Archiv der Kategorie: Corona

Corona II: Unterbrechung der Hauptverhandlung, oder: Zusammenspiel der Hemmungsvorschriften

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In der zweiten Entscheidung, dem BGH, Beschl. v. 23.10.2024 ? 2 StR 471/23 -, der zur Veröffentlichung in BGHSt vorgesehen ist, geht es um eine Problematik in Zusammenhang mit der Unterbrechung der Hauptverhandlung (§ 229 StPO). Stichwort: Anwendbarkeit der „Sonderhemmungsvorschrift des § 10 EGStPO.

Der Angeklagte hat mit seiner Revision einen Verstoß gegen § 229 Abs. 1 StPO in Verbindung mit § 10 EGStPO gerügt. Fem lag folgendes Verfahrensgeschehen zugrunde:

Die Hauptverhandlung in dem anfänglich gegen fünf Angeklagte geführten Verfahren, die am 13.11.2019 begonnen hatte, wurde – nach vorangegangenem Hauptverhandlungstermin vom 18.11.2021 – am 25.11.2021, dem 106. Hauptverhandlungstag, unterbrochen. Das gegen die Angeklagte gerichtete Verfahren wurde am selben Tage abgetrennt, weil die sachverständig beratene Strafkammer die Verhandlungsunfähigkeit der Angeklagten unter anderem wegen einer akuten schweren depressiven Erkrankung mit ungewissem Ausgang festgestellt hatte. Obwohl die Angeklagte am 13.01.2022 wieder verhandlungsfähig war, wurden die in der Folge für den 24. und 25.01.2022 bestimmten Hauptverhandlungstermine aufgehoben, da sich die Angeklagte vom 20.01.2022 bis zum 31.01.2022 aufgrund eines Kontakts mit Personen, die mit dem SARS-CoV-2-Virus infiziert waren, in Quarantäne befand. Ein weiterer für den 09.02.2022 anberaumter Hauptverhandlungstermin entfiel ebenfalls, weil ein Mitglied der Strafkammer in der Zeit vom 06.02.2022 bis zum 13.02.2022 wegen einer Infektion mit dem SARS-CoV-2-Virus nicht an der Hauptverhandlung teilnehmen konnte. Die Hauptverhandlung wurde sodann am 23.02.2022 fortgesetzt.

Das Landgericht stellte am 04.03.2022 durch Beschluss fest, dass der Lauf der Unterbrechungsfrist gemäß § 229 Abs. 1 StPO in der Zeit vom 18.11.2021 bis zum 13.01.2022 wegen der Erkrankung der Angeklagten gehemmt gewesen sei; zudem sei gemäß § 10 Abs. 1 Satz 1 EGStPO die Frist des § 229 Abs. 1 StPO in der Zeit vom 20.012022 bis zum 31.012022 und vom 06.02.2022 bis zum 13.02.2022 gehemmt gewesen, weil in diesen Zeiträumen eine Hauptverhandlung aufgrund von Schutzmaßnahmen zur Eindämmung der Covid-19-Pandemie nicht habe stattfinden können.

Die Revision hatte einen Rechtsfehler darin gesehen, dass das LG neben dem Hemmungstatbestand des § 229 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 StPO weitere Hemmungszeiträume auf § 10 Abs. 1 Satz 1 EGStPO gestützt habe, da weder eine mehrfache Anwendung des § 10 Abs. 1 Satz 1 EGStPO ohne dazwischen liegenden Verhandlungstag noch eine kumulative Anwendung beider Vorschriften in Betracht komme.

Der BGH sieht das anders. Ich stelle hier dann nur den Leitsatz des BGH ein, und zwar:

1. Innerhalb eines Unterbrechungszeitraumes konnte § 10 Abs. 1 Satz 1 EGStPO in der Fassung vom 27. März 2020 mehrfach greifen, ohne dass zwischen den Hemmungszeiträumen zur Sache verhandelt worden sein musste.

2. § 10 Abs. 1 Satz 1 EGStPO trat als weiterer Hemmungstatbestand neben § 229 Abs. 3 Satz 1 StPO, so dass beide Vorschriften kumulativ zur Anwendung kommen konnten.

