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Pflichti II: Entpflichtung des Pflichtverteidigers, oder: Wenn du dich nicht meldest, werfen wir dich raus!

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Als zweite Entscheidung dann ein Beschluss des OLG Celle, mit dem ich erhebliche Probleme habe.

Das OLG hat im OLG Celle, Beschl. v. 02.05.2023 – 5 St 2/22 – in einem Staatsschutzverfahren die Bestellung eines Pflichtverteidigers aufgehoben mit der Begründung – kurz gefasst – kein ordnungsgemäßer Verfahrensablauf – Pflicgtverteidiger meldet sich nicht, auch nicht auf Mahnungen – gewährleistet:

„Die Anklageschrift ist dem Verteidiger aufgrund einer Verfügung des Vorsitzenden vom 6. April 2022 zugestellt worden, das entsprechende Empfangsbekenntnis ging beim Oberlandesgericht am 14. April 2022 ein. Nachdem die Anklageschrift durch den Senat zu Hauptverhandlung zugelassen und das Hauptverfahren eröffnet worden war, hat der Vorsitzende am 4. Januar 2023 mit der zur Terminabstimmung berechtigten Kanzleimitarbeiterin versucht, Termine zur Durchführung der Hauptverhandlung ab dem 12. April 2023 abzustimmen und dabei zahlreiche weitere Termine zwischen dem 24. April und dem 7. Juli 2023 angefragt. An all diesen Terminen war Rechtsanwalt T. nach Auskunft seiner Kanzleimitarbeiterin verhindert, freie Termine zur Durchführung der Hauptverhandlung und unter Einhaltung der Unterbrechungsfristen des § 229 Abs. 1 StPO wurden erst ab dem 9. Oktober 2023 angeboten und entsprechend abgestimmt. Termine zur (vorherigen) Durchführung eines Erörterungstermins konnte die Kanzleimitarbeiterin nicht zusagen.

Am 7. Januar 2023 hat Rechtsanwalt K. aus der Kanzlei „K.&TA.“ unter Bezugnahme auf die erfolgte Terminvereinbarung den Vorsitzenden angerufen und erklärt, es sei zwischen ihm, Rechtsanwalt T. und dem Angeklagten abgestimmt, dass er, Rechtsanwalt K., die Verteidigung übernehme; er stünde an sämtlichen der abgesprochenen Termine zur Verfügung. Zu der Frage, ob sich der Angeklagte zur Sache einlassen werde, werde er dies nächste Woche mit dem Angeklagten besprechen und sich sodann melden. Eine entsprechende Rückmeldung erfolgte nicht. Eine schriftliche Nachfrage des Vorsitzenden vom 19. Januar 2023, in welcher dieser auch den angekündigten Verteidigerwechsel thematisierte und die der Vorsitzende in Kopie auch Rechtsanwalt T. zur Kenntnisnahme übersandt hatte, hat Rechtsanwalt K. nicht beantwortet. Auch Rechtsanwalt T. hat sich hierzu nicht erklärt.

Am 7. Februar 2023 hat der Vorsitzende auf der Grundlage der zuvor abgestimmten Termine die Verfahrensbeteiligten zu Hauptverhandlung ab dem 9. Oktober 2023 geladen, dabei mehr als zehn weitere und abgesprochene Hautverhandlungstage festgesetzt und zugleich auch die Gerichtsbesetzung gemäß § 222a Abs. 1 S. 2 StPO gegen Empfangsbekenntnis mitgeteilt. Zusammen mit dieser Ladung hat der Vorsitzende Rechtsanwalt T. mitgeteilt, dass Rechtsanwalt K. ihn, den Vorsitzenden, am 6. Januar 2023 telefonisch darüber unterrichtet habe, es sei zwischen ihm, Rechtsanwalt K., sowie Rechtsanwalt T. abgesprochen, dass Rechtsanwalt K. die Verteidigung des Angeklagten übernehme, sich Rechtsanwalt K. anschließend jedoch entgegen seiner Zusage nicht mehr gemeldet und auch eine Nachfrage durch den Vorsitzenden vom 19. Januar 2023 unbeantwortet gelassen habe, weshalb der Vorsitzende davon ausgehe, dass Rechtsanwalt T. auf der Grundlage seiner erfolgten Beiordnung weiterhin als Verteidiger auftreten werde.

