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News: CanG reicht nicht für EncroChat-Verwertung, oder: Freispruch in „Encro-Chat-Komplex-Verfahren

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Und dann mal wieder eine Sondermeldung.

Die befasst sich mit einem BtM-Verfahren aus dem Komplex Encro-Chat, auf das ich gerade hingewiesen worden bin. Tja, ist die Frage: Ist es Encro-Chat oder „neues“ BtM-Recht. Nun ich glaube eher wohl das neue BtM-Recht.,

Über die Ticker läuft dazu gerade eine PM des LG Mannheim zu dem dort anhängigen Verfahren 5 KLs 804 Js 28622/21. Das hat heute mit einem Freispruch geendet. Alles weitere dazu in der PM des LG, in der es heißt:

„Verfahren aus dem Komplex Encro-Chat 

(5 KLs 804 Js 28622/21) endet mit Freispruch

1.    Dem Angeklagten ist mit Anklageschrift vom 12. Mai 2022 zur Last gelegt worden, er habe von Spanien aus handelnd im April bzw. Mai 2020 in fünf Fällen Mengen zwischen 15 kg und 250 kg Marihuana, und zwar insgesamt rund 450 kg aufgrund entsprechender Vereinbarungen nach Deutschland in den Raum Mannheim geliefert. Er habe sich deshalb – jedenfalls nach damals gültiger Rechtslage – wegen Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in fünf Fällen, jeweils in Tateinheit mit Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge gem. §§ 29a Abs. 1 Nr. 2, 30 Abs. 1 Nr. 4 BtMG strafbar gemacht.

Die dem Verfahren zugrundeliegenden Erkenntnisse beruhen maßgeblich auf der Auswertung von Chatnachrichten, die französische Behörden in Zusammenarbeit mit niederländischen Behörden sowie Eurojust und Europol im Frühjahr 2020 erlangt hatten, nachdem es ihnen gelungen war, die Kommunikation auf Servern eines Dienstleistungsunternehmens („Encro-Chat“) sicherzustellen. Dieses Dienstleistungsunternehmen hatte den Kunden eine verschlüsselte Kommunikation über sog. Encro-Chat-Handys angeboten, die vor einer staatlichen Überwachung geschützt seien.

Aufgrund dieser auch an deutsche Strafverfolgungsbehörden weiter geleiteten Erkenntnisse kam es in der Folgezeit zu einer Vielzahl von Strafverfahren im gesamten Bundesgebiet. In einer grundlegenden Entscheidung hat sich der Bundesgerichtshof (vgl. Beschluss v. 2. März 2022 – Az. 5 Str 457/21, abzurufen über die Homepage des Bundesgerichtshofs) mit der Frage der Verwertbarkeit der aus der Sicherstellung der Encro-Chats erlangten Erkenntnisse beschäftigt und diese Erkenntnisse nur dann für verwertbar erklärt, wenn sie zur Aufklärung einer Straftat verwendet werden, auf Grund derer eine Maßnahme nach § 100b StPO hätte angeordnet werden können. Dabei seien die Wertung des § 100e Abs. 6 Nr. 1 StPO sowie die einschränkenden Voraussetzungen in § 100b Abs. 1 Nr. 2 und Nr. 3 StPO in den Blick zu nehmen, wobei maßgeblicher Zeitpunkt für die Frage der Beurteilung der Verwertbarkeit der Zeitpunkt der Verwertung der Daten sei (vgl. RN 68 – 70 der Entscheidung des Bundesgerichtshofs).

Mögliche Verwendungszeitpunkte sind

–      die Entscheidung über die Anklageerhebung durch die Staatsanwaltschaft,

–      die Entscheidung über die Eröffnung des Hauptverfahrens nach Anklageerhebung durch das erkennende Gericht bzw.

–      die Urteilsberatung bzw. Urteilsverkündung durch das erkennende Gericht.