Rest bitte selbst lesen. Entscheidung muss man sich merken, wenn solche Fragen mal wieder – hoffentlich nicht – eine Rolle spielen.

Corona I: Abrechnungsbetrug bei Corona-Tests, oder: Unter falschem Namen betriebene Teststellen

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In die 8. KW./2025 geht es dann mit zwei „Corona-Entscheidungen“. Das sind dann mal wieder „Nachbereitungs-/Aufarbeitungsentscheidungen“ zur Corona-Pandemie. Beide Entscheidungen kommen vom BGH.

Ich stelle hier zunächst den BGH, Beschl. v. 04.12.2024 – 5 StR 498/23 – vor. Es geht um Abrechnungsbetrug in Zusammenhang mit der Durchführung von Corona-Tests. Das LG Berlin hatte den Angeklagten C. im März 2023 wegen Betrugs in 67 Fällen unter Einbeziehung einer Strafe aus einer rechtskräftigen Vorverurteilung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von acht Jahren und neun Monaten verurteilt. Gegen seine Schwester, die Angeklagte W., hatte es wegen Beihilfe zum Betrug in 17 Fällen eine Freiheitsstrafe von einem Jahr und neun Monaten verhängt, deren Vollstreckung es zur Bewährung ausgesetzt hat,

Nach den Feststellungen des LG betrieb der Angeklagte C. in Berlin mehrere Spätkaufgeschäfte und Gaststätten. Er hatte sich dann durch die Senatsverwaltung für Gesundheit für 18 Teststellen mit der Durchführung von Corona-Tests beauftragen lassen, wobei er bis auf zwei alle Teststellen unter Fremd- und Falschpersonalien anmeldete. Zwischen Mai und Oktober 2021 rechnete er bei der KV Berlin für alle 18 Teststellen in einer Vielzahl von Fällen Testleistungen ab, die nicht durchgeführt worden waren. So fanden an elf Standorten in Wahrheit überhaupt keine Corona-Tests statt, an den übrigen sieben Teststellen stets deutlich weniger als in den Abrechnungen angegeben. Aufgrund der Abrechnungen überwies die KV Berlin insgesamt 9.733.981,04 EUR auf verschiedene Konten, darunter auch auf solche der Angeklagten W. Nach den Feststellungen unterstützte diese ihren Bruder durch die Bereitstellung der Konten, die Veranlassung von Bargeldauszahlungen und durch die Gestattung der Verwendung ihrer Personalien zum Betrieb von Teststellen.

Hinsichtlich der unter falschen Personalien betriebenen Teststellen hat das LG den gesamten Auszahlungsbetrag als Schaden angesetzt, auch wenn an diesen Stationen vereinzelt Tests durchgeführt wurden, da die Testleistungen in diesen Fällen nicht durch die beauftragte Person erbracht worden seien. Bei einer unter eigenem Namen betriebenen Teststelle hat das LG hingegen die Vergütung ermittelt, die auf die dort nach ihrer Schätzung tatsächlich erbrachten Testleistungen entfiel, und zwar 63.879,03 EUR, und diese von der Schadenssumme abgezogen, da dem Angeklagten C. insoweit ein Erstattungsanspruch zugestanden habe. In dieser Höhe hat sie von einer Einziehung des Wertes von Taterträgen gegenüber beiden Angeklagten abgesehen.

Der BGH hat nun auf die Revision der Staatsanwaltschaft, die lediglich eine Korrektur des Einziehungssauspruchs verfolgte, das Urteil hinsichtlich des Angeklagten C. in den betreffenden Fällen und im Gesamtstrafenausspruch aufgehoben. Das LG habe sein Urteil insoweit auf lückenhafte und widersprüchliche Feststellungen gestützt. Es habe insbesondere Umstände außer Betracht gelassen, die eine dem angenommenen Erstattungsanspruch entgegenstehende Betrugsstrafbarkeit begründen könnten. Nicht in den Blick genommen habe das LG Hinweise darauf, dass der Angeklagte C. seine Dokumentationspflichten nicht erfüllt und in seinen Teststellen sowohl ungeschultes Personal eingesetzt habe als auch bei Abnahme der Tests die Wartezeit nicht eingehalten worden seien. Da somit im Raum stehe, dass er bei den Abrechnungen einheitlich auch über diese Umstände und nicht nur – wie das LG angenommen habe – über die Anzahl der durchgeführten Tests täuschte, hatte konnte der Schuldspruch des Angeklagten C. in den betroffenen Fällen keinen Bestand haben. Dies führt dann insoweit auch zum Wegfall des Rechtsfolgenausspruchs sowie zur Aufhebung der Verurteilung der Angeklagten W.

