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Pflichti II: Zulässigkeit der rückwirkenden Bestellung, oder: OLG Brandenburg bejaht auch

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Im zweiten Posting habe ich dann einen Beschluss zur rückwirkenden Bestellung des Pflichtverteidigers. Es handelt sich um den OLG Brandenburg, Beschl. v. 20.08.2025 – 1 Ws 77/25 S -, das die rückwirkende Bestellung – als weiteres OLG – als zulässig angesehen hat. Dabei steht allerdings die Begründung des OLG im umgekehrten Verhältnis zur Bedeutung der entschiedenen Frage in der Praxis. Allerdings: Was soll man zu dem Thema auch noch mehr schreiben? Dazu ist ja alles geschrieben, was dazu zu sagen ist. Und hinzu kommt, dass das OLG sich der richtigen Auffassung angeschlossen hat.

Das OLG führt (nur) aus:

„Die Entscheidung über die Beiordnung von Rechtsanwalt pp. als Pflichtverteidiger beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 140 Abs. 2 StPO. Im Hinblick auf die Neuregelung des Rechts der Pflichtverteidigung im Anschluss an die Richtlinie 2016/1919 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Oktober 2016 über Prozesskostenhilfe für Verdächtige und beschuldigte Personen in Strafverfahren sowie für gesuchte Personen in Verfahren zur Vollstreckung eines Europäischen Haftbefehls (RL 2016/1919/EU, ABI. L 297/1 vom 04. November 2016) ist die rückwirkende Bestellung eines Pflichtverteidigers möglich, wenn dessen Bestellung – wie hier – eine wesentliche Verzögerung erfahren hat. Der Senat schließt sich insoweit der Rechtsprechung des Oberlandesgerichts Nürnberg (Beschluss vom 06. November 2020, Ws 962/20, StraFo 2021, 71) an.“

Über den vom OLG Brandenburg in Bezug genommenen OLG Nürnberg, Beschl. v. 06.11.2020 – Ws 962/20 – hatte ich natrülich auch hier berichtet (vgl. hier: Pflichti IV: Nachträgliche Bestellung, oder: In Bayern – OLG Nürnberg – ordnet man bei – Überraschung).

Pflichti II: Zulässigkeit der rückwirkenden Bestellung, oder: LG Magdeburg versus LG Ansbach

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Und dann habe ich hier zum Tagesschluss noch drei Entscheidungen zum Dauerbrenner „Zulässigkeit der rückwirkenden Bestellung“. Es handelt sich um folgende Entscheidungen:

Bejaht haben die Zulässigkeit:

Eine rückwirkende Bestellung zum Pflichtverteidiger ist ausnahmsweise dann zulässig, wenn der Beschuldigte rechtzeitig ausdrücklich eine Pflichtverteidigerbestellung beantragt hatte, wenn die Voraussetzungen einer Pflichtverteidigerbestellung zum Zeitpunkt der Antragstellung vorgelegen haben und wenn eine Entscheidung über den Beiordnungsantrag ohne zwingenden Grund nicht unverzüglich erfolgt ist. Frühere entgegenstehende Rechtsprechung wird aufgegeben.

Die rückwirkende Beiordnung eines Pflichtverteidigers hat auch noch nach Beendigung des Verfahrens zumindest dann zu erfolgen, wenn der Beiordnungsantrag bereits vor Verfahrensbeendigung gestellt worden ist, die Voraussetzungen für eine Beiordnung zum damaligen Zeitpunkt vorlagen und eine Entscheidung über den Beiordnungsantrag vor Verfahrensbeendigung unterblieben ist, weil die Beschlussfassung aufgrund justizinterner Vorgänge wesentlich verzögert wurde.

Verneint wird die Zulässigkeit nach wie vor von:

Eine nachträgliche, rückwirkende Bestellung bei einem abgeschlossenen Verfahren ist auch nach der aktuellen Rechtslage nach Änderung der §§ 141 ff StPO schlechthin unzulässig und unwirksam und mithin grundsätzlich ausgeschlossen, und zwar auch dann, wenn der Wahlverteidiger oder der Rechtsanwalt, den der Angeklagte als den zu bestellenden Pflichtverteidiger benannt hatte, seine Bestellung nach §141 Abs. 1 StPO beantragt hatte.

Letztlich beinhalten alle drei Entscheidungen in der Sache nichts Neues.

Anzumerken ist aber, dass sich nun allmählich die Waage dann doch in die Richtung derjenigen Entscheidungen neigt, die eine rückwirkende Bestellung aus zulässig ansehen, was m.E. auch richtig. Bemerkenswert in dem Zusammenhang der o.a. Beschluss des LG Magdeburg, da sich das LG von seiner alten Auffassung, wonach die rückwirkende Bestellung unzulässig, sei verabschiedet und den richtigen Weg eingeschlagen hat. Anders dagegen das LG Ansbach, das an der alten Auffassung – wortreich festhält, getreu dem Spruch: Haben wir schon immer so gemacht. Dafür sprechen allein auch schon die vielen zitierten Entscheidungen zum alten Recht.

Pflichti III: Entscheidungen von der „Resterampe“, oder: Abfall ?, Haftentlassung, Rückwirkung, Wahlanwalt

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Und dann hier im dritten Posting der „Rest“, also „Resterampe“, und zwar einige Entscheidungen zur Rückwirkung, zu den Bestellungsgründen und zu Bestellung. Auch hier gibt es nur die Leitsätze, und zwar:

Von einer schwierigen Rechtslage im Sinne von § 140 Abs. 2 StPO ist auszugehen, wenn in einem Strafverfahren die Frage entscheidungserheblich ist, ob und unter welchen Voraussetzungen Autowracks Abfall im Sinne von § 326 StGB darstellen.

Sowohl die Aufhebung der Bestellung nach § 143 Abs. 2 S. 1 StPO als auch nach § 143 Abs. 2 S. 2 StPO steht im Ermessen des Gerichts. Bei der Ermessensentscheidung ist stets sorgfältig zu prüfen, ob die frühere, auf der Inhaftierung beruhende Behinderung der Verteidigungsmöglichkeiten es weiter notwendig macht, dass der Angeschuldigte trotz Aufhebung der Inhaftierung durch einen Pflichtverteidiger unterstützt wird, was in der Regel der Fall sein wird.

1. Die rückwirkende Bestellung eines notwendigen Verteidigers kommt jedenfalls dann in Betracht, wenn die Voraussetzungen für die Bestellung eines notwendigen Verteidigers zum Zeitpunkt eines rechtzeitig hierauf gerichteten Antrages gegeben waren und die Bestellung allein aufgrund justizinterner Gründe unterblieben ist.

2. Unverzüglich im Sinne des § 141 Abs. 1 S. 1 StPO bedeutet, dass die Pflichtverteidigerbestellung zwar nicht sofort, aber so bald wie möglich ohne schuldhaftes Zögern, mithin ohne sachlich nicht begründete Verzögerung erfolgen muss.

3. Die Ausnahmeregelung nach § 141 Abs. 2 S. 3 StPO, wonach in den Fällen des § 141 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 und Nr. 3 StPO die Bestellung unterbleiben kann, wenn beabsichtigt ist, das Verfahren alsbald einzustellen und keine anderen Untersuchungshandlungen als die Einholung von Registerauskünften oder die Beiziehung von Urteilen oder Akten vorgenommen werden sollen, greift nicht, wenn die Pflichtverteidigerbestellung nicht von Amts nach den genannten Bestimmungen, sondern aufgrund des Antrages des vormaligen Beschuldigten veranlasst ist.

Hat der Wahlverteidiger des Angeklagten, dem bisher noch kein Pflichtverteidiger bestellt wurde, sein Mandat niedergelegt und seine Bestellung als Pflichtverteidiger beantragt, ist einem Bestellungsantrag zu entsprechen, da der Beschuldigte mit der Niederlegung des Wahlmandats unverteidigt im Sinne von § 141 Abs. 1 Satz 1 StPO ist.

 

Klageerzwingung I: Voraussetzung für die Zulässigkeit, oder: Die Hürden sind und bleiben hoch

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Und dann starte ich in die vorösterliche (Kar)Woche mit zwei Entscheidungen des BVerfG zum Klageerzwingungsverfahren und einer weiteren des OLG Schleswig..

Ich beginne mit dem BVerfG, Beschl. v. 20.02.2025 – 2 BvR 1569/23 – einem – was sonst? – Nichtannahmebeschluss. Das BVerfG hat mal wieder unzureichende Substantiierung der Verfassungsbeschwerde gerügt.

Ausgangspunkt des Verfahrens ist ein Verfahren gegen den Beschwerdeführer im Anschluss an einen Einsazu von Einsatzkräften im Rettungsdienst, das für den Beschwerdeführer mit einem Strafverfahren wegen Beleidigung, Bedrohung und Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte endete, das schließlich nach § 153a Abs. 2 StPO gegen eine Geldauflage eingestellt wurde.

Der Beschwerdeführer selbst hatte erstattete Strafanzeige gegen die beteiligten Polizeibeamten wegen gefährlicher Körperverletzung im Amt erstattet. Insoweit wurde ihm von der Staatsanwaltschaft mitgetielt, sie werde kein Ermittlungsverfahren einleiten, weil kein Anfangsverdacht für ein strafbares Verhalten der Polizeibeamten bestehe. Hiergegen erhob der Beschwerdeführer Beschwerde zur Generalstaatsanwaltschaft Koblenz, die diese als unbegründet zurückwies. Daraufhin beantragte der Beschwerdeführer beim OLG Koblenz eine gerichtliche Entscheidung nach § 172 Abs. 2 Satz 1 StPO. Mit Beschluss vom 05.09.2023 verwarf das OLG den Antrag des Beschwerdeführers als unzulässig, weil nicht ausreichend begründet.

Dagegen dann die Verfassungsbeschwerde, die keinen Erfolg hatte. Das BVerfG referiert zunächst die allgemeinen Anforderungen an Verfassungsbeschwerden und führt dann zur Sache aus. Da die Entscheidung nur die vorliegende Rechtsprechung fortschreibt, beschränke mich hier auf den Leitsatz, der lautet:

Im Hinblick auf Art. 19 Abs. 4 GG bestehen keine Bedenken, § 172 Abs. 3 S. 1 StPO so auszulegen, dass der Klageerzwingungsantrag den Gang des Ermittlungsverfahrens, den Inhalt der angegriffenen Bescheide und die Gründe für ihre Unrichtigkeit in groben Zügen wiedergeben und eine aus sich selbst heraus verständliche Schilderung des Sachverhalts enthalten muss, der bei Unterstellung des hinreichenden Tatverdachts die Erhebung der öffentlichen Klage in materieller und formeller Hinsicht rechtfertigt.

Und als zweite Entscheidung in diesem Posting der OLG Schleswig, Beschl. v. 21.02.2025 – 1 Ws 3/25 -, der auch noch einmal zu den Voraussetzungen eines (zulässigen) Klageerzwingungsantrags Stellung nimmt:

1. Ein Antrag auf gerichtliche Entscheidung muss eine aus sich selbst heraus verständliche Schilderung des Sachverhalts enthalten, der bei Unterstellung des hinreichenden Tatverdachts die Erhebung der öffentlichen Klage in materieller und formeller Hinsicht rechtfertigt und muss auch in groben Zügen den Gang des Ermittlungsverfahrens und den Inhalt der angegriffenen Bescheide wiedergeben.

2. Genügt ein Klageerzwingungsantrag diesen strengen Anforderungen nicht, so ist das Oberlandesgericht grundsätzlich nicht gehalten, die angefochtene Einstellungsentscheidung durch einen Rückgriff auf die Akten oder sonstige Anlagen zu prüfen.

3. Eine Prüfung ist aber zur Wahrung eines effektiven Rechtsschutzes im Rahmen der verfassungsrechtlich verankerten Rechtsschutzgarantie aus Art. 19 Abs. 4 GG dann geboten, wenn ein Antragsteller aufgrund seines Alters, einer spezifischen Täter-Opfer-Konstellation oder sonstiger Umstände seine Rechte ersichtlich nicht wahrnehmen kann, die Tat im Einzelfall schwer wiegt und es der staatsanwaltschaftlichen Einstellungsentscheidung an Begründungstiefe fehlt. Liegt es so, ist jedenfalls eine summarische Prüfung des Akteninhaltes und eine darauf beruhende Bewertung des hinreichenden Tatverdachts nach § 170 Abs. 1 StPO durch das Oberlandesgericht veranlasst.

4. Gleiches gilt, wenn von der umfassenden und rechtswirksamen Aufarbeitung des Sachverhalts in Zukunft weitere für den Verletzten bedeutende Entscheidungen abhängen wie z. B. in einem Fall von Kindesmisshandlung tragfähige familiengerichtliche Entscheidungen und ein effektives und rechtzeitiges Handeln durch Jugendamt und Familiengericht.

Fazit: Die Hürden sind und bleiben hoch.

Und dann machen wir mal ein wenig Werbung, also <<Werbemodus an>>, nämlich für das Handbuch für das strafrechtliche Ermittlungsverfahren, 10. Aufl. 2025, bzw. für das Handbuch für die strafrechtlichen Rechtsmittel und Rechtsbehelfe, 3. Aufl. 2024, die man beide bier bestellen kann. Beide enthalten recht umfangreiche Ausführungen zum Klageerzwingungsverfahren mit Checkliste, was man alles vortrag muss/sollte. <<Werbemodus aus>>-