Archiv der Kategorie: Verfahrensrecht

Bewilligung von PKH für die Nebenklägerrevision?, oder: Nicht, wenn die Revision unzulässig ist

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Die zweite Entscheidung kommt vom BGH. Der hat sich im BGH, Beschl. v. 5 StR 729/24 – noch einmal mit der Bewilligung von PKH für den Nebenkläger befasst.

Das LG hat den Angeklagten u.a. wegen Körperverletzung mit Todesfolge in Tateinheit mit Freiheitsberaubung mit Todesfolge verurteilt. Dagegen wendet sich der Nebenkläger mit seiner auf die Sachrüge gestützten Revision und beantragt zugleich, ihm Prozesskostenhilfe zu bewilligen. Der BGH hat den PKH-Antrag abgelehnt und zugleich die Revision als unzulässig verworfen:

„1. Die Voraussetzungen der Bewilligung von Prozesskostenhilfe nach § 397a Abs. 2 StPO liegen nicht vor. Der Generalbundesanwalt hat hierzu ausgeführt:

„Die Bewilligung von Prozesskostenhilfe erfolgt für jeden Rechtszug gesondert (§ 404 Abs. 5 StPO, § 119 Abs. 1 Satz 1 ZPO); dies erfordert in jeder Instanz erneut die Prüfung und deshalb die Darlegung der wirtschaftlichen Verhältnisse des Antragstellers, der sich insoweit grundsätzlich des vorgeschriebenen Vordrucks (§ 117 Abs. 4 ZPO) zu bedienen hat. Zwar kann eine Bezugnahme auf die vor dem Landgericht dargelegten wirtschaftlichen Voraussetzungen verbunden mit der Versicherung, dass sich die Verhältnisse nicht verändert haben, ausreichen. Eine derartige Erklärung hat der Nebenkläger jedoch nicht abgegeben. Der Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe löst auch keine Verpflichtung des Revisionsgerichts aus, die wirtschaftlichen Verhältnisse zu ermitteln. Das Erfordernis der Darlegung ergibt sich aus dem Gesetz, eines Hinweises auf diese Sachlage und eines Zuwartens mit der Entscheidung bedarf es nicht (vgl. zum Ganzen BGH, Beschluss vom 6. Februar 2018 – 5 StR 347/17, Rn. 1).

Davon unabhängig ist der Antrag auch deshalb abzulehnen, weil die sachlichen Voraussetzungen der Bewilligung von Prozesskostenhilfe nicht vorliegen. Zwar kommt es für die Bewilligung weder auf die Erfolgsaussichten der Revision noch darauf an, ob deren Verfolgung mutwillig erscheint (§ 397a Abs. 2 Satz 2 StPO i.V.m. § 114 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 2 ZPO). Die Bewilligung setzt aber gemäß § 397a Abs. 2 Satz 1 Halbs. 2 StPO voraus, dass der Nebenkläger ohne sie seine Interessen selbst nicht ausreichend wahrnehmen kann. An einer solchen Schutzbedürftigkeit des Nebenklägers mangelt es, weil seine Revision – dazu sogleich – unzulässig ist (vgl. Wenske in Löwe/Rosenberg, StPO, 27. Auflage, § 397a StPO, Rn. 35) und sein mögliches Interesse an der Verfolgung der zu seinem Nachteil begangenen Tat im Revisionsverfahren aufgrund der Revision der Staatsanwaltschaft hinreichend berücksichtigt wird.“

Dem schließt sich die Vorsitzende an und versagt die Bewilligung von Prozesskostenhilfe.

