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StPO I: Encrochat-/ANOM-/SkyECC-Daten und KCanG, oder: OLG Stuttgart/LG Saarbrücken ggf. unverwertbar

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Heute gibt es hier dann einen StPO-Tag, und zwar mit einer Entscheidung zu EncroChat bzw. zur Frage der Verwertbarkeit von Encrochat-/ANOM-/SkyECC-Chats-Daten nach Inkrafttreten des KCanG, sowie einem zur Durchsuchung und dann als letztes etwas zum letzten Wort..

Ich beginne mit den Encrochat-/ANOM-/SkyECC-Chats-Daten Dazu stelle ich zwei Entscheidungen vor, allerdings nur jeweils kurz mit den entscheidenden Passagen der Entscheidungen, denn die allgemeinen Fragen der Vewertung dieser Daten waren ja schon oft genug Gegenstand der Berichterstattung.

Bei der ersten Entscheidung handelt es sich um den OLG Stuttgart, Beschl. v. 22.04.2024 – H 4 Ws 123/24. Ergangen ist die Entscheidung in einem Haftprüfungsverfahren. Gegenstand des Verfahrens sind Vorwürfe des Verstoßes gegen das BtMG. Das OLG hat wegen eines Teils der Vorwürfe den dringen Tatverdacht auf der Grundlage von ANOM-Daten bejaht, wegen eines anderen Teils führt es aus:

„Es kann deshalb dahinstehen und bleibt dem Ergebnis der Hauptverhandlung vorbehalten, ob ein dringender Tatverdacht auch bezüglich der im Haftbefehl unter Ziff. I.1, 3 und 5 bezeichneten Tatvorwürfe gegeben ist. Für die Prüfung der Verwertbarkeit der aufgrund des ANOM-Chatverkehrs gewonnenen Daten ist auf den Erkenntnisstand im Zeitpunkt der Verwertung der Beweisergebnisse abzustellen; es kommt mithin insoweit nicht auf die Rekonstruktion der Verdachtslage im (hypothetischen) Anordnungszeitpunkt, sondern auf die Informationslage im Verwendungszeitpunkt an (BGH a.a.O., Rn. 70). Nach vorläufiger Wertung liegt eine Katalogtat im Sinne des § 100b Abs. 2 Nr. 5a StPO in der seit dem 1. April 2024 gültigen Fassung, der nur Straftaten gemäß § 34 Abs. 4 Nr. 1, Nr. 3 oder Nr. 4 Konsumcannabisgesetz (KCanG) erfasst, nicht vor. Eine Verwendung der zulässig erlangten Beweise als Zufallserkenntnisse zum Nachweis von mit Katalogtaten in Zusammenhang stehenden Nichtkatalogtaten ist nur zulässig, wenn zwischen diesen Tateinheit im Sinne des § 52 Abs. 1 StGB bzw. Tatidentität im Sinne des § 264 StPO gegeben ist (BGH, Urteil vom 14. August 2009 – 3 StR 552/08, juris Rn. 27 unter Verweis auf BGH, Urteil vom 30. August 1978 – 3 StR 255/78, NJW 1979, 990; BGH, Urteil vom 22. Dezember 1981 – 5 StR 540/81, NStZ 1982, 125; BGH, Beschluss vom 18. März 1998 – 5 StR 693/97, juris Rn. 7 f.).“

Und dann der LG Saarbrücken, Beschl. v. 03.06.2024 – 4 KLs 28 Js 140/23 (16/24). Ergangen ist der Beschluss in einen Verfahren wegen BtM-Handels. Die Strafkammer hat mit dem Beschluss einen Antrag der Staatsanwaltschaft, auf Verlesung von in einem Beweisantrag näher bezeichneten SkyECC-Chats abgelehnt (und den Angeklagten anschließend frei gesprochen:

