Archiv der Kategorie: StGB

Beweis I: Überspannte Konkretisierung der Straftaten, oder: Individualisierung von Missbrauchshandlungen

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Heute zum Wocheanfang zwei BGH-Entscheidungen, die sich mit Beweisfragen befassen.

Ich kommen zunächst noch einmal auf das BGH, Urt. 15.01.2025 – 2 StR 341/24 – zurück, das ich bereits einmal vorgestellt habe (siehe TOA: „Opferausgleich“ durch kommunikaten Prozess – Konkrete Feststellungen in den Urteilsgründen?). Das LG hatte den Angeklagten von einem Teil der gegen ihn erhobenen Missbrauchsvorwürfe frei gesprochen. Die dagegen gerichtete Revision der Staatsanwaltsschaft hatte ERfolg:

„3. Auch der Teilfreispruch unterfällt der Aufhebung. Dabei kann offenbleiben, ob die Urteilsgründe in formeller Hinsicht noch den Darstellungserfordernissen an ein freisprechendes Urteil genügen (vgl. hierzu BGH, Urteil vom 13. Oktober 2016 – 4 StR 248/16, Rn. 9 mwN). Denn die Strafkammer hat ihrer Beweiswürdigung überspannte Anforderungen an die Individualisierung einzelner in Serie begangener sexueller Missbrauchshandlungen gegenüber Kindern zugrunde gelegt; ihre Beweiswürdigung bleibt vor diesem Hintergrund lückenhaft.

a) Zur Vermeidung unvertretbarer Strafbarkeitslücken dürfen in derartigen Fällen an die Individualisierung der einzelnen Taten keine übersteigerten Anforderungen gestellt werden, da eine Konkretisierung der jeweiligen Straftaten nach genauer Tatzeit und exaktem Geschehensablauf oft nicht möglich ist. Das Tatgericht muss sich allerdings in objektiv nachvollziehbarer Weise die Überzeugung verschaffen, dass es in einem gewissen Zeitraum zu einer bestimmten Mindestzahl von Straftaten gekommen ist. Entscheidend ist aber nicht, dass eine – möglicherweise auf nicht völlig sicherer Grundlage hochgerechnete – Gesamtzahl festgestellt wird, sondern dass das Gericht von jeder einzelnen individuellen Straftat, die es aburteilt, überzeugt ist (vgl. BGH, Beschluss vom 27. März 1996 – 3 StR 518/95, BGHSt 42, 107, 109 f.). Ist eine Individualisierung einzelner Taten mangels Besonderheiten im Tatbild oder der Tatumstände nicht möglich, sind zumindest die Anknüpfungspunkte zu bezeichnen, anhand derer das Tatgericht den Tatzeitraum eingrenzt und auf die sich seine Überzeugung von der Mindestzahl und der Begehungsweise der Missbrauchstaten eines Angeklagten in diesem Zeitraum gründet (vgl. BGH, Beschluss vom 20. Juni 2001 – 3 StR 166/01, StV 2002, 523 mwN). Dabei sind grundsätzlich bei Verurteilungen, die den sexuellen Missbrauch von Geschädigten über 14 Jahren betreffen, an die Konkretisierung einzelner Handlungsabläufe größere Anforderungen zu stellen als bei Tatserien zu Lasten von Kindern (vgl. BGH, Beschluss vom 27. März 1996 – 3 StR 518/95, BGHSt 42, 107, 110).

Die entsprechende Überzeugungsbildung ist eine Frage der Beweiswürdigung. Das Tatgericht hat sich unter dem umfassenden Eindruck der Hauptverhandlung ein Urteil über die Schuld oder Unschuld des Angeklagten zu bilden. Das Revisionsgericht ist demgegenüber auf die Prüfung beschränkt, ob die Beweiswürdigung des Tatgerichts mit Rechtsfehlern behaftet ist, etwa weil sie Lücken oder Widersprüche aufweist oder mit den Denkgesetzen oder gesichertem Erfahrungswissen nicht in Einklang steht. Sind derartige Rechtsfehler nicht feststellbar, hat das Revisionsgericht die tatrichterliche Überzeugungsbildung auch dann hinzunehmen, wenn eine abweichende Würdigung der Beweise möglich gewesen wäre (vgl. BGH, Beschluss vom 30. Oktober 2008 – 3 StR 375/08, Rn. 13 mwN).

