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Wenn der Angeklagte mehrere Verteidiger hat…., oder: Erstattung von Wahlanwaltsgebühren nach Freispruch?

Am „Gebührenfreitag“ gibt es heute zwei kostenrechtliche Entscheidungen, eine kommt vom OLG Celle, die andere vom LG Berlin.

Ich starte mit dem OLG Celle, Beschl. v. 19.12.2025 – 2 Ws 344/24 + 2 Ws 345/24. Dem Beschluss liegt folgender Verfahrensgang zugrunde:

Der ehemals Angeklagte H. war wegen des Vorwurfs des besonders schweren Raubes angeklagt. Daneben wurde gegen ihn die Einziehung des Wertes des Erlangten in Höhe von 36.500 EUR beantragt. Das LG hat ihn aus tatsächlichen Gründen freigesprochen. Die Kosten des Verfahrens sowie die notwendigen Auslagen des früheren Angeklagten H. wurden der Landeskasse auferlegt.

In dem Verfahren hatte sich zunächst mit Schriftsatz vom 11.11.2019 Rechtsanwalt W. als Wahlverteidiger für den Freigesprochenen legitimiert. Mit Beschluss des AG v. 23.4.2020 ist Rechtsanwalt L. dem Freigesprochenen als Pflichtverteidiger beigeordnet worden. Grund dafür war, dass Rechtsanwalt W. im Frühjahr 2020 wegen einer schweren Erkrankung, die kurz nach Erlass eines Haftbefehls am 18.2.2020 gegen den Freigesprochenen auftrat, als daher die Haftbefehlsverkündung unmittelbar bevorstand, mehrere Monate ausgefallen war und zunächst unklar war, ob er überhaupt seine Tätigkeit wiederaufnehmen konnte. So ist der Freigesprochene auch in der Folgezeit nicht mehr von Rechtsanwalt W. verteidigt worden. Mit Entscheidung des Vorsitzenden des LG vom 8.4.2022 ist dann noch Rechtsanwalt R. dem Freigesprochenen zur Verfahrenssicherung als zusätzlicher Pflichtverteidiger beigeordnet worden.

Rechtsanwalt L. hat beantragt, die entstandenen notwendigen Auslagen hinsichtlich der Wahlverteidigergebühren festzusetzen. Geltend gemacht worden sind – für Rechtsanwalt W – eine Grundgebühr Nr. 4100 VV RVG, die Verfahrensgebühr Nr. 4104 VV RVG, die zusätzliche Verfahrensgebühr Nr. 4142 VV RVG nach einem Gegenstandswert von 36.500 EUR und eine Auslagenpauschale Nr. 7002 VV RVG sowie – für Rechtsanwalt L., die Grundgebühr Nr. 4101 VV RVG, die Verfahrensgebühr Nr. 4105 VV RVG, die Terminsgebühr Nr. 4103 VV RVG, die Verfahrensgebühr Nr. 4112 VV RVG, zweimal die Terminsgebühr Nr. 4114 VV RVG, zweimal die Auslagenpauschale Nr. 7002 VV RVG sowie Dolmetscherkosten und sonstige Auslagen und USt. sowie eigene notwendige Auslagen des Angeklagten.

Von den geltend gemachten Gebühren hat das LG gemäß § 52 Abs. 1 S. 2 RVG die bereits an Rechtsanwalt R. ausgezahlte Pflichtverteidigervergütung betreffend eine Gebühr gem. Nr. 4142 VV RVG angerechnet sowie die weiteren über einen Betrag von 482 EUR hinausgehenden Beträge betreffend die Gebühr gem. Nr. 4142 VV RVG abgesetzt. Zudem hat es Dolmetscherkosten gekürzt. Zur Begründung hat das LG ausgeführt, dass eine Erstattung der Aufwendungen des früheren Angeklagten für die Gebühren seiner Verteidiger Rechtsanwalt W., Rechtsanwalt L. und Rechtsanwalt R. als notwendige Auslagen nach § 467 Abs. 1 StPO i.V.m. § 464a Abs. 2 Nr. 2 StPO betreffend die Verfahrensgebühr gem. Nr. 4142 VV RVG nur insoweit in Betracht komme, als sie die Kosten eines Rechtsanwalts nicht übersteigen würden. Es komme daher wegen der bereits erfolgten Erstattung der Pflichtverteidigergebühren hinsichtlich des Rechtsanwalts R. nur die Erstattung der Differenz zwischen der Wahl- und Pflichtverteidigergebühren, die bisher noch nicht erstattet wurde, in Betracht. Die weitere Erstattung der Verfahrensgebühr scheide aus.