Das Empfangsbekenntnis betreffend die Besetzungsmitteilung hat Rechtsanwalt T. nicht zurückgesandt. Mit Schreiben vom 20. Februar 2023 hat der Vorsitzende insgesamt drei Termine für die Durchführung des Erörterungstermins gemäß § 213 Abs. 2 StPO angefragt. Rechtsanwalt T. ließ diese Anfrage unbeantwortet. Auch auf weitere Anfrage mit Schreiben vom 16. März 2023 unter Bezugnahme auf das Schreiben vom 20. Februar 2023 hat Rechtsanwalt T. nicht beantwortet.

Mit Schreiben vom 4. April 2023 hat der Vorsitzende gegen Empfangsbekenntnis Rechtsanwalt T. angeschrieben, auf die Nichtbeantwortung der vorstehend aufgeführten Schreiben bzw. auf die unterbliebene Rücksendung des Empfangsbekenntnisses hingewiesen, angemerkt, dass diese Verhaltensweise der gebotenen sachdienlichen Durchführung des Strafverfahrens entgegenstehe und um Darlegung gebeten, wie künftig die weitere sachdienliche Durchführung des Strafverfahrens sichergestellt werden könne. Zugleich hat er auf die Möglichkeit der Entpflichtung hingewiesen. Das Empfangsbekenntnis wurde zurückgesandt, eine Stellungnahme hat Rechtsanwalt T. bis zu der ihm gesetzten Frist, dem 18. Februar 2023, 12 Uhr, nicht abgegeben.

Dem Angeklagten hat der Vorsitzende dieses Mahnschreiben an Rechtsanwalt T. am 4. April 2023 zur Kenntnisnahme übersandt, er hat hierzu nicht Stellung genommen.

Sämtliche der vorgenannten Schreiben bzw. Beschlüsse sind Rechtsanwalt T. auf einem sicheren Übertragungsweg im Sinne der § 32a ff. StPO übermittelt worden. Adressiert wurden sie sämtlich an sein einziges, ihm gemäß §31a BRAO durch die Bundesrechtsanwaltskammer eingerichtetes elektronisches Anwaltspostfach. Dass die Schreiben über die Justizserver tatsächlich weitergeleitet worden waren, ergibt sich aus der Tatsache, dass bzgl. keines der Schreiben eine sogenannte Fehlermeldung durch das Datenübertragungsprogramm generiert wurde. Dass all diese Schreiben auch im elektronischen Anwaltspostfach eingegangen sind, ergibt sich aus der Tatsache, dass Rechtsanwalt T. auf einzelne Schreiben zumindest insoweit reagierte, als er in zwei Fällen das Empfangsbekenntnis, zuletzt das bzgl. des Mahnschreibens vom 4. April zurückgesandt und auch hierauf nicht reagiert hat. Auch geht der Senat davon aus, dass Rechtsanwalt T. es angezeigt hätte, wenn ihm einzelne der im Mahnschreiben aufgezählten Schreiben nicht zugegangen wären.

II.

1. Das Recht auf Verteidigung gehört zu den wesentlichen Grundsätzen eines rechtsstaatlichen Strafverfahrens. Der Beschuldigte darf entsprechend der zur Interpretation der grundgesetzlichen Menschenwürdegarantie herangezogenen „Objektformel“ des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG, Beschluss vom 16. Juli 1969 – 1 BvL 19/63, NJW 1969, 1707) nicht Objekt des Verfahrens sein. Ihm muss vielmehr die Möglichkeit gegeben werden, zur Wahrung seiner Rechte auf den Gang und das Ergebnis des Verfahrens Einfluss zu nehmen (vgl. KK- StPO/Fischer, 9. Aufl., Einleitung, Rn. 204). Seine einfachgesetzliche Ausprägung findet dieser Grundsatz u.a. in § 137 Abs. 1 S. 1 StPO, wonach sich der Beschuldigte in jeder Lage des Verfahrens des Beistands eines Verteidigers bedienen. Art. 6 Abs. 3c EMRK sowie das Rechtsstaatsprinzip garantieren einem Beschuldigten auch, dass er sich durch einen Verteidiger seiner Wahl vertreten zu lassen und unentgeltlich den Beistand eines sogenannten Pflichtverteidigers erhalten kann. In Entsprechung dieser Grundsätze war Rechtsanwalt T. dem Angeklagten durch den Ermittlungsrichter gemäß § 140 Abs. 1 StPO beigeordnet worden.