2.    Die 5. Große Strafkammer hat den Angeklagten heute von den oben genannten Vorwürfen freigesprochen und zur Begründung ausgeführt,

–      dass im Hinblick auf das seit 1. April 2024 gültige Cannabisgesetz (kurz CanG) ausgehend von der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs keine ausreichende Grundlage für eine Verwertbarkeit der Erkenntnisse aus der sichergestellten Kommunikation mehr vorhanden sei,

–      die zunächst in der Hauptverhandlung abgegebene, dann jedoch widerrufene geständige Einlassung nicht ausreichend qualifiziert gewesen sei und damit keine Verurteilungsgrundlage biete und

–      im Übrigen keine weiteren verwertbaren Beweismittel vorhanden seien, die eine Verurteilung rechtfertigen würden.

Hinsichtlich der Verwertbarkeit der sog. Encro-Chat-Daten hat die Kammer darauf hingewiesen, dass die nach der Rspr. des Bundesgerichtshofs für die Beurteilung der Verwertbarkeit maßgebliche Regelung des § 100e Abs. 6 StPO durch das seit dem 1. April 2024 gültige Cannabisgesetz durch die teilweise Neuregelung der in Bezug genommenen Regelung des § 100b StPO (vgl. Art. 13a CanG) sowie vor allem durch die Neuregelung der Strafbarkeit bzgl. Cannabisprodukten in § 34 Konsumcannabisgesetz (kurz KCanG) eine grundlegende Änderung erfahren habe.

Die Strafbarkeit bzgl. Cannabisprodukten sei aus den §§ 29 ff BtMG herausgenommen und in § 34 KCanG geregelt worden. Als Folge sei auch § 100b Abs. 2 StPO durch die Einfügung der Nr. 5a (und auch der hier nicht relevanten Nr. 5b) geändert worden. Demnach sei eine Anwendbarkeit des § 100b StPO nur möglich, wenn sich der Angeklagte gem. § 34 Abs. 4 Nr. 1, 3 oder 4 KCanG strafbar gemacht habe.

Für die Beurteilung der Strafbarkeit sei im vorliegenden Verfahren nicht mehr das BtMG (dort §§ 29 ff BtMG) die maßgebliche Grundlage, sondern – sofern es ausschließlich um Cannabis gehe – § 34 KCanG. Eine Strafbarkeit des Angeklagten käme im vorliegenden Verfahren jedoch „nur“ nach § 34 Abs. 3 Nr. 1und Nr. 4 KCanG, nicht aber nach § 34 Abs. 4 CanG in Betracht.

Da § 100e Abs. 6 Nr. 1 StPO unverändert fortgelte und es demnach für die Frage der Verwertbarkeit darauf ankomme, ob die Voraussetzungen des § 100b Abs. 2 Nr. 5a StPO zum Zeitpunkt der Urteilsberatung bzw. Urteilsverkündung vorliegen und dies nicht der Fall sei, sei die Kammer zu dem Schluss gelangt, dass die sog. Encro-Chat Daten und damit die Erkenntnisse aus der sichergestellten Kommunikation nicht verwertbar seien.

Der Angeklagte sei daher – da auch keine weiteren Grundlagen für eine Verurteilung vorhanden seien – freizusprechen gewesen.

Ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass zwar der Haftbefehl im vorliegenden Verfahren aufgehoben worden ist, der Angeklagte sich jedoch aufgrund eines Haftbefehls in einem weiteren Verfahren weiterhin in Untersuchungshaft befindet.“

Mal schauen, was daraus wird…

Verteidiger waren übrigens die Kollegen Patrick Welke, Heidelberg, und Alexander Klein, Ludwigshafen.

Beleidigung III: Polizeivorgehen ist „racial profiling“, oder: Grundrecht der Meinungsfreiheit

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Und als dritte Entscheidung habe ich dann noch das LG Mannheim, Urt. v. 27.06.2023 – 15 NBs 404 Js 33134/21.