2. Die Revision des Nebenklägers ist unzulässig. Der Generalbundesanwalt hat dies in seiner Zuschrift wie folgt begründet:

„Gemäß § 400 Abs. 1 StPO kann ein Nebenkläger das Urteil nicht mit dem Ziel anfechten, dass eine andere Rechtsfolge der Tat verhängt oder dass der Angeklagte wegen einer Gesetzesverletzung verurteilt wird, die ihn nicht zum Anschluss als Nebenkläger berechtigt. Daher muss die Begründung der Revision erkennen lassen, dass der Nebenkläger mit dem Rechtsmittel einen bisher unterbliebenen Schuldspruch des Angeklagten (auch) wegen einer Straftat, welche die Berechtigung zum Anschluss an das Verfahren begründet, verfolgt. Wird eine derartige Bestimmung des Ziels der Revision bis zum Ablauf der Revisionsbegründungsfrist nicht vorgenommen, ist das Rechtsmittel unzulässig (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschluss vom 5. Dezember 2023 – 5 StR 546/23 Rn. 2). Daran gemessen ist die Revision des Nebenklägers unzulässig, weil er „insbesondere“ die Verurteilung des Angeklagten wegen vollendeten Totschlags statt wegen Körperverletzung mit Todesfolge begehrt, ohne jedoch hinsichtlich der insoweit allein in Betracht kommenden Tat zum Nachteil einer Dritten nebenklageberechtigt zu sein, und die nicht ausgeführte Sachrüge sowie die – gemäß § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO ohnehin unzulässige – nicht ausgeführte Verfahrensrüge kein bestimmtes Anfechtungsziel erkennen lassen. Es ist somit nicht ausgeschlossen, dass der Nebenkläger hinsichtlich der zu seinem Nachteil begangenen Tat lediglich die Verhängung einer höheren Strafe erstrebt.“

Diese Begründung teilt der Senat. Sie führt zur Verwerfung der Revision nach § 349 Abs. 1 StPO.“

StPO III: Akteneinsicht des nur mittelbar Verletzten?, oder: Wer Verletzter ist, bestimmt das Gesetz

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Und dann habe ich im dritten Posting noch eine Entscheidung zur Akteneinsicht, und zwar den AG Stade, Beschl. v. 01.04.2025 – 34 Gs 143 Js 24725/24 (1039/25). In ihm geht es um das Akteneinsichtsrecht eine – nur mittelbar – Verletzten.

Die Staatsanwaltschaft führte wegen des Verdacht des Abrechnungsbetruges gegen die vormals Beschuldigten als Verantwortliche der T & F. GmbH in G. als Betreiber der M. in G ein Strafverfahren.

Ausgangspunkt des Ermittlungsverfahrens war eine Strafanzeige des B. e. V., vertreten durch die erste Vorsitzende C. H. Hierin warf der Anzeigeerstatter den Beschuldigten vor jedenfalls eine Zeugin E. als Übungsleiterin im Rahmen der durch die T & F. GmbH angebotenen Rehabilitationssportgruppen und Funktionstrainings eingesetzt und abgerechnet zu haben, obwohl die Zeugin nicht über die hierfür erforderliche Lizenz verfügt habe. Erst im Jahr 2024 habe die Zeugin die Ausstellung einer entsprechenden Lizenz beantragt. Eine Abrechnung gegenüber den Krankenkassen dürfe aber nur erfolgen, wenn ein anerkannter Leistungserbringer den Rehabilitationssport durch lizensierte Übungsleiter durchführen lasse. Dies sei hier gerade nicht der Fall gewesen.

Die Staatsanwaltschaft hat daraufhin die Ermittlungen aufgenommen und u.a.  Auskünfte bei der A. und dem D. eingeholt sowie die Zeugin E. vernommen. Mit Schreiben vom 22.08.2024 (Bl. hat der Anzeigeerstatter Akteneinsicht beantragt. Diesem Gesuch trat der Beschuldigte T. K. entgegen. Die Staatsanwaltschaft hörte dann die A. nach Nr. 90 RiStBV an und gab insoweit Gelegenheit zur Stellungnahme, als dass die Staatsanwaltschaft beabsichtigte das Ermittlungsverfahren nach § 170 Abs. 2 StPO einzustellen, da sich jedenfalls ein Täuschungs- und Bereicherungsvorsatz nicht nachweisen lasse. Der beabsichtigten Verfahrensweise trat die A. mit Schreiben vom 08.01.2025 nicht entgegen.

