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OWi I: Messung mit standardisierten Messverfahren, oder: Anforderungen an die Urteilsgründe

Und heute dann endlich mal wieder OWi-Entscheidungen. Mein „Aufruf“ hat Früchte getragen. Der Kollege Gratz aus Bous hat mir einige Entscheidungen geschickt, die ich nun nach und nach vorstellen werde. Besten Dank.

Ich fange dann mit einigen Entscheidungen zur materiellen Seite der Ordnungswidrigkeiten an. Und in dem Kontext stelle ich zunächst das OLG Jena, Urt. v. 25.04.2025 – 3 ORbs 401 SsBs 156/24 – vor, in dem sich das OLG noch einmal zu den Anforderungen an die Urteilgründe in Bußgeldsachen beim sog. standardisierten Messverfahren, mit dem die Geschwindigkeit gemessen wurde, äußert. Ist zwar nichts Neues, aber noch einmal schön vom OLG zusammengefasst.

Der Betroffene ist durch Urteil des AG wegen fahrlässiger Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften um 27 km/h zu einer Geldbuße verurteilt worden, außerdem wurde ein Fahrverbot für die Dauer von einem Monat verhängt. Das OLG hat wegen lückenhafter Urteilsgründe aufgehoben:

„Das Urteil leidet an einem durchgreifenden Darstellungsmangel.

a) In Bußgeldsachen sind an die schriftlichen Urteilsgründe zwar keine zu hohen Anforderungen zu stellen, für ihren Inhalt kann aber grundsätzlich nichts anderes als für das Strafverfahren gelten. Sie müssen daher so beschaffen sein, dass das Rechtsmittelgericht auf ihrer Grundlage die Entscheidung auf Rechtsfehler überprüfen kann (vgl. u. a. Entscheidung des Senats vom 20.06.2023, Az. 1 ORbs 331 SsBs 73/23). Dabei wird nicht verkannt, dass die Beweiswürdigung allein Sache des Tatrichters und seine Entscheidung vom Rechtsbeschwerdegericht grundsätzlich hinzunehmen ist. §§ 261 und 267 StPO verpflichten den Tatrichter jedoch, in den Urteilsgründen darzulegen, dass seine Überzeugung von den die Anwendung des materiellen Rechts tragenden Tatsachen auf einer umfassenden, von rational nachvollziehbaren Überlegungen bestimmten Beweiswürdigung beruht (vgl. u. a. Entscheidung des Senats vom 26.07.2024, Az. 1 ORbs 331 SsBs 43/24).

Dem werden die Urteilsausführungen vorliegend nicht gerecht.

Aus den Urteilsgründen geht hervor, dass das Gericht seine Feststellungen u.a. auf das Gutachten des Sachverständigen Dipl.-Ing. (FH) pp. stütze. Aus den Urteilsgründen lässt sich indes schon nicht nachvollziehbar entnehmen, weshalb es nach Auffassung des Amtsgerichts bei vorliegen eines standardisierten Messverfahrens überhaupt einer Begutachtung durch einen messtechnischen Sachverständigen bedurfte. Es lässt sich aus den Urteilsgründen in keiner Weise entnehmen, zu welchen Beweisthema der Sachverständige gehört wurde. Darüber hinaus werden lediglich die Ausführungen des Sachverständigen wiedergegeben und ausgeführt, dass die Ausführungen nachvollziehbar seien. Eine Würdigung der Ausführungen des Sachverständigen, ist indes den Urteilsgründen nicht zu entnehmen.

