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Corona II: Ist ein Coronatestzertifikat eine Urkunde?, oder: Urkundenfälschung

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Die zweite Entscheidung zu Corona kommt dann heute aus dem strafrechtlichen Bereich. Das OLG Hamm hat im OLG Hamm, Beschl. v. 23.01.2024 – 4 ORs 162/23 – zur Urkundeneigenschaft eines Coronatestzertifikats Stellung genommen.

Auszugehen war von folgenden Feststellungen: Die Angeklagte erstellte „ein Coronatestzertifikat, das auf den 02.02.2021 datiert wurde und bestätigte, dass der Zeuge R am 01.02.2021 um 17:41 einen negativen Sars-CoV-2 RnA-Test vorgenommen habe. Tatsächlich nahm die Angeklagte aber keine Testung des Zeugen R vor. Zu der Ausstellung des vorgenannten Testzertifikats, das als Aussteller die Institutsambulanz Fachbereich B der LWL  Klinik in L ausweist, war die Angeklagte, wie sie wusste, nicht berechtigt. Ihr war bewusst, dass der Zeuge R. das unrichtige Testzertifikat bei der Firma pp. vorlegen würde, um die IHK-Prüfung ablegen zu können. Das vorgenannte Zertifikat stellte sie dem Zeugen R zur Verfügung, dieser reichte es am 02.02.2021 per Mail bei der Firma pp. ein und erhielt auf diesem Weg Zugang zur IHK-Abschlussprüfung.“

Auf dier Grundlage hat das LG Urkundenfälschung gemäß § 267 Abs. 1 Alt. 1 StGB angenomme. Die Angeklagte habe im Namen der Institutsambulanz der LWL-Klinik L ein Zertifikat über einen erfolgten Coronatest betreffend den Zeugen R erstellt. Dazu sei sie nicht berechtigt gewesen. Aus dem Testzertifikat sei die Institutsambulanz als Aussteller erkennbar. Dieses Testzertifikat solle Beweis über eine stattgefundene Coronatestung erbringen und nachweisen, dass der Test negativ ausgefallen sei.

Dagegen die Revision. Das OLG Hamm hat aufgehoben und frei gesprochen:

„Die auf die Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte Revision der Angeklagten ist zulässig und hat mit der Sachrüge Erfolg.

1. Die Beweiswürdigung des angefochtenen Urteils weist belastende Rechtsfehler auf und hält revisionsgerichtlicher Überprüfung nicht stand……

2. Das Landgericht hat danach zu Unrecht eine Strafbarkeit der Angeklagten wegen Urkundenfälschung (§ 267 StGB) bejaht.

Das im Urteil wiedergegebene Testzertifikat ist keine Urkunde im Sinne des Gesetzes, so dass ihre Herstellung durch die Angeklagte nicht den Tatbestand des Herstellens einer unechten Urkunde oder der Verfälschung einer echten Urkunde erfüllen kann.

Eine Urkunde ist die Verkörperung einer allgemein oder für Eingeweihte verständlichen Gedankenerklärung, die den Aussteller erkennen lässt und geeignet und bestimmt ist, im Rechtsverkehr Beweis zu erbringen. Aus der Urkunde muss danach der geistige Urheber erkennbar sein, also die Person, welche die Gedankenerklärung abgibt. Erkennbarkeit bedeutet, dass derjenige, der (wirklich oder scheinbar) hinter der Urkunde steht, aus ihr als Person bestimmbar ist, wobei es sich nicht um eine Einzelperson handeln muss. Die Identität muss sich zumindest für Beteiligte oder Eingeweihte aus der Urkunde selbst erschließen. Es reicht nicht aus, wenn die Feststellung nur anhand von Umständen möglich ist; die außerhalb der Urkunde liegen (vgl. BGH, Beschluss v. 23.03.2010 — 5 StR 7/10, juris Rn. 4; Fischer StGB 69. Aufl. § 267 Rn. 11 m.w.N.). Unecht ist eine Urkunde dann, wenn sie nicht von demjenigen stammt, der in ihr als Aussteller bezeichnet ist. Entscheidendes Kriterium für die Unechtheit ist die Identitätstäuschung: Über die Person des wirklichen Ausstellers wird ein Irrtum erregt; der rechtsgeschäftliche Verkehr wird auf einen Aussteller hingewiesen, der in Wirklichkeit nicht hinter der in der Urkunde verkörperten Erklärung steht (vgl. BGH, Beschluss v. 21.03.1985 — 1 StR 520/84, juris Rn. 8).