Es ist ein umfangreich begründeter Beschluss, daher hier nur die Zusammenfassung. Bei Interesse bitte im Volltext selbst lesen.

Corona: Falsche Dokumentation von Coronaimpfung, oder: Verstoß gegen § 74 Abs. 2 IFSG

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Und dann am Montag zum Wochenstart zwei StGB-Entscheidungen zu Themen, die uns in den letzten Jahren besonders beschäftigt haben.

Da ist hier zunächst der BGH, Beschl. v. 4 StR 75/24, der sich noch einmal mit der Coronapandemie befasst.

Das LG hatte den Angeklagten wegen unrichtiger Dokumentation einer Schutzimpfung gegen das Coronavirus SARS-CoV-2 in 207 Fällen, davon in 190 Fällen in Tateinheit mit dem Ausstellen unrichtiger Gesundheitszeugnisse, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und zehn Monaten verurteilt. Dagegen die Revision, die keinen Erfolg hatte.

Das LG hat – so führt der BGH aus – im Wesentlichen folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:

Der Angeklagte ist approbierter Arzt und betreibt in R. eine Privatarztpraxis mit Schwerpunkt Naturheilverfahren. Ungeachtet seiner Skepsis gegenüber Impfungen gegen das Coronavirus SARS-CoV-2 ließ er sich als „Impfarzt“ registrieren und bezog ab Juni 2021 in großem Umfang Impfstoffe.

Entsprechend seines jeweils zuvor gefassten Tatentschlusses „bescheinigte“ der Angeklagte im Zeitraum vom bis zum in 207 Fällen bewusst wahrheitswidrig seinen Patienten auf deren Wunsch die Durchführung einer Impfung gegen das Coronavirus, ohne eine solche tatsächlich vorgenommen zu haben. Dabei trug er im Wissen darum, dass eine Impfung tatsächlich nicht von ihm vorgenommen worden war, das vermeintliche Datum der Impfung, den vermeintlich verwendeten Impfstoff (Spikevax von Moderna, Comirnaty von Biontech oder Janssen von Johnson & Johnson) in den jeweiligen Impfausweis der Patienten ein bzw. klebte den entsprechenden Chargenaufkleber in den Impfausweis; die jeweilige Eintragung versah er mit einem Stempel seiner Praxis sowie seiner Unterschrift. In sämtlichen Fällen handelte er in der Absicht, seinen Patienten die Vorlage einer Impfdokumentation zur Täuschung im Rechtsverkehr zu ermöglichen. In einigen Fällen bescheinigte der Angeklagte auf Wunsch seiner Patienten auch die Impfung von Familienangehörigen, die in der Praxis des Angeklagten gar nicht vorstellig geworden waren.

Das Landgericht hat dieses Verhalten des Angeklagten als unrichtige Dokumentation einer Schutzimpfung gegen das Coronavirus SARS-CoV-2 in 207 Fällen gemäß § 74 Abs. 2 IfSG gewertet und in den nach Inkrafttreten des § 278 StGB nF begangenen 190 Fällen tateinheitlich den Straftatbestand des § 278 Abs. 1 StGB als verwirklicht angesehen, weil der Angeklagte zugleich zur Täuschung im Rechtsverkehr als Arzt ein unrichtiges Zeugnis über den Gesundheitszustand eines Menschen ausgestellt hat.“

Der BGH sagt:

„Der Schuldspruch wegen unrichtiger Dokumentation einer Schutzimpfung gegen das Coronavirus SARS-CoV-2 in 207 Fällen hält rechtlicher Nachprüfung stand. Die beweiswürdigend belegten Feststellungen tragen die Verurteilung wegen eines Verstoßes gegen § 74 Abs. 2 IfSG. Die wissentlich wahrheitswidrige Dokumentation einer tatsächlich nicht durchgeführten Impfung gegen das Coronavirus SARS-CoV-2 durch eine impfberechtigte Person, die zur Täuschung im Rechtsverkehr erstellt wird, erfüllt den Straftatbestand des § 74 Abs. 2 IfSG.

