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StGB I: „Impfen macht frei“-Post bei Facebook, oder: BGH hat Volksverhetzung bejaht

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Auch wenn heute am 1. Mai Feiertag ist, hier geht es, da es schließlich „Tag der Arbeit“ heißt, normal weiter, und zwar heute mit StGB-Entscheidungen.

Zunächst stelle ich den BGH, Beschl. v. 04.02.2025 – 3 StR 468/24 – vor. Er gehört zu den Entscheidungen, mit denen die Corona-Pandemie juristisch aufgearbeitet wird. 

Das LG hatte folgender Feststellungen getroffen. Der Angeklagte veröffentlichte im April 2020, während der ersten Infektionswelle der COVID-19-Pandemie, über sein von jedem Nutzer einsehbares „Facebook“-Profil eine karikaturhaft wirkende Abbildung, die das Eingangstor zu einem Lager zeigte. Oberhalb des Zugangs war der geschwungene Schriftzug „Impfen macht frei“ angebracht. Das Eingangstor war augenscheinlich an dasjenige des Konzentrationslagers Auschwitz mit dem Schriftzug „Arbeit macht frei“ angelehnt. Das Tor flankierten zwei schwarz gekleidete, soldatisch anmutende Wächter, die jeweils eine überdimensionierte, mit einer grünen Flüssigkeit gefüllte Spritze in den Armen hielten. Im Inneren des Lagers waren zwei blumengeschmückte Bildnisse zu erkennen, nämlich das Portrait eines überzeichnet dargestellten Chinesen sowie ein solches des „Microsoft“-Gründers und Gesundheitsmäzens Bill Gates. Die Abbildung trug den Untertitel „Die Pointe des Coronawitzes“.

Der Angeklagte nahm dabei billigende in Kauf, dass vor dem Hintergrund der sich aufheizenden gesellschaftlichen Debatte über die staatlichen Maßnahmen zum Schutz gegen das SARS-CoV-2-Virus die Veröffentlichung geeignet war, gewalttätige Reaktionen derjenigen hervorzurufen, die sich als Opfer der Coronaschutzmaßnahmen sahen und sich insbesondere nicht gegen das Virus impfen lassen wollten. Zudem war sie geeignet, bei in Deutschland wohnhaften Überlebenden des Holocausts und Nachkommen der Holocaustopfer ein Klima der Angst und Verunsicherung zu verbreiten.

Das LG hat das festgestellte Verhalten als Volksverhetzung nach § 130 Abs. 3 StGB in der Tathandlungsvariante des Verharmlosens beurteilt. Dagegen die Revision, die beim BGH keinen Erfolg hatte.

Ich stelle jetzt, da die Entscheidung ja nur noch der „Nachbereitung“ gilt, nicht die gesamte Begründung des BGH ein. Die überlasse ich dem Selbstleseverfahren. Ich zitiere vielmehr nur aus der PM des BGH, und zwar hießt es dort zu den Beschlussgründen:

„Die vom Landgericht eingehend dargelegte Wertung, die untertitelte Abbildung verschleiere und bagatellisiere das historisch einzigartige Unrecht der in Konzentrationslagern vollzogenen Vernichtung von Millionen europäischen Juden und anderen vom nationalsozialistischen Regime verfolgten Gruppen in seinem wahren Gewicht, ist nicht zu beanstanden gewesen. Der qualitativen Abwertung des NS-Völkermordes im Sinne einer Relativierung von dessen Unwertgehalt steht dabei nicht entgegen, dass zugleich die Auswirkungen von Coronaschutzmaßnahmen überzogen dramatisiert dargestellt werden sollten. Die von der Strafkammer getroffene Feststellung, die Veröffentlichung der untertitelten Abbildung sei geeignet gewesen, den öffentlichen Frieden – das Vertrauen in die allgemeine Rechtssicherheit – zu gefährden, hat auf einer rechtsfehlerfreien Beweiswürdigung beruht. Zum einen hat das Landgericht nachvollziehbar darauf abgehoben, die Abbildung insinuiere, den Betroffenen staatlicher Coronaschutzmaßnahmen werde gleiches Unrecht zugefügt wie den Opfern des Holocausts; deshalb sei sie geeignet, ihre Betrachter aggressiv zu emotionalisieren. Zum anderen hat es der Darstellung jedenfalls vertretbar Appellcharakter dahin beigemessen, sich gegen staatliche Maßnahmen rechtzeitig zur Wehr zu setzen, bevor es zu einem staatlichen Impfzwang komme.“

Keine Mittelmeer-Kreuzfahrt nach positivem PCR-Test, oder: Unvermeidbarer/außergewöhnlicher Umstand?

