Schlagwort-Archive: EuGH

StPO I: Zwangsmaßnahmen ohne Begründung?, oder: Dem EuGH reicht ein ausführlich begründeter Antrag

Bild von Laurent Verdier auf Pixabay

Heute stelle ich drei Entscheidungen vor, in der StPO-Fragen eine Rolle spielen. Zunächst hier das EuGH, Urt. v. 16.02.2023 – C-349/21. Es geht um die Erfordernisse an die Begründung der richterlichen Anordnung von Telefonüberwachungsmaßnahmen.

Der der Entscheidung zugrunde liegende Sachverhalt kommt aus Bulgarien. Dort hat die Staatsanwaltschaft gegen mehrere Beschuldigte ermittelt, u.a. gegen drei Beamte der Grenzpolizei am Flughafen Sofia. Ermittelt wurde wegen des Verdachts, Mitglied in einer kriminellen Vereinigung zu sein, deren der Bereicherung dienendes Ziel es sei, Drittstaatsangehörige über die bulgarischen Grenzen einzuschleusen und in diesem Zusammenhang Bestechungsgelder anzunehmen oder zu zahlen.

In diesem Verfahren stellte die Strafverfolgungsbehörde beim Präsidenten des Spezialisierten Strafgerichts Bulgarien jeweils detailliert begründete Anträge auf Telefonüberwachung, denen noch am Tag ihrer Einreichung stattgegeben wurde. Die richterlichen Genehmigungen beschränkten sich auf den Hinweis, dass die in den Anträgen angeführten Rechtsvorschriften eingehalten würden, Informationen zu den Tatvorwürfen enthielten sie dagegen nicht. Auch verhielten sich die Genehmigungen nicht dazu, aufgrund welcher Verdachtsumstände die Tatvorwürfe erhoben werden. Die antragstellende Behörde wurde ebenfalls nicht genannt.

In der Folge wurde die Telekommunikation der Beschuldigten überwacht und schließlich Anklage erhoben. Das mit der Sache befasste Gericht hat das Verfahren dann dem EuGH vorgelegt mit der Frage, ob Unionsrecht einer nationalen Regelung entgegensteht, die dahin ausgelegt wird, dass Aufzeichnungen von Telefongesprächen, die durch eine nicht mit Gründen versehene gerichtliche Entscheidung genehmigt wurden, als Beweismittel im Strafprozess verwendet werden dürfen.

Der EuGH hat nun in dem o.a. Urteil geantwortet. Seine Antwort lässt sich in folgendem Leitsatz zusammen fassen:

Eine richterliche Entscheidung, mit der eine Telefonüberwachung genehmigt wird, muss keine individualisierte Begründung enthalten, wenn ihr ein ausführlich begründeter Antrag der zuständigen Strafverfolgungsbehörde zugrunde liegt und sich die für die Anordnung der Maßnahme ausschlaggebenden Gründe leicht und eindeutig erschließen, wenn die Entscheidung und der Genehmigungsantrag nebeneinander gelesen werden.

Wegen der Einzelheiten verweise ich auf das – wie immer ein wenig schwer lesbare – Urteil des EuGH, das ich verlinkt habe.

Ich denke, wir werden von der Entscheidung noch einiges lesen bzw. sie wird noch in der innerstaatlichen Rechtsprechung auftauchen. Denn auch hier haben wir ja Fälle, in denen nur auf Begründungen Bezug genommen wird. Das ist neben dem allseits beliebten § 349 Abs. 2 StPO die häufig in Ermittlungsverfahren festzustellende Praxis von Ermittlungsrichtern, ihre Entscheidungen nicht selbst zu verfassen, sondern letztlich nur von der StA aus- bzw vorformulierte Entwürfe zu unterschreiben. Ich bin gespannt, wie die Gerichte nun mit den Fragen umgehen werden.

Erwerb einer EU-Fahrerlaubnis nach inländischer isolierter Sperrfrist – darf ich damit fahren?

© sashpictures - Fotolia.com

© sashpictures – Fotolia.com

Beim EuGH war eine Sache Wittmann anhängig, in der es mal wieder um eine ausländische Fahrerlaubnis ging, und zwar um die (Nicht)Anerkennung einer ausländischen EU-Fahrerlaubnis, die im Anschluss an die Anordnung einer isolierten Sperrfrist im Inland erteilt wurde. Vorgelegt worden war das Verfahren vom OLG Nürnberg. Das hat über die Revision gegen ein Urteil des AG Ansbach vom 23.01.2014 zu entscheiden, durch das der Angeklagte wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten verurteilt worden ist.