Die Staatsanwaltschaft hat dann Ermittlungsverfahren nach § 170 Abs. 2 StPO eingestellt und zugleich ds Akteneinsichtsgesuch des Anzeigeerstatters zurückgewiesen, da dieser nicht Verletzter im Sinne des § 373b StPO bzw. § 172 StPO sei.

Hierauf beantragte der Anzeigeerstatter gerichtliche Entscheidung. Das berechtigte Interesse ergeben sich aus dem Umstand, dass der Anzeigeerstatter anerkannter Leistungserbringer nach § 64 SGB IX für Rehabilitationssport/Funktionstraining sei und seit 2010 entsprechende Kurse in der M. anbiete, die durch die Beschuldigten als Geschäftsführer der T & F. GmbH betrieben werde. Dem Anzeigeerstatter seien zur eigenen Nutzung durch die T & F. GmbH zahlreiche Nutzungszeiten entzogen worden. Auch sei zwischenzeitlich der Zugang zum Aktivbecken vollständig verwehrt worden. Hierdurch sei dem Anzeigeerstatter ein existenzbedrohender Schaden entstanden. Die T & F. GmbH habe durch den Einsatz einer nicht lizensierten Übungsleiterin eine wirtschaftliche Konkurrenz zum Anzeigeerstatter verhindert. Er sei mithin jedenfalls mittelbar geschädigt worden und damit auch Verletzter, woraus sich das Akteneinsichtsrecht ergebe.

Der Antrag hatte beim AG keinen Erfolg:

„Dem gemäß § 406e Abs. 5 S. 2 StPO zulässigen Antrag auf gerichtliche Entscheidung bleibt der Erfolg versagt.

Nach § 406e Abs. 1 StPO kann ein Rechtsanwalt für den Verletzten Einsicht in die Akten nehmen, soweit er hierfür ein berechtigtes Interesse hat. Wer Verletzter im Sinne des § 406e StPO ist bestimmt sich nach dem Verletztenbegriff des § 373b Abs. 1 StPO (vgl. BeckOK StPO/Weiner StPO § 406e Rn. 2). Hiernach sind Verletzte diejenigen, die durch die Tat, ihre Begehung unterstellt oder rechtskräftig festgestellt, in ihren Rechtsgütern unmittelbar beeinträchtigt sind oder unmittelbar einen Schaden erlitten haben.

Es ergibt sich bereits aus dem Wortlaut der Legaldefinition des § 373b Abs. 1 StPO, dass zwingende Voraussetzung stets eine unmittelbare Beeinträchtigung bzw. ein unmittelbarer Schaden ist. Eine solche Unmittelbarkeit liegt vor, wenn der eingetretene Schaden bzw. die Beeinträchtigung des Rechtsguts sich als Folge der begangenen Straftat darstellt, mit dieser einhergeht und sich der tatbestandspezifische Zusammenhang realisiert hat. Die dem Straftatbestand anhaftende Gefahr muss sich also gerade in dem Eintritt des Schadens bzw. der Beeinträchtigung des Rechtsguts niedergeschlagen haben (vgl. dazu MüKoStPO/Schreiner StPO § 373b Rn. 16, 20).

Vorliegend kommt der Anzeigeerstatter aber unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt als unmittelbar Geschädigter in Betracht. Soweit er den beiden Beschuldigten als Verantwortliche der T & F. GmbH im Rahmen der Anzeigenerstattung vorgeworfen hat, nicht lizensierte Übungsleiter eingesetzt und dies im Rahmen der Abrechnung mit den Krankenkassen nicht offengelegt zu haben, kämen ausschließlich die Krankenkassen als Geschädigte in Betracht. Denn Erstattung der Kosten für die Erbringung von Rehabilitationssport/Funktionstraining durch die Krankenkassen ist erforderlich, dass diese Kurse von lizensierten Übungsleitern angeleitet werden. Sollte dies – wie nach dem Vorwurf des Anzeigeerstatters – nicht der Fall gewesen sein, so ergibt sich der Verdacht des Betruges. Der Schaden wäre in einem solchen Fall aber ausschließlich bei der die Erstattung übernehmenden Krankenkasse eingetreten. Der Anzeigeerstatter selbst hätte hierdurch gerade keinen unmittelbaren Schaden erlitten.

