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OWi I: Entscheidung über Aussetzung vor dem Urteil, oder: Beweisantragsablehnung in den Urteilgründen

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Und dann heute ein OWi-Tag, ich habe ja neulich einiges an Material bekommen.

Zunächst stelle ich hier den OLG Celle, Beschl. v. 07.02.2025 – 3 Orbs 6/25 – vor. Ergangen ist die Entscheidung in einem Verfahren, in dem das AG den Betroffenen wegen einer fahrlässigen Geschwindigkeitsüberschreitung zu einer Geldbuße von 150 Euro verurteilt hat. Dagegen hat sich der Betroffene mit seiner mit einem Zulassungsantrag verbundenen Rechtsbeschwerde gewendet, mit der er die Verfahrensrügen der Versagung des rechtlichen Gehörs, der Verletzung des Anspruchs auf ein faires Verfahren und der unzulässigen Beschränkung der Verteidigung erhoben hat.

Das OLG hat die Rechtsbeschwerde zugelassen und das AG-Urteil aufgehoben:

„Die Rechtsbeschwerde des Betroffenen ist zuzulassen, weil es geboten ist, das angefochtene Urteil wegen Versagung des rechtlichen Gehörs aufzuheben (§ 80 Abs. 1 Nr. 2 OWiG).

1. Der Beschwerdeführer beanstandet zu Recht, dass das Amtsgericht durch Übergehen eines in der Hauptverhandlung gestellten Aussetzungsantrags seinen Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt hat.

a) Der Rüge liegt folgender Sachverhalt zugrunde:

Die Region Hannover setzte mit Bußgeldbescheid vom 18. Dezember 2023 gegen den Beschwerdeführer eine Geldbuße von 150 Euro fest. Dem Beschwerdeführer wurde vorgeworfen, am 12. Juli 2023 in der Gemarkung Großburgwedel auf der A7 bei Kilometer 130,22 Fahrtrichtung Hannover als Führer eines PKW die zulässige Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften von 100 km/h um 28 km/h überschritten zu haben. Die Messung erfolgte mit dem Messgerät Poliscan FM1, Softwareversion 4.4.9.

Bereits mit Schriftsatz vom 15. Dezember 2023 hatte der Verteidiger des Betroffenen unter anderem beantragt, ihm nicht bei den Akten befindliche Unterlagen, u.a. die digitalen Falldatensätze der gesamten Messreihe mit Token-Datei und Passwort zur Verfügung zu stellen. Die Verwaltungsbehörde übersandte ihm daraufhin mit Schreiben vom 19. Dezember 2023 die den Beschwerdeführer betreffende Falldatei im tuff-Format und teilte dazu mit, dass zur Auslesung der Datei ein passendes Auswerteprogramm nötig sowie über die Hessische Eichdirektion ein Auswerteschlüssel (Token) zu beschaffen sei. Der Token enthalte anders als die Falldatei keine die einzelne Messung betreffenden Daten zu Überprüfung der Gültigkeit der Messung. Der Token diene dazu, die verschlüsselte Falldatei auszulesen, wie auch daneben der Tuffviewer erforderlich sei. Um die Gültigkeit der Messung zu überprüfen, sei auch die Prüfung erforderlich, dass die Falldatei nicht manipuliert worden sei. Eben diese Prüfung sei jedoch mit dem Token der Verwaltungsbehörde nicht möglich. Der Beschwerdeführer habe die Möglichkeit, sich über die Hessische Eichdirektion einen Gutachtertoken zu beschaffen, um anschließend die Falldatei und damit die Messung zu überprüfen.

Den gegen die Entscheidung der Verwaltungsbehörde gerichteten Antrag des Beschwerdeführers vom 3. Januar 2024 nach § 62 OWiG wies das Amtsgericht mit Beschluss vom 9. April 2024 als unbegründet zurück. Der Token der Bußgeldbehörde sei nicht herauszugeben. Denn er sei nicht geeignet, die Messung zu überprüfen, weil er, anders als die Falldatei, keine die einzelne Messung betreffenden Daten zu Überprüfung der Gültigkeit der Messung enthalte. Vielmehr wäre er potenziell geeignet, die Daten der Messdatei zu verändern, weshalb er nur an Behörden herausgegeben werde.

In der Hauptverhandlung am 19. September 2024 stellte der Verteidiger des Betroffenen mehrere – auch als solche überschriebene – Beweisanträge auf Durchführung einer Ortsbesichtigung, Einholung einer Behördenerklärung der Autobahnmeisterei, Vernehmung weiterer Zeugen und Einholung eines Sachverständigengutachtens. Des Weiteren stellte er einen als „Einsichts- bzw. Aussetzungsantrag“ überschriebenen Antrag, ihm weitere, konkret bezeichnete Unterlagen, unter anderem digitale Falldatensätze der gesamten Messreihe mit Token-Datei und Passwort zur Verfügung zu stellen oder durch die Verwaltungsbehörde zur Verfügung stellen zu lassen und die Hauptverhandlung auszusetzen, bis die Verteidigung die beantragten Unterlagen erhalten habe und diese – gegebenenfalls durch einen technischen Sachverständigen – überprüfen konnte, sowie über die vorstehenden Anträge durch Gerichtsbeschluss zu entscheiden.

Das Amtsgericht verkündete daraufhin folgenden Beschluss:

„Die Anträge vom 18. u. 19.9.2024 werden – soweit es sich um Beweisanträge handelt – gem. § 77 Abs. 2 Nr. 1 OWiG zurückgewiesen, weil die Beweiserhebung zur Erforschung der Wahrheit nicht erforderlich ist.

