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StPO III: Neufestsetzung einer Strafe nach dem KCanG, oder: Welches Gericht ist zuständig?

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Und dann im dritten Posting drei OLG-Entscheidungen zur – inzwischen in Rechtsprechung und Literatur – umstrittenen Frage: Wer ist eigentlich in den vom KCanG betroffenen Fällen für die erforderliche Neufestsetzung einer Strafe nach Art. 316p, Art. 313 Abs. 3 S. 2 EGStGB sowie für die Neufestsetzung einer Gesamtstrafe nach Art. 316p, Art. 313 Abs. 4 S. 1 EGStGB zuständig? Ist das das erkennende Gericht oder ist das die Strafvollstreckungskammer?

Die OLG scheinen mehrheitlich zum Gericht des ersten Rechtszuges und nicht zur SttVK zu tendieren, so dass folgender Leitsatz passt:

Für die Neufestsetzung einer Strafe nach Art. 316p, Art. 313 Abs. 3 S. 2 EGStGB sowie für die Neufestsetzung einer Gesamtstrafe nach Art. 316p, Art. 313 Abs. 4 S. 1 EGStGB ist das erkennende Gericht und nicht die Strafvollstreckungskammer zuständig.

Und dazu verweise ich auf:

Wie gesagt, die Frage ist umstritten. Nachweise zu den abweichenden Meinungen stehen in den verlinkten Volltexten. Da findet man dann auch weitere Nachweise zu den Gerichten, die es ebenso sehen wi OLG Dresden, OLG Nürnberg und OLG Stuttgart.

Rechtsmittel II: Ausbleiben genügend entschuldigt?, oder: Kann man einen „subjektiven“ Vorwurf machen?

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Die zweite Entscheidung, der OLG Nürnberg, Beschl. v. 13.05.2024 – Ws 276/24 – stammt aus einem Berufungsverfahren. Behandelt wird mal wieder die Frage der genügenden Entschuldigung, also ein Klassiker.

Das OLG führt dazu aus:

„b) Soweit der Angeklagte zur Geltendmachung seiner ordnungsgemäßen Entschuldigung eine durch Einfügung seines Namens korrigierte Verhandlungsunfähigkeitsbescheinigung vorlegt, bezieht sich dieses Vorbringen zwar auf die bereits am Tag der Berufungsverhandlung vom Angeklagten für sein Nichterscheinen geltend gemachte Erkrankung und eine damit dem Berufungsgericht bei seiner Entscheidung bekannte Tatsache. Die attestierte Verhandlungsunfähigkeit hat das Berufungsgericht aber bei seinem Verwerfungsurteil nicht in seine Sachentscheidung einbezogen, sondern diese nicht berücksichtigt und insoweit ausgeführt, dass die Bescheinigung über die Verhandlungsunfähigkeit keinen Patientennamen enthalte. Da aber der Angeklagte sowohl die Bescheinigung über die Verhandlungsunfähigkeit als auch die in derselben Praxis ausgestellte Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung gemeinsam oder jedenfalls unmittelbar nacheinander eingereicht hat, war trotz des fehlenden Eintrags des Patientennamens im Schreiben betreffend die Verhandlungsunfähigkeit der bestehende Zusammenhang unübersehbar und eine gemeinsame Würdigung beider eingereichter Unterlagen hätte sich aufgedrängt und hätte daher auch erfolgen müssen. Der Angeklagte kann im Wiedereinsetzungsverfahren geltend machen, dass dies nicht geschehen ist.

