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„Unerlaubtes Entfernen vom Unfallort im Zivilrecht, oder: Regress der Haftpflichtversicherung gegen Fahrer

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Und dann am Samstagnachmittag das AG Brandenburg, Urt. v. 28.04.2025 – 31 C 159/24. Das AG hat in seiner Entscheidung über den Regress einer Haftpflichtversicherung gegen einen Versicherungsnehmer wegen einer Obliegenheitsverletzung entschieden. Stichwort: Unerlaubtes Entfernen vom Unfallort.

Dem liegt folgender Sachverhalt zugrunde:

Die klagende Kfz-Haftpflichtversicherung nimmt den Beklagten wegen eines Verkehrsunfalls vom 04.07.2021 in Regress. Für den Pkw vom Typ Mercedes-Benz C 180 mit dem amtlichen Kennzeichen: pp. bestand bei der Klägerin eine Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung. Diesem Vertrag lagen unstreitig die allgemeinen Versicherungsbedingungen für die Kraftfahrtversicherung der Klägerin zu Grunde. Versicherungsnehmerin der Klägerin war die eine Firma.

Die Klägerin trägt vor, dass der Beklagte am 04.07.2021 mit diesem Pkw als berechtigter Fahrer unterwegs gewesen sei und diesen gefahren habe. Gegen 14:00 Uhr habe der Beklagte mit dem bei ihr versicherten Pkw auf einer gewendet. Hierbei sei er rückwärtsfahrend mit einem am Fahrbahnrand abgestellten Kraftfahrzeug vom Typ BMW X3 kollidiert.

Dieser Unfall sei auch durch zwei Zeugen beobachtet worden. Diese beiden Zeugen hätten den Beklagten auch auf den Unfall hin angesprochen. Der Beklagte sei daraufhin ausgestiegen und habe Lichtbilder von den Schäden an den Fahrzeugen gefertigt. Anschließend sei der Beklagte aber wieder eingestiegen und habe sich von der Unfallstelle entfernt, und zwar ohne die Wartezeit einzuhalten und ohne die Feststellung seiner Identität zu ermöglichen. Die Zeugen hätten dies bemerkt und ihre Kontaktdaten an dem beschädigten Kraftfahrzeug vom Typ BMW X3 mit dem amtlichen Kennzeichen hinterlassen.

Die Klägerin wurdei sodann als zuständiger Haftpflichtversicherer von der Geschädigten ermittelt und auf Schadensersatz in Anspruch genommen. Der Beklagte hat der Klägerin gegenüber hierauf hin behauptet, dass es keine Unfallbeteiligung des bei ihr versicherten Pkws vom Typ Mercedes-Benz C 180 eingetreten sei. Er habe behauptet, dass dieser Pkw zum Unfallzeitpunkt gar nicht am Unfallort gewesen sei.

Aufgrund dieser (wahrheitswidrigen Angaben) gegenüber der Klägerin zu der angeblich nicht bestehenden Unfallbeteiligung hat die Klägerin zunächst die Regulierung des Haftpflichtschadens gegenüber der Geschädigten zurückgewiesen. Dies hat dazu geführt, dass die Geschädigte im Wege der Zivilklage die nunmehrige Klägerin in Anspruch genommen hat. Nachdem die Klägerin dann nach Klagezustellung die Ermittlungsakte erhalten und von der Verurteilung des Beklagten Kenntnis erlangt hat, hat sie die Klageforderung anerkannt.

Die Klägerin nimmt nun den Beklagten aufgrund ihrer allgemeinen Versicherungsbedingungen in Anspruch. Die Klägerin meint:

Gemäß Absatz E.1.3 AKB ihrer allgemeinen und mit der Versicherungsnehmerin vereinbarten Versicherungsbedingungen sei geregelt, dass der Versicherungsnehmer alles zu tun habe, was zur Aufklärung des Versicherungsfalles und des Umfanges ihrer Leistungspflicht erforderlich sei. Insbesondere werde dort auch darauf hingewiesen, dass der Unfallort nicht unerlaubt verlassen werden darf und gestellte Fragen zu den Umständen des Schadensereignisses etc. wahrheitsgemäß und vollständig zu beantworten sind. Da ein berechtigter Fahrer – wie hier der Beklagte – von dem Versicherungsschutz des Haftpflichtvertrages mit umfasst sei, würden die im Versicherungsvertrag geltenden Obliegenheiten genauso auch für den berechtigten Fahrer gelten. Dies sei unter F.1 AKB ihrer allgemeinen und mit der Versicherungsnehmerin vereinbarten Versicherungsbedingungen so geregelt. Ebenso würden die Folgen einer Verletzung von Obliegenheiten genauso für den berechtigten/mitversicherten Fahrer gemäß Absatz F.3 AKB ihrer allgemeinen und mit der Versicherungsnehmerin vereinbarten Versicherungsbedingungen gelten. Sowohl gegen das Verbot sich unerlaubt vom Unfallort zu entfernen als auch gegen das Gebot, ihr – der Klägerin – gegenüber vollständige und wahrheitsgemäße Angaben zu machen, habe der Beklagte somit vorsätzlich verstoßen.