„So liegt der Fall hier: Die Anklageschrift bezieht sich lediglich auf Taten des Handeltreibens mit Cannabis. Das Handeltreiben mit Cannabis ist nach der am 1. April 2024 in Kraft getretenen gesetzlichen Neuregelung durch das Gesetz zum kontrollierten Umgang mit Cannabis und zur Änderung weiterer Vorschriften (Cannabisgesetz — CanG) nicht mehr als Katalogtat des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge nach § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG einzuordnen, sondern als Handeltreiben mit Cannabis in den besonders schweren Fällen der Gewerbsmäßigkeit und der nicht geringen Menge nach § 34 Abs. 1 Nr. 4, Abs. 3 Nr. 1 und 4 KCanG. Dies stellt jedoch keine Katalogtat des § 100b Abs 2 StPO dar, da lediglich die in § 34 Abs. 4 Nr. 1, 3 und 4 KCanG aufgeführten Taten in die Aufzählung der Katalogtaten aufgenommen wurden (vgl. § 100b Abs. 2 Nr. 5a StPO; so auch KG Berlin, Beschluss v. 30.04.2024, 5 Ws 67/24).“

StPO I: EuGH – Verwertung von Encro-Chat? Ja, aber, oder: LG Kiel sieht keine Auswirkungen

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Und dann heute StPO-Entscheidungen – aus der Instanz. Na ja, fast 🙂

Ich erinnere. Das LB Berlin hatte mit dem LG Berlin, Beschl. v. 01.07.2021 – (525 KLs) 254 Js 592/20 (10/21); dem EuGH einige Fragen zur Verwertbarkeit der durch die EncroChat-Übewachung gewonnenen Ergebnisse vorgelegt (vgl. dazu Sondermeldung zur Verwertbarkeit von EncroChat, oder: Endlich Vorlage an den EuGH durch das LG Berlin.

Inzwischen hat sich, worüber ja auch schon an anderen Stellen berichtet worden ist, der EuGH zu den Voraussetzungen für die Übermittlung und Verwendung von Beweismitteln in grenzüberschreitenden Strafverfahren geäußert und die präzisiert. Dabei hat er die deutsche Rspr. bestätigt, wonach die Staatsanwalt Daten, die von ausländischen Behörden gewonnen werden, auch dann verwenden dürfen, wenn die Maßnahme in Deutschland nicht zulässig gewesen wäre (EUGH, Urt. v. 30.4.2024 – C-670/22).

Ich will hier jetzt nicht – die immer – ein wenig schwer lesbare Entscheidung des EuGH einstellen, sondern nur die Grundzüge der Entscheidung mtteilen, die sich etwa wie folgt zusammenfassen lassen:

  • Eine EAA, die auf die Übermittlung von Beweismitteln gerichtet ist, die sich bereits im Besitz der zuständigen Behörden des Vollstreckungsstaats (hier: Frankreich) befinden, muss nicht notwendigerweise von einem Richter erlassen werden. Sie kann von einem StA erlassen werden, wenn dieser in einem rein innerstaatlichen Verfahren dafür zuständig ist, die Übermittlung bereits erhobener Beweise anzuordnen.
  • Der Erlass einer solchen EAA unterliegt denselben materiell-rechtlichen Voraussetzungen, wie sie für die Übermittlung ähnlicher Beweismittel bei einem rein innerstaatlichen Sachverhalt gelten. Es ist nicht erforderlich, dass er denselben materiell-rechtlichen Voraussetzungen unterliegt, wie sie für die Erhebung der Beweise gelten. Jedoch muss ein Gericht, das mit einem Rechtsbehelf gegen diese Anordnung befasst ist, die Wahrung der Grundrechte der betroffenen Personen überprüfen können.
  • Der EuGH stellt außerdem klar, dass der Mitgliedstaat, in dem sich die Zielperson der Überwachung befindet, von einer mit der Infiltration von Endgeräten verbundenen Maßnahme zur Abschöpfung von Verkehrs-, Standort- und Kommunikationsdaten eines internetbasierten Kommunikationsdienstes unterrichtet werden muss. Die zuständige Behörde dieses Mitgliedstaats hat dann die Möglichkeit, mitzuteilen, dass die Überwachung des Telekommunikationsverkehrs nicht durchgeführt werden kann oder zu beenden ist, wenn diese Überwachung in einem vergleichbaren innerstaatlichen Fall nicht genehmigt würde.
  • Das nationale Strafgericht muss in einem Strafverfahren gegen eine Person, die der Begehung von Straftaten verdächtig ist, Beweismittel unberücksichtigt lassen, wenn die betroffene Person nicht in der Lage ist, zu ihnen Stellung zu nehmen, und wenn sie geeignet sind, die Würdigung der Tatsachen maßgeblich zu beeinflussen.