2. Der Angeklagte ist unverschuldet nicht zur Berufungsverhandlung gekommen, da er jedenfalls ohne Verschulden davon ausgehen konnte, dass die von ihm vorgelegten ärztlichen Bescheinigungen sein Fernbleiben entschuldigen.

a) Nach § 329 Abs. 7 StPO kann der Angeklagte die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand unter den in den §§ 44 und 45 StPO bezeichneten Voraussetzungen beanspruchen. Maßgebend sind also solche Gründe, die den Angeklagten ohne sein Verschulden am rechtzeitigen Erscheinen zur Berufungsverhandlung gehindert haben. Dies ist insbesondere der Fall bei Vorliegen einer Krankheit, die nach Art und Auswirkungen ein Erscheinen in der Hauptverhandlung unzumutbar machte (KK-StPO/Paul, 9. Aufl. 2023, StPO § 329 Rn. 23). Eine genügende Entschuldigung im Sinne der Vorschrift ist anzunehmen, wenn nach den konkreten Umständen des Einzelfalls dem Angeklagten wegen seines Ausbleibens billigerweise kein Vorwurf zu machen ist. Auch wenn ein ärztliches Attest den Angeklagten objektiv nicht entschuldigt, darf ein Urteil nach § 329 Abs. 1 StPO nicht ergehen, wenn der Angeklagte ohne Verschulden annehmen durfte, der Inhalt des Attestes entschuldige sein Ausbleiben (KK-StPO/Paul, 9. Aufl. 2023, StPO § 329 Rn. 10; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 06.05.1985, 2 Ws 184/85 u. 2 Ss 161/85 – 104/85 II, beck-on-line; OLG Dresden, Beschluss vom 13.12.2016, 13 Ss 802/16, beck-online).

b) Der Angeklagte ist unter Berücksichtigung dieser Grundsätze jedenfalls ohne subjektives Verschulden nicht zur Berufungsverhandlung gekommen.

Unabhängig von den im Freibeweisverfahren getroffenen Feststellungen zur Frage der ausreichenden Diagnostizierung der Erkrankung des Angeklagten und zur Gleichsetzung von Arbeitsunfähigkeit und Verhandlungsunfähigkeit durch den behandelnden und die Bescheinigungen ausstellenden Arzt hat das Landgericht nicht berücksichtigt, dass der Begriff der unentschuldigten Säumnis eine Pflichtverletzung auch in subjektiver Hinsicht voraussetzt und das Nichterscheinen einem Angeklagten nicht zum Vorwurf gemacht werden kann, wenn er in berechtigtem Vertrauen auf die Richtigkeit einer ärztlichen Diagnose davon ausgeht, aus gesundheitlichen Gründen einen Gerichtstermin nicht wahrnehmen zu können und zudem annehmen kann, das eingereichte Attest reiche aus, um ihn genügend zu entschuldigen (OLG Dresden, Beschluss vom 13.12.2016, 13 Ss 802/16, beck-online). Der Angeklagte, der durch die Information der Kanzleimitarbeiterin seines Verteidigers wusste, dass er ein Attest über seine Verhandlungsunfähigkeit vorlegen musste, und dem durch Dr. pp. sowohl eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung als auch die Bescheinigung der Verhandlungsunfähigkeit ausgestellt worden waren, konnte auf die Bestätigungen des Mediziners vertrauen, sich angesichts seiner dem Arzt vorgetragenen Durchfallerkrankung für objektiv entschuldigt halten und ohne Schuldvorwurf annehmen, der Inhalt der von ihm eingereichten Atteste – Bescheinigung der Arbeitsunfähigkeit und der Verhandlungsunfähigkeit – reiche aus, um ihn genügend zu entschuldigen. Dass der Angeklagte seine Erkrankung nur vorgetäuscht und sich die ausgestellten Bescheinigungen erschlichen hat, ist nicht festgestellt. Auch durch die vom Landgericht durchgeführte Zeugenvernehmung ergaben sich hierfür keine Hinweise. Den ersten Termin zur Berufungshauptverhandlung vom 20.12.2023 hatte der Angeklagte im Übrigen wahrgenommen.“

StPO I: Ordnungsmittel in der Hauptverhandlung, oder: Begründung, Anhörung, Protokollierung

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Und heute dann StPO-Entscheidungen, und zwar OLG und LG.