Rechtsfolge dieser Verstöße nach einem Schadensfall sei aber gemäß der Regelungen in Absatz E.7.1 in Verbindung mit Absatz E.7.3 AKB ihrer allgemeinen und mit der Versicherungsnehmerin vereinbarten Versicherungsbedingungen dass ihre Leistungspflicht im Schadensfall bis zu einem Höchstbetrag in Höhe von 2.500,00 EUR beschränkt sei. Bis zu dieser Höhe sei sie – die Klägerin – somit gegenüber dem Beklagten also von der Leistung frei. Eigentlich wäre hier sogar von einer Leistungsfreiheit bis zu einem Betrag in Höhe von 5.000,00 EUR auszugehen, da es sich um vorsätzliche Obliegenheitsverletzungen des Beklagten gemäß Absatz E.7.4 AKB gehandelt habe. Sie – die Klägerin – belasse es allerdings hier bei der Geltendmachung einer Leistungsfreiheit bis zu einem Betrag in Höhe von 2.500,00 EUR, d.h. wie bei einem nur fahrlässigen Verstoß. Bis zu dem vorgenannten Betrag der Leistungsfreiheit in Höhe von 2.500,00 EUR könne sie – die Klägerin – den auf den Schadensfall erbrachten Regulierungsaufwand daher von dem Beklagten hier erstattet verlangen.

Die Klage hatte in vollem Umfang Erfolg. Tja, und nun wird es schwierig. Denn  das Urteil des AG Brandenburg ist, was häufig bei Entscheidungen, die von dort kommen, der Fall ist, sehr lang, und zwar insgesamt 23 Seiten. Die kann ich hier nicht vollständig einstellen. Ich beschränke mich daher auf die knappen 🙂 Leitsätze und überlasse den Rest/die Urteilsbegründung dem Selbstleseverfahren. Morgen ist ja Sonntag und da ist Zeit genug:

Hier also die Leitsätze:

1. Der § 142 StGB (Unerlaubtes Entfernen vom Unfallort) ist als Schutzgesetz im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB anzusehen.

2. Rechtskräftige Strafurteile dürfen im Wege des Urkundenbeweises in den Zivilprozess eingeführt werden (§§ 286, 432 ZPO).

Obliegenheitsverletzung bei der Unfallmeldung, oder: Meldung nur beim Versicherungsmakler

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Als zweite Entscheidung habe ich dann das OLG Saarbrücken, Urt. v. 12.02.2025 – 5 U 42/24 -, in dem es um die Eintrittspflicht der Beklagten aus einer Fahrzeug-Vollkaskoversicherung geht. Darum wird gestritten.

Dem Vertrag über die Fahrzeug-Vollkaskoversicherung, die der Kläger bei der Beklagten für sein Kfz unterhielt, lagen die Allgemeinen Bedingungen der Beklagten für die Kfz-Versicherung AL_KFZ comfort (AKB 2021 = Anlage B1) zugrunde. Das Fahrzeug des Klägers wurde bei einem Unfall nachts gegen 3.00 Uhr schwer beschädigt. Der Kläger verließ die Unfallstelle und informierte erst zwei Tage später um 18.23 Uhr die Polizei; außerdem will er den Schaden schon am Unfalltag um 8 Uhr telefonisch seinem Versicherungsmakler gemeldet haben.

Ein gegen den Kläger eingeleitetes Ermittlungsverfahren wegen unerlaubten Entfernens vom Un-fallort wurde gemäß § 153 StPO eingestellt.

Die Beklagte lehnte die Erstattung des Vollkaskoschadens ab, weil der Kläger sich von der Unfallstelle entfernt und dadurch seine Aufklärungsobliegenheit verletzt habe. Das LG hat dann die Klage im Wesentlichen für begründet erachtet. Auf die Berufung der Beklagten hat das OLG die Klage insgesamt abgewiesen.

Ich stelle auch hier nur die Leitsätze der umfangreich begründeten Entscheidung ein:

1. Zur Obliegenheit des Versicherungsnehmers, nach einem Verkehrsunfall „alles“ zu tun, was zur Feststellung des Versicherungsfalles und des Umfanges der Leistungspflicht erforderlich ist, insbesondere nach Verlassen der Unfallstelle. 