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Und als zweite Entscheidung habe ich dann das BGH, Urt. v. 18.02.2025 – X ZR 68/24 – in dem der BGH noch einmal zu einem „Reiserücktritt“ wegen Corona Stellung genommen hat.

Es geht um eine dreiköpfige Familie, die eine Mittelmeerkreuzfahrt machen wollte. Bei der Einschiffung in Palma de Mallorca kam es im Herbst 2021 bei dem zweijährigen Sohn zu einem positiven Coronatest. Die Familie durfte die Reise nicht antreten und flog nach kurzer Quarantäne wieder nach Deutschland. Sie haben dann von der Reiseveranstalterin u.a. die Erstattung des Reisepreises verlangt und als diese nicht zahlte Klage auf Zahlung von insgesamt rund 5.316 EUR erhoben.

Das LG hat die Klage abgewiesen, das OLG hat zugesprochen. Die Veranstalterin sei zur Rückzahlung des Reisepreises verpflichtet, weil sie durch die Verweigerung der Teilnahme vom Reisevertrag wegen unvermeidbarer, außergewöhnlicher Umstände – hier: wegen Corona – zurückgetreten sei. Der BGH hat das dann in Revision anders gesehen und das OLG-Urteil aufgehoben und zurückverwiesen.

Nach seiner Ansicht begründet der hinsichtlich des Sohns bestehende Infektionsverdacht keine unvermeidbaren, außergewöhnlichen Umstände nach § 651h Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 BGB. Vielmehr fielen diese in die Risikosphäre der Vertragspartei, also des Reisenden.

Hier die Leitsätze des BGH zu der Entscheidung:

1. Umstände, die in die Risikosphäre einer Vertragspartei fallen, sind grundsätzlich keine unvermeidbaren, außergewöhnlichen Umstände im Sinne von § 651h Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 BGB.

2. Ein der Risikosphäre des Reisenden zuzurechnender Grund liegt grundsätzlich vor, wenn der Reisende zur Teilnahme an der Reise nicht in der Lage ist, weil seine Gesundheit ihm dies nicht erlaubt (Bestätigung von BGH, Urt. v. 16.05,2017 – X ZR 142/15, NJW 2017, 2677). Dasselbe gilt, wenn ein begründeter Verdacht auf eine Covid-19-Infektion einer Teilnahme an der Reise entgegensteht.

3. Wenn der Reiseveranstalter die Reiseleistung aus Gründen verweigert, die einer Teilnahme an der Reise entgegenstehen und die allein in der Person des Reisenden liegen, steht ihm in entsprechender Anwendung von § 651h Abs. 1 Satz 3 BGB ein Entschädigungsanspruch zu.

4. Die Regeln über die reiserechtliche Gewährleistung haben Vorrang vor den Regelungen des allgemeinen Leistungsstörungsrechts (Bestätigung von BGH, Urt. v. 14.02.2023 – X ZR 18/22, RRa 2023, 116 = NJW-RR 2023, 755).

5. Deshalb kommt eine entsprechende Anwendung von § 645, § 648a oder § 314 BGB auf einen Reisevertrag im Falle von Leistungshindernissen nicht in Betracht.

StGB II: Strafantragsfrist bei Internetbeleidigung, oder: „„kinderspritzarzt Nummer 1, der keine Skrupel kennt“

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Im zweiten Posting dann etwas aus dem Bereich der Beleidigungsdelikte, und zwar den OLG Karlsruhe, Beschl. v. 10.03.2025 – 3 ORs 310 SRs 59/25.