Ich starte mit zwei OLG-Entscheidungen zu Ordnungsmitteln in der Hauptverhandlung und zu den damit zusammen hängenden Verfahrensfragen, einer kommt aus dem Norden, einer aus dem Süden. Ich stelle hier nur die jeweiligen Leitsätze vor, und zwar:

1. Die gemäß § 182 GVG in das Sitzungsprotokoll aufzunehmende Entscheidung nach § 178 GVG bedarf grundsätzlich gemäß § 34 StPO einer Begründung. Das Fehlen einer Begründung ist unschädlich, wenn auf Grund der gemäß § 182 GVG erforderlichen Protokollierung des den Beschluss veranlassenden Geschehens für den Betroffenen der Anordnungsgrund außer Zweifel steht und auf dieser Grundlage für das Beschwerdegericht die Festsetzung des Ordnungsgeldes in tatsächlicher wie in rechtlicher Hinsicht dem Grunde und der Höhe nach überprüfbar ist.

2. Vor Festsetzung eines Ordnungsmittels ist einem Betroffenen mit Blick auf Art. 103 Abs. 1 GG, § 33 Abs. 1 StPO grundsätzlich rechtliches Gehör zu gewähren. Davon kann allerdings abgesehen werden, wenn dem Gericht mit Rücksicht auf Intensität oder Art der Ungebühr eine solche Anhörung nicht zugemutet werden kann, etwa wenn Ungebühr und Ungebührwille völlig außer Frage stehen und eine Anhörung nur Gelegenheit zu weiteren Ausfälligkeiten gäbe.

    1. Soll Ordnungshaft wegen Ungebühr angeordnet werden, muss der Sachverhalt im Protokoll gemäß § 182 GVG so deutlich dargestellt werden, dass das Beschwerdegericht nachprüfen kann, ob eine Ungebühr vorlag. Die Niederschrift muss ein so deutliches Bild von dem Vorgang geben, dass der Grund und die Höhe der Sanktion in der Regel ohne weiteres nachzuprüfen sind.

    2. Grundsätzlich ist dem, gegen den ein Ordnungsmittel festgesetzt werden soll, vorher rechtliches Gehör zu gewähren, Art. 103 Abs. 1 GG.

    3. Die Verhängung von Ordnungsmitteln steht unter dem Gebot der Verhältnismäßigkeit.

StPO I: Sicherungshaftbefehl bei Ausbleiben in der HV?, oder: Warum immer gleich die Brechstange?

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Und heute dann StPO-Entscheidungen, alle drei haben mit Zwangsmaßnahmen zu tun oder hängen damit zusammen.

Ich eröffne den Reigen mit dem OLG Nürnberg, Beschl. v. 19.03.2024 -Ws 188/24 -, in dem das OLG zu den Voraussetzungen für einen Sicherungshaftbefehl nach § 230 Abs. 2 StPO geht.

Der Angeklagte war zur Hauptverhandlung nicht erschienen. Er hatte sich damit entschuldigt, dass er verschlafen habe. Das AG erlässt HB nach § 230 Abs. 2 StPO. Der Angeklagte wird festgenommen. Er legt gegen den Haftbefehl Beschwerde ein, die keinen Erfolg hat. Dagegen die weitere Beschwerde, die der Angeklagte aufrecht erhält, nachdem er nach Verurteilung in der Hauptverhandlung entlassen worden ist. Die weitere Beschwerde hatte beim OLG ERfolg:

„Die zulässige weitere Beschwerde hat in der Sache Erfolg.

1. Die weitere Beschwerde ist zulässig. Eine prozessuale Überholung durch die zwischenzeitliche erfolgte Aufhebung des Haftbefehls und die Freilassung des Beschwerdeführers ist nicht eingetreten. Das Rechtsschutzinteresse des Beschwerdeführers an der Überprüfung der Haftentscheidung besteht fort. Dass der Haftbefehl mit dem Abschluss der Hauptverhandlung am 23.01.2024 gegenstandslos geworden ist, führt angesichts der Schwere der Grundrechtsbeeinträchtigung nicht dazu, dass das Interesse des Beschwerdeführers an gerichtlichem Rechtsschutz, hinter dem bei einer weiteren Inhaftierung gebotenen zurückbleibt oder gänzlich entfällt. Das ursprüngliche Interesse auf gerichtlichen Schutz gegen den vollzogenen Haftbefehl wandelt sich vielmehr in ein Feststellungsinteresse hinsichtlich der Rechtmäßigkeit der Inhaftierung (KK-StPO/Gmel/Peterson, 9. Aufl. 2023, StPO § 230 Rn. 17; BVerfG Beschluss vom 21.09.2017, 2 BvR 1071/15).

