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Zusätzliche Gebühr für Revisionsrücknahme, oder: Wenigstens begründet muss die Revision sein

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Als zweite gebührenrechtliche Entscheidung folgt heute der LG Limburg, Beschl. v. 23.03.2018 – 1 Ks-2 Js 52458/16. Er stammt aus dem Reservoir der zahlreichen Entscheidungen zur Nr. 4141 Vv RVG, und zwar zu der Problematik: Entstehen der zusätzlichen Gebühr durch Rücknahme der Revision. Eine in Rechtsprechung und Literatur heftig umstrittene Frage, in der die h.M. dazu m.E. falsch ist.

Auf den Streit kam es hier aber nicht an. Denn der Verteidiger hatte gegen das Urteil der Kammer des LG Revision eingelegt, das Rechtsmittel  aber noch vor dessen Begründung zurückgenommen. Die Gebühr gemäß Nr. 4141 VV RVG ist nicht festgesetzt worden. Das LG sagt: Zu Recht:

„Das Entstehen der Gebühr gemäß VV Nr. 4141 RVG hat als übergreifende Voraussetzung für alle Tatbestandvarianten nach Abs. 1 Nr. 1-4, dass die Hauptverhandlung durch die anwaltliche Mitwirkung entbehrlich wird. Die Gebühr entsteht danach nur, wenn konkrete Anhaltspunkte dafür vorhanden sind, dass eine Hauptverhandlung durchgeführt worden wäre (vgl. OLG München, NStZ-RR 2013, 64; Kroiß, in Mayer/Kroiß, RVG, 7. Aufl., Nrn. 4141-4147 VV Rn. 11; BeckOK RVG/Kotz, 38. Ed. 15.7.2015, RVG Rn. 40 ff.). So liegt der Fall hier aber schon deshalb nicht, weil die Revision noch nicht gemäß § 344 StPO begründet worden ist. Zum Zeitpunkt der Rücknahme lag demnach noch kein Rechtsmittel vor, das alle Zulässigkeitsvoraussetzungen erfüllt. Bei einer unzulässigen Revision ist jedoch mit einer Entscheidung ohne Revisionshauptverhandlung gemäß §§ 346 Abs. 1, 349 Abs. 1 StPO zu rechnen (vgl. OLG München, NStZ-RR 2013, 64; BeckOK RVG/Kotz, 38. Ed. 15.7.2015, RVG Rn. 37 f.).“

Also: Man muss als Verteidiger die Revision zumindest begründet haben, wenn man überhaupt Aussicht auf die Gebühr Nr. 4141 Anm. 1 Satz 1 Ziff. 3 VV RVG haben will.

Pflichtverteidiger schon im Ermittlungsverfahren? Unter Hinweis auf EMRK ggf. ja

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Die StPO geht davon aus, dass im Ermittlungsverfahren für die Beiordnung eines Verteidigers grundsätzlich ein Antrag der Staatsanwaltschaft erforderlich ist. Die Prüfung nach § 141 Abs. 3 StPO obliegt nach h.M.  in erster Linie der Staatsanwaltschaft.

Fraglich ist, ob es Fälle gibt, in denen dem Beschuldigten im Ermittlungsverfahren allein auf seinen Antrag ein Verteidiger bestellt wird. Darum wird gestritten. Der LG Limburg, Beschl. v. 27.11.2012 – 5 AR 33/12 – hat die Frage vor einiger Zeit bejaht: Danach ist allein auf Antrag des Beschuldigten dann ein Verteidiger zu bestellen, wenn anderenfalls die Anforderungen der EMRK an einem fairen Verfahren nicht gewahrt wären.

 2. Die Beiordnung im Ermittlungsverfahren war ohne Antrag der Staatsanwaltschaft auszusprechen. Mit der überwiegenden Rechtsprechung (vergl. OLG Oldenburg StV 1993, 511; OLG Karlsruhe StV 1998, 123; LG Cottbus StV 2002, 414; a. A. LG Bremen StV 1999, 532 – zitiert jeweils nach juris; Übersicht zur Rechtsprechung Löwe-Rosenberg, StPO, 26. Aufl., § 141 Rz. 24) ist im Ermittlungsverfahren – von Sonderregelungen im Recht der Untersuchungshaft abgesehen – grundsätzlich ein Antrag der Staatsanwaltschaft für eine Beiordnung erforderlich. Diese Ansicht wird hier geteilt. Die nach § 141 III StPO gebotene Prüfung obliegt in erster Linie der Staatsanwaltschaft. Das Ergebnis, keinen Antrag zu stellen, bindet im Regelfall den für das Hauptverfahren zuständigen Vorsitzenden. Die ablehnende Entscheidung der Staatsanwaltschaft wird zudem überwiegend auch nicht im Verfahren nach §§ 23 ff EGGVG als überprüfbar angesehen (vergl. OLG Karlsruhe StV 1998, 123 mit weiteren Nachweisen). Dies entbindet den für das Hauptverfahren zuständigen Vorsitzenden aber nicht von der Verantwortung, für ein den Anforderungen der EMRK genügendes Verfahren Sorge zu tragen (vergl. Löwe-Rosenberg a. a. O.). Unter dem Gesichtspunkt des fairen Verfahrens kann für die Verteidigerbestellung eine Ermessensreduzierung auf Null in Betracht kommen (vergl. Karlsruher Kommentar, StPO, 6. Aufl., § 141 Rz. 7; offen gelassen OLG Karlsruhe StV 1998, 123 – juris).