Nach diesen Maßstäben mangelt es vorliegend dem nach den Urteilsfeststellungen von der Angeklagten erstellten Testzertifikat an der Garantiefunktion, da es keinen Aussteller erkennen lässt. Soweit darin als Aussteller eine „Station: Institutsambulanz, Fachb.: B“ angegeben ist, fehlt jeglicher Bezug zur LWL-Klinik L, zumal auch ein derartiges Zertifikat nach den  Bekundungen des Zeugen K von der Klinik nicht benutzt wird, so dass sich auch aufgrund des optischen Eindrucks kein Rückschluss auf die LWL-Klinik L als Aussteller ziehen lässt.

Die auf dem Testzertifikat enthaltenen Angaben, die ggf. auf einen Aussteller hindeuten könnten, reichen schließlich auch nicht aus, um in hinreichender Form auf einen – konkreten – fiktiven Aussteller zu schließen. Die tatsächliche Existenz des scheinbaren Ausstellers ist weder für die Frage der Ausstellererkennbarkeit noch für die Frage der Täuschung über die Ausstelleridentität Voraussetzung (vgl. OLG Gelle, Beschluss v. 19.10.2007 — 32 Ss90/07, juris Rn. 37; BGH, Urteil v. 27.09.2002 — 5 StR 97/02, juris Rn. 15). Es handelt sich vorliegend aber bei den Ausstellerangaben insgesamt um Allerweltsbezeichnungen mit erkennbar fehlender Individualisierung. Es wird dabei gerade nicht auf einen bestimmten Aussteller verwiesen.

3. Die Angeklagte hat sich auch nicht nach §§ 277, 278 StGB a.F. strafbar gemacht, da das als Gesundheitszeugnis anzusehende Testzertifikat nach den Feststellungen nicht zum Gebrauch bei einer Behörde oder Versicherungsgesellschaft ausgestellt worden ist, so dass die Tatbestandsvoraussetzungen nicht gegeben sind.

4. Das angefochtene Urteil kann daher aus Rechtsgründen keinen Bestand haben und war gemäß § 353 Abs. 1 StPO aufzuheben.

Es ist aufgrund der erfolgten Inaugenscheinnahme des Testzertifikats seitens des Senats sicher auszuschließen, dass sich die Feststellung, dass das Testzertifikat die LWL-Klinik Lals Aussteller ausweist, anderweitig treffen lässt. Darüber hinaus kann der Senat auch sicher ausschließen, dass eine Urkundeneigenschaft des Testzertifikats aufgrund eines fiktiven Ausstellers angenommen wird.

Da somit auszuschließen ist, dass weitere erhebliche Feststellungen nach einer Zurückverweisung möglich sind und die Aufhebung des Urteils nur wegen fehlerhafter Rechtsanwendung auf den festgestellten Sachverhalt erfolgt, kann der Senat in der Sache selbst entscheiden (§ 354 Abs. 1 StPO) und die Angeklagte aus sachlich-rechtlichen Gründen freisprechen.“

Corona I: Reisestorno nach Beherbergungsverbot, oder: Rückerstattung der Vorauszahlung

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Und heute dann mal wieder Aufarbeiten der Coronapandemie, und zwar mit einer Entscheidung des BGH und einem Beschluss des OLG Hamm. Also bitte nicht erstaunt sein, wenn es an einem Montag Zivilrecht gibt.