Der weitere Verteidiger des Freigesprochenen, Rechtsanwalt R., hat beantragt, die entstandenen notwendigen Auslagen hinsichtlich der Wahlverteidigergebühren wie folgt festzusetzen: Grundgebühr Nr. 4100 VV RVG, Verfahrensgebühr Nr. 4112 VV RVG, 10 mal Terminsgebühr Nr. 4114 VV RVG, zusätzliche Verfahrensgebühr Nr. 4142 VV RVG nach einem Gegenstandswert von 36.500,00 EUR, abzüglich der bereits ausgezahlten Pflichtverteidigergebühren.

Von den geltend gemachten Gebühren hat das LG die Gebühr gem. Nr. 4142 VV RVG abgesetzt und von den verbleibenden Wahlverteidigergebühren von insgesamt 3.943,50 EUR zzgl. 19 % Umsatzsteuer in Höhe von 749,26 EUR und die bereits ausgezahlten Pflichtverteidigergebühren abgezogen. Die abgezogenen Pflichtverteidigergebühren enthielten die auch bereits bei Rechtsanwalt L. angerechneten 531 EUR betreffend die zusätzliche Verfahrensgebühr Nr. 4142 VV. Zur Begründung hat das LG auch hier ausgeführt, dass eine Erstattung der Aufwendungen des früheren Angeklagten für die Gebühren seiner Verteidiger Rechtsanwalt W., Rechtsanwalt L. und Rechtsanwalt R. als notwendige Auslagen nach § 467 Abs. 1 StPO i.V.m. § 464a Abs. 2 Nr. 2 StPO betreffend die Verfahrensgebühr gem. Nr. 4142 VV RVG nur insoweit in Betracht komme, als sie die Kosten eines Rechtsanwalts nicht übersteigen würden.

Sowohl Rechtsanwalt L. als auch Rechtsanwalt R. haben sofortige Beschwerde eingelegt. Die hatte bei Rechtsanwalt L. weitgehend und bei Rechtsanwalt R. in vollem Umfang Erfolg:

„2. Die sofortigen Beschwerden haben – hinsichtlich der sofortigen Beschwerde gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss des Landgerichts Verden vom 26.11.2024 (Beschluss 1 von 2) betreffend Rechtsanwalt L. ganz überwiegend und hinsichtlich der sofortigen Beschwerde gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss des Landgerichts Verden vom 26.11.2024 (Beschluss 2 von 2) betreffend Rechtsanwalt R. vollumfänglich – Erfolg.

Das Landgericht ist in den angefochtenen Entscheidungen jeweils zunächst zutreffend davon ausgegangen, dass die Aufwendungen eines freigesprochenen Angeklagten für die mehreren tätig gewordenen Verteidigern geschuldeten Verteidigergebühren als notwendige Auslagen nach § 464a Abs. 2 Nr. 2 StPO i.V.m. § 91 Abs. 2 Satz 2 ZPO grundsätzlich nur insoweit zu erstatten sind, als sie die Kosten eines Rechtsanwalts nicht übersteigen. In der obergerichtlichen Rechtsprechung ist jedoch anerkannt, dass dieser Grundsatz dann eine Ausnahme erfährt, wenn die Bestellung eines weiteren Pflichtverteidigers aus vom Angeklagten nicht zu vertretenen Gründen, wie etwa zur Sicherung des Fortganges des Verfahrens, erfolgt (vgl. bereits OLG Celle, Beschl. v. 04.09.2018 – 1 Ws 71/18; Senat, Beschl. v. 25.11.2024, 2 Ws 305/24; OLG Brandenburg, Beschl. v. 14.04.2022 – 2 Ws 19/22 –, juris, mwN). Dem liegt die Erwägung zu Grunde, dass der Freigesprochene durch den Umstand einer ihm nicht zurechenbaren Beiordnung eines weiteren Pflichtverteidigers nicht benachteiligt werden darf. Nichts anderes kann gelten, wenn der freigesprochene Angeklagte in dem Verfahren durch einen Wahlverteidiger verteidigt und ihm zur Verfahrenssicherung ein Pflichtverteidiger als weiterer Verteidiger beigeordnet worden war (Senat, Beschluss vom 25.11.2024, Az. 2 Ws 305/24).