Das AG hatte die Angeklagte wegen Beleidigung verurteilt, das LG hat auf die Berufung der Angeklagten das Urteil aufgehoben und die Angeklagte freigesprochen. Das LG hat folgende Feststellungen getroffene:

„Die Angeklagte befand sich am 29.7.2021 zusammen mit Freunden am pp., als ihr Polizeibeamte auffielen, die im Bereich des dortigen Treppenabgangs Polizeikontrollen durchführten und insbesondere eine Person festnehmen wollten, die dann flüchtig ging. Die Angeklagte bemerkte, dass die Polizeibeamten vor allem dunkelhäutige Personen kontrollierten. Ohne den Grund dafür – nämlich einen Konzepteinsatz gegen Drogenhändler aus einer bestimmten Gruppierung – zu kennen und vor dem Hintergrund ihrer eigenen Erfahrungen auf Grund ihrer eben falls dunklen Hautfarbe empfand sie dies als ein einseitig und damit ungerechtfertigt gegen dunkelhäutige Personen gerichtetes polizeiliches Vorgehen. Sie sprach die beiden Polizei beamten POMin pp. und POM pp. darauf an, warum sie nicht auch „Lisa“ und „Peter“ kontrollierten, sondern nur „Schwarze“. Obwohl die beiden Beamten versuchten, ihr die Maßnahmen zu erklären, gab sich die Angeklagte mit den Erklärungen nicht zufrieden und bezeichnete das Vorgehen der Beamten wiederholt und mit zunehmender Lautstärke als rassistisch und als „racial profiling“. Nicht festzustellen war, ob die Angeklagte die Polizeibeamten auch als Rassisten bezeichnete. Die Polizeibeamten, insbesondere der hinzugekommene Einsatzleiter PK pp., empfanden die Äußerung als ungerechtfertigte, von vielen umstehenden Personen wahrzunehmende Unterstellung, sie seien in der Durchführung ihrer Arbeit an einer Geringschätzung einer bestimmten Ethnie orientiert, und fühlten sich hierdurch in ihrer Ehre verletzt.“

Den Freispruch hat das LG wie folgt begründet:

„Bei der Subsumtion einer Äußerung unter den Tatbestand der Beleidigung nach § 185 StGB ist zunächst zu klären, ob es sich bei dem verwendeten Begriff um eine Tatsache oder ein Werturteil handelt.

Der Begriff „Rassist“ bezeichnet eine Person, die eine andere Person aufgrund ihrer Herkunft oder Ethnie geringschätzt und sich ihr gegenüber aus diesem Grund anders verhält als gegenüber anderen Personen. Grundsätzlich kann es sich hierbei um eine Tatsache handeln, je nach Zusammenhang kann in dem — insbesondere unberechtigten – Vorwurf, aus rassistischen Gründen zu handeln, jedoch auch ein Werturteil liegen. Bei der Auslegung und Einordnung dieses Begriffes ist der sprachliche Kontext und die Begleitumstände der Äußerung zu beachten, so dass je nachdem gerade auch bei polizeilichen Maßnahmen der Begriff unterschiedlich zu werten sein kann. Der Umstand, dass die Polizeibeamten vor allem dunkelhäutige Personen kontrollierten, wie die Angeklagte zu Recht wahrnahm, könnte ein Anhaltspunkt dafür sein, dass eine mögliche Deutung der Äußerung auch eine straflose Tatsache sein könnte, eine Auslegungsvariante, die zu ihren Gunsten zugrunde zu legen wäre. Die Polizeibeamten hatten der Angeklagten jedoch die Maßnahmen erklärt, und sie beharrte gleichwohl auf ihrer Darstellung, so dass in ihrer Äußerung ein tatsachenhaltiges Werturteil gesehen werden kann. Dies kann jedoch letztlich dahinstehen.

Selbst wenn man davon ausgeht, dass der Schwerpunkt der Äußerung in der Kundgabe einer ehrverletzenden Meinung liege, bleibt die Äußerung unter dem Gesichtspunkt der Wahrnehmung berechtigter Interessen nach § 193 StGB straflos.