So traurig es ist: Aus der Entscheidung des EuGH  lässt sich wohl kein Beweisverwertungsverbot VV hinsichtlich der EncroChat- bzw. SkyECC-Daten entnehmen. Und auf der Linie liegt dann auch gleich eine LG Entscheidung, und zwar der LG Kiel, Beschl. v. 08.05.2024 – 7 KLs 593 Js 18366/22 -, der weiterhin die Verwertbarkeit von Encrocaht bejaht:

„Auch aus der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs vom 30.04.2024 betreffend EncroChat lässt sich – entgegen den Ausführungen der Verteidigung in der Haftbeschwerde – kein Beweisverwertungsverbot hinsichtlich der EncroChat- bzw. SkyECC-Daten entnehmen. Der Europäische Gerichtshof hat in der Entscheidung u.a. ausgeführt, dass Art. 6 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 2014/41 nicht dem Erlass einer Europäischen Ermittlungsanordnung entgegensteht, wenn die Integrität der durch die Überwachungsmaßnahme erlangten Daten wegen der Vertraulichkeit der technischen Grundlagen, die diese Maßnahme ermöglicht haben, nicht überprüft werden kann, sofern das Recht auf ein faires Verfahren im späteren Strafverfahren gewährleistet ist. Die Integrität der übermittelten Beweismittel kann grundsätzlich nur zu dem Zeitpunkt beurteilt werden, zu dem die zuständigen Behörden tatsächlich über die fraglichen Beweismittel verfügen (EuGH, Urt . v. 30.04.2024, Az. C-670/22, Rn. 90). Darüber hinaus ist die Europäische Ermittlungsanordnung ein Instrument der justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen im Sinne von Art. 82 Abs. 1 AEUV, die auf dem Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung gerichtlicher Urteile und Entscheidungen beruht. Dieser Grundsatz, der den „Eckstein“ der Justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen bildet, beruht seinerseits auf dem gegenseitigen Vertrauen sowie auf der widerlegbaren Vermutung, dass andere Mitgliedstaaten das Unionsrecht und insbesondere die Grundrechte einhalten. Daraus folgt, dass die Anordnungsbehörde, wenn sie mittels einer Europäischen Ermittlungsanordnung um Übermittlung von Beweismitteln ersucht, die sich bereits im Besitz der zuständigen Behörden des Vollstreckungsstaats befinden, nicht befugt ist, die Ordnungsmäßigkeit des gesonderten Verfahrens zu überprüfen, mit dem der Vollstreckungsmitgliedstaat die Beweise, um deren Übermittlung sie ersucht, erhoben hat. Insbesondere würde eine gegenteilige Auslegung von Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 2014/41 in der Praxis zu einem komplexeren und weniger effizienten System führen, das dem mit der Richtlinie verfolgten Ziel abträglich wäre (vgl. EuGH, Urt. v. 30.04.2024, Az. C-670/22, Rn. 99 f.). In einem Strafverfahren im Anordnungsstaat ist bei der Bewertung. der mittels einer Europäischen Ermittlungsanordnung erlangten Beweismittel sicherzustellen, dass die Verteidigungsrechte gewahrt und ein faires Verfahren gewährleistet wird, was impliziert, dass ein Beweismittel, zu dem eine Partei nicht sachgerecht Stellung nehmen kann, vom Strafverfahren auszuschließen ist (vgl. EuGH, Urt. v. 30.04.2024, Az, C-670/22, Rn. 130).

Diese Ausführungen des Europäischen Gerichtshofes sind auch auf die SkyECC-Daten übertragbar.

