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Eingang am Tag des Fristablaufs nach Dienstschluss, oder: Fristverlängerungsantrag ist (noch) rechtzeitig

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Urheber Ulfbastel

Die zweite Entscheidung behandelt auch eine Verzögerungsproblematik. Die liegt bei dem BVerfG, Beschl. v. 10.05.2023 – 2 BvR 370/22 – aber nicht auf seiten der Parteien, sondern auf seiten des Gerichts.

Die Klägerin hat gegen den Beklagten Zahlungsklage erhoben. Der Beklagte trat der Forderung entgegen. Das AG leitete die Klageerwiderung mit Schreiben vom 01.12.2021 weiter und setzte eine Frist zur Replik innerhalb von zwei Wochen. Das Schreiben ging am 06.12.2021 bei dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin ein.

Mit Schreiben vom 20.12.2021 beantragte der Prozessbevollmächtigte der Klägerin Fristverlängerung. Aufgrund erheblicher Arbeitsüberlastung und urlaubsbedingter Ortsabwesenheit vom 06. bis 10.12.2021 sei eine inhaltliche Rücksprache mit der Klägerin  nicht mehr rechtzeitig möglich. Das Schreiben wurde am 20.12.2021 um 17:54 Uhr per besonderes elektronisches Anwaltspostfach (beA) versandt.

Laut handschriftlichem Vermerk lag das Schreiben dem Richter zum Zeitpunkt der Abfassung des Urteils nicht vor. Mit Urteil vom 21.12.2021 wies das AG die Klage ab. Das Urteil wurde der Geschäftsstelle am 21.12.2021, 13:35 Uhr, übergeben und den Parteien aufgrund Verfügung vom selben Tag zugestellt.

Mit Schreiben ihres Prozessbevollmächtigten vom 30.12.2021 erhob die Klägering Anhörungsrüge. Das Urteil sei ohne vorherige Entscheidung über ihren Fristverlängerungsantrag ergangen. Wäre die Frist antragsgemäß verlängert worden, was im Falle der erstmaligen Verlängerung zu erwarten sei, zumal tragfähige Gründe anwaltlich versichert worden seien, so wäre das Vorbringen des Beklagten bestritten worden.

Mit Beschluss vom 20.01.2022 wies das AG die Anhörungsrüge als unbegründet zurück. Gegen Art. 103 1 GG sei nicht in entscheidungserheblicher Weise verstoßen worden. Der Prozessbevollmächtigte der Klägerin hätte sein Fristverlängerungsgesuch früher stellen müssen. Er habe nicht erwarten können, dass nach Ablauf der üblichen Dienstzeiten noch über sein Gesuch entschieden werde und er habe nicht darauf vertrauen dürfen, dass dem Antrag stattgegeben werden würde. Bei Abfassung des Urteils habe der Antrag noch nicht einmal der Geschäftsstelle vorgelegen. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand könne nur bei plötzlicher und unvorhergesehener Arbeitsüberlastung gewährt werden.

Dagegen die Verfassungsbeschwerde der Klägerin, die Erfolg hatte:

„Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an und gibt ihr statt, soweit sie sich gegen das Urteil des Amtsgerichts Mülheim an der Ruhr vom 21. Dezember 2021 richtet. In diesem Umfang ist die Verfassungsbeschwerde zulässig und begründet und ist ihre Annahme zur Durchsetzung der Rechte der Beschwerdeführerin geboten. Soweit sich die Verfassungsbeschwerde auch gegen den Beschluss des Amtsgerichts über die Anhörungsrüge wendet, wird sie nicht zur Entscheidung angenommen, da sie unzulässig ist.

1. Gemäß § 93a Abs. 2 lit. b), § 93b Satz 1, § 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG kann die Kammer die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung annehmen und ihr stattgeben, wenn diese zulässig und offensichtlich begründet und ihre Annahme zur Durchsetzung der Grundrechte des Beschwerdeführers angezeigt ist. Dies ist im genannten Umfang der Fall.

2. Soweit sich die Beschwerdeführerin gegen das Urteil des Amtsgerichts Mülheim an der Ruhr vom 21. Dezember 2021 wendet, ist ihre Verfassungsbeschwerde zulässig. Insbesondere wurde sie fristgerecht erhoben und hinreichend im Sinne des § 23 Abs. 1 Satz 2, § 92 BVerfGG begründet. Soweit die Beschwerdeführerin auch den Beschluss über ihre Anhörungsrüge angreift, ist ihre Verfassungsbeschwerde nicht zulässig. Ein Beschluss, mit dem über die Anhörungsrüge entschieden wird, kann nur dann Gegenstand einer Verfassungsbeschwerde sein, wenn mit ihm eine eigenständige Beschwer verbunden ist (BVerfGE 119, 292 <294 f.>). Dies ist nur dann der Fall, wenn der Beschluss über die Anhörungsrüge dazu führt, dass bereits der Zugang zu dem Anhörungsverfahren mit nicht tragfähiger Begründung versagt wird und dieses Ergebnis bindend für den weiteren Prozess ist, eine andere fachgerichtliche Möglichkeit, die Korrektur des gerügten Gehörsverstoßes zu erreichen, also nicht mehr besteht (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 14. März 2007 – 1 BvR 2748/06 -, Rn. 11 f.; Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 26. Februar 2008 – 1 BvR 2327/07 -, Rn. 17). Nach diesem Maßstab liegt in dem Beschluss über die Anhörungsrüge keine eigenständige Beschwer, da lediglich die Korrektur des zuvor bereits begangenen Verstoßes unterblieb.

3. Soweit die Verfassungsbeschwerde zulässig ist, ist sie offensichtlich begründet. Das Amtsgericht Mülheim an der Ruhr hat das Recht der Beschwerdeführerin auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) verletzt.

a) Art. 103 1 GG garantiert die Möglichkeit der Verfahrensbeteiligten, sich mit tatsächlichen und rechtlichen Argumenten im gerichtlichen Verfahren zu behaupten (vgl. BVerfGE 55, 1 <6>). Zu jeder dem Gericht unterbreiteten Stellungnahme der Gegenseite muss die Gelegenheit zur Äußerung bestehen (vgl. BVerfGE 19, 32 <36>). Das Gericht hat das Vorbringen der Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Bei seiner Entscheidung darf das Gericht keine Anforderungen an den Sachvortrag stellen, mit dem ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter unter Anwendung der von ihm zu verlangenden Sorgfalt nicht zu rechnen braucht. Es darf auch keine Tatsachen zugrunde legen, zu denen nicht Stellung genommen werden konnte (vgl. BVerfGE 7, 275 <278>; 55, 1 <6>). Eine allgemeine Frage- und Aufklärungspflicht besteht jedoch nicht. Auch kann aus Art. 103 Abs. 1 GG keine Pflicht des Gerichts, auf seine Rechtsauffassung hinzuweisen, abgeleitet werden (vgl. BVerfGE 84, 188 <190>). Nach Auffassung des Bundesgerichtshofs ist demnach Art. 103 Abs. 1 GG verletzt, wenn ein Gericht ohne vorherigen Hinweis auf rechtliche Gesichtspunkte oder Erwägungen abstellt, mit denen auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter nach dem bisherigen Prozessverlauf nicht zu rechnen brauchte (BGH, Beschluss vom 13. Januar 2011 – VII ZR 22/10 -, juris, Rn. 6). Aus Art. 103 Abs. 1 GG folgt aber keine Pflicht der Gerichte, sich mit jedem Vorbringen in den Entscheidungsgründen ausdrücklich zu befassen. Denn grundsätzlich geht das Bundesverfassungsgericht davon aus, dass die Gerichte das Parteivorbringen zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen haben (vgl. BVerfGE 149, 86 <109 Rn. 63>). Art. 103 Abs. 1 GG ist daher erst dann verletzt, wenn sich im Einzelfall aus besonderen Umständen klar ergibt, dass tatsächliches Vorbringen eines Beteiligten entweder überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder doch bei der Entscheidung nicht erwogen worden ist (vgl. BVerfGE 65, 293 <295>; 70, 288 <293>; 86, 133 <145 f.>; stRspr).

b) Das Gericht überging den Fristverlängerungsantrag der Beschwerdeführerin und erließ sein den Rechtszug abschließendes Urteil, ohne darüber entschieden zu haben. Dies geht bereits aus den Gründen des Anhörungsrügebeschlusses hervor.

