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Verkehrsrecht II: Unerlaubten Entfernen vom Unfallort, oder: Versuchte Tötung durch Unterlassen übersehen

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Und als zweite Entscheidung dann das BGH-Urteil v. 28.08.2025 – 4 StR 476/24. Das LG hat den Angeklagten (nur) wegen fahrlässiger Tötung und unerlaubtem Entfernen vom Unfallort verurteilt. Dagegen die Revision der Staatsanwaltschaft, die die unterbliebene Verurteilung des Angeklagten wegen eines vorsätzlichen Tötungsdelikts. Ich beschränke mich hier auf den zweiten festgestellten Tatkomplex.

Auszugehen ist insoweit von folgendem Sachverhalt: Bei einer vom Angeklagten verursachten  Kollision mit dem Pkw des Geschädigten lösten in dem vom Angeklagten bewegten Pkw Opel Zafira die Kopf- und Seitenairbags auf der Beifahrerseite aus. Der Angeklagte brachte das Fahrzeug dann auf einem Ausfädelungsstreifen der nächsten Anschlussstelle etwa 200 Meter hinter der Durchbruchstelle zum Stillstand. Er ging auf dem Ausfädelungsstreifen circa 50 Meter in Richtung des Kollisionsortes zurück, von wo aus er eine eschädigte Außenleitplanke nicht sehen konnte. Er erkannte allerdings, dass es zu einem Anstoß gegen das andere Fahrzeug gekommen war und auch dieses erheblich beschädigt sein musste. Um 5.36 Uhr rief der Angeklagte seinen Chef an und teilte ihm mit, dass er einen Unfall gehabt habe. Der andere sei aber wohl weg- bzw. weitergefahren; ein kleiner Peugeot sei gegen seinen Pkw gefahren. Als der Vorgesetzte des Angeklagten gegen 6.30 Uhr an der Unfallstelle eintraf, hatte der Angeklagte – ohne Melde-, Hilfs- oder Rettungsmaßnahmen vorgenommen oder eingeleitet zu haben – seine Fahrt bereits fortgesetzt und war in seine Unterkunft gefahren. Um 6.59 Uhr schrieb er seinem Vorgesetzten per WhatsApp: „Das Problem, Boss, ist, dass er mir reingefahren ist, und ich hätte jetzt tot sein können.“

„2. Der Schuldspruch im Fall II. 2. der Urteilsgründe, der keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten aufweist (§ 301 StPO), hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Das Landgericht hat rechtsfehlerhaft zugunsten des Angeklagten gegen die ihm obliegende allseitige Kognitionspflicht (§ 264 StPO) verstoßen.

a) Das Landgericht hat den festgestellten Sachverhalt nicht unter allen rechtlichen Gesichtspunkten geprüft. Die gerichtliche Kognitionspflicht gebietet, dass der – durch die zugelassene Anklage abgegrenzte – Prozessstoff durch die vollständige Aburteilung des einheitlichen Lebensvorgangs erschöpft wird (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteil vom 14. März 2024 – 4 StR 354/23 Rn. 26 mwN; Urteil vom 29. Oktober 2009 – 4 StR 239/09 Rn. 6). Der Unrechtsgehalt der Tat ist ohne Rücksicht auf die dem Eröffnungsbeschluss zugrundeliegende Bewertung auszuschöpfen (vgl. § 264 Abs. 2 StPO), soweit keine rechtlichen Gründe entgegenstehen (vgl. BGH, Urteil vom 27. Juni 2013 – 3 StR 113/13 Rn. 4; KK-StPO/Tiemann, 9. Aufl., § 264 Rn. 27 ff.).