b) Diesen Anforderungen werden die Urteilsgründe nicht gerecht. Nach der dargestellten Aussage der Geschädigten im Ermittlungsverfahren, die die Strafkammer als uneingeschränkt glaubhaft bewertet hat, schilderte diese nicht nur als Grundlage der Verurteilung im Fall II.3 der Urteilgründe, dass der Angeklagte sie in ein Gebüsch in der Nähe einer näher bezeichneten Straßenbahnstation gebracht und veranlasst habe, ihr T-Shirt erstmals auszuziehen, und sie dann am Hals geküsst habe, sondern darüber hinaus, dass sich dieser Vorgang mehrfach wiederholt habe. Sie hätten „das Gleiche die ganze Zeit“ gemacht. Weshalb die Strafkammer sich angesichts dieser aus ihrer Sicht glaubhaften Darstellung nicht in der Lage sah, im Wege der Mindestfeststellung einen zweiten Missbrauchsfall der beschriebenen Art festzustellen, erschließt sich anhand der Urteilsgründe nicht. Dies gilt umso mehr, als der Angeklagte zumindest in pauschaler Form auch in diesem Fall geständig war.“

StGB III: Erneute Gewaltanwendung beim Raub, oder: Nur Angst des Opfers vor erneuter Gewaltanwendung?

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Und dann habe ich hier noch den BGH, Beschl. v. 23.04.2025 – 5 StR 63/25 – zum Raub, und zwar

Das LG hat die Angeklagten N. und A. u.a. jeweils wegen versuchter räuberischer Erpressung in Tateinheit mit besonders schwerem Raub und mit gefährlicher Körperverletzung verurteilt. Hiergegen wenden sich die Angeklagten jeweils mit ihren Revisionen, die Erfolg hatten:

„I.

1. Das Landgericht hat folgende Feststellungen getroffen:

Die Angeklagten verbrachten den Abend des 31. März 2024 mit dem Geschädigten in dessen Wohnung. Etwa eine Stunde nach Mitternacht schlug der Angeklagte A. aufgrund eines mit dem Angeklagten N. gemeinsam gefassten Tatentschlusses dem überraschten Geschädigten zunächst mit der Faust zweimal schmerzhaft ins Gesicht und hielt ihm ein Messer vor (Klingenlänge etwa 13 cm). A. holte ein weiteres Messer aus der Küche und gab es dem N., der dieses vor sich hielt. Beide wollten auf diese Weise den Geschädigten zur Herausgabe von Bargeld und anderen werthaltigen Gegenständen veranlassen. Der Angeklagte N. drohte außerdem dem Geschädigten, ihn aus dem Fenster zu werfen, sofern er kein Geld herausgebe. Der Geschädigte wies die Angeklagten darauf hin, dass er die von ihnen geforderten 2.000 Euro nicht zu Hause habe; er könne den Betrag aber an einem Geldautomaten am Hauptbahnhof abheben. Tatsächlich hatte der Geschädigte nicht die Absicht, den Angeklagten Geld auszuhändigen; er wollte vielmehr vor Ort die Bahnpolizei verständigen.

Beim Verlassen der Wohnung zog der Angeklagte N. eine Jacke des Geschädigten an, um diese für sich zu behalten. Dabei war ihm bewusst, dass sich der Geschädigte hiergegen aufgrund der vorangegangen Gewaltanwendung und Drohungen nicht zur Wehr setzen würde.

Die Gruppe erreichte gegen 2.20 Uhr den Hauptbahnhof; die Messer hatten die Angeklagten nach dem Verlassen der Wohnung weggeworfen. Der Geschädigte täuschte am Geldautomaten eine Abhebung vor, schrie um Hilfe und rannte weg. Die Angeklagten erkannten, dass sie mit den ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln ihr Ziel nicht mehr erreichen konnten. Sie gaben ihr Vorhaben auf, rannten weg und wurden kurze Zeit später vorläufig festgenommen. Im Rucksack des Angeklagten N. befand sich die entwendete Jacke des Geschädigten.