Dem Angeklagten war bereits im Jahre 2001 die deutsche Fahrerlaubnis entzogen und seitdem nicht wieder erteilt worden. Im Jahr 2004 legte der Angeklagte bei einer Verkehrskontrolle einen gefälschten tschechischen Führerschein vor. Das AG Lindau verurteilte den Angeklagten am 18.07.2005 wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis (§ 21 StVG) und ordnete eine isolierte Sperrfrist für die Wiedererteilung der Fahrerlaubnis (§ 69a Abs. 1 S. 3 StGB) von einem Jahr an. Am 14.09.2005 erwarb der Angeklagte eine tschechische Fahrerlaubnis. Am 14.07.2006 wurde das Urteil des AG Lindau rechtskräftig, die in diesem Urteil angeordnete isolierte Sperrfrist endete ein Jahr später. Im Jahr 2009 legte der Angeklagte bei einer Verkehrskontrolle den am 14.09.2005 erworbenen tschechischen Führerschein vor. Er wurde deshalb erneut zu einer Freiheitsstrafe wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis von 4 Monaten verurteilt.

Im Jahr 2013 legte er den Führerschein aus dem Jahr 2005 erneut bei einer Verkehrskontrolle vor, was zu der Entscheidung des AG Ansbach vom 23.01.2014 führte. Das OLG Nürnberg hatte vom EuGH wissen wollen, ob die Anordnung der isolierten Sperre mit Strafurteil vom 18.7.2005 die Bundesrepublik Deutschland auf Grundlage des Art. 11 Abs. 4 Satz 2 RL 2006/126/EG dazu berechtigt, der nach Verkündung, aber vor Rechtskraft dieser Entscheidung – am 14.09.2005 – erteilten ausländischen EU-Fahrerlaubnis die Anerkennung zu versagen.

Der EuGH hat im EuGH, Urt. v. 21.05.2015, Rs. C-339/14 – Wittmann geantwortet. Die Antwort lässt sich in folgenden Leitsätzen zusammenfassen:

  1. Die Anordnung einer isolierten Sperrfrist für die Wiedererteilung einer Fahrerlaubnis gemäß § 69a Abs. 1 Satz 3 StGB ist als Einschränkung, Aussetzung oder Entzug der Fahrerlaubnis im Sinne des Art. 11 Abs. 4 Satz 2 RL 2006/126/EG zu verstehen. Eine ausländische EU-Fahrerlaubnis, die vor Ablauf der isolierten Sperre erteilt wurde, wird im Inland nicht anerkannt.
  2. Der Umstand, dass das Strafurteil, in dem die isolierte Sperre nach § 69a Abs. 1 S. 3 StGB angeordnet worden ist, erst nach der Ausstellung des ausländischen EU-Führerscheins rechtskräftig geworden ist, ist ohne Bedeutung. Es genügt insoweit, dass die ausländische Fahrerlaubnis nach der Verkündung eines die isolierte Sperrfrist anordnenden Urteils erteilt worden ist und die Gründe, die diese Maßnahme rechtfertigen, zum Zeitpunkt der Erteilung vorlagen.

Der Entscheidung ist nicht zu entnehmen, ob das AG Ansbach von vorsätzlicher oder fahrlässiger Tatbegehung ausging. Das OLG wird sich, soweit ersteres der Fall ist, auf die Sachrüge nun der Frage widmen müssen, ob die dazuggf. vom AG getroffenen Feststellungen ausreichen, insbesondere vor dem Hintergrund, dass sich das OLG als letztinstanzliches Gericht zur Vorlage an den EuGH veranlasst gesehen hat. Der Ansatz des z.B. OLG Oldenburg (Beschl. v. 6.4.2010 – 1 Ss 25/10), dass der Inhaber einer EU-Fahrerlaubnis die Verpflichtung habe, bei Fahrerlaubnisbehörden Erkundigungen anzustellen, ist in Anbetracht des „Entscheidungswirrwars“ für mich alles andere als überzeugend.

 

Brandfrisch: EuGH zur Entziehung der ausländischen Fahrerlaubnis – Verfahren Aykul

© sashpictures - Fotolia.com

© sashpictures – Fotolia.com

Gerade läuft eine PM des EuGH zum heutigen EuGH, Urt. v. 23.04.2015 – C-260-13 – über die Ticker. Ich weiß gar nicht mehr, die wievielte Entscheidung des EuGH zur Problematik der Entziehung der (ausländischen) Fahrerlaubnis bzw. deren Anerkennung es ist. Irgendwann habe ich das Zählen aufgegeben. Dieses ist nun die Entscheidung in der Sache Aykul, der folgender Sachverhalt zugrundelag:

„Frau Sevda Aykul ist österreichische Staatsangehörige und wohnt in Österreich, unweit der deutschen Grenze. Nach einer Polizeikontrolle in Deutschland ergab die Untersuchung der Blutprobe, dass Frau Aykul unter Einfluss von Cannabis gefahren war und dass sie dieses Rauschmittel zumindest gelegentlich konsumierte. Die deutschen Behörden waren daher der Auffassung, dass Frau Aykul nicht in der Lage sei, das Fahren und den Konsum berauschender Mittel voneinander zu trennen, und dass sie daher zum Führen von Kraftfahrzeugen ungeeignet sei. Frau Aykul wurde daher das Recht abgesprochen, mit ihrem österreichischen Führerschein in Deutschland zu fahren. Sie wurde darüber informiert, dass sie ihr Recht, in Deutschland zu fahren, wiedererlangen kann, wenn sie ein medizinisch-psychologisches Gutachten vorlegt, das in der Regel vom Nachweis der Abstinenz von jeglichem Konsum berauschender Mittel während eines Jahres abhängig ist.

