Im zweiten Posting geht es dann auch um erforderliche Zuziehung eines Sachverständigen, hier aber bei eine Unterbringung nach § 64 StGB.
Das LG hat die Angeklagten jeweils des Diebstahls in 17 Fällen schuldig gesprochen. Die dagegen gerichtet Revision des Angeklagten M. führt zur Aufhebung des Urteils, soweit die Strafkammer von einer Anordnung der Unterbringung dieses Angeklagten in einer Entziehungsanstalt gemäß § 64 StGB abgesehen hat. Dazu der BGH, Beschl. v. 19.03.2025 – 3 StR 603/24 :
„Das Rechtsmittel des Angeklagten M. deckt zum ihn betreffenden Schuld- und Strafausspruch keinen Rechtsfehler zu seinem Nachteil auf. Dagegen dringt die von ihm zulässig erhobene Verfahrensrüge eines Verstoßes gegen § 246a Abs. 1 Satz 2 StPO durch und führt zur Aufhebung des Urteils, soweit das Landgericht die Anordnung einer Unterbringung dieses Angeklagten in einer Entziehungsanstalt abgelehnt hat. Die Strafkammer hat zu Unrecht davon abgesehen, zur Frage des Vorliegens der Voraussetzungen einer Unterbringung nach § 64 StGB einen Sachverständigen hinzuzuziehen.
1. Die Verfahrensrüge ist statthaft. Da der Angeklagte mit seiner Revision, die auch auf die allgemeine Sachrüge gestützt ist, angesichts der Regelung des § 358 Abs. 2 Satz 3 StPO grundsätzlich eine ihn in rechtlicher Hinsicht belastende – gleichwohl aber von ihm erstrebte – Anordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt erreichen kann, sein Rechtsmittel also die Möglichkeit eröffnet, die Nichtanordnung der Unterbringung revisionsrechtlich zu überprüfen (vgl. BGH, Beschluss vom 7. Januar 2009 – 3 StR 458/08, NStZ 2009, 261; Urteil vom 10. April 1990 – 1 StR 9/90, BGHSt 37, 5, 7 ff.), ist es ihm auch möglich, mit der Formalrüge einer Verletzung des § 246a Abs. 1 Satz 2 StPO das Verfahren hinsichtlich der Entscheidung über die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt zu beanstanden (so auch BGH, Beschlüsse vom 23. März 2022 – 6 StR 63/22, NStZ 2022, 432 Rn. 4; vom 17. Juli 2013 – 2 StR 255/13, BGHSt 59, 1 Rn. 6; vom 20. September 2011 – 4 StR 434/11, NStZ 2012, 463, 464). Dies gilt unabhängig davon, dass er durch die Nichtanordnung der Unterbringung und damit auch das Unterbleiben einer Hinzuziehung eines Sachverständigen nach § 246a Abs. 1 Satz 2 StPO in rechtlicher Hinsicht nicht beschwert ist. Die Verfahrensrüge ist mithin nicht mangels „Rügebeschwer“ unstatthaft (insofern kritisch allerdings BGH, Beschluss vom 14. Oktober 2020 – 5 StR 272/20, juris).
2. Die zulässige Verfahrensrüge ist auch begründet.
a) Das Landgericht hat festgestellt, dass der Angeklagte M. seit etwa 20 Jahren Rauschgift konsumiert und vor etwa fünf Jahren wegen einer drogeninduzierten Psychose stationär psychiatrisch behandelt wurde. Eine Arbeitsstelle als Bauarbeiter verlor er wegen Drogenmissbrauchs. Die urteilsgegenständlichen Taten beging er unter anderem, um seinen Rauschmittelkonsum zu finanzieren.
Eine Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt hat die Strafkammer ohne Hinzuziehung eines Sachverständigen abgelehnt, weil seine Angaben zum Rauschmittelkonsum auch auf Nachfrage vage geblieben seien, so dass hinreichend sichere Feststellungen zum Vorliegen eines Hangs im Sinne des § 64 StGB mangels Ausführungen zu Art und Menge des Drogenkonsums sowie dessen Auswirkungen auf seine Lebensgestaltung nicht möglich gewesen seien. Wegen des Fehlens von Anknüpfungstatsachen wäre es auch einem Sachverständigen nicht möglich gewesen, zu einem Befund zu gelangen. Zudem habe nicht feststellt werden können, dass die urteilsgegenständlichen Taten überwiegend auf einen etwaigen Hang des Angeklagten zurückgingen, weil er durch die Diebstahlstaten auch seinen allgemeinen Lebensunterhalt finanzierte und er in der Hauptverhandlung keine näheren Angaben zur Verwendung der Taterlöse gemacht habe. Schließlich sei die Erfolgsaussicht einer Unterbringung in einer Entziehungsanstalt zu verneinen. Insofern habe die Strafkammer aufgrund langjähriger Tätigkeit der Berufsrichter als Mitglieder einer Strafvollstreckungskammer hinreichende eigene Sachkunde, so dass es für die Beurteilung keines Sachverständigen bedurft habe. Der Angeklagte habe sich bislang weder um eine Drogentherapie bemüht noch über eine solche informiert, weshalb eine Verhaltensänderung sehr unwahrscheinlich sei.