Die Angeklagte machte von ihrem verfassungsmäßig garantierten Recht aus Art. 5 GG auf freie Meinungsäußerung Gebrauch. Sie tätigte ihre Äußerung im Zusammenhang mit den polizeilichen Maßnahmen, die vor allem dunkelhäutige Menschen betrafen, und wollte diese ersichtlich kritisieren. Das Recht, Maßnahmen der öffentlichen Gewalt ohne Furcht vor staatlichen Sanktionen auch scharf kritisieren zu können, gehört zum Kernbereich der Meinungsfreiheit, weshalb deren Gewicht besonders hoch zu veranschlagen ist. Die Meinungsfreiheit erlaubt es insbesondere nicht, den Betroffenen auf das zur Kritik am Rechtsstaat Erforderliche zu beschränken und ihm damit ein Recht auf polemische Zuspitzung abzusprechen. Teil dieser Freiheit ist, dass Bürger von ihnen als verantwortlich angesehene Amtsträger in anklagender und personalisierter Weise für deren Art und Weise der Machtausübung angreifen können, ohne befürchten zu müssen, dass die personenbezogenen Elemente solcher Äußerungen aus diesem Kontext herausgelöst werden und die Grundlage für einschneidende gerichtliche Sanktionen bilden (ständige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, vergleiche etwa BVerfG, B. v. 6.6.2017, 1 BvR 180/17, BVerfG B. v. 14.6.2019, 1 BvR 2433/17, beides bei juris).

Das Grundrecht der Meinungsfreiheit findet seine Grenzen in den allgemeinen Gesetzen, insbesondere in den Grundrechten der von der Äußerung Betroffenen. Bei der Abwägung der Meinungsfreiheit gegenüber dem Persönlichkeitsrecht der Polizeibeamten aus Art. 2 GG war Ersteres höher zu gewichten, trotz der Äußerung im öffentlichen Raum. Die Angeklagte hat über die Behauptung rassistischen Vorgehens hinaus keine ehrverletzenden Äußerungen getätigt, sondern nur dieses postuliert. Auch wenn sich die Polizeibeamten hierdurch in ihrer Ehre verletzt fühlten, ist ihnen aufgrund der faktisch mächtigen Position der Amtsträger zuzumuten zu erkennen, dass sich in einer solchen — wenn auch im Einzelfall unberechtigten und emotional geäußerten — Kritik weniger eine Ehrverletzung ihrer Person als vielmehr eine gewisse Hilflosigkeit und Betroffenheit äußert, die durch die schwierigen Umstände von Migranten entsteht, die sich mit Amtsträgern oft nicht adäquat auseinandersetzen können, und von dunkelhäutigen Personen, die sich in ihrem Alltag häufig mit Diskriminierung konfrontiert sehen.

Daher sind die Äußerungen der Angeklagten nach § 193 StGB straffrei, weshalb sie aus rechtlichen Gründen — unter Aufhebung der erstinstanzlichen Verurteilung — freizusprechen war.“

(Neue) Pausenregelung für den Pflichtverteidiger, oder: Wie berechne ich die Hauptverhandlungsdauer?

Durch das KostRÄndG 2021 ist die Vorbem. 4.1 Abs. 3 VV RVG in das RVG eingefügt worden. Die regelt die Berechnung der in den Fällen des Längenzuschlags für den Pflichtverteidiger maßgeblichen Hauptverhandlungsdauer. Zu der Neuregelung liegt nun die erste Entscheidung vor, und zwar der LG Mannheim, Beschl. v. 11.05.2022 – 4 KLs 300 Js 40140/20.