Die in dem Beschluss vom 20. Januar 2022 dargelegten Gründe rechtfertigen seine Vorgehensweise nicht.

aa) Maßgebliche Vorschrift für die Verlängerung gerichtlich gesetzter Stellungnahmefristen ist § 224 2 ZPO. Nach § 224 Abs. 2 ZPO können richterliche Fristen verlängert werden, wenn erhebliche Gründe glaubhaft gemacht sind. Es wird dabei als zulässig angesehen, auf eine eidesstattliche Versicherung zu verzichten und eine bloße anwaltliche Versicherung ausreichen zu lassen (vgl. Stackmann, in: Münchener Kommentar zur ZPO, 6. Aufl. 2020, § 224, Rn. 5), insbesondere dann, wenn es sich um eine erstmalige Verlängerung handelt (vgl. Stackmann, in: Münchener Kommentar zur ZPO, 6. Aufl. 2020, § 225, Rn. 4). Über einen Antrag auf Fristverlängerung kann nach § 225 Abs. 1 ZPO ohne mündliche Verhandlung entschieden werden.

bb) Ein Antrag auf Fristverlängerung muss innerhalb der noch laufenden Frist bei Gericht eingegangen sein (vgl. Stackmann, in: Münchener Kommentar zur ZPO, 6. Aufl. 2020, § 224, Rn. 8). Nicht erforderlich ist dagegen, dass über ihn noch während des Fristlaufs entschieden wird. Für den Eingang eines Schreibens bei Gericht ist nicht erforderlich, dass das Schreiben der richtigen Akte zugeordnet wird oder dass es der Geschäftsstelle übergeben wird, sondern allein, dass es in den Machtbereich des Gerichts gelangt (vgl. BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom 3. Oktober 1979 – 1 BvR 726/78 -, juris, Rn. 20 ff.; Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 12. Dezember 2012 – 2 BvR 1294/10 -, Rn. 14; BGH, Beschluss vom 10. Juni 2003 – VIII ZB 126/02 -, NJW 2003, S. 3418).

cc) Nach diesem Maßstab muss der Fristverlängerungsantrag als am 20. Dezember 2022, 17:54 Uhr, gestellt gelten, denn zu diesem Zeitpunkt gelangte das per beA übermittelte Schreiben in den Machtbereich des Gerichts. Soweit das Amtsgericht in seinem Beschluss über die Anhörungsrüge ausführte, der Fristverlängerungsantrag habe zum Zeitpunkt der Abfassung des Urteils nicht einmal der Geschäftsstelle vorgelegen, verfehlt es die prozessrechtlichen Anforderungen. Das Gericht hätte noch über den Antrag befinden müssen; Verzögerungen bei der Weiterleitung des Antrags innerhalb des Gerichts können nicht zu Lasten der Beschwerdeführerin gehen.

dd) Das Amtsgericht konnte auch nicht verlangen, dass der Prozessbevollmächtigte seinen Fristverlängerungsantrag zu einem früheren Zeitpunkt hätte stellen müssen. Fristen dürfen einem gesicherten prozessrechtlichen Grundsatz zufolge, der seine Stütze im Verfassungsrecht findet, vollständig ausgeschöpft werden (vgl. BVerfGE 40, 42 <44>; 41, 323 <328>; 52, 203 <207>; 69, 381 <385>). Lediglich bei der Übermittlung eines fristgebundenen Schriftsatzes per Telefax ist zu beachten, dass mit der Übermittlung so rechtzeitig begonnen wird, dass in der Regel mit einem rechtzeitigen Abschluss des Sendungsvorgangs gerechnet werden kann (vgl. BGH, Beschluss vom 12. April 2016 – VI ZB 7/15 -, juris, Rn. 9).

ee) Zuletzt spielt auch keine Rolle, ob den Prozessbevollmächtigten der Beschwerdeführerin Verschulden trifft, ob er damit rechnen durfte, dass seinem Antrag stattgegeben werden würde und wann er mit einer Entscheidung rechnen durfte. Da es hier nicht um eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand geht, sind diese Fragen unerheblich. Maßgeblich ist nach oben Dargestelltem allein, ob der Fristverlängerungsantrag rechtzeitig bei Gericht einging und ob ein erheblicher Grund dafür glaubhaft gemacht wurde. Von beidem ist hier auszugehen. Es ist nicht erkennbar, aus welchen Gründen das Amtsgericht den erstmaligen Fristverlängerungsantrag wegen Arbeitsüberlastung und Ortsabwesenheit hätte ablehnen können.

c) Das Amtsgericht Mülheim an der Ruhr überging nicht nur den Fristverlängerungsantrag der Beschwerdeführerin, sondern schnitt ihr auf diesem Wege auch die Möglichkeit ab, zu dem Vorbringen der Beklagtenseite Stellung und damit Einfluss auf die gerichtliche Entscheidung zu nehmen. Dies war entscheidungserheblich…..“

Angestellte adressiert Rechtsmittel falsch, oder: Rechtsanwalt hat Fristversäumung verschuldet

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Und im Kessel Buntes heute dann mal wieder zwei Entscheidungen zur (Frist)Versäumung. Zunächst hier der BGH, Beschl. v. 26.01.2023 – I ZB 42/22 (schon etwas älter, aber erst jetzt veröffentlicht).

Gestritten wird in dem Verfahren um die Rechtszeitigkeit der Berufungseinlegung und die Wiedereinsetzung.

In dem Verfahren verlangt der Kläger von der Beklagten Maklervergütung. Das LG hat die Klage abgewiesen. Der Kläger hat gegen das ihm am 29.11.2021 zugestellte Urteil mit Schriftsatz vom 28.12.2021, gerichtet an das LG Berufung eingelegt; dort ist der Schriftsatz am 28.12.2021 per besonderem elektronischen Anwaltspostfach (beA) um 18:50:24 Uhr eingegangen.

Das LG hat unter dem 30.12.2021 die Weiterleitung des Berufungsschriftsatzes an das Berufungsgericht verfügt, wo der Berufungsschriftsatz am 03.01.2022 eingegangen ist. Mit Schriftsatz vom 11.01.2022, beim Berufungsgericht am 12.01.2022 eingegangen, hat der Kläger Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsfrist beantragt.