2. Das durch § 142 Abs. 2 StGB geschützte Aufklärungsinteresse des Kfz-Versicherers wird zwar durch eine unmittelbar an ihn oder seinen Agenten erfolgende unverzügliche Mitteilung mindestens ebenso gut gewahrt wie durch eine nachträgliche Benachrichtigung des Geschädigten, nicht jedoch durch die (behauptete) Unterrichtung eines als solchen erkennbar nicht der Sphäre des Versicherers zuzurechnenden Versicherungsmaklers, den der Versicherungsnehmer mit der Meldung des Schadens beauftragt und der diese nicht unverzüglich an den Versicherer weitergeleitet hat. 

3. Für eine arglistige Verletzung der Aufklärungsobliegenheit kann es sprechen, wenn der Versicherungsnehmer nach einem nächtlichen, nur durch einen erheblichen, auf nicht versicherten Ursachen beruhenden Fahrfehler zu erklärenden Verkehrsunfall keine Unbeteiligten hinzuzieht, das schwer beschädigte Fahrzeug mit Hilfe des herbeigerufenen Bruders des Mitfahrers von der Unfallstelle entfernt, den Vorfall erst zwei Tage später der Polizei meldet, ohne die Verzögerung plausibel zu erläutern und bis zu dem Zeitpunkt, zu dem die erforderlichen Feststellungen hätten nachgeholt werden können, lediglich den Ab-schleppdienst beauftragt und seinen Versicherungsmakler um eine Schadensmeldung bittet, von der ihm bewusst sein musste, dass sie den Versicherer so nur verzögert erreichen würde.

Nochmals: Wenn die Kerzen am Adventskranz brennen, oder: Ablenkung verboten, egal wodurch

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Und dann die zweite Entscheidung. Das ist aber nichts Neues zu/von Weihanchten. Denn das  OLG Düsseldorf, Urt. v. 21.09.1999 – 4 U 182/98  – habe ich schon ein paar Mal berichtet, zwar nicht alle Jahre wieder, aber schon in 2011, 2015 und auch in 2017. Jetzt ist es, da ich aktuelle Entscheidungen mit weihnachtlichem Bezug nicht gefunden habe, mal wieder dran.

Der ein oder andere wird sich vielleicht erinnern: In der Entscheidung geht es um die Folgen eines Adventskranzbrandes am 1. Weihnachtsfeiertag. Das ist nun sicherlich ein Ereignis, das man nun gar nicht braucht. Aber es kommt, wie es kommt, so auch in dem vom OLG Düsseldorf entschiedenen Fall. Da heißt es:

…..Am 1. Weihnachtsfeiertag 1997 entzündete der Kläger nach dem Aufstehen zunächst im Wohnzimmer die Kerzen des aus echtem Tannengrün gebundenen Adventskranzes, der auf einer Glasplatte auf dem mit einer Kunststofftischdecke gedeckten Wohnzimmertisch stand. Anschließend bereitete er in der Küche den Frühstückskaffee zu und begab sich nach einem Blick auf den Adventskranz wieder in das Schlafzimmer, um seine Lebensgefährtin zu wecken, von der er danach aufgehalten wurde. Er verließ das Schlafzimmer erst einige Zeit später. Dabei bemerkte er Brandgeruch und Rauchschwaden im ganzen Haus, die durch den Adventskranz im Wohnzimmer verursacht wurden, der sich zwischenzeitlich entzündet hatte. Die alarmierte Feuerwehr mußte nicht mehr eingreifen, da es dem Kläger bis zu ihrem Eintreffen gelang, den Brand selbst zu löschen.

In seiner „Brandschaden-Anzeige“ vom 2. Januar 1998 und in der „Verhandlungs-Schrift“ vom 6. Januar 1998 gab der Kläger an, um 10. 00 Uhr aufgestanden zu sein. In seinem Anspruchsschreiben vom 30. Januar 1998 berichtigte er diese Angabe auf 8. 00 Uhr. Den Zeitpunkt des Schadenseintritts und der Alarmierung der Feuerwehr gab er – damit übereinstimmend – im Prozeß zunächst mit ca. 9. 00 Uhr an. In seinem Schriftsatz vom 21. Juli 1998 trug er hiervon abweichend vor, die Nachfrage bei der Feuerwehr habe ergeben, daß die ursprünglichen Angaben zum Schadenszeitpunkt mit ca. 10. 00 Uhr zutreffend gewesen seien. Es verbleibe dabei, daß der ganze Vorgang vom Anzünden der Kerzen bis zum Anruf bei der Feuerwehr ca. 1 Stunde gedauert habe…..“

Ich habe ja schon früher geschrieben:

„Schön vorsichtig formuliert hat das OLG: „“… und begab sich nach einem Blick auf den Adventskranz wieder in das Schlafzimmer, um seine Lebensgefährtin zu wecken, von der er danach aufgehalten wurde“. Das lässt, manche Deutungen zu 🙂 🙂 🙂 . „

Dabei bleibt es.