2. Das Landgericht hat das Geschehen rechtlich als – jeweils in Mittäterschaft begangene (§ 25 Abs. 2 StGB) – versuchte räuberische Erpressung (§§ 253, 255, §§ 22, 23 StGB) in Tateinheit mit besonders schwerem Raub (§§ 249, 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB) und mit gefährlicher Körperverletzung (§ 223 Abs. 1, § 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB) gewertet. Insbesondere hat es dem Angeklagten A. die als besonders schweren Raub eingeordnete Wegnahme der Jacke des Geschädigten durch den Angeklagten N. als Mittäter zugerechnet. Beim Geschehen im Bahnhof seien beide Angeklagten nicht strafbefreiend vom Versuch der räuberischen Erpressung zurückgetreten, weil auch nach ihrer Vorstellung der Versuch fehlgeschlagen sei.

II. Revisionen der Angeklagten

Die Revisionen der Angeklagten sind überwiegend begründet. Die auf die Sachrüge gebotene umfassende Überprüfung des Urteils hat Rechtsfehler zu ihrem Nachteil ergeben.

1. Die Feststellungen tragen die Schuldsprüche wegen tateinheitlich begangenen besonders schweren Raubes durch die Wegnahme der Jacke nicht.

a) Eine Strafbarkeit wegen Raubes erfordert einen finalen Zusammenhang zwischen dem Nötigungsmittel und der von dem Opfer vorzunehmenden vermögensschädigenden Handlung. Eine hierfür ausreichende konkludente Drohung kann sich grundsätzlich auch daraus ergeben, dass der Täter dem Opfer durch sein Verhalten zu verstehen gibt, er werde zuvor zu anderen Zwecken angewendete Gewalt nunmehr zur Erzwingung der jetzt erstrebten vermögensschädigenden Handlung des Opfers oder dessen Duldung der beabsichtigten Wegnahme fortsetzen oder wiederholen. Allein das Ausnutzen der Angst des Opfers vor erneuter Gewaltanwendung enthält dagegen für sich genommen noch keine Drohung. Erforderlich hierfür ist vielmehr, dass der Täter die Gefahr für Leib oder Leben deutlich in Aussicht stellt, sie also durch ein bestimmtes Verhalten genügend erkennbar macht. Es reicht nicht aus, wenn das Opfer nur erwartet, der Täter werde es an Leib oder Leben schädigen. Erforderlich ist vielmehr die Aktualisierung der Nötigungslage durch ein im Urteil gesondert festzustellendes Verhalten des Täters (vgl. BGH, Beschluss vom 27. Februar 2024 – 5 StR 19/24).

b) Das Landgericht hat weder festgestellt, dass der Angeklagte N. bei der Wegnahme der Jacke Gewalt einsetzte, noch dass er durch ein bestimmtes Verhalten konkludent damit gedroht hätte, die zuvor angewendete Gewalt nunmehr zur Duldung der beabsichtigten Wegnahme fortzusetzen oder zu wiederholen. Es hat zwar angenommen, dass dem Angeklagten N. bewusst gewesen sei, der Geschädigte werde sich angesichts des vorangegangenen Geschehens (Drohungen mit den Messern, Gewaltanwendung) nicht zur Wehr setzen. Eine aktualisierte (konkludente) Drohung setzt aber voraus, dass das Opfer das entsprechende Verhalten des Täters wahrnimmt. Hierzu schweigt das Urteil; die Strafkammer hat zudem schon keine Feststellungen dazu getroffen, wo sich der Geschädigte zum Zeitpunkt der Wegnahme aufgehalten hat. Es bleibt daher unklar, ob der Geschädigte ein entsprechendes Verhalten des Angeklagten N. überhaupt hätte wahrnehmen können.“

StGB II: Gemeinschaftliche schwere Körperverletzung, oder: Zurechnung der schweren Folge

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Und dann habe ich als zweite Entscheidung den BGH, Beschl. v. 19.03.2025 – 6 StR 585/24.  Das LG hat den Angeklagten L. wegen schwerer Körperverletzung verurteilt, die es zur Bewährung ausgesetzt hat. Den nicht revidierenden Mitangeklagten W. hat es ebenfalls wegen dieser gemeinschaftlich begangenen Tat  verurteilt. Das auf die Rügen der Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte Rechtsmittel des Angeklagten L.  hatte mit der Sachrüge teilweise Erfolg:

