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KCanG II: Rechtsprechung vornehmlich zum Straferlass, oder: Einmal etwas zur Pflichtverteidigung

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Im zweiten Posting habe ich dann zusammengestellt, was sich bei mir in den letzten Tagen angesammelt hat. Da geht es quer durch das StGB/die StPO, und zwar mit folgenden Entscheidungen:

Der Umstand, dass am 01.04.2024 das KCanG mit einem im Einzelfall niedrigeren Strafrahmen für die abgeurteilte Anlasstat in Kraft getreten ist, findet im Rahmen der Beurteilung im Sinne von § 57 Abs. 2 Nr. 2 StGB keine Berücksichtigung.

1. Die Rechtswirkungen des Straferlasses nach Art. 313 Abs. 1 EGStGB iVm Art. 316p EGStGB für Straftaten nach dem Betäubungsmittelgesetz, die nach dem Konsumcannabisgesetz oder dem Medizinal-Cannabisgesetz nicht mehr strafbar und auch nicht mit Geldbuße bedroht sind, treten unmittelbar kraft Gesetzes ein.

2. Das Revisionsgericht hat diesen rückwirkenden Straferlass gemäß § 354a StPO iVm § 2 Abs. 3 StGB auf die Sachrüge hin zu beachten. Eine gebildete Gesamtstrafe ist auf der Grundlage der gesamten Feststellungen des angefochtenen Urteils darauf zu überprüfen, ob einer einbezogenen Strafe ein nach § 3 Abs. 1 KCanG nunmehr strafloser Besitz von Cannabis zugrunde liegt. Ist ein sicherer Rückschluss auf einen Besitz zum Eigenkonsum möglich und liegen alle sonstigen Voraussetzungen einer Straflosigkeit vor, hat das Revisionsgericht seiner Entscheidung den rückwirkenden Straferlass zugrunde zu legen.

1. Die Schwere der zu erwartenden Rechtsfolge gebietet die Beiordnung eines Pflichtverteidigers, wenn die drohenden Rechtsfolgen einschneidend sind, insbesondere bei drohenden längeren Freiheitsstrafen um 1 Jahr.

2. Zur Beiordnung eines Pflichtverteidigers in den Fällen des § 34 Abs. 3 S. 2 Nr. 4 KCanG.

Zur Neufestsetzung der Strafe, wenn unerlaubter Besitz von Cannabis mit Besitz von anderen Betäubungsmitteln zusammen trifft.

Die Möglichkeit einer Strafermäßigung nach Art. 316p i. V. m. 313 EGStGB ist auch in den Fällen zu bejahen, in denen neben Cannabis gleichzeitig noch andere Betäubungsmittel unerlaubt besessen wurden.

StPO II: Drei Pflichtverteidigungsentscheidungen, oder: Beweisverwertungsverbot, Sachverständiger, Akten

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Und im zweiten Posting dann drei Entscheidungen „aus der Instanz“ zur Pflichtverteidigung, und zwar zu den Gründen für eine Beiordnung, und zwar:

Für die Frage der Erforderlichkeit der Mitwirkung eines Verteidigers in einem Strafverfahren genügt, dass ein Beweisverwertungsverbot nicht völlig fernliegend ist. Das kann der Fall sein, wenn eine im Rahmen des Zwischenverfahrens durchgeführten Wahllichtbildvorlage ggf. nicht den Anforderungen der Rechtsprechung entspricht.

    1. Nicht jede Hinzuziehung eines Sachverständigen begründet die Schwierigkeit einer Sachlage mit der Folge, dass ein Pflichtverteidiger beizuordnen wäre.
    2. Der Beiordnung eines Pflichtverteidigers steht nicht entgegen, wenn der bisherige Wahlverteidiger des Angeklagten im Berufungsverfahren erklärt hat, er würde eine gegenseitige Berufungsrücknahme befürworten, und die Staatsanwaltschaft daraufhin angekündigt hat, im Falle einer Berufungsrücknahme des Angeklagten die ihrerseits eingelegte Berufung ebenfalls zurückzunehmen.

Ist zur Feststellung, ob eine versehentliche Doppelverfolgung des Beschuldigten vorlag, eine Akteneinsicht ebenso erforderlich, wie das verstehende Lesen der beiden Verfahrensakten, ist die Sach- und Rechtslage schwierig.

Erstinstanzliche Verteidigung gegen Einziehung, oder: Welche Kosten-/Auslagenentscheidung?

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Nach dem BayObLG, Beschl. v. 27.10.2023 -204 StRR 394/23, den ich heute Vormittag vorgestellt habe (vgl. hier: Erfolgreiches Rechtsmittel gegen Einziehung, oder: Welche Kosten-/Auslagenentscheidung?), nun zwei weitere Entscheidungen zu Kosten-/Auslagenfragen bei der Einziehung.

Es handelt sich um zwei LG-Entscheidungen, von denen ich aber nur die Leitsätze vorstelle und im Übrigen auf das „Selbstleseverfahren“ verweise. Es handelt sich um folgende Entscheidungen:

Zunächst der LG Hildesheim, Beschl. v. 13.12.2023 – 21 Qs 4/23 – zur Frage der Auslagenerstattung für den Einziehungsbeteiligten nach Erlöschen des Einziehungsanspruches vor Verfahrensabschluss. Dazu der Leitsatz:

Die notwendigen Auslagen eines Einziehungsbeteiligen sind regelmäßig nicht aus Billigkeitsgründen der Staatskasse aufzuerlegen, wenn von einer Einziehungsentscheidung gegen diesen abgesehen wird, nachdem der aus der Tat erwachsene Wertersatzanspruch des Verletzten infolge von diesem veranlasster Zwangsvollstreckungsmaßnahmen nach Anordnung der Einziehungsbeteiligung, aber vor Abschluss des Verfahrens erloschen ist.