Dies hat die Strafkammer unterlassen. Die getroffenen Feststellungen hätten ihr Anlass zur Prüfung geben müssen, ob der Angeklagte tateinheitlich zum unerlaubten Entfernen vom Unfallort auch versuchter Tötungsdelikte zum Nachteil der Insassen des Pkw VW Phaeton schuldig ist.

b) Der Tatbestand eines versuchten Delikts verlangt in subjektiver Hinsicht das Vorliegen einer vorsatzgleichen Vorstellung, die sich auf alle Umstände des äußeren Tatbestands bezieht (Tatentschluss; vgl. BGH, Urteil vom 10. September 2015 ‒ 4 StR 151/15 Rn. 13). Bei einem durch Unterlassen verwirklichten Tötungsdelikt müssen daher neben der Garantenpflicht, der Untätigkeit, der physisch-realen Handlungsmöglichkeit und dem zumindest möglichen Eintritt des Todeserfolges auch diejenigen Umstände Gegenstand dieser Vorstellung sein, die die Annahme einer hypothetischen Kausalität möglicher Rettungshandlungen (und die objektive Zurechnung des Erfolges) begründen. Hinsichtlich der hypothetischen Kausalität genügt bedingter Vorsatz; er liegt vor, wenn der Täter mit der Möglichkeit rechnet, sein Eingreifen könne den tatbestandlichen Erfolg abwenden (vgl. BGH, Beschluss vom 9. März 2022 – 4 StR 200/21 Rn. 10; Urteil vom 29. September 2021 ‒ 2 StR 491/20 Rn. 22; Urteil vom 4. August 2021 ‒ 2 StR 178/20 Rn. 21; Urteil vom 19. August 2020 ‒ 1 StR 474/19 Rn. 16; Urteil vom 29. Juni 2016 ‒ 2 StR 588/15 Rn. 23).

Nach diesen Maßgaben hätte die Strafkammer im zweiten Tatkomplex eine Strafbarkeit des Angeklagten wegen versuchter Tötungsdelikte prüfen müssen. Die Strafkammer hat festgestellt, dass der Angeklagte den Anstoß gegen das Fahrzeug des Geschädigten bemerkte, das sich nicht mehr in seinem Sichtbereich befand. Dass das gegnerische Fahrzeug in der Vorstellung des Angeklagten die Ausfahrt genommen haben könnte, hat das Landgericht bei der Würdigung seiner Einlassung angesichts seines Sichtfeldes selbst verneint. Im nicht aufgelösten Widerspruch hierzu nimmt die Strafkammer nunmehr an, der Angeklagte sei nicht notwendig davon ausgegangen, der Unfallgegner müsse sich noch am Unfallort befinden. Angesichts der zuvor genannten Umstände hätte sich das Landgericht vielmehr gedrängt sehen müssen zu erörtern, welche Vorstellungen des Angeklagten im Hinblick auf etwaige eingetretene Verletzungsfolgen für den Fahrzeugführer und mögliche weitere Insassen mit dem „Verschwinden“ des gegnerischen Fahrzeugs von der Autobahn nach einer Kollision bei einer Geschwindigkeit von immerhin mindestens 110 km/h verbunden waren. Dies wird hier zudem dadurch nahegelegt, dass der Angeklagte 50 Meter in Richtung des Kollisionsortes zurückging und eine WhatsApp-Nachricht an seinen Vorgesetzten über den möglichen eigenen Tod verfasste.

Eine solche Erörterung war nicht deshalb entbehrlich, weil die Strafkammer den Tötungsvorsatz des Angeklagten bei dessen Fahrmanöver selbst rechtsfehlerfrei verneint hat. Denn nach der stattgehabten Kollision und seinem Anhalten bot sich ihm eine neue Situation, die Anlass für ein gewandeltes Vorstellungsbild gewesen sein könnte. Hätte der Angeklagte zu diesem Zeitpunkt ein Versterben der Geschädigten sowie ihre Rettung bei einem von ihm abgesetzten Notruf mit seinem Mobiltelefon (ggf. unter Einschaltung seines der deutschen Sprache mächtigen Chefs) auch nur für möglich gehalten, kommt aufgrund des pflichtwidrigen Vorverhaltens und der damit verbundenen Garantenstellung aus Ingerenz die Verwirklichung (untauglicher) versuchter Tötungsdelikte in Betracht.“

 

VerkehrsR II: Grenzwert für den bedeutenden Schaden, oder: Im LG-Bezirk Zwickau gelten jetzt 2.500 EUR

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Und im zweiten Posting dann etwas zur Entziehung der Fahrerlaubnis, und zwar: Grenzwert für den bedeutenden Sachschaden i.S. von § 69 Abs. 2 Nr. 3 StGB bei der Entziehung der Fahrerlaubnis wegen einer Unfallflucht.