Die Beiordnung eines Verteidigers dient nach einhelliger Auffassung in Rechtsprechung und Literatur neben den vorstehend umrissenen Interessen des Beschuldigten indes auch dem Zweck, im öffentlichen Interesse dafür zu sorgen, dass der Beschuldigte in den in § 140 Abs. 1 Nr. 1 bis 11 aufgezählten bzw. in den von Abs. 2 erfassten Fällen rechtskundigen Beistand erhält und der ordnungsgemäße Verfahrensablauf gewährleistet ist (vgl. u.a. KK- StPO/Fischer, 9. Aufl., § Rn. 211; BVerfG, Urteil vom 8. April 1975 – 2 BvR 207/75, NJW 1975, 1015, 1016). Die Pflicht zur Gewährleistung eines ordnungsgemäßen Verfahrensablaufs gilt für auch für den Pflichtverteidiger. Auch diese ergibt sich unmittelbar aus der Verfassung selbst. Das in Art. 20 Abs. 3 GG normierte Rechtsstaatsprinzip gebietet die Aufrechterhaltung einer funktionstüchtigen Rechtspflege, ohne die Gerechtigkeit nicht verwirklicht werden kann. In diese Pflichtbindung sind auch Verteidiger einbezogen. Als mit eigenen Rechten und Pflichten versehenes selbstständiges Organ der Rechtspflege sind Strafverteidige nicht Gegner, sondern Teilhaber einer funktionsfähigen Strafrechtspflege (vgl. hierzu Meyer-Goßner/Schmitt/Schmitt, StPO, 64. Aufl., Vor § 137 Rn. 1ff.)

Als Teilhaber in diesem Sinne kommt einem Verteidiger nicht die Vertretung des Angeklagten, sondern dessen Beistand zu. Folglich liegt der Auftrag eines Verteidigers nicht ausschließlich im Interesse des Beschuldigten, sondern auch in der am Prinzip des Rechtsstaats ausgerichteten Strafrechtspflege (BGH, Urteil vom 7. Juli1991 – 4 StR 252/91, BGHSt NJW 1992, 1245). Für die hier maßgebliche Frage nach dem Verhalten eines Verteidigers im Strafverfahren ist aus alledem abzuleiten, dass auch er dafür Sorge zu tragen hat, dass das Verfahren sachdienlich und in prozessual geordneten Bahnen durchgeführt werden kann (BGH aaO).

2. Gemessen an diesen Maßstäben war die Beiordnung von Rechtsanwalt T. aufzuheben. Gemäß § 143a Abs. 2 S. 1 Nr. 3 StPO ist die Bestellung des Pflichtverteidigers aufzuheben, wenn entweder das Vertrauensverhältnis zwischen Verteidiger und Beschuldigtem endgültig zerstört ist oder aus einem sonstigen Grund keine angemessene Verteidigung des Beschuldigten gewährleistet ist. Eine angemessene Verteidigung eines Beschuldigten ist insbesondere dann nicht gewährleistet, wenn sich der Verteidiger grobe Pflichtverletzungen hat zuschulden kommen lässt. Für solch grobe Pflichtverletzungen reichen lediglich unzweckmäßige bzw. gar prozessordnungswidrige Verhaltensweisen nicht aus (vgl. BGH, Beschluss vom 9. August 1988 – 4 StR 222/88, NStZ 1988, 510). Vielmehr müssen Umstände vorliegen, die „den Zweck der Pflichtverteidigung, dem Beschuldigten einen geeigneten Beistand zu sichern und den ordnungsgemäßen Verfahrensablauf zu gewährleisten, ernsthaft“ gefährden (BVerfG, Beschluss vom 14. Oktober 1997 – 2 Bv Q 32/97, NStZ 1998, 46).