Noch einen schönen 2. Weihnachtsfeiertag. Morgen geht es „normal“ weiter. Wer rastet, rostet.

Obliegenheitsverletzung nach einem Verkehrsunfall, oder: Unerlaubtes Entfernen und/oder Nachtrunk

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Heute dann mal kein beA im „Kessel Buntes“, sondern mal wieder – seit längerem – zivilverkehrsrechtliche Entscheidungen.

Ich beginne mit dem OLG Braunschweig, Beschl. v. 28.02.2022 – 11 U 176/20 -, einem nach § 522 Abs. 2 ZPO ergangenen Hinweisbeschluss. Das OLG nimmt zur Berufung eines Versicherungsnehmers Stellung, der nach einem Verkehrsunfall Ansprüche aus seiner Kaskoversicherung geltend gemacht hat. Der Kläger war mit seinem Fahrzeug mit einer Geschwindigkeit von circa 20 km/h gegen eine Laterne gefahren. Er hatte nicht an der Unfallstelle gewartet, sondern sich zu dem nahe gelegenen Haus seiner Eltern begeben. Dort wurde von Polizeibeamten angetroffen. Die von der Polizei circa 1,5 Stunden nach dem Unfall entnommene Blutprobe des Klägers wies 2,79 Promille auf. Mit seiner Klage begehrte er den Ersatz der an seinem Fahrzeug entstandenen Schäden sowie die Zahlung der Reparaturkosten für die Laterne. Die beklagte Versicherung lehnte dies aufgrund der erheblichen Alkoholisierung des Klägers ab. Der Kläger hat behauptet, nach dem Unfall 0,7 Liter Wodka getrunken und sich schlafen gelegt zu haben. Den behaupteten „Nachtrunk“ hat die Versicherung als nicht plausibel angesehen.

Das LG hat die Klage gegen die Versicherung abgewiesen. Das OLG tritt dem in seinem Hinweisbeschluss bei:

„Dem Kläger steht ein Anspruch auf Ersatz seiner eigenen Reparaturkosten sowie der seitens der Stadt ihm gegenüber geltend gemachten Kosten gemäß § 1 Abs. 1 Satz 1 VVG i.V.m. A.1, A.2 AKB nicht zu.

Die Beklagte ist nach E.7.1 AKB i.V.m. § 28 Abs. 2 Satz 1 VVG leistungsfrei, da der Kläger seine Aufklärungsobliegenheit aus E.1.3 AKB verletzt hat, indem er nach seinen eigenen Angaben nach dem Unfallgeschehen 0,7 l Wodka zu sich genommen und damit eine zuverlässige Ermittlung seines Blutalkoholgehalts zur Unfallzeit vereitelt hat. Diese Ermittlung hätte es der Beklagten ermöglicht zu prüfen, ob sie sich auf eine Leistungsfreiheit wegen grob fahrlässiger Herbeiführung des Versicherungsfalls nach A.2.9.1, D.1 AKB hätte berufen können.

a) Was zum Inhalt einer durch Leistungsfreiheit sanktionierten Obliegenheit im Sinne von § 28 Abs. 2 VVG gehört, ergibt sich grundsätzlich aus den zwischen den Parteien des Versicherungsvertrages getroffenen Vereinbarungen, also aus dem Versicherungsvertrag und den diesem zugrunde liegenden Bedingungen (BGH, Urteil vom 01. Dezember 1999 – IV ZR 71/99 –, Rn. 8, juris).

Nach E.1.3 der hier vereinbarten AKB hat der Versicherungsnehmer nach Eintritt des Versicherungsfalles alles zu tun, was der Aufklärung des Schadens dienen kann. Die Aufklärungsobliegenheit ist danach erkennbar weit gefasst. Sie schließt die Auskunftsobliegenheit nach § 31 Abs. 1 VVG ein, geht aber in gesetzlich zulässiger Weise (vgl. dazu: Armbrüster in: Prölss/Martin, VVG, 31 Aufl., § 31 Rn. 31) darüber hinaus. Sie erschöpft sich nicht im Erteilen von Informationen, sondern erstreckt sich grundsätzlich auch auf das Verhalten des Versicherungsnehmers am Unfallort (vgl. BGH, Urteil vom 01. Dezember 1999 – IV ZR 71/99 –, Rn. 9, juris; Halbach in: Rüffer/Halbach/Schimikowski, VVG, 4. Aufl., AKB 2015 E., Rn. 5). Ausdrücklich obliegt dem Versicherungsnehmer in diesem Zusammenhang die vertragliche Pflicht, den Unfallort nicht zu verlassen, ohne die erforderlichen Feststellungen z.B. zum Alkohol- und Drogenkonsum des Fahrers zu ermöglichen. Der Zweck dieser Obliegenheit besteht darin, dem Versicherer die sachgerechte Prüfung der Voraussetzungen seiner Leistungspflicht zu ermöglichen, wozu auch die Feststellung solcher mit dem Schadensereignis zusammenhängender Tatsachen gehört, aus denen sich seine Leistungsfreiheit ergeben kann (BGH, Urteil vom 01. Dezember 1999 – IV ZR 71/99 –, Rn. 11, juris; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 17. April 2020 – 12 U 120/19 –, Rn. 54, juris).

