Archiv der Kategorie: Verfahrensrecht

StPO II: Beweis- oder Beweisermittlungsantrag?, oder: Beweisziel als Beweisthema

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Im zweiten Posting gibt es dann zwei Entscheidungen zum Beweisantrag, und zwar zur Abgrenzung zum Beweisermittlungsantrag. Von beiden Entscheidungen stelle ich aber nur die Leitsätze vor. Die Einzelheiten bitte aus den verlinkten Volltexten entnehmen.

Es handelt sich um folgende Entscheidungen:

Soll die beantragte Beweiserhebung erst die Benennung der Wahrnehmungszeugen zum eigentlichen Beweisthema ermöglichen, handelt es sich nicht um einen Beweisantrag, sondern lediglich um einen Beweisermittlungsantrag, über den nach den Maßstäben der Aufklärungspflicht (§ 244 Abs. 2 StPO) zu befinden ist.

Wird in einem Antrag kein bestimmtes Beweismittel (bestimmte Lichtbilder) benannt, sondern lediglich das Ziel des Antrages, nämlich aus einer Vielzahl gleichartiger Beweismittel (hier: Lichtbilder und Videos) erst diejenigen zu ermitteln, die die Beweisbehauptungen bestätigen können, handelt es sich nicht um einen Beweisantrag, sondern nur um einen Beweisermittlungsantrag.

StPO I: Disziplinarverfahren gegen Polizeibeamten, oder: Akteneinsichtsrecht des Ermittlungsführers?

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Und dann gibt es heute StPO-Entscheidungen.

Den Opener mache ich mit dem BGH, Beschl. v. 30.07.2025 – 5 ARs 10/24. In dem geht es um die Frage einer Akteneinsicht nach § 474 StPO.

Gegenstand der Entscheidung des BGH ist eine Rechtsbeschwerde eines Betroffenen gegen einen OLG-Entscheidung betreffend eine Verfügung der Staatsanwaltschaft, mit welcher diese dem Ermittlungsführer einer der Hochschule für Polizei Akteneinsicht in eine den Beschwerdeführer betreffende Ermittlungsakte bewilligt hat.

Der beschwerdeführer Betroffene ist Polizeibeamter im Landesdienst und als Ausbilder an der Hochschule für Polizei tätig. Die Staatsanwaltschaft führte gegen ihn wegen des Verdachts des sexuellen Missbrauchs von Kindern ohne Körperkontakt mit dem Kind ein Ermittlungsverfahren. Am 03.01.2024 stellte sie dieses gemäß § 170 Abs. 2 StPO ein und gab die Sache zur Verfolgung einer möglichen Ordnungswidrigkeit an die Verwaltungsbehörde ab (§ 43 Abs. 1 OWiG). Entsprechend Nr. 15 MiStRA teilte sie ihre Einstellungsverfügung der Hochschule für Polizei mit. Im Rahmen eines bereits seit September 2023 vom Land B. gegen den Beschwerdeführer wegen desselben Vorwurfs geführten beamtenrechtlichen Disziplinarverfahrens beantragte der hiermit betraute Ermittlungsführer der Hochschule  Einsicht in die Ermittlungsakten. Die Staatsanwaltschaft gewährte diese auf Grundlage der § 474 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2, Abs. 3 StPO iVm § 13 Abs. 2, § 14 Abs. 1 Nr. 4 EGGVG.

Hiergegen hat der Beschwerdeführer beim OLG gerichtliche Entscheidung beantragt (§ 23 EGGVG). Das OLG hat den Antrag als unbegründet verworfen. Es hat dabei das Akteneinsichtsrecht des Ermittlungsführers auf § 474 Abs. 1 StPO gestützt. Zugleich hat es die Rechtsbeschwerde zur Klärung der Rechtsfrage zugelassen, ob im Rahmen eines gegen einen Beamten geführten Disziplinarverfahrens „der Ermittlungsführer bzw. der Dienstherr“ als andere Justizbehörde im Sinne des § 474 Abs. 1 StPO anzusehen sei. Der Beschwerdeführer hat Rechtsbeschwerde eingelegt, deren Zurückweisung der Generalbundesanwalt beantragt.