Der der Angeklagten zur Last gelegte Vorwurf stammt noch aus der Corona-Zeit. Das AG hatte wegen Beleidigung eines Arztes verurteilt. Nach den Feststellungen des AG hat die Angeklagte am 20.10.2022 gegen 10:57 Uhr als Nutzerin des Twitter-Accounts „pp.“ den Kinderarzt pp. mit den Worten „kinderspritzarzt Nummer 1, der keine Skrupel kennt“ beleidigt und den Hashtag „#Genozid“ angehängt, um ihre Missachtung auszudrücken. Dem Tweet habe sie einen auf BR24 veröffentlichten Beitrag über den Geschädigten mit dessen Bild beigefügt. Die Sprungrevision hatte beim OLG Erfolg.

„1. Ein Verfahrenshindernis liegt entgegen der Auffassung des Verteidigers allerdings nicht vor. Insbesondere fehlt es nicht an einem gemäß § 194 Abs. 1 Satz 1 StGB erforderlichen innerhalb der Frist des § 77b StGB eingegangenen und gemäß § 158 Abs. 2 StPO formgerecht gestellten Strafantrag.

Zwar wurde der in der Hauptverhandlung verlesene Strafantrag erst am 09.01.2023 gestellt, wäh-rend die per E-Mail durch den Geschädigten gestellte Strafanzeige bereits am 07.08.2022 einge-gangen war. Wäre für den Fristbeginn der dreimonatigen Strafantragsfrist nach § 77b Äbs. 1 StGB diese Strafanzeige entscheidend, so wäre die Frist am 09.01.2023 bereits abgelaufen gewesen. Allerdings beginnt der Lauf der Frist erst mit Kenntnis des Antragsberechtigten von der Tat und von der Person des Täters, § 77b Abs. 2 Satz 1 StGB. Hierzu müssen Tat und Tatbeteiligter so weitgehend konkretisiert sein, dass ein besonnener Mensch in der Lage ist zu beurteilen, ob er Strafantrag stellen soll (BGH, Beschluss vom 29.10.1998 – 5 StR 288-98 – , NJW 1999, 508, 509). Zwar muss dem Antragsteller nicht zwingend der vollständige Name des Täters bekannt sein. Allerdings muss jedenfalls eine hinreichende Individualisierbarkeit gegeben sein (BeckOK-Dallmeyer, StGB, 64. Edition, Stand: 01.02.2025, § 77b Rn. 4). Diese Voraussetzungen lagen vor dem 09.01.2023 nicht vor,

Anders als vom Verteidiger vorgetragen, sind die hierzu ergangenen Entscheidungen über die hinreichende Erkennbarkeit des Täters bei Verkehrsstraftaten (BayObLG, Beschluss vom 21.07.1993 – 2 StR RR 91/93 -, NStZ 1994, 86; OLG Stuttgart, Beschluss vom 16.03.1954 – Ws 392/53 -, NJW 1955, 73) nicht auf den vorliegenden Fall übertragbar. So ist in diesen Fällen eine gute Individualisierbarkeit bereits durch die Wahrnehmbarkeit eines einzigartigen Kfz-Kennzeichens gegeben. Eine solche Möglichkeit besteht bei einer Kommentierung von Beiträgen in sozialen Netzwerken im Internet gerade nicht. Diese ist gekennzeichnet durch die Nutzung von – nicht zwingend mit dem Klarnamen übereinstimmenden – Profilnamen. Häufig werden Abkürzungen, Verfremdungen des Namens oder gänzliche Fantasienamen kreiert. In vielen Fällen wird auch ge-zielt ein fremder Name benutzt. Allein durch die Kenntnis eines Profilnamens gelingt dem Anzei-geerstatter daher noch keine Individualisierung. Diese kann lediglich durch – den Ermittlungsbe-hörden vorbehaltene – Auskünfte des jeweiligen Plattformbetreibers und anschließende Provider-anfragen erfolgen. Selbst diese führen aufgrund falscher E-Mail-Adressen oder fehlender Zuor-denbarkeit einer Mobiltelefonnummer zu einer bestimmten Person häufig nicht zu der Ermittlung eines Tatverdächtigen. Der Anzeigeerstatter hatte daher bei Kenntnis des Kommentars am 07.08.2022 noch keinerlei Kenntnis über die hinter dem Kommentar stehende Person und auch keine Möglichkeit, diese näher zu identifizieren.