Und das begründet der BGH dann im Einzelnen recht umfangreich. Ich stelle die Begründung hier nicht ein, sondern verweise auf den Volltext. Wer noch Interesse an dem Thema hat, der kann es ja dort nachlesen.

StGB III: Nochmal etwas zur Corona-Pandemie, oder: Ausstellen unrichtiger Gesundheitszeugnisse

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Und im dritten Posting dann Nachbereitung/ strafrechtliche Aufbereitung der Corona-Pandemie. An der Stelle ist es mit der Veröffentlichung von Entscheidungen recht ruhig geworden. Der Beschluss des OLG Celle stammt auch schon aus 2022, ist aber erst jetzt veröffentlich worden. Ich will den OLG Celle, Beschl. v. 16.11.2022 – 2 Ss 137/22 – aber der Vollständigkeit halber hier doch noch – zumindest mit seinem Leitsatz – vorstellen.

Behandelt wird das Ausstellen unrichtiger Gesundheitszeugnisse. Das AG hatte den Angeklagten im April 2022 wegen mehrerer Fälle verurteilt. Nach den Feststellungen stellte der  als Kinder- und Jugendarzt tätige Angeklagte in der Zeit vom 01.08.2020 bis zum 05.05.2021 insgesamt 29 Gesundheitszeugnisse aus, die die darin benannten Personen von der durch verschiedene Landes-Verordnungen angeordneten Verpflichtung, eine Mund-Nasen-Bedeckung zu tragen, befreien sollten und die jeweils mit einem Arzt-Stempel versehen und vom Angeklagten unterzeichnet waren. Der Erstellung der Gesundheitszeugnisse lag jeweils keine vorherige Begutachtung oder körperliche Untersuchung der Personen zugrunde, obwohl dem Angeklagten bewusst war, dass eine solche zuvor durchzuführen gewesen wäre. Nach den Feststellungen des AG hatten sich die in den 29 Gesundheitszeugnissen aufgeführten Personen zuvor an den Angeklagten mit dem Ziel gewandt, eine entsprechende Befreiung von der Verpflichtung, eine Mund-Nasen-Bedeckung zu tragen, zu erlangen; sie zeigten die ausgestellten Gesundheitszeugnisse nach deren Anfertigung durch den Angeklagten in Schulen sowie bei Kontrollen durch die Polizei an öffentlichen Orten vor.

Zur Beweiswürdigung hatte das AG ausgeführt, der Angeklagte habe die Erstellung der 29 Gesundheitszeugnisse eingeräumt, indes die Rechtsauffassung vertreten, es handele sich nicht um Gesundheitszeugnisse, weil er in allen 29 Fällen lediglich allgemein die nach seiner Auffassung stets mit dem Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung einhergehende Beschränkung der vitalen Atmungsfunktion dargelegt habe. Zum Inhalt der Gesundheitszeugnisse hat das AG im Rahmen der Beweiswürdigung ergänzend festgestellt, dass der Angeklagte die Gesundheitszeugnisse anfänglich mit „Befreiung“ und bei Kindern und Jugendlichen mit „Fachärztliches Attest“ überschrieben habe; seit einer ihm bekannten Entscheidung des OVG Münster vom 24.09.2020 habe der Angeklagte die im Folgenden ausgestellten Gesundheitszeugnisse mit „Attest“ überschrieben und diesem jeweils eine Anlage beigefügt, die u.a. folgenden Wortlaut hatte: „Die Beschwerden, die von (Name) nachvollziehbar geäußert werden, weisen ohne Zweifel auf eine schwerwiegende Beeinträchtigung des Stoffwechsels durch das Tragen der Mund-Nasen-Bedeckung (MNB) hin (…).“

Rechtlich hat das Amtsgericht die festgestellten Tathandlungen als Ausstellen eines unrichtigen Gesundheitszeugnisses in 29 Fällen gem. § 278 StGB in der Fassung bis einschließlich zum 23.11.2021 gewertet.