b) Mit diesen Erwägungen hat die Strafkammer von der Vernehmung eines Sachverständigen nach § 246a Abs. 1 Satz 2 StPO zum Vorliegen der Voraussetzungen für eine Maßregelunterbringung nach § 64 StGB nicht absehen dürfen.
aa) Gemäß § 246a Abs. 1 Satz 2 StPO ist das Tatgericht verpflichtet, einen Sachverständigen zu vernehmen, wenn nach den Umständen des Einzelfalls eine Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt tatsächlich in Betracht kommt und deshalb eine Anordnung dieser Maßregel konkret zu erwägen ist (vgl. BGH, Beschlüsse vom 26. Juli 2017 – 3 StR 182/17, NStZ 2018, 334; vom 17. Juli 2013 – 2 StR 355/13, BGHSt 59, 1, 3; vom 20. September 2011 – 4 StR 434/11, NStZ 2012, 463, 464; BeckOK StPO/Berg, 54. Ed., § 246a Rn. 2 f.; MüKoStPO/Trüg/Habetha, 2. Aufl., § 246a Rn. 7). Der Zuziehung eines Sachverständigen bedarf es jedoch nicht, wenn die Voraussetzungen eines Hangs im Sinne des § 64 StGB evident nicht gegeben sind oder das Fehlen einer hinreichenden Erfolgsaussicht klar auf der Hand liegt (vgl. BGH, Beschluss vom 23. März 2022 – 6 StR 63/22, NStZ 2022, 432 Rn. 6 m. zust. Anm. Schneider; BayObLG, Beschluss vom 20. März 2023 – 203 StRR 55/23, juris Rn. 3; KK-StPO/Krehl, 9. Aufl., § 246a Rn. 2; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 67. Aufl., § 246a Rn. 3; MüKoStPO/Trüg/Habetha, 2. Aufl., § 246a Rn. 10). Jenseits solcher Evidenzfälle ist das Tatgericht von der Pflicht zu einer Sachverständigenvernehmung nur befreit, wenn es die Maßregel nach § 64 StGB allein in Ausübung seines Ermessens nicht anordnen will und diese Entscheidung von sachverständigen Feststellungen unabhängig ist (vgl. BGH, Beschlüsse vom 1. Dezember 2021 – 1 StR 432/21, juris Rn. 11; vom 26. Juli 2017 – 3 StR 182/17, NStZ 2018, 334; vom 17. Juli 2013 – 2 StR 255/13, BGHSt 59, 1 Rn. 10; vom 20. September 2011 – 4 StR 434/11, NStZ 2012, 463, 464; KK-StPO/Krehl, 9. Aufl., § 246a Rn. 2; MüKoStPO/Trüg/Habetha, 2. Aufl., § 246a Rn. 8).
bb) Das Landgericht hat eine Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt im Einzelnen erörtert und damit ersichtlich konkret in Erwägung gezogen. Hierzu ist es aufgrund des langjährigen Drogenkonsums des Angeklagten mit negativen Folgen für seine Gesundheit und berufliche Leistungsfähigkeit auch gehalten gewesen. Die ablehnende Entscheidung basiert weder auf einem evidenten Fehlen der Anordnungsvoraussetzungen noch ausschließlich auf der Ausübung von Ermessen. Damit hat es der Anhörung eines Sachverständigen bedurft.
Dabei spielt keine Rolle, dass der Angeklagte in der Hauptverhandlung nur vage Angaben zu seinem Rauschmittelkonsum gemacht hat, die nach Auffassung der Strafkammer keine hinreichende Grundlage für die Beurteilung eines Hangs geboten haben. Denn insofern gilt: Kann über das Vorliegen der Voraussetzungen für eine im Raum stehende Maßregelanordnung nach § 64 StGB keine Klarheit gewonnen werden, weil die Erkenntnismöglichkeiten des Tatgerichts nicht ausreichen, ist die Zuziehung eines Sachverständigen nach § 246a Abs. 1 Satz 2 StPO veranlasst. Dabei gehört es zu den Aufgaben des Sachverständigen, durch eine Befragung des Angeklagten im Rahmen der Exploration und die Auswertung von – gegebenenfalls noch herbeizuschaffendem – Aktenmaterial Defizite des Gerichts bei der Tatsachenfeststellung auszugleichen (vgl. BGH, Beschluss vom 20. September 2011 – 4 StR 434/11, NStZ 2012, 463, 464). Entsprechendes gilt für die Feststellung eines symptomatischen Zusammenhangs zwischen der Begehung der verfahrensgegenständlichen Tat(en) und dem Substanzkonsum des Angeklagten.
Ohne sachverständige Hilfe hat das Landgericht zudem die Erfolgsaussicht einer Unterbringung in einer Entziehungsanstalt nicht ablehnen dürfen.
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