Die Kammer ist davon überzeugt, dass die Verteidigungsrechte des Angeklagten gewahrt sind und ein faires Verfahren gewährleistet wird. Insbesondere *besteht für den Angeklagten die Möglichkeit zu sämtlichen vorliegenden Daten sachgerecht Stellung zu nehmen. Es liegen zudem die französischen Beschlüsse im Zusammenhang mit der Erhebung der SkyECC-Daten vor (SB französische Beschlüsse I und II), sodass die rechtlichen Rahmenbedingungen für die Verfahrensbeteiligten nachprüfbar waren und sind. Hinsichtlich der Übereinstimmung der im‘ hiesigen Verfahren zu Grunde liegenden Daten mit den durch die französischen, Behörden übermittelten SkyECC-Daten hat die Kammer bereits Beweis erhoben durch Vernehmung des.Zeugen pp. des LKA .Kiel, u.a. über .dessen durchgeführten Datenabgleich. Danach ergeben sich keine Anhaltspunkte für eine Datenverfälschung in Deutschland. ‚Soweit es den französischen Bereich betrifft, gibt es ebenfalls keine Anhaltspunkte dafür, dass die Daten fehlerhaft und inhaltlich verfälschend aufgezeichnet und ausgewertet worden sind. Widersprüche bei den Zahlen und sonstigen Datenwiedergaben sieht die Kammer nicht. Dabei übersieht die Kammer nicht, dass die Chats die Kommunikation nicht lückenlos wiedergeben. Das hat sie berücksichtigt und wird es weiter berücksichtigen.“

Nach der EuGH-Entscheidung wird man sich fragen (müssen), ob eigentlich EncroChat noch ein „vernünftiger“ Verteidigungsansatz ist. Jedenfalls wird das Verteidigen mit EncroChat sicherlich nicht leichter.

News: CanG reicht nicht für EncroChat-Verwertung, oder: Freispruch in „Encro-Chat-Komplex-Verfahren

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Und dann mal wieder eine Sondermeldung.

Die befasst sich mit einem BtM-Verfahren aus dem Komplex Encro-Chat, auf das ich gerade hingewiesen worden bin. Tja, ist die Frage: Ist es Encro-Chat oder „neues“ BtM-Recht. Nun ich glaube eher wohl das neue BtM-Recht.,

Über die Ticker läuft dazu gerade eine PM des LG Mannheim zu dem dort anhängigen Verfahren 5 KLs 804 Js 28622/21. Das hat heute mit einem Freispruch geendet. Alles weitere dazu in der PM des LG, in der es heißt:

„Verfahren aus dem Komplex Encro-Chat 

(5 KLs 804 Js 28622/21) endet mit Freispruch

1.    Dem Angeklagten ist mit Anklageschrift vom 12. Mai 2022 zur Last gelegt worden, er habe von Spanien aus handelnd im April bzw. Mai 2020 in fünf Fällen Mengen zwischen 15 kg und 250 kg Marihuana, und zwar insgesamt rund 450 kg aufgrund entsprechender Vereinbarungen nach Deutschland in den Raum Mannheim geliefert. Er habe sich deshalb – jedenfalls nach damals gültiger Rechtslage – wegen Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in fünf Fällen, jeweils in Tateinheit mit Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge gem. §§ 29a Abs. 1 Nr. 2, 30 Abs. 1 Nr. 4 BtMG strafbar gemacht.

Die dem Verfahren zugrundeliegenden Erkenntnisse beruhen maßgeblich auf der Auswertung von Chatnachrichten, die französische Behörden in Zusammenarbeit mit niederländischen Behörden sowie Eurojust und Europol im Frühjahr 2020 erlangt hatten, nachdem es ihnen gelungen war, die Kommunikation auf Servern eines Dienstleistungsunternehmens („Encro-Chat“) sicherzustellen. Dieses Dienstleistungsunternehmen hatte den Kunden eine verschlüsselte Kommunikation über sog. Encro-Chat-Handys angeboten, die vor einer staatlichen Überwachung geschützt seien.