„1. Nach den Feststellungen verbrachten die beiden Angeklagten sowie der Mitangeklagte A. den Abend des 26.09.2023 gemeinsam in einer Bar. Als sie diese nach Mitternacht verließen, setzte sich der aggressiv gestimmte Angeklagte A. an den Straßenrand und schrie laut herum. Der 49-jährige alkoholisierte spätere Geschädigte, der sich auf dem Heimweg befand, blieb bei der Gruppe stehen und erkundigte sich nach A. Befinden. Der Angeklagte W., der sich über die Einmischung ärgerte, forderte den Geschädigten vergeblich zum Weitergehen auf und begann nach einer verbalen Auseinandersetzung, diesen zu stoßen. Der Geschädigte wehrte sich, woraufhin sich der Angeklagte A. an der Auseinandersetzung beteiligte. Beide forderten den Nebenkläger zunächst lautstark auf, sich zu entfernen, schlugen schließlich mehrfach auf ihn ein und trafen ihn im Gesicht. Zudem versetzte der Angeklagte W. dem Kopf des Geschädigten einen massiven Fußtritt, worauf der Geschädigte das Bewusstsein verlor und zu Boden fiel. Nunmehr trat der Angeklagte L. dem Nebenkläger mit seinem beschuhten Fuß so kräftig auf den Hals, dass das Sohlenprofil sichtbar blieb. Nach weiteren Tritten des Angeklagten A.      forderte der Angeklagte W. die Mitangeklagten zum Gehen auf. Sie ließen daher von dem Geschädigten ab. Nachdem sie sich zwei „Häuserlängen“ vom Nebenkläger entfernt hatten, kehrte der Angeklagte A. allein zu dem Geschädigten zurück. Der Angeklagte W. hatte zuvor vergeblich versucht, ihn davon abzuhalten. Dort angelangt schlug und trat A. vielfach auf den Kopf des Nebenklägers ein, der hierdurch stark blutende Verletzungen erlitt; dabei nahm er den Tod des Geschädigten in Kauf. Die Angeklagten L. und W. nahmen jedenfalls billigend in Kauf, dass der Nebenkläger lebensgefährdende Verletzungen erlitt.

Der Nebenkläger befand sich über sieben Monate in stationärer Behandlung. Er erlitt eine lebensbedrohliche Lungenkontusion sowie eine Hirnblutung, die zu schweren neurologischen Ausfällen führte. Zunächst konnte er nicht mehr sprechen, dauerhaft ist er halbseitig gelähmt. Zudem ist seine Atmung durch Verwachsungen im Nasenbereich sehr eingeschränkt. Der Nebenkläger ist zeitlebens auf Hilfe angewiesen. Wegstrecken von mehr als einem Kilometer kann er nur im Rollstuhl zurücklegen.

Die Strafkammer hat die Tat zu Lasten aller Angeklagten als schwere Körperverletzung nach § 226 Abs. 1 Nr. 3 StGB gewertet, für den Angeklagten A. daneben tateinheitlich als versuchten Totschlag (§ 212 Abs. 1, §§ 22, 23 Abs. 1 StGB).

2. Die Verfahrensrügen haben aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts keinen Erfolg. Jedoch hält der Schuldspruch wegen schwerer Körperverletzung revisionsgerichtlicher Überprüfung nicht stand. Die Feststellungen ergeben nicht zweifelsfrei, dass dem Angeklagten L.  die schwere Folge im Sinne des § 226 Abs. 1 StGB zuzurechnen ist.

a) Bei einer gemeinschaftlich begangenen Körperverletzung setzt die Strafbarkeit eines Mittäters wegen schwerer Körperverletzung nach § 226 Abs. 1 StGB nicht voraus, dass er selbst die unmittelbar zur schweren Folge führende Verletzungshandlung ausführt. Es reicht vielmehr aus, dass er aufgrund eines gemeinsamen Tatentschlusses mit dem Willen zur Tatherrschaft einen Beitrag zum Verletzungsgeschehen geleistet hat. Dabei ist im Grundsatz weiter erforderlich, dass die Handlung des anderen im Rahmen des gegenseitigen ausdrücklichen oder stillschweigenden Einverständnisses liegt und dem Täter hinsichtlich des Erfolgs Fahrlässigkeit zur Last fällt (st. Rspr. zu § 227 StGB; vgl. BGH, Urteil vom 7. August 2024 ‒ 1 StR 430/23, Rn. 10; Beschluss vom 7. Juli 2021 – 4 StR 141/21, Rn. 6; vom 14. Mai 2020 – 1 StR 109/20, Rn. 4; vom 5. September 2012 – 2 StR 242/12, NStZ 2013, 280, 281).