Hinsichtlich der Hinzuziehung eines Sachverständigen bei einem standardisierten Messerverfahren führte der 1, Bußgeldsenat des Thüringer Oberlandesgerichts mit Beschluss vom 04.11.2021, Az.: 1 Orbs 331 Ssßs 123/24 folgendes aus:

„Bei Geschwindigkeitsmessungen mit dem hier verwendeten Messgerät PoliScan Speed handelt es sich um ein · standardisiertes Messverfahren (vgl. OLG Bamberg, Beschluss vom 12.03.2019 2 Ss OWi 67/19 -, · OLG Hamm, Beschluss vom 13.01.2020 – III-1 RBs 255/19 -, jeweils in juris), so dass sich das Tatgericht in seinen Feststellungen grundsätzlich auf die Mitteilung des verwendeten Messverfahrens, der gefahrenen Geschwindigkeit und der gewährten Toleranz beschränken kann. Die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs wie auch die daran anknüpfende der Oberlandesgerichte zum standardisierten Messverfahren setzt eine datenbasierte jederzeitige nachträgliche Überprüfbarkeit der damit gewonnenen Messergebnisse als Bedingung für eine nachträgliche Beweisverwertung nicht voraus. Sie verlangt lediglich, dass sich der Tatrichter von dem ordnungsgemäßen Einsatz eines solchen Messgeräts überzeugt; eine Überprüfung, der Zuverlässigkeit des Messergebnisses ist nur erforderlich, wenn konkrete Anhaltspunkte für Messfehler vorliegen (vgl. BGH, Beschluss vom 19.08.1993 4 StR 627/92 -, in juris). Das darin zum Ausdruck kommende Vertrauen in die Verlässlichkeit amtlicher Messungen mit standardisierten Messverfahren findet seine Rechtfertigung im gesetzlichen Messwesen, das die Messrichtigkeit und -beständigkeit gerade dann gewährleisten soll, wenn eine Messung nicht wiederholbar ist (vgl. Märtens/Wynands NZV 2019, 338). Die zu Geschwindigkeitsmessungen eingesetzten Messgerätetypen werden danach vor ihrem Inverkehrbringen auf verschiedenen qualitätssichernden Kontrollebenen, insbesondere aber durch die Physikalisch-Technische Bundesanstalt (PTB) bzw. deren Konformitätsbewertungsstelle mittels eines gerätespezifischen Prüfprogramms unter Einbeziehung patent- und urheberrechtlich geschützter Herstellerinformationen eingehend unter anderem darauf geprüft, ob sie stets zuverlässige, die gesetzlichen Fehlergrenzen einhaltende Messergebnisse liefern (vgl. OLG Frankfurt, Beschluss vom 04.12.2014 2 Ss-OWi 1041/14 -, in juris). Mit diesem mehrstufigen, aufwändigen Kontroll- und Überwachungssystem wird die Überprüfung und damit die Gewährleistung eines richtigen Messergebnisses von der Einzelfallmessung auf das Messgerät selbst . vorverlagert (vgl. OLG Karlsruhe, Beschluss vom 16.07.2019 1 Rb 10 Ss 291/19 -, in juris). Hält das Messgerät bei dieser Überprüfung unter Berücksichtigung der Verwendungssituationen- alle Anforderungen bezüglich Messrichtigkeit und Messbeständigkeit ein, kann davon ausgegangen werden, dass es dies auch beim Einsatz unter gleichen Bedingungen leistet (vgl. · KG Berlin, Beschluss vom 05.04.2020 3 Ws (B) 64/20 -, juris). Die vorweggenommene Prüfung durch die PTB bietet in hohem Maß die Gewähr, dass es nur in einem Ausnahmefall zu einer Fehlmessung kommen kann. Das rechtfertigt eine geringere Kontrollmöglichkeit im jeweiligen Einzelfall einer Messung, ohne dass der Betroffene damit „auf Gedeih und Verderb der amtlichen Bestätigung der Zuverlässigkeit eines elektronischen Systems und der es steuernden Algorithmen ausgeliefert“ wäre (vgl. KG Berlin, Beschluss vom 05.04.2020 3 Ws (8) 64/20 -, in juris).

Diesen Ausführungen schließt sich der 2. Senat für Bußgeldsachen vollumfänglich an, wobei es sich auch bei dem verwendeten Messgerät Traffipax TraffiStar S 330 um ein standardisiertes Messverfahren handelt (vgl. Beschluss des Thüringer Oberlandesgerichts vom 28.06.2023, Az.: 1 ORbs 351 SsRs 81/23).