Da geht es ja in der Rechtsprechung hin und her, die Grenze bewegt sich allerdings in der Regel nur in kleinen Schritten. Eine klare Linie kann man m.E. nicht erkennen; wegen der unterschiedlichen Entscheidungen verweise ich auf meine Rechtsprechungsübersicht zum Unerlaubten Entfernen vom Unfallort aus den Jahren 2019 – 2024 in VRR 3/2025, 6 ff. Der Grenzwert pendelt irgendwo so bei 1.500 – 1.800 EUR mit „Ausschlägen“ nach oben oder auch nach unten.

Die Beschwerdekammer des LG Zwickau hat nun aber im LG Zwickau, Beschl. v. 25.08.2025 – E 1 Qs 166/25 – mal wieder einen recht großen Schritt nach oben gemacht und den Grenzwert auf 2.500 EUR festgelegt:

„Die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis erfordert einen dringenden Tatverdacht hinsichtlich einer Straftat, die gemäß § 69 StGB zu einer Entziehung der Fahrerlaubnis führt, und ein hohes Maß an Wahrscheinlichkeit für die Anordnung des Fahrerlaubnisentzugs (vgl. Huber, in: Graf, BeckOK StPO, 54. Edition, § 111a Rn. 3 m.w.N. <Stand 01.01.2025>, Heinrichs/Wüst, in: Karlsruher Kommentar zur StPO, 9. Aufl. 2023, § 111a Rn. 3b).

Zwar liegt dem Angeklagten eine Straftat zur Last, welche gemäß § 69 Abs. 2 Nr. 3 StGB in der Regel zu einer Entziehung der Fahrererlaubnis führt. Aufgrund der Schadenshöhe von jedenfalls unter 2.500 Euro besteht aufgrund der bestehenden Rechtsprechung der Berufungs-kammern des Landgerichts Zwickau allerdings kein hohes Maß an Wahrscheinlichkeit für die Anordnung eines Fahrerlaubnisentzugs.

Die dritte Strafkammer des Landgerichts Zwickau als Berufungskammer hat mit Urteil vom 24.04.2025 – Az. 3 NBs 420 Js 8745/24 die Wertgrenze des bedeutenden Schadens, beim unerlaubten Entfernen vom Unfallort auf 2.500 Euro angehoben. Die vierte Strafkammer des Landgerichts Zwickau – als einzige weitere Berufungskammer – sieht 2.500 Euro ebenfalls als Grenze an, ab welcher in der Regel und unabhängig von begleitenden Umständen ein Fahrerlaubnisentzug erfolgt (Urteil vom 28.01.2025 – Az. 4 NBs 420 Js 21535/23). Damit besteht bei einem unerlaubten Entfernen vom Unfallort im Bezirk des Landgerichts Zwickau kein hohes Maß an Wahrscheinlichkeit für die Anordnung eines Fahrerlaubnisentzuges, wenn die Schadenshöhe unter 2.500 Euro liegt.

Ausgehend hiervon ist es unmaßgeblich, welche konkrete Schadenshöhe die Beschwerdekammer für angemessen erachten würde. Ein vorläufiger Entzug der Fahrerlaubnis ist nicht angebracht, wenn spätestens in der Berufungsinstanz der Entzug der Fahrerlaubnis aufgehoben wird. Aus diesem Grund wird an der bislang von der Beschwerdekammer angesetzten Wertgrenze nicht mehr festgehalten.“

Die Beschwerdekammer verweist auf zwei Berufungsurteile des LG Zwickau, die genau so entschieden haben. Das LG Zwickau, Urt. v. 24.04.2025 – 3 NBs 420 Js 8745/24 – habe ich zwar vorliegen, aber leider nicht vollständig. Ich habe beim Verteidiger wegen einer vollständigen Version angefragt. Wenn ich die habe, stelle ich das Urteil dann auch online.