Zur Begründung seines Antrags hat der Kläger vorgetragen, sein vormaliger Prozessbevollmächtigter habe seiner langjährigen und zuverlässigen Mitarbeiterin vor deren Urlaubsantritt den Auftrag erteilt, den Berufungsschriftsatz in der elektronischen Anwaltsakte zu erstellen und zu speichern. Kurz vor dem Urlaubsantritt der Mitarbeiterin habe der Prozessbevollmächtigte gemeinsam mit dieser eine Fristenkontrolle durchgeführt und einen als „Berufung“ bezeichneten Schriftsatz in der elektronischen Akte des Klägers vorgefunden. Diesen habe sein Prozessbevollmächtigter sodann am 28.12.2021 per beA abgesandt. Zu der fehlerhaften Adressierung an das Landgericht sei es gekommen, weil die Mitarbeiterin die Anweisung, den Berufungsschriftsatz selbst zu erstellen, nicht befolgt, sondern eine Auszubildende damit beauftragt habe. Bei der Kontrolle des Schriftsatzes habe die Mitarbeiterin dann übersehen, dass dieser fehlerhaft an das Landgericht adressiert gewesen sei. Sein Prozessbevollmächtigter habe darauf vertraut, dass der Schriftsatz korrekt an das Oberlandesgericht adressiert gewesen sei. Der Schriftsatz sei versehentlich an das falsche Gericht übersandt worden, weil die Übersendung in der bekannten anwaltlichen Stresssituation im Jahresendgeschäft während der Weihnachts- und Urlaubszeit erfolgt und durch den Umstand beeinflusst gewesen sei, dass der Schriftsatz vor dem Versand an das Gericht bei Verwendung des beA – anders als bei einer handschriftlichen Unterzeichnung – nicht auf den ersten Blick ersichtlich sei, sondern durch Betätigung des hierfür vorgesehenen Symbols im beA hätte aufgerufen werden müssen. Es überspannte die Sorgfaltspflichten eines Rechtsanwalts, wenn von ihm verlangt würde, alle Schriftsätze, die er über das beA mit seiner eigenen Kennung an die Gerichte übermittele, vor dem Absenden selbst noch einmal auf ihre Richtigkeit zu überprüfen.

Der Berufungsschriftsatz sei zudem bei der zentralen Eingangsstelle des LG und des OLG eingegangen. Es existiere eine zentrale gemeinsame Briefannahmestelle der beiden Gerichte und es könne vermutet werden, dass dies auch noch nach Einführung des beA der Fall sei. Jedenfalls könne durch die Digitalisierung, die gerade das Ziel der Beschleunigung verfolge, keine Schlechterstellung des Rechtsanwalts erfolgen, der Schriftsätze per beA einreiche. Das digitalisierte Schriftstück sei genauso zu behandeln als wäre es an der zentralen gemeinsamen Briefannahmestelle eingegangen.

Selbst wenn man davon ausginge, dass es keine gemeinsame Briefannahmestelle gebe, so hätte der Schriftsatz doch ohne weiteres am 29.12.2021, einem normalen Werktag, digital an das zuständige Rechtsmittelgericht weitergeleitet, ausgedruckt und vorgelegt werden können. Im Zeitalter der Digitalisierung innerhalb der Justiz eine Postlaufzeit von drei Tagen anzunehmen, erscheine antiquiert und laufe dem Ziel des Gesetzes zur Förderung des elektronischen Rechtsverkehrs zuwider.

Mit Beschluss vom 14.12.2022 hat das Berufungsgericht den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zurückgewiesen und die Berufung als unzulässig verworfen. Hiergegen wendet sich der Kläger mit seiner Rechtsbeschwerde. Das Berufungsgericht hat die Zurückweisung des Wiedereinsetzungsantrags wie folgt begründet: Der Kläger sei nicht schuldlos an der Versäumung der Frist gehindert gewesen, da ihm nach § 85 Abs. 2 ZPO das insoweit vorliegende Verschulden seines Prozessbevollmächtigten zuzurechnen sei. Dieser habe seine Pflichten dadurch verletzt, dass er den Berufungseinlegungsschriftsatz nicht auf die richtige Adressierung hin überprüft und entsprechend berichtigt habe. Die Anfertigung der Rechtsmittelschrift dürfe in einem so gewichtigen Teil wie der Bezeichnung des Rechtsmittelgerichts auch gut geschultem und erfahrenem Personal eines Rechtsanwalts nicht eigenverantwortlich überlassen werden. Der Prozessbevollmächtigte müsse die Rechtsmittelschrift vor Unterzeichnung und Versendung mittels beA auf Vollständigkeit und auf die richtige Bezeichnung des Rechtsmittelgerichts hin überprüfen.

Dieses Verschulden sei auch für die Versäumung der Berufungsfrist kausal geworden. Der Berufungsschriftsatz sei am 28.12.2021 gerade nicht beim OLG eingegangen. Als Empfänger sei vielmehr das LG ausgewiesen. Eine zentrale Eingangsstelle existiere nicht. Es gebe auch keinen verpflichtenden interbehördlichen digitalen Schriftverkehr. Das Landgericht sei kein Erfüllungsgehilfe des Prozessbevollmächtigen des Klägers zur Wahrung der Rechtsmittelfrist. Eine Fiktion der Wahrung der Berufungseinlegungsfrist durch Übermittlung eines digitalen Schriftsatzes an jedwedes Gericht des Landes Hessen lasse sich mit den Vorschriften der Zivilprozessordnung nicht in Einklang bringen.

Der BGH hat die Rechtsbeschwerde als unzulässig verworfen. Hier die amtlichen Leitsätze zu seiner Entscheidung:

1. Hat der Prozessbevollmächtigte einer Partei die Anfertigung einer Rechtsmittelschrift seinem angestellten Büropersonal übertragen, ist er verpflichtet, das Arbeitsergebnis vor Absendung über das besondere elektronische Anwaltspostfach sorgfältig auf Vollständigkeit zu überprüfen. Dazu gehört auch die Überprüfung, ob das Rechtsmittelgericht richtig bezeichnet ist.
2. Geht ein fristwahrender Schriftsatz über das besondere elektronische Anwaltspostfach erst einen Tag vor Fristablauf beim unzuständigen Gericht ein, ist es den Gerichten regelmäßig nicht anzulasten, dass die Weiterleitung im ordentlichen Geschäftsgang nicht zum rechtzeitigen Eingang beim Rechtsmittelgericht geführt hat (Fortführung von BGH, Beschluss vom 8. Februar 2012 – XII ZB 165/11, NJW 2012, 1591]).

 

Durchsuchung III: Und nochmals Anfangsverdacht, oder: Einmal reicht es, einmal nicht…..

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Im dritten Posting dann noch zwei Entscheidungen zur Durchsuchung, und zwar einmal hopp, einmal topp:

Zunächst hier der LG Magdeburg, Beschl. v. 04.05.2023 – 25 Qs 35/23 – ergangen in einem Ermittlungsverfahren wegen Jagdwilderei. In dem hat sich das AG bei der Anordnung einer Durchsuchung beim Beschuldigten allein auf Angaben mittelbarer Zeugen gestützt. Das hat dem LG nicht gereicht.

Zu der Entscheidung passt der Leitsatz:

Voraussetzung für die Anordnung der Durchsuchung gemäß § 102 StPO ist die Wahrscheinlichkeit, dass eine bestimmte Straftat bereits begangen und nicht nur straflos vorbereitet worden ist. Hierfür müssen zumindest tatsächliche Anhaltspunkte vorliegen. Ggf. ist die Vernehmung unmittelbarer Tatzeugen erforderlich.