Demgemäß verletzt der Versicherungsnehmer diese Obliegenheit auch durch einen ins Gewicht fallenden Nachtrunk (jeweils zu § 3 Nr. 1, § 7 V AKB a.F.: BGH, Urteil vom 22.05.1970 – IV ZR 1084/68, VersR 1970, 826; Urteil vom 19.10.1967 – II ZR 53/65, juris Rn. 4; Koch in: Bruck/Möller, VVG, 9. Aufl. 2018, E. Pflichten im Schadensfall, Tz. 29). Das gilt nicht nur in der Haftpflichtversicherung, sondern auch in der Fahrzeugversicherung, wenn Dritte – wie hier die Stadt – durch den Unfall geschädigt sind, und ergibt sich nicht allein aus den vertraglichen Vereinbarungen, sondern auch aus der durch § 142 StGB strafrechtlich sanktionierten Aufklärungspflicht des Versicherungsnehmers, die seine Verpflichtung einschließt, sich auch für eine polizeilich angeordnete, nicht durch Nachtrunk verfälschte Blutprobe bereitzuhalten. In diesen Fällen kann selbst ohne ausdrückliche Vereinbarung mit dem Versicherer davon ausgegangen werden, dass die vertragliche Aufklärungspflicht des Versicherungsnehmers diese Verpflichtung ebenfalls mit umfasst (BGH, Urteil vom 01. Dezember 1999 – IV ZR 71/99 –, Rn. 9, juris; Urteil vom 12.11.1975 – IV ZR 5/74, juris Rn. 9; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 17. April 2020 – 12 U 120/19 –, Rn. 53, juris; OLG Nürnberg, Urteil vom 20.07.2000 – 8 U 4357/99, juris Rn. 8; OLG Köln, Urteil vom 30. Juli 1992 – 5 U 44/92 –, Rn. 5, juris; KG Berlin, Beschluss vom 26.10.2010 – 6 U 209/09; OLG Frankfurt, Urteil vom 24.07.2014 – 3 U 66/13, juris Rn. 12), da es für die Sachaufklärung und Verschuldensabwägung zwischen den Unfallbeteiligten entscheidend auch auf eine einwandfreie BAK-Bestimmung ankommt (vgl. OLG München, Urteil vom 24. Februar 1995 – 10 U 5408/94 –, Rn. 3, juris m.w.N.), die bereits bei einem geringen Nachtrunk nicht mehr durchführbar ist. So verletzt ein Versicherungsnehmer seine vertragliche Pflicht zur vollständigen Aufklärung des Sachverhalts bereits dann, wenn er die genaue Bestimmung des Blutalkoholgehalts erschwert. Die Obliegenheit, eine einwandfreie BAK-Bestimmung zu ermöglichen, wirkt sich als Reflex auch auf das Aufklärungsinteresse des Kaskoversicherers aus, da die im Rahmen der Aufklärung des Haftpflichtschadens durchgeführte Blutentnahme auch dem Versicherer zugute kommt, der die Ermittlungen bei der Abwicklung des Kaskoschadens verwerten kann (vgl. OLG München, Urteil vom 24. Februar 1995 – 10 U 5408/94 –, Rn. 3, juris; OLG Düsseldorf VersR 1993, 45, 46).

b) aa) Von diesen Maßstäben ausgehend, hat der Kläger durch die Einnahme der von ihm selbst vorgetragenen erheblichen Menge Alkohols die ihn nicht nur aufgrund des eingetretenen Fremdschadens, sondern vielmehr auch aufgrund der sich aus E.1.3 AKB ergebenden ausdrücklichen vertraglichen Vereinbarung treffende Obliegenheit, die erforderlichen Feststellungen zu seinem Alkoholkonsum zu ermöglichen, verletzt und durch den behaupteten Nachtrunk aktiv den berechtigten Interessen der Beklagten entgegengewirkt. Der Kläger hatte vorliegend Ermittlungen der Polizei zur Frage eines etwaigen Alkoholkonsums auch zu erwarten. Er selbst hatte – nach seinem Vortrag – die Polizei gerufen und veranlasst, dass sein Vater sich zur Unfallstelle begab. Im Rahmen solcher Ermittlungen der Polizei – insbesondere angesichts des vom Kläger selbst beschriebenen Unfallverlaufs – stellt die Entnahme einer Blutprobe eine routinemäßige Maßnahme dar (vgl. OLG Düsseldorf, Urteil vom, 30.06.1992 – 4 U 205/91VersR 1993, 1141).