Ausgehend von diesen Grundsätzen sind vorliegend dem früheren Angeklagten seine Aufwendungen für die seinem Wahlverteidiger Rechtsanwalt W. geschuldeten Verteidigergebühren als notwendige Auslagen dem Grunde nach als erstattungsfähig anzuerkennen.

Denn die spätere Beiordnung von Rechtsanwalt L. als weiteren Verteidiger ist nur erfolgt zur Sicherung des Fortgangs des geführten Strafverfahrens. Zwar lässt sich dies der Beiordnungsentscheidung nicht entnehmen. Allerdings hat Rechtsanwalt L. anwaltlich versichert, dass Rechtsanwalt W. im Frühjahr 2020 wegen einer schweren Erkrankung mehrere Monate ausgefallen war und zunächst unklar war, ob er überhaupt seine Tätigkeit wiederaufnehmen konnte. In der Folgezeit ist er auch nicht mehr für den Freigesprochenen tätig geworden. Aufgrund dessen – und mithin für den Freigesprochenen und Rechtsanwalt W. nicht vertretbar – musste Rechtsanwalt L. somit im Rahmen der Verkündung des zuvor erlassenen Haftbefehls gegen den Freigesprochenen am 23.04.2020 beigeordnet werden, was letztlich auch der Sicherung und Beschleunigung des Verfahren diente.

Auch die spätere Beiordnung von Rechtsanwalt R. als weiteren Verteidiger ist nur erfolgt zur Sicherung des Fortgangs des geführten Strafverfahrens, was sich bereits aus der Beiordnungsentscheidung vom 08.04.2022, aber auch aus der E-Mail-Korrespondenz zwischen dem Vorsitzenden der Strafkammer und Rechtsanwalt L. (Bl. 107 f. Bd. III d.A.) ergibt.

Aus dem Vorstehenden ergibt sich, dass die Mitwirkung von Rechtsanwalt W. sowie die Mitwirkung von Rechtsanwalt L. und Rechtsanwalt R. in dem vorausgegangenen Strafverfahren als weitere, beigeordnete Verteidiger aus sachlichen und von dem früheren Angeklagten nicht zu vertretenden Gründen geboten war. Daher sind seine sämtlichen Aufwendungen für die gegenüber beiden Verteidiger geschuldeten Verteidigergebühren, mithin auch die Wahlverteidigergebühren als notwendige Auslagen nach § 464a Abs. 2 Nr. 2 StPO und jeweils auch die geltend gemachte Gebühr gem. Nr. 4142 VV RVG zu erstatten.

a) Daher ist nach den vorstehenden Ausführungen und sofern hiervon nicht abweichend im Übrigen aufgrund der zutreffenden Erwägungen der angefochtenen Entscheidung hinsichtlich des Kostenantrags des Rechtsanwalts L. die Vergütung im Wesentlichen so erstattungsfähig, wie beantragt (und wie unter Ziff. I. a) dargestellt) mit Ausnahme der geltend gemachten Dolmetscherkosten von 275 Euro, weil diese nur in Höhe von 255 Euro nachgewiesen wurden. Deshalb ergeben sich nach Abzug der Vorschussrechnung (576 Euro) Auslagen in Höhe von insgesamt 3.790,75 Euro zzgl. 19 % Umsatzsteuer von 720,24 Euro (somit insgesamt 4.510,99 Euro) und eigene notwendige Auslagen des Freigesprochenen in Höhe von 280 Euro. Es ist daher ein Gesamtbetrag von 4.790,99 Euro nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 16.10.2022 festzusetzen.