Gründe: Es handelt sich um ein standardisiertes Messverfahren. Anhaltspunkte, die auf eine fehlerhafte Anwendung oder Funktion des Messgerätes hindeuten könnten, liegen nicht vor.“

Weitere Beschlüsse wurden in der Hauptverhandlung bis zur Urteilsverkündung nicht verkündet.

Nach Erlass des angefochtenen Urteils beantragte der Verteidiger erneut erfolglos bei der Verwaltungsbehörde die Bereitstellung der begehrten Daten.

b) Das Übergehen des Aussetzungsantrags begründet eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör gemäß Art. 103 Abs. 1 GG (vgl. OLG Karlsruhe, Beschluss vom 11. Juli 2023 – 2 ORbs 35 Ss 334/23 –, Rn. 6, juris).

aa) Der Anspruch auf rechtliches Gehör beinhaltet das Recht der Beteiligten, durch rechtliches und tatsächliches Vorbringen Einfluss auf das Prozessergebnis zu nehmen (vgl. BVerfGE 60, 175 <210 ff.>; 64, 135 <143 f.>; 65, 227 <234>; 84, 188 <190>; 86, 133 <144>; 107, 395 <409>). Das entscheidende Gericht muss die Ausführungen der Beteiligten zur Kenntnis nehmen und in Erwägung ziehen (vgl. BVerfGE 21, 191 <194>; 96, 205 <216>). Zwar ist grundsätzlich davon auszugehen, dass ein Gericht diese Maßstäbe auch erfüllt. Das Recht aus Art. 103 Abs. 1 GG ist indes verletzt, wenn im Einzelfall besondere Umstände deutlich machen, dass ein Gericht dieser Pflicht nicht nachgekommen ist (vgl. BVerfGE 25, 137 <140 f.>; 85, 386 <404>; 96, 205 <216 f.>).

bb) Diesen Maßstäben wird das erstinstanzliche Verfahren nicht gerecht. Das Amtsgericht hat in der Hauptverhandlung nur die Beweisanträge durch Beschluss beschieden, nicht aber den Aussetzungsantrag. Über einen Aussetzungsantrag hat das Gericht aber noch vor der Urteilsverkündung durch Beschluss zu entscheiden, der mit Gründen zu versehen ist (vgl. Becker in: Löwe-Rosenberg, StPO, 27. Aufl., § 228 Rn. 18; KK-StPO/Gmel/Peterson 9. Aufl. § 228 Rn. 5, 6; Meyer-Goßner/Schmitt/Schmitt StPO 67. Aufl. § 228 Rn. 6). Daran fehlt es hier.

Das Übergehen des Aussetzungsantrags stellt auch einen besonderen Umstand dar, der eine Gehörsverletzung indiziert. Denn der Antrag war nicht aus Rechtsgründen unbeachtlich. Es ist bereits obergerichtlich entschieden, dass bei Messungen mit dem Messgerät des Typs Poliscan FM 1, Softwareversion 4.4.9, die Token-Datei und das Passwort dem Betroffenen zur Verfügung gestellt werden müssen, damit dieser die überlassene Falldatei entschlüsseln und (aus-)lesen und so die Integrität der Messdaten prüfen kann, und dass diesem Anspruch auch nicht entgegengehalten werden kann, die Verwaltungsbehörde verfüge lediglich über einen sog. Sammel-Token (OLG Saarbrücken, Beschluss vom 14. März 2024 – 1 Ss (OWi) 7/24 –, juris; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 22. August 2023 – 1 ORbs 34 Ss 468/23 –, juris). Bedenken gegen die Herausgabe des Sammel-Tokens greifen jedenfalls insoweit nicht durch, als dass der Verteidigung auch ein Einzel-Token zur Verfügung gestellt werden kann. Soweit dieser der Verwaltungsbehörde nicht unmittelbar vorliegt, sondern von ihr ggf. bei der Eichdirektion angefordert werden muss, steht dies dem rechtlichen Gebot der Bereitstellung nicht entgegen (OLG Saarbrücken aaO). Denn die Verwaltungsbehörde verfügt mit der ihr vorliegenden (Sammel-)Token-Datei einschließlich des zugehörigen Passworts über die Instrumente und Daten, die eine Entschlüsselung des Datensatzes erlauben, der der verfahrensgegenständlichen Geschwindigkeitsmessung zugrunde liegt. Will oder darf die Verwaltungsbehörde diesen digitalen Schlüssel aus datenschutzrechtlichen Gründen oder vertraglichen Verpflichtungen gegenüber dem Hersteller nicht herausgeben, darf dies von Rechts wegen nicht das Recht der Verteidigung auf Einsicht in den digitalen Falldatensatz beeinträchtigen, sofern die technische Möglichkeit besteht, der Verteidigung auch ohne Herausgabe des Sammel-Tokens, etwa durch Übermittlung eines, ggf. zu beschaffenden, Einzel-Tokens die Entschlüsselung des Falldatensatzes der verfahrensgegenständlichen Messung zu ermöglichen. Es geht dann nicht darum, dem Betroffenen und seinem Verteidiger Beweismittel und Daten, die der Verwaltungsbehörde nicht vorliegen, erst zu beschaffen (vgl. dazu BVerfG, Beschlüsse vom 21. Juni 2023 – 2 BvR 1082/21 –, juris Rn. 58, vom 20. Juni 2023 – 2 BvR 1167/20 –, juris Rn. 51, vom 21. Juni 2023 – 2 BvR 1082/21 –, juris Rn. 58 und vom 21. Juni 2023 – 2 BvR 1090/21 –, juris Rn. 44; OLG Karlsruhe aaO), sondern ihnen dieselbe Möglichkeit zur Auslesung und Prüfung der Falldatei zu geben, die der Verwaltungsbehörde aufgrund der dort vorliegenden Token-Datei eröffnet ist (OLG Saarbrücken aaO).