Als Ausprägung des verfassungsrechtlichen Rechtsstaatsprinzips finden sich in den einfachgesetzlichen Regelungen nur ganz vereinzelt Vorschriften, die die Rechte (vergleiche etwa §§ 147, 163a Abs. 3, 239, 240 Abs. 2, 251 Abs. 1 Nr. 1 StPO) noch weniger solche, die Pflichten eines Pflichtverteidigers (§ 14 BORA) normieren. Rechte wie Pflichten des Verteidigers ergeben sich darüber hinaus insbesondere aus seiner gesetzlichen Aufgabenstellung, mithin unter anderem der Gewährleistung eines „ordnungsgemäßen Verfahrensablaufs“.

Diese bestimmen sich nach Erhebung der öffentlichen Klage nach Maßgabe der §§ 199 ff StPO, wonach einem Angeklagten bzw. wie hier dem aufgrund seiner Beiordnung zustellungsbevollmächtigen Verteidiger u.a. die Anklageschrift zuzustellen und der Eröffnungsbeschluss zu übersenden ist. Dass sich Rechtsanwalt T. hierzu jeweils nicht geäußert hat, insbesondere nach Erhalt der Anklage keine Verteidigungsschrift abgegeben hat, ist ebenso wenig zu beanstanden wie seine offenkundig beharrliche und – bei isolierter Betrachtung – unter keinem rechtlich relevanten Gesichtspunkt zu beanstandende Weigerung, mit der Dezernentin der Generalstaatsanwaltschaft zur Klärung der Frage Kontakt aufzunehmen, ob sich der Angeklagte zur Sache einlassen werde oder nicht. Diese Verhaltensweisen sind nicht prozessordnungswidrig, selbst als unzweckmäßig können sie nicht bewertet werden. Insoweit obliegt es einzig dem Verteidiger unter Wahrung der Interessen und Prüfung der Wünsche seines Mandanten, ob es ihm zweckmäßig erscheint, sich im Ermittlungsverfahren auf entsprechende Anfragen bzw. im Zwischenverfahren zur Anklageschrift zu äußern.

a) Mit einem ordnungsgemäßen Verfahrensablauf nicht vereinbar ist hingegen die Tatsache, dass Rechtsanwalt T. sich zu dem ihm mit Schreiben des Vorsitzenden vom 19. Januar 2023 mitgeteilten Sachverhalt, wonach Rechtsanwalt K. einen Verteidigerwechsel angezeigt hat, und anschließend auch auf die ihm mit der Ladungsverfügung vom 7. Februar 2023 übersandte Mitteilung des Vorsitzenden, wonach dieser davon ausgehe, dass er, Rechtsanwalt T., weiterhin die Verteidigung des Angeklagte wahrnehme, nicht erklärt hat.

Es bestehen nämlich keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass der durch Rechtsanwalt K. dem Vorsitzenden am 7. Januar 2023 erklärte Verteidigerwechsel – und der damit konkludent in Aussicht gestellte Antrag auf Umbeiordnung – unzutreffend war. Zumal es sich bei Rechtsanwalt K. um den Kanzleikollegen von Rechtsanwalt T. handelt und dieser jenen offenkundig über die abgesprochenen Sitzungstermine unterrichtet hat. Dadurch, dass sich Rechtsanwalt T. nicht zu der Frage des Verteidigerwechsels erklärt hat, entstand ungeachtet der sich aus der Bestellung von Rechtsanwalt T. als Pflichtverteidiger ergebenden und jedenfalls im Falle des § 145 Abs. 4 StPO auch „sanktionierbaren“ Verpflichtung zur Teilnahme an der Hauptverhandlung Ungewissheit darüber, ob dieser weiterhin die Aufgaben des Verteidigers des Angeklagten ausübt. Aufgrund seiner Stellung als Pflichtverteidiger gemäß §§ 140 Abs. 1 StPO bestand für Rechtsanwalt T. die Pflicht, diese durch seine Mitwirkung entstandene Unklarheit durch Beantwortung der Anfrage des Vorsitzenden aufzuklären.