Dagegen die Sprungrevision des Angeklagten, die mit der Sachrüge Erfolg gehabt hat. Das OLG Moniert, dass es auf der Grundlage der knappen Feststellungen des AG-Urteils zum Inhalt der erstellten Gesundheitszeugnisse nicht beurteilen kann, ob diese inhaltlich unrichtig sind.

Hier dann die Leitsätze zu der Entscheidung:

1. Ein ärztliches Attest über die medizinische Kontraindikation des Tragens eines Mund-Nasen-Schutzes enthält die konkludente Erklärung des Arztes, dass eine körperliche Untersuchung der genannten Person stattgefunden hat und ist daher i.d.R. unrichtig, wenn die für die Beurteilung erforderliche Untersuchung nicht durchgeführt wurde.

2. Ist eine körperliche Untersuchung im Einzelfall unterblieben, soll das Attest aber gleichwohl „richtig“ sein, muss sich das Unterbleiben der Vornahme einer körperlichen Untersuchung aus dem Attest selbst ergeben.

Corona: Wieder Beleidigung von Polizeibeamten, oder: „Wir haben so’n paar Nervzwerge an der Backe ….“

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Und dann der Wochenstart heute mit zwei StGB-Entscheidungen, und zwar einmal etwas, das noch aus Coronazeiten stammt und dann etwas zu Klimaklebern.

Zunächst hier der – schon etwas ältere – BayObLG, Beschl. v. 18.03.2024 – 206 StRR 63/24 – noch einmal zu den Anforderungen an die Auslegung einer Äußerung beim Verdacht der Beleidigung von Polizeibeamten.

Der Angeklagte ist vom AG/LG wegen Beleidigung in zwei tateinheitlichen Fällen zu einer Geldstrafe verurteilt worden. Hiergegen die Revision, die Erfolg hatte.

Das LG hat folgende Feststellungen getroffen:

„Am 13. Februar 2022 fand in Ingolstadt eine angemeldete Versammlung mit dem Thema „Impfzwang, Corona“ mit etwa 1.500 Teilnehmern statt. Als Auflage war behördlich die Einhaltung eines Mindestabstands von 1,5 Metern zwischen den Teilnehmern bestimmt worden, anderenfalls müsse eine Maskenpflicht angeordnet werden. Der Angeklagte fungierte während der gesamten Veranstaltung als Moderator auf der Bühne, auf der verschiedene Redner auftraten. Aufgrund zahlreicher Verstöße gegen das Abstandsgebot wurde der Veranstaltungsleiter, bei dem es sich nicht um den Angeklagten handelte, durch anwesende Polizeikräfte wiederholt ohne Erfolg aufgefordert, über das Mikrofon zur Einhaltung der Auflagen anzuhalten. Schließlich traten der polizeiliche Einsatzleiter und sein Stellvertreter an den Versammlungsleiter heran und forderten eindringlich eine unverzügliche Durchsage. Letzterer informierte den Angeklagten über die Notwendigkeit einer Unterbrechung, woraufhin dieser über das Mikrofon folgende Ansage machte: „Wir haben so’n paar Nervzwerge an der Backe, und der Z. [Anm. des Senats: der Veranstaltungsleiter] muss eine Durchsage machen“; die Ansage selbst wurde anschließend vom Versammlungsleiter durchgegeben. Der Angeklagte wusste bei seiner Äußerung nicht, welche konkreten Beamten dem Versammlungsleiter die Anweisung gegeben hatten. Er fühlte sich davon „genervt“, dass die anwesende Polizei schon den ganzen Nachmittag über die Reden hatte unterbrechen wollen. Die beiden Polizeibeamten und ihr Dienstvorgesetzter haben Strafantrag gestellt.“