Aufgrund des Abschlages in Höhe von 20 Euro hinsichtlich der geltend gemachten Dolmetscherkosten war die – unbeschränkt eingelegte – sofortige Beschwerde im Übrigen als unbegründet zu verwerfen.

b) Dem Kostenantrag des Rechtsanwalts R. ist nach den vorstehenden Ausführungen und insofern hiervon nicht abweichend aufgrund der zutreffenden Erwägungen der angefochtenen Entscheidung vollständig wie beantragt (und wie unter Ziff. I. b) dargestellt) zu entsprechen, sodass sich ein festzusetzender Gesamtbetrag von 1.297,70 Euro (1.090,50 Euro zzgl. 19 % Umsatzsteuer in Höhe von 207,20 Euro) nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 26.10.2022 ergibt. „

Bewährung III: Nachverurteilung als Widerrufsgrund, oder: Ist die weitere Beschwerde zulässig?

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Und in der dritten Entscheidung, dem OLG Celle, Beschl. v. 06.11.2024 – 2 Ws 303/24 – geht es auch um eine Rechtsmittelfrage, und zwar:

Der bereits mehrfach wegen Betruges vorbestrafte Beschwerdeführer wurde durch Urteil des AG wegen Betruges in 7 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 11 Monaten verurteilt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde. Die Bewährungszeit wurde auf drei Jahre festgesetzt. Mit Beschluss vom 18. Mai 2022 widerrief das Amtsgericht Lüneburg die dem Beschwerdeführer gewährte Strafaussetzung zur Bewährung, nachdem dieser keinerlei Zahlungen auf die ihm gemachte Bewährungsauflage erbracht hatte

Hiergegen legte der Verurteilte form- und fristgerecht sofortige Beschwerde ein. Mit Schreiben vom 07.07.2022 teilte die zur Entscheidung über die sofortige Beschwerde berufene Beschwerdekammer des LG Lüneburg dem Beschwerdeführer mit, sie beabsichtige, die Beschwerde zunächst für die Dauer von drei Monaten zurückzustellen und den Bewährungsverlauf abzuwarten. Zugleich wurde der Verurteilte aufgefordert, Nachweise über von ihm behauptete Zahlungen vorzulegen.

Eine Entscheidung über die sofortige Beschwerde des Verurteilten erging in der Folgezeit nicht; wiederholt behauptete der Beschwerdeführer, er habe im Hinblick auf die Geldauflage gem. § 56b Abs. 2 Nr. 2 StGB Teil-Zahlungen erbracht.

Mit Urteil des AG Duisburg-Hamborn vom 21.03.2024 wurde der Verurteilte dann zu einer Geldstrafe  verurteilt. Am 09.09.2024, mithin deutlich mehr als zwei Jahre nach Eingang der sofortigen Beschwerde, verwarf das LG Lüneburg nach vorheriger Gewährung rechtlichen Gehörs zu den neu eingetretenen Umständen die sofortige Beschwerde des Verurteilten gegen den Beschluss vom 18.05.2022. Zur Begründung führte die Kammer aus, der Beschwerdeführer sei spätestens ab November 2023 zahlungsfähig gewesen, habe gleichwohl gröblich und beharrlich gegen die Zahlungsauflage verstoßen und dabei versucht, das Landgericht über nur vermeintlich erbrachte Zahlungen zu täuschen. Zudem liege nunmehr angesichts der Nachverurteilung durch das AG Duisburg-Hamborn vom 21.03.2024 auch der Widerrufsgrund gem. § 56f Abs. 1 Nr. 1 StGB vor.

Hiergegen wendet sich der Verurteilte mit seiner als „sofortige Beschwerde“ bezeichneten Eingabe seines Verteidigers vom 26.09.2024.