2. Eine weitere Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör liegt in der Bescheidung des Beweisantrags hinsichtlich der Beschilderung und Beschaffenheit der Fahrbahn an der Messstelle. Das Amtsgericht hat den Antrag gemäß § 77 Abs. 2 Nr. 1 OWiG zurückgewiesen und von der Möglichkeit nach Abs. 3 Gebrauch gemacht, den in der Hauptverhandlung verkündeten Ablehnungsbeschluss mit einer Kurzbegründung zu versehen und eine nähere Begründung der Ablehnung in den Urteilsgründen vorzunehmen. In den Urteilsgründen finden sich auch Ausführungen zur Begründung der Ablehnung. Allerdings gehen diese nicht auf den entscheidenden Kern des Vorbringens im Beweisantrag ein. Danach sei nämlich die Geschwindigkeitsbeschränkung über die Lichtzeichen der Verkehrsbeeinflussungsanlage mit am Straßenrand aufgestellter Blechbeschilderung kombiniert gewesen, die das Gefahrzeichen 101 mit dem Zusatzzeichen „Straßenschäden“ gezeigt habe, und die Fahrbahn sei bereits 200 m vor dem Standort des Messgerätes wieder in einwandfreiem Zustand gewesen, wobei dies so offensichtlich gewesen sei, dass die streckenbezogene Geschwindigkeitsbeschränkung dort bereits geendet habe. Hierauf ist das Amtsgericht in den Urteilsgründen nicht eingegangen. Soweit darin der Beschilderungsplan erwähnt wird, ist dessen genauer Inhalt nicht mitgeteilt worden.

Die fehlende Auseinandersetzung mit dem wesentlichen Antragsvorbringen stellt auch einen besonderen Umstand dar, der eine Gehörsverletzung indiziert. Denn es war nicht aus Rechtsgründen unbeachtlich. Maßgeblich für das Ende einer streckenbezogenen Geschwindigkeitsbeschränkung ist die Erläuterung Lfd. Nr. 55 der Anlage 2 zu § 41 Abs. 1 StVO (vgl. Senatsbeschluss vom 8. November 2018 – 3 Ss (OWi) 190/18 –, Rn. 6, juris mwN). Danach gilt der Grundsatz, dass das Ende einer streckenbezogenen Geschwindigkeitsbeschränkung gekennzeichnet ist durch die Zeichen 278 bis 282. Eine Kennzeichnung erfolgt nicht, wenn auf einem Zusatzzeichen die Länge des Verbots angegeben ist. Schließlich ist das Ende des Streckenverbots auch dann nicht gekennzeichnet, wenn das Verbotszeichen zusammen mit einem Gefahrzeichen angebracht ist und sich aus der Örtlichkeit zweifelsfrei ergibt, von wo an die angezeigte Gefahr nicht mehr besteht. Der Verteidiger hat in dem Beweisantrag auch darauf hingewiesen, dass eine Kombination von Verbots- mit Gefahrzeichen auch dann vorliegen kann, wenn diese mittels verschiedenartiger Beschilderung, etwa über eine Verkehrsbeeinflussungslage mit zusätzlicher Blechbeschilderung erfolgt, solange sich die verschiedenen Verkehrszeichen – sei es auch teilweise ohne räumliche Verbindung – ohne weiteres auf dieselbe Gefahrenstelle beziehen (vgl. OLG Köln, Beschluss vom 5. Juli 2017 – III-1 RBs 144/17 –, Rn. 13, juris).“

StPO III: Berufung gegen Abwesenheitsurteil des AG, oder: Wann beginnt die Berufungseinlegungsfrist?

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Im dritten „Berufungs-Posting“ dann noch etwas zur „Berufungseinlegungsfrist“, und zwar in den Fällen, in denen der Verteidiger in der Abwesenheitsverhandlung – nach Einspruch gegen einen Strafbefehl – erklärt hat, mangels Absprache mit der Angeklagten nicht als ihr Vertreter aufzutreten. Frage: Fristbeginn nach   § 314 Abs. 2, 2. Hs. StPO oder nach § 314 Abs. 2, 1. Hs. StPO?

Das LG hatte eine Berufung als verspätet angesehen. Das OLG Celle sagt auf die Beschwerde im OLG Celle, Beschl. v. 11.02.2025 – 2 Ws 334/24: Das geht nach § 314 Abs. 2, 1. Hs. StPO:

„2. Das Landgericht ist zu Unrecht davon ausgegangen, dass die Berufung der Angeklagten verspätet eingelegt worden ist.

Zwar war der seinerzeitige Verteidiger der Angeklagte tatsächlich im Hauptverhandlungstermin anwesend. Es fehlte ihm jedoch, nachdem er erklärt hatte, mangels Absprache mit der Angeklagten nicht als ihr Vertreter aufzutreten, an der erforderlichen Verteidigungsbereitschaft, sodass sich die Rechtsmittelfrist nicht nach § 314 Abs. 2, 2. HS. StPO, sondern nach § 314 Abs. 2, 1. HS StPO bestimmt.