Hinzu kommt, dass der Grund für die geringen Anforderungen an die Kenntnis des Täters in den beiden zitierten Entscheidungen auch darin liegt, dass bei Straßenverkehrsstraftaten die Kenntnis von Namen und Lebensumständen des dem Geschädigten meist unbekannten Täters für die Frage der Antragstellung ohne Bedeutung ist (so ausdrücklich OLG Stuttgart, a. a. 0.). Anders gelagert sind dagegen die Fälle im Internet eingestellter Kommentare. Hier wird für den Anzeigeerstat-ter häufig die Kenntnis des Namens des Täters relevant sein, da entsprechende Kommentare oft durch dem Geschädigten bekannte Personen eingestellt werden, die der Geschädigte möglicherweise nicht anzeigen will. Die Kenntnis des Namens wird für den Anzeigeerstatter daher in der Regel wichtig sein, um herausfinden zu können, ob es sich um eine ihm bekannte oder eine ihm fremde Person handelt. Bei Äußerungen, die wie hier das berufliche Umfeld des Geschädigten betreffen, wird dieses Interesse an der Identität des Täters häufig noch stärker sein. So kann allein bei Kenntnis des Namens herausgefunden werden, ob es sich bei dem Täter um eine dem Anzeigeerstatter eventuell aus dem beruflichen Umfeld bekannte Person handelt. Des Weiteren bleibt es bei Internet-Beiträgen oft nicht bei der einmaligen Einstellung eines Betrages, sondern es kommt zu wiederkehrenden Auseinandersetzungen einer Person mit einem bestimmten Thema. Auch insoweit kann der Anzeigeerstatter nur dann herausfinden, ob es sich bei dem Verfasser um eine Person handelt, die bereits einmal einen Text über ihn verfasst hat, oder eine Person, die er – auch aus diesem Zusammenhang – noch nicht kennt.

Die für Verkehrsstraftaten in der Rechtsprechung teilweise entwickelten Grundsätze sind damit auf den vorliegenden Fall nicht übertragbar. Die Besonderheiten der Tatbegehung durch Kommentierungen im Internet berücksichtigend war dem Geschädigten erst zuzumuten, Strafantrag zu stellen, nachdem er von der Polizei nach Abschluss der hierzu getätigten Ermittlungen am 09.01.2023 über den ermittelten Klarnamen der Angeklagten informiert worden war. Der an diesem Tag vom Geschädigten unterzeichnete Strafantrag wurde somit form- und fristgerecht gestellt.

2. Die Revision führt jedoch auf die allgemeine Sachrüge hin zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache, da die Urteilsgründe lückenhaft sind und daher nicht auszuschließen ist, dass das Amtsgericht zu Unrecht von einer Erfüllung des Tatbestands der Beleidigung ausgegangen ist. Die getroffenen Tatsachenfeststellungen tragen den Schuldspruch nicht…..“

Wegen der weiteren Einzelheiten verweise ich auf den Volltext. Hier dazu nur der Leitsatz:

Eine Äußerung nimmt den Charakter als Schmähung erst dann an, wenn sie keinen irgendwie nachvollziehbaren Bezug mehr zu einer sachlichen Auseinandersetzung hat und es bei ihr im Grunde nur um das grundlose Verächtlichmachen der betroffenen Person als solcher geht. Es sind dies Fälle, in denen eine vorherige Auseinandersetzung erkennbar nur äußerlich zum Anlass genommen wird, um über andere Personen herzuziehen oder sie niederzumachen.

Corona II: Unterbrechung der Hauptverhandlung, oder: Zusammenspiel der Hemmungsvorschriften

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In der zweiten Entscheidung, dem BGH, Beschl. v. 23.10.2024 ? 2 StR 471/23 -, der zur Veröffentlichung in BGHSt vorgesehen ist, geht es um eine Problematik in Zusammenhang mit der Unterbrechung der Hauptverhandlung (§ 229 StPO). Stichwort: Anwendbarkeit der „Sonderhemmungsvorschrift des § 10 EGStPO.