Das OLG hat die Eingabe als weitere Beschwerde amgesehen und die als unzulässig verworfen. Hier dann auch (nur) der Leitsatz:

Ein auf die sofortige Beschwerde des Verurteilten gegen einen Bewährungswiderruf gem. § 56f StGB ergangener Beschluss des Beschwerdegerichts ist gem. § 310 StPO selbst dann unanfechtbar, wenn das Beschwerdegericht den Widerruf der Strafaussetzung zur Bewährung gem. § 56f Abs. 1 Nr. 1 StGB (zusätzlich) auf eine erst im Verlauf des Beschwerdeverfahrens ergangene Nachverurteilung stützt.“

Bewährung II: Bewährungsverlängerung statt Widerruf, oder: Welches Rechtsmittel ist richtig?

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Und dann hier die zweite Entscheidung mit dem OLG Celle, Beschl. v. 27.01.2025 – 2 Ws 14/25.

Die Staatsanwaltschaft hatte einen Widerrufsantrag gestellt. Den hat das LG abgelehnt und stattdessen die Bewährungszeit verlängert.

Frage: Was ist das richtige Rechtsmittel?

Das OLG sagt:

Sieht das Gericht auf den Widerrufsantrag der Staatsanwaltschaft hin von einem Widerruf ab und verlängert es stattdessen lediglich nach § 56f Abs. 2 S. 1 Nr. 2 StGB die Bewährungszeit ist die sofortige Beschwerde nach § 453 Abs. 2 S. 3 StPO das statthafte Rechtsmittel.

Klageerzwingung II: Wirksame Antragsunterzeichnung, oder: Unterzeichnung durch einen Beistand reicht nicht

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Und dann als zweite Entscheidung zu den § 172-er-Fragen habe ich dann hier noch einen Beschluss des OLG Celle. Der ist schon etwas älter, ist aber jetzt erst vor kurzem veröffentlicht worden. Es handelt sich um den OLG Celle, Beschl. v. 08.09.2023 – 2 Ws 247/23. Das OLG hat den Antrag als unzulässig verworfen, weil er nicht von einem Rechtsanwalt unterzeichnet war:

„Der nach § 172 Abs. 2 StPO statthafte Antrag auf gerichtliche Entscheidung genügt schon deshalb nicht den gesetzlichen Anforderungen, weil er entgegen § 172 Abs.3 S.2 StPO nicht von einem Rechtsanwalt unterschrieben ist.

Der Umstand, dass der Antrag von dem durch Beschluss des Amtsgerichts Hannover vom 9. Februar 2023 (Az.: 174 Gs 23/23) gem. § 138 Abs. 3 StPO genehmigten Beistand des Verletzten unterzeichnet ist, vermag daran nichts zu ändern. Denn § 172 Abs. 3 S. 2 StPO verlangt nach seinem eindeutigen Wortlaut die Unterzeichnung durch einen Rechtsanwalt; es ist in der Rechtsprechung geklärt, dass selbst die Unterzeichnung des Antrags durch einen Strafverteidiger und Rechtslehrer an einer deutschen Hochschule, der nicht gleichzeitig Rechtsanwalt ist, das vorgenannte Formerfordernis nicht erfüllt (OLG Zweibrücken, Beschluss vom 29. März 2022 – 1 Ws 36/22 –, juris; OLG Bamberg, Beschluss vom 8. Juni 2021 – 1 Ws 290/21 –, juris; Detlef Burhoff in: Burhoff, Handbuch für das strafrechtliche Ermittlungsverfahren, Rn. 2827).

Lediglich ergänzend bemerkt der Senat, dass der Antrag auf gerichtliche Entscheidung auch schon deshalb unzulässig ist, weil das Verfahren ausschließlich Straftaten zum Gegenstand hat, die von dem Verletzten im Wege der Privatklage verfolgt werden können. Der geltend gemachte hinreichende Tatverdacht für Straftaten der Nötigung im besonders schweren Fall gem. § 240 Abs. 4 StGB ist ersichtlich nicht gegeben.“

Frist/beA I: Beweiswirkung eines elektronischen EB, oder: Entkräftung der Beweiswirkung

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Und dann zum Abschluss der 11 KW/2025 zwei Entscheidungen zum beA bzw. zu Fristen und zur Fristwahrung.