2. Die weitere Beschwerde hat auch in der Sache Erfolg. Auf die weitere Beschwerde des Angeklagten ist festzustellen, dass der angefochtene Beschluss des Landgerichts Weiden i.d.OPf. vom 16.01.2024 und der Haftbefehl des Amtsgerichts Weiden i.d.OPf. vom 09.01.2024 rechtswidrig waren.

a) Die Voraussetzungen des § 230 Abs. 2 StPO liegen zwar insoweit vor, als der Angeklagte zum Termin vom 09.01.2024 ordnungsgemäß mit der Belehrung über die Folgen unentschuldigten Fernbleibens geladen wurde und ohne genügende Entschuldigung zum Termin nicht erschienen ist.

b) Der Erlass eines Haftbefehls nach § 230 Abs. 2 StPO war aber unverhältnismäßig. Der Erlass eines Vorführungsbefehls wäre ausreichend gewesen.

aa) Zwischen den in § 230 Abs. 2 StPO vorgesehenen Zwangsmitteln besteht ein Stufenverhältnis. Grundsätzlich ist zunächst das mildere Mittel der polizeilichen Vorführung anzuordnen.

Dies hat der Gesetzgeber zuletzt in der Begründung des am 25.7.2015 in Kraft getretenen Gesetzes zur Stärkung des Rechts des Angeklagten auf Vertretung in der Berufungsverhandlung und über die Anerkennung von Abwesenheitsentscheidungen in der Rechtshilfe bei der Einfügung des Halbsatzes „soweit dies zur Durchführung der Hauptverhandlung geboten ist“ in § 230 Abs. 2 StPO zum Ausdruck gebracht. Damit soll künftig ausdrücklich auf den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz Bezug genommen werden. Eine inhaltliche Änderung ist hiermit nicht verbunden, denn der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, der jede Anwendung staatlichen Zwangs den rechtsstaatlichen Erfordernissen der Geeignetheit, Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne unterwirft, schränkt die Anwendung des § 230 Abs. 2 StPO bereits nach geltendem Recht ein. Das Wort „soweit“ soll deutlicher als bisher darauf hinweisen, dass dem Vorführungsbefehl stets der Vorrang vor dem Haftbefehl zu geben ist (siehe auch BVerfG, Beschluss vom 27.10.2006, 2 BvR 473/06, NJW 2007, 2318, 2319)“ (BT-Drs. 18/3562, S. 66).

Der Erlass eines Haftbefehls wird danach in der Regel nur in Betracht kommen, wenn der Versuch der Vorführung zum Termin gescheitert ist und/oder mit hoher Wahrscheinlichkeit auszuschließen ist, dass die Anwesenheit des Angeklagten durch eine Vorführung sichergestellt werden kann (BeckOK StPO/Gorf, 50. Ed., StPO § 230 Rn. 13-14, m.w.N.). Nur dies wird dem verfassungsrechtlichen Anspruch gerecht, dass bei einer den Bürger belastenden Maßnahme Mittel und Zweck im angemessenen Verhältnis zueinanderstehen müssen (vgl. BVerfG aaO; Sächs. VerfGH, Beschluss vom 26.03.2015 – Vf. 26-IV-14; OLG Braunschweig NdsRpfl 2012, 313).