Aufgrund dieser auch an deutsche Strafverfolgungsbehörden weiter geleiteten Erkenntnisse kam es in der Folgezeit zu einer Vielzahl von Strafverfahren im gesamten Bundesgebiet. In einer grundlegenden Entscheidung hat sich der Bundesgerichtshof (vgl. Beschluss v. 2. März 2022 – Az. 5 Str 457/21, abzurufen über die Homepage des Bundesgerichtshofs) mit der Frage der Verwertbarkeit der aus der Sicherstellung der Encro-Chats erlangten Erkenntnisse beschäftigt und diese Erkenntnisse nur dann für verwertbar erklärt, wenn sie zur Aufklärung einer Straftat verwendet werden, auf Grund derer eine Maßnahme nach § 100b StPO hätte angeordnet werden können. Dabei seien die Wertung des § 100e Abs. 6 Nr. 1 StPO sowie die einschränkenden Voraussetzungen in § 100b Abs. 1 Nr. 2 und Nr. 3 StPO in den Blick zu nehmen, wobei maßgeblicher Zeitpunkt für die Frage der Beurteilung der Verwertbarkeit der Zeitpunkt der Verwertung der Daten sei (vgl. RN 68 – 70 der Entscheidung des Bundesgerichtshofs).

Mögliche Verwendungszeitpunkte sind

–      die Entscheidung über die Anklageerhebung durch die Staatsanwaltschaft,

–      die Entscheidung über die Eröffnung des Hauptverfahrens nach Anklageerhebung durch das erkennende Gericht bzw.

–      die Urteilsberatung bzw. Urteilsverkündung durch das erkennende Gericht.

2.    Die 5. Große Strafkammer hat den Angeklagten heute von den oben genannten Vorwürfen freigesprochen und zur Begründung ausgeführt,

–      dass im Hinblick auf das seit 1. April 2024 gültige Cannabisgesetz (kurz CanG) ausgehend von der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs keine ausreichende Grundlage für eine Verwertbarkeit der Erkenntnisse aus der sichergestellten Kommunikation mehr vorhanden sei,

–      die zunächst in der Hauptverhandlung abgegebene, dann jedoch widerrufene geständige Einlassung nicht ausreichend qualifiziert gewesen sei und damit keine Verurteilungsgrundlage biete und

–      im Übrigen keine weiteren verwertbaren Beweismittel vorhanden seien, die eine Verurteilung rechtfertigen würden.

Hinsichtlich der Verwertbarkeit der sog. Encro-Chat-Daten hat die Kammer darauf hingewiesen, dass die nach der Rspr. des Bundesgerichtshofs für die Beurteilung der Verwertbarkeit maßgebliche Regelung des § 100e Abs. 6 StPO durch das seit dem 1. April 2024 gültige Cannabisgesetz durch die teilweise Neuregelung der in Bezug genommenen Regelung des § 100b StPO (vgl. Art. 13a CanG) sowie vor allem durch die Neuregelung der Strafbarkeit bzgl. Cannabisprodukten in § 34 Konsumcannabisgesetz (kurz KCanG) eine grundlegende Änderung erfahren habe.

Die Strafbarkeit bzgl. Cannabisprodukten sei aus den §§ 29 ff BtMG herausgenommen und in § 34 KCanG geregelt worden. Als Folge sei auch § 100b Abs. 2 StPO durch die Einfügung der Nr. 5a (und auch der hier nicht relevanten Nr. 5b) geändert worden. Demnach sei eine Anwendbarkeit des § 100b StPO nur möglich, wenn sich der Angeklagte gem. § 34 Abs. 4 Nr. 1, 3 oder 4 KCanG strafbar gemacht habe.

Für die Beurteilung der Strafbarkeit sei im vorliegenden Verfahren nicht mehr das BtMG (dort §§ 29 ff BtMG) die maßgebliche Grundlage, sondern – sofern es ausschließlich um Cannabis gehe – § 34 KCanG. Eine Strafbarkeit des Angeklagten käme im vorliegenden Verfahren jedoch „nur“ nach § 34 Abs. 3 Nr. 1und Nr. 4 KCanG, nicht aber nach § 34 Abs. 4 CanG in Betracht.