Der Angeklagte hat mit seiner Revision einen Verstoß gegen § 229 Abs. 1 StPO in Verbindung mit § 10 EGStPO gerügt. Fem lag folgendes Verfahrensgeschehen zugrunde:

Die Hauptverhandlung in dem anfänglich gegen fünf Angeklagte geführten Verfahren, die am 13.11.2019 begonnen hatte, wurde – nach vorangegangenem Hauptverhandlungstermin vom 18.11.2021 – am 25.11.2021, dem 106. Hauptverhandlungstag, unterbrochen. Das gegen die Angeklagte gerichtete Verfahren wurde am selben Tage abgetrennt, weil die sachverständig beratene Strafkammer die Verhandlungsunfähigkeit der Angeklagten unter anderem wegen einer akuten schweren depressiven Erkrankung mit ungewissem Ausgang festgestellt hatte. Obwohl die Angeklagte am 13.01.2022 wieder verhandlungsfähig war, wurden die in der Folge für den 24. und 25.01.2022 bestimmten Hauptverhandlungstermine aufgehoben, da sich die Angeklagte vom 20.01.2022 bis zum 31.01.2022 aufgrund eines Kontakts mit Personen, die mit dem SARS-CoV-2-Virus infiziert waren, in Quarantäne befand. Ein weiterer für den 09.02.2022 anberaumter Hauptverhandlungstermin entfiel ebenfalls, weil ein Mitglied der Strafkammer in der Zeit vom 06.02.2022 bis zum 13.02.2022 wegen einer Infektion mit dem SARS-CoV-2-Virus nicht an der Hauptverhandlung teilnehmen konnte. Die Hauptverhandlung wurde sodann am 23.02.2022 fortgesetzt.

Das Landgericht stellte am 04.03.2022 durch Beschluss fest, dass der Lauf der Unterbrechungsfrist gemäß § 229 Abs. 1 StPO in der Zeit vom 18.11.2021 bis zum 13.01.2022 wegen der Erkrankung der Angeklagten gehemmt gewesen sei; zudem sei gemäß § 10 Abs. 1 Satz 1 EGStPO die Frist des § 229 Abs. 1 StPO in der Zeit vom 20.012022 bis zum 31.012022 und vom 06.02.2022 bis zum 13.02.2022 gehemmt gewesen, weil in diesen Zeiträumen eine Hauptverhandlung aufgrund von Schutzmaßnahmen zur Eindämmung der Covid-19-Pandemie nicht habe stattfinden können.

Die Revision hatte einen Rechtsfehler darin gesehen, dass das LG neben dem Hemmungstatbestand des § 229 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 StPO weitere Hemmungszeiträume auf § 10 Abs. 1 Satz 1 EGStPO gestützt habe, da weder eine mehrfache Anwendung des § 10 Abs. 1 Satz 1 EGStPO ohne dazwischen liegenden Verhandlungstag noch eine kumulative Anwendung beider Vorschriften in Betracht komme.

Der BGH sieht das anders. Ich stelle hier dann nur den Leitsatz des BGH ein, und zwar:

1. Innerhalb eines Unterbrechungszeitraumes konnte § 10 Abs. 1 Satz 1 EGStPO in der Fassung vom 27. März 2020 mehrfach greifen, ohne dass zwischen den Hemmungszeiträumen zur Sache verhandelt worden sein musste.

2. § 10 Abs. 1 Satz 1 EGStPO trat als weiterer Hemmungstatbestand neben § 229 Abs. 3 Satz 1 StPO, so dass beide Vorschriften kumulativ zur Anwendung kommen konnten.

Rest bitte selbst lesen. Entscheidung muss man sich merken, wenn solche Fragen mal wieder – hoffentlich nicht – eine Rolle spielen.

Corona I: Abrechnungsbetrug bei Corona-Tests, oder: Unter falschem Namen betriebene Teststellen

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In die 8. KW./2025 geht es dann mit zwei „Corona-Entscheidungen“. Das sind dann mal wieder „Nachbereitungs-/Aufarbeitungsentscheidungen“ zur Corona-Pandemie. Beide Entscheidungen kommen vom BGH.