Den Reigen eröffne ich mit dem OLG Celle, Beschl. v. 31.01.2025 – 20 U 8/24 – zur Entkräftung der Beweiswirkung eines elektronischen Empfangsbekenntnisses. Es handelt sich um die Zurückweisung einer Berufung, zu der das OLG schon vorab in einem Hinweisbeschluss Stellung genommen hatte. Zu dem Hinweisbeschluss war eine Stellungnahme des Klägers eingegangen, zu deren fristegmäßen Eingang das OLG sich dann auch geäußert hat. Das ganze – inklusive der Ausführungen des OLG zum Klagegegenstand – auf rund 26 Seiten. Daher gibt es es hier zur die Leitsätze des OLG zum elektronischen Empfangsbekenntnis und der Entkräftung der Beweiswirkung:

1. Das von einem Rechtsanwalt elektronisch abgegebene Empfangsbekenntnis erbringt gegenüber dem Gericht den vollen Beweis nicht nur für die Entgegennahme des Dokuments als zugestellt, sondern auch für den angegebenen Zeitpunkt der Entgegennahme und damit der Zustellung (Anschluss an: BGH, Beschl. v. 17.01.2024 – VII ZB 22/23, NJW 2024, 1120 Rn. 10; v. 07.10.2021 – IX ZB 41/20, NJW-RR 2021, 1584 Rn. 10 und v. 18.04,2023 – VI ZB 36/22, NJW 2023, 2433 Rn. 11).

2. Für den Gegenbeweis, dass das zuzustellende Schriftstück den Adressaten tatsächlich zu einem anderen Zeitpunkt erreicht hat, muss die Beweiswirkung vollständig entkräftet sein, also jede Möglichkeit der Richtigkeit der Empfangsbestätigung ausgeschlossen werden (Anschluss an: BGH, Beschl. v. 18.04.2023 – VI ZB 36/22, NJW 2023, 2433 Rn. 11 und v. 07.10.2021 – IX ZB 41/20, NJW-RR 2021, 1584 Rn. 10; Urt. v. 07.06.1990 – III ZR 216/89, NJW 1990, 1026).

3. Ein ungewöhnlich langer Zeitraum zwischen dem dokumentierten Zeitpunkt der elektronischen Übersendung des Dokuments und dem im Empfangsbekenntnis angegebenen Zustelldatum (hier: sechs Wochen) erbringt den Beweis der Unrichtigkeit der Datumsangabe für sich genommen noch nicht (Anschluss an: BGH, Beschlüsse vom 07.10.2021 – IX ZB 41/20, NJW-RR 2021, 1584 Rn. 11 und vom 19.04,2012 – IX ZB 303/11, NJW 2012, 2117 Rn. 8). Es dürfen jedoch auch keine überspannten Anforderungen gestellt werden (Anschluss an: BGH, Beschlüsse vom 14.10.2008 – VI ZB 23/08, NJW 2009, 855, 856 und vom 08.05.2007 – VI ZB 80/06, NJW 2007, 3069).

4. In einem solchen Fall kann die Partei deshalb nach den Grundsätzen der sekundären Darlegungslast verpflichtet sein, sich substantiiert zu den Umständen zu erklären, die die Richtigkeit des Empfangsbekenntnisses zweifelhaft erscheinen lassen, und zu dem tatsächlichen Zeitpunkt der subjektiv empfangsbereiten Kenntnisnahme vorzutragen. Außerdem kann das Gericht nach §§ 142, 144 ZPO die Vorlage des beA-Nachrichtenjournals des Rechtsanwalts der Partei anordnen.

5. Hieraus und aus den Erklärungen der Partei können sich jedenfalls Anhaltspunkte für den Zeitpunkt der empfangsbereiten Entgegennahme des zuzustellenden Schriftstücks durch den Rechtsanwalt und damit ein von dem Empfangsbekenntnis abweichendes Zustelldatum ergeben. Erklärt sich die Partei nicht und legt auch das beA-Nachrichtenjournal ihres Rechtsanwalts nicht vor, kann – in entsprechender Anwendung von § 427 ZPO – der Beweis der Unrichtigkeit des in dem Empfangsbekenntnis angegebenen Zustelldatums geführt sein.