Edit: Nachdem ich das LG Zwickau, Urt. v. 24.04.2025 – 3 NBs 420 Js 8745/24 inzwischen erhalten habe, steht das jetzt auch online.

VR III: (Regel)Entziehung beim unerlaubten Entfernen?, oder: Nachträgliches Offenlegen der Tatbeteiligung

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Und dann noch der LG Bielefeld, Beschl. v. 14.07.2025 – 10 Qs 232/25 – zur vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis (§§ 69 StGB, 111a StPO) nach unerlaubtem Entfernen vom Unfallort.

Das AG hatte vorläufig entzogen, das LG hat den Beschluss aufgehoben:

„Die gegen die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis gerichtete, nach § 304 Abs. 1 StPO statthafte und auch im Übrigen zulässige Beschwerde der Beschuldigten ist begründet. Die Voraussetzungen für die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis liegen nicht vor, da derzeit keine dringenden Gründe für die Annahme vorhanden sind, dass der Beschuldigten die Fahrerlaubnis entzogen werden wird.

1. Die Beschuldigte ist dringend verdächtig, sich in der Nacht vom 16.06.2025 ab 22:00 Uhr bis in die Morgenstunden des 17.06.2025 wegen unerlaubten Entfernens vom Unfallort gemäß § 142 Abs. 1 Nr. 1 StGB strafbar gemacht zu haben.

Der Tatvorwurf stützt sich auf folgenden Sachverhalt: Beim Fahren auf dem Parkdeck des Parkhauses .IKEA, Südring 7 in 33647 Bielefeld, stieß sie mit ihrem Pkw BMW, amtliches Kennzeichen pp., mit einer Vorrichtung für Einkaufswagen zusammen und beschädigte diese, was einen Reparaturaufwand von 1.805,49 Euro (netto) erfordert. Anschließen fuhr sie mit ihrem, ebenfalls beschädigten, Pkw zum Sunderweg und stellte diesen dort ab. Am 17.06.2025, gegen 12:45 Uhr, begab sich die Beschuldigte zu dem IKEA Markt, gab sich als Unfallverursacherin aus und machte Angaben zum Unfallgeschehen.

2. Die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis gemäß § 111a Abs. 1 StPO ist abzulehnen. Obwohl die Beschuldigte durch ihr Verhalten die Regelvermutung des § 69 Abs. 2 Nr. 3 StGB verwirklichte, erweist sie sich nach dem derzeitigen Stand der Ermittlungen aufgrund besonderer Umstände nicht als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen.

Die von einer Tat nach § 69 Abs. 2 StGB ausgehende Indizwirkung kann aufgrund der konkreten Tatumstände entfallen (vgl. Kinzig,in: Schönke/Schröder, StGB, 30: A. [2019], § 69 Rn. 44 m.w.N.; LG Dortmund, U. v. 21.09.2012 — 45 Ns 173/12). Bei dieser Prüfung ist der konkrete Grad an Versagen und Verantwortungslosigkeit eines Beschuldigten in den Blick zu nehmen (vgl. Weiland, in: Freymann/Wellner, jurisPK-Straßenverkehrsrecht, 2. A. [Stand: 03.01.2024], § 69 StGB, Rn. 70 m.w.N.). Dabei entfällt die Indizwirkung in der Regel dann, wenn der Unfallverursacher nachträglich freiwillig seine Verantwortlichkeit offenlegt (vgl. etwa LG Zweibrücken, Beschluss vom 11.03.2003 — •Qs 31/03; Weiland in: Freymann/Wellner, jurisPK-Straßenverkehrsrecht, 2. Aufl., [Stand: 26.05.2025], § 69 StGB, Rn. 72 m.w.N.).