Ohne eine Vorführung versucht zu haben, ist der Erlass eines Haftbefehls nur in seltenen Ausnahmefällen verhältnismäßig; ein solcher Fall liegt etwa dann vor, wenn feststeht, dass der Angeklagte auf keinen Fall erscheinen will (vgl. KG, Beschluss vom 22.07.2019, 4 Ws 69/19, 161 AR 169/19m.w.N.) oder die Vorführung wahrscheinlich deshalb aussichtslos sein wird, weil der Aufenthaltsort des Angeklagten unbekannt ist oder die begründete Sorge besteht, dass der Angeklagte vor einer Vorführung untertauchen wird (BeckOK StPO/Gorf, ebenda).

Wenn das Gericht demgegenüber sofort zum Mittel des Haftbefehls greift, muss aus seiner Entscheidung deutlich werden, dass es eine Abwägung zwischen der polizeilichen Vorführung und dem Haftbefehl vorgenommen hat. Die Gründe, warum ausnahmsweise sofort die Verhaftung des Angeklagten angeordnet worden ist, müssen tragfähig sein und in dem Beschluss in einer Weise schlüssig und nachvollziehbar aufgeführt werden, dass sie in Inhalt und Umfang eine Überprüfung des Abwägungsergebnisses am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nicht nur für den Betroffenen selbst, sondern auch für das die Anordnung treffende Gericht im Rahmen seiner Eigenkontrolle gewährleisten. Von entsprechenden Darlegungen kann nur abgesehen werden, wenn die Nachrangigkeit des Freiheitsanspruchs offen zutage liegt und sich daher von selbst versteht (vgl. KG, ebenda, m.w.N.; zum ganzen so bereits OLG Nürnberg Beschluss vom 10.08.2021, Ws 734/21, unveröffentlicht; OLG Nürnberg Beschluss vom 09.03.2023, Ws 207/23).

bb) Diesen Anforderungen wird der angefochtene Haftbefehl in der Gestalt des Beschlusses des Landgerichts Weiden i.d.OPf. nicht gerecht. Es ist nicht ersichtlich, dass die mildere Anordnung der Vorführung aussichtslos sein wird. Die Begründungen der Nichtabhilfeentscheidungen des Amtsgerichts Weiden i.d.OPf. und des Landgerichts Weiden i.d.OPf. tragen den Erlass eines Haftbefehls anstelle der grundsätzlich vorrangigen Vorführung nicht.

Konkrete Anhaltspunkte für die Annahme, es handle sich bei der Einlassung des Angeklagten, er habe verschlafen, um eine Schutzbehauptung, werden nicht genannt und sind auch nicht ersichtlich. Vielmehr spricht der Umstand, dass der Angeklagte sich am Tag der anberaumten Hauptverhandlung um 9:24 Uhr bei der Geschäftsstelle meldete, für die Glaubhaftigkeit dieser Angabe. Die Arbeitstätigkeit im Schichtdienst wurde von dem Angeklagten selbst unter Vorlage einer Arbeitgeberbescheinigung vorgetragen. Wohn- und Arbeitsort waren dem Amtsgericht damit bekannt. Eine Vorführung erscheint unter diesen Umständen durchaus erfolgversprechend und nicht aussichtslos.

Dass mit dem Haftbefehl die Durchführung der Hauptverhandlung mit vier Zeugen und einem Dolmetscher gesichert werden sollte, rechtfertigt nicht den Erlass eines Haftbefehls, auch wenn es nachvollziehbar ist, dass den Beteiligten ein nochmaliges erfolgloses Erscheinen erspart werden sollte. Bei einer erfolgreichen Vorführung des Angeklagten hätten die Zeuge aber auch kein weiteres Mal bei Gericht erscheinen müssen.

Tatsächliche Anhaltspunkte dafür, dass es dem unter laufender Reststrafenbewährung stehenden Angeklagten um eine Verzögerung der Hauptverhandlung ging, sind nicht ersichtlich und werden auch nicht angeführt. Aus dem vorgemerkten Bewährungszeitende am 21.08.2024 kann dies jedenfalls nicht geschlossen werden, da eine Entscheidung über den Straferlass bei Anhängigkeit weiterer Strafverfahren grundsätzlich zurückzustellen wäre (F., StGB, 71. Aufl. § 56g Rn. 2).