Ich stelle hier zunächst den BGH, Beschl. v. 04.12.2024 – 5 StR 498/23 – vor. Es geht um Abrechnungsbetrug in Zusammenhang mit der Durchführung von Corona-Tests. Das LG Berlin hatte den Angeklagten C. im März 2023 wegen Betrugs in 67 Fällen unter Einbeziehung einer Strafe aus einer rechtskräftigen Vorverurteilung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von acht Jahren und neun Monaten verurteilt. Gegen seine Schwester, die Angeklagte W., hatte es wegen Beihilfe zum Betrug in 17 Fällen eine Freiheitsstrafe von einem Jahr und neun Monaten verhängt, deren Vollstreckung es zur Bewährung ausgesetzt hat,

Nach den Feststellungen des LG betrieb der Angeklagte C. in Berlin mehrere Spätkaufgeschäfte und Gaststätten. Er hatte sich dann durch die Senatsverwaltung für Gesundheit für 18 Teststellen mit der Durchführung von Corona-Tests beauftragen lassen, wobei er bis auf zwei alle Teststellen unter Fremd- und Falschpersonalien anmeldete. Zwischen Mai und Oktober 2021 rechnete er bei der KV Berlin für alle 18 Teststellen in einer Vielzahl von Fällen Testleistungen ab, die nicht durchgeführt worden waren. So fanden an elf Standorten in Wahrheit überhaupt keine Corona-Tests statt, an den übrigen sieben Teststellen stets deutlich weniger als in den Abrechnungen angegeben. Aufgrund der Abrechnungen überwies die KV Berlin insgesamt 9.733.981,04 EUR auf verschiedene Konten, darunter auch auf solche der Angeklagten W. Nach den Feststellungen unterstützte diese ihren Bruder durch die Bereitstellung der Konten, die Veranlassung von Bargeldauszahlungen und durch die Gestattung der Verwendung ihrer Personalien zum Betrieb von Teststellen.

Hinsichtlich der unter falschen Personalien betriebenen Teststellen hat das LG den gesamten Auszahlungsbetrag als Schaden angesetzt, auch wenn an diesen Stationen vereinzelt Tests durchgeführt wurden, da die Testleistungen in diesen Fällen nicht durch die beauftragte Person erbracht worden seien. Bei einer unter eigenem Namen betriebenen Teststelle hat das LG hingegen die Vergütung ermittelt, die auf die dort nach ihrer Schätzung tatsächlich erbrachten Testleistungen entfiel, und zwar 63.879,03 EUR, und diese von der Schadenssumme abgezogen, da dem Angeklagten C. insoweit ein Erstattungsanspruch zugestanden habe. In dieser Höhe hat sie von einer Einziehung des Wertes von Taterträgen gegenüber beiden Angeklagten abgesehen.

Der BGH hat nun auf die Revision der Staatsanwaltschaft, die lediglich eine Korrektur des Einziehungssauspruchs verfolgte, das Urteil hinsichtlich des Angeklagten C. in den betreffenden Fällen und im Gesamtstrafenausspruch aufgehoben. Das LG habe sein Urteil insoweit auf lückenhafte und widersprüchliche Feststellungen gestützt. Es habe insbesondere Umstände außer Betracht gelassen, die eine dem angenommenen Erstattungsanspruch entgegenstehende Betrugsstrafbarkeit begründen könnten. Nicht in den Blick genommen habe das LG Hinweise darauf, dass der Angeklagte C. seine Dokumentationspflichten nicht erfüllt und in seinen Teststellen sowohl ungeschultes Personal eingesetzt habe als auch bei Abnahme der Tests die Wartezeit nicht eingehalten worden seien. Da somit im Raum stehe, dass er bei den Abrechnungen einheitlich auch über diese Umstände und nicht nur – wie das LG angenommen habe – über die Anzahl der durchgeführten Tests täuschte, hatte konnte der Schuldspruch des Angeklagten C. in den betroffenen Fällen keinen Bestand haben. Dies führt dann insoweit auch zum Wegfall des Rechtsfolgenausspruchs sowie zur Aufhebung der Verurteilung der Angeklagten W.

Es ist ein umfangreich begründeter Beschluss, daher hier nur die Zusammenfassung. Bei Interesse bitte im Volltext selbst lesen.