Und dann komme ich noch einmal zurück auf den OLG Hamm, Beschl. v. 27.04.2023 – 3 RVs 16/23. Den hatte ich neulich schon wegen der materiellen Frage vorgestellt, Stichwort: Impfpassfälschung (vgl. hier: Corona I: Gefälschter Impfpass vor Kreistagssitzung, oder: Gebrauch unrichtiger Gesundheitszeugnisse). Das OLG hat in der Entscheidung dann auch zur Zulässigkeit der Durchsuchung beim Angeklagten Stellung genommen und die bejaht:

2. Bei der Feststellung des Tatgeschehens hat das Landgericht kein Beweisverwertungsverbot missachtet. Die Verfahrensrüge ist unbegründet. Die durch Beschluss des Amtsgerichts Bielefeld vom 25. November 2021 angeordnete Durchsuchung bei dem Angeklagten, bei der der zur Tatausführung verwendete Impfausweis aufgefunden und sichergestellt wurde, war rechtmäßig.

a) Für die Zulässigkeit einer regelmäßig in einem frühen Stadium der Ermittlungen in Betracht kommenden Durchsuchung beim Beschuldigten gem. § 102 StPO genügt der über bloße Vermutungen hinausreichende, auf bestimmte tatsächliche Anhaltspunkte gestützte konkrete Verdacht, dass eine Straftat begangen worden ist und der Verdächtige als Täter oder Teilnehmer an dieser Tat in Betracht kommt. Eines hinreichenden oder gar dringenden Tatverdachts bedarf es – unbeschadet der Frage der Verhältnismäßigkeit – nicht (st. Rspr.; vgl. z. B. BVerfG, Beschluss vom 7. September 2006 – 2 BvR 1219/05 -, BGH, Beschluss vom 30. März 2023 – StB 58/22 -; Beschluss vom 26. Juni 2019 – StB 10/19 -; jeweils juris; jeweils m. w. N.).

Daran gemessen lagen sachlich zureichende Gründe für eine Durchsuchung der Wohnung des Angeklagten vor. Denn der Angeklagte hatte gegenüber der Zeugin Q. angegeben, 300 bis 400 Ipfausweise des Impfzentrums Lage zu besitzen, und der Zeugin Q. einen solchen Impfausweis für 350 € zum Kauf angeboten. Die Zeugin Q. hatte dies dem Zeugen C. berichtet, der den Landrat in einem Gespräch hierüber informiert hatte. Diesen Gesprächsinhalt zeigte der Zeuge S. bei der Polizei an.

Zwar mögen die Angaben eines Zeugen, der nicht aus eigener Wahrnehmung über einen strafrechtlich relevanten Sachverhalt berichten kann, weniger zuverlässig sein als die Angaben eines unmittelbaren Zeugen. Deshalb ist aber nicht umgekehrt den Angaben eines Zeugen vom Hörensagen von vornherein jeder Beweiswert abzusprechen; vielmehr können auch die Angaben eines mittelbaren Zeugen den für eine Durchsuchung ausreichenden Anfangsverdacht begründen (BGH, Beschluss vom 12. August 2015 – 5 StB 8/15 -, NStZ 2016, 370; vgl. auch Diemer, in: Karlsruher Kommentar zur Strafprozessordnung, 9. Auflage 2023, § 250, Rn. 10f.).

Anhaltspunkte dafür, dass es sich bei den Angaben um eine Falschbelastung handelt, bestanden nicht; für die Richtigkeit sprach vielmehr, dass die Information durch einen Parteifreund und Fraktionskollegen des Angeklagten weitergegeben wurde. Zudem hatten sich während der Pandemie AfD-Politiker und -Anhänger so ablehnend gegenüber den Corona-Schutzregelungen geäußert, dass ausreichend Anlass bestand, konkrete Hinweise auf die Verletzung von § 279 StGB a. F. durch Angehörige dieses Personenkreises ernst zu nehmen.

b) Die Durchsuchung war auch nicht unverhältnismäßig.

Die Maßnahme war geeignet, zur Klärung des Tatverdachts beizutragen. Gegenüber der Durchsuchung stand kein gleichwirksames milderes Mittel zur Verfügung. Denn auch eine Vernehmung der weiteren Zeugen hätte zu diesem Zeitpunkt keine abschließende Klärung herbeigeführt, ob der Angeklagte unwahre Impfausweise besitzt.

Die Durchsuchung war auch angemessen. Soweit mit § 4 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 und Abs. 5 CoronaSchVO NRW in der seinerzeit gültigen Fassung der Zugang zu Veranstaltungen bzw. Angeboten von einer Immunisierung oder Testung abhängig gemacht wurde, diente dies dem Gesundheitsschutz der anderen Nutzer bzw. Besucher der betreffenden Einrichtungen oder Veranstaltungen (OVG NRW, Beschluss vom 30. September 2021 – 15 B 1529/21 -, juris, m. w. N.). Zur Erreichung dieses Zwecks war der Schutz des Rechtsverkehrs vor unwahren Impfzeugnissen unabdingbar. Die Verletzung des Vertrauens in die Richtigkeit von Gesundheitszeugnissen konnte in diesem Fall über die unmittelbare rechtliche Beziehung zwischen dem Angeklagten und dem Landrat weit hinausreichende, im Einzelfall für Dritte auch sehr ernsthafte gesundheitliche, schlimmstenfalls tödliche Folgen haben.“

Durchsuchung II: Nochmals Sturm auf den Bundestag, oder: Rekrutierungsversuche beim sog. Dritten

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Im zweiten Posting habe ich dann hier eine Entscheidung des BGH, und zwar den BGH, Beschl. v. 20.04.2023 – StB 59/22. Er betrifft eine Durchsuchung in einem Verfahren wegen des Verdachts der Bildung einer terroristischen Vereinigung und weiterer Straftaten, Stichwort: Reichsbürger.

Der BGH hat die gegen die Durchsuchungsanordnung gerichtete Beschwerde als unbegründet angesehen:

„2. Das Rechtsmittel ist jedoch unbegründet. Die Voraussetzungen für den Erlass der Durchsuchungsanordnung (§§ 103, 105 StPO) lagen vor.

a) Gegen die Beschuldigten lag ein die Durchsuchung nach § 102 StPO rechtfertigender Anfangsverdacht vor, sich mitgliedschaftlich an einer Vereinigung beteiligt zu haben, deren Zwecke oder deren Tätigkeit auf die Begehung von Mord (§ 211 StGB) oder Totschlag (§ 212 StGB) gerichtet gewesen seien, oder eine solche unterstützt zu haben.

aa) Für die Zulässigkeit einer regelmäßig in einem frühen Stadium der Ermittlungen durchzuführenden Durchsuchung genügt der über bloße Vermutungen hinausreichende, auf bestimmte tatsächliche Anhaltspunkte gestützte konkrete Verdacht, dass eine Straftat begangen wurde und der Verdächtige als Täter oder Teilnehmer an dieser Tat in Betracht kommt. Eines hinreichenden oder gar dringenden Tatverdachts bedarf es – unbeschadet der Frage der Verhältnismäßigkeit – nicht (st. Rspr.; vgl. BVerfG, Beschluss vom 7. September 2006 – 2 BvR 1219/05, NJW 2007, 1443 Rn. 15; BGH, Beschlüsse vom 20. Juli 2022 – StB 29/22, NStZ 2022, 692 Rn. 6; vom 12. August 2015 – StB 8/15, BGHR StPO § 102 Tatverdacht 3 Rn. 4; vom 18. Dezember 2008 – StB 26/08, BGHR StPO Tatverdacht 2 Rn. 5).

bb) Gemessen hieran lagen zum Zeitpunkt des Erlasses des angefochtenen Beschlusses sachlich zureichende Gründe für die Anordnung der Durchsuchung vor. Es bestand der Anfangsverdacht, dass sich die Beschuldigten an einer terroristischen Vereinigung gemäß § 129a Abs. 1 Nr. 1 StGB beteiligten oder sie gemäß § 129a Abs. 1 Nr. 1, Abs. 5 Satz 1 StGB unterstützten.

(1) Nach dem maßgeblichen Erkenntnisstand zum Zeitpunkt der Anordnung der Durchsuchung (vgl. hierzu BVerfG, Beschluss vom 10. September 2010 – 2 BvR 2561/08, NJW 2011, 291 Rn. 28) war im Sinne eines Anfangsverdachts von folgendem Sachverhalt auszugehen:

Die Beschuldigten gehörten der sogenannten Reichsbürger- und QAnon-Bewegung an. Sie schlossen sich spätestens Ende November 2021 zu einer auf längere Dauer angelegten Organisation zusammen, die sich zum Ziel setzte, die bestehende staatliche Ordnung in Deutschland – insbesondere durch den Einsatz militärischer Mittel und Gewalt gegen staatliche Repräsentanten – zu überwinden und durch eine eigene, bereits in Grundzügen ausgearbeitete Staatsform zu ersetzen. Dabei rechneten sie mit der Tötung von Personen und nahmen dies billigend in Kauf. Sie lehnten die freiheitlich-demokratische Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland und deren Institutionen ab. Auf der Grundlage einer entsprechenden gemeinsamen Gesinnung erwarteten sie an einem konkreten und unmittelbar bevorstehenden, aber noch nicht festgelegten „Tag X“ einen Angriff auf die oberste Ebene der staatlichen Führung der Bundesrepublik Deutschland durch die sogenannte Allianz, einen Geheimbund bestehend aus Angehörigen ausländischer Regierungen, Streitkräfte und Geheimdienste.

Zum Zwecke der Umsetzung ihrer Umsturzpläne schufen die Mitglieder der Gruppierung organisatorische, hierarchische und verwaltungsähnliche Strukturen mit einem „Rat“ als zentralem Gremium und einem „militärischen Arm“. Dieser sollte nach dem Angriff durch die „Allianz“ die noch verbleibenden Institutionen und Repräsentanten des Staates bekämpfen und die Macht durch ein deutschlandweites Netz von Heimatschutzkompanien absichern. Ferner plante der engste Führungszirkel der Vereinigung das gewaltsame Eindringen einer bewaffneten Gruppe in das Reichstagsgebäude mit dem Ziel, Abgeordnete, Kabinettsmitglieder sowie deren Mitarbeiter zu verhaften und abzuführen, wobei sie hierfür bereits in konkrete Vorbereitungshandlungen eingetreten waren.

(2) Der Anfangsverdacht gründet sich im Wesentlichen auf Erkenntnisse des Bundeskriminalamts, der Landeskriminalämter Baden-Württemberg, Bayern, Berlin, Hessen, Rheinland-Pfalz und Sachsen, der Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder sowie des Bundesamtes für den Militärischen Abschirmdienst, die maßgeblich auf G 10-Maßnahmen – insbesondere Telefonüberwachung und Observation nach § 1 Abs. 1 Nr. 1, § 3 Abs. 1 Nr. 6 Buchst. a, Abs. 2 G 10 i.V.m. § 129a Abs. 1 StGB – zurückzuführen sind. Die Ergebnisse dieser Maßnahmen sind für die Zwecke der Strafverfolgung freigegeben und gemäß § 4 Abs. 4 Nr. 2 G 10, § 161 Abs. 2 Satz 1 StPO in das Ermittlungsverfahren überführt worden.

Zu den weiteren Einzelheiten der den Tatverdacht gegen die Beschuldigten begründenden Umstände wird auf die Ausführungen im Durchsuchungsbeschluss des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs vom 2. Dezember 2022 sowie die Antragsschrift des Generalbundesanwalts vom selben Tag verwiesen.

(3) In rechtlicher Hinsicht sind die den Beschuldigten vorgeworfenen Handlungen als mitgliedschaftliche Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung und Unterstützung einer solchen gemäß § 129a Abs. 1 Nr. 1, Abs. 5 StGB zu werten (vgl. im Einzelnen BGH, Beschluss vom 30. März 2023 – StB 58/22, juris Rn. 22 ff.). Ob die Beschuldigten daneben verdächtig sind, sich zugleich wegen Vorbereitung eines hochverräterischen Unternehmens gemäß § 83 Abs. 1 StGB strafbar gemacht zu haben, bedarf hier keiner Entscheidung.

(4) Die Strafgerichtsbarkeit des Bundes und damit Zuständigkeit des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs für den Erlass des Durchsuchungsbeschlusses ergibt sich aus § 169 Abs. 1 StPO, § 120 Abs. 1 Nr. 6, § 142 Abs. 1 Nr. 1, § 142a Abs. 1 Satz 1 GVG.

b) Es lagen zum Zeitpunkt der Anordnung der Durchsuchung auch hinreichende Tatsachen dafür vor, dass beim Betroffenen bestimmte Beweismittel im Sinne des § 103 Abs. 1 Satz 1 StPO aufgefunden werden können.

aa) Eine Ermittlungsdurchsuchung, die eine nichtverdächtige Person betrifft, setzt nach § 103 Abs. 1 Satz 1 StPO Tatsachen dahin voraus, dass sich das gesuchte Beweismittel in den zu durchsuchenden Räumen befindet. Es müssen konkrete Gründe im Zeitpunkt der Anordnung, mithin aus ex ante-Sicht dafür sprechen (vgl. BVerfG, Beschluss 9. August 2019 – 2 BvR 1684/18, NJW 2019, 3633 Rn. 35; BGH, Beschlüsse vom 18. November 2021 – StB 6/21 u.a., NJW 2022, 795 Rn. 11; vom 5. Juni 2019 – StB 6/19, juris Rn. 8; vom 13. Juni 1978 – StB 51/78, BGHSt 28, 57, 59), dass der gesuchte Beweisgegenstand in den Räumlichkeiten des Unverdächtigen gefunden werden kann (BVerfG, Beschluss vom 28. April 2003 – 2 BvR 358/03, BVerfGK 1, 126, 132; BGH, Beschlüsse vom 15. Oktober 1999 – StB 9/99, BGHR StPO § 103 Gegenstände 1; vom 13. Januar 1989 – StB 1/89, BGHR StPO § 103 Tatsachen 1; vom 20. Dezember 1988 – 1 BGs 1143/88, BGHR StPO § 103 Tatsachen 2; Beschluss vom 13. Juni 1978 – StB 51/78, BGHSt 28, 57, 59; KK-StPO/Henrichs/Weingast, 9. Aufl., § 103 Rn. 5; LR/Tsambikakis, StPO, 27. Aufl., § 103 Rn. 14).