b) Noch schwerer wiegt, dass Rechtsanwalt T. das ihm mit Schreiben vom 7. Februar 2023 übersandte Empfangsbekenntnis bzgl. der Besetzungsmitteilung nicht zurückgesandt hat. Der Verteidiger hat dadurch gegen § 14 BORA verstoßen, wonach ein Rechtsanwalt ordnungsgemäße Zustellungen von Gerichten entgegenzunehmen und das Empfangsbekenntnis mit dem Datum versehen unverzüglich zu erteilen hat.

c) Auch die offenkundige Weigerung, auf die wiederholten Anfragen des Vorsitzenden mit diesem einen Erörterungstermin gemäß § 213 Abs. 2 StPO abzustimmen, ist mit der Pflicht des Verteidigers, einen ordnungsgemäßen Verfahrensablauf zu gewährleisten, nicht zu vereinbaren.

Zwar kann weder der Norm des § 213 Abs. 2 StPO selbst noch sonstigen Regelungen oder gar übergeordneten Verfahrensgrundsätzen eine Verpflichtung des Verteidigers entnommen werden, tatsächlich mit dem Vorsitzenden den „äußeren Ablauf der Hauptverhandlung“ zu erörtern. Nach § 213 Abs. 2 StPO ist der Vorsitzende gehalten („soll“), in besonders umfangreichen erstinstanzlichen Verfahren vor dem Land- oder Oberlandesgericht, in denen die Hauptverhandlung voraussichtlich länger als zehn Tage dauern wird – mithin auch im hiesigen Verfahren, den äußeren Ablauf der Hauptverhandlung mit dem Verteidiger abzustimmen. Mithin gehört zumindest die Offerte des Vorsitzenden an die Verfahrensbeteiligten, einen solchen Termin mit ihnen durchführen, zum ordnungsgemäßen Verfahrensablauf. Aus diesem Umstand und der Stellung von Rechtsanwalt T. als Pflichtverteidiger resultiert auch hier wiederum dessen Pflicht, sich zumindest dahingehend zu erklären, ob ein solcher Termin durchgeführt werden soll und ggf. wann.

d) Mit einem ordnungsgemäßen Verfahrensablauf ebenfalls unvereinbar ist das Schweigen von Rechtsanwalt T. auf das Mahnschreiben des Vorsitzenden vom 4. April 2023. Aufgrund seiner Stellung als Pflichtverteidiger und seiner vorstehend aufgezeigten – auch groben – Pflichtverletzungen war Rechtsanwalt T. verpflichtet, sich u.a. dazu zu erklären, wie jedenfalls künftig die ordnungsgemäße Durchführung des Strafverfahrens sichergestellt werden könne. Dass Rechtsanwalt T. in diesem Fall das Empfangsbekenntnis mit dem Datum versehen und zurückgesandt hat, liegt zur sicheren Überzeugung des Senats einzig in der Tatsache begründet, dass er in dem Mahnschreiben des Vorsitzenden ausdrücklich auf seinen vorangegangenen Verstoß gegen § 14 BORA hingewiesen worden war und einem möglichen Schuldspruch durch das Anwaltsgericht vermeiden wollte, die ihm obliegende Pflicht, seinen Beruf gewissenhaft auszuüben, verletzt zu haben.

e) Bei Betrachtung des bisherigen Verfahrensverlaufs und der gebotenen gesamtwürdigenden Bewertung des Verhaltens von Rechtsanwalt T. ist Folgendes festzustellen.

aa) Rechtswalt T. hat in diesem Verfahren, in dem schwerwiegende Vorwürfe gegen seinen Mandanten erhoben werden und die Hauptverhandlung ansteht, wiederholt die Mitwirkung an der Durchführung einzelner, zum ordnungsgemäßen Verfahrensablauf gehörender Handlungen verweigert.