Ist die schwere Folge durch einen über das gemeinsame Wollen hinausgehenden und deshalb als Exzesshandlung zu qualifizierenden Gewaltakt verursacht worden, kommt eine Zurechnung des qualifizierenden Erfolges nur in Betracht, wenn den gemeinschaftlich verübten Gewalthandlungen, die der ursächlichen Exzesshandlung vorausgegangen sind, bereits die spezifische Gefahr einer schweren Folge im Sinne des § 226 Abs. 1 StGB anhaftet. Dies ist insbesondere der Fall, wenn das Tatopfer schon dadurch in eine Lage gerät, in der es weiteren Angriffen keine wirksame Gegenwehr mehr entgegenzubringen vermag und nachfolgenden Einwirkungen der übrigen Beteiligten, die für den Täter vorhersehbar die schwere Folge verursacht haben, schutzlos ausgeliefert ist (vgl. BGH, Beschluss vom 14. Mai 2020 – 1 StR 109/20, Rn. 5).

b) Eine diesen Anforderungen entsprechende Zurechnung der schweren Folge ist den bisherigen Feststellungen nicht zweifelsfrei zu entnehmen.

Das Landgericht vermochte nicht festzustellen, welche Verletzungshandlungen die schweren Verletzungsfolgen verursacht haben. Es erscheint daher nicht ausgeschlossen, dass die schweren Folgen erst durch die vielfachen Schläge und Tritte des Angeklagten A. verursacht worden sind, die dieser dem Tatopfer nach seiner Rückkehr an den Tatort versetzt hatte. Eine Zurechnung dieser Tathandlungen nach § 25 Abs. 2 StGB liegt im Hinblick auf einen naheliegenden Exzess des Mittäters nicht auf der Hand. Das Urteil verhält sich – worauf der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift hingewiesen hat – auch nicht zweifelsfrei dazu, dass bereits den gemeinsam verübten Gewalthandlungen die spezifische Gefahr einer schweren Folge im Sinne des § 226 Abs. 1 StGB anhaftete.

3. Dieser Rechtsfehler nötigt zur Aufhebung des Urteils. Sie ist auf den Mitangeklagten W.  zu erstrecken, weil auch dessen Schuldspruch auf dem aufgezeigten sachlich-rechtlichen Mangel beruht (§ 357 StPO). Die Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen sind rechtsfehlerfrei getroffen und können daher bestehen bleiben. Ergänzende Feststellungen sind möglich, soweit sie zu den bisherigen nicht in Widerspruch stehen.

4. Sollte das neue Tatgericht wiederum eine Verurteilung nach § 226 Abs. 1 StGB erwägen, weist der Senat vorsorglich darauf hin, dass eine tateinheitliche Verurteilung mit einer gefährlichen Körperverletzung nach § 224 Abs. 1 Nr. 4 und Nr. 5 StGB in Betracht kommt (vgl. BGH, Beschlüsse vom 2. Mai 2023 – 3 StR 65/23; vom 9. Februar 2021 – 3 StR 382/20; vom 26. November 2013 – 3 StR 301/13; vom 21. Oktober 2008 – 3 StR 408/08, BGHSt 53, 23, 24).“

StGB I: Verurteilung wegen Verstoßes gegen das GwG, oder: Verstoß gegen gerichtlich bestätigten Vergleich

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Und dann 3 x der BGH zum StGB.

Zunächst kommt noch einmal der BGH, Beschl. v. 09.01.2025 – 3 StR 340/24 – zum Gewaltschutzgesetz, und zwar zu den Anforderungen an die Urteilsfeststellungen.