Und ich beginne dann gleich mit dem zivilrechtlichen BGH, Urt. v. 24.01.2024 – XII ZR 123/22 – zu folgendem Sachverhalt: Gestritten wird um die Rückzahlung einer vom Kläger geleisteten Anzahlung für von ihm bei der Beklagten gebuchte Hotelzimmer. Der Kläger, der mit seinem Reisebusunternehmen u.a. touristische Gruppenreisen veranstaltet, buchte für seine Saisoneröffnungsfahrten vom 19. bis zum 22.03.2020 und vom 26. bis zum 29.03.2020 in einem Hotel der Beklagten Übernachtungen einschließlich Frühstücksbuffet, Mittagessen, Kaffeetafel und Abendessen mit kalten und warmen Speisen. Die vom Kläger unterzeichnete Reservierungsbestätigung der Beklagten vom 25.10.2019 enthielt u.a. folgende Stornierungsbedingungen: „(…), ab 1 Woche berechnen wir 80 % auf die gebuchten Leistungen. (…) Stornierungen am Anreisetag oder Nichtanreisen werden mit 90 % berechnet.“

Unter Berücksichtigung des tatsächlichen Buchungsumfangs stellte die Beklagte dem Kläger unter dem 26.02.2020 eine Depositrechnung in Höhe von insgesamt 10.356 EUR, auf die der Kläger am 4. und 5.03.2020 vereinbarungsgemäß 8.426,40 EUR als Vorauszahlung überwies.

Es kommt dann im März 2020 zum ersten Lockdow, in dem es Betreibern von Hotels untersagt ist/wird, „Personen zu touristischen Zwecken zu beherbergen“. Der Landkreis, in dem sich das Hotel der Beklagten befindet, erließ am 18.03.2020 eine entsprechende Allgemeinverfügung, die für sofort vollziehbar erklärt wurde.

Nach einem am 17.03.2020 mit einer Hotelmitarbeiterin geführten Telefongespräch teilte die Beklagte dem Kläger mit E-Mail vom 18.03 2020 unter dem Betreff „Storno“ mit: „Die Gruppenreise für (…) haben wir erstmals bei uns Storniert. Die Anzahlung haben wir auf ein „Gutschein“ Konto umgebucht & halten dieses bis zum Umbuchungstermin offen. Wir würden uns sehr über einen Alternativtermin freuen.“

Auf E-Mail-Aufforderungen des Klägers zur Rückzahlung seiner Vorauszahlung teilte die Beklagte diesem mit E-Mails vom 22.05.2020 bzw. 30. 07. 2020 mit, dass man den Vorgang an die Buchhaltung zur Rückzahlung weitergeleitet habe.

Der Kläger hat dann Zahlung von 8.426,40 EUR verlangt. Und er hatte sowohl vom LG als auch beim OLG Erfolg. Die Revision der Beklagte hatte dann beim BGH keinen Erfolg. Ich will jetzt nicht die gesamten Urteilsgründe einstellen, sondern überlasse die dem Selbststudium.

Nur soviel: Der BGH hat den geltend gemachten An­spruch auf Rück­erstat­tung der ge­leis­te­ten Vor­aus­zah­lung bestätigt. Die vertraglich geschuldete Bereitstellung der Hotelzimmer für touristische Übernachtungen sei durch die behördliche Anordnung untersagt worden, sodass der vereinbarte Leistungserfolg nicht mehr habe herbeigeführt werden können. Damit sei rechtliche Unmöglichkeit eingetreten. Auch eine Verschiebung der Reisen auf einen Zeitraum nach der Aufhebung des Beherbergungsverbots habe dem Kläger nicht zugemutet werden können, zumal gar nicht absehbar gewesen sei, wie lange die Pandemie dauern werde.

Die Entscheidung hat folgende amtliche Leitsätze:

1. Zur Frage der Unmöglichkeit der von einem Beherbergungsbetrieb geschuldeten Leistung aufgrund eines im Vertragszeitraum geltenden Beherbergungsverbots zu touristischen Zwecken als Schutzmaßnahme zur Be-kämpfung der COVID-19-Pandemie.