Das LG hat diese Äußerung als Beleidigung gemäß § 185 StGB zum Nachteil der beiden Polizeibeamten, die den Versammlungsleiter zur Durchsage aufgefordert hatten, gewertet. Mit der Äußerung habe der Angeklagte gerade diese konkreten Personen öffentlich verunglimpfen wollen. Es handle sich, da kein sachlicher Bezug zu einer beanstandungswürdigen Diensthandlung oder sonstigen Verfehlung der Beamten erkennbar sei, um eine bloße Schmähkritik. Eine vorsorglich vorgenommene Abwägung zwischen der Meinungsfreiheit des Angeklagten und dem Persönlichkeitsrecht der Beamten ergebe zudem keine überwiegende Schutzwürdigkeit der Meinungsäußerungsfreiheit.

Das hat das BayObLG „im konkreten Einzelfall“ anders gesehen:

„b) Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze erweist sich die vom Landgericht vorgenommene Auslegung, die Durchsage stelle eine persönliche Verunglimpfung der beiden Polizeibeamten dar, als zumindest unvollständig. Es handelt sich vielmehr um eine mehrdeutige Äußerung, bei der ein anderer – strafloser – Aussagegehalt, nämlich die Äußerung einer Kritik an polizeilichen Anordnungen und Maßnahmen ohne Herabwürdigung der handelnden Personen, zumindest nicht aus-geschlossen werden kann.

aa) Voraussetzung jeder rechtlichen Würdigung von Meinungsäußerungen ist, dass ihr Sinn zutreffend erfasst wird (BVerfG, Beschluss vom 24. November 2023, 1 BvR 1962/23, NJW 2024, 745 Rn. 4; NJW 1995, 3303, 3305, juris Rn. 124; Beschluss vom 9. Februar 2022, 1 BvR 2588/20, NJW 2022, 1523 Rn. 21). Maßgebend ist dabei weder die subjektive Absicht des sich Äußernden noch das subjektive Verständnis des Betroffenen, sondern der Sinn, den sie nach dem Verständnis eines unvoreingenommenen und verständigen Publikums hat (BVerfG a.a.O.). Demgemäß sind weder die Aussage der Beamten, sie hätten sich direkt angesprochen und beleidigt gefühlt (UA S. 6), noch die Einlassung des Angeklagten, er habe nicht die konkreten Beamten, sondern die polizeilichen Maßnahmen insgesamt kritisieren wollen (UA S. 5), jeweils allein ausschlaggebend.

Bei der Auslegung ist stets vom Wortlaut der Äußerung auszugehen, der aber den Sinn nicht abschließend festlegt. Vielmehr sind alle sprachlichen und sonstigen Begleitumstände zu berücksichtigen. Kommen mehrere Deutungen in Betracht, darf sich das Gericht nur dann für die zur Bestrafung führende entscheiden, wenn es eine straflose Deutungsvariante mit überzeugenden Gründen ausschließt (BVerfG, NJW 1995, 3303, 3305, juris Rn. 126; Beschluss vom 23. September 1993, 1 BvR 584/93, juris Rn. 17; st. Rspr.).

Die Auslegung einer Äußerung ist Sache des Tatgerichts und unterliegt nur einer eingeschränkten revisionsrechtlichen Kontrolle. Das Revisionsgericht hat nur zu prüfen, ob die Auslegung auf einem Rechtsirrtum beruht, gegen Sprach- und Denkgesetze oder Erfahrungssätze verstößt oder lückenhaft ist MünchKomm-StPO/Bartel, 2. Aufl. 2024, § 261 Rn. 355; OLG Hamm, Beschluss vom 10.Oktober 2005, 3 Ss 231/05, NStZ-RR 2007, 140).

bb) Das Landgericht hat die verfassungsrechtlichen Maßgaben zwar im Grundsatz bedacht, jedoch nicht ohne Rechtsfehler angewandt. Seine Auffassung, die Äußerung des Angeklagten könne, was „unzweifelhaft klar“ sei, „nur“ dahin verstanden werden, dass sie sich auf die beiden Polizeibeamten bezogen habe (S. 10), hält rechtlicher Überprüfung nicht stand.