Insoweit leidet das Urteil an einem durchgreifenden Darstellungsmangel , weil schon nicht nachvollziehbar ist, aus welchen Gründen sich das Amtsgericht Jena trotz des Vorliegens eines standardisiertes Messverfahrens überhaupt bemüßigt fühlte, die Messung einer sachverständigen Überprüfung zu unterziehen. Es wäre die Mitteilung erforderlich gewesen, aus welchem Grund und zu welchem konkreten Beweisthema überhaupt ein Sachverständigengutachten erholt wurde.

Nur in diesem Fall kann verlässlich beurteilt werden, ob der Tatrichter Anhaltspunkte für eine Fehlmessung hatte und ob diese durch die Beweisaufnahme in ausreichender Weise ausgeräumt werden konnten (vgl. OLG Bamberg, Beschluss vom 06.10 .2017, Az. 3 Ss OWi 1420/17, juris, m.w.N.). Das angegriffene Urteil verhält sich weder zu etwaigen Zweifeln an einer ordnungsgemäßen Messung und deren Ausräumung in der Beweisaufnahme noch teilt es mit, zu welchem konkreten Beweisthema das Gutachten eingeholt wurde.

Darüber hinaus durfte sich das Amtsgericht nicht damit begnügen, lediglich die Ergebnisse der sachverständigen Begutachtung mitzuteilen, weil dem Rechtsbeschwerdegericht allein mit diesen Angaben ohne zusätzliche Ausführungen wenigstens zu den wesentlichen Anknüpfungstatsachen des Gutachtens eine Beurteilung seiner Schlüssigkeit und damit die rechtliche Nachprüfung des Urteils als Ergebnis einer gegenüber der sachverständigen Wertung selbständigen Urteilsfindung schon im Ansatz verwehrt ist.

b) Darüber hinaus durfte sich das Amtsgericht nicht damit begnügen, lediglich die Ergebnisse der sachverständigen Begutachtung mitzuteilen, weil dem Rechtsbeschwerdegericht allein mit diesen Angaben ohne zusätzliche Ausführungen wenigstens zu den wesentlichen Anknüpfungstat-sachen des Gutachtens eine Beurteilung seiner Schlüssigkeit und damit die rechtliche Nachprüfung des Urteils als Ergebnis einer gegenüber der sachverständigen Wertung selbständigen Urteilsfindung schon im Ansatz verwehrt ist.“

Bewährung I: Grund für Widerruf von Strafaussetzung, oder: Neue Straftaten und gröblicher Auflagenverstoß

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Heute gibt es drei Entscheidungen zu Bewährungsfragen. Da es sich aber um nichts wesentlich Neues handelt, gibt es jeweils nur die Leitsätze.

Den Opener macht der OLG Jena, Beschl. v. 30.01.2025 – 3 Ws 479/24 – zum Widerruf von Strafaussetzung zur Bewährung wegen neuer Straftaten und/oder gröblichem Auflagenverstoß.

Dazu sagt das OLG:;

1. Im Rahmen der Prüfung eines Bewährungswiderrufs nach § 56f Abs. 1 Nr. 1 StGB stehen neue Straftaten während der Bewährungszeit einer (nach wie vor) günstigen Legalprognose nicht entgegen.

2. Die Begehung eher geringfügiger neuer Straftaten durch einen mehrfach bewährungsbrüchigen Verurteilten können im Rahmen einer Gesamtbetrachtung ein solches Gewicht erlangen, dass sie einen Widerruf rechtfertigen.

3. Andererseits stehen Taten geringerer Schwere – auch etwaige leichtere Rückfalltaten – einer günstigen Sozialerwartung nicht stets entgegen.

4. Für einen Bewährungswiderruf müssen die frühere und neuere Tat in einem derartigen Zusammenhang stehen, dass gerade aus der neuerlichen Straffälligkeit der Rückschluss auf eine frühere Fehlprognose möglich ist.

5. Im Rahmen der Prüfung eines Bewährungswiderrufs nach § 56f Abs. 1 Nr. 2 StGB wird eine ungünstige Kriminalprognose umso eher anzunehmen sein, je mehr es der flankierenden Maßnahmen – in Gestalt der betreffenden Auflagen und Bewährungsaufsicht – bedurfte, um die Erwartung künftiger Straffreiheit begründen zu können.

6. Ein gröblicher oder beharrlicher Verstoß im Sinne der Vorschrift genügt nicht; maßgeblich ist, ob dieser zu der kriminellen Neigung oder Auffälligkeit des Verurteilten in einer die Gefahr weiterer Straftaten begründenden kausalen Beziehung steht.

Pflichti II: Beistands im Auslieferungsverfahren, oder: Überhaft, schwierige Sach-/Rechtslage und Ausländer

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Und dann im zweiten Posting eine Entscheidung aus dem Auslieferungsverfahren. Dort ist die Beistandsbestellung in § 40 IRG geregelt.

In dem dem OLG Jena, Beschl. v. 14.02.2025 – 1 OAus 33/24 – zugrunde liegenden Verfahren war mit Ausschreibung im Schengener Informationssystem um Festnahme des Verfolgten zum Zwecke der Auslieferung zur Strafverfolgung von der Bundesrepublik Deutschland an die Republik L. ersucht worden. Dem Festnahmeersuchen lag der Europäische Haftbefehl der Generalstaatsanwaltschaft der Republik L. vom 09.07.2024 zu Grunde. Darin wird dem Verfolgten insbesondere zur Last gelegt, in zehn Fällen in Wohngebäude eingedrungen zu sein, um dort stehlenswerte Güter im Gesamtwert von ca. 71.000 EUR zu entwenden.

Das OLG hat einen Auslieferungshaftbefehl gegen den Verfolgten erlassen, der sich zu diesem Zeitpunkt bereits seit dem 18.04.2024 zum Vollzug von Untersuchunghaft bzw. Freiheitsstrafe in anderen Sachen in der JVA G befunden hat. Derzeit ist er zur Vollstreckung einer gegen ihn verhängten Gesamtfreiheitsstrafe von 2 Jahren und 3 Monaten inhaftiert.

Mit Beschluss vom 08.01.2025 hat das AG Suhl dem Verfolgten eine Rechtsanwältin als Beistand bestellt. Dagegen richtet sich die sofortige Beschwerde der Generalstaatsanwaltschaf, die Erfolg hatte:

„2. Das Rechtsmittel ist auch begründet. Denn es liegt kein Fall der notwendigen Rechtsbeistandschaft vor.

a) Die verfolgte Person kann sich nach § 40 Abs. 1 IRG in jeder Lage des Verfahrens eines Rechtsbeistands bedienen.

Die Auslieferung ist nach Abs. 2 der Vorschrift jedoch grds. nur dann ein Fall der notwendigen Rechtsbeistandschaft, wenn eine Festnahme der verfolgten Person erfolgt. Dies ist vorliegend jedoch gerade nicht der Fall, weil bei Erlass des Auslieferungshaftbefehls der Verfolgte schon in anderer Sache inhaftiert war und dies auch nach wie vor ist, weshalb für die Auslieferungshaft von Anfang an nur Überhaft notiert war und auch weiterhin ist. § 40 Abs. 2 IRG stellt aber gerade auf die Festnahme in der Auslieferungssache ab. Denn die Vorschrift dient der Umsetzung von Artikel 5 Absatz 1 der PKH-Richtlinie (BT-Drs. 19/13829, S. 54). Danach hat der Vollstreckungsmitgliedstaat sicherzustellen, dass gesuchte Personen ab dem Zeitpunkt ihrer Festnahme „aufgrund eines Europäischen Haftbefehls“ Anspruch auf Prozesskostenhilfe im Sinne der Richtlinie haben. Nach dem expliziten Wortlaut auch der Richtlinie besteht ein Anspruch auf anwaltlichen Beistand daher nur, wenn es eine unmittelbare kausale Verknüpfung zwischen der Festnahme und dem Europäischen Haftbefehl gibt, an der es hier fehlt.

b) Erfolgt – wie hier – keine Festnahme der verfolgten Person in der Auslieferungssache, liegt ein Fall der notwendigen Rechtsbeistandschaft nach § 40 Abs. 3 IRG in der Folge nur vor, wenn wegen der Schwierigkeit der Sach- oder Rechtslage die Mitwirkung eines Rechtsbeistands geboten erscheint (Nr. 1), ersichtlich ist, dass die verfolgte Person ihre Rechte nicht selbst hinreichend wahrnehmen kann (Nr. 2) oder die verfolgte Person noch nicht 18 Jahre alt ist (Nr. 3). Diese Voraussetzungen liegen hier ebenfalls nicht vor.

aa) Weder ist ersichtlich, dass der Verfolgte seine Rechte nicht selbst hinreichend wahrnehmen kann, noch erscheint die Mitwirkung eines Beistandes wegen der Schwierigkeit der Sach- oder Rechtslage erforderlich. Die Sach- und Rechtslage ist jedenfalls im gegenwärtigen Zeitpunkt nicht so schwierig, dass dem durch Beiordnung eines anwaltlichen Beistandes Rechnung getragen werden müsste.

Eine schwierige Sachlage kann sich aus dem Umfang oder der Komplexität der tatsächlich erforderlichen Feststellungen ergeben. Insoweit ist zwar zu konstatieren, dass der Verfolgte der vereinfachten Auslieferung vorliegend nicht zugestimmt hat, sodass die Zulässigkeit der Auslieferung zu prüfen sein wird. Dieser Umstand allein führt jedoch noch nicht per se zur Annahme einer schwierigen Sach- oder Rechtslage (vgl. Schomburg/ Lagodny, Internationale Rechtshilfe in Strafsachen, 6. Aufl., § 40 IRG, Rn. 24). Insoweit bedarf es vielmehr einer Gesamtabwägung der individuellen Umstände des Auslieferungsverfahrens. Die besonderen Schwierigkeiten des Auslieferungsrechts und der Umstand, dass der Gesetzgeber diese Materie den Oberlandesgerichten und Generalstaatsanwaltschaften überantwortet hat, führen dabei noch nicht ohne Weiteres dazu, dass nur aufgrund der erforderlichen Entscheidung über die Zulässigkeit der Auslieferung ein anwaltlicher Beistand beizuordnen wäre. Vielmehr ist insoweit stets eine Einzelfallprüfung unter Berücksichtigung etwaiger Einwendungen des Verfolgten anzustellen (OLG Saarbrücken, Beschluss vom 02.06.2016 – OLG Ausl. 22/2016 (39/16) = BeckRS 2016, 12013). Eine schwierige Rechtslage ist in der Folge erst gegeben, wenn bei Anwendung des Auslieferungsrechts im konkreten Verfahren Rechtsfragen beantwortet werden müssen, die bislang nicht entschieden wurden. Darüber hinaus ist eine schwierige Rechtslage anzunehmen, wenn die auslieferungsrechtliche Beurteilung nicht eindeutig ist und genaue Kenntnisse der Anordnungsvoraussetzungen erfordert, über die ein Verfolgter regelmäßig nicht verfügt. Dies ist vorliegend jedoch nicht der Fall. Denn insbesondere in allenfalls durchschnittlich gelagerten Fällen – wie hier -, in denen über die Auslieferung auf der Basis eines Europäischen Haftbefehls zu entscheiden ist und in denen deshalb ein reduzierter gerichtlicher Prüfungsmaßstab zur Anwendung kommt, bestehen regelmäßig weder Schwierigkeiten rechtlicher noch tatsächlicher Art, die es erfordern würden, dem Verfolgten ohne Weiteres rechtskundigen Beistand zukommen zu lassen, auch wenn es einer Entscheidung über die Zulässigkeit nach § 32 IRG bedarf (OLG München, Beschluss vom 07.03.2013 – OLGAusl.14 Ausl. A 1033/12 = NStZ-RR 2013, 179).

Die Höhe der gegen den Verfolgten in L potentiell zu erwartenden Strafe stellt für die Frage der Beistellung eines Beistands ebenfalls kein geeignetes Beurteilungskriterium dar, denn im Gegensatz zu § 140 Abs. 2 StPO stellt § 40 IRG gerade nicht auf die Schwere der Taten ab. Dies gilt umso mehr, als der Verfolgte Einwendungen gegen den Tatvorwurf nicht erhoben hat, eine Tatverdachtsprüfung gem. § 10 Abs. 2 IRG ohnehin nur in engen Grenzen stattfindet und insoweit Erörterungen und ausführlichere Darlegungen zum Sachverhalt selbst nicht geboten sind (OLG Hamm, Beschluss vom 28.01.2010 – 4 Ausl A 208/09 = BeckRS 2010, 8867).

bb) Soweit der Verfolgte der deutschen Sprache nicht hinreichend mächtig ist, kann diesem Erschwernis durch Hinzuziehung eines Dolmetschers zu den gesetzlich vorgesehenen Anhörungen hinreichend Rechnung getragen werden.

cc) Der im Jahr 1980 geborene Verfolgte ist schließlich auch nicht minderjährig im Sinne des § 40 Abs. 3 Nr. 3 IRG.“

Haft III: Haftbefehl durch unzuständiges Gericht, oder: Grds. keine Nichtigkeit des Haftbefehls

Und dann als dritte Entscheidung hier eine weitere OLG-Entscheidung, nämlich der OLG Jena, Beschl. v.16.08.2024 – 1 Ws 290/24. Auch hier geht es um die Frage: Welche Auswirkungen haben Verfahrensfehler. Entschieden hatte hier nämlich ein unzuständiges Gericht. Das OLG sagt: Das führt nicht zur Nichtigkeit des Haftbefehls, es muss aber i.d.R. ein neuer Haftbefehl ergehen.

Dazu hier auch nur der Leitsatz:

1. Hat das Gericht bei der Neufassung eines Haftbefehles seine geschäftsplanmäßige Unzuständigkeit übersehen. führt das nicht zur Nichtigkeit des Haftbefehles, macht jedoch eine neue Entscheidung durch das geschäftsplanmäßig zuständige Gericht erforderlich. Eine solche neue Entscheidung liegt nicht in einem Haftfortdauerbeschluss, wenn dieser sich ausdrücklich nur mit der Verfahrensbeschleunigung befasst, jedoch keine eigene Begründung in der Sache enthält und damit den Verfahrensfehler nicht heilen kann.

2. Gleichwohl erfolgt eine Haftvollstreckung ggf. nicht rechtsgrundlos. Denn soweit ein unter Verstoß gegen Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG ergangener Beschluss zugleich einen amtsgerichtlichen Haftbefehl aufgehoben hat, schlägt der Verfahrensmangel auch hierauf durch, sodass der amtsgerichtliche Haftbefehl nach wie vor Bestand hat.

OWi I: Wirksamkeit der Einspruchsbeschränkung, oder: Beschränkung noch nach rechtlichem Hinweis?

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Heute gibt es dann mal OWi-Entscheidungen. An der „Front“ ist es im Moment aber sehr ruhig, es gibt wenig Entscheidungen, über die man berichten kann.

Hier kommt dann als Opener der OLG Jena, Beschl. v. 02.09.2024 – 1 ORbs 371 SsBs 96/24 – zur Wirksamkeit der Beschränkung des Einspruchs gegen den Bußgeldbescheid. Mit Bußgeldbescheid vom 06.07.2023 wurde dem Betroffenen vorgeworfen, auf der Bundesautobahn die zulässige Höchstgeschwindigkeit von 80 km/h außerhalb geschlossener Ortschaften um 46 km/h überschritten zu haben. Gegen ihn wurde deshalb eine Geldbuße von 320 Euro festgesetzt und ein Fahrverbot von einem Monat angeordnet. Der Bußgeldbescheid wurde am 12.07.2023 zugestellt. Hiergegen richtete sich der am selben Tage zunächst vollumfänglich erhobene Einspruch des Betroffenen.

Mit Verfügung vom 02.11.2023 wies das AG den Betroffenen nach Eingang der Akten bei Gericht darauf hin, dass wegen der Höhe der Geschwindigkeitsüberschreitung auch eine Verurteilung wegen vorsätzlicher Begehungsweise unter Erhöhung der Geldbuße und unter Ausdehnung des Fahrverbots in Betracht komme. Auf die Terminsanberaumung vom 29.11.2023 hin beantragte der Verteidiger mit Schriftsatz vom 24.02.2024 „namens und in Vollmacht des Betroffenen“, diesen vom persönlichen Erscheinen in der Hauptverhandlung zu entbinden. Zudem werde der gegen den Bußgeldbescheid eingelegte Einspruch auf die Rechtsfolge beschränkt.

Mit Beschluss vom 26.02.2024 wies das AG den Betroffenen darauf hin, dass die Beschränkung des Einspruchs auf die Rechtsfolgen nach dortiger Auffassung unwirksam sein dürfte. Die Schuldform (Vorsatz oder Fahrlässigkeit) sei so untrennbar mit der Rechtsfolge, namentlich dem Fahrverbot, verbunden, dass sie nicht unabhängig voneinander betrachtet werden könnten. Eine Rechtsmittelbeschränkung sei regelmäßig unwirksam, wenn anstelle der im Bußgeldbescheid angenommenen Fahrlässigkeit tatsächlich eine vorsätzliche Begehungsweise in Betracht komme. Wolle der Betroffene dem entgehen, müsse er den Einspruch in Gänze zurücknehmen.

Der Verteidiger ist dem entgegengetreten. Das AG verurteilte den Betroffenen dann dennoch  wegen vorsätzlicher Geschwindigkeitsüberschreitung um 46 km/h außerorts bei einer zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 80 km/h zu einer Geldbuße von 640 Euro. Daneben verhängte es ein Fahrverbot für die Dauer von 2 Monaten.

Dagegen die Rechtsbeschwerde, die Erfolg hatte. Das OLG hat das Urteil des AG im Schuldspruch aufgehoben und im Rechtsfolgenausspruch dahingehend abgeändert, dass gegen den Betroffenen wegen der im Bußgeldbescheid vom 06.07.2023 rechtskräftig festgestellten fahrlässigen Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerorts eine Geldbuße von 320 Euro verhängt und ein Fahrverbot für die Dauer von einem Monat angeordnet wird.

Das hat das OLG umfangreich begründet. Da die angeprochenen Fragen alle nicht neu sind, verweise ich wegen der Einzelheiten der Begründung auf den verlinkten Volltext und stelle hier nur die Leitsätze der OLG-Entscheidung ein, nämlich:

1. Die horizontale Beschränkung eines Einspruchs auf die Rechtsfolgen ist zulässig, soweit der Bußgeldbescheid die in § 66 OWiG niedergelegten Voraussetzungen erfüllt, die Erklärung des Betroffenen zweifelsfrei und unbedingt erfolgt, im Fall der Vertretung eine wirksame Ermächtigung zur Abgabe der Einspruchsbeschränkung vorlag und die Erklärung dem erkennenden Richter vor Erlass einer erstinstanzlichen Entscheidung vorliegt.

2. Ein etwaig erteilter richterlicher Hinweise betreffend die Schuldform (hier: mögliche Verurteilung wegen einer Vorsatz-Tat) steht dem nicht entgegen, selbst wenn der Bußgeldbescheid keinen ausdrücklichen Hinweis auf die Schuldform enthält, die vorgesehene Rechtsfolge sich aber innerhalb des Regelrahmens der Bußgeldkatalogverordnung bewegte und die vorgeworfene Schuldform (hier: Fahrlässigkeit) hieraus abgeleitet werden kann.

Eins habe ich dann aber doch noch, nämlich << Werbemodus an>> den Hinweis auf Burhoff (Hrsg.), Handbuch für das straßenverkehrsrechtliche OWi-Verfahren, 7. Aufl. 2024, und auf Burhoff (Hrsg.), Handbuch für das strafrechtliche Ermittlungsverfahren, 10. Aufl., 2025, die man hier bestellen bzw. vorbestellen kann. In beiden Werken sind die vom OLG angeprochenen Fragen behandelt. <<Werbemodus aus>>.