Die dem Angeklagten zur Last gelegten Straftaten sind auch nicht geeignet, durchgreifende Zweifel an einer erfolgreichen Vorführung zu begründen. Dass dem Angeklagten in der Anklageschrift Vereitelungs- und Täuschungshandlungen zur Last gelegt wurden, bietet keine hinreichende Tatsachengrundlage für die Annahme, dass eine Vorführung des Angeklagten zu einem neuen Hauptverhandlungstermin erfolglos bleiben wird. Dasselbe gilt für eine Zugehörigkeit zur „Rauschgiftszene“, zumal sich aus dem Bundeszentralregister ergibt, dass der Angeklagte die letzte Straftat im Zusammenhang mit Betäubungsmitteln im 2019 begangen hat.

Die Annahme, der Angeklagte werde sich dem künftigen Strafverfahren entziehen, ist somit ohne tragfähige Grundlage. Es ist vielmehr in einer Gesamtschau davon auszugehen, dass der Angeklagte, der über einen festen Wohnsitz mit seiner Ehefrau und seinen zwei Kindern sowie über eine feste Arbeitsstelle verfügt und sich zeitnah nach Beginn des ersten Hauptverhandlungstermins am 09.01.2024 telefonisch bei der Geschäftsstelle meldete und sein Verschlafen mitteilte, erfolgreich hätte vorgeführt werden können.“

Manchmal fragt man sich, warum eigentlich immer gleich die Brechstange herhalten muss. Das, was das OLG schreibt, ist doch nicht neu. Sollten AG und LG kennen.

 

StPO II: Sachverständige verhindert – Kammer verlegt, oder: Verteidiger hat Urlaub – Kammer verlegt nicht

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Und als zweite Entscheidung dann der OLG Nürnberg Beschl. v. 26.09.2023 – Ws 846/23. Der Beschluss ist schon etwas älter, was daran liegt, dass das OLG ihn jetzt erst veröffentlicht/versandt hat. Der Beschluss ist aber auf jeden Fall berichtenswert und ein schönes Osterei 🙂 . Denn es ght um eine Problematik, bei der es in der Praxis immer wieder Streit gibt. Nämlich: Terminsverlegung wegen Urlaubs des Verteidigers. So auch hier:

Der Rechtsanwalt war Pflichtverteidiger. Der Angeklagte ist vom AG u.a. wegen Beleidigung  zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Monaten verurteilt worden. Dagegen die Berufungen des Angeklagten und der Staatsanwaltschaft .

Die Vorsitzende der Berufungskammer bestimmt dann am 22.06.2023 Termin zur Hauptverhandlung auf den 26.09.2023. Der Gerichtsärztliche Dienst beim OLG Nürnberg teilt daraufhin mit Schreiben vom 06.07.2023 mit, dass der Sachverständige Dr. S. am 26.09.2023 im Urlaub sei und bat um vorherige Terminabsprache. Nach Absprache mit dem Sachverständigen Dr. S. verlegte die Vorsitzende der Berufungskammer mit Verfügung vom 06.07.2023 den Termin auf den 24.10.2023.

Daraufhin bittet der Verteidiger mit Schreiben vom 17.07.2023  um Terminsverlegung. Begründung: Er habe an diesem Tag bereits Urlaub eingetragen, da er gerne seinen Geburtstag feiern möchte. Er bestätigte auf telefonische Rückfrage der Geschäftsstelle vom 18.07.2023, dass er am 24.10. unter keinen Umständen zum Termin kommen könne.

Die Staatsanwaltschaft A. verweist zum Terminsverlegungsantrag offenabr nur auf die Kommentierung zu § 213 StPO in Meyer-Goßner/Schmitt unter Randnummer 7. Der Vorsitzende lehnt die beantragte Terminsverlegung ab. Dagegen wendete sich der Verteidiger nun mit Beschwerde. Und die hat beim OLG Erfolg

Das OLG sieht die Beschwerde als zulässig an, und zwar weil einer der Ausnahmefälle vorliege, da die Ermessenausübung des LG betreffend die Ablehnung der Terminsverlegung rechtsfehlerhaft sei und eine besondere selbständige Beschwer bewirke.

