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Rechtsmittel II: Ausbleiben genügend entschuldigt?, oder: Kann man einen „subjektiven“ Vorwurf machen?

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Die zweite Entscheidung, der OLG Nürnberg, Beschl. v. 13.05.2024 – Ws 276/24 – stammt aus einem Berufungsverfahren. Behandelt wird mal wieder die Frage der genügenden Entschuldigung, also ein Klassiker.

Das OLG führt dazu aus:

„b) Soweit der Angeklagte zur Geltendmachung seiner ordnungsgemäßen Entschuldigung eine durch Einfügung seines Namens korrigierte Verhandlungsunfähigkeitsbescheinigung vorlegt, bezieht sich dieses Vorbringen zwar auf die bereits am Tag der Berufungsverhandlung vom Angeklagten für sein Nichterscheinen geltend gemachte Erkrankung und eine damit dem Berufungsgericht bei seiner Entscheidung bekannte Tatsache. Die attestierte Verhandlungsunfähigkeit hat das Berufungsgericht aber bei seinem Verwerfungsurteil nicht in seine Sachentscheidung einbezogen, sondern diese nicht berücksichtigt und insoweit ausgeführt, dass die Bescheinigung über die Verhandlungsunfähigkeit keinen Patientennamen enthalte. Da aber der Angeklagte sowohl die Bescheinigung über die Verhandlungsunfähigkeit als auch die in derselben Praxis ausgestellte Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung gemeinsam oder jedenfalls unmittelbar nacheinander eingereicht hat, war trotz des fehlenden Eintrags des Patientennamens im Schreiben betreffend die Verhandlungsunfähigkeit der bestehende Zusammenhang unübersehbar und eine gemeinsame Würdigung beider eingereichter Unterlagen hätte sich aufgedrängt und hätte daher auch erfolgen müssen. Der Angeklagte kann im Wiedereinsetzungsverfahren geltend machen, dass dies nicht geschehen ist.

2. Der Angeklagte ist unverschuldet nicht zur Berufungsverhandlung gekommen, da er jedenfalls ohne Verschulden davon ausgehen konnte, dass die von ihm vorgelegten ärztlichen Bescheinigungen sein Fernbleiben entschuldigen.

a) Nach § 329 Abs. 7 StPO kann der Angeklagte die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand unter den in den §§ 44 und 45 StPO bezeichneten Voraussetzungen beanspruchen. Maßgebend sind also solche Gründe, die den Angeklagten ohne sein Verschulden am rechtzeitigen Erscheinen zur Berufungsverhandlung gehindert haben. Dies ist insbesondere der Fall bei Vorliegen einer Krankheit, die nach Art und Auswirkungen ein Erscheinen in der Hauptverhandlung unzumutbar machte (KK-StPO/Paul, 9. Aufl. 2023, StPO § 329 Rn. 23). Eine genügende Entschuldigung im Sinne der Vorschrift ist anzunehmen, wenn nach den konkreten Umständen des Einzelfalls dem Angeklagten wegen seines Ausbleibens billigerweise kein Vorwurf zu machen ist. Auch wenn ein ärztliches Attest den Angeklagten objektiv nicht entschuldigt, darf ein Urteil nach § 329 Abs. 1 StPO nicht ergehen, wenn der Angeklagte ohne Verschulden annehmen durfte, der Inhalt des Attestes entschuldige sein Ausbleiben (KK-StPO/Paul, 9. Aufl. 2023, StPO § 329 Rn. 10; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 06.05.1985, 2 Ws 184/85 u. 2 Ss 161/85 – 104/85 II, beck-on-line; OLG Dresden, Beschluss vom 13.12.2016, 13 Ss 802/16, beck-online).

b) Der Angeklagte ist unter Berücksichtigung dieser Grundsätze jedenfalls ohne subjektives Verschulden nicht zur Berufungsverhandlung gekommen.