Diese Voraussetzungen waren hier erfüllt. Ausweislich der zum Zeitpunkt der Durchsuchungsanordnung vorliegenden Ermittlungsergebnisse versuchten die Beschuldigten E. und W. im Rahmen ihrer Vorbereitungshandlungen für ein gewaltsames Eindringen in das Reichstagsgebäude, den Betroffenen sowohl über den Messenger-Dienst Telegram als auch telefonisch zu rekrutieren. Dieser ist ein umfassend und vielfach speziell ausgebildeter Kommandosoldat mit Einsatzerfahrungen unter anderem in Afghanistan, der zudem über einen langjährigen Verwendungsaufbau im Kommando Spezialkräfte der Bundeswehr (KSK) verfügt. Ein erster telefonischer Kontakt zwischen ihm und dem Beschuldigten E.   fand am 10. September 2021 statt. Auch der Beschuldigte W. trat ausweislich des Vermerks des Bundeskriminalamts vom 1. Dezember 2022 über einen “ pp.“ am 25. November 2021 mittels des Messenger-Dienstes Telegram an ihn heran. Zudem fanden sich auf dem Tablet des Beschuldigten W. weitere Kontaktspuren zu ihm. Aufgrund dieser Umstände bestand damit entgegen seinem Beschwerdevorbringen eine Auffindewahrscheinlichkeit für Gegenstände, die zu einer weiteren Aufklärung des verfahrensgegenständlichen Sachverhalts beitragen können. Hierzu zählen insbesondere elektronische Kommunikationsmittel, die nicht nur Aufschluss über die inhaltliche Kommunikation zwischen den Beschuldigten und ihm, sondern auch über etwaige weitere Kontaktpersonen innerhalb der Vereinigung erbringen können.

bb) Die Durchsuchung bei einer nichtverdächtigen Person setzt – anders als im Fall des § 102 StPO für die Durchsuchung beim Tatverdächtigen, bei dem eine allgemeine Aussicht genügt, irgendwelche relevanten Beweismittel zu finden – nach § 103 StPO überdies voraus, dass hinreichend individualisierte (bestimmte) Beweismittel für die aufzuklärende Straftat gesucht werden. Diese Gegenstände müssen im Durchsuchungsbeschluss so weit konkretisiert werden, dass weder bei dem Betroffenen noch bei dem die Durchsuchung vollziehenden Beamten Zweifel über die zu suchenden und zu beschlagnahmenden Gegenstände entstehen können (BGH, Beschluss vom 21. November 2001 – StB 20/01, NStZ 2002, 215 Rn. 3). Ausreichend ist dafür allerdings, dass die Beweismittel der Gattung nach näher bestimmt sind; nicht erforderlich ist, dass sie in allen Einzelheiten bezeichnet werden (BGH, Beschlüsse vom 20. Juli 2022 – StB 29/22, NStZ 2022, 692 Rn. 14; vom 28. Juni 2018 – StB 14/18, juris Rn. 16; vom 15. Oktober 1999 – StB 9/99, BGHR StPO § 103 Gegenstände 1; jeweils mwN).

Diesen Anforderungen wird der angefochtene Beschluss ebenfalls gerecht. Es wurden die zu sichernden Gegenstände, insbesondere elektronische Kommunikationsmittel, Dokumente und Unterlagen, auch in digitaler Form, Waffen sowie militärische Ausrüstungsgegenstände, dahin konkretisiert, dass sie mit der terroristischen Vereinigung in Zusammenhang stehen mussten. Durch diese Einschränkung der möglicherweise aufzufindenden Beweismittel war den durchsuchenden Beamten hinreichend deutlich aufgezeigt, worauf sie ihr Augenmerk zu richten hatten. Im Übrigen unterliegen Schriftstücke und elektronische Speichermedien vor ihrer Beschlagnahme oder sonstigen Sicherstellung nach § 110 Abs. 1 StPO der Durchsicht durch die Staatsanwaltschaft oder von ihr beauftragte Ermittlungspersonen. Dies ermöglicht die Überprüfung, welche Dokumente oder Dateien als Beweismittel in Betracht kommen und deshalb sicherzustellen oder nach § 110 Abs. 3 Satz 2 StPO zu sichern sind. Um diese Durchsicht zu gewährleisten, kann auch die Mitnahme einer Gesamtheit von Daten zulässig sein (vgl. BVerfG, Beschluss vom 15. August 2014 – 2 BvR 969/14, NJW 2014, 3085 Rn. 44 f.; BGH, Beschluss vom 5. August 2003 – StB 7/03, NStZ 2003, 670 Rn. 7).

c) Die Anordnung der Durchsuchung entsprach entgegen dem Vorbringen des Betroffenen – auch unter Berücksichtigung seiner grundrechtlich durch Art. 13 Abs. 1 GG geschützten Belange – dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit.

aa) Sie war zur weiteren Aufklärung einer Beteiligung der Beschuldigten an dem Tatgeschehen geeignet und erforderlich, da unter den gegebenen Umständen zu erwarten war, dass die Durchsuchung zum Auffinden von Gegenständen, insbesondere von elektronischen Kommunikationsmitteln, führen würde, die nicht nur eine inhaltliche Kommunikation zwischen den Beschuldigten und dem Betroffenen nachweisen oder widerlegen, sondern auch Aufschluss über weitere Kontaktpersonen innerhalb der Vereinigung erbringen können. Der Umstand, dass die Ermittlungsbehörden bereits über andere Beweismittel verfügten, stellt entgegen der Rechtsauffassung des Betroffenen die Erforderlichkeit der Maßnahme nicht in Frage (vgl. BGH, Beschluss vom 18. Mai 2022 – StB 17/22, juris Rn. 17).

bb) Die Anordnung der Durchsuchung stand zudem in einem angemessenen Verhältnis zur Bedeutung und Schwere der aufzuklärenden Straftat. Die von der in Rede stehenden Gruppierung ausgehende Gefahr ist entgegen dem Vorbringen des Beschwerdeführers erheblich. Dies zeigt sich insbesondere in den konkreten vielfältigen Vorbereitungshandlungen der Beschuldigten W. und E. für eine bewaffnete Erstürmung des Reichstagsgebäudes durch eine Gruppe von bis zu 16 Personen, vornehmlich aus den Reihen aktiver oder ehemaliger Angehöriger des KSK oder anderer Spezialeinheiten der Bundeswehr sowie Polizei, und dem geplanten, zudem in Teilen bereits umgesetzten Aufbau von militärischen „Heimatschutzkompanien“ im gesamten Bundesgebiet.

Durchsuchung I: Das verfassungsrechtliche 1 x 1, oder: So bekämpft man „Clankriminalität“ nicht

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Den Monat Mai beschließe ich dann mit einem EV-Tag, also mit Entscheidungen aus dem Ermittlungsverfahren, und zwar zur Durchsuchung.

Ich beginne mit dem BVerfG, Beschl. v. 19.04.2023 – 2 BvR 2180/20. In ihm hat das BVerfG noch einmal/schon wieder zu den Voraussetzungen für die Anorndung einer Durchsuchungsmaßnahme Stellung genommen/nehmen müssen. Die dagegen gerichtete Verfassungsbeschwerde hatte Erfolg.

Gegenstand der Verfassungsbeschwerde war ein Ermittlungsverfahren gegen den Beschuldigten (Alias-Name: M)  wegen des Verdachts der Geldwäsche und weiterer Delikte. Dieses Ermittlungsverfahren stand im Zusammenhang mit einem weiteren Ermittlungsverfahren gegen einen Beschuldigten K. wegen des Verdachts des gewerbsmäßigen Betrugs. K. soll im Rahmen seiner Tätigkeit als Pkw-Händler in zahlreichen Fällen dabei mitgewirkt haben, dass unter anderem gegenüber Versicherungen und Banken falsche Angaben für die Finanzierung hochpreisiger Fahrzeuge gemacht wurden, sodass er sich infolgedessen an den ausgezahlten Summen zu Unrecht bereichert haben soll. Aus den Ermittlungen ging hervor, dass K. und die genutzten Fahrzeuge Verbindungen ins kriminelle Milieu pp). aufweisen, darunter auch zum Beschuldigten. Der Beschuldigte soll einem örtlichen M.-Clan angehören und in zahlreiche polizeilich erfasste Vorgänge verwickelt sein, darunter in Ermittlungen wegen Verdachts des Kokainhandels, wegen Delikten aus dem Bereich der Gewaltkriminalität und wegen Verdachts des Landfriedensbruchs. Soweit es den Beschuldigten angeht, betrifft die ihm angelastete Tatbeteiligung nur einen Teil der gegen K. erhobenen Vorwürfe. Diese stehen in Zusammenhang der Tätigkeit des K. als Geschäftsführer zweier Unternehmen, welche den Betrieb einer Lounge (im Folgenden: A. UG) und eines Handels für Kraftsportartikel (im Folgenden: B. UG) zum Gegenstand hatten.