Soweit er vorträgt, dass ihm durch den Einsatz von nicht lizensierten Übungsleitern Kapazitäten zum Betrieb eigener Kurse verwehrt worden sei, ist bereits nicht ersichtlich, dass dies überhaupt tatsächlich der Fall gewesen sein könnte. Unabhängig davon, könnte es sich hierbei aber – wenn überhaupt – (wie der Anzeigeerstatter auch selbst erkennt) lediglich um einen mittelbaren Schaden handeln. Dieser begründet nach dem eindeutigen Wortlaut des § 373b Abs. 1 StPO aber gerade keine Verletzteneigenschaft.

Der Anzeigeerstatter kommt daher gerade nicht als Verletzter im Sinne des § 406e Abs. 1 StPO in Betracht. Die Staatsanwaltschaft S. hat das Akteneinsichtsgesuch des Anzeigeerstatters B. e. V., vertreten durch die erste Vorsitzende C. H., mithin zu Recht abgelehnt.“

StPO I: „Richtige“ Besetzung einer Strafkammer, oder: Urlaub der Schöffinnen

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Heute stelle ich dann StPO-Entscheidungen vor, und zwar zweimal OLG und einmal AG.

Den Opener macht der OLG Brandenburg, Beschl. v. 26.03.2025 – 1 Ws 39/25 (S) – zur „richtigen“ Besetzung einer (Wirtschafts)Strafkammer. Im Streit ist, ob eine Schöffin zu Recht vom Sitzungsdienst entbunden worden ist.

In dem Verfahren hatte der Vorsitzende mit Verfügung vom 20.01.2025, ausgeführt und dem Verteidiger zugestellt am 23.01.2025, dem Verteidiger des Angeklagten G. unter gleichzeitiger Ladung zur am 21.02.2025 beginnenden und am 03., 07., 12., 24., 19., 21., 24. und 26.03.2025 fortzusetzenden Hauptverhandlung die Gerichtsbesetzung mitgetielt. An der Hauptverhandlung sollten der Mitteilung zufolge als beisitzende Berufsrichterinnen Richterinnen am Landgericht S. und E. sowie die Schöffinnen W. und H. als für den ersten Verhandlungstag zugewiesene Schöffinnen teilnehmen.

Nachdem Frau W. in einer an das Gericht gerichteten E-Mail vom 22.01.2025 mitteilte, dass sie aufgrund der Leitung einer Klausurtagung des Personalrats im Bezirksamt S. als dessen Vorsitzende am 07.03.2025 verhindert sei, erging am 23.01.2025 nach Feststellung der Verhinderung der Schöffin W. und Heranziehung des Ersatzschöffen, ausgeführt und dem Verteidiger zugestellt am 27.012025, eine neue Besetzungsmitteilung, die statt Frau W. Frau F. auswies.

Am 23.01.2025 teilte dann Frau H. ihre urlaubsbedingte Verhinderung für den 21., 24. und 26.03.2025 unter Beifügung einer Buchungsbestätigung vom 15.01.2025 für einen Spanienurlaub im Zeitraum vom 21. bis 28.03.2025 mit. Daraufhin wurde ihre Verhinderung durch den Vorsitzenden am 27.01.2025 festgestellt und die Heranziehung eines Ersatzschöffen verfügt. Mit Datum vom 28.01.2025 erfolgte eine weitere, Frau B. als Ersatz für Frau H. ausweisende, Mitteilung der Gerichtsbesetzung an den Verteidiger, die ihm am selben Tage zuging.