Gem. §§ 412, 329 Abs. 1 StPO ist für den Fall, dass ein Verteidiger mit nachgewiesener Vertretungsvollmacht zu einer umfassenden Vertretung nicht bereit ist, oder er geltend macht, hierzu aus tatsächlichen Gründen (z.B. wegen fehlender Informationen) nicht in der Lage zu sein, der Angeklagte als nicht vertreten bzw. der Verteidiger nicht als erschienener Vertreter des Angeklagten anzusehen (MüKo StPO/Quentin, 2. Aufl. 2024, StPO § 329 Rn. 27, beck-online; Meyer Goßner/Schmitt, StPO, 67. Aufl. 2024, § 329 Rn. 16/ § 412 Rn. 5; OLG Celle, B.  v. 06.10.2016 – 2 Ss 112/16 (nicht veröffentlicht); OLG Hamm, B.v. 10.1.2006 – 2 Ss 509/05, BeckRS 2006, 03029; KG U. v. 18.4.1985 – 1 Ss 329/84, JR 1985, 343).

Für die Beurteilung der Frage, ob die Verkündung des Urteils im Sinne von § 314 Abs. 2 StPO in Abwesenheit des Angeklagten bzw. in Anwesenheit eines Verteidigers mit nachgewiesener Vertretungsvollmacht stattgefunden hat, kann jedoch nichts anderes gelten.

Dafür spricht zunächst der Sinn und Zweck der Vorschrift. § 329 Abs. 1 i.V.m. Abs. 2 S. 1 StPO sollen sowohl das rechtliche Gehör des bzw. der Angeklagten sicherstellen als auch eine effektive Verteidigung gewährleisten (vgl. BeckOK StPO/Eschelbach, 54. Ed. 1.1.2025, StPO § 329 Rn. 1, 2; KK-StPO/Paul, 9. Aufl. 2023, StPO § 329 Rn. 1, 1a). Gleiches gilt auch für § 314 Abs. 2 StPO. Mit diesen Gesetzeszweck wäre es jedoch nicht in Einklang zu bringen, wenn in einem Fall, in dem der Verteidiger aus objektiv nachvollziehbaren Gründen erklärt, mangels Kontakt zu seiner Mandantschaft von der gewährten Vollmacht keinen Gebrauch machen zu können und daher nicht als deren Vertreter aufzutreten, von einer Urteilsverkündung in Anwesenheit eines Verteidigers mit nachgewiesener Vollmacht ausgegangen werden würde. Denn bei fehlender Verteidigungsbereitschaft ist auch im Hinblick auf die Einhaltung der Berufungseinlegungsfrist das rechtliche Gehör bzw. die effektive Verteidigung betroffen.

Allein der Umstand, dass der Verteidiger vorliegend nach dieser Erklärung ausweislich des Protokolls tatsächlich im Sitzungssaal verblieb, vermag daran nichts zu ändern. Gleiches gilt auch für den Umstand, dass vorliegend das Mandat des Verteidigers erst deutlich später gekündigt worden ist.

Daneben spricht dafür auch der nahezu identisch formulierte Wortlaut der beiden Normen. Während es nach § 329 Abs. 1 StPO darauf ankommt, ob ein Verteidiger mit nachgewiesener Vertretungsvollmacht erschienen ist, kommt es für die Bestimmung der Restmittelfrist nach § 314 Abs. 2, 2. HS StPO darauf an, ob ein Verteidiger mit nachgewiesener Vertretungsvollmacht anwesend war. Vor diesem Hintergrund wäre es widersprüchlich, in den Wortlaut von § 329 Abs. 1 StPO das Erfordernis der Verteidigungsbereitschaft hineinzulesen, in den von § 314 Abs. 2, 2. HS StPO hingegen nicht.

Für die oben genannte Auslegung spricht letztlich auch ein Vergleich mit der ähnlich gelagerten Konstellation, dass ein Angeklagter, der sich vor dem Ende der Urteilsverkündung aus dem Saal entfernt oder der entfernt wird, als bei der Verkündung nicht anwesend zu gelten hat und infolgedessen die Revisionseinlegungsfrist nach § 341 Abs. 2 StPO erst mit der Zustellung des Urteils zu laufen beginnt. Die Urteilsverkündung dient insbesondere dazu, den Verfahrensbeteiligten die Kenntnis zu vermitteln, wie das Gericht entschieden und aus welchen Gründen es so erkannt hat (vgl. BGH NStZ 2000, 498, beck-online). Dieser Informationsfunktion würde vorliegend nicht entsprochen, wenn man trotz des unklaren Vertretungsverhältnisses von einem Fall des § 314 Abs. 2, 2. HS StPO ausginge.

3. Angesichts des Umstandes, dass es somit vorliegend nicht auf die Verkündung des Urteils am 04.09.2024, sondern auf die Zustellung an den Verteidiger am 10.09.2024 ankam, war das am 16.09.2024 eingelegte Rechtsmittel nicht verspätet.“

Gutgläubiger Pkw-Erwerb vom Nichtberechtigten, oder: Verkauf/Übergabe eines Gebraucht-Pkw auf Parkplatz

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Und dann ist „Kessel-Buntes-Zeit“, denn es ist Samstag.

Da gibt es heute zunächst mal etwas aus dem Sachenrecht, und zwar den OLG Celle, Beschl. v. 28.2.2025  – 14 U 183/24 – zum gutgläubigen Erwerb vom Nichtberechtigten bei Verkauf und Übergabe eines gebrauchten Pkw auf einem Parkplatz.

Die Parteien streiten um die Herausgabe eines Fahrzeugs VW T 6 Multivan. Zum Sachverhalt teilt der Beschluss leider nur wenig mit, weil er hemäß § 522 Abs. 2 S. 4 ZPO hinsichtlich der tatsächlichen Feststellungen auf das angefochtene Urteil Bezug genommen.