Und dann der LG Braunschweig, Beschl. v. 14.12.2023 – 8 Qs 326/23 -, der sich sowohl zur Frage des Gegenstandswertes bei der Einziehung äußert – Stichwort: Gegenstandswert bei unterschiedlichen Werten in der Anklage und dem (Einziehungs)Antrag der Staatsanwaltschaft – und dann auch zur Anwendung des § 465 Abs. 2 StPO in erstinstanzlichen Verfahren. Hier die beiden Leitsätze:

1. Entscheidend für die Berechnung des Gegenstandswertes für die Nr. 4142 VV RVG ist nicht, in welcher Höhe die Staatsanwaltschaft am Ende der Beweisaufnahme eine Einziehung für gerechtfertigt hält, sondern vielmehr, welcher Betrag durch die Anklageerhebung zum Verfahrensgegenstand gemacht wird.
2. § 465 Abs. 2 StPO ist auch in erstinstanzlichen Verfahren anwendbar.

Pflichti III: 4 x nachträgliche Bestellung zulässig, oder: Schritt(e) in die richtige Richtung

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Und dann – wie fast immer an „Pflichti-Tagen“ – noch etwas zum Dauerbrenner: Rückwirkende Bestellung. Dazu habe ich dann vier Entscheidungen, und zwar:

Alle vier Entscheidungen bejahen die rückwirkende Bestellung. Interessant in dem Zusammenhang vor allem der Beschluss des LG Braunschweig. Das „übergeordnete“ OLG lehnt die nachträgliche Bestellung nämlich ab. Anders also das LG, allerdings nur bei inhaftierten Beschuldigten. Aber immerhin ein Schritt in die richtige Richtung.

 

Pflichti II: Geht eine „kostenneutrale“ Umbeiordnung?, oder: Ja, aber Verzicht muss erklärt werden

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Im zweiten Posting dann wieder einmal etwas zur sog. Kostenneutralen Umbeiordnung, und zwar der LG Braunschweig, Beschl. v. 22.12.2022 – 4 Qs 371/22. Das AG hatte „umbeigeordnet“, allerdings “ mit der Maßgabe, dass der Landeskasse durch die Umbeiordnung keine Mehrkosten entstehen“. Dagegen wendet sich der „umbeigeordnete“ Rechtsanwalt mit Erfolg:

„Die sofortige Beschwerde ist ferner auch begründet.

Die angegriffene gerichtliche Bestimmung, dass für den Beschwerdeführer ein Anspruch auf die bereits entstandenen Verteidigerkosten nicht besteht, findet keine Stütze im Gesetz und ist daher aufzuheben.

Der Wechsel des Pflichtverteidigers ist nunmehr seit Inkrafttreten des Gesetzes vom 10.12.20218 (BGBl. I S. 2128) gesetzlich in § 143 a StPO geregelt. Der hiesige Fall des einverständlichen Pflichtverteidigerwechsels wurde durch das genannte Gesetz zwar nicht explizit geregelt, soll aber nach den von der Rechtsprechung entwickelten Maßgaben weiterhin möglich sein (vgl. BT-Drucks. 19/13829, 47).

Nach diesen Maßgaben ist dem Wunsch des Beschuldigten auf Wechsel des Pflichtverteidigers nachzukommen, wenn der bisherige Pflichtverteidiger damit einverstanden ist und durch die Bestellung des neuen Verteidigers weder eine Verfahrensverzögerung noch Mehrkosten für die Staatskasse verursacht werden (vgl. OLG Stuttgart BeckRS 2017, 130397; KG NStZ 2017,305; 1993, 201; OLG Saarbrücken BeckRS 2016, 18697, OLG Karlsruhe NStZ 2016, 305; OLG Braunschweig BeckRs 2015,15078). Der Begriff der Mehrkosten erfasst nur solche Gebührenpositionen, die durch eine neue Bestellung doppelt entstehen würden (Grund- und Verfahrensgebühr), nicht dagegen Fahrtkosten und Abwesenheitsgelder (vgl. OLG Celle, BeckRS 2019, 7185). Die erforderliche Kostenneutralität ist gewahrt, wenn der neue Verteidiger auf die bisher für die Pflichtverteidigung angefallenen Gebühren (Grund- und Verfahrensgebühr) verzichtet (vgl. Krawczyk, BeckOK StPO, 37. Edition, Sand 01.07.2020, § 143a Stpo, Rn. 33 ff. m.w.N.).

Diesen Voraussetzungen wird die angefochtene Entscheidung nicht gerecht, sodass sie keinen Bestand haben kann. Einen Verzicht auf die bereits Rechtsanwalt pp. entstandenen Gebühren hat der Beschwerdeführer nicht erklärt. Er wurde diesbezüglich auch nicht durch das Amtsgericht angehört.

Eine gerichtliche Kompetenz, die Gebühren des neuen Pflichtverteidigers nach Pflichtverteidigerwechsel zu begrenzen, besteht nicht. Vorliegend wäre das Amtsgericht gehalten gewesen, vor der Entscheidung über den Pflichtverteidigerwechsel eine Stellungnahme vom Beschwerdeführer im Hinblick auf die Kostenneutralität des Pflichtverteidigerwechsels einzuholen. Dass dies nicht erfolgt ist, kann nicht zu Lasten des Beschwerdeführers gehen.“