Dass der Nachtrunk der Verschleierung des Sachverhalts – also einer etwaigen tatsächlichen Alkoholisierung des Klägers zum Unfallzeitpunkt – diente, ist für die Frage der Verwirklichung der Obliegenheitsverletzung nicht erforderlich (BGH, Urteil vom 12.11.1975 – IV ZR 5/74, juris Rn. 9 und 12; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 17. April 2020 – 12 U 120/19 –, Rn. 55, juris; KG, Beschluss vom 26.10.2010 – 6 U 209/09, juris Rn. 3). Auch der Umstand, dass hier, da lediglich stehende Objekte beschädigt worden sind, die Frage einer Alkoholisierung des Klägers auf die Haftungsfrage keinen Einfluss haben kann, ist unerheblich (vgl. auch: OLG Köln, Urteil vom 19.01.1999 – Ss 526/98, juris Rn. 15). Der Zweck der den Kläger treffenden Aufklärungsobliegenheit besteht darin, dem Versicherer die sachgerechte Prüfung der Voraussetzungen seiner Leistungspflicht zu ermöglichen, wozu auch die Feststellung solcher mit dem Schadensereignis zusammenhängender Tatsachen gehört, aus denen sich seine Leistungsfreiheit ergeben kann, so dass aus dem Nachtrunk eine Obliegenheitsverletzung gegenüber dem Versicherer unabhängig von einem Beweisinteresse des Geschädigten abzuleiten ist (BGH, Urteil vom 01. Dezember 1999 – IV ZR 71/99 – , Rn. 9, juris; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 17. April 2020 – 12 U 120/19 –, Rn. 54, juris).

bb) Der objektive Verstoß gegen die Aufklärungspflicht erfolgte auch vorsätzlich.

Zwar hat die Beklagte den Vorsatz des Klägers als Voraussetzung ihrer Leistungsfreiheit zu beweisen (§ 28 Abs. 2 Satz 1 VVG bzw. E.7.1 AKB). Bereits aus dem erheblichen und offensichtlichen Schaden an der Straßenlaterne ist aber auf das Bewusstsein des Klägers zu schließen, dass er einen Fremdschaden verursacht hat und er deshalb Feststellungen der von ihm selbst nach seinem Vortrag herbeigerufenen Polizei zum Unfallhergang – auch zum Grad seiner Alkoholisierung – zu erwarten hatte. Angesichts der Menge des von ihm konsumierten Alkohols musste ihm auch bewusst sein, dass er dadurch entsprechende Feststellungen der Polizei zumindest erschweren, wenn nicht vereiteln würde.

Soweit vorsätzliches Handeln grundsätzlich auch das Bewusstsein erfordert, gegen eine bestehende Verhaltensnorm zu verstoßen (BGH, Urteil vom 18.02.1970 – IV ZR 1089/68, juris Rn. 14), genügt es für das Bewusstsein der Obliegenheitsverletzung, dass der Versicherungsnehmer kraft „Parallelwertung in der Laiensphäre“ die Merkmale der Obliegenheit im Kern kennt (OLG Karlsruhe, Beschluss vom 17. April 2020 – 12 U 120/19 –, Rn. 61, juris; OLG Stuttgart, Urteil vom 16. Oktober 2014 – 7 U 121/14 –, Rn. 57, juris; OLG Frankfurt, Urteil vom 02.04.2015 – 14 U 208/14, juris Rn. 9). Anders ist es jedoch bei elementaren, allgemein bestehenden und bekannten Pflichten, die auch im Versicherungsvertrag ihren Niederschlag gefunden haben. Hier genügt zum Bewusstsein der Rechtswidrigkeit die vorhandene Erkenntnis, gegen das unzweifelhafte, generelle Verbot zu verstoßen. Die weitere Vorstellung, im Besonderen auch dem Versicherer gegenüber zur Beachtung dieses Verbots verpflichtet zu sein, ist dann nicht zu fordern (BGH, Urteil vom 18.02.1970 – IV ZR 1089/68, juris Rn. 15). Zu diesen allgemeinen Verhaltensregeln nach einem Verkehrsunfall gehört in erster Linie das für jeden Beteiligten gültige Gebot, im Interesse der Aufklärung bis zur Aufnahme des Unfalls durch die verständigte Polizei am Unfallort zu bleiben (BGH, Urteil vom 18. Februar 1970, a.a.O.). Soweit sich der Unfallverursacher nach Ablauf einer angemessenen Wartefrist vom Unfallort entfernt hat, trifft ihn die Verpflichtung, die erforderlichen Feststellungen – zu welchen auch der Grad seiner Alkoholisierung zum Unfallzeitpunkt gehört – unverzüglich nachträglich zu ermöglichen.