Jedenfalls hat das LG der Klage stattgegeben. Aus seinen vom OLG refererierten Ausführungen ergibt sich ein wenig, worum es geht:

„Der Kläger habe gegen die Beklagte gemäß § 985 BGB einen Anspruch auf Herausgabe des von ihm am 05.04.2023 erworbenen Pkw-Mehrzweckfahrzeuges VW T 6 nebst den zugehörigen Fahrzeugpapieren sowie der Schlüssel. Der Kläger habe von dem nichtberechtigten Verkäufer S. D. gutgläubig gemäß § 932 BGB das Eigentum an dem von der Beklagten zuvor vermieteten Pkw erworben. Der gutgläubige Erwerb sei nicht nach § 935 Abs. 1 S. 1 BGB ausgeschlossen, denn die Sache sei nicht abhandengekommen. Der Kläger habe gutgläubig iSd § 932 Abs. 2 BGB und nicht grob fahrlässig gehandelt.

Eine Sorgfaltspflichtverletzung des Klägers liege nicht vor. Der Kläger habe das Fahrzeug unstreitig zu einem für ein solches Fahrzeug üblichen Preis erworben. Zwar könne die Entgegennahme des Fahrzeugs ohne Zweitschlüssel unter Umständen ein Indiz für das Vorliegen grober Fahrlässigkeit sein. Der Kläger habe vorliegend jedoch mit dem Einbehalt eines Teilbetrages des Kaufpreises reagiert und die Höhe des Einbehalts mit der eigenen Kenntnis von den Kosten für das Kodieren eines neuen Zweitschlüssels durch den Hersteller plausibel begründet. Der Kläger sei auch nicht gehalten gewesen, sich umgehend die Kontaktdaten des Bruders des Verkäufers nennen zu lassen, um die Möglichkeit der sofortigen Abholung des Schlüssels prüfen zu können. Zudem habe sich der Kläger die wesentlichen Unterlagen zum Fahrzeug, insbesondere die beiden Zulassungsbescheinigungen, aushändigen lassen. Er habe die Dokumente eingesehen und die Fahrgestellnummer abgeglichen. Anlass zu einer weiteren Nachforschung habe insoweit nicht bestanden. Der Treffpunkt für die Übergabe sei ebenfalls kein Anlass für erweiterte Nachforschungen des Klägers gewesen. Bei einem Fahrzeug als Kaufgegenstand liege es auf der Hand, dass Besichtigung und Probefahrt nicht in der Wohnung des Verkäufers erfolgen könnten. Insoweit erscheine es auch naheliegend, „die Formalitäten“ direkt an dem Ort mit zu erledigen, an dem das Fahrzeug präsentiert werde. Es sei auch nichts dafür ersichtlich, dass der Parkplatz aufgrund von Besonderheiten, etwa seiner Lage (besonders einsam bzw. abgelegen, schlecht einsehbar etc.) den Kläger zu weiteren Nachforschungen hätte veranlassen müssen. Zudem habe der Verkäufer nach dem unbestrittenen Vortrag des Klägers einen sachlichen Grund für die Durchführung der Verhandlung auf dem Parkplatz genannt, indem er mitgeteilt habe, die Wohnung stehe wegen der aus Anlass des Ramadans zahlreich erschienen Familie nicht zur Verfügung.

Gegen das LGUrteil wendet sich die Beklagte mit ihrer Berufung, mit der sie die Klageabweisung weiterverfolgt und meint:

„Das Landgericht hat die materiell-rechtlichen Voraussetzungen eines Anspruchs auf Herausgabe eines vermeintlich gutgläubig erworbenen Fahrzeugs zu Unrecht angenommen.

Es komme darauf an, ob die Sache der Beklagten abhandengekommen sei, was abweichend von der Rechtsauffassung des Landgerichts zu bejahen sei. Der Mieter des Wagens sei vorliegend als Besitzdiener zu betrachten, denn dieser befinde sich hinsichtlich der vertraglichen Vereinbarungen in einem Weisungsverhältnis zum Vermieter. Die Erkennbarkeit des Weisungsverhältnisses könne und müsse sich vorliegend nicht äußerlich erkennbar ergeben. Zwar sei der Gegenstand auch hier dem räumlichen Einflussbereich der Beklagten entzogen, eine Kontrollmöglichkeit im Bedarfsfall hinsichtlich des Verbleibs des Wagens verbleibe ihr aber über die Ortung des Fahrzeugs per GPS. Ein irgendwie gearteter Besitzdienerwille zur Begründung des Besitzdienerverhältnisses sei nicht erforderlich. Ein Bruch der Mietbedingungen – wie hier die Unterschlagung und der anschließende Verkauf des Wagens – führten dazu, dass die Benutzung des Gegenstandes gegen den Willen des Berechtigten ausgeübt werde, die Sache komme mithin abhanden. Jedenfalls sei die Beklagte in der konkreten Situation mittelbare Besitzerin gewesen, denn sie habe zwar den Wagen im Rahmen des Mietvertrages willentlich herausgegeben, dies jedoch verbunden mit der Bedingung, dass der Wagen gemäß den Mietbedingungen entsprechend genutzt werde. Durch den Bruch der Mietbedingungen sei ein Abhandenkommen der Sache zu bejahen.

