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Haft III: Entscheidung über Vollzugslockerungen, oder: Haftbefehl wegen Fluchtgefahr

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Und zum Schluss dann der OLG Celle, Beschl. v. 18.07.2024 – 1 Ws 159/24 (StrVollz). An dem Aktemnzeichen sieht man: Es geht um Strafvollzug.

Die JVA hatte Vollzugslockerungen während des Vollzuge einer Maßregel abgelehnt. Dagegen der Antrag auf gerichtliche Entscheidung, den die StVK zurückgewiesen hat. Sie hatte ich u.a. darauf bezogen, dass aufgrund des Fortgangs eines Auslieferungsverfahrens die Gefahr eines Lockerungsmissbrauchs sowie ein erhöhter Fluchtanreiz bestehe.

Dagegen die Rechtsbeschwerde des Verurteilten, die keinen Erfolg hatte. Die StVK hatte zwar mangelhaft begründet, aber:

„2. Der angefochtene Beschluss beruht indes nicht auf den aufgezeigten Begründungsmängeln, weil die Entscheidungen der Strafvollstreckungskammer und der Antragsgegnerin im Ergebnis richtig sind und aus rechtlichen Gründen keine andere Entscheidung in Betracht kam.

Denn der Erlass eines auf Fluchtgefahr gestützten Haftbefehls führt dazu, dass auch die Vollzugsbehörde bei der Entscheidung über Lockerungen vom Vorliegen von Fluchtgefahr ausgehen muss und sich ihr diesbezüglicher Beurteilungsspielraum auf Null reduziert (KG, Beschluss vom 13. April 2006 – 5 Ws 70/06 Vollz –, juris). Die Gewährung von Vollzugslockerungen ist mit einem gleichzeitig bestehenden, auf Fluchtgefahr gestützten Haftbefehl unvereinbar (OLG Saarbrücken, Beschluss vom 11. Februar 2020 – 1 Ws 20/20 –, Rn. 13, juris; OLG Braunschweig, Beschluss vom 16. Dezember 2019 – 1 Ws 299/19 –, Rn. 8, juris; OLG Jena, Beschluss vom 23. Januar 2019 – 1 Ws 13/19 –, Rn. 19, juris; KG, Beschluss vom 31. März 2017 – 5 Ws 81/17 –, Rn. 14, juris; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 28. Januar 2002 – 3 Ws 15/02 –, Rn. 7, juris; OLG Bremen, Beschluss vom 11. Oktober 1999 – Ws 153/99 –, juris).

Die Antragsgegnerin musste deshalb im vorliegenden Fall – in dem sich die Fluchtgefahr als Haftgrund der vom Oberlandesgericht angeordneten Auslieferungshaft (§ 15 Abs. 1 Nr. 1 IRG) zumindest dem Gesamtzusammenhang des angefochtenen Beschlusses entnehmen lässt – die zuvor gewährten Vollzugslockerungen zwingend gemäß §§ 48 Abs. 1, 49 Abs. 2 Nr. 3 VwVfG i. V. m. § 15 Abs. 1 Nds. MVollzG widerrufen.“

KCanG III: Verwertung „alter“ EncroChat-Erkenntnisse, oder: OLG Celle geht von Verwertbarkeit aus

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Und im dritten Posting dann noch etwas Verfahrensrechtliches, nämlich der OLG Celle, Beschl. v. 09.07.2024 – 3 Ws 55/24. Der nimmt Stellung zur der Frage, ob und wie vor dem 1.4.2024 gewonnene Erkenntnisse aus einer EncroChat-Überwachung nach Inkrafttreten des KCanG verwertet werden dürfen. Das ist ja von einigen OLG verneint worden, so u.a. KG, Beschl. v. 30.04.2024 – 5 Ws 67/24 (siehe auch noch: OLG Stuttgart, Beschl. v. 22.04.2024 – H 4 Ws 123/24).

Hier hatte das LG in einem BtM-Verfahren teilweise nicht eröffnet, weil es die vorliegenden Beweismittel als nicht verwertbar angesehen hat. Dagegen dann das Rechtsmittel der StA, das Erfolg hatte. Das OLG begründet umfangreich auf rund 23 Seiten, daher gibt es hier nur die Leitsätze zu der Entscheidung:

1. Beim Vorliegen der Voraussetzungen des § 100e Abs. 6 StPO kann nach der Grundsatzentscheidung des 5. Strafsenats des BGH vom 2. März 2022 – 5 StR 457/21, NJW 2022, 1539 ff. – „jede denkbare Beeinträchtigung“ einer Person durch die Verwertung von EncroChat-Daten als Beweismittel ausgeschlossen werden.

2. Die Prüfung der Frage, ob EncroChat-Daten als Beweismittel verwertbar sind, kann indes auch nach Inkrafttreten des CanG zum 1. April 2024 durch Heranziehung niedrigschwelliger Verwertungsregelungen vorgenommen werden kann.

3. Bei den EncroChat-Daten handelt es sich – nach dem Maßstab des deutschen Verfassungs- und Strafprozessrechtes – um an Art. 10 GG zu messende, mithin um „qualifizierte“ Telekommunikationsdaten, weshalb bei der Prüfung der Frage ihrer Verwertbarkeit auch gemäß § 479 Abs. 2 Satz 1 StPO iVm § 161 Abs. 3 StPO auf eine entsprechende Anwendung des § 100a StPO zurückgegriffen werden kann bzw. im Falle des Nichtvorliegens der Voraussetzungen des § 100e Abs. 6 StPO wegen der Aufklärungspflicht nach § 244 Abs. 2 StPO zurückgegriffen werden muss.

Tja, dann bin ich mal gespannt, was demnächst der BGH, der wegen der abweichenden Auffassungen sicherlich demnächst mit der Frage befasst sein wird, dazu sagen wird.

Corona I: Fälschung von Impf- und Genesenenausweis, oder: Genug Feststellungen zur Beweiserheblichkeit?

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Und dann seit längerem mal wieder etwas zu Corona, und zwar „Aufarbeitungsentscheidungen“. An der „Front“ ist es ja – zum Glück – ruhiger geworden. Aber die ein oder andere Entscheidung gibt es dann doch noch.

Ich stelle zu der Thematik dann heute zunächst den OLG Celle, Eeschl. v. 18.07.2024 – 1 ORs 18/24 – vor. Geht noch einmal um Urkundenfälschung in Zusammenhang mit Impfausweisen u..a.

Folgender Sachverhalt: Das AG hatte den Angeklagten vom Vorwurf der Anstiftung zur Urkundenfälschung und zur Fälschung beweiserheblicher Daten freigesprochen. Auf die dagegen eingelegte Berufung der Staatsanwaltschaft hat das LG Stade den Angeklagten wegen Anstiftung zur Urkundenfälschung in drei rechtlich zusammentreffenden Fällen sowie Anstiftung zur Fälschung beweiserheblicher Daten verurteilt.

Nach den Feststellungen des LG forderte der Angeklagte am 10.05.2021 seine Schwester per Chat-Nachricht dazu auf, drei Impfaufweise für sich, seinen Vater und seine Ehefrau zu bestellen, die Eintragungen über in Wahrheit nicht erfolgte Impfungen gegen Covid-19 enthielten, und überwies ihr dafür insgesamt 450 Euro. Die Schwester des Angeklagten entschloss sich deshalb, die Impfpässe bei der gesondert verfolgten S. O. zu bestellen. Diese beschaffte deshalb die Impfaufweise aus einer unbekannten Quelle.

Außerdem bat im November 2021 seine Schwester darum, ihm einen gefälschten Genesenen-Ausweis zu beschaffen. Diese übersandte ihm daraufhin am 11.11.2021 per E-Mail einen gefälschten Befund eines Labors, der dem Angeklagten einen positiven PCR-Test auf Antikörper für SARS-CoV-2 bescheinigte. Diese Dokumente hatte sie selbst auf ihrem PC erstellt und dafür als Vorlage den Befund einer dritten Person verwendet.

Die Revision des Angeklagten hatte Erfolg:

„Die Feststellungen des Landgerichts tragen weder den Schuldspruch wegen Anstiftung zur Urkundenfälschung gemäß §§ 267 Abs. 1, 26 StGB noch den Schuldspruch wegen Anstiftung zur Fälschung beweiserheblicher Daten gemäß §§ 269 Abs. 1, 26 StGB. Es fehlt jeweils an vollständigen Feststellungen zu einer entsprechenden Haupttat, die gemäß § 26 StGB Voraussetzung für eine Strafbarkeit wegen Anstiftung ist.

1. Hinsichtlich der Tatbestandsvoraussetzungen der Urkundenfälschung gemäß § 267 Abs. 1 StGB erweisen sich die Urteilsfeststellungen in mehrfacher Hinsicht als lückenhaft. Sie belegen weder das Vorliegen einer Urkunde noch ein Auseinanderfallen zwischen dem scheinbaren und dem tatsächlichen Aussteller.

a) Eine Urkunde im Sinne des § 267 Abs. 1 StGB ist eine verkörperte Gedankenerklärung, die ihrem gedanklichen Inhalt nach geeignet und bestimmt war, für ein Rechtsverhältnis Beweis zu erbringen, und den Aussteller erkennen ließ (st. Rspr.; statt aller BGH, Beschluss vom 14. März 2024 – 2 StR 192/23 –, Rn. 35, juris, m. w. N.).

Ein vollständig ausgefüllter Impfausweis erfüllt diese Voraussetzungen; die vollständigen Angaben ergeben die Erklärung des im Impfausweis aufgeführten Impfarztes, der genannten Person die bezeichnete Impfung an einem bestimmten Tag unter Verwendung eines Vakzins einer bestimmten Charge verabreicht zu haben (BGH, Urteil vom 10. November 2022 – 5 StR 283/22 –, Rn. 36, juris; OLG Celle, Urteil vom 31. Mai 2022 – 1 Ss 6/22 –, Rn. 15, juris).

Ob sich einem Impfausweis eine solche Erklärung entnehmen lässt, muss im Urteil in Bezug auf den jeweiligen Einzelfall festgestellt werden. Es reicht nicht aus, den Inhalt mit reinen Rechtsbegriffen zu umschreiben; erforderlich ist vielmehr eine Beschreibung der jeweiligen Eintragungen, namentlich ob der Impfausweis für eine bestimmte Person ausgestellt wurde und ggf. für welche, ob etwa ein Aufkleber mit einer Chargen-Nummer in dem Impfausweis eingeklebt war und welchen Inhalt dieser gegebenenfalls hatte, ob ein und ggf. welcher Zeitpunkt der angeblich erfolgten Impfung eingetragen wurde, ob ein und ggf. welcher Aussteller der Impfbescheinigung ersichtlich wird (Bayerisches Oberstes Landesgericht, Beschluss vom 22. Juli 2022 – 202 StRR 71/22 –, juris).

b) Diesen Anforderungen genügt das angefochtene Urteil nicht. Es beschränkt sich insoweit auf die Feststellungen, dass der Angeklagte „drei Impfausweise“ bei seiner Schwester bestellt habe, diese daraufhin „die gefälschten Impfpässe“ habe beschaffen wollen und die gesondert Verfolgte O. schließlich „die Impfausweise mit den gefälschten Einträgen zu in Wahrheit nicht erfolgten COVID-19 Impfungen“ beschafft habe. Den zur Konkretisierung des Urkundenbegriffs des § 267 Abs. 1 StGB erforderlichen genauen Inhalt dieser Eintragungen hat die Strafkammer hingegen nicht festgestellt.

c) Das Fehlen ausreichender Feststellungen zur Urkundenqualität entzieht auch der weiteren rechtlichen Bewertung der Strafkammer die Grundlage. Da es sowohl an Feststellungen zur Person des Haupttäters als auch zu einem etwaigen scheinbaren Aussteller fehlt, steht namentlich auch die Unechtheit einer eventuellen Urkunde in Frage; nach den Feststellungen ist nicht ausgeschlossen ist, dass es sich zwar um unrichtige, nicht aber um unechte Impfbescheinigungen handelte.

2. Das angefochtene Urteil belegt auch nicht, dass die Tatbestandsvoraussetzungen der Fälschung beweiserheblicher Daten gemäß § 269 Abs. 1 StGB bei der Tat aus November 2021erfüllt sind.

Den Feststellungen des Landgerichts lässt sich noch ausreichend entnehmen, dass die gesondert Verfolgte F. als Haupttäterin echte Daten verändert oder falsche Daten gespeichert hat. Denn sie hat entweder die vom Labor Dr. F. erstellte Datei durch Einfügen des Namens des Angeklagten verändert oder anhand dieser Vorlage eine eigene Datei mit dem Namen des Angeklagten erstellt, deren scheinbarer Aussteller das Labor Dr. F. war.

Die Urteilsfeststellungen belegen aber nicht, dass diese Daten auch beweiserheblich waren. Dieses Tatbestandsmerkmal verlangt, dass die Daten geeignet und bestimmt sind, bei einer Verarbeitung im Rechtsverkehr als Beweisdaten für rechtlich erhebliche Tatsachen benutzt zu werden (Zieschang in: Leipziger Kommentar zum StGB, 13. Auflage, § 269 StGB, Rn. 11 m. w. N.). Es ist deckungsgleich mit der für den Urkundenbegriff gemäß § 267 StGB erforderlichen Beweisfunktion und ergibt sich deshalb zugleich aus der weiteren Tatbestandsvoraussetzung des § 269 Abs. 1 StGB, dass im hypothetisch gedachten Fall der Wahrnehmung der Daten eine Urkunde vorliegen muss (Zieschang a. a. O.; Schönke/Schröder/Heine/Schuster, 30. Aufl. 2019, StGB § 269 Rn. 9).

Ebenso wie für Urkunden gilt deshalb, dass einer Datei keine Beweisfunktion zukommt, wenn sie erkennbar als Kopie einer Urkunde erscheint. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die entsprechenden Erklärungen üblicherweise als Original-Papierdokumente ausgegeben werden; ein entsprechendes PDF-Dokument ruft dann im Rechtsverkehr nicht den Eindruck eines Originals hervor, sondern wird lediglich als Reproduktion angesehen (OLG Celle, Urteil vom 15. Dezember 2023 – 1 ORs 2/23 –, Rn. 42, juris, m. w. N.).

Eine revisionsrechtliche Überprüfung, ob der Datei, die von der gesondert Verfolgten F. erstellt wurde, die erforderliche Beweisfunktion zukam, ist dem Senat aufgrund der bisherigen Feststellungen des Landgerichts nicht möglich. Denkbar ist sowohl, dass im Rechtsverkehr bereits dieser Dateiinhalt – etwa beim Vorzeigen mittels eines Mobiltelefons – als ein vom Institut Dr. F. erstellter Genesenenachweis angesehen worden wäre. Nicht ausgeschlossen ist aber auch, dass die Datei selbst lediglich als – beispielsweise eingescannte – Reproduktion eines vermeintlich in Papierform vorliegenden Originals erschien und nicht die Datei selbst, sondern erst ein Ausdruck im Rechtsverkehr als eine vom Institut Dr. F. erstellte Erklärung angesehen worden wäre. Im zuletzt genannten Fall würde das Erstellen der Datei lediglich eine – straflose – Vorbereitungshandlung zu einer möglichen späteren Herstellung einer unechten Urkunde darstellen.

Die Sache bedarf deshalb insgesamt neuer Verhandlung und Entscheidung.“

Und dann noch der BayObLG, Beschl. v. 10.07.2024 – 203 StRR 231/24. Von der Entscheidung gibt es aber nur den Leitsatz, der lautet:

Der Gebrauch einer unechten Impfbescheinigung nach dem 24. November 2021 kann eine Urkundenfälschung nach § 267 Abs.1 3. Al. StGB darstellen. Dies gilt auch nach dem Auslaufen des digitalen COVID-Zertifikats. 

StPO I: Hinzuziehung eines psychiatrischen SV, oder: Beurteilung der Schuldfähigkeit

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Heute gibt es dann drei StPO-Entscheidungen. Ich eröffne den Reigen mit dem OLG Celle, Beschl. v. 11.04.2024 – 3 ORs 10/24, der allgemein zur Erforderlichkeit der Hinzuziehung eines psychiatrischen Sachverständigen zur Beurteilung der Schuldfähigkeit Stellung nimmt. Und zwar wie folgt:

„Das Landgericht hat davon abgesehen, zur Frage der Schuldfähigkeit des Angeklagten einen psychiatrischen Sachverständigen zu hören. Das hält rechtlicher Überprüfung nicht stand.

Nachdem das Landgericht festgestellt hat, dass der Angeklagte seit 2013 – und damit auch zum Tatzeitpunkt – an einer paranoiden Schizophrenie leidet, derentwegen er seitdem fortlaufend in ärztlicher Behandlung ist und Neuroleptika als Depotmedikation erhält, gebot die Aufklärungspflicht (§ 244 Abs. 2 StPO) die Hinzuziehung eines psychiatrischen Sachverständigen. Dies galt hier umso mehr, als der Angeklagte nach dem weiteren Ergebnis der Beweisaufnahme zum Tatzeitpunkt unter der Einwirkung von Amphetamin und des Neuroleptikums Paliperidon stand, zwischen denen nach dem eingeholten gerichtsmedizinischen Gutachten Wechselwirkungen wahrscheinlich waren.

Zwar gibt es – abgesehen von § 246a StPO – keine allgemeinen Vorgaben, wann das Tatgericht bei der Beurteilung der Schuldfähigkeit einen Sachverständigen hinzuziehen muss oder aufgrund eigener Sachkunde entscheiden kann (vgl. BGH StV 2008, 618). Liegen indes Anhaltspunkte vor, die geeignet sind, Zweifel an der vollen Schuldfähigkeit des Angeklagten bei Tatausführung zu wecken, so ist die Anhörung eines Sachverständigen in aller Regel geboten; denn derartige Zweifel rufen im Allgemeinen Beweisfragen hervor, zu deren zuverlässiger Beantwortung oft nicht einmal eine allgemeine ärztliche Ausbildung, sondern nur die intensive Arbeit innerhalb eines besonderen Fachgebiets befähigt (vgl. BGH NStZ-RR 2003, 19; 2007, 83; Becker in: Löwe/Rosenberg, StPO 27. Aufl., § 244 Rn 78 mwN). Solche Anhaltspunkte liegen etwa vor, wenn der Angeklagte in nervenärztlicher Behandlung stand oder steht oder wenn er erklärt hat, dass er an Schizophrenie leide und Medikamente benötige (BGH StV 1982, 54; 2011, 647; Becker aaO mwN). Die Beurteilung endogener Psychosen, zu denen auch die paranoide Schizophrenie gehört, sowie mehrerer belastender Faktoren im Zusammenwirken – wie etwa Drogenkonsum und psychopathische Persönlichkeit – bedarf stets sachverständiger Beratung (vgl. Verrel/Linke/Koranyi in: Leipziger Kommentar, StGB 13. Aufl., § 20 Rn. 236 mwN).

Die Urteilsgründe belegen auch nicht, dass hier trotz des Zusammentreffens mehrerer der vorstehend aufgezeigten Faktoren ein Ausnahmefall vorlag, in dem das Tatgericht über eine besondere Sachkunde verfügte oder aufgrund sonstiger Umstände Auswirkungen der psychischen Störung auf die Tatbegehung von vornherein auszuschließen waren. Solche ergeben sich insbesondere nicht daraus, dass der Angeklagte angegeben hat, am Tattag „weder Stimmen gehört noch unter Verfolgungswahn gelitten zu haben“ (S. 17 UA) und dass der Angeklagte „damals wegen seiner paranoiden Schizophrenie bereits medikamentös behandelt“ wurde und dies „nach den Angaben des Angeklagten zu einer Stabilisierung seines psychischen Zustands geführt habe“ (S. 17 UA). Denn die Notwendigkeit der Hinzuziehung eines Sachverständigen ist unabhängig von der Selbsteinschätzung des Angeklagten zu beurteilen (vgl. BGHR StGB § 21 Sachverständiger 8). Sie ist bei Vorliegen von Anzeichen, die auch nur eine gewisse Möglichkeit dafür geben, dass der Angeklagte in geistiger Hinsicht von der Norm abweichen könnte, selbst dann geboten, wenn der Angeklagte sich in der Hauptverhandlung nicht auf einen solchen Zustand beruft (BGH NStZ-RR 2006, 140).

Ungeachtet dessen hat sich der Angeklagte hier ausweislich der Urteilgründe dahin eingelassen, dass er „am Tattag psychotisch und aufgrund einer Phobie nicht in der Lage gewesen sei, mit dem Bus (…) zu fahren“ (S. 17 UA). Der Umstand, dass er seinem Vater gegenüber zuvor erklärte, er werde mit dem Bus fahren, steht dem nicht entgegen. Abgesehen davon, dass bereits die zeitliche Nähe zwischen diesem Gespräch und der Fahrt nicht genau festgestellt ist („unmittelbar vor dem 18.01.2023 bzw. am 18.01.2023“, S. 18 UA), existiert kein allgemeiner Erfahrungssatz, dass bei Vorliegen einer Phobie auch deren Erwähnung in diesem Zusammenhang zwingend zu erwarten gewesen wäre. Erst recht ist aber nicht ohne besondere Sachkunde zu beurteilen, wie sich dies bei Personen mit einer paranoiden Schizophrenie im Zusammenwirken mit Amphetaminintoxikation darstellt. Die Möglichkeit des späteren Auftretens der Symptome oder einer krankheitsbedingten Einengung der kognitiven Fähigkeiten in Bezug auf Handlungsalternativen und Problemlösung begründete die Notwendigkeit sachverständiger Beratung.

Hinzu kommt, dass der Angeklagte sich nach den Feststellungen zu den Vorstrafen auch schon gegenüber dem Amtsgericht Magdeburg auf eine vergleichbare Phobie berufen hat (S. 7 UA). Gerade mit Blick auf die wiederholte Behauptung einer Phobie war die Hinzuziehung eines Sachverständigen geboten. Denn endogene Psychosen wie die paranoide Schizophrenie sind differentialdiagnostisch von Persönlichkeitsstörungen abzugrenzen, die eine ähnliche Symptomatik aufweisen, insbesondere dem Borderline-Syndrom, welches mit – vorübergehenden oder dauerhaften – Symptomen wie Phobien, Zwangshandlungen oder Wahn einhergehen kann (Verrel/Linke/Koranyi aaO Rn. 85 mwN).

Auch zielstrebiges und folgerichtiges Verhalten steht der Annahme einer erheblichen Verminderung der Steuerungsfähigkeit nicht unbedingt entgegen (vgl. BGH NStZ-RR 2007, 83; 2009, 115). Abgesehen davon hat das Landgericht in seine Würdigung des Verhaltens des Angeklagten als „durchweg sachgerecht und unauffällig“ (S. 18 UA) sowie „völlig situationsgerecht“ (S. 19 UA) nicht einbezogen, dass der Angeklagte sich im Zustand einer Amphetaminintoxikation, die „erhebliche Auffälligkeiten“ (S. 15 UA) verursachte, sowie unter Mitführen einer Umhängetasche, die u.a. zwei Klemmleistenbeutel mit Marihuana, zwei Klemmleistenbeutel mit Amphetaminanhaftungen und drei Klemmleistenbeutel mit Ecstasy-Tabletten enthielt, auf den Weg zu einem Termin mit seiner Bewährungshelferin machte.

Vor diesem Hintergrund und angesichts der Feststellung, dass „der Angeklagte psychisch instabil ist und trotz der Einnahme der ihm ärztlicherseits verordneten Medikamente dazu neigt, kriminelle Handlungen zu begehen“ (S. 23 UA), durfte von der Hinzuziehung eines psychiatrischen Sachverständigen nicht abgesehen werden.

Auf diesem Rechtsfehler beruht das Urteil.“

Strafe III: Verstoß gegen Weisung: Therapiemaßnahme, oder: Widerruf nur nach Anhörung

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Und zum Abschluss dann der OLG Celle, Beschl. v. 26.02.2024 – 1 Ws 69/24, 1 Ws 70/24, 1 Ws 71/24 – zum Widerruf von Strafaussetzung. Na ja, der Beschluss hat zumindest etwas mit Strafe zu tun. Es geht um einen Bewährungswiderruf wegen Verstoßes gegen eine Therapieweisung. Den hat das OLG aufgehoben:

„Der angefochtene Beschluss ist bereits aus verfahrensrechtlichen Gründen aufzuheben, weil das Vorgehen der Strafvollstreckungskammer den Anforderungen an die Anhörung des Verurteilten nicht gerecht wird.

Vor einem Widerruf der Strafaussetzung wegen Weisungsverstößen hat das Gericht gemäß § 453 Abs. 1 Satz 4 StPO mündlich anzuhören, wenn eine weitere Aufklärung des Sachverhalts möglich erscheint und schwerwiegende Gründe nicht entgegenstehen. Seine spätere Entscheidung über den Widerruf darf das Gericht nur auf solche Tatsachen stützen, die bereits Gegenstand der Anhörung waren. Holt das Gericht nach der Anhörung telefonisch weitere Informationen ein, muss es den Verurteilten zu diesen neuen Erkenntnissen erneut anhören (KG, Beschluss vom 6. März 2017 – 5 Ws 25/17 – 121 AR 13 – 14/17 –, Rn. 10, juris, m. w. N.).

Diesen Anforderungen hält das Vorgehen der Strafvollstreckungskammer nicht stand. Die Strafvollstreckungskammer stützt sich in der Begründung ihres Widerrufsbeschlusses ausdrücklich darauf, dass der Verurteilte auch nach dem Anhörungstermin keinen weiteren Kontakt zur Bewährungshilfe aufgenommen und keine Therapienachweise vorgelegt hat. Sie bezieht sich dabei auf Erkenntnisse aus dem Telefonat mit der Bewährungshelferin vom 3. Januar 2024, das erst nach dem Anhörungstermin vom 18. Dezember 2023 erfolgt ist und zu dessen Inhalt dem Verurteilten keine Gelegenheit zur Äußerung gegeben wurde. Es ist nicht auszuschließen, dass sich dieser Gehörsverstoß zum Nachteil des Verurteilten ausgewirkt hat. Wenn die Strafvollstreckungskammer ihm erneut Gelegenheit zur Äußerung gegeben hätte, hätte er insbesondere die Nachweise über seinen Klinikaufenthalt seit dem 19. Dezember 2023 vorlegen und gegebenenfalls mündlich erläutern können. Dies hätte die Strafvollstreckungskammer zu der Bewertung führen können, dass seine Untätigkeit nach der Anhörung am 18. Dezember 2023 unverschuldet gewesen sein könnte.

Dem Anhörungsschreiben vom 20. November 2023 konnte der Verurteilte im Übrigen nicht entnehmen, dass der Widerruf auch auf das Fehlen von Therapienachweisen gestützt werden könnte. Denn dieses bezog sich nur darauf, dass sich der Verurteilte der Aufsicht und Leitung der Bewährungshelferin entzogen habe. Es ist nicht auszuschließen, dass der Verurteilte auch auf ein insoweit vollständiges Anhörungsschreiben anders reagiert und gegebenenfalls seine Gründe für die Weisungsverstöße schriftlich oder mündlich erläutert hätte.“