In Österreich wurde Frau Aykul hingegen weiterhin als zum Führen von Kraftfahrzeugen geeignet angesehen und behielt demnach ihren Führerschein. Die österreichischen Behörden schreiten nämlich nur ein, wenn eine fehlende Fahreignung wegen des Konsums berauschender Mittel medizinisch festgestellt wird oder wenn Anzeichen bestehen, die eine Abhängigkeit von diesen Mitteln vermuten lassen. Nach dem Protokoll des deutschen Arztes, der die Blutprobe genommen hatte, stand Frau Aykul jedoch nicht merkbar unter dem Einfluss berauschender Mittel.“

Das Ganze ist dann beim VG Sigmaringen gelandet, das im VG Sigmaringen, Beschl. v. 30.04.2013, 4 K 133/13 – dem EuGH einige der auftauchenden Rechtsfragen vorgelegt hat (vgl. Ausländische Fahrerlaubnis hat keine Ende.. schon wieder geht ein Verfahren zum EuGH). Heute dann die Entscheidung des EuGH, der sagt: Einem Führerscheininhaber kann von einem anderen Mitgliedstaat das Recht abgesprochen werden, in seinem Hoheitsgebiet zu fahren, nachdem er dort einen Verkehrsverstoß begangen hat, der geeignet ist, seine fehlende Fahreignung herbeizuführen. Allerdings darf dieses Recht nicht unbegrenzt verwehrt werden, und die Bedingungen für seine Wiedererlangung müssen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz beachten-

Mehr in der PM und dann demnächst im Urteil.

EuGH zum ausländischen Führerschein – Rechtssache Hofmann

Na, ich will es mal versuchen, mich zum ausländischen Führerschein zu äußern – und hoffe es gelingt :-).

Das lang oder länger erwartete Urt. des EuGH v. 26.04.2012 – Rs. C-419/10 in der Rechtssache Hofmann äußert sich erneut zur Anerkennung der ausländischen Fahrerlaubnis, und zwar zu den ab 19.02.01.2009  erteilten EU-Fahrerlaubnisse, das ist der zeitliche Beginn des Geltungsbereichs der 3. EU-Führerscheinrichtlinie.

Nach Auffassung des EuGH gelten die zur 2. EG-Führerscheinrichtlinie (91/439/EWG) aufgestellten Grundsätze auch im zeitlichen Geltungsbereich der 3. Führerscheinrichtlinie (20076/126/EG), d.h. für alle ab 19.1.2009 ausgestellten Führerscheine, unverändert fort. Die Änderung im Wortlaut des Art. 11 Abs. 4 der Neuregelung (gegenüber Art. 8 Abs. 4 der Vorgängerregelung) bedeute keine weiterreichende Einschränkung des Anerkennungsgrundsatzes. Die gegenseitige Anerkennungspflicht würde geradezu negiert, könnte ein Mitgliedstaat dem früheren Inhaber einer von ihm erteilten Fahrerlaubnis unter Bezugnahme auf Negativmaßnahmen dauerhaft die Anerkennung später im EU-Ausland erworbener Fahrerlaubnisse verweigern. Die Anerkennung eines in einem anderen Mitgliedstaat ausgestellten Führerscheins kann aber – so auch bisher schon – verweigert werden, wenn feststeht, dass der Inhaber des Führerscheins zum Zeitpunkt seiner Ausstellung nicht die vorgesehene Voraussetzung eines ordentlichen Wohnsitzes erfüllt.

Damit wird sich die Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte wohl ändern müssen – so auch der Kollege Pießkalla im Mai-Heft von VRR.

EuGH zum Führerscheintourismus/zur Anerkennung einer ausländischen FE

Von verschiedenen Bloglesern bin ich auf EuGH, Urt. v. 01.03.2012 – Rechtssache C-467/10 – Akyüz – hingewiesen worden. Den Hinweis will ich dann vor dem beginnenden Wochenende noch weitergeben, und zwar

Die PM ist überschrieben:

Die Weigerung eines Mitgliedstaats, einen Führerschein auszustellen, kann die Nichtanerkennung eines später in einem anderen Mitgliedstaat erworbenen Führerscheins nicht rechtfertigen. Ein Mitgliedstaat kann jedoch die Anerkennung des Führerscheins verweigern, wenn aufgrund von unbestreitbaren, vom Ausstellermitgliedstaat herrührenden Informationen feststeht, dass der Inhaber des Führerscheins die Voraussetzung eines ordentlichen Wohnsitzes nicht erfüllte.“

Mal sehen, was das Urteil Neues bringt. Wenn doch die EuGH-Urteile nur nicht so schwierig zu lesen wären :-). Finde ich jedenfalls.