Mit Beschluss vom 06.08.2020 hat das AG u.a. die Durchsuchung der Wohnung des Beschuldigten angeordnet. Die Durchsuchung diente dem Zweck, Hinweise „auf die Nutzung und Beschaffung der Aliaspersonalie N.“, auf „Aufwendungen im Zusammenhang mit der A. UG sowie der B. UG“ sowie die Herkunft dieser Mittel, auf etwaige Absprachen zwischen den Beteiligten, sowie Dokumente, Mobiltelefone, Datenträger, Computer und sonstige Speichermedien aufzufinden. In Bezug auf diese Beweismittel ordnete das Gericht die Beschlagnahme an. Die Durchsuchung wurde am 12.08.2020 vollzogen. Die gegen die Durchsuchungsmaßnahme eingelegte Beschwerde hat das LG als unbegründet verworfen. Die dagegen eingelegte Verfassungsbeschwerde hat das BVerfG als weitgehend begründet angesehen:

„b) Eine Wohnungsdurchsuchung wegen des Verdachts der Geldwäsche setzt nicht nur voraus, dass ein Anfangsverdacht für die Geldwäschehandlung, sondern gemäß der damals geltenden Fassung des Gesetzes auch für das Herrühren des Vermögensgegenstands aus einer bestimmten Katalogtat im Sinne des § 261 Abs. 1 Satz 2 StGB a.F. vorliegt. Dass eine Vortat aus dem Katalog des § 261 Abs. 1 Satz 2 StGB a.F. begangen wurde, war ein wesentliches Merkmal der Strafbarkeit der Geldwäsche (vgl. BVerfGK 8, 349 <353>). Nicht ausreichend für die Annahme eines Anfangsverdachts ist es demnach, wenn keine über bloße Vermutungen hinausgehenden tatsächlichen Anhaltspunkte für eine Vortat bestehen. Auch Anhaltspunkte für die Annahme, das betroffene Geld oder der betroffene Vermögensgegenstand rührte aus irgendeiner Straftat her, genügen nicht, um Strafverfolgungsmaßnahmen auszulösen. Insofern ist die mögliche Katalogtat zu konkretisieren, auch wenn nicht erforderlich ist, dass die Geldwäschevortat bereits in ihren Einzelheiten bekannt ist. Das Stadium des Anfangsverdachts zeichnet sich gerade dadurch aus, dass weitere Ermittlungen gegebenenfalls in Form von strafprozessualen Zwangsmaßnahmen nötig sind, weil die Tat in ihren Einzelheiten noch nicht aufgeklärt ist (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 31. Januar 2020 – 2 BvR 2992/14 -, Rn. 40 ff.; Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 7. Mai 2020 – 2 BvQ 26/20 -, Rn. 32; Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 3. März 2021 – 2 BvR 1746/18 -, Rn. 56 ff.).

c) Dem Gewicht des Eingriffs und der verfassungsrechtlichen Bedeutung des Schutzes der räumlichen Privatsphäre entsprechend behält Art. 13 Abs. 2 GG die Anordnung einer Durchsuchung grundsätzlich dem Richter vor. Der gerichtliche Durchsuchungsbeschluss dient dazu, die Durchführung der Maßnahme messbar und kontrollierbar zu gestalten (vgl. BVerfGE 20, 162 <224>; 42, 212 <220>; 96, 44 <51 f.>; 103, 142 <151>). Dazu muss der Beschluss den Tatvorwurf und die gesuchten Beweismittel so beschreiben, dass der äußere Rahmen abgesteckt wird, innerhalb dessen die Zwangsmaßnahme durchzuführen ist. Der Richter muss die aufzuklärende Straftat, wenn auch kurz, doch so genau umschreiben, wie dies nach den Umständen des Einzelfalls möglich ist. Der Betroffene wird auf diese Weise zugleich in den Stand versetzt, die Durchsuchung zu kontrollieren und etwaigen Ausuferungen von vornherein entgegenzutreten (vgl. BVerfGE 20, 162 <224>; 42, 212 <220 f.>; 96, 44 <51 f.>; 103, 142 <151 f.>). In dem Beschluss muss zum Ausdruck kommen, dass der Ermittlungsrichter die Eingriffsvoraussetzungen selbstständig und eigenverantwortlich geprüft hat (vgl. BVerfGE 103, 142 <151 f.>). Dazu ist zu verlangen, dass ein dem Beschuldigten angelastetes Verhalten geschildert wird, das den Tatbestand eines Strafgesetzes erfüllt. Die wesentlichen Merkmale des gesetzlichen Tatbestandes, die die Strafbarkeit des zu subsumierenden Verhaltens kennzeichnen, müssen benannt werden (vgl. BVerfGK 8, 349 <353>; 9, 149 <153>; 18, 414 <418>; 19, 148 <153>).

Mängel bei der ermittlungsrichterlich zu verantwortenden Umschreibung des Tatvorwurfs und der zu suchenden Beweismittel können im Beschwerdeverfahren nicht geheilt werden. Die Funktion des Richtervorbehalts, eine vorbeugende Kontrolle der Durchsuchung durch eine unabhängige und neutrale Instanz zu gewährleisten, würde andernfalls unterlaufen (vgl. BVerfGK 5, 84 <88>; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 20. April 2004 – 2 BvR 2043/03, 2 BvR 2104/03 -, juris, Rn. 4; Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 19. Juni 2018 – 2 BvR 1260/16 -, juris, Rn. 29). Defizite in der Begründung des zugrundeliegenden Tatverdachts und der Verhältnismäßigkeit der Maßnahme können hingegen im Beschwerdeverfahren nachgebessert werden (vgl. BVerfGE 115, 166 <197>; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 20. April 2004 – 2 BvR 2043/03, 2 BvR 2104/03 -, juris, Rn. 5).