bb) Auf ein anschließendes Mahnschreiben hat er eine Stellungnahme verweigert.

cc) Aufgrund der Tatsache, dass sich Rechtsanwalt T. zu den ihm aufgezeigten – auch groben – Pflichtverletzungen nicht erklärt hat, bleibt dem Senat einzig die Möglichkeit, das Verhalten von Rechtsanwalt T. auf der Grundlage des Verfahrensverlaufs zu bewerten. Danach geht der Senat davon aus, dass Rechtsanwalt T. nach Erhebung der öffentlichen Klage seiner Verpflichtung, dafür Sorge zu tragen hat, dass das Verfahren sachdienlich und in prozessual geordneten Bahnen durchgeführt werden kann, bewusst nicht nachgekommen ist.

dd) Inwieweit Rechtsanwalt T. hierdurch zugleich in schwerwiegender Weise auch gegen die Interessen des Angeklagten verstoßen haben könnte, diesem eine effektive und an dessen Interessen ausgerichtete Verteidigung zu gewährleisten, kann der Senat offenlassen.“

Langer Rede kurzer Sinn, oder: Kurz gefasst meint/sagt das OLG: Du, Pflichtverteidiger, kommunizierst nicht mit uns und antwortet uns nicht. Das ist eine so grobe Verpflichtung, dass wir mit dir nicht mehr zusammenarbeiten wollen. Denn der Verfahrensablauf ist nicht gesichert.

Ich habe ganz erhebliche Zweifel, ob das richtig ist. Denn, wo steht im Gesetz, dass der Verteidiger mit dem Gericht kommunizieren und auf Anfragen antworten muss? Und wenn er es nicht tut, droht dann das scharfe Schwert der Entpflichtung? M.E. gibt es genügend andere Möglichkeiten, den Ablauf der Hauptverhandlung sicher zu stellen. Man kann z.B. einen Sicherungsverteidiger beiordnen. Etwas fehlt übrigens im Beschluss: Das ist das „Organ der Rechtspflege“, was man in solchen Sachen ja gern aus dem Hut zaubert, in anderen Sachen – insbesondere, wenn es um Gebühren geht – aber gern vergisst.

Pflichti II: Kein Rechtsmittel gegen Bestellung?, oder: Kein Rechtsmittel gegen Aufhebung der Bestellung

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Und im zweiten „Pflichti-Posting“ hier dann zwei Entscheidungen zu Rechtsmitteln in Zusammenhang mit der Pflichtverteidigerbestellung, und zwar:

Auch nach Inkrafttreten der Vorschriften § 143 Abs. 3 StPO ist die Aufhebung der Bestellung als Pflichtverteidiger durch diesen selbst grundsätzlich nicht anfechtbar.

Ein Wahlverteidiger ist durch seine (von Amts wegen erfolgte) Beiordnung zum Pflichtverteidiger nicht beschwert. Er kann deshalb gegen seine Bestellung kein Rechtsmittel einlegen.

Der zweite Beschluss erstaunt schon ein bisschen…..

Pflichti I: Kleines Potpourri der Beiordnungsgründe, oder: Strafvollstreckung, Betreuung, Ausländer

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Heute dann zur Wochenmitte mal wieder ein „Pflichti-Tag“.

Ich beginne in diesem Posting mit drei Entscheidungen zu den Beiordnungsgründen, und zwar:

Die Mitwirkung eines Verteidigers im Verfahren zur Erledigung einer Unterbringung in einer Entziehungsanstalt ist regelmäßig in entsprechender Anwendung des § 140 Abs. 2 StPO erforderlich, wenn die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt wegen fehlender Erfolgsaussicht trotz Fortbestehens des Therapiewillens des Untergebrachten gem. § 67d Abs. 5 StGB für erledigt erklärt wird.

1. Insbesondere bei einem unter Betreuung mit dem „Aufgabenkreis Vertretung gegenüber Behörden“ stehenden Angeklagten ist regelmäßig von einer Einschränkung der Verteidigungsfähigkeit auszugehen, so dass ein Pflichtverteidiger nach § 140 Abs. 2 StPO zu bestellen ist.

