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Ruf aus dem „richterlichen Dschungelcamp“: „Ich will hier nicht raus“, bleibt unerfüllt

© Haramis Kalfar - Fotolia.com

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Da sag noch mal einer Richter seien so (über)müdet und belastet und ihre Arbeit so leid, dass sie möglichst schnell in den Ruhestand gehen wollen. Das trifft zumindest auf eine Richterin am AG Bochum nicht zu, die 1950 geboren ist und mit Ablauf des Monats Januar 2016 in den gesetzlichen Ruhestand treten müsste. Das will sie aber nicht. Sie hat deshalb beantragt, bis zum 67. Lebensjahr weiter arbeiten zu können. Begründet hat sie das mit den (neuen) §§ 4, 101 des Richter- und Staatsanwältegesetzes für das Land Nordrhein-Westfalen (LRiStaG), das als Art. 1 des Gesetzes zur Neuregelung der Rechtsverhältnisse der Richterinnen und Richter sowie der Staatsanwältinnen und Staatsanwälte im Land Nordrhein-Westfalen – soweit vorliegend einschlägig – am 01.01.2016 in Kraft getreten ist (§ 105 Abs. 1 Satz 1 LRiStaG). Gemäß § 4 Abs. 2 Satz 2 LRiStaG ist die Regelaltersgrenze (vollendetes siebenundsechzigstes Lebensjahr, § 4 Abs. 1 LRiStaG) für Richterinnen und Richter, die nach dem 31. Dezember 1946 und vor dem 1. Januar 1964 geboren sind, gestaffelt (zwischen 23 und 2 Monate) abgesenkt. Gemäß § 4 Abs. 3 Satz 1 LRiStaG wird aber der Eintritt in den Ruhestand der Richterinnen und Richter, die vor Vollendung des siebenundsechzigsten Lebensjahres (Regelaltersgrenze) in den Ruhestand eintreten, längstens bis zum Ende des Monats hinausgeschoben, in dem sie die Regelaltersgrenze erreichen, wenn sie dies beantragen. Diesen Antrag, der spätestens sechs Monate vor Eintritt in den Ruhestand zu stellen, § 4 Abs. 3 Satz 2 LRiStaG, hat die Richterin am AG gestellt.

Aber: Der Dienstherr konnte dem nicht nachkommen. Dem stand § 101 LRiStaG entgegen, wonach solche Anträge erst ab Inkrafttreten der Vorschrift am 01.01.2016 gestellt werden können. Die Kollegin hat das vom VG Gelsenkirchen m einstweiligen Anordnungsverfahren überprüfen lassen. Das hat im VG Gelsenkrichen, Beschl. v. 05.01.2015 – 12 L 6/16 – „mitgeteilt“: No chance. Denn:

„Da die Antragstellerin mit Ablauf des Monats Januar 2016 wegen Erreichens der – gestaffelten – Altersgrenze gemäß § 4 Abs. 2 LRiStaG in den Ruhestand tritt, kann ein nach dem 1. Januar 2016 gestellter Antrag auf Hinausschieben der Altersgrenze diesem Fristerfordernis nicht genügen. Der von der Antragstellerin bereits unter dem 29. Mai 2015 gestellte Antrag auf Hinausschieben des Ruhestandseintritts bis zur Vollendung des siebenundsechzigsten Lebensjahres ist nicht fristwahrend, da gemäß § 101 LRiStaG entsprechende Anträge nicht vor dem 1. Januar 2016 wirksam gestellt werden können. Geht man zugunsten der Antragstellerin gleichwohl von der Wirkung ihres Ende Mai 2015 gestellten Antrages am 1. Januar 2016 aus, vermag das aus den nachstehenden Gründen ihrem Begehren nicht zum Erfolg zu verhelfen.

Es bestehen keine durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die in §§ 4 Abs. 3 und 101 LRiStaG geregelte Frist sowohl im Hinblick auf deren zeitliche Komponente (sechs Monate) als auch im Hinblick auf den frühstmöglichen Zeitpunkt der wirksamen Antragstellung (1. Januar 2016).