2. Die angegriffenen Gerichtsentscheidungen sind mit den aufgeführten verfassungsrechtlichen Maßstäben nicht vereinbar.

a) Soweit die Fachgerichte den Durchsuchungsbeschluss auf den Tatverdacht einer Geldwäsche gemäß § 261 Abs. 1 StGB a.F. gestützt haben, reichen die zugrundeliegenden tatsächlichen Anhaltspunkte nicht über vage Anknüpfungen und bloße Vermutungen hinaus.

aa) Der Beschluss des Amtsgerichts enthält kaum aussagekräftige Ausführungen zur Herkunft der verschleierten Vermögenswerte, was auch das Landgericht in der Beschwerdeentscheidung erkannt hat. Der Durchsuchungsbeschluss deutet lediglich an, dass der Verdacht einer Steuerhinterziehung gemäß § 370 Abs. 1 AO bestehen konnte. Nähere Anhaltspunkte zu den betroffenen Steuerarten, dem Veranlagungszeitraum und den pflichtwidrig unterlassenen oder falsch abgegebenen Steuererklärungen oder Voranmeldungen hat das Amtsgericht nicht geschildert. Die Ausführungen des Amtsgerichts waren daher für die Verdachtsannahme einer Steuerhinterziehung als Geldwäschevortat (vgl. § 261 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 Buchstabe b StGB a.F.) nicht tragfähig (vgl. BVerfGK 8, 349 <354>; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 20. April 2004 – 2 BvR 2043/03, 2 BvR 2104/03 -, juris, Rn. 6; Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 4. April 2017 – 2 BvR 2551/12 -, Rn. 22 ff.).

bb) Soweit das Landgericht zum Verdacht einer Geldwäschevortat ergänzend ausgeführt und unter anderem auf „Gewaltkriminalität“ verwiesen hat, handelt es sich dabei ebenfalls um eine nicht hinreichend konkretisierte Verdachtsannahme. Welche vom Katalog des § 261 Abs. 1 Satz 2 StGB a.F. erfassten Straftatbestände mit diesem Begriff gemeint sein sollen, bleibt völlig offen.

cc) Zureichende Anhaltspunkte für die Verdachtsannahme eines Handeltreibens mit Betäubungsmitteln als Geldwäschevortat gemäß § 261 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 StGB a.F. in Verbindung mit § 29 Abs. 1 Nr. 1 BtMG sind nicht ersichtlich. Den polizeilichen Ermittlungen zum Hintergrund des Beschwerdeführers ist lediglich zu entnehmen, dass gegen diesen zahlreiche Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln geführt wurden. Die Ermittlungsakte teilt jedoch nicht mit, welche Anhaltspunkte dafür ausschlaggebend waren, dass die Ermittlungsverfahren eingeleitet wurden. Den pauschalen Angaben kann nicht entnommen werden, ob die vermuteten Betäubungsmitteldelikte überhaupt im Zusammenhang mit den hier interessierenden, nicht nachvollziehbaren Transaktionen um die A. UG und die B. UG standen. Ob die erwähnten Ermittlungsverfahren bereits abgeschlossen oder zum maßgeblichen Zeitpunkt der Anordnung des Durchsuchungsbeschlusses noch angedauert haben, bleibt ebenfalls im Dunkeln. Die Annahme, dass der Beschwerdeführer sich an etwaigen Betäubungsmitteldelikten beteiligt und die Erlöse aus diesen Taten dem Vermögen der A. UG und der B. UG zugeführt haben soll, erschöpft sich insofern in einer nicht näher begründeten Vermutung. Ob die Fachgerichte – etwa durch entsprechende Nachfrage bei den Ermittlungsbehörden – konkretere Erkenntnisse hätten erlangen können, spielt dabei keine Rolle. Denn maßgeblich für die verfassungsgerichtliche Prüfung sind allein die objektiv dokumentierten Erkenntnisse in der Ermittlungsakte. Der Umstand, dass der Beschwerdeführer öffentlich als führendes Mitglied eines Familienclans auftritt – nicht zuletzt ersichtlich an der Nutzung eines Aliasnamens, der die Familienzugehörigkeit eindeutig klarstellen soll – und sich offenbar mit den kriminellen Tätigkeiten des Clans identifiziert, kann für sich genommen eine Verdachtsannahme nicht tragfähig begründen.

b) Die Durchsuchungsanordnung wird auch den Anforderungen an die Begrenzungsfunktion nicht gerecht.

aa) Im Hinblick auf den Tatvorwurf der Geldwäsche beschreibt der Beschluss im Kern den Vorwurf, dass der Beschwerdeführer Vermögenswerte in die bezeichneten Unternehmen eingebracht und verschleiert haben soll, die ihrerseits aus mutmaßlich kriminellen Handlungen herrühren. Als Vortat wird lediglich eine etwaige Steuerhinterziehung angedeutet. Die vom Landgericht erwähnte „Gewaltkriminalität“ und das Handeltreiben mit Betäubungsmitteln findet in dem amtsgerichtlichen Beschluss keine Erwähnung. Für die Mess- und Kontrollierbarkeit der Vollziehung der Durchsuchung macht es dabei einen entscheidenden Unterschied, worauf sich der Verdacht des Herrührens der verschleierten Vermögenswerte konkret bezieht. Die Angabe der Geldwäschevortat wäre insofern für die mit dem Vollzug der Durchsuchungsanordnung betrauten Beamten ein wesentlicher Anhaltspunkt gewesen, nach welchen konkreten Beweismitteln zu suchen ist. Ohne eine nähere Angabe und Eingrenzung der in Betracht kommenden Geldwäschevortaten bestand die Gefahr einer uferlosen Ausforschung des Beschwerdeführers.

bb) Im Hinblick auf den Tatverdacht einer mittelbaren Falschbeurkundung und einer Urkundenfälschung hat das Amtsgericht zwar ein Verhalten erwähnt, welches die Verwirklichung der benannten Straftatbestände andeutet. Eine solch pauschale und vage Darstellung des Tatvorwurfs genügt den verfassungsrechtlich gebotenen Anforderungen an die Begrenzung einer Durchsuchungsanordnung jedoch nicht. So enthält der Beschluss keine Umschreibung wesentlicher tatbestandlicher Voraussetzungen der erwähnten Straftatbestände. In Bezug auf den Tatverdacht einer Urkundenfälschung fehlt es an einer für den Tatbestand des § 267 Abs. 1 StGB geforderten Schilderung, welches konkrete Dokument im vorliegenden Fall unecht oder verfälscht gewesen und worin die konkrete Tathandlung des Beschwerdeführers zu sehen sein soll. Der im Raum stehende Verdacht, dass falsche Ausweisdokumente verwendet worden sein sollen, findet im amtsgerichtlichen Beschluss keine Erwähnung. Was den Tatvorwurf einer mittelbaren Falschbeurkundung gemäß § 271 Abs. 1 StGB betrifft, enthält der amtsgerichtliche Beschluss keinerlei Ausführungen dazu, welche Urkunde, welches Buch oder welches Register betroffen gewesen ist und welche konkrete Tathandlung des Beschwerdeführers die falsche Beurkundung bewirkt haben soll. Die aufgeführten Mängel führen dazu, dass die Durchsuchungsanordnung insoweit nicht mehr mess- und kontrollierbar ist.“

Der Beschluss enthält keine neuen Aussagen des BVerfG zu den Voraussetzungen für die Anordnung einer Durchsuchung. Das hat man alles schon einmal/mehrmals gelesen.Das ist das 1 x 1 der Durchsuchung.

Man fragt sich allerdings, warum hier das AG und auch das LG diese Vorgaben des BVerfG nicht umgesetzt und bei Erlass der Durchsuchungsmaßnahme beachtet haben, mal wieder. Hier hat man den Eindruck, dass offenbar die (vermutete) Zugehörigkeit des Beschuldigten zu einem Clan der (wahre) Grund für die Durchsuchungsmaßnahme gewesen ist. Das reicht aber nun mal nicht aus. Das BVerfG will mehr als nur vage Vermutungen lesen, nämlich konkrete Anhaltspunkte. Die Mühe, diese zu finden und aufzulisten, müssen sich die Ermittlungsbehörden schon machen, wenn man die „Clankriminalität“ – was man sich ja auf die Fahnen geschrieben hat – erfolgreich bekämpfen will. Wenn man es nicht beachtet, erhält man eben eine verfassungsgerichtliche Klatsche und landet dann – so wie hier – in der Presse (vgl. z.B. hier  der Beitrag aus dem Focus). Kein Ruhmesblatt.