Da § 100e Abs. 6 Nr. 1 StPO unverändert fortgelte und es demnach für die Frage der Verwertbarkeit darauf ankomme, ob die Voraussetzungen des § 100b Abs. 2 Nr. 5a StPO zum Zeitpunkt der Urteilsberatung bzw. Urteilsverkündung vorliegen und dies nicht der Fall sei, sei die Kammer zu dem Schluss gelangt, dass die sog. Encro-Chat Daten und damit die Erkenntnisse aus der sichergestellten Kommunikation nicht verwertbar seien.

Der Angeklagte sei daher – da auch keine weiteren Grundlagen für eine Verurteilung vorhanden seien – freizusprechen gewesen.

Ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass zwar der Haftbefehl im vorliegenden Verfahren aufgehoben worden ist, der Angeklagte sich jedoch aufgrund eines Haftbefehls in einem weiteren Verfahren weiterhin in Untersuchungshaft befindet.“

Mal schauen, was daraus wird…

Verteidiger waren übrigens die Kollegen Patrick Welke, Heidelberg, und Alexander Klein, Ludwigshafen.

StPO III: Erkenntnisse aus ANOM unverwertbar, oder: „EncroChat-Verkündungstermin“ beim EuGH

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Und hier dann die dritte Entscheidung, und zwar der LG Arnsberg, Beschl. v. 22.01.2024 – 2 KLs-412 Js 287/22-36/23 – zur Verwertbarkeit der Erkenntniss aus dem Messengerdienst ANOM.

Das LG Arnsberg spricht zwar nur vom Messengerdienst „Y“. Nach dem Zusammenhang der Gründe handelt es ich m.E. aber um „ANOM“. Das LG hat die Erkenntninsse in einem BtM-Verfahren als nicht verwertbar angesehen und das Verfahren (teilweise) nicht eröffnet.

Ich stelle hier nur (meinen) Leitsatz ein, der lautet:

Die Erkenntnisse aus der Auswertung gesicherter Chatverläufe des Krypto-Messengerdienstes „Anom“ sind in einem deutschen Strafverfahren nicht verwertbar.

Den Rest dann bitte im verlinkten Volltext selbst lesen.

Aber bitte schnell :-). Denn der Kollege Eisenberg aus Berlin hat mich freundlicherweise darauf hingewiesen, dass am 30.04.2024 beim euGH Verkündungstermin ansteht zu der ersten Vorlage (des LG Berlin) an den EuGH betreffend EncroChat (hier geht es zur HP des Kollegen). Danach wird man dann weitersehen.

News: Unzulässige Verfassungsbeschwerde zu Encro, oder: (Mal wieder) Nichts Neues vom BVerfG

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Ich hatte ja vorhin in dem ersten Tagesbeitrag auf die heute anstehende Entscheidung des BVerfG hingewiesen. Nun ist der BVerfG, Beschl. v. 09.08.2023 – 2 BvR 558/22 – dar. Und: Er ist enttäuschend. Und zwar sowohl für diejenigen, die „gegen EncroChat“ verteidigen, sondern vor allem auch für diejenigen,die sich vom BVerfG eine Klärung der Frage der Verwertbarkeit erhofft hatten. Denn das BVerfG hat die Verfassungsbeschwerde gegen ein Urteil des LG Rostock und gegen den BGH, Beschl. v. 08.02.2022 – 6 StR 639/21 – nicht zur Entscheidung angenommen, weil nicht ausreichend begründet.

Ich verweise wegen der Einzelheiten auf den verlinkten Volltext und stelle hier nur die Zusammenfassung des BVerfG in der PM ein. Da heißt es:

„Die Verfassungsbeschwerde ist unzulässig.

1. Hinsichtlich der behaupteten Verletzung von Art. 7 und Art. 8 GRCh hat der Beschwerdeführer den Subsidiaritätsgrundsatz nicht gewahrt.

Danach soll der gerügte Grundrechtsverstoß nach Möglichkeit schon im fachgerichtlichen Verfahren beseitigt werden. Im Strafverfahren verlangt der Grundsatz der Subsidiarität von einem Beschwerdeführer, der seine Grundrechte durch Verstöße des Tatgerichts verletzt sieht, diese im Revisionsverfahren so zu rügen, dass das Revisionsgericht in eine sachliche Prüfung der Rüge eintritt.