Unabhängig von den im Freibeweisverfahren getroffenen Feststellungen zur Frage der ausreichenden Diagnostizierung der Erkrankung des Angeklagten und zur Gleichsetzung von Arbeitsunfähigkeit und Verhandlungsunfähigkeit durch den behandelnden und die Bescheinigungen ausstellenden Arzt hat das Landgericht nicht berücksichtigt, dass der Begriff der unentschuldigten Säumnis eine Pflichtverletzung auch in subjektiver Hinsicht voraussetzt und das Nichterscheinen einem Angeklagten nicht zum Vorwurf gemacht werden kann, wenn er in berechtigtem Vertrauen auf die Richtigkeit einer ärztlichen Diagnose davon ausgeht, aus gesundheitlichen Gründen einen Gerichtstermin nicht wahrnehmen zu können und zudem annehmen kann, das eingereichte Attest reiche aus, um ihn genügend zu entschuldigen (OLG Dresden, Beschluss vom 13.12.2016, 13 Ss 802/16, beck-online). Der Angeklagte, der durch die Information der Kanzleimitarbeiterin seines Verteidigers wusste, dass er ein Attest über seine Verhandlungsunfähigkeit vorlegen musste, und dem durch Dr. pp. sowohl eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung als auch die Bescheinigung der Verhandlungsunfähigkeit ausgestellt worden waren, konnte auf die Bestätigungen des Mediziners vertrauen, sich angesichts seiner dem Arzt vorgetragenen Durchfallerkrankung für objektiv entschuldigt halten und ohne Schuldvorwurf annehmen, der Inhalt der von ihm eingereichten Atteste – Bescheinigung der Arbeitsunfähigkeit und der Verhandlungsunfähigkeit – reiche aus, um ihn genügend zu entschuldigen. Dass der Angeklagte seine Erkrankung nur vorgetäuscht und sich die ausgestellten Bescheinigungen erschlichen hat, ist nicht festgestellt. Auch durch die vom Landgericht durchgeführte Zeugenvernehmung ergaben sich hierfür keine Hinweise. Den ersten Termin zur Berufungshauptverhandlung vom 20.12.2023 hatte der Angeklagte im Übrigen wahrgenommen.“

OWi III: Einspruch der nebenbeteiligten jurist. Person, oder: Verwerfung bei Ausbleiben des Geschäftsführers?

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Und im dritten Posting des Tages dann noch etwas zur Einspruchsverwerfung wegen unentschuldigten Ausbleibens in der Hauptverhandlung. Ausgeblieben war hier der Geschäftsführer einer Nebenbeteiligten (juristischen Person). Die gegen das Verwerungsurteil gerichtete Rechtsbeschwerde hatte mit dem OLG Oldenburg, Beschl. v. 21.11.2022 – 2 Ss(OWi) 170/22 – Erfolg:

„Mit Bußgeldbescheid vom 16.03.2022 ist gegen die AA UG wegen eines Verstoßes gegen das Verpackungsgesetz eine Geldbuße in Höhe von 1250 € festgesetzt worden. Durch das angefochtene Urteil hat das Amtsgericht den Einspruch „d. Betroffenen“ verworfen, da „d. Betroffene“ trotz ordnungsgemäßer und rechtzeitiger Ladung zum Termin nicht erschienen sei.

Gegen dieses Urteil wendet sich die UG mit ihrer Rechtsbeschwerde.

Sie macht geltend, ihr Geschäftsführer sei aus näher dargelegten Gründen an der Teilnahme am Termin gehindert gewesen.

Die zulässige Rechtsbeschwerde hat Erfolg.

Erfolg hat sie allerdings nicht deshalb, weil die vom Geschäftsführer der Nebenbeteiligten genannten Gründe für sein Ausbleiben stichhaltig wären.

Entscheidend ist vielmehr Folgendes:

Da hier gegen eine juristische Person (UG nach § 5a GmbHG) eine Geldbuße verhängt worden ist, ist diese – auch wenn nur gegen sie ein Bußgeldverfahren eingeleitet worden und der Wortlaut somit zumindest missverständlich ist- Nebenbeteiligte des Verfahrens (vergleiche zur Begrifflichkeit Göhler-Gürtler/Thoma, OWiG,18. Aufl., vor § 87 RN 2 und 8; Hilgers-Klautzsch in: Kohlmann, Steuerstrafrecht, § 401 Rn. 86 (juris): „Die Rechtsstellung der JP/PV im Verfahren bei Festsetzung einer Geldbuße regelt § 444 StPO mit einer Vielzahl von Verweisungen. Diese Norm stellt die verfahrensrechtliche Ergänzung zu § 30 OWiG… dar. Die StPO schränkt dabei an keiner Stelle die Verfahrensrechte der juristischen gegenüber der natürlichen Person ein. Gleichwohl hat die JP/PV im selbständigen Verfahren „nur“ die Stellung eines Nebenbeteiligten … .“; sowie § 88 OWiG)

Die Rechtsbeschwerde hat deshalb Erfolg, weil trotz Nichterscheinens einer vertretungsberechtigten Person der Nebenbeteiligten, eine Verwerfung des Einspruches nicht in Betracht kam.

Der Bundesgerichtshof hat in einer umfassend begründeten Entscheidung vom 24.12.2021 (KRB 11/21) = BGHSt 66, 309 = DAR 2022, 465, ausgeführt, dass auf nebenbeteiligte juristische Personen § 74 Abs. 2 OWiG nicht anwendbar sei. Es gelte stattdessen vielmehr § 46 Abs. 1 OWiG in Verbindung mit § 444 StPO. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird auf die Entscheidung des BGH verwiesen, durch die diese bis dahin umstrittene Rechtsfrage geklärt worden ist.

Damit lagen die Voraussetzungen für eine Verwerfung des Einspruches trotz Nichterscheinens einer vertretungsberechtigten Person der Nebenbeteiligten nicht vor. Das Verwerfungsurteil unterliegt deshalb der Aufhebung und die Sache ist zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde, an das Amtsgericht zurückzuverweisen.“

Was ein Laie so alles wissen können soll/muss, oder: Spitzfindig?

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Die fehlerhafte Interpretation einer Ladung zu einem Fortsetzungstermin als Mitteilung einer Verlegung des Beginns einer Berufungshauptverhandlung, die bei sorgfältigem Lesen des weiteren Ladungsschreibens vermeidbar gewesen wäre, vermag ein Ausbleiben bei Beginn der Berufungshauptverhandlung nicht genügend zu entschuldigen. So das OLG Celle im OLG Celle, Beschl. v. 29.04.2016 – 1 Ss 20/16, in dem die Revision gegen einnach § 329 Abs. 1 StPO ergangenes Verwerfungsurteil verworfen worden ist.

Wenn man den Beschluss liest, fragt man sich, was ein Laie so alles wissen können soll/muss. Ausgangspunkt bei § 329 StPO und der Beantwortung der Frage, ob ein Ausbleiben im Sinne des § 329 Abs. 1 StPO genügend entschuldigt ist, ist nach der obergerichtlichen Rechtsprechung doch imemr, dass zu Gunsten eines nicht erschienenen Angeklagten ein großzügiger Maßstab anzulegen ist (BGHSt 17, 391, 397; s. auch Burhoff, Handbuch für die strafrechtliche Hauptverhandlung, 8. Aufl., 2016, Rn. 710 ff. m.w.N.). Entscheidend ist danach, ob dem Angeklagten nach den Umständen des Falles wegen seines Ausbleibens billigerweise ein Vorwurf zu machen ist.

Davon geht  zwar auch das OLG aus, hat dann aber dennoch das Ausbleiben der Angeklagten als nicht genügend entschuldigt angesehen. Denn in dem Ladungsschreiben, dass der Angeklagte falsch verstanden hatte, war von einer Ladung zu einem weiteren Hauptverhandlungstermin die Rede. Die Formulierung „ist Termin zur Fortsetzung der Berufungshauptverhandlung vom 28.01.2016 (…) bestimmt auf (…)“ mache – so das OLG – zweifelsfrei deutlich, dass der (ursprüngliche) Hauptverhandlungstermin nicht verlegt, sondern zusätzlich ein weiterer Termin bestimmt worden war. Denn Fortsetzen lasse sich nur eine bereits begonnene Hauptverhandlung. Bei dem Begriff „Fortsetzung“ handele es sich auch nicht um einen juristischen Fachterminus, sondern um ein Wort aus der Alltagssprache. Etwas anderes soll nach Auffassung des OLG wohl gelten, wenn von einem „Fortsetzungstermin“ die Rede ist (so auch OLG Saarbrücken, Beschl. v. 4. 9. 08 – 1 Ws 170/08).

Eine m.E. für einen juristischen Laien doch recht spitzfindige Unterscheidung.

Wenn die Mutti in den Kreißsaal geht, muss der Vati nicht zur Hauptverhandlung kommen.

entnommen openclipart.org

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Der Kollege Kroll aus Berlin hat mir den KG, Beschl. v. 30.09.2015 – 3 Ws (B) 427/15 – übersandt – besten Dank dann auch von dieser Stelle. Er hat (mal wieder) die Frage der Zulassung der Rechtsbeschwerde wegen Verletzung des rechtlichen Gehörs (§ 80 Abs. 1 Nr. 2 OWiG) zum Gegenstand. Hauptverhandlung war auf den 07.07.2015 terminiert. Mit Telefax vom 06.07.2015 wird Verlegung beantragt. Der Antrag geht auch am 06.07.2015 auf der Geschäftsstelle ein. Das AG nimmt ihn aber nicht zur Kenntnis und verwirft am 07.07.2015 nach § 74 Abs. 2 OWiG den Einspruch des Betroffenen.

Das KG hebt wegen Verletzung des rechtlichen Gehörs auf:

„Die somit nach. §§ 79 Abs. 1 Satz 2, 80 Abs. 1 Nr. 2 OWiG zuzulassende Rechtsbeschwerde führt gemäß §§ 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG, 353 -Abs. 1 StPO zur Aufhebung des angefochtenen Urteils; weil dieses auf einer Verletzung des rechtlichen Gehörs beruht. Es ist obergerichtlich anerkannt, dass die Niederkunft der Ehefrau, zumal wenn. Komplikationen während der Geburt drohen, einen anzuerkennenden Entschuldigungsgrund darstellen (vgl. OLG Celle, MDR 1966, 949 f.). Jedenfalls ist dem Betroffenen insoweit in subjektiver Hinsicht keine Pflichtverletzung vorzuwerfen (vgl. Senat, Beschluss vom 23, Februar 2012 — (3) 1 Ss 528/11 (168/11).

Also: Wenn die Mutti in den Kreißsaal geht, muss der Vati nicht zur Hauptverhandlung kommen. So das KG, allerdings mit wohl gesetzteren Worten 🙂 .

Arztpraxis nicht erreichbar – ok, dann verwerfe ich eben…

© scusi - Fotolia.com

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Ob ein Betroffener im Sinne des § 74 Abs. 2 OWiG entschuldigt ist, richtet sich nicht danach, was er selbst zur Entschuldigung vorgetragen hat. Maßgebend ist, ob sich aus den Umständen, die dem Gericht zum Zeitpunkt der Entscheidung bekannt und im Wege des Freibeweises feststellbar waren, eine ausreichende Entschuldigung ergibt.“ Das ist einer  der Leitsätze des KG, Beschl. v. 04.06.2015 – 3 Ws (B) 264/15 – 122 Ss 73/15.

Nun, nichts Neues, wird der ein oder andere Leser sagen. Und er hat Recht. Der Leitsatz enthält eine Selbstverständlichkeit im Recht der §§ 73, 74 OWiG, der so von allen OLG – auch zur Verwerfung der Berufung nach § 329 Abs. 1 StPO a.F. immer wieder betont wird.

Und daraus folgt dann: Liegen Anhaltspunkte für eine genügende Entschuldigung vor, darf der Einspruch nach § 74 Abs. 2 OWiG nur verworfen werden, wenn das AG sich die Überzeugung verschafft hat, dass genügende Entschuldigungsgründe nicht gegeben sind. Bestehen Zweifel, ob der Betroffene genügend entschuldigt ist und können diese auch im Freibeweisverfahren nicht geklärt werden, darf ein Verwerfungsurteil nicht ergehen (vgl. u.a. KG VRS 102, 467; 108, 110).

Die Grundsätze hatte das AG im vom KG entschiedene Fall nicht beachtet. Vielmehr war es offenbar davon ausgegangen, dass sich Zweifel am Vorhandensein eines Entschuldigungsgrundes zulasten des Betroffenen auswirken. Es hatte nämlich ein vom Betroffenen vorgelegtes Attest zum Anlass genommen, bei der ausstellenden Ärztin nachfragen zu wollen. Da die Arztpraxis in der Mittagszeit aber nicht erreichbar war, konnten die Zweifel des Amtsrichters weder beseitigt noch bestätigt werden. Bei der Sachlage durfte das AG den Einspruch dann nicht verwerfen. Das hat es allerdings getan und dafür dann vom KG die Quittung bekommen. Aufhebung.