Hinsichtlich einer Bösgläubigkeit des Klägers habe das Landgericht nicht berücksichtigt, dass eine Häufung sogenannter Verdachtsmomente ausreiche, um die Pflicht auszulösen, sich der Eigentümerstellung des Verkäufers zu vergewissern. Der Kläger habe sich von dem Verkäufer sagen lassen, es sei in Ordnung die alten Kennzeichen „einfach zu entsorgen“. Ein Schlüssel habe aufgrund eines vorgeblichen Urlaubs des Bruders gefehlt. Dem Kläger hätte zudem spätestens bei Besichtigung des Fahrzeuges auffallen müssen, dass abweichend von der Anzeige kleinere Schäden vorhanden gewesen seien und die im Foto erkennbare Chromzierleiste gänzlich gefehlt habe. Auch die gefälschten Zulassungsbescheinigungen, Teil I und II, hätten einen verständigen Menschen, auch einen Laien, zu der Frage veranlassen müssen, ob das in Angriff genommene Geschäft wirklich das sei, was es zu sein vorgebe. Zwar seien die Fälschungen von höherer Qualität, dennoch hätte man erkennen können, dass verschiedene Schriftarten zum Ausfüllen der Zulassungsbescheinigung Teil II verwendet worden und dass Siegelung und Aussteller der Zulassungsbehörde unterschiedlich seien.

Das OLG hat die Berufung zurückgewiesen. Hier die Leitsätze zu der recht umfangreich begründeten Entscheidung:

1. Nach § 932 Abs. 2 BGB ist der Erwerber nicht in gutem Glauben, wenn ihm bekannt oder infolge grober Fahrlässigkeit unbekannt ist, dass die Sache nicht dem Veräußerer gehört. Der Vorwurf der grob fahrlässigen Unkenntnis vom fehlenden Eigentum des Veräußerers setzt dabei zunächst das Bestehen einer Pflicht des Erwerbers voraus, sich Kenntnis zu verschaffen.

2. Im Fall des Erwerbs eines gebrauchten Fahrzeugs begründet der Besitz des Fahrzeugs allein noch nicht den für den Gutglaubenserwerb nach § 932 BGB erforderlichen Rechtsschein. Zu den Mindesterfordernissen für einen gutgläubigen Erwerb eines gebrauchten Kraftfahrzeugs gehört in der Regel, dass sich der Erwerber den Kraftfahrzeugbrief bzw. die Zulassungsbescheinigung Teil II vorlegen lässt, um die Berechtigung des Veräußerers zu prüfen. Auch wenn der Veräußerer im Besitz des Fahrzeugs und des Briefs ist, kann der Erwerber bösgläubig sein, wenn besondere Umstände seinen Verdacht erregen mussten und er diese unbeachtet lässt. Eine allgemeine Nachforschungspflicht des Erwerbers besteht nicht.

3. Durch die Vermietung des Fahrzeugs wird der unmittelbare Besitz freiwillig aufgegeben. Der Mieter des Fahrzeugs erwirbt den unmittelbaren Besitz gem. § 854 Abs. 1 BGB an diesem und ist nicht Besitzdiener nach § 855 BGB.

4. Die Übergabe eines Schlüssels bewirkt allerdings nur dann einen Besitzübergang, wenn der Übergeber die tatsächliche Gewalt an der Sache willentlich und erkennbar aufgegeben und der Empfänger des Schlüssels sie in gleicher Weise erlangt hat. Hieran fehlt es etwa, wenn der Schlüssel zwecks bloßer Besichtigung des Fahrzeugs übergeben wird.

 

StPO III: Wer ist für das Rechtsmittel zuständig, oder: Drittbetroffene mit eigenem Ermittlungsverfahren

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In diesem dritten Posting komme ich dann noch einmal auf Durchsuchungsmaßnahmen zurück. Es geht im OLG Celle, Beschl. v. 14.04.2025 – 2 Ws 93/25 – um das „richtige“ Rechtsmittel von sog. Drittbetroffenen.

Die Staatsanwaltschaft führte unter dem Az.: 453 Js 24649/15 ein Ermittlungsverfahren gegen die Beschuldigten K., G. und S. Mit Beschluss vom 29.07.2024 (Az.: 9a Gs 2526/24) ordnete der Ermittlungsrichter des AG die Durchsuchung der Wohnung des Drittbetroffenen gem. §§ 103, 105 StPO zur Ergreifung des Beschuldigten B. G. sowie die Beschlagnahme elektronischer Kommunikationsmittel des Drittbetroffenen sowie zielfahndungsrelevanter Gegenstände und Unterlagen an, welche Hinweise auf den Aufenthaltsort von B. G. enthalten.

Die Durchsuchungs- und Beschlagnahmeanordnung wurde am 05.082024 vollstreckt, wobei im Rahmen der Durchführung der Maßnahme durch die Ermittlungsbehörden zahlreiche Lichtbilder angefertigt wurden. Der Drittbetroffene wandte sich gegen den Durchsuchungs- und Beschlagnahmebeschluss vom 29.07.2024 und beantragte zugleich gem. § 98 Abs. 2 S. 2 StPO analog festzustellen, dass die Anfertigung der Lichtbilder im Rahmen der Durchführung der Maßnahme rechtswidrig war. Zugleich begehrte er die Löschung der angefertigten Lichtbilder einschließlich sämtlicher Auszüge und Abdrücke.

Das AG hat der Beschwerde des Drittbetroffenen nicht abgeholfen und das LG daraufhin die Beschwerde des Drittbetroffenen vom 18.08.2024. Zugleich wies das LG in den Gründen der Entscheidung darauf hin, dass die Kammer zur Entscheidung über die Anträge auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der angefertigten Lichtbilder und Löschung derselben nicht berufen sei, weil insoweit zunächst das nach § 162 Abs. 1 StPO zuständige AG zu entscheiden habe. Mit der am 05.11.2024 erfolgten Anklageerhebung gegen die am 26.02.2024 festgenommene Angeklagte K. trennte die Staatsanwaltschaft das Verfahren gegen die weiter flüchtigen Beschuldigten G. und S. ab. Dieses wird nunmehr unter dem Az.: 1128 Js 56288/24 geführt..