M.E. der richtige Weg, wenn das LG die Beiordnung des Pflichtverteidigers jedenfalls dann ohne Antrag der Staatsanwaltschaft vornimmt, wenn davon auszugehen ist, dass im Erkenntnisverfahren auf jeden Fall die Mitwirkung eines Pflichtverteidigers erforderlich sein wird. Dann kann es auf den Antrag der Staatsanwaltschaft nicht mehr ankommen, bzw.: In den Fällen kann die Staatsanwaltschaft durch den Hinweis auf ihre fehlende Antragstellung die Beiordnung eines Pflichtverteidigers in dem frühen Verfahrensstadium nicht sperren, weil damit ein Verstoß gegen den Grundsatz des fairen Verfahrens vorliegen würde.

 

Handgranate im Spielzeugregal

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Ich war mir nicht sicher, Lachen oder weinen?, als ich bei der LTO gestern die Meldung über ein Urteil des LG Limburg gelesen habe, überschrieben mit: „Handgranate im Regal versteckt – Bewährungsstrafe für Ladendetektiv

In der Nachricht heißt es weiter:

Weil er eine scharfe Handgranate im Spielzeugregal eines Supermarkts versteckt hat, ist ein Ladendetektiv zu einer Bewährungsstrafe von zwei Jahren verurteilt worden. Das LG Limburg sprach den 40-Jährigen am Montag des Verstoßes gegen das Kriegswaffenkontrollgesetz schuldig.

Der Angeklagte hatte in dem Supermarkt in Wetzlar Ende Januar die Handgranate versteckt. Anschließend informierte er den Marktleiter über seinen angeblichen Fund. Die Polizei ließ den Markt räumen. Der Mann hatte sich von seiner Tat nach eigenem Geständnis eine Anerkennung seines Chefs und die Bezahlung seines
ausstehenden Gehalts erhofft.“

Ich habe mich dann gegen das Lachen entschieden. Ich denke, nicht nur ich bin erstaunt, auf welche Ideen „Mitbürger“ kommen.

Im Moment ein wenig aus dem Focus: Die Durchsuchung

Manche Fragen beschäftigen die Rechtsprechung „wellenweise“. Dazu gehören auch Durchsuchung und Beschlagnahme. Die damit zusammenhängenden Porbleme haben vor einigen Jahren ja die obergerichtliche Rechtsprechung „beherrscht“, in der letzten Zeit ist ein wenig Ruhe eingekehrt. Aber die ein oder andere Entscheidung gibt es zu der Problematik schon noch.

Bei meiner Suche nach für den Blog interessanten Entscheidungen bin ich dann auf  LG Limburg, Beschl. v. 15.02.2011 – 1 Qs 6/11 gestoßen, der die Durchsuchung bei einem Dritten betrifft. Dort sind zwei interessante Fragen behandelt:

  1. Bei einem unverdächtigen Dritten darf eine Durchsuchung grundsätzlich nur angeordnet werden, wenn bestimmte Tatsachen vermuten lassen, dass sich bestimmte als Beweismittel dienende Gegenstände in dessen Räumen befinden; allein die pauschale, allgemeine Erwartung , irgendein relevantes Beweismittel zu finden, rechtfertigt einen solchen Eingriff in die Rechte eines Dritten hingegen nicht.
  2. Um der Funktion einer vorbeugenden Kontrolle einer Durchsuchung und ihrer Umgrenzung gerecht zu werden, darf sich die Entscheidung im Abhilfeverfahren auch nicht auf Gründe stützen, die dem Ermittlungsrichter im Zeitpunkt des Erlasses des Durchsuchungsbeschlusses nicht bekannt waren.