In dem Verfahren geht es um drei Hauptverhandlungstermine am 5.11., 19.11. und 30.11.2021, für die der Pflichtverteidiger Längenzuschläge geltend gemacht hatte, die aber nicht festgesetzt worden sind. Das LG Mannheim sagt: Zutreffend:

„1. Entgegen des Vorbringens des Rechtsanwalts K ist die Mittagspause bei der Berechnung der Gesamtdauer der Hauptverhandlung für die oben genannten drei Termine abzuziehen. Die in der Erinnerungsbegründung zitierte Rechtsprechung erging vor dem Erlass des Art. 7 Abs. 1 Ziffer 42 des Kostenrechtsänderungsgesetzes vom 21.12.2020 (BGBl. I S. 3229 (Nr. 66)) und damit vor Einführung des Absatzes 3 der Vorbemerkung 4.1 in Anlage 1 Teil 4 RVG. Letztgenannte Vorschrift findet hier nach der Maßgabe von § 60 Abs.1 RVG Anwendung, da sowohl die Auftragserteilung als auch die Beiordnung des Rechtsanwalts K nach Inkrafttreten der Gesetzesänderung erfolgt sind.

Nach Absatz 3 der Vorbemerkung 4.1 in Anlage 1 Teil 4 RVG sind zwar auch Wartezeiten und Unterbrechungen an einem Hauptverhandlungstag als Teilnahme zu berücksichtigen, wenn es für eine Gebühr auf die Dauer der Teilnahme an der Hauptverhandlung ankommt. Dies gilt jedoch nicht für Unterbrechungen von jeweils mindestens einer Stunde, soweit diese unter Angabe einer konkreten Dauer der Unterbrechung oder eines Zeitpunkts der Fortsetzung der Hauptverhandlung angeordnet wurden.

Wird die Hauptverhandlung durch den Vorsitzenden für unbestimmte Zeit unterbrochen, ist die Dauer der Unterbrechung als Teilnahme an der Hauptverhandlung zu rechnen (vergleiche Toussaint, Kostenrecht, 51. Auflage 2021, RVG VV Vorbemerkung 4.1: Rn. 35; BR-Drs. 565/20, 98). Ordnet der Vorsitzende unter Nennung des Zeitraums eine Unterbrechung an und wird die Hauptverhandlung aus von dem Rechtsanwalt nicht zu vertretenen Gründen erst nach dem genannten Zeitraum fortgesetzt, ist nur der durch den Vorsitzenden angeordnete Zeitraum zu berücksichtigen und nicht die Dauer der tatsächlichen Unterbrechung (Toussaint, ebenda).

2. Diesen gesetzlichen Vorgaben entsprechend ist der Längenzuschlag gemäß Nr. 4116 VV RVG, der entsteht, wenn der gerichtlich bestellte oder beigeordnete Rechtsanwalt mehr als 5 und bis 8 Stunden an der Hauptverhandlung teilnimmt, an keinem der durch den Rechtanwalt K genannten Termine entstanden:

a) Am 05.11.2021 begann die auf 09:00 Uhr terminierte Sitzung um 09:13 Uhr und endete um 14:54 Uhr. Mit Verfügung der Vorsitzenden wurde die Sitzung zur Mittagspause von 12:04 Uhr bis 13:30 Uhr unterbrochen und um 13:36 Uhr fortgesetzt. Mithin ist von dem Zeitraum von 09:00 Uhr bis 14:54 Uhr – 5 Stunden und 54 Minuten – die anberaumte Mittagspause von 12:04 Uhr bis 13:30 Uhr – 1 Stunde und 36 Minuten – abzuziehen, was eine zu berücksichtigende Verhandlungsdauer von 4 Stunden und 28 Minuten ergibt.

b) Am 19.11.2021 begann die auf 09:00 Uhr anberaumte Sitzung um 09:18 Uhr und endete um 14:15 Uhr. Mit Verfügung der Vorsitzenden wurde die Sitzung von 11:36 Uhr bis 13:30 Uhr zur Mittagspause unterbrochen und um 13:30 Uhr fortgesetzt. Mithin ist von dem Zeitraum von 09:00 Uhr bis 14:15 Uhr – 5 Stunden und 15 Minuten – die anberaumte Mittagspause von 11:36 Uhr bis 13:30 Uhr – 1 Stunde 54 Minuten – abzuziehen, was eine zu berücksichtigende Verhandlungsdauer von 3 Stunden und 21 Minuten ergibt.