Einen solchen, außerhalb der Tat liegenden Umstand, stellt das Nachtatverhalten der Beschuldigten dar. So begab sie sich am 17.06.2025 gegen 12:45 Uhr zum IKEA Markt und erklärte ihre Beteiligung am Unfallgeschehen. Den sodann eingetroffenen Polizeibeamten schilderte sie den Hergang des von ihr verursachten Unfallgeschehens, wobei auch Lichtbilder ihres Autos gefertigt wurden. Damit ermöglichte sie die gesetzlich geforderten Feststellungen. Wenngleich verspätet, so dokumentierte sie hierdurch, dass sie auch den Unfallgegner vor Schaden bewahren und ihm die zivilrechtliche Position zugestehen wollte, die dieser beanspruchen kann.

Nach alledem ist für eine vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis kein Raum.“

„Unerlaubtes Entfernen vom Unfallort im Zivilrecht, oder: Regress der Haftpflichtversicherung gegen Fahrer

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Und dann am Samstagnachmittag das AG Brandenburg, Urt. v. 28.04.2025 – 31 C 159/24. Das AG hat in seiner Entscheidung über den Regress einer Haftpflichtversicherung gegen einen Versicherungsnehmer wegen einer Obliegenheitsverletzung entschieden. Stichwort: Unerlaubtes Entfernen vom Unfallort.

Dem liegt folgender Sachverhalt zugrunde:

Die klagende Kfz-Haftpflichtversicherung nimmt den Beklagten wegen eines Verkehrsunfalls vom 04.07.2021 in Regress. Für den Pkw vom Typ Mercedes-Benz C 180 mit dem amtlichen Kennzeichen: pp. bestand bei der Klägerin eine Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung. Diesem Vertrag lagen unstreitig die allgemeinen Versicherungsbedingungen für die Kraftfahrtversicherung der Klägerin zu Grunde. Versicherungsnehmerin der Klägerin war die eine Firma.

Die Klägerin trägt vor, dass der Beklagte am 04.07.2021 mit diesem Pkw als berechtigter Fahrer unterwegs gewesen sei und diesen gefahren habe. Gegen 14:00 Uhr habe der Beklagte mit dem bei ihr versicherten Pkw auf einer gewendet. Hierbei sei er rückwärtsfahrend mit einem am Fahrbahnrand abgestellten Kraftfahrzeug vom Typ BMW X3 kollidiert.

Dieser Unfall sei auch durch zwei Zeugen beobachtet worden. Diese beiden Zeugen hätten den Beklagten auch auf den Unfall hin angesprochen. Der Beklagte sei daraufhin ausgestiegen und habe Lichtbilder von den Schäden an den Fahrzeugen gefertigt. Anschließend sei der Beklagte aber wieder eingestiegen und habe sich von der Unfallstelle entfernt, und zwar ohne die Wartezeit einzuhalten und ohne die Feststellung seiner Identität zu ermöglichen. Die Zeugen hätten dies bemerkt und ihre Kontaktdaten an dem beschädigten Kraftfahrzeug vom Typ BMW X3 mit dem amtlichen Kennzeichen hinterlassen.

Die Klägerin wurdei sodann als zuständiger Haftpflichtversicherer von der Geschädigten ermittelt und auf Schadensersatz in Anspruch genommen. Der Beklagte hat der Klägerin gegenüber hierauf hin behauptet, dass es keine Unfallbeteiligung des bei ihr versicherten Pkws vom Typ Mercedes-Benz C 180 eingetreten sei. Er habe behauptet, dass dieser Pkw zum Unfallzeitpunkt gar nicht am Unfallort gewesen sei.

Aufgrund dieser (wahrheitswidrigen Angaben) gegenüber der Klägerin zu der angeblich nicht bestehenden Unfallbeteiligung hat die Klägerin zunächst die Regulierung des Haftpflichtschadens gegenüber der Geschädigten zurückgewiesen. Dies hat dazu geführt, dass die Geschädigte im Wege der Zivilklage die nunmehrige Klägerin in Anspruch genommen hat. Nachdem die Klägerin dann nach Klagezustellung die Ermittlungsakte erhalten und von der Verurteilung des Beklagten Kenntnis erlangt hat, hat sie die Klageforderung anerkannt.

Die Klägerin nimmt nun den Beklagten aufgrund ihrer allgemeinen Versicherungsbedingungen in Anspruch. Die Klägerin meint:

Gemäß Absatz E.1.3 AKB ihrer allgemeinen und mit der Versicherungsnehmerin vereinbarten Versicherungsbedingungen sei geregelt, dass der Versicherungsnehmer alles zu tun habe, was zur Aufklärung des Versicherungsfalles und des Umfanges ihrer Leistungspflicht erforderlich sei. Insbesondere werde dort auch darauf hingewiesen, dass der Unfallort nicht unerlaubt verlassen werden darf und gestellte Fragen zu den Umständen des Schadensereignisses etc. wahrheitsgemäß und vollständig zu beantworten sind. Da ein berechtigter Fahrer – wie hier der Beklagte – von dem Versicherungsschutz des Haftpflichtvertrages mit umfasst sei, würden die im Versicherungsvertrag geltenden Obliegenheiten genauso auch für den berechtigten Fahrer gelten. Dies sei unter F.1 AKB ihrer allgemeinen und mit der Versicherungsnehmerin vereinbarten Versicherungsbedingungen so geregelt. Ebenso würden die Folgen einer Verletzung von Obliegenheiten genauso für den berechtigten/mitversicherten Fahrer gemäß Absatz F.3 AKB ihrer allgemeinen und mit der Versicherungsnehmerin vereinbarten Versicherungsbedingungen gelten. Sowohl gegen das Verbot sich unerlaubt vom Unfallort zu entfernen als auch gegen das Gebot, ihr – der Klägerin – gegenüber vollständige und wahrheitsgemäße Angaben zu machen, habe der Beklagte somit vorsätzlich verstoßen.

Rechtsfolge dieser Verstöße nach einem Schadensfall sei aber gemäß der Regelungen in Absatz E.7.1 in Verbindung mit Absatz E.7.3 AKB ihrer allgemeinen und mit der Versicherungsnehmerin vereinbarten Versicherungsbedingungen dass ihre Leistungspflicht im Schadensfall bis zu einem Höchstbetrag in Höhe von 2.500,00 EUR beschränkt sei. Bis zu dieser Höhe sei sie – die Klägerin – somit gegenüber dem Beklagten also von der Leistung frei. Eigentlich wäre hier sogar von einer Leistungsfreiheit bis zu einem Betrag in Höhe von 5.000,00 EUR auszugehen, da es sich um vorsätzliche Obliegenheitsverletzungen des Beklagten gemäß Absatz E.7.4 AKB gehandelt habe. Sie – die Klägerin – belasse es allerdings hier bei der Geltendmachung einer Leistungsfreiheit bis zu einem Betrag in Höhe von 2.500,00 EUR, d.h. wie bei einem nur fahrlässigen Verstoß. Bis zu dem vorgenannten Betrag der Leistungsfreiheit in Höhe von 2.500,00 EUR könne sie – die Klägerin – den auf den Schadensfall erbrachten Regulierungsaufwand daher von dem Beklagten hier erstattet verlangen.

Die Klage hatte in vollem Umfang Erfolg. Tja, und nun wird es schwierig. Denn  das Urteil des AG Brandenburg ist, was häufig bei Entscheidungen, die von dort kommen, der Fall ist, sehr lang, und zwar insgesamt 23 Seiten. Die kann ich hier nicht vollständig einstellen. Ich beschränke mich daher auf die knappen 🙂 Leitsätze und überlasse den Rest/die Urteilsbegründung dem Selbstleseverfahren. Morgen ist ja Sonntag und da ist Zeit genug:

Hier also die Leitsätze:

1. Der § 142 StGB (Unerlaubtes Entfernen vom Unfallort) ist als Schutzgesetz im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB anzusehen.

2. Rechtskräftige Strafurteile dürfen im Wege des Urkundenbeweises in den Zivilprozess eingeführt werden (§§ 286, 432 ZPO).

VerkehrsR III: Unfallbegriff bei der Unfalllflucht, oder: Panisches Öffnen der Autotür wegen Spinnenphobie

Entnommen wikimedia.org
Author Rainer Lippert

Und dann noch das AG Calw, Urt. v. 07.03.2024 – 8 Cs 33 Js 364/24 -, das ja auch schon den Weg in die NJW gefunden hat (NJW 2024, 1283).

Folgender Sachverhalt:

„Nach der durchgeführten Hauptverhandlung hat das Gericht folgenden Sachverhalt festgestellt:

Am 21.10.2023 gegen 21:49 Uhr saß die Angeklagte bei geschlossener Türe auf dem Rücksitz des PKW … mit dem amtlichen Kennzeichen pp., welcher sich geparkt im Parkhaus pp. des pp, befand. Die Zeugin pp. war in das Fahrzeug auf den Fahrersitz eingestiegen und wollte später mit der Angeklagten und den weiteren beiden Zeuginnen, die sich noch außerhalb des PKW befanden, aus dem Parkhaus ausfahren, um jeweils nach Hause zu fahren. Der PKW befand sich, so wie die Fahrerin, die Zeugin pp. diesen am Morgen dort geparkt hatte, in Ruhestellung und war vollständig ausgeschaltet und mit Handbremse gesichert.

Plötzlich vermeinte die Angeklagte, die an einer schweren Arachnophobie leidet, auf ihrem Körper ein Krabbeln, welches sie einer Spinne zuordnete. In Panik stieß sie darauf die hintere rechte Fahrzeugtüre auf, so dass diese, wie von ihr aufgrund ihrer Erregung nicht vorhergesehen und wahrgenommen, gegen den auf dem rechts daneben gelegenen Parkplatz ordnungsgemäß abgestellten und verlassenen PKW pp. mit dem amtlichen Kennzeichen pp. des Geschädigten pp. stieß und dort wohl eine helle Lackantragung und eine kleine Delle verursachte, was die Angeklagte aufgrund ihrer Phobie in diesem Augenblick nicht bemerkte.

Nachdem die Angeklagte sich beruhigt hatte, als sie festgestellt hatte, dass es sich um keine Spinne gehandelt hatte, begutachtete sie unter anderem mit der Zeugin … die von ihr geöffnete Türe des … und fand dort keinerlei Schäden oder Auffälligkeiten. Daraufhin fuhr die Zeugin … mit der Angeklagten in deren Einvernehmen und den weiteren beiden Zeuginnen davon, ohne dass sie bzw. die Angeklagte auf eine feststellungsbereite Person wartete oder ohne dass die Angeklagte sonst die Feststellung ihrer Person und Unfallbeteiligung ermöglicht hätte.

III.

Die Angeklagte war – vorrangig – aus rechtlichen Gründen freizusprechen, da das festgestellte Verhalten bereits aus rechtlichen Gründen den Tatbestand des § 142 StGB und einer anderen Strafnorm nicht erfüllt, weshalb es auf den wohl auch aus tatsächlichen Gründe zum Freispruch führenden nicht nachweisbaren Vorsatz bezüglich eines Unfalls im Straßenverkehr, eines relevanten Fremdschadens und der eigenen Unfallbeteiligung nicht mehr ankommt.“

Da das AG sein Urteil umfangreich begründet hat, hier nur der Leitsatz, Rest bitte im Volltext nachlesen:

Bei einem Schaden durch „panisches“ – hier: infolge einer schweren Arachnophobie getätigtes – Öffnen der Türe eines in einem Parkhaus stehenden, ausgeschalteten Kraftfahrzeugs liegt ein „Unfall im Straßenverkehr“ im Sinn von § 142 StGB fern, da sich in dem Ereignis keine straßenverkehrsspezifische Gefahr verwirklicht hat.