Gegen die geänderte Gerichtsbesetzung erhob der Verteidiger unter dem 04.02.2025 schriftsätzlich den Besetzungseinwand. Er wendet ein, das Gericht sei hinsichtlich der Schöffinnen F. und B. nicht ordnungsgemäß besetzt.

Die Kammer hat den Besetzungseinwand für unbegründet gehalten und ihn dem OLG zur Entscheidung vorgelegt. Dort hatte er keinen Erfolg:

„2. Die zulässige Besetzungsrüge ist indes unbegründet. Die Gerichtsbesetzung ist ordnungsgemäß. Zwar begründen berufliche Umstände nur ausnahmsweise die Unzumutbarkeit (Meyer – Goßner/ Schmitt, StPO Kommentar, 67. Aufl., § 54 GVG, Rn. 6; hierzu und dem Folgenden: BGH, Urteil vom 04. Februar 2015, Az. 2 StR 76/14); indes wird dies für Berufsgeschäfte u.a. angenommen, bei denen sich der Schöffe nicht durch einen anderen vertreten lassen kann, weil die Geschäfte ihrer Art nach eine Vertretung nicht zulassen oder kein geeigneter Vertreter zur Verfügung steht. Über die Anerkennung einer derartigen Verhinderung hat der zur Entscheidung berufene Richter unter Abwägung aller Umstände bei Berücksichtigung der Belange des Schöffen, des Verfahrensstands und der voraussichtlichen Dauer des Verfahrens nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden (vgl. hierzu und dem Folgenden: BGH, Beschluss vom 05. August 2015, Az. 5 StR 276/15 m.w.N.). Er ist zu weitergehenden Erkundigungen hinsichtlich des angegebenen Hinderungsgrundes nicht verpflichtet, wenn er die Angaben für glaubhaft hält. Vorliegend hat die Schöffin W. in ihrer E-Mail vom 22. Januar 2025 angegeben, freigestellte Vorsitzende des Personalrats im Bezirksamt S. von B. zu sein und als solche die Klausurtagung des Personalrats am 07. März 2025 zu leiten. Dies stellt keine vertretungsfähige Tätigkeit dar; insoweit ist der Strafkammervorsitzende nicht von einem zu weiten Begriff des Hinderungsgrundes ausgegangen, als er die Schöffin auf deren Mitteilung von der Mitwirkung an der Verhandlung entband. Die Glaubhaftigkeit ihres Vorbringens zu beurteilen, war allein Sache des Vorsitzenden; er überschritt sein pflichtgemäßes Ermessen nicht dadurch, dass er es ohne weitere Prüfung zugrunde legte (vgl. auch BGH, Urteil vom 8. Dezember 1976, Az. 3 StR 363/76). Die Ermessensentscheidung des Vorsitzenden wurde mit Datum vom 23. Januar 2025 gemäß § 54 Abs. 3 Satz 2 GVG aktenkundig dokumentiert. Die Überprüfung der Entschließung, einen Schöffen von der Dienstpflicht zu entbinden, ist allein am Maßstab der Willkür auszurichten (vgl. BGH, Beschluss vom 05. August 2015, Az. 5 StR 276/15). Anhaltspunkte dafür, dass die Entscheidung des Strafkammervorsitzenden nicht mehr verständlich und offensichtlich unhaltbar ist, bestehen nicht. Die Heranziehung dieses und nur dieses Prüfungsmaßstabes wird dem Wortlaut des § 54 Abs. 3 Satz 1 GVG gerecht, wonach die Entscheidung des Vorsitzenden nach § 54 Abs. 1 GVG, einen Schöffen von der Dienstleistung an bestimmten Sitzungstagen zu entbinden, nicht anfechtbar ist (Anschluss an Arnoldi, Praxiskommentar zu BGH, Urteil vom 14. Dezember 2016, Az. 2 StR 342/15). § 54 Abs. 3 Satz 1 GVG wurde mit dem Strafverfahrensänderungsgesetz 1979 mit dem Ziel des Gesetzgebers eingeführt, die Zahl von Urteilsaufhebungen infolge von Besetzungsfehlern wesentlich zu verringern (vgl. BT-Dr. 8/976, 24 ff.). Im Hinblick auf Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG und die verfassungsgerichtliche Rechtsprechung sollte dem Willen des Gesetzgebers entsprechend eine Ausnahme allein bei „echten Ausreißern“ gelten. Ein solcher liegt nur dann vor, wenn eine Entbindung objektiv willkürlich und (nicht lediglich falsch, sondern) grob fehlerhaft ist, wofür, wie bereits konstatiert, vorliegend keine Anhaltspunkte bestehen.