c) Am 30.11.2021 begann die auf 09:00 Uhr anberaumte Sitzung um 09:15 Uhr und endete um 15:05 Uhr. Mit Verfügung der Vorsitzenden wurde die Sitzung zur Mittagspause von 11:57 Uhr bis 14:00 Uhr unterbrochen und um 14:05 Uhr fortgesetzt. Mithin ist von dem Zeitraum von 09:00 Uhr bis 15:05 Uhr – 6 Stunden und 5 Minuten – die anberaumte Mittagspause von 11:57 Uhr bis 14:00 Uhr – 2 Stunden und 3 Minuten – abzuziehen, was eine zu berücksichtigende Verhandlungsdauer von 4 Stunden und 2 Minuten ergibt.“

M.E. ist die Entscheidung zutreffend. Denn sie entspricht der (neuen) vereinfachten Systematik der Vorbem. 4.1 Abs. 3 VV RVG (dazu auch Burhoff/Volpert/Burhoff, RVG, Vorbem. 4.1 Rn 48 ff. und hier mein Beitrag aus StraFo 2021, 8 – Änderungen bei der Vergütung der Verteidiger/Rechtsanwälte in Straf- und Bußgeldsachen durch das KostRÄG 2021.

Danach werden Wartezeiten und Unterbrechungen während eines Verhandlungstags als Teilnahme an der Hauptverhandlung berücksichtigt. Dies gilt nur dann nicht, wenn der Pflichtverteidiger die Wartezeit oder die Unterbrechung zu vertreten hat oder die Unterbrechung länger als eine Stunde

Hinsichtlich der Unterbrechungen/Pausen am Hauptverhandlungstag sind Unterbrechungen und Pausen bis zu einer Stunde immer als Hauptverhandlungszeit zu berücksichtigen. Auf den Grund der Unterbrechung, also z.B. für eine Mittagspause, kommt es nicht (mehr) an vgl. BT-Drucks 19/23484, S. 85). Längere Pausen werden nicht berücksichtigt, wenn der Rechtsanwalt bei der Anordnung der Unterbrechung deren Zeitraum kennt. Dabei ist es ebenfalls unerheblich, aus welchem Grund die Pause gemacht wird, ob als Mittagspause oder aus einem sonstigen Grund.

Das bedeutet hier, dass die angeordneten Pausen von mehr als Stunde bei der Berechnung der Hauptverhandlungszeit nicht zu berücksichtigen waren und zutreffend nicht berücksichtigt worden sind. Soweit die Pausen am 5.11. und am 30.11.2021 länger gedauert haben, als sie angeordnet worden waren, ist das auf jeden Fall ohne Belang für die zu berücksichtigende Hauptverhandlungsdauer, Der Beschluss teilt nicht mit, worauf hier der verzögerte Beginn am 5.11. und am 30.11.2021 zurückzuführen ist, obwohl der Leitsatz 2) dafür sprechen könnte, dass der Verteidiger die Verzögerung zu vertreten hat. Ist das Fall, ist also die längere Dauer auf vom Pflichtverteidiger zu vertretende Umstände zurückzuführen, greift Vorbem. 4 Abs. 3 S. 2 VV RVG. Anderenfalls wären die Verzögerungszeiten zwar zu berücksichtigen (vgl. BT-Drucks. 19723484, S. 84 f.), was aber hier nichts an der Entscheidung geändert hätte. Denn selbst wenn die Verzögerungen auch als Hauptverhandlungsdauer anzusehen (gewesen) wären, würde das aber immer noch nicht gereicht haben, um die „5-Stunden-Marke“ zu überschreiten.

Pflichti II: Bestellung im JGG-Verfahren wegen BtM, oder: Schwierge Sachlage, wenn viele Polizeizeugen

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Im zweiten Posting dann etwas zur Schwere der Tat i.S. des § 140 Abs. 2 StPO.