Die in § 4 Abs. 3 Satz 2 LRiStaG normierte Sechsmonatsfrist trägt – auch ausweislich der Gesetzesbegründung (LT-Drs. 16/9520, S. 107 und 135) – dem Umstand Rechnung, dass dem Dienstherrn ausreichend Zeit verbleiben muss, um auf den ansonsten voraussetzungslosen Anspruch der Richterinnen und Richter auf Verlängerung der Dienstzeit mit der daraus erforderlichen personalwirtschaftliche Planung zu reagieren. Die Frist ist im Hinblick auf die Notwendigkeit, ansonsten erforderliche Neueinstellungen und ggf. mögliche Beförderungen zeitlich zu verschieben, nicht zu lang bemessen. In diese Wertung ist einzustellen, dass die bei Einstellungen und Beförderungen vorgeschalteten Auswahlverfahren durchaus zeitintensiv sein können und es sich bei der Einstellung von Richtern um eine mitbestimmungspflichtige Angelegenheit (§ 41 Abs. 1 Nr. 1 LRiStaG) mit einem zusätzlichen Zeitfenster handelt.

Dass eine wirksame Antragstellung erst ab dem Zeitpunkt des Inkrafttretens des LRiStaG möglich ist, § 101 LRiStaG, rechtfertigt sich gleichfalls unter den oben genannten personalwirtschaftlichen Gesichtspunkten und der Notwendigkeit der Aufrechterhaltung der Funktionsfähigkeit der Justiz.“

Na ja, ob die „Aufrechterhaltung der Funktionsfähigkeit der Justiz“ (?) nicht ggf. auch eine andere rechtliche Regelung erfordert hätte, lassen wir mal dahinstehen. So, wie es geregelt ist, bliebt für das VG wohl kein anderer Weg.

Und geholfen hat auch nicht der Hinweis auf Personalprobleme bei der Justiz:

„Soweit die Antragstellerin den gegenwärtigen Notstand bei der Rekrutierung von Richterinnen und Richtern anführt, vermag dies nicht zu verfangen. Ob der Bedarf an geeigneten Richterinnen und Richtern gegenwärtig gedeckt werden kann, ist eine Frage des Augenblicks, die die Justizverwaltung in angemessener Weise beantworten muss. Eine problematische Rekrutierung des Richternachwuchses entfaltet aber keinen Verfassungsrang, der die grundsätzlichen Entscheidungen des Gesetzgebers zum Hinausschieben des Eintritts in den Ruhestand in Zweifel ziehen könnte.“

Also: Der Ruf aus dem „richterlichen Dschungelcamp“ „Ich will hier nicht raus“ bleibt – in diesem Fall – also unerhört….

„In der Kürze liegt die Würze“, aber das war zu knapp, Herr Kollege

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Das LG hat den Angeklagten u.a. wegen bandenmäßigen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln verurteilt. Gegen das Urteil hat der Verteidiger für den Angeklagten Revision eingelegt und zugleich ausgeführt: „Die Revision wird auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt.“ Mehr nicht und mehr kommt auch nicht. Was dann vom BGH kommt, ist klar. Die Verwerfung als unzulässig im BGH, Beschl. v. 29.07.2014 – 5 StR 318/14:

Der Generalbundesanwalt hat in seiner Antragsschrift vom 9. Juli 2014 u.a. Folgendes dazu ausgeführt:

„Die Revision ist unzulässig. Nach § 344 Abs. 1 StPO hat der Beschwerdeführer die Erklärung abzugeben, inwieweit er das Urteil anfechte und dessen Aufhebung beantrage (Revisionsanträge), und die Anträge zu begründen. Aus der Begründung muss hervor-gehen, ob das Urteil wegen Verletzung einer Rechtsnorm über das Verfahren oder wegen Verletzung einer anderen Rechtsnorm angefochten wird (§ 344 Abs. 2 Satz 1 StPO) …

Dies hat der Beschwerdeführer versäumt. In der bloßen Erklärung, die Revision werde auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt, sind weder ein konkreter Revisionsantrag noch eine Revisionsrüge zu sehen (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 57. Aufl., § 344 Rdnr. 14; KK-Gericke, StPO, 7. Aufl., § 344 Rdnr. 17; jeweils m. w. N.).“

Das war für den BGH so klar, dass er den GBA „eingerückt“ hat.