Vorliegend hat der Beschwerdeführer eine Verletzung von Art. 7 und Art. 8 GRCh nicht in zulässiger Weise mit der Revision gerügt. Er hat im Revisionsverfahren zu den Verfahrenstatsachen nicht ausreichend vorgetragen, um dem Revisionsgericht den Eintritt in die sachliche Prüfung der Beweisverwertung zu ermöglichen. Seinem Revisionsvortrag fehlt es insoweit an der Vorlage der vom Beschwerdeführer in Bezug genommenen Aktenteile.

2. In Hinblick auf Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG hat der Beschwerdeführer eine Grundrechtsverletzung nicht substantiiert dargetan.

Ein Rechtsuchender kann seinem gesetzlichen Richter dadurch entzogen werden, dass ein Gericht die Verpflichtung zur Vorlage an ein anderes Gericht außer Acht lässt. Die Nichteinleitung eines Vorlageverfahrens nach Art. 267 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) kann eine der einheitlichen Auslegung bedürftige Frage des Unionsrechts der Entscheidung des gesetzlichen Richters – des Gerichtshofs der Europäischen Union – vorenthalten und damit das Ergebnis der Entscheidung beeinflussen. Für die unionsrechtliche Zuständigkeitsvorschrift des Art. 267 Abs. 3 AEUV prüft das Bundesverfassungsgericht nur, ob die Auslegung und Anwendung der Zuständigkeitsregel des Art. 267 Abs. 3 AEUV bei verständiger Würdigung der das Grundgesetz bestimmenden Gedanken nicht mehr verständlich erscheint und offensichtlich unhaltbar ist.

Eine solche Konstellation vermag der Beschwerdeführer nicht aufzuzeigen. Es ist anhand des Beschwerdevortrags nicht erkennbar, dass der Bundesgerichtshof in unvertretbarer Weise von einer Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Union abgesehen hat. Die Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Union war offensichtlich nicht entscheidungserheblich. Die Beantwortung von europarechtlichen Fragen zur Rechtmäßigkeit der Erhebung, Übermittlung und Verwertung von EncroChat-Daten konnte keinen Einfluss auf die Revisionsentscheidung nehmen, weil der Bundesgerichtshof über die Rechtmäßigkeit der Beweisverwertung vorliegend nicht zu entscheiden hatte. Denn der Beschwerdeführer hat die Beweisverwertung durch das Landgericht mit der Revision nicht in zulässiger Weise gerügt.

3. Über die mit der Verwertbarkeit der EncroChat-Daten verbundenen verfassungsrechtlichen Fragen ist damit in der Sache nicht entschieden.“

Entscheidend ist der letzte Satz: „…. in der Sache nicht entschieden.“. Die Frage der Verwertbarkeit bleibt also weiterhin (verfassungsrechtlich) offen. Allerdings sind derzeit fünf weitere Verfassungsbeschwerden zur Verwertbarkeit von EncroChat-Daten noch anhängig, und zwar 2 BvR 684/22, 2 BvR 1832/22, 2 BvR 2143/22, 2 BvR 64/23 und 2 BvR 1008/23). Nicht zur Entscheidung angenommen sind übrigens mit sieben weiteren, nicht veröffentlichten Beschlüssen vom 09.08.2023 die Verfassungsbeschwerden in den Verfahren a BvR 2005/22, 2 BvR 2022/22, 2 BvR 2024/22, 2 BvR 2025/22, 2 BvR 2048/22, 2 BvR 594/23 und 2 BvR 867/23. Wegen der noch offenen Verfassungsbeschwerden geht das Warten also weiter. M.E. ein zumindest unschöner Zustand. Ich erinnere aber nur an das Verfahren 2 BvR 1167/20 – Stichwort: Rohmessdaten. Da hat das BVerfG letztlich auch gekniffen und hat sich auf die Unzulässigkeit zurückgezogen. Das scheint der „neue Weg“ zu sein.

Und: Mit dieser Entscheidung ist der Weg zum EuGH/EGMR „aufgegraben“.