Wegen des etwas verwickelten Sachverhalts und den landgerichtlichen Feststellungen verweise ich auf den Volltext. Der BGH führt dann weiter aus:

„3. Die Verurteilung des Angeklagten in den Fällen II. 7., 11., 12., 15., 16. und 17. der Urteilsgründe erweist sich demgegenüber als durchgreifend rechtlich defizitär. Denn die Strafkammer hat den Angeklagten in diesen Fällen wegen eines Verstoßes gegen das Gewaltschutzgesetz nach § 4 Satz 1 Nr. 2 GewSchG verurteilt, also wegen einer Zuwiderhandlung gegen einen im Rahmen eines Gewaltschutzverfahrens geschlossenen Vergleich, dabei in den Fällen II. 7., 12. und 17. der Urteilsgründe in Tateinheit mit anderen Straftaten nach dem Strafgesetzbuch. Die (alleinige beziehungsweise tateinheitliche) Verurteilung nach § 4 Satz 1 Nr. 2 GewSchG ist jedoch rechtsfehlerhaft.

a) Nach § 4 Satz 1 Nr. 2 GewSchG macht sich strafbar, wer einer bestimmten vollstreckbaren Verpflichtung aus einem Vergleich zuwiderhandelt, soweit der Vergleich nach § 214a Satz 1 FamFG in Verbindung mit § 1 Abs. 1 Satz 1 und 3 GewSchG, jeweils auch in Verbindung mit § 1 Abs. 2 Satz 1 GewSchG, familiengerichtlich bestätigt worden ist. Diese Strafbarkeit eines Verstoßes gegen einen gerichtlich bestätigten Vergleich ist mit Wirkung zum 10. März 2017 geschaffen worden (vgl. BGBl. 2017 I, S. 386 und BT-Drucks. 18/9946; überholt daher OLG München, Beschluss vom 11. März 2008 – 4 St RR 18/08, juris), mithin vor den hiesigen Taten.

b) Zwar hat die Strafkammer festgestellt, dass N.     , R.       und A.      , die Geschädigten in den hier relevanten Fällen, in Verfahren nach dem Gewaltschutzgesetz jeweils mit dem Angeklagten einen Vergleich im Sinne des § 4 Satz 1 Nr. 2 GewSchG schlossen, der Regelungen gemäß § 1 Abs. 1 Satz 3 GewSchG enthielt, gegen die der Angeklagte in den hier zu beurteilenden Taten verstieß. Auch teilen die Urteilsgründe pauschal mit, dass die Vergleiche gerichtlich bestätigt wurden.

Gleichwohl sind die Urteilsgründe in Bezug auf eine Verurteilung des Angeklagten nach § 4 Satz 1 Nr. 2 GewSchG durchgreifend lückenhaft, und zwar aus mehreren Gründen:

aa) Den Urteilsfeststellungen lässt sich nicht entnehmen, wann das Familiengericht die Vergleiche gemäß § 214a Satz 1 FamFG bestätigte. Weil § 4 Satz 1 Nr. 2 GewSchG erfordert, dass es sich bei dem betreffenden Vergleich um einen gerichtlich bestätigten handelt, ist Voraussetzung für eine Strafbarkeit, dass der Vergleich vor der Tat bestätigt wurde. Auch wenn typischerweise die gerichtliche Bestätigung einer im Rahmen eines Gewaltschutzverfahrens geschlossenen Vereinbarung dem Vergleichsschluss ohne größeren zeitlichen Abstand nachfolgt, kann anhand der Urteilsgründe nicht beurteilt werden, ob beziehungsweise inwieweit die Bestätigung vor den relevanten Tathandlungen des Angeklagten vorgenommen wurde.

bb) Zudem hätte die Strafkammer eine eigenständige Prüfung dahin vornehmen und in den Urteilsgründen darlegen müssen, ob die rechtlichen Voraussetzungen für eine familiengerichtliche Bestätigung der Vergleiche gemäß § 214a Satz 1 FamFG vorlagen. Insofern gilt:

(1) Für die Strafbarkeit wegen Verstoßes gegen eine gerichtliche Gewaltschutzanordnung nach § 4 Satz 1 Nr. 1 GewSchG ist anerkannt, dass das Tatgericht selbst zu prüfen hat, ob die Voraussetzungen für eine Anordnung nach § 1 GewSchG gegeben waren, die Anordnung also rechtmäßig war. Die Annahme einer rechtswidrigen Tat nach § 4 Satz 1 Nr. 1 GewSchG wegen einer Zuwiderhandlung gegen eine Anordnung nach § 1 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 GewSchG setzt voraus, dass das Strafgericht selbst die materielle Rechtmäßigkeit der Anordnung überprüft und dabei deren tatbestandliche Voraussetzungen eigenständig feststellt, ohne an die Entscheidung des Familiengerichts gebunden zu sein (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschlüsse vom 28. Mai 2024 – 6 StR 158/24, NStZ-RR 2024, 357 f.; vom 21. März 2023 – 6 StR 19/23, StV 2024, 124 Rn. 5; vom 15. März 2017 – 2 StR 270/16, juris Rn. 26; vom 28. November 2013 – 3 StR 40/13, BGHSt 59, 64 Rn. 10 ff.; KG, Beschluss vom 18. November 2021 – (2) 121 Ss 134/21 (27/21), StV 2023, 545, 546; OLG Brandenburg, Beschluss vom 22. März 2023 – 1 ORs 6/23, juris Rn. 3 ff.).