Zur Begründetheit führt das OLG dann u.a. aus:

„b) Die Ablehnung der begehrten Terminsverlegung erweist sich vorliegend als ermessensfehlerhaft.

Zutreffend hat der Verteidiger bereits selbst darauf hingewiesen, dass er zwar als Verteidiger kein Recht auf vorherige Terminsabsprache hat, dass aber eine Terminsverfügung dann prozessordnungswidrig sein kann, wenn das Recht des Angeklagten auf freie Wahl des Verteidigers dadurch eingeschränkt wird, dass dieser die Termine wegen anderer Verteidigungen oder Verhinderung durch Urlaub nicht wahrnehmen kann, ohne dass er Einfluss auf die Terminsanberaumung hätte nehmen können (s.a. OLG Dresden a.a.O., Rn. 10). Dies ist vorliegend der Fall. Während die Verlegung des ursprünglich anberaumten, mit den Verfahrensbeteiligten zuvor nicht abgestimmten Termins vom 26.09.2023 wegen vorgetragenen Urlaubs des Sachverständigen ohne Weiteres vorgenommen wurde, lehnte die Vorsitzende den bereits frühzeitig vom Verteidiger gestellten und mit seinem Urlaub begründeten Antrag vom 17.07.2023 auf Verlegung des (nicht mit ihm abgestimmten) Termins vom 24.10.2023 mit Verfügung vom 27.07.2023 ohne weitere Begründung ab. Auch die Begründung in der Nichtabhilfeentscheidung trägt dem Recht der Angeklagten, durch den Verteidiger ihres Vertrauens, der sie schon seit mehreren Jahren vertritt, in der Hauptverhandlung vertreten zu werden, nicht genügend Rechnung. Das Verfahren unterliegt nicht dem besonderen Beschleunigungsgebot. Es ist nicht erkennbar und auch nicht in der Nichtabhilfeentscheidung dargetan, dass einer erneuten Terminsfindung nach dem 24.10.2023 außergewöhnliche Schwierigkeiten entgegenstehen würden. Der Verteidiger hatte bereits zum Zeitpunkt seines Terminsverlegungsantrags für den 24.10.2023 einen vollständigen Tag Urlaub geplant und in der Kanzlei eingetragen. Die Nichtabhilfeentscheidung lässt keinen nachvollziehbaren Grund erkennen, der einen Verzicht des Verteidigers auf zumindest einen halben Urlaubstag gebietet. Dabei muss es grundsätzlich zunächst dem Verteidiger überlassen bleiben, wie er seinen lange geplanten Urlaubstag verbringt und wann er mit der Feier seines Geburtstags und dem Empfang von Gratulanten beginnt.

c) Die angefochtene Verfügung ist nach alledem aufzuheben. Weil nach dem Vorstehenden nur eine ermessensfehlerfreie Entscheidung, nämlich die Aufhebung des für den 24.10.2023 anberaumten Termins in Betracht kommt, kann der Senat als Beschwerdegericht diese Entscheidung auch selbst treffen (OLG Dresden a.a.O. Rn. 13)….“

Man fragt sich wirklich, was eine solche Vorgehensweise soll – und das OLG legt ja auch den Finger in die (große) Wunde: Der Terminsverlegungsantrag des Sachverständigen geht ohne Probleme durch und der Verteidigers wird ohne Begründung abgeschmettert. Das ist nicht nachvollziebar. Und die Staatsanwaltschaft als „objektivste Behörde der Welt“ (?). Die sagt dazu offebar nichts, sonder verweist nur auf eine Kommentierung, die die Entscheidung des Vorsitzenden nun wahrlich nicht trägt. Schon schlimm. Beides.