2. Eine Anpassung vertraglicher Verpflichtungen an die tatsächlichen Umstände kommt grundsätzlich dann nicht in Betracht, wenn das Gesetz in denVorschriften über die Unmöglichkeit der Leistung die Folge der Vertragsstörung bestimmt. Daher scheidet eine Anwendung des § 313 BGB aus, soweitder Tatbestand des § 275 Abs. 1 BGB erfüllt ist (im Anschluss an SenatsurteilBGHZ 233, 266 = NZM 2022, 514).

Corona II: Zulässigkeit einer fristlosen Kündigung, oder: Täuschung über Impffähigkeit

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Und als zweite Entscheidung aus dem Komplex „Corona-Nachbereitung“ etwas aus dem Arbeistrecht – ja , richtig: Arbeitsrecht 🙂

Es handelt sich um das BAG, Urt. v. 14.12.2023 – 2 AZR 55/23. Es betrifft die Frage der Zulässigkeit einer fristlosen Kündung eines Arbeitsverhältnisses nach einer (entdeckten) Täuschung über die Impffähigkeit.

Fristlos gekündigt worden ist das Arbeitsverhältnis einer Krankenschwester.Die hatte sich wegen Bedenken gegen die Corona-Impfung nicht impfen lassen wollen. Um das zu erreichen, hat sie im  Internet nach einer Möglichkeit, gesucht trotz der bestehenden einrichtungsbezogenen Impfpflicht den Arbeitsplatz im Krankenhaus auch ohne die mRNA-Impfung zu behalten. Sie hat deshalb ein von einer (vermeintlichen) Ärztin unterschriebenes Attest erworben, in dem ihr vorläufige Impfunfähigkeit bescheinigt wurde. Ohne Überprüfung durch ein Allergiegutachten könne eine Impfung gegen das Covid-Virus schwerwiegende, wenn nicht sogar tödliche Wirkung haben. Entgegen dieser Bescheinigung hatte aber keine Kommunikation zwischen der Krankenschwester und das Attest ausstellenden Ärztin stattgefunden. Die Krankenschwester hat dieses Attest bei ihrem Arbeitgeber eingereicht, der es dann Gesundheitsamt vorgelegt hat.

Dort wurde die Fälschung als solche erkannt, weil die ausstellende Ärztin überhaupt nicht existierte. Der Arbeitsgeber hat daraufhin fristlos gekündigt. Dagegen die Kündigungsschutzklage der Krankenschwester, die beim ArbG Erfolg hatte. Das LAG hat dann aber die Kündigung bestätigt. Die Revision der Krankneschwester hatte beim BAG keinen Erfolg

Hier der Leitsatz der Entscheidung:

Ein in der Patientenversorgung eingesetzter Arbeitnehmer, der im Geltungsbereich von § 20a IfSG idF vom 10. Dezember 2021 wahrheitswidrig behauptet, aufgrund einer ärztlichen Untersuchung sei festgestellt worden, dass er vorläufig nicht gegen das Coronavirus Sars-CoV-2 geimpft werden könne, verletzt in erheblicher Weise eine arbeitsvertragliche Nebenpflicht..

Ich empfehle im Übrigen die Entscheidung dem Selbststudium: Das BAG führt darin u.a. aus, dass  die Täuschung über die Impffähigkeit grundsätzlich für nach § 626 Abs. 1 BGB geeignet, sei, einen irreparablen Vertrauensbruch zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmerin zu begründen. Ob sich die Krankenschwester tatsächlich für impfunfähig hielt oder ob sie sich mit der Vorlage des falschen Attests strafbar gemacht habe, sei irrelevant. Maßgeblich sei, dass sie den Eindruck erweckt habe, sie sei ärztlich untersucht und für impfuntauglich befunden worden.

Corona I: Bestimmung des Erlangten für Arrest, oder: Arrestanordnung gegen Michael Ballweg?