2. Gegen die Bestellung der Pflichtverteidigerin spricht nicht der Umstand, dass das Verfahren zum Zeitpunkt der Entscheidung nach § 154f StPO eingestellt ist.

Die Beiordnung eines Pflichtverteidigers wird bei einem nicht hinreichend sprachkundigen Angeklagten nicht bereits deshalb entbehrlich, wenn die sich aus den Sprachschwierigkeiten ergebenden Einschränkungen seiner Verteidigungsmöglichkeiten durch die Hinzuziehung eines Dolmetschers „abgemildert“ werden. Vielmehr kann in solchen Fällen nur dann von der Verteidigerbestellung abgesehen werden, wenn die Einschränkungen durch den Dolmetscher völlig ausgeglichen werden, was bei einer schwierigen Sach- oder Rechtslage fraglich sein kann.

 

StPO II: Keine Beschuldigtenvernehmung im EV, oder: Eröffnung wird abgelehnt

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Und als zweite Entscheidung dann hier der OLG Celle, Beschl. v. 10.02.2023 – 2 Ws 336/22.

Das LG hatte die Eröffnung des Hauptverfahrens abgelehnt, weil im Ermittlungsverfahren das rechtliche Gehör der Beschuldigten verletzt worden ist. Das OLG hat die Entscheidung bestätigt. Hier die Leitsätze des Beschlusses:

    1. Wird im Ermittlungsverfahren entgegen § 163a Abs. 1 StPO eine Beschuldigtenvernehmung nicht durchgeführt, ist das Gericht nicht verpflichtet, auf eine unter Verletzung des rechtlichen Gehörs erhobene Anklage hin das Hauptverfahren zu eröffnen.
    2. Dies gilt entsprechend bei einer Antragsschrift im Sicherungsverfahren.
    3. Werden anlässlich eines Explorationsgesprächs durch den psychiatrischen Sachverständigen die Vorwürfe mit dem Beschuldigten erörtert, stellt dies keine Vernehmung im Sinne des § 163a Abs. 1 StPO dar.

Haft III: Voraussetzungen der Auslieferungs(haft), oder: Beiderseitige Strafbarkeit bei einer Trunkenheitsfahrt?

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Die letzte Entscheidung des heutigen Tages kommt aus dem Auslieferungsrecht, also ggf. Auslieferungshaft 🙂 . Das OLG Celle hat aber im OLG Celle, Beschl. v. 22.02.2023 – 2 AR (Ausl) 45/22 – die beantragte Auslieferung für unzulässig erklärt.

Betrieben wurde das Verfahren von den polnischen Justizbehörden auf der Grundlage eines Europäischen Haftbefehls des Bezirksgerichts Poznan wegen der Auslieferung des Verfolgten zum Zwecke der Strafvollstreckung. Das AG Grodzisk Wielkopolski hat den Verfolgten am 19.06.2013 zu einer Freiheitsstrafe von 1 Jahr verurteilt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde. Der Verfolgte war in der Hauptverhandlung nicht anwesend. Inzwischen ist die gewährte Strafaussetzung zur Bewährung durch Beschluss des AG Nowy Tomysl vom 13.11.2018 widerrufen. Die Freiheitsstrafe ist von dem Verfolgten noch vollständig zu verbüßen.

Nach den Angaben in dem Europäischen Haftbefehl führte der Verfolgte bei der ihm zur Last gelegten Straftat am 25.3.2013 gegen 17.25 Uhr in der S. K. in der Ortschaft N. T. in der W. W. ein Kraftfahrzeug und stand hierbei ausweislich der bei ihm durchgeführten Atemalkoholkontrolle und der festgestellten Atemalkoholkonzentration von 0,56 mg/l unter Alkoholeinfluss. Auf Nachfrage der GStA haben die polnischen Justizbehörden mit Schreiben im Auslieferungsverfahren mitgeteilt, dass sich aus den der Verurteilung des Verfolgten zugrundeliegenden Aktenvