ersatzzustellung des Bußgeldbescheides, oder: Verjährt ist verjährt.

© rcx – Fotolia.com

Verjährungsfragen spielen für die Betroffenen in Bußgeldverfahren eine große Rolle. Daher ist m.E. auch der OLG Stuttgart, Beschl. v. 10.01.2017 – 1 Ss 732/16 – von Interesse. Es geht um eine unwirksame Ersatzzustellung des Bußgeldbescheides. Zum Zeitpunkt der (Ersatz-)Zustellung, die durch Einlegen in den Briefkasten erfolgte, war der Betroffene nicht mehr unter der Anschrift, an der die Ersatzzustellung erfolgte, wohnhaft. Der Betroffene war bereits vor der Tat in die Schweiz verzogen gewesen und hatte sich auch umgemeldet. Er hatte nur seinen Namen auf dem Briefkasten nicht entfernt. Nachdem er innerhalb von drei Monaten nach der „Zustellung“ keine Kenntnis von dem Bußgeldbescheid erlangt gehabt hatte, berief sich der Betroffene auf Verjährung.

Das AG hat ihn dann dennoch zu einer Geldbuße verurteilt. Zwar sei tatsächlich Verjährung eingetreten; der Betroffene könne sich hierauf jedoch nicht berufen. Das AG folgte insoweit der Rechtsansicht des OLG Hamm (NStZ 2015, 525), wonach ein Betroffener sich wegen Rechtsmissbrauchs nicht auf die Unwirksamkeit einer Ersatzzustellung berufen könne, wenn er bei der Verwaltungsbehörde einen Irrtum über seinen tatsächlichen Lebensmittelpunkt bewusst und zielgerichtet herbeigeführt habe. Dies gelte auch in Fällen, in denen ein Betroffener nicht durch Angabe einer falschen Anschrift selbst aktiv geworden ist, sondern im Wesentlichen lediglich die erforderliche Ummeldung unterlassen hat.

Das OLG Stuttgart sieht das – m.E. zu Recht – anders und sagt:

„Ist eine Ordnungswidrigkeit verjährt, ist kein Raum für die Prüfung, ob sich der Betroffene wegen Rechtsmissbrauchs auf die Unwirksamkeit einer Ersatzzustellung des gegen ihn ergangenen Bußgeldbescheides berufen darf. Denn die Verjährung im Bußgeldverfahren unterliegt nicht der Dispositionsfreiheit des Betroffenen.“

Also: Verjährt ist verjährt. Da wird nicht dran herum gefummelt. Im Übrigen: Das AG hatte übersehen, dass wohl auch nach der Rechtsansicht des OLG Hamm sich auf die Unwirksamkeit der Ersatzzustellung berufen konnte. Daher war die vom OLG entschiedene Frage auch nicht entscheidungserheblich und das OLG Stuttgart musste nicht dem BGH vorlegen. Warum es dann aber die Frage überhauprt entscheidet und nicht dahinstehen lässt, leuchtet mir nun wieder nicht ein 🙂 .

„Neue Masche“ der OLG? oder: Wie werde ich mit einem „versteckten Entbindungsantrag fertig“?

© Alex White - Fotolia.com

© Alex White – Fotolia.com

Ein wenig war ich an den – im übertragenen Sinn, ich weiß, es passt nicht so ganz – – Zug der Lemminge erinnert, als ich den OLG Hamm, Beschl. v. 19.05.2015 – 5 RBs 59/15 – gelesen habe. Denn mein erster Gedanke war: Das hatten wir doch gerade schon. Ja, hatten wir: Den versteckten Entbindungsantrag, und zwar im OLG Rostock, Beschl. v. 15.04.2015 – 21 Ss OWi 45/15, vgl. dazu Der „versteckte“ Entbindungsantrag ist „arglistig“. Und damit eine in meinen Augen „neue Masche“ der OLG, um mit Entbindungsanträgen „fertig zu werden“. Denn die Argumentation soll jetzt wohl dahin gehen: Wenn der Entbindungsantrag nicht klar und eindeutig aus dem jeweiligen Schriftsatz erkennbar ist, dann ist er, weil rechtsmissbräuchlich, nicht rechtzeitig und nicht ordnungsgemäß gestellt. Ergebnis: Dann keine Rechtsverletzung, wenn der Amtsrichter den Antrag nicht bescheidet. Das ist auf die Kürze gebracht der Argumentationsstrang der OLG, eröffnet vom OLG Rostock.

Konnte man dem beim OLG Rostock ggf. noch folgen, obwohl ich auch da meine Zweifel hatte (Der „versteckte“ Entbindungsantrag ist „arglistig“, kann man bzw. kann ich es beim OLG Hamm nicht. Beim OLG Rostock ging es um insgesamt 5 eng beschriebene Seiten, die 53 Minuten vor dem Termin eingingen. Beim OLG Hamm sind es gerade mal um etwa 1 ½ eng beschriebene Seiten, die 3 (!!) Stunden vor der Hauptverhandlung bei Gericht eingingen. Warum ein Amtsrichter nicht in der Lage sein soll, innerhalb dieser drei Stunden den Antrag zu lesen – ggf. noch in der Hauptverhandlung, von der der Betroffene „entbunden“ werden soll, in der er ja eh mit der Verwerfung mindestens 15 Minuten warten muss – erschließt sich mir nicht. Das dauert maximal 5 Minuten. Sie sollten und die müssen da sein und die sind da. Und das auch, wenn es in dem Schriftsatz (auch) noch um andere Dinge geht.

Das OLG sieht es natürlich an:

„Angesichts der kurzfristigen Übersendung des wie dargestellt aufgebauten und optisch gestalteten Schriftsatzes vom 02. Februar 2015 an das Amtsgericht per Fax am Vormittag des Terminstages liegt es auf der Hand, dass dies in der Erwartung geschah, der den Entbindungsantrag enthaltende Schriftsatz werde dem in anderen Sachen verhandelnden Amtsrichter entweder nicht rechtzeitig vor der Terminsstunde in der Sache des Betroffenen vorgelegt oder von ihm (in der durch den Befangenheitsantrag zusätzlich gesteigerten Zeitnot) nicht wahrgenommen, um dann aus diesem Versehen eine Verfahrensbeanstandung herzuleiten. Damit ist ein missbräuchliches und auf Irreführung der Gerichte angelegtes Verteidigungsverhalten zu konstatieren, das der Rechtsbeschwerde nicht zum Erfolg zu verhelfen vermag.“

 Fazit/Fragen

  1. Wenn erst ein OLG einmal die Keule „Rechtsmissbrauch“ herausgeholt hat, dauert es nicht lange, bis das nächste OLG nachfeuert?. Und das man das andere OLG natürlich toppen will. Anders kann ich die Entscheidung des OLG Hamm nicht verstehen.
  2. Müssen eigentlich Amtsrichter nicht mehr lesen, was ihnen vorgelegt wird, bzw. können sich damit Zeit lassen?
  3. Kippt dann jetzt insgesamt auch die Rechtsprechung, wonach man bislang davon ausgehen durfte, dass auch am Sitzungstag vom Amtsrichter grundsätzlich erwartet werden darf, dass er einen ihm vorgelegten Schriftsatz zumindest mal „anliest“? Das dürfte sich zwanglos aus dem Recht auf rechtliches Gehör ergeben.
  4. Wo sieht eigentlich das OWiG Vorschriften zur Gestaltung von Anträgen vor?
  5. Wann kommen Handreichungen der OLGs, wie Anträge zu gestalten sind? Vielleicht in einem „Handbuch für einen Entbindungsanträge“ herausgegeben von den vereinigten Budßgeldsenaten der OLG? So unter dem Motto: So hätten wir es gerne.