(i) Die Deutung als herabsetzende Äußerung gegenüber den konkreten Beamten erscheint zwar möglich. Die Bezeichnung einer Person als „Nervzwerg“ ist nicht nur grob ungehörig und distanzlos, sondern kann im konkreten Kontext auch als deren Herabwürdigung verstanden werden.

(ii) Gerade bei Äußerungen gegenüber Polizeibeamten ist aber stets zu prüfen, ob die vermeintlich herabsetzende Äußerung dem einschreitenden Beamten selbst oder der Vorgehensweise der Polizei generell gilt (vgl. BeckOK StGB/Valerius, 60. Ed., Stand 01.02.2024, § 185 Rn. 25.4 m.w.N.).

Dies hat das Gericht zwar erwogen (vgl. UA S. 11), es hat aber die konkreten Umstände nicht erschöpfend gewürdigt. Es hat die Abgrenzung zu Unrecht darauf reduziert, dass der Ausdruck entweder auf die beiden konkreten Beamten oder aber auf die Polizei im Allgemeinen „irgendwo im Staat“ bezogen gewesen sein kann (UA S. 10). Dabei hat es übersehen, dass auch dann, wenn ein Vorwurf sich auf vor Ort anwesende Beamte oder selbst dann, wenn er sich auf bestimmte Beamte bezieht, er gleichwohl, je nach den Begleitumständen, als generelle Kritik an der Vorgehensweise der Polizei verstanden werden und von der Meinungsfreiheit gedeckt sein kann (vgl. nur BVerfG, Beschluss vom 23. September 1993, 1 BvR 584/93, juris Rn. 18: Bezeichnung von Polizeibeamten als „kassierende Bullen“; BayObLG, Beschluss vom 20. Oktober 2004, 1 St RR 153/04, NJW 2005, 1291: Polizeibeamte als „Wegelagerer“; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 26. März 2003, III 2b Ss 224/02-2/03, NStZ-RR 2003, 295; „Wegelagerei“; OLG Hamm, Beschluss vom 10. Oktober 2005, 3 Ss 231/05, NStZ-RR 2007, 140: Beamte des Bundesgrenzschutzes als „Menschenjäger“).

(iii) Der Senat vermag die ergänzende Auslegung der inkriminierten Äußerung auf der Grundlage der vom Landgericht sorgfältig und umfassend getroffenen Feststellungen, die sich nicht nur aus dem Urteilsabschnitt Ziff. III (Sachverhalt), sondern aus der Gesamtheit der Urteilsgründe erschöpfend ergeben, selbst vorzunehmen. Er kann unter Berücksichtigung der erkennbaren Gesamtumstände sowie des konkreten Kontextes nicht ausschließen, dass ein unvoreingenommener und verständiger Zuhörer die Durchsage nicht als Geringschätzung konkreter Personen, sondern als generelle Kritik an der Vorgehensweise der Polizei vor Ort während der Versammlung, nämlich in Form von wiederholten Aufforderungen an die Versammlungsleitung zum Zweck der Beachtung der infektionsschutz-rechtlichen Auflagen verstehen musste.

Allein der vom Landgericht hervorgehobene enge Zusammenhang zwischen der Aufforderung durch die beiden Beamten an den Versammlungsleiter und der Durchsage des Angeklagten vermag die Auslegung, die Kritik habe allein diesen beiden Personen gegolten, nicht zu tragen. Auch der verwendete Ausdruck „Zwerge“ impliziert dies nicht zwingend, denn die Beamten waren nicht von auffällig kleiner Körpergröße (UA S. 12). Der Angeklagte hat nach den Feststellungen (UA S. 4) zudem weder gewusst, welche Beamten die Anweisung zu einer Durchsage gegeben hatten, noch hatte er nachweislich das Gespräch mit dem Versammlungsleiter gesehen (UA S. 6). Zuvor war bereits wiederholt (durch andere Beamte) die Einhaltung der infektionsschutzrechtlichen Auflagen und entsprechende Durchsagen gefordert worden (UA S. 3, 6), wovon der Angeklagte „genervt“ war (UA S. 4). Es ist nach diesen konkreten Umständen eine Deutung möglich und nicht fernliegend, dass er, für unvoreingenommene Zuhörer erkennbar, seinen allgemeinen Unmut über das polizeiliche Vorgehen als solches zum Ausdruck bringen, nicht aber konkrete Beamte verächtlich machen wollte.