Auch die urlaubsbedingte Entbindung der Schöffin H. begegnet keinen Bedenken. Mit Ihrer Mitteilung vom 23. Januar 2025, eingegangen bei Gericht am 27. Januar 2025, hat die Schöffin H. angezeigt, die für den 21., 24. und 26. März 2025 anberaumten Fortsetzungstermine aufgrund urlaubsbedingter Abwesenheit nicht wahrnehmen zu können, und dies mit einer sie betreffenden Buchungsbestätigung/Rechnung des Reiseanbieters „l.“ für einen Spanienaufenthalt vom 15. Januar 2025 für den Zeitraum vom 21. bis 28. März 2025 belegt. Ein Urlaub begründet in der Regel die Unzumutbarkeit der Schöffendienstleistung (vgl. BGH, Urteil vom 14. Dezember 2016, Az. 2 StR 342/15). Die insoweit vom Vorsitzenden zu treffende Ermessensentscheidung wurde durch diesen mit Datum vom 27. Januar 2025 gemäß § 54 Abs. 3 Satz 2 GVG aktenkundig gemacht. Ein Verstoß gegen den gesetzlichen Richter ist daher auch bei der Entpflichtung der Schöffin H., die keine Willkür erkennen lässt, nicht zu entdecken.

Schließlich sind auch die Entscheidungen des Vorsitzenden, in beiden Fällen die Schöffinnen von der Dienstleistung insgesamt zu entbinden und die jeweiligen Fortsetzungstermine nicht zu verlegen, speziell im Fall der Entbindung der Schöffin W., die „nur“ für den 07. März 2025 ihre Verhinderung angezeigt hatte, nicht als willkürlich anzusehen. Unabhängig davon, ob eine Pflicht hierzu überhaupt angenommen werden kann (überzeugend ablehnend etwa OLG Hamm, Beschluss vom 17. März 2020, Az. 2 Ws 36/20), war dies jedenfalls vorliegend angesichts dessen, dass ein umfangreiches Beweisprogramm bereits vorbereitet war und Zeugen geladen waren – für den Fortsetzungstermin am 07. März 2025 waren es vier an der Zahl, was im Übrigen im Rahmen des Rügevorbringens, das revisionsrechtlichen Anforderungen zu genügen hat (vgl. Senatsbeschluss vom 22. Mai 2024, Az. 1 Ws 65/24 m.w.N.), nicht dargestellt worden ist – nicht geboten.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 StPO. Für die Anwendung dieser Bestimmung ist auch die Erhebung einer erfolglos gebliebenen Besetzungsrüge als erfolglos eingelegtes Rechtsmittel anzusehen (vgl. OLG Köln, Beschluss vom 16. Februar 2024, in: NJW-Spezial 2024, 216 f.; OLG Bremen, Beschluss vom 14. April 2020, in: NStZ 2020, 565 f., OLG Celle, Beschluss vom 27.01.2020, 3 Ws 21/20, in: StraFo 2020 159; vgl. auch die Begründung des Entwurfs zum Gesetz zur Modernisierung des Strafverfahrens vom 05. November 2019, BT-Drucks. 19/14747, S. 32).“

Anforderungen an die richterliche Unterschrift, oder: Großzügiger Maßstab bei erkennbarer Urheberschaft

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Und im dritten Posting komme ich dann jetzt noch einmal auf den BayObLG, Beschl. v. 17.02.2025 – 201 ObOWi 26/25 – zurück. Über den habe ich schon mal berichtet wegen der Ausführungen des BayObLG zur Geschwindigkeitsüberschreitung pp.