Nicht weniger als beantragt – Pflichtverteidigerbestellung auf Antrag der StA

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M.E. gilt für den LG Hamburg, Beschl. v. 31.07.2013 – 619 Ws 20/13: In der Kürze liegt die Würze, der Kollege, der ihn mir übersandt hat, fragt sich/mich allerdings: „uninteressante Selbstverständlichkeit“. Nun, m.E. nicht, sondern schon ganz interessant:

Die Staatsanwaltschaft hat mit Anklageerhebung die Beiordnung des Rechtsanwalts als Pflichtverteidiger nach § 140 Abs. 2 StPO beantragt. Das Amtsgericht ordnet ihn nur formularmäßig nach § 140 Abs. 1 Nr. 4 StPO „für die Dauer der Untersuchungshaft“ bei. Dagegen dann die erfolgreiche Beschwerde zum LG:

„Rechtsanwalt Dr. Tachau war ohne die Einschränkung „für die Dauer der Untersuchungshaft“ beizuordnen. Beantragt die Staatsanwaltschaft nach Abschluss der Ermittlungen die Beiordnung eines Verteidigers, so hat das Gericht diesem Antrag zu entsprechen, § 141 Abs. 3 Nr. 3 StPO. Vorliegend hat die Staatsanwaltschaft Hamburg nach Abschluss der Ermittlungen den Antrag gestellt, Rechtsanwalt Dr. Tachau als Pflichtverteidiger beizuordnen und ihren Antrag nicht auf eine Beiordnung für die Dauer der Untersuchungshaft beschränkt.“

Also: Nicht weniger als beantragt

 

Pflichtverteidiger schon im Ermittlungsverfahren? Unter Hinweis auf EMRK ggf. ja

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Die StPO geht davon aus, dass im Ermittlungsverfahren für die Beiordnung eines Verteidigers grundsätzlich ein Antrag der Staatsanwaltschaft erforderlich ist. Die Prüfung nach § 141 Abs. 3 StPO obliegt nach h.M.  in erster Linie der Staatsanwaltschaft.

Fraglich ist, ob es Fälle gibt, in denen dem Beschuldigten im Ermittlungsverfahren allein auf seinen Antrag ein Verteidiger bestellt wird. Darum wird gestritten. Der LG Limburg, Beschl. v. 27.11.2012 – 5 AR 33/12 – hat die Frage vor einiger Zeit bejaht: Danach ist allein auf Antrag des Beschuldigten dann ein Verteidiger zu bestellen, wenn anderenfalls die Anforderungen der EMRK an einem fairen Verfahren nicht gewahrt wären.

 2. Die Beiordnung im Ermittlungsverfahren war ohne Antrag der Staatsanwaltschaft auszusprechen. Mit der überwiegenden Rechtsprechung (vergl. OLG Oldenburg StV 1993, 511; OLG Karlsruhe StV 1998, 123; LG Cottbus StV 2002, 414; a. A. LG Bremen StV 1999, 532 – zitiert jeweils nach juris; Übersicht zur Rechtsprechung Löwe-Rosenberg, StPO, 26. Aufl., § 141 Rz. 24) ist im Ermittlungsverfahren – von Sonderregelungen im Recht der Untersuchungshaft abgesehen – grundsätzlich ein Antrag der Staatsanwaltschaft für eine Beiordnung erforderlich. Diese Ansicht wird hier geteilt. Die nach § 141 III StPO gebotene Prüfung obliegt in erster Linie der Staatsanwaltschaft. Das Ergebnis, keinen Antrag zu stellen, bindet im Regelfall den für das Hauptverfahren zuständigen Vorsitzenden. Die ablehnende Entscheidung der Staatsanwaltschaft wird zudem überwiegend auch nicht im Verfahren nach §§ 23 ff EGGVG als überprüfbar angesehen (vergl. OLG Karlsruhe StV 1998, 123 mit weiteren Nachweisen). Dies entbindet den für das Hauptverfahren zuständigen Vorsitzenden aber nicht von der Verantwortung, für ein den Anforderungen der EMRK genügendes Verfahren Sorge zu tragen (vergl. Löwe-Rosenberg a. a. O.). Unter dem Gesichtspunkt des fairen Verfahrens kann für die Verteidigerbestellung eine Ermessensreduzierung auf Null in Betracht kommen (vergl. Karlsruher Kommentar, StPO, 6. Aufl., § 141 Rz. 7; offen gelassen OLG Karlsruhe StV 1998, 123 – juris).

M.E. der richtige Weg, wenn das LG die Beiordnung des Pflichtverteidigers jedenfalls dann ohne Antrag der Staatsanwaltschaft vornimmt, wenn davon auszugehen ist, dass im Erkenntnisverfahren auf jeden Fall die Mitwirkung eines Pflichtverteidigers erforderlich sein wird. Dann kann es auf den Antrag der Staatsanwaltschaft nicht mehr ankommen, bzw.: In den Fällen kann die Staatsanwaltschaft durch den Hinweis auf ihre fehlende Antragstellung die Beiordnung eines Pflichtverteidigers in dem frühen Verfahrensstadium nicht sperren, weil damit ein Verstoß gegen den Grundsatz des fairen Verfahrens vorliegen würde.

 

Rückwirkende Pflichtverteidigerbestellung? – gibt es nicht

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Der mir vom 2. Strafsenat des OLG Celle übersandte OLG Celle, Beschl. v. 24.07.2012 – 2 Ws 196/12 – behandelt zwei Fragen, von denen die erste die Praxis häufiger beschäftigt, nämlich die nach der Zulässigkeit einer nachträglichen Pflichtverteidigerbestellung. Die wird vom OLG in Übereinstimmung mit der h.M. verneint. Die Begründung ist bekannt:

Eine nachträgliche rückwirkende Bestellung für das im Rechtszug – und hier sogar rechtskräftig – abgeschlossene Verfahren (hier: Entnahme von Körperzellen) ist nicht zulässig (BGH NStZ-RR 2009, 348; StV 1997, 238; Meyer-Goßner, StPO, 55. Aufl., § 141 Rdnr. 8 mwN). Denn die Verteidigerbestellung erfolgt im Strafverfahren nicht im Kosteninteresse des Beschuldigten oder Angeklagten, sondern dient allein dem Zweck, die ordnungsgemäße Verteidigung in einem noch ausstehenden Verfahren zu gewährleisten. Dieser Zweck kann nach rechtskräftigem Abschluss des Verfahrens ganz offensichtlich nicht mehr erreicht werden. Denn es gibt keine zu erbringende Verteidigungstätigkeit mehr, auf die sich die mit der Bestellung zum Pflichtverteidiger entstehende öffentlich-rechtliche Pflicht zum Tätigwerden beziehen könnte. Mithin fehlt es der Beschuldigten an dem für eine Beschwerde gegen die angefochtene Ablehnungsentscheidung des Landgerichts erforderlichen Rechtsschutzbedürfnis.

Und: Es wird erst Recht nicht beigeordnet, wenn die StA den dafür von ihr im Ermittlungsverfahren zu stellenden Antrag nicht gestellt hat. denn:

„Ein im Ermittlungsverfahren gestellter Beiordnungsantrag des Beschuldigten stellt lediglich eine Anregung an die Staatsanwaltschaft dar, einen Antrag auf Pflichtverteidigerbeiordnung zu stellen. Dies folgt aus der Gesetzessystematik der Bestimmungen der StPO über das Vorfahren, wonach die Staatsanwaltschaft im Ermittlungsverfahren Herrin des Verfahrens ist und das Gericht keine Maßnahmen gegen ihren Willen bzw. ohne Antrag der Staatsanwaltschaft treffen kann. Dies gilt nach der Konzeption des Gesetzgebers und der für das Ermittlungsverfahrenen geschaffenen Sonderregelung in § 141 Abs. 3 StPO auch für die Beiordnung eines Pflichtverteidigers im Vorverfahren (vgl. OLG Oldenburg, NJW 2009, 3044; OLG Karlsruhe, NStZ 1998, 315; LG Cottbus, Beschluss vom 13.05.2005, 22 Qs 15/05, zitiert nach juris; KK-Laufhütte, StPO, 6 Auflage, Rdnr. 6 zu § 141; Reinhardt in Radtke/Hohmann, StPO, Rdnr. 10 zu § 141; Meyer-Goßner, StPO, 55. Auflage, Rdnr. 5 zu § 141; a.A. LG Bremen, Beschluss vom 25.06.1998, 27 AR 55/98, zitiert nach juris; LK-Lüderssen/Jahn, StPO, 26. Auflage, Rdnr. 24 zu § 141; Wohlers in SK-StPO, 4. Auflage, Rdnr. 5 ff. zu § 141).

Na ja, kann man auch anders sehen. Als Verteidiger muss man sich auf diese Rechtsprechung einstellen: Also Antrag frühzeitig stellen und darauf drängen, dass er beschieden wird. ich weiß: ist nicht immer einfach.