Ohne Akte tue ich nichts – Richter arbeitet nicht ohne Akte

Da gibt es mal wieder eine Entscheidung, die sich mit der Frage des Richtervorbehalts bei § 81a StPO auseinandersetzt: LG Limburg, Beschl. v. 04.08.2009, 2 Qs 30/09. An sich nichts Besonderes. Denn man wird in der Tat trefflich darum streiten können, ob in Limburg ein nächtlicher richterlicher Eildienst erforderlich ist (vgl. dazu OLG Hamm, Urt. v. 18. 8. 2009, 3 Ss 293/08 für Bielefeld). „Interessanter“ finde ich dann schon die Ausführungen des LG zur Frage: Brauche ich eine Akte?. Dazu heißt es:

„Hinzu kommt, dass die Richterinnen und Richter des Amtsgerichts L. – jeder in einer eigenen richterlichen Entscheidung zur Verfahrensgestaltung – übereinstimmend mündliche Entscheidungen aufgrund mündlichen Sachvortrages ablehnen. Entgegen der Verteidigung liegt hierin keine Weigerung der Richter, eine Rechtsnorm anzuwenden. Eine mündliche Entscheidung ohne Akte wäre zwar auch prozessordnungsgemäß (vgl. BGHSt 51, 285 ) und begründet bei entsprechender amtsgerichtlicher Praxis (etwa AG Essen – Beschl.v. 11.10.2007 – 44 Gs 4577/07 – iuris) auch die Verpflichtung der Polizeibeamten zu versuchen, eine mündliche Anordnung einzuholen (vgl. OLG Hamm, Beschl.v. 25.8.2008 – 3 Ss 318/08 – iuris). Im Amtsgerichtsbezirk L. liegt der Fall aber anders. Die hier in richterlicher Unabhängigkeit (Art. 97 Abs. 1 GG) getroffene Entscheidung zur Verfahrensgestaltung ist, weil mit der Prozessordnung im Einklang stehend, zu respektieren. Eine Verpflichtung zur mündlichen Entscheidung besteht nicht. Im Übrigen ist eine Entscheidung auf der Grundlage eines schriftlich unterbreiteten Sachverhalts, einer Akte, auch sachgerecht. Die Durchsetzung der vorbeugenden Kontrolle und die Gewährung effektiven Rechtsschutzes gebieten eine solche Verfahrensweise, soll der Richtervorbehalt seine Funktion einer verstärkten Sicherung der Grundrechte genügen. Anzunehmen, es könne „im Idealfall binnen einer Viertelstunde“ (so etwa OLG Stuttgart NStZ 2008, 238, Zopfs NJW 2009, 244) eine mündliche richterliche Anordnung eingeholt werden, wahrt den Richtervorbehalt nur formal.

Einer solchen Entwertung richterlicher Tätigkeit verbunden mit einem Vertrauensverlust die Seriosität richterlicher Arbeit betreffend ist entgegen zu treten. So hat auch das LG Hamburg (aaO) eine Anordnung ohne schriftliche Entscheidungsgrundlage schlicht als „unzumutbar“ angesehen. Zu Recht verweisen die Richter des Amtsgerichts L. darauf, dass bei einem mündlichen Sachvortrag die tatsächliche Entscheidungsgrundlage nicht nachvollzogen werden kann. Das gesprochene Wort ist flüchtig und birgt zudem die Gefahr, dass gerade in Grenzfällen, in denen sich die richterliche Kontrolle zu bewähren hat, entscheidungserhebliche Details nicht in gebotener Sorgfalt dargestellt und abgewogen werden können. Zudem verschieben sich Verantwortlichkeiten. Mit der von den Ermittlungsbehörden zu fordernden schriftlichen Dokumentation eines vorläufigen Ermittlungsergebnisses geht ein höheres Maß an Verantwortung einher als dies in einem mündlichen Vortrag der Fall ist. Dies gilt insbesondere, wenn im Anfangsstadium von Ermittlungen richterliche Entscheidungen beantragt werden. Bei schriftlicher Unterbreitung der Ermittlungsergebnisse ist auch ausgeschlossen, dass Ermittlungsrichter und Polizeibeamter sich unterschiedlich an Details der Entscheidungsgrundlage erinnern. Schon die Gefahr derartiger Missverständnisse ist angesichts des Gewichts der Entscheidung zu vermeiden, schwächen solche Missverständnisse auch das Vertrauen in die Zuverlässigkeit richterlicher Entscheidungen. Mit guten Gründen fordern daher die Amtsrichter in L., dass die richterliche Entscheidungsgrundlage – auch für den Beschuldigten – nachvollziehbar ist.“

Na ja, das kann man auch anders sehen. Und: Wird mit einer vorab abgegebenen Erklärung, nicht auf „mündlichen Zurif“ tätig werden zu wollen, nicht vorab für jeden Fall nächtlichen Tätigwerdens „Gefahr im Verzug“ en bloc bejaht. Das BVerfG verlangt aber eine Einzelentscheidung und eine eigenverantwortliche Prüfung des Einzelfalls. So brauchen die Polizeibeamten doch gar nicht erst zu versuchen, einen Richter zu erreichen. Oder?