Ich stelle den Beschluss dann aber noch einmal vor, weil das BayObLG sich in der Entscheidung auch zu den Anforderungen an eine „gute Qualität“ der richterlichen Unterschrift geäußert hat. Es handelt sich zwar „nur“ um einen „OWi-Beschluss“, die Ausführungen des BayObLg haben aber auch für Strafverfahren Bedeutung. Dazu heißt es:

„a) Soweit beanstandet wird, dass das angefochtene Urteil wegen des Fehlens der Unterschrift des Richters keine Gründe im Rechtssinne enthalte (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt StPO 67. Aufl. § 275 Rn. 28), dringt die Rüge nicht durch.

Die Unterschrift durch den Richter genügt den Anforderungen, die von der Rechtsprechung an eine ordnungsgemäße Unterschrift gestellt werden. Während ein bloßes Handzeichen nicht genügt, reicht es für eine Unterschrift aus, dass ein die Identität des Unterschreibenden ausreichend kennzeichnender, individuell gestalteter Namenszug vorliegt, der die Absicht erkennen lässt, eine volle Unterschrift zu leisten. Der Namenszug kann flüchtig geschrieben sein und braucht weder die einzelnen Buchstaben klar erkennen zu lassen noch im Ganzen lesbar zu sein (vgl. BGH, Vers.urt. v. 19.07.2007 – I ZR 136/07 bei juris Rn. 24 = NJW-RR 2008, 218 = MDR 2008, 161). Zumindest in Fällen, in denen die Autorenschaft gesichert ist, ist ein großzügiger Maßstab anzulegen (vgl. BayObLG, Beschl. v. 28.05.2003 – 1 ObOWi 177/03 bei juris m.w.N. = BayObLGSt 2003, 73 = NStZ-RR 2003, 305 = VRS 105, 356).

Die Voraussetzungen und Merkmale einer in erkennbarer Absicht geleisteten vollen Unterschrift des Richters liegen vor. Es ist nicht zweifelhaft und wird vom Beschwerdeführer nicht in Frage gestellt, dass das Urteil nicht von jemand anderem verfasst wurde als von dem Richter, der die Hauptverhandlung geleitet hat und dessen Name maschinenschriftlich unter dem handschriftlichen Schriftzug vermerkt ist. Auch das Protokoll, sowie die Ladungs- und Zustellungsverfügungen sind in gleicher Weise unterzeichnet. Der Schriftzug besteht aus mehreren, an ihren sich auf unterschiedlichen Ebenen befindlichen Ecken unterschiedlich gerundeten Auf- und Abschwüngen und verweist deshalb eindeutig auf die Urheberschaft einer ganz bestimmten Person. Die Grenze individueller Charakteristik, die etwa bei der Verwendung bloßer geometrischer Formen oder einfacher (gerader) Linien, die in keinem Bezug zu den Buchstaben des Namens stehen, erreicht ist, ist nicht überschritten. Es besteht von daher kein Zweifel, dass jedermann, der den Namen des Unterzeichnenden und dessen Unterschrift kennt, seinen Namen aus dem Schriftbild herauslesen kann.

Hinzu kommt, dass sich der Schriftzug der Unterschrift signifikant von dem bei einfachen Verfügungen verwendeten bloßen Handzeichen des Richters unterscheidet, welches insgesamt deutlich schlichter gestaltet ist.“

Ausschluss der Öffentlichkeit im JGG-Verfahren, oder: Schutzwürdiges Interesse des Heranwachsenden

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In der zweiten Entscheidung, dem AG Reutlingen, Beschl. v. 27.02.2025 – 5 Ds 57 Js 16962/24 – geht es um eine verfahrensrechtlichen Frage betreffend JGG-Verfahren, und zwar Ausschluss der Öffentlichkeit nahc § 109 Abs. 1 Satz 5 JGG.