Zunächst der Hinweis auf den LG Mannheim, Beschl. v. 16.02.2022 – 7 Qs 9/22. Das LG hat in einem JGG-Verfahren mit dem Vorwurf des Handeltreibens mit BtM, und zwar u.a. gewerbsmäßig, einen Pflichtverteidiger bestellt. Hier die Begründung:

„Es liegt ein Fall der notwendigen Verteidigung nach § 68 Abs. 1 Nr. 1 JGG i.V.m. § 140 Abs. 2 StPO vor, da zumindest die Schwere der Tat eine Beiordnung rechtfertigt.

Aufgrund der bisherigen Ermittlungen, insbesondere aber aufgrund der Angaben des Beschuldigten im Rahmen seiner polizeilichen Vernehmung vom 15.04.2021, in der er umfassende Angaben zu seinen bisherigen Drogengeschäften gemacht hat, werden dem Beschuldigten derzeit mehr als 80 Fälle des Erwerbs von Betäubungsmitteln zum Eigenkonsum (jeweils 1 -g Marihuana) sowie mehr als 15 Fälle des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln (mit einer Gesamtmenge von rund 600 g Marihuana) zur Last gelegt, wobei. bzgl. des Handeltreibens von einer gewerbsmäßigen Begehungsweise im Sinne des § 29 Abs. 3 Nr. 1 BtMG auszugehen ist (vgl. die Übersicht der Staatsanwaltschaft Mannheim vom 22.12.2021, BI. 74 u. 75). Die Taten soll er im Zeitraum von Januar 2020 bis März 2021 jeweils über einen Zeitraum von mehreren Monaten begangen haben.

Abgesehen davon, dass Dauer und Umfang der Taten durchaus Raum für die Annähme des Vorliegens schädlicher Neigungen lassen und damit ggf. auch an die Voraussetzung des § 140 Abs. 1 Nr. 1 StPO zu denken wäre, sind die Taten des gewerbsmäßigen Handeltreibens als solche aufgrund des – jedenfalls im Erwachsenenstrafrecht geltenden – Regelstrafrahmens von mindestens einem Jahr als schwer anzusehen.

Der Gesetzgeber hat sich durch die Neugestaltung des § 140 Abs. 2 StPO bewusst von der reinen Ausrichtung der Schwere der Tat nach der zu. erwartenden Rechtsfolge gelöst und die Schwere der zu erwartenden Rechtsfolge als eigenständige Voraussetzung normiert- damit kommt der Schwere der Tat ein eigenständiger Anwendungsbereich zu, der nur in der Schwere des Tatvorwurfs liegen kann (vgl. BeckOK/Noah JGG § 68 RN 13; Eisenberg/Kölbel JGG, 22. Aufl. § 68 RN.24). Dass eine Tat; die – wenn gleich als Regelbeispiel – grds. mit einer Mindeststrafe von einem Jahr, bedroht ist, als schwer anzusehen ist, liegt auf der Hand, zumal wenn wie im vorliegenden Fall die Tat wiederholt begangen worden ist.

Zudem ist bei Jugendlichen und Heranwachsenden zu beachten, dass diese aufgrund ihrer geringeren Lebenserfahrung und des geistigen und körperlichen Entwicklungsprozesses, in dem sie sich befinden, weit Weniger als-Erwachsene in der Lage sind, die Abläufe und Tragweite eines Strafverfahrens, insbesondere auch für ihre weitere schulische und berufliche Entwicklung ab-zu schätzen und sich dementsprechend zu verteidigen. Der Grundsatz des fairen Verfahrens gebietet deshalb eine diesem Umstand gerecht werdende – in Rspr. und Lit. auch als „großzügig und extensiv“ bezeichnete (vgl. OLG Schleswig-Holstein StraFo 2009, 28; OLG Hamm StV 2008, 120; OLG Saarbrücken NStZ-RR 2007, 282; OLG Brandenburg NStZ 2002, 184; OLG Hamm StraFo 2002, 293; Beck9K/Noah JGG § 68 RN 12; Eisenberg/Kölbel JGG, 22. Aufl. § 68. RN 23; Ostendorf, JGG, 11. Aufl. § 68 .RN 7f), jeweils m.w.N.) – Anwendung des § 68 Abs. 1 .Nr. 1 JGG. Im vorliegenden Fall ist nicht nur zu‘ berücksichtigen, dass der Beschuldigte erst vor wenigen Tagen 18 Jahre alt geworden ist, sondern auch, dass es sich bei ihm – was der regelmäßige und relativ intensive Drogenkonsum nahelegt – durchaus um eine instabile Persönlichkeit handeln könnte.