(iv) Dieser Auslegung steht nicht entgegen, dass, wie das Landgericht im Rahmen der Abwägung, ob eine sog. Schmähkritik vorliegt, ausführt, „keine beanstandungswürdige Diensthandlung oder sonstige Verfehlung der Beamten erkennbar“ war (UA S. 12). Der Angeklagte kann sich auch von rechtmäßigen Diensthandlungen „genervt“, also belästigt gefühlt und diese (abfällig) kommentiert haben.

cc) In der Deutungsvariante, dass der Angeklagte die polizeilichen Maßnahmen während der Veranstaltung kritisiert hat, führt die Äußerung nicht zu einer Bestrafung, denn es fehlt bereits tatbestandsmäßig an einer Beleidigung (vgl. BayObLG NJW 2005, 1291, 1292).

Auch ein wenigstens mittelbar in der Äußerung liegender ehrverletzender Vorwurf an die Handelnden lässt sich nicht zwingend erschließen, insbesondere lässt sich dies nicht aus der Rechtmäßigkeit der polizeilichen Maßnahmen herleiten. Insoweit ist auch zu bedenken, dass es mit der Bedeutung der Meinungsfreiheit nicht vereinbar ist, die Zulässigkeit einer kritischen Äußerung danach zu beurteilen, ob die kritisierte Maßnahme des Beamten rechtmäßig oder rechtswidrig ist (BVerfG, Beschluss vom 5. März 1992, 1 BvR 1770/91, NJW 1992, 2815, 2816). Das Recht des Bürgers, Maßnahmen der öffentlichen Gewalt ohne Furcht vor staatlichen Sanktionen zu kritisieren, gehört zum Kernbereich des Grundrechts auf freie Meinungsäußerung (BVerfG a.a.O.; BayObLG, Beschluss vom 20. Oktober 2004, 1 StRR, 153/04, NJW 2005, 1291; st. Rspr.). Dass sich die Kritik gegen rechtmäßige Maßnahmen richtet, kann deswegen nicht die Schlussfolgerung begründen, sie sei zwangsläufig auf die handelnden Personen bezogen.

Konkrete Anhaltspunkte dafür, dass der Angeklagte, diese Auslegungsvariante zugrunde gelegt, jedenfalls gleichzeitig auch eine ehrverletzende Missachtung gegenüber den beiden zuletzt handelnden Beamten zum Ausdruck gebracht hat, lassen sich nicht sicher feststellen.

dd) Da es in einer der möglichen Auslegungsvarianten der mehrdeutigen Äußerung damit bereits an deiner tatbestandsmäßigen Tathandlung gemäß § 185 StGB fehlt, ist nicht mehr zu entscheiden, zu welchem Ergebnis eine Abwägung zwischen der Meinungsfreiheit und dem Persönlichkeitsschutz (vgl. UA S. 13-19), die bei einer beleidigenden Äußerung aus verfassungsrechtlichen Gründen stets vorzunehmen ist, im konkreten Fall führen würde. Der Senat weist lediglich darauf hin, dass entgegen der Annahme des Landgerichts (UA S. 12 f.) nicht von einer Schmähkritik ausgegangen werden kann. Eine solche kommt nur in Betracht, wenn eine Äußerung keinen irgendwie gearteten Bezug mehr zu einer sachlichen Auseinandersetzung hat und es bei ihr im Grunde nur um das grundlose Verächtlichmachen der betroffenen Person als solcher geht (BVerfG NJW 2020, 2622 Rn. 19). Ein sachlicher Bezug der gegenständlichen Äußerung zum vorangegangenen dienstlichen Einschreiten der Beamten liegt aber auf der Hand.“