(2) Diese Anforderungen gelten in Bezug auf eine Strafbarkeit nach § 4 Satz 1 Nr. 2 GewSchG wegen Verstoßes gegen einen familiengerichtlich bestätigten Vergleich, der in einem Verfahren in einer Gewaltschutzsache geschlossen wurde, entsprechend (so auch MüKoBGB/Duden, 9. Aufl., § 4 GewSchG Rn. 4; Erbs/Kohlhaas/Häberle, 254. EL., § 4 GewSchG Rn. 7).

Eine Verurteilung nach § 4 Satz 1 Nr. 2 GewSchG wegen Verstoßes gegen einen nach § 214a Satz 1 FamFG gerichtlich bestätigten Vergleich setzt voraus, dass das erkennende Gericht im Strafverfahren eigenständig und unabhängig von der vorangegangenen Beurteilung durch das Familiengericht die materielle Rechtmäßigkeit des Bestätigungsbeschlusses geprüft und bejaht hat. Diese Prüfung und ihr Ergebnis muss es in den Urteilsgründen für das Revisionsgericht nachvollziehbar darlegen.

Das erkennende Strafgericht hat mithin – nicht anders als das Familiengericht im Bestätigungsverfahren nach § 214a Satz 1 FamFG – zu prüfen, ob die (im Strafverfahren relevanten) Regelungen des Vergleichs im konkreten Fall als gerichtliche Maßnahmen nach § 1 Abs. 1 Satz 1 und 3 GewSchG, gegebenenfalls in Verbindung mit § 1 Abs. 2 Satz 1 GewSchG, hätten angeordnet werden können, also die rechtlichen Voraussetzungen für eine familiengerichtliche Anordnung der vergleichsweise übernommenen Verhaltenspflichten zum Zeitpunkt der gerichtlichen Bestätigung nach § 214a Satz 1 FamFG vorlagen.

Denn die Strafbarkeit nach § 4 Satz 1 Nr. 2 GewSchG soll nach dem Willen des Gesetzgebers im Hinblick auf das Bestimmtheitsgebot des Art. 103 Abs. 2 GG in ihrer Reichweite nicht allein abhängig sein von einer Parteivereinbarung, sondern nur begründet werden können durch Zuwiderhandlungen gegen solche vergleichsweise vereinbarten Verhaltenspflichten, die im konkreten Fall alternativ dem Täter auch durch eine familiengerichtliche Gewaltschutzanordnung hätten auferlegt werden können (vgl. BT-Drucks. 18/9946, S. 15).

Nach dem eindeutigen Willen des Gesetzgebers soll die Begrenzung der strafrechtlichen Verantwortlichkeit zudem nicht nur dadurch gewährleistet werden, dass es für eine Strafbarkeit nach § 4 Satz 1 Nr. 2 GewSchG in formeller Hinsicht einer familiengerichtlichen Vergleichsbestätigung nach § 214a Satz 1 FamFG bedarf, sondern auch dadurch, dass die Strafbarkeit unmittelbar abhängig ist vom Vorliegen der materiellrechtlichen Voraussetzungen für eine Vergleichsbestätigung. Beides ist daher vom erkennenden Gericht im Strafverfahren zu prüfen. In der Gesetzesbegründung zu § 4 Satz 1 Nr. 2 GewSchG heißt es insofern: „Dabei ist ein weitgehender Gleichlauf zum Fall der Verletzung einer gerichtlichen Gewaltschutzanordnung vorgesehen. So hat das Strafgericht auch bei Verletzung einer vom Täter in einem Vergleich übernommenen Verpflichtung zugleich zu überprüfen, ob die gerichtliche Bestätigung (…) zu Recht erteilt worden ist. Stellt sich im Strafverfahren heraus, dass die Bestätigung nicht hätte erteilt werden dürfen, weil die Verpflichtung nicht nach § 1 GewSchG hätte angeordnet werden können (beispielsweise, weil der Täter die zugrunde gelegte Tat nicht begangen hat), ist auch hier wie beim bisherigen § 4 Satz 1 GewSchG der Straftatbestand nicht erfüllt“ (BT-Drucks. 18/9946, S. 16).