Lediglich ergänzend weist die Kammer darauf hin, dass die Versagung der Beiordnung, auch eine dem Wortlaut des § 68 Abs. 1 Nr. 1 JGG nicht entsprechende Privilegierung erwachsener Straftäter darstellen würde. Maßgeblich ist nach §.68 Abs. 1 Nr. 1 JGG, ob im Verfahren gegen einen Erwachsenen ein Fall der notwendigen Verteidigung vorliegen würde; davon wäre, bei einem Erwachsenen bei vergleichbaren Tatvorwürfen ohne Weiteres auszugehen. Dass im Jugendstrafrecht im Hinblick auf die Entwicklung jugendlicher Straftäter ein breites Spektrum von. Rechtsfolgen vorgesehen ist und diese Rechtsfolgen nicht mit der Eingriffsintensität von Geld-. oder Freiheitsstrafen verlieren sind, rechtfertigt nicht, den jugendlichen Täter allein aufgrund der geringeren Rechtsfolgenerwartung schlechter als den Erwachsenen zu stellen.“

Und zur Abrundung dann noch der LG Düsseldorf, Beschl. v. 14.02.2022 – 18 Qs 9/22. Es handelt sich um einen „Polizeizeugenfall“. Das LG hat bestellt. Hier der Leitsatz:

Ein Fall der notwendigen Verteidigung unter dem Gesichtspunkt der Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage kann aufgrund der zu erwartenden umfangreicheren Beweisaufnahme durch Vernehmung einer Vielzahl von Polizeizeugen anzunehmen sein.

StPO II: Zweimal etwas zu Beschlagnahmefragen, oder: Bezeichnung in der Anordnung und Herausgabe

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Im zweiten Posting dann einige Entscheidungen zur Beschlagnahme. Hier stelle ich aber nur die jeweiligen Leitsätze vor, und zwar.

Sind sowohl die Voraussetzungen der Herausgabe an den Verletzten (§ 111n Abs. 2 StPO) als auch die Voraussetzungen der Herausgabe an den letzten Gewahrsamsinhaber (§ 111n Abs. 1 StPO) offenkundig erfüllt, hat die Herausgabe grundsätzlich vorrangig an den Verletzten zu erfolgen.

1. Ordnet ein Richter – etwa gleichzeitig mit dem Erlass eines Durchsuchungsbeschlusses – die Beschlagnahme von Gegenständen an, bevor diese von den Strafverfolgungsbehörden in amtlichen Gewahrsam genommen worden sind, und bezeichnet er die Gegenstände nicht so genau, dass keine Zweifel darüber entstehen, ob sie von der Beschlagnahmeanordnung erfasst sind, etwa bei einer gattungsmäßigen Umschreibung, dann liegt noch keine wirksame Beschlagnahmeanordnung vor, sondern nur eine Richtlinie für die Durchsuchung.

2. In einem solchen Fall hat ein Betroffener zunächst eine Entscheidung gemäß § 98 Abs. 2 Satz 2 StPO über die Bestätigung der Beschlagnahme konkreter Beweismittel herbeizuführen. Eine gegen die unwirksame Beschlagnahmeanordnung gerichtete Beschwerde ist entsprechend auszulegen. Die Nichtabhilfeentscheidung ersetzt nicht die richterliche Bestätigung der Beschlagnahme.