Gegen diese Verpflichtung hat der Kläger, ungeachtet der Frage, ob er sich überhaupt berechtigt vom Unfallort im Sinne von § 142 Abs. 2 StGB entfernt hat, vorliegend bewusst verstoßen, denn es ist allgemein bekannt, dass die Frage einer möglichen Alkoholisierung des Fahrers für die Einstandspflicht des Versicherers in der Kfz-Schadensversicherung von nicht unerheblicher Bedeutung ist.

cc) Der Kläger handelte auch schuldhaft. Ein medizinisch beachtlicher Unfallschock, der Einfluss auf die Schuldfähigkeit hätte haben können, ist nicht dargelegt……“

Wenn der Fahrzeugschlüssel sichtbar an einem Haken hängt, oder: Obliegenheitsverletzung?

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Im zweiten „Kessel-Buntes-Posting“ geht es seit längerem mal wieder um eine versicherungsrechtliche Problematik. Die Klägerin betreibt eine Spedition und hat für einen Lkw sowie einen Anhänger jeweils eine Teilkaskoversicherung unter Vereinbarung eines Selbstbehaltes von 150,00 € abgeschlossen. Sie meldete am 29.01.2018 den Diebstahl der Zugmaschine und des Anhängers am 26.01.2018 um 23:10 Uhr. Die Beklagte hat am 14.12.2018 5.640,50 EUR und am 18.12.2018 28.175,00 EUR bezahlt. Der Klägerin genügt das nicht. Sie verlangt von der Beklagten den Wiederbeschaffungswert ihrer Fahrzeuge aus ihrer Teilkaskoversicherung.

Im Verfahren geht es u.a. um eine Obliegenheitsverletzung der Klägerin betreffend die Aufbewahrung der Fahrzeugschlüssel. Dazu hat die Klägerin „behauptet, ihre Fahrer hätten den Lkw nebst Anhänger gegen 18:00 Uhr des 26.01.2018 auf dem Betriebshof der Klägerin abgestellt. Die Fahrer hätten die Anweisung, den Fahrzeugschlüssel in Briefkästen – die den jeweiligen Fahrzeugen zugeordnet seien – im Eingangsbereich der Fahreranmeldung nach der Fahrt einzuwerfen. Für den Fall eines Fahrerwechsels sollten die Fahrzeugschlüssel auf den Haken, der auf dem Briefkasten angebracht sei, eingehängt werden. Die Briefkästen seien nur über eine Glastür zu erreichen, die durch einen Code geöffnet werden könne. Der Zeuge S. habe auf Anweisung des Geschäftsführers F. K. das Gespann mit zwei Containern in der Zeit von 20:50 Uhr bis 21:10 Uhr neu beladen und wieder abgestellt. Er habe sich hierbei den Schlüssel in der firmeneigenen Werkstatt – die auch freitags bis 22:00 Uhr besetzt sei – geholt und ihn auch dort wieder abgegeben. Am 27.01.2018 habe sich Herr J. K. gegen 7:00 Uhr auf das Betriebsgelände begeben und den Lastzug nicht mehr auf dem Betriebshof aufgefunden. Anhand der Telematikaufzeichnung sei festgestellt worden, dass der Lastzug um 23:17 Uhr vom Betriebshof entfernt worden sei. Zuletzt sei ein GPS-Signal gegen 6:06 Uhr des 27.01.2018 gesendet worden, zu diesem Zeitpunkt habe sich der Lastzug bereits 486 km weit bewegt. Der Wiederbeschaffungswert der Zugmaschine, des Anhängers sowie der zwei Wechselkoffer betrage 84.150,00 €.“.