Nachdem der Verfahrensbevollmächtigte des Drittbetroffenen die Anträge nach § 98 Abs. 2 S. 2 StPO analog ergänzend begründete, verwarf die Strafkammer, die für die Durchführung der Hauptverhandlung gegen die Angeklagte K. zuständig ist, die Anträge als unbegründet.

Gegen diesen Beschluss wendet sich der Drittbetroffene mit seiner Beschwerde, die Erfolg hatte:

„Die gem. § 304 StPO statthafte und im Übrigen zulässige Beschwerde ist begründet, weil die 1. große Strafkammer des Landgerichts Verden für die Entscheidung über die Anträge gemäß § 98 Abs. 2 S. 2 StPO analog nicht zuständig ist, so dass der angefochtene Beschluss deswegen aufzuheben war. Zuständig für die Entscheidung ist vielmehr der Ermittlungsrichter des Amtsgerichts Verden.

Für den Fall, dass die richterliche Durchsuchungsanordnung – wie hier – keine ausdrückliche Regelung über die Modalitäten der Durchsuchung enthält, ist die Überprüfung der Art und Weise des Vollzugs der Durchsuchung durch die richterliche Entscheidung entsprechend § 98 Abs. 2 Satz 2 StPO zu beantragen (BGH, Beschluss vom 13. Oktober 1999 – StB 7/99 –, juris; Hanseatisches Oberlandesgericht Hamburg, Beschluss vom 20. Januar 1999 – 1 VAs 3/98 –, juris). Zuständig für diese richterliche Entscheidung ist bis zur Anklageerhebung gem. §§ 98 Abs. 2 S. 3 i.V.m. § 162 Abs. 1 S. 1 StPO der Ermittlungsrichter bei dem Amtsgericht, in dessen Bezirk die Staatsanwaltschaft ihren Sitz hat, hier mithin der Ermittlungsrichter des Amtsgerichts Verden.

Dessen Zuständigkeit ist vorliegend entgegen der Auffassung der 1. großen Strafkammer des Landgerichts Verden mit der am 5. November 2024 erfolgten Anklageerhebung gegen die Angeklagte K. nicht entfallen.

Denn für Ermittlungseingriffe gegenüber Personen, gegen die wegen der Beteiligung an einer bereits angeklagten Tat noch ein gesondertes Ermittlungsverfahren geführt wird, gilt nicht § 162 Abs. 3 S. 1, sondern § 162 Abs. 1 StPO (vgl. MüKoStPO/Kölbel/Ibold, 2. Aufl. 2024, StPO § 162 Rn. 16; Ziegler in: Satzger/Schluckebier/Widmaier, StPO, 3. Auflage, 2018, § 162, Rn. 19).

So liegt der Fall hier, nachdem die Staatsanwaltschaft Verden das Verfahren gegen die Beschuldigten G. und S. abgetrennt hat und dieses unter dem Az.: 1128 Js 56288/24 gesondert führt. Vor diesem Hintergrund kommt dem Umstand, dass das Verfahren im Zeitpunkt der Durchführung der Durchsuchungsanordnung noch gegen alle drei Beschuldigte gemeinsam geführt wurde, keine Relevanz zu. Denn der in § 162 Abs. 3 S. 1 StPO geregelte Zuständigkeitswechsel vom Ermittlungsrichter zum Hauptsachegericht soll divergierende Entscheidungen verhindern, die einer Parallelzuständigkeit des Ermittlungsrichters innewohnen würden (MüKoStPO/Kölbel/Ibold, a.a.O., § 162, Rn. 19). Eine solche Gefahr divergierender Entscheidungen ist hier wegen der erfolgten Abtrennung des Verfahrens nicht gegeben. Die vom Landgericht angenommene „unnatürliche Aufspaltung des Lebenssachverhaltes“ ist zudem nicht gegeben, denn die angeordnete Durchsuchung diente allein der Ergreifung des weiterhin flüchtigen Beschuldigten G., so dass auch der vom Landgericht angenommene Sachbezug der Durchsuchungsmaßnahme zum Verfahren gegen die Angeklagte K. nicht gegeben ist. „

KCanG I: Besitz von Cannabis als Geldwäsche ?, oder: Nicht geringe Menge, Gesamtmenge und verbotener Besitz

Heute stelle ich ein paar Entscheidungen zum KCanG vor. In dem Bereich merkt man m.E. deutlich einen Rückgang der Entscheidungsflut. Auch beim BGH fällt m.E. nicht mehr so viel an.

Zunächst bringe ich hier das OLG Celle, Urt. v. 11.04.2025 – 2 ORs 18/25 – mit folgendem Sachverhalt:.

Das AG – hat den Angeklagten mit Urteil vom 23.01.2024 wegen gewerbsmäßigen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln verurteilt. Auf die Berufung des Angeklagten hin hat das LG das amtsgerichtliche Urteil dahingehend abgeändert, dass es den Angeklagten hinsichtlich eines den 10.04.2023 betreffenden Tatvorwurfs wegen Handeltreibens mit Cannabis schuldig gesprochen hat.  Im Übrigen hat es den Angeklagten hinsichtlich eines den 20.04.2023 betreffenden Tatvorwurf freigesprochen.

Dazu folgende Feststellungen:

„1. Nach den Feststellungen des Amtsgerichts befand sich der Angeklagte am 10.04.2023 im Bereich der für Drogen- und Cannabishandel bekannten Straße „A. M.“ in H. und hielt dabei in seiner Hosentasche insgesamt 24,5 Gramm Cannabis in 25 einzeln verpackten Verkaufseinheiten zum gewinnbringenden Weiterverkauf vor, welches er zuvor für 70 Euro erworben hatte. Er beabsichtigte diese für 25 Euro pro Einheit an Abnehmer zu veräußern, um sich eine fortlaufende Einnahmequelle von einigem Umfang und einiger Dauer zur Mitfinanzierung seines Lebensunterhaltes zu verschaffen.

Zur Beweiswürdigung stellt das Urteil zunächst auf das Teilgeständnis des Angeklagten ab, wonach er das Cannabis zu dem Zweck besessen habe, es mit seinen Freunden zu rauchen. Das Landgericht hat seine weitergehenden, das Handeltreiben tragenden Feststellungen auf die Angaben der Zeugen PK S. und PK’in L. sowie die Ergebnisse der bei dem Angeklagten durchgeführten Wohnungsdurchsuchung gestützt, bei der insbesondere eine Feinwaage aufgewunden wurde.

Das Landgericht hat das Verhalten des Angeklagten als Handeltreiben mit Cannabis nach § 34 Abs. 1 Nr. 4, Abs. 2 Nr. 1 KCanG gewürdigt. Es hat eine Gewerbsmäßigkeit seines Handelns angenommen und den Strafrahmen des § 34 Abs. 3 KCanG zugrunde gelegt und eine Freiheitsstrafe von 3 Monaten verhängt. Es hat dabei eine kurze Freiheitsstrafe sowohl aus spezial- als auch aus generalpräventiven Gründen als unerlässlich erachtet. Gleichwohl hat es in der Annahme, dass sich der Angeklagte bereits die Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe zur Warnung dienen lassen wird, die Vollstreckung der Freiheitsstrafe zur Bewährung ausgesetzt. Die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt hat es mangels Hang abgelehnt, weil der Angeklagte glaubhaft versichert habe, mittlerweile keine Betäubungsmittel mehr zu konsumieren.

2. Von dem weiteren Anklagevorwurf aus der Anklageschrift vom 26.05.2023, wonach dieser am 20.04.2023 im Bereich der L. in H. insgesamt 6 Gramm Cannabis in acht einzeln verpackten Verkaufseinheiten zum gewinnbringenden Weiterverkauf vorgehalten haben soll, hat es den Angeklagten freigesprochen. Zwar hat das Landgericht insoweit festgestellt, dass der Angeklagte am 20.04.2023 um 21:00 Uhr im Bereich der L. in H. insgesamt 6 Gramm Cannabis (netto) in acht einzeln Verpackten Verkaufseinheiten in einem größeren Plastikbeutel mit sich führte, die er zuvor für 50 Euro erworben hatte. Von einem Handeltreiben hat sich die Kammer jedoch nicht zu überzeugen vermocht. Dabei hat es einerseits den vom Angeklagten angeführten Eigenkonsum/Eigenbedarf wie auch die „relativ geringe Menge“ und den Umstand, dass der Angeklagten nicht an einem „klassischen“ Handelsplatz angetroffen worden ist, in den Blick genommen. Ferner hat es gewürdigt, dass keine Verkaufshandlungen beobachtet worden sind und der Angeklagte keine größere Bargeldmenge mitgeführt hat. Andererseits hat es die einschlägigen Vorstrafen wegen Handeltreibens bedacht.“

Gegen dieses Urteil wendet sich die auf die allgemeine Sachrüge gestützte Revision der Staatsanwaltschaft, mit der der freisprechende Teil des Urteils beanstandet wird. Die Staatsanwaltschaft macht unter Beschränkung auf den den 20.04.2023 betreffenden Tatvorwurf eine Verletzung des § 264 StPO geltend, weil das Landgericht das Verhalten nicht unter allen tatsächlichen und rechtlichen Gesichtspunkten erschöpfend behandelt habe.

Das hat das OLG anders gesehen. Die Revision hatte keinen Erfolg. Das OLG geht davon aus, dass das LG bei seiner Entscheidung nicht gegen die aus § 264 Abs. 2 StPO resultierende Kognitionspflicht verstoßen habe. Wegen der Einzelheiten der Begründung verweise ich auf den verlinkten Volltext und beschränke micht hier auf die Leitsätze des OLG:

1. Der Anwendungsbereich des § 261 StGB ist mittels teleologische Reduktion dahingehend einzuschränken, dass der Erwerb und Besitz von Cannabis unterhalb der Schwellenwerte von § 34 Abs. 1 Nrn. 1, 12 KCanG nicht zu einer Geldwäschestrafbarkeit führt (Anschluss an OLG Hamburg, Urt. v. 12.12.2024 – 5 ORbs 21/24).

2. § 34 Abs. 1 Nr. 12 KCanG entfaltet in diesem Fall gegenüber § 261 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 StGB privilegierende Spezialität.

Und dann habe ich noch eine weitere Entscheidung, und zwar OLG Zweibrücken, Beschl. v. 17.04.2025 – 1 ORs 3 SRs 55/24 -, der sich noch einmal zur Ermittlung der „nicht geringen Menge“ äußert – Stcihwort: Gesamtmenge. Das OLG schließt sich dem BGH an (vgl. BGH Beschl. v. 12.06.2024 – 1 StR 105/24; BGH Beschl. v. 24.04.2024 – 4 StR 50/24; BGH Beschl. v. 30.04.2024 – 6 StR 536/23), und zwar mit folgendem Leitsatz:

Für § 34 Abs. 1 Nr. 1 KCanG ist die im Besitz befindliche Gesamtmenge an Cannabis als verbotener Besitz zu Grunde zu legen; zur Bestimmung einer nicht geringen Menge im Sinne des § 34 Abs. 3 Satz 2 Nr. 4 KCanG hat aber derjenige Teil der Gesamtmenge an Cannabis, mit dem der jeweilige Umgang straffrei wäre, außer Betracht zu bleiben.