Zugrunde liegt folgender Sachverhalt: Dem Angeklagten wird eine fahrlässige Tötung im Straßenverkehr auf einer Landstraße im Bezirk vorgeworfen, wobei überhöhte Geschwindigkeit die Unfallursache gewesen sein soll. Das AG hat beschlossen, dass die Verhandlung vor dem Jugendrichter einschließlich der Verkündung der Entscheidungen ist nicht öffentlich, allerdings ist den Eltern des Geschädigten die Anwesenheit widerruflich gestattet worden. Höchstens drei Pressevertreter:innen ist die Anwesenheit widerruflich ebenfalls gestattet worden, die auf Verlangen einen gültigen Presseausweis/eine Bestätigung der Redaktion, ggf. ein Nachweis der journalistischen Tätigkeit sowie ein gültiger Personalausweis/Reisepass vorzuzeigen haben.

Das AG hat seine Entscheidung wie folgt begründet:

„Die allgemeine Öffentlichkeit ist ausgeschlossen, da dies im Interesse des Heranwachsenden geboten ist. Der Angeklagte, ein Beifahrer und der Getötete waren miteinander persönlich gut bekannt. Der Angeklagte und die Familie des Getöteten sind in der Region verwurzelt. Der angeklagte Unfall hat im Freundeskreis, im Sozialen Nahfeld und in den Familien der verunfallten Personen erhebliche Aufmerksamkeit erfahren und zu großer persönlicher Betroffenheit geführt.

Es ist einerseits zu erwarten, dass zur Klärung des Strafvorwurfs die Lebensverhältnisse des Angeklagten, insbesondere im Bericht der Jugendgerichtshilfe, zur Sprache kommen werden, da sie mit der Tat, der Eignung als Kraftfahrer und der Reife des Angeklagten in Zusammenhang stehen. Es ist daher zu befürchten, dass ohne den Ausschluss der Öffentlichkeit Umstände aus dem (höchst-)persönlichen Lebensbereich des Angeklagten publik werden und dadurch die Persönlichkeitssphäre des Angeklagten unnötig – auf künftig – beeinträchtigt wird, wobei neben dem Schutz der Persönlichkeitsrechte des angeklagten Heranwachsenden aus erzieherischen und jugendpädagogischen Gründen und letztlich auch zur Wahrheitsfindung eine jugendgerechte Kommunikationsatmosphäre geschaffen werden soll (hierzu: vgl. Ostendorf, JGG, 8. Aufl. [2009], Grdl. z. §§ 48–51 Rdnr. 3; Eisenberg, JGG, 13. Aufl. [2009], § 48 Rdnr. 8; NJW 2010, 1739).

Dem besonderen schutzwürdigen Interesse des Heranwachsenden in seiner Entwicklung und in seiner Person, § 109 JGG, steht kein überwiegendes Interesse an der Öffentlichen Erörterung und einer allgemein öffentlichen Unfallrekonstruktion entgegen. Die Eltern des Getöteten sind, so sie dies wünschen, zur Hauptverhandlung zugelassen, § 48 Abs. 2 JGG.

Pressevertreter:innen sind – begrenzt – zugelassen. Die Zulassung von höchstens fünf Zuhörern und Zuhörerinnen ist als Höchstgrenze notwendig, um die besonderen Anforderungen an die Ausgestaltung eines Strafverfahrens wegen einer Fahrlässigkeitstat gegen den heranwachsenden Täter zu wahren. Umgekehrt trägt die Zulassung der Pressöffentlichkeit dem allgemeinen Informationsinteresse der Öffentlichkeit an derart tragischen Unglücksfällen von junger Kraftfahrenden, aber auch der besonderen regionalen Aufmerksamkeit Rechnung, wobei eine (regionale) Presseberichterstattung erfahrungsgemäß die Gewähr für eine umfängliche Berichterstattung bei gleichzeitiger schonender Wahrung der Persönlichkeitsrechte aller Beteiligten erwarten lässt.“