Das LG hatte der Klage in Höhe von 45.434,50 EUR stattgegeben und im Übrigen abgewiesen. Dagegen die Berufung der Beklagten. Dazu verhält sich der OLG Dresden, Beschl. v. 05.07.2021 – 4 U 428/21  – ein sog. Hinweisbeschluss. Danach hat die Berufung keine Aussicht auf Erfolg. Das OLG nimmt zu Verfahrensfragen – insoweit bitte den Volltext lesen – aber auch zur Frage einer Obliegenheitsverletzung der Klägerin Stellung, die sie verneint:

„3. Eine Leistungskürzung wegen des grob fahrlässigen Herbeiführens eines Versicherungsfalles gemäß § 81 Abs. 2 VVG ist nicht gerechtfertigt. Grob fahrlässig handelt, wer die im Verkehr erforderliche Sorgfalt gröblich, in hohem Grad außer Acht lässt, wer nicht beachtet, was unter den gegebenen Umständen jedem einleuchten musste (vgl. Senat, Urteil vom 04.09.2018 – 4 U 427/18 – juris). Als grob fahrlässig ist ein den Eintritt des Versicherungsfalles förderndes Verhalten dann zu werten, wenn sich schon bei einfachen und naheliegenden Überlegungen die erhöhte Schadenswahrscheinlichkeit und die Notwendigkeit, ein anderes als das geübte Verhalten in Betracht zu ziehen, aufdrängt (so Senat a.a.O.). Zu den von einem durchschnittlichen Versicherungsnehmer zu erwartenden Sicherungsvorkehrungen gegen einen Diebstahl eines Fahrzeuges gehört es, die Fahrzeugschlüssel so aufzubewahren, dass sie vor dem unbefugten Zugriff beliebiger Dritter geschützt sind (so Senat a.a.O.).

Die Klägerin hat ihre Sorgfaltspflichten nicht verletzt, indem sie die Fahrzeugschlüssel im Bereich der Anmeldung der Fahrer hinter einer Glastür in den Fahrzeugen zugeordneten Briefkasten oder auf Haken auf den Briefkasten verwahrt hat. Die Glastür ermöglicht zwar einen Blick in das Innere, so dass auch für dritte Personen der Ort der Schlüsselverwahrung ohne weiteres erkennbar ist. Allerdings befindet sich die Anmeldung der Fahrer auf dem umfriedeten Betriebsgelände der Klägerin, so dass ein zufälliges Vorbeikommen von Passanten und dritten Personen sehr unwahrscheinlich ist und die Glastür darüber hinaus auch für einen potentiellen Dieb die Gefahr des Entdecktwerdens mit sich bringt. Zudem ist die Glastür nur durch einen Zahlencode, einem Transponder oder mit einem Schlüssel zu öffnen. Damit ist die Glastür hinreichend vor unbefugtem Eindringen Dritter gesichert. Soweit die Beklagte geltend macht, es sei nicht ersichtlich, dass der Zahlencode regelmäßig geändert wurde, um sicherzustellen, dass ehemalige Mitarbeiter der Klägerin keinen Zutritt erhalten, so kann offenbleiben, wie oft der Zahlencode geändert wurde. Die regelmäßige Änderung des Zahlencodes mag die Sicherheit erhöhen, jedoch wäre das Unterlassen der Klägerin insoweit als allenfalls leicht fahrlässig anzusehen. Ersichtlich erfolgt die Behauptung zudem „ins Blaue hinein“.

Keinen Sorgfaltsverstoß stellt es dar, dass an den Briefkästen, die jeweils einem Fahrzeug zugeordnet waren und für die der jeweilige Fahrer einen Briefkastenschlüssel besaß, noch ein Haken angebracht war, an den der Fahrzeugschlüssel angehängt werden konnte, wenn ein Tausch der Fahrzeuge beabsichtigt war. Für diese Verfahrensweise bestand ein praktisches Bedürfnis, denn hätte der jeweilige Fahrer den Fahrzeugschlüssel stets in den Briefkasten geworfen, so hätte der nächste Fahrer, der nicht über den Briefkastenschlüssel verfügt, keinen Zugriff auf den Fahrzeugschlüssel gehabt.

Die Klägerin hat auch das Offenstehen des Rolltores nachvollziehbar erklärt, denn das Tor ist wochentags von 6:00 bis 22:00 Uhr, an Freitagen jedoch bis 24:00 Uhr geöffnet, um u. a. Kunden zu der auf dem Gelände befindlichen Lkw-Waschstraße den Zugang zu ermöglichen. Darüber hinaus wird den zurückkehrenden Fahrzeugen die Einfahrt ermöglicht. Selbst wenn man die Schließung des Rolltores an Freitagen erst um 24:00 Uhr statt um 22:00 Uhr als sorgfaltswidrig ansehen sollte, handelt es sich hier allenfalls um eine leichte Fahrlässigkeit.

Das Landgericht musste aus der Aussage des Zeugen S., dass er den Originalschlüssel nicht am Haken des Briefkastens vorgefunden und dies dem Geschäftsführer der Klägerin mitgeteilt habe, keinen Sorgfaltsverstoß entnehmen. Denn aus diesem Umstand musste der Geschäftsführer der Klägerin nicht auf die Entwendung des Schlüssels schließen. Der Fahrzeugschlüssel hätte sich auch im Briefkasten befinden können.“