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Und dann geht es in die 6. KW/2024 mit zwei Entscheidungen zu den Nachwirkungen von Corona. Nicht gesundheitlich, sondern rechtlich.

Zunächst stelle ich den OLG Stuttgart, Beschl. v. 24.01.2024 – 1 Ws 181/23 – vor. Er dürfte den „Querdenker-Chef“ Michael Ballweg betreffen. Nein, es ist nicht die Entscheidung betreffend die Eröffnung des Hauptverfahrens/Zulassung der Anklage, der OLG Stuttgart, Beschl. v. 24.01.2023 – 1 Ws 177/23 – über den ja nach seinem Erlass an mehreren Stellen berichtet worden ist. Ich hatte dazu beim OLG wegen einer möglichen Veröffentlichung angefragt. Aber man gibt unter Hinweis auf § 353d StGB die Entscheidung nicht frei, was ich nachvollziehen kann, bin ja schließlich „gebranntes Kind“.

Aber: Man hat den am selben Tag erlassenen Beschlss in 1 Ws 181/23 veröffentlicht (was ich dann nicht so ganz nachvollziehen kann). Der betrifft die Frage einer Arrestes in der Sache. Den hat das OLG angeordnet, was m.E. auf der Grundlage der Eröffnung des Hauptverfahrens nur konsequent ist.

Das OLG führt insofern aus:

„Aufgrund der durchgeführten Ermittlungen besteht (weiter) Tatverdacht u.a. dahingehend, dass sich der Angeklagte als „Kopf“ der von ihm im Zuge der Proteste gegen Beschränkungen im Rahmen der Bekämpfung der Corona-Pandemie ins Leben gerufenen Querdenken 711-Kampagne spätestens im Mai 2020 dazu entschloss, seine durch vorgängige Protestmaßnahmen gewonnene Popularität auch für private Zwecke zu nutzen und sich insbesondere zu seinen Gunsten durch die Spendenbereitschaft seiner Anhänger Einnahmen von einiger Dauer und einigem Umfang zur Bestreitung seines Lebensunterhalts und zur Mehrung seines Vermögens zu verschaffen. Durch Umsetzung dieses Plans hat er von hiernach vereinnahmten Geldern lediglich eine Teilsumme für Querdenken 711 verwendet und sich dadurch u.a. wegen versuchten Betruges in einem besonders schweren Fall in 9.450 tateinheitlichen Fällen strafbar gemacht1.

II.

Bei diesen (Tat-)Verdachtsmomenten besteht Grund zu der Annahme, dass die Voraussetzungen für die Einziehung gemäß §§ 73 ff. StGB im Hinblick auf den Schuldner vorliegen (§ 111e Abs. 1 StPO). Der Senat hat die mit Beschluss des Landgerichts Stuttgart vom 6. Oktober 2023 abgelehnte Eröffnung des Hauptverfahrens hinsichtlich des in der Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Stuttgart vom 20. März 2023 erhobenen Tatvorwurfs des versuchten Betruges aufgehoben, die bezeichnete Anklage auch insoweit zugelassen und das Hauptverfahren vor der 10. Großen Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts Stuttgart eröffnet.

 

Vor diesem Hintergrund ist bei Inblicknahme der gegebenen Sachlage erwartbar, dass gegen den Angeklagten die gerichtliche Anordnung einer Einziehung nach §§ 73 ff. StGB ergehen wird. Der Angeklagte hat naheliegend annehmbar durch eine rechtswidrige Tat i.S.v. § 73 Abs. 1 StGB etwas, nämlich Gelder, erlangt. Die Einziehung dieses Tatertrags ist nicht möglich (§ 73c Satz 1 StGB), nachdem die vereinnahmten Gelder mit sonstigen „Guthaben“ des Angeklagten vermischt bzw. von ihm weiterverfügt wurden. Klarstellend ist weiter Folgendes zu bemerken:

Maßgebende Regel für die Bestimmung des Erlangten i.S.v. § 73 StGB ist das sogenannte Bruttoprinzip. Erlangt ist hiernach jede Bereicherung, die aufgrund der jeweils in Rede Straftat eingetreten ist, namentlich die Tatbeute. Der konkrete Umfang und Wert des Erlangten einschließlich abzuziehender Aufwendungen können geschätzt werden (§ 73d Abs. 2 StGB).