Der BGH hat die Sach an das OLG zurückverwiesen. Der Beschluss des BGh enthält umfangreiche Ausführungen zum Begriff der „Justizbehörde“ i.S. des § 474 Abs. 1 StPO. Ich verweise auf den Volltext. Hier gibt es nur den Leitsatz, nämlich:

Weder der Dienstherr des Beamten, der ein beamtenrechtliches Disziplinarverfahren führt, noch ein von ihm eingesetzter Ermittlungsführer ist eine andere Justizbehörde im Sinne des § 474 Abs. 1 StPO.

Die Zurückverweisung hat das BGh wie folgt begründet:

„2. Der angefochtene Beschluss ist daher aufzuheben. Eine Sachentscheidung des Senats kommt mangels Entscheidungsreife der Sache nicht in Betracht (vgl. § § 74 Abs. 6 Satz 1 FamFG). Das Oberlandesgericht hat bislang (folgerichtig) nicht geprüft, ob die Voraussetzungen für eine Auskunft oder Akteneinsicht nach § 474 Abs. 2, Abs. 3 StPO vorliegen. Insoweit hat der Beschwerdeführer zutreffend gerügt, es sei bisher nicht dargelegt worden, dass die Voraussetzungen des § 474 Abs. 3 StPO vorlägen.

Im Übrigen ist es nicht Aufgabe des Senats, im besonderen Rechtsbeschwerdeverfahren nach § 29 EGGVG erstmals eine Verhältnismäßigkeitsabwägung beispielsweise hinsichtlich § 14 Abs. 2 EGGVG vorzunehmen. Selbst bei gegebener Entscheidungsreife muss das Rechtsbeschwerdegericht nicht stets, sondern nach dem Willen des Gesetzgebers aus Gründen der Verfahrensökonomie nur „regelmäßig“ in der Sache selbst entscheiden (vgl. Sternal/Göbel, FamFG, 21. Aufl., § 74 Rn. 84; BT-Drucks. 16/6308, S. 211).“

 

 

Strafe I: Bindung nach Rechtsmittelbeschränkung, oder: Regelbeispiel „Gewerbsmäßigkeit“

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Zum Wochenstart in die 45. KW gibt es hier heute zwei Entscheidungen zur Strafe bzw. zur Strafzumessung. Ich starte mit dem BayObLG, Beschl. v. 30.09.2025 – 206 StRR 320/25 – zur Bindungswirkung bei der Rechtsmittelbeschränkung.

Der Angeklagte hatte seine Berufung gegen das amtsgerichtliche Urtei, mit dem er wegen Betruges in 89 tatmehrheitlichen Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 2 Jahren 4 Monaten verurteilt worden war auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt. Das BayObLG beanstandet die vom LG wegen dieser Beschränkung Bindungswirkung an die amtsgerichtlichen Feststellungen (§ 327 StPO) und hat auf die Revision des Angeklagten den Rechtsfolgenausspruch aufgehoben:

„4. Es hat allerdings verkannt, dass von der Bindungswirkung nicht die ausschließlich die Strafzumessung betreffenden Feststellungen umfasst sind. Das Landgericht hat die Feststellung des Amtsgerichts, wonach der Angeklagte gewerbsmäßig gehandelt hat, als „bindend“ angenommen (UA S. 20) und deshalb (zunächst) für jede Tat den Strafrahmen des § 263 Abs. 3 Nr. 1 StGB wegen gewerbsmäßigen Handelns angewandt. Es handelt sich bei § 263 Abs. 3 StGB aber um Regelbeispiele für das Vorliegen besonders schwerer Fälle, die zur Anwendung eines Strafrahmens veranlassen können. Sie betreffen demnach nicht die Schuldfrage, sondern lediglich den Rechtsfolgenausspruch. Nach gefestigter Rechtsprechung nehmen die entsprechenden Tatsachen, soweit sie nicht im Einzelfall doppeltrelevant sind – was hier nicht der Fall ist -, bei einer Rechtsmittelbeschränkung auf die Rechtsfolge an der Bindungswirkung nicht teil. Dies gilt insbesondere für die „Gewerbsmäßigkeit“ (BGH, Beschluss vom 20. Juni 2017, 1 StR 458/16, wistra 2018, 133-136; BayObLG, Beschluss vom 12. Juli 2021, 202 StRR 37/21, juris Rn. 7 ff.; OLG Hamm, Beschluss vom 2. April 2024, III-3 ORs 18/24, juris; vgl. auch Schmitt/Köhler/Schmitt, StPO, 68. Aufl. 2025, § 327 Rn. 6 a.E. m.w.N).

5. Da das Landgericht – aus seiner Sicht folgerichtig – keine diesbezüglichen eigenen Feststellungen getroffen hat, beruht die Annahme jeweils besonders schwerer Fälle des Betruges auf diesem Rechtsfehler. Zwar hat das Landgericht erkannt, dass es sich bei § 263 Abs. 3 StGB um Regelbeispiele handelt, von denen im Einzelfall abgewichen werden kann. Im Ausgangspunkt hat es sich aber auf die – nicht selbst festgestellte – „Gewerbsmäßigkeit“ gestützt.

6. Der Senat kann nicht ausschließen, dass die festgesetzten Einzelstrafen von jeweils 7 Monaten und damit auch die Gesamtstrafe auf dem Rechtsfehler beruhen. Zwar hat das Landgericht den Strafrahmen des § 263 Abs. 3 StGB auf Grund des erfolgten Täter-Opfer-Ausgleichs gem. §§ 46a, 49 Abs. 1 StGB gemildert, womit die Strafuntergrenze wieder auf das gesetzliche Mindestmaß gesenkt wurde (§ 49 Abs. 1 Nr. 3 letzte Alt. StGB). Das angedrohte Höchstmaß lag in der landgerichtlichen Rechtsanwendung gem. § 49 Abs. 2 StGB jedoch bei 7 Jahren und 6 Monaten, während es ohne die Annahme eines besonders schweren Falles 3 Jahre und 9 Monate betragen hätte. Da sich die Einzelstrafen deutlich vom gesetzlichen Mindestmaß entfernen, kann der Senat nicht ausschließen, dass ihr Verhältnis zum vorgenannten Höchstmaß bei der Strafzumessung relevant war.“

Und dann gibt es gleich noch eine „Segelanweisung“:

„Für das weitere Verfahren weist der Senat darauf hin, dass bei Betrugsdelikten, bei denen die Geringwertigkeitsgrenze nur in geringem Umfang überstiegen wird, die Anwendung des erhöhten Strafrahmens des § 263 Abs. 3 StGB ohne das Hinzutreten besonderer Umstände in der Regel nicht zu rechtfertigen ist (BayObLG, Beschluss vom 20. Juni 2023, 207 StRR 157/23, BeckRS 2023, 21112, Rn. 8 m.w.N.). Vorliegend hat der Angeklagte 89-mal einen Betrugsschaden von jeweils 79 Euro verursacht. Der Senat bezweifelt, dass vorliegend die strafschärfenden Umstände, insbesondere die 12 Jahre zurückliegende Verurteilung zu einer Vollzugsstrafe wegen gleichgelagerter Taten, als solche „besonderen Umstände“ gewürdigt werden können.“

StPO III: Beschlagnahme von Patientenakten??, oder: Beschlagnahme im Verfahren gegen Unbekannt

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Und dann habe ich als dritte Entscheidung noch etwas „aus der Instanz“, und zwar den LG Hannover, Beschl. v. 14.10.2025 – 46 Qs 56/25 u.a.  Der behandelt eine Durchsuchungsproblematik.

Dem Beschluss liegt folgender Sachverhalt zugrunde: Die Staatsanwaltschaft Hannover führt ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts des Totschlags. Anlass zu den Ermittlungen gab der Fund eines männlichen Leichnams am 24.08.2025 in einem Gebüsch im Bereich des Silbersees bei Langenhagen. Der später identifizierte Geschädigte, der durch einen Passanten entdeckt wurde, wies mehrere Schnitt- und Stichverletzungen an Rücken und Hals auf. Ca. 50 Meter vom Auffindungsort entfernt fanden die Ermittlungsbeamten persönliche Gegenstände des Verstorbenen sowie blutsuspekte Anhaftungen, welche sich auch auf dem angrenzenden Fußgängerweg befanden. Weiterhin stellten sie schleifspurartige Veränderungen im Schotter des Gehweges und flachgedrücktes Gras auf der zum Weg angrenzenden Wiese fest. Die Staatsanwaltschaft geht aufgrund der Verletzungen von einem Tötungsdelikt aus.

Nachdem bislang kein Tatverdächtiger ermittelt werden konnte, richtet sich das Verfahren weiterhin gegen Unbekannt. Vor diesem Hintergrund regten die Ermittlungsbeamten gegenüber der Staatsanwaltschaft Hannover die Beantragung einer richterlichen Anordnung an, wonach nahegelegene Krankenhäuser zur Herausgabe von Auskünften über in zeitlichen Zusammenhang mit der Tat behandelte Patienten mit Schnittverletzungen verpflichtet werden sollten. Hierbei stützte sich die Polizei auf kriminalpolizeiliche Erfahrungswerte, wonach sich Täter bei einem sich wehrenden Opfer häufiger selbst mit dem Messer verletzen und es dadurch zu blutenden Wunden komme. Es sei daher denkbar, dass der Täter nach der Tat ein Krankenhaus bzw. einen ärztlichen Notdienst aufgesucht habe und dort behandelt worden sei.

Die Staatsanwaltschaft Hannover stellte dann den Antrag auf Anordnung der Beschlagnahme von „vorhandenen Unterlagen“ bei insgesamt 16 Krankenhäusern zu „Patienten, die im Zeitraum vom 23.08.2025, 22.00 Uhr bis zum 26.08.2025, 22.00 Uhr wegen Schnittverletzungen behandelt wurden“. Das AG hat den entsprechenden Beschluss erlassen.

Dagegen die Beschwerde, mit der u.a. geltend gemacht wird, es werde gegen das Beschlagnahmeverbot aus § 97 Abs. 1 Nr. 2 und 3 StPO verstoßen. Zudem sei die Beschlagnahme sämtlicher Akten betreffend Patienten mit Schnittverletzungen im fraglichen Zeitraum unverhältnismäßig, die hierdurch entgrenzte Erstreckung der Maßnahme auf evident nicht ermittlungsrelevante Personen und Sachverhalte sei verfassungsrechtsrechtlich nicht gerechtfertigt.

Das LG hat den Beschluss des AG aufgehoben. Nach Auffassung des LG ist das Verhältnismäßigkeitsgebot verletzt:

„b) Der durch das Amtsgericht getroffenen Anordnung steht das Beschlagnahmeverbot des § 97 Abs. 1 Nr. 2 und 3 StPO nicht entgegen. Zwar steht den bei den Beschwerdeführern tätigen Ärztinnen und Ärzten jeweils das Zeugnisverweigerungsrecht aus § 53 Abs. 1 Nr. 3 StPO zu. Ferner liegt – bislang -keine rechtswirksame Schweigepflichtentbindung für sämtliche Fälle, welche unter die Anordnung fallen, vor. Die von dem Beschluss betroffenen Personen sind jedoch ohne das Hinzutreten weiterer, gewichtiger Umstände nicht als Beschuldigte zu qualifizieren. Die Vorschrift des § 97 Abs. 1 Nr. 2 StPO bezieht sich indes ausdrücklich auf das Verhältnis zwischen Arzt und einem konkreten Beschuldigten. Da es sich bei § 97 Abs. 1 Nr. 3 StPO um einen Auffangtatbestand gegenüber Nr. 2 handelt, um auch jene ärztlichen Unterlagen zu erfassen, die nicht als Aufzeichnungen bezeichnet werden können (insbesondere technische Untersuchungsbefunde), gilt auch dieses Verbot ausschließlich zu Gunsten des konkret Beschuldigten (OLG Celle, Beschluss vom 30.09.1964, Az. 3 Ws 362/64, NJW 1965, 362ff. m.w.N.). Eine Auslegung des § 97 StPO dahingehend, dass sämtliche Patientenakten generell der Beschlagnahme entzogen werden könnten, ist mit geltenden Recht nicht vereinbar, in Verfahren gegen Unbekannt findet § 97 StPO keine Anwendung (MüKoStPO/Hauschild, 2. Aufl. 2023, StPO § 97 Rn. 8, beck-online).

c) Jedoch ergeben sich für das Strafverfahren Beschlagnahmeverbote nicht allein aus § 97 StPO. Die Beweiserhebungs- und verwertungsverbote, zu denen auch das Beschlagnahmeverbot zählt, sind in der StPO nicht abschließend geregelt, sondern können sich aus der gesamten Rechtsordnung ergeben (OLG Celle, aaO m.w.N; Menges in: Löwe-Rosenberg, StPO, 27. Auflage 2019, § 97 StPO, Rn. 12; BeckOK StPO/Gerhold, 56. Ed. 1.7.2025, StPO § 97 Rn. 7, beck-online). Das Vertrauensverhältnis zwischen einem Arzt und jedem seiner Patienten ist in besonderem Maße der Intimsphäre des Menschen zuzurechnen, da hier stets ureigene Angelegenheiten des Patienten und seiner Lebensführung erörtert werden. Daher genießt es nicht allein den Schutz der § 300 StGB, §§ 53 und 97 StPO, sondern untersteht vor allem auch den verfassungsrechtlichen Grundsätzen der Unantastbarkeit der Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 GG) und des allgemeinen Persönlichkeitsrechts (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG). Diese gelten auch im Strafprozess (OLG Celle, aaO) und billigen dem Einzelnen die ausschließliche Verfügungsgewalt über die seine Intimsphäre betreffenden Angelegenheiten zu. Die Beschlagnahme von Krankenunterlagen berührt somit den grundrechtlich geschützten Anspruch des Bürgers auf Schutz seiner Privatsphäre (BVerfG, Beschluss vom 8. März 1972 – 2 BvR 28/71 -, BVerfGE 32, 373-387, Rn. 22ff.). Andererseits schränkt das Verbot einer solchen Beschlagnahme die Möglichkeiten justizförmiger Sachaufklärung ein und widerstreitet damit der aus dem Rechtsstaatsprinzip folgenden Notwendigkeit, im Interesse der Allgemeinheit eine funktionstüchtige Strafrechtspflege zu erhalten. Ob im Einzelfall dem Recht des Einzelnen auf Schutz seiner Privatsphäre oder der staatlichen Aufgabe der Strafverfolgung der Vorzug zu geben ist, muss jeweils aufgrund einer Verhältnismäßigkeitsprüfung festgestellt werden (BVerfG, aaO, Rn. 25).

Die unter Berücksichtigung dieser Erwägungen vorzunehmende Gesamtabwägung ergibt im hiesigen Fall, dass der durch die Maßnahme bedingte Grundrechtseingriff zum strafrechtlichen Aufklärungsziel nicht im Verhältnis steht und somit rechtswidrig ist.

Insoweit hat die Kammer die erforderliche Abwägung, in welche sie die Wertigkeit der betroffenen Grundrechte und die Intensität des Eingriffs einerseits und die Bedeutung des verteidigten Gemeinschaftsguts andererseits eingestellt hat, vorgenommen. Dabei hat sie nicht verkannt, dass im vorliegenden Fall die Aufklärung eines Kapitalverbrechens im Raum steht. Der Zweck, Straftaten aufzuklären und zu ahnden, ist zwar von überaus großer Bedeutung, ist und kann jedoch nicht stets und unter allen Umständen das überwiegende Interesse des Staates sein. Vielmehr muss sich auch dieses wichtige Allgemeininteresse in die zu berücksichtigenden Gesamtinteressen einordnen (BGH in NJW 1964, 1139 (1142)). Zu berücksichtigen ist insoweit auch die jüngste Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, wonach Ermittlungsmaßnahmen, die sich gegen Berufsgeheimnisträger richten, in besonderer Weise zu beschränken sind, da zahlreiche Personen und deren Daten betroffen sein können, die mit der zu ermittelnden Straftat nicht in Verbindung stehen und den Ermittlungseingriff durch ihr Verhalten nicht veranlasst haben. Hinzu tritt die besondere Schutzbedürftigkeit der von einem überschießenden Datenzugriff mitbetroffenen Vertrauensverhältnisse (vgl. BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 21. Juli 2025 – 1 BvR 398/24 -,31). Dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit kommt im Falle der Beschlagnahme von Beweismitteln aufgrund der außerordentlich weiten Voraussetzungen des § 94 StPO besondere Bedeutung zu (LG Frankfurt, Beschluss vom 04.09.1996 – 5/29 Qs 16/96, juris); Menges in Löwe-Rosenberg, StPO, 2019, § 94 StPO). Dabei fallen die Interessen des Verletzten und anderer Unbeteiligter stärker ins Gewicht als die des Beschuldigten (Köhler in Schmitt/Köhler StPO § 94 Rn. 18).

Ausgehend von diesen Erwägungen hat die Kammer insbesondere miteinbezogen, dass sich den bisherigen Ermittlungsergebnissen kein konkreter Anhaltspunkt für die Annahme, es habe einen Kampf zwischen Opfer und Täter gegeben, bei welchem sich der Angreifer verletzt haben könnte, entnehmen lässt. Es handelt sich um eine rein spekulative Vermutung, die auf kriminalistischer Erfahrung beruhen mag, jedoch darüber hinaus keinen Beleg in den Akten findet. Es wurden – soweit ersichtlich – keine fremden, nicht dem Geschädigten zuzuordnende Blutspuren am Tatort gefunden, die für eine Verletzung des Angreifers sprechen könnten und bei einer behandlungsbedürftigen Verletzung mit gewisser Wahrscheinlichkeit sogar zu erwarten gewesen wären. Es gibt darüber hinaus keine weiteren konkreten Hinweise auf ein Kampfgeschehen zwischen dem Geschädigten und seinem Angreifer. Allein das flachgedrückte Gras und Schleifspuren im Schotter nahe des Auffindungsortes lassen hierzu keine substantiierten Rückschlüsse zu, denn diese Spuren müssen nicht durch einen Kampf verursacht worden sein. Weiterhin erscheint es der Kammer gleichermaßen plausibel, dass der Täter eine entsprechende Verletzung durch seinen Hausarzt oder gar selbst behandelt haben könnte. Letztlich ist nach dem Vortrag der Beschwerdeführerinnen nicht zu erwarten, dass sich die konkrete Ursache der Verletzung aus den Krankenakten überhaupt entnehmen lässt. Die Wahrscheinlichkeit, dass der tatsächliche Angreifer oder ein an der Tat Beteiligter durch die Beschlagnahmeordnung ermittelt werden kann, erscheint vor diesem Hintergrund als gegeben, aber sehr gering. Der Grad der Vagheit, ob durch die Maßnahme Beweismittel aufgefunden werden können, ist nach ständiger Rechtsprechung des BVerfG in die Verhältnismäßigkeitsprüfung einzubeziehen (vgl. BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 21. Juli 2025 – 1 BvR 398/24 -, Rn. 28, juris m.w.N.).

Dem gegenüber steht die extensive Reichweite der Maßnahme, die eine Einsicht in Patientenakten einer Vielzahl von Personen ermöglicht, ohne dass diese für die Ermittlungen von Relevanz sind. Der Problematik der fehlenden Möglichkeit einer weiteren Eingrenzung kann mangels entsprechender Anhaltspunkte nicht ausreichend begegnet werden. Hinzu tritt, dass sich die Anordnung des Amtsgerichts auf „vorhandene Unterlagen“ zu Patienten mit Schnittverletzungen bezieht, sodass die Krankenhäuser verpflichtet werden, sämtliche Dokumente herauszugeben, obwohl sich eine Vielzahl der vorliegenden Unterlagen (Patientenverfügungen, Arztbriefe, Medikationen, Einverständniserklärungen) nicht auf die fragliche Schnittverletzungen beziehen dürften.

Bei Zusammenschau des geringen Grads der Auffindewahrscheinlichkeit, der nicht überschaubaren Anzahl von Betroffenen und der besonderen Tiefe des Eingriffs überwiegt daher das Interesse an der Strafverfolgung trotz der Schwere der Tat nicht, weshalb die Anordnung aufzuheben war.“

StPO II: Zulässigkeit der Nebenklägerrevision, oder: Nichts Neues vom BGH/aus Leipzig

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Im zweiten Posting dann auch eine bekannte Revisionsproblematik, und zwar die Zulässigkeit der Revision des Nebenklägers.

Das LG hat den Angeklagten u.a. wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung verurteilt Dagegen wendet sich der Nebenkläger mit seiner auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützten Revision. Das Rechtsmittel ist vom BGH im BGH, Beschl. v. 26.08.2025 – 5 StR 311/25 – als unzulässig angesehen worden:

„Hierzu hat der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift ausgeführt:

„Gemäß § 400 Abs. 1 StPO kann [der Nebenkläger] das Urteil nicht mit dem Ziel anfechten, dass eine andere Rechtsfolge für die Tat verhängt oder der Angeklagte wegen einer nicht zum Anschluss berechtigenden Gesetzesverletzung verurteilt wird. Die Begründung der Revision des Nebenklägers muss daher erkennen lassen, dass er mit seinem Rechtsmittel ein zulässiges Anfechtungsziel verfolgt, also einen bisher unterbliebenen Schuldspruch des Angeklagten (auch) wegen einer Straftat, welche die Berechtigung des Nebenklägers zum Anschluss an das Verfahren begründet (vgl. Senat, Beschluss vom 8. Oktober 2024 – 5 StR 358/24, Rn. 3, juris Rn. 1; BGH, Beschluss vom 19. November 2019 – 2 StR 175/19, Rn. 2). Die Präzisierung der Angriffsrichtung hat bis zum Ablauf der Revisionsbegründungsfrist zu erfolgen (vgl. Senat, Beschluss vom 8. Oktober 2024 – 5 StR 358/24, Rn. 3; Wenske, in Löwe-Rosenberg, StPO, 27. Auflage, § 400 Rn. 17).

Diesen Anforderungen wird das Beschwerdevorbringen nicht gerecht. Der Nebenkläger wendet sich gegen die Verurteilung des Angeklagten „nur wegen eines Teils der gegen den Nebenkläger ausgeführten Verletzungshandlungen“. Wie die von ihm erstrebte Verurteilung weiter als geschehen hätte lauten soll, lässt er offen. Eine Auslegung seines Antrags ergibt, dass er ein Ziel verfolgt, das nicht von seiner Rechtsmittelbefugnis gedeckt ist. Dazu im Einzelnen:

1. Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung verurteilt. Dabei hat es lediglich den ersten Messerstich des Angeklagten berücksichtigt. Die weiteren Messerstiche hat es als gerechtfertigt angesehen. Diese rechtliche Bewertung greift der Beschwerdeführer an – er meint, die weiteren Angriffe seien nicht in Notwehr erfolgt.

Seine abweichende rechtliche Bewertung begründet indessen keinen anderen Schuldspruch. Selbst wenn die Strafkammer bei den weiteren Stichen nicht von dem Vorliegen eines Rechtfertigungsgrundes ausgegangen wäre, hätte sie den Angeklagten nicht anders als geschehen verurteilt, weil sich das gesamte Geschehen als eine Tat darstellt.

Eine sonstige Änderung des Schuldspruchs – etwa eine Verurteilung wegen versuchten Mordes (vgl. dazu BGH, Urteil vom 26. März 2025 – 2 StR 566/24, Rn. 17) – erstrebt der Nebenkläger ersichtlich nicht.

2. Das Ziel des Rechtsmittels erschöpfte sich somit darin, die weiteren Stiche zur Grundlage der Strafzumessung zu machen, um eine andere Rechtsfolge zu erreichen. Dafür sprechen auch die – grundsätzlich nicht zu berücksichtigenden, da verspäte-ten – Ausführungen des Beschwerdeführers in seiner Eingabe vom 14. April 2025, mit denen er die Strafrahmenwahl des Tatgerichts angreift. Eine Nebenklägerrevision mit dieser Zielsetzung ist unzulässig.“

Dem schließt sich der Senat an und bemerkt ergänzend:

Der Fall unterscheidet sich im Ergebnis nicht von Konstellationen, in denen der Nebenkläger ein Urteil nicht mit dem Ziel anfechten kann, ein weite-res Mordmerkmal (st. Rspr.; zuletzt BGH, Beschluss vom 28. Juni 2022 – 3 StR 123/22 Rn. 3 mwN) oder ein weiteres Qualifikationsmerkmal der gefährlichen Körperverletzung feststellen zu lassen (BGH, Beschluss vom 12. Ja-nuar 2011 – 1 StR 634/10), weil es bei den vier weiteren – nach dem Urteil gerechtfertigten – Stichen lediglich um schulderhöhende Umstände geht, die den Schuldspruch unberührt lassen. Insoweit gilt ferner das Folgende:

Der durch den Stich in den unteren Rücken verursachte Verlust der Niere würde keine Strafbarkeit nach § 226 Abs. 1 StGB begründen (BGH, Urteil vom 15. August 1978 – 1 StR 356/78, BGHSt 28, 100, 102). Die Berücksichtigung der Stiche könnte den Schuldspruch im Übrigen nur berühren, wenn sie konkurrenzrechtlich als selbständige Taten zu bewerten wären. Eine unzutreffende konkurrenzrechtliche Beurteilung kann der Nebenkläger zwar rügen, muss dies dann aber in seiner Revisionsbegründungsschrift kenntlich machen (BGH, Beschluss vom 5. November 2013 – 1 StR 518/13, NStZ-RR 2014, 117, 118). Daran fehlt es.

Auch hier: Nichts Neues vom BGH/aus Leipzig.