(3) Die nach dem Vorstehenden gebotene Prüfung hat das Landgericht rechtsfehlerhaft unterlassen. Da sich die Urteilsgründe dementsprechend nicht dazu verhalten, ob zum Zeitpunkt der familiengerichtlichen Vergleichsbestätigungen die Voraussetzungen für eine gerichtliche Anordnung der vereinbarten Verhaltensgebote nach § 1 Abs. 1 Satz 1 und 3, Abs. 2 Satz 1 GewSchG gegeben waren, kann diese Rechtsprüfung auch nicht durch das Revisionsgericht auf der Basis der Urteilsgründe nachgeholt werden.

cc) Schließlich lässt das Urteil nicht erkennen, ob die in Frage stehenden Verpflichtungen aus den Vergleichen vollstreckbar waren, wie es § 4 Satz 1 GewSchG für eine Strafbarkeit verlangt, und die nach § 214a Satz 1 FamFG ergangenen Beschlüsse wirksam waren. Vollstreckbarkeitsvoraussetzung für einen Vergleich ist dessen Zustellung an den Verpflichteten; insofern gilt § 87 Abs. 2 FamFG entsprechend (vgl. OLG Brandenburg, Beschluss vom 29. Mai 2024 – 13 WF 72/24, NJ 2024, 316, 317; OLG Hamburg, Beschluss vom 8. Februar 2019 – 2 WF 19/19, NZFam 2019, 730, 731 f.; BeckOK StGB/von Heintschel-Heinegg, 63. Ed., § 4 GewSchG Rn. 53, 69; anderer Ansicht MüKoBGB/Duden, 9. Aufl., § 4 GewSchG Rn. 5; BeckOGK/Schulte-Bunert, Stand 1. Oktober 2024, § 4 GewSchG Rn. 7). Wirksamkeitsvoraussetzung für einen familiengerichtlichen Bestätigungsbeschluss nach § 214a Satz 1 FamFG ist gemäß § 40 Abs. 1 FamFG dessen Bekanntgabe an die betreffende Person. Auch diese weiteren Strafbarkeitsvoraussetzungen sind vom erkennenden Gericht im Strafverfahren zu prüfen und in den Urteilsgründen darzulegen.

c) Das Urteil ist daher (auch) in den Fällen II. 7., 11., 12., 15., 16. und 17. der Urteilsgründe aufzuheben; insofern bedarf die Sache der neuen Verhandlung und Entscheidung. Jedoch bleiben die jeweils zugehörigen Feststellungen aufrechterhalten, weil sie von den aufgezeigten Rechtsfehlern nicht berührt werden (§ 353 Abs. 2 StPO). Die bislang getroffenen Feststellungen sind lediglich nicht ausreichend; sie können und müssen daher um weitere neue Feststellungen ergänzt werden, soweit diese den bisherigen nicht widerstreiten.“

VR III: Wertgrenze für „bedeutenden Schaden“, oder: Vorläufige Entziehung noch nach 6 Monaten?

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Und dann kommen hier zum Tagesschluss noch zwei Entscheidungen zur (vorläufigen) Entziehung der Fahrerlaubnis (§ 111a StPO) beim unerlaubten Entfernen vom Unfallort (§ 142 StGB).

Ich stelle aber, da die Entscheidungen nichts wesentlich Neues enthalten nur die Leitsätze vor, die lauten:

1. Zur vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis wegen unerlaubten Entfernens vom Unfallort.

2. Die Wertgrenze für den bedeutenden Schaden i.S. von § 69 Abs. 1 Nr. 3 StGB liegt bei 1.600,00 EUR.

Die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis 6 Monate nach Bekanntwerden der Umstände, aufgrund derer eine Entscheidung nach § 111a StPO hätte ergehen können ist jedenfalls dann unverhältnismäßig, sofern keine anderen relevanten Umstände vorhanden sind, die für eine Gefährdung durch die weitere Teilnahme des Beschuldigten am Straßenverkehr sprechen.