1. Bei Zugrundelegung dieser Maßstäbe sind bei der aktuell gegebenen Aktenlage unter Berücksichtigung der Ausführungen im wesentlichen Ergebnis der Ermittlungen in der Anklageschrift und den von der Verteidigung zuletzt mit Schriftsatz vom 29. Dezember 2023 angebrachten Erwägungen belastbar tatbedingte Vereinnahmungen des Angeklagten in Höhe von € 1.269.902,58 gegeben2 . Geht man zu dessen Gunsten weiter davon aus, dass sich die Annahme der Staatsanwaltschaft, wonach der Angeklagte einen Betrag von € 843.111,68 für Querdenken 711 „getätigt“ hat, bestätigen lässt, bleibt dieser Betrag entsprechend der in § 73e Abs. 1 Satz 1 StGB getroffenen Regelung bei der zu einem späteren Zeitpunkt anstehenden Entscheidung über die Einziehung von Taterträgen außer Betracht. Vor diesem Hintergrund bringt der Senat eine entsprechende Summe bereits jetzt im Hinblick auf die gebotene Sicherungsanordnung in Abzug.

2. Überdies ist die gegen die pp. GmbH ergangene Arrestanordnung zu beachten. Um eine Doppel-Inanspruchnahme des Angeklagten zu vermeiden, sind daher von dem Betrag, der sich nach Vornahme des unter II. Ziff. 1 beschriebenen Subtraktionsverfahrens errechnet, weitere € 131.000 abzuziehen.

3. Der hiernach verbleibende Geldbetrag ist sodann unter Berücksichtigung des – ursprünglich in der Härteklausel des § 73c StGB a.F. kodifizierten und als Ausprägung des Verhältnismäßigkeitsprinzips weiterhin gültigen – Übermaßverbots sowie jedenfalls bis zum Abschluss der anstehenden Hauptverhandlung und dem Ergebnis der im Zuge dessen durchgeführten Beweiserhebungen einzukalkulierenden Unwägbarkeiten und nicht fernliegend erwartbaren gerichtlichen Einstellungsentscheidungen im Hinblick auf weniger strafwürdig erscheinende Fälle mit kleineren Geldbeträgen um einen angemessenen Sicherheitsabschlag, den der Senat auf etwa 30% bemisst, noch weiter auf € 200.000 zu verringern.

Die Anordnung eines entsprechenden Vermögensarrestes ist vor dem Hintergrund des bezeichneten Vorgehens und finanziellen Gebarens des Angeklagten geboten, da sonst zu befürchten ist, dass eine spätere Vollstreckung des staatlichen Anspruchs auf Einziehung des Wertes des Tatertrages wesentlich erschwert wenn nicht vereitelt würde. Auch bei Vornahme der erforderlichen Gesamtschau ist die Anordnung in der nunmehr fixierten Größenordnung nicht unverhältnismäßig.

Fußnoten
1)Wegen Einzelheiten wird auf die Ausführungen in der Anklageschrift vom 20.03.2023 Bezug genommen.
2) Soweit in der Anklageschrift anknüpfend hieran Bareinzahlungen „weiterer (…) Beträge“ auf das „Querdenken-Konto“ in Höhe von € 204.815,95 thematisiert werden, ist ein kausaler Zusammenhang mit den in Rede stehenden Betrugstaten derzeit nicht ersichtlich.“

StGB I: Eine Karikatur mit Hakenkreuz auf Twitter, oder: Kunstfreiheit oder Meinungsäußerung

Ausschnitt aus einem Bild von Bild von Photo Mix auf Pixabay

Und dann heute wieder drei Entscheidungen aus der Kiste: „Materielles Recht“, also StGB.

Ich beginne mit dem BayObLG, Beschl. v. 29.11.2023 – 202 StRR 88/23. Der äußert sich mal wieder/noch einmal zur Strafbarkeit nach § 86a StGB wegen Verwendens einer ein Hakenkreuz enthaltenden Karikatur auf Twitter.

Das AG hat den Angeklagten wegen Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen schuldig gesprochen, aber von der Verhängung einer Strafe abgesehen. Auf die hiergegen von der Staatsanwaltschaft eingelegte Berufung, die auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt war, hat das LG das erstinstanzliche Urteil dahin abgeändert, dass der Angeklagte zu einer Geldstrafe verurteilt worden ist. Die Berufung des Angeklagten wurde als unbegründet verworfen. Mit seiner gegen das Berufungsurteil gerichteten Revision rügt der Angeklagte die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Seine Revision hatte keinen Erfolg.

Das LG hatte folgende tatsächliche Feststellungen getroffen:

„Am 23.06.2022 entdeckte der Angeklagte, der Mitglied der AfD ist, auf seinem Twitter-Account einen Beitrag eines anderen Twitter-Nutzers mit einem Bild. Diesen „Tweet“ mit dem Bild teilte der Angeklagte auf seinem Twitter-Account mit seinerzeit ca. 13.000 „Followern“. Das Bild zeigt die realistische Zeichnung des Körpers einer Frau, die ein blaues Kleid mit EU-Flagge auf dem Bauch trägt. Das Kleid wird nach oben geweht, so dass das rote Innenfutter mit einem Hakenkreuz in einem weißen Kreis auf Höhe des Oberschenkels deutlich erkennbar ist. Über dem Bild ist der Kommentar „Bin mal auf den shitstorm gespannt…“ zu lesen.2

Wie gesagt, auch das BayObLG ist der Auffassung, dass ein Verstoß gegen § 86a StGB vorliegt. Hier die Leitsätze zu der recht umfangreiche begründeten Entscheidung:

    1. Das „Teilen“ einer Abbildung mit einem Hakenkreuz, das dem Angeklagten von einem Dritten auf seinem Twitter-Account eingestellt wurde, mit seinen ca. 13.000 „Followern“ stellt ein öffentliches Verwenden des Kennzeichens einer verfassungswidrigen Organisation dar.
    2. Eine auf Grund des Schutzzwecks des § 86a Abs. 1 StGB erforderliche Einschränkung des Tatbestands ist nur dann gerechtfertigt, wenn sich auf Anhieb aus der Abbildung in eindeutiger und offenkundiger Weise die Gegnerschaft des Angeklagten zur NS-Ideologie ergibt.
    3. Eine Verhaltensweise dient der staatsbürgerlichen Aufklärung im Sinne des § 86 Abs. 4 i.V.m. § 86a Abs. 3 StGB, wenn es um die Vermittlung von Wissen zur Anregung der politischen Willensbildung geht.
    4. Ein Ausschluss der Strafbarkeit wegen Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger und terroristischer Organisationen aufgrund der Kunstfreiheit (§ 86 Abs. 4 i.V.m. § 86a Abs. 3 StGB) kommt nur dann in Betracht, wenn das Handeln des Angeklagten dem Werkbereich oder dem Wirkbereich künstlerischen Schaffens unterfällt, was dann nicht der Fall ist, wenn er weder Hersteller des Werks ist noch von diesem mit der Verbreitung betraut wurde.
    5. Die Meinungsäußerungsfreiheit nach Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG wird durch § 86a StGB als allgemeines Gesetz im Sinne des Art. 5 Abs. 2 GG eingeschränkt. Der Bedeutung des Grundrechts der Meinungsäußerungsfreiheit wird dadurch hinreichend Rechnung getragen, dass durch die teleologische Reduktion des Straftatbestands Fälle, in denen die Gegnerschaft des Handelnden zu der verfassungswidrigen Organisation zweifelsfrei und auf Anhieb ersichtlich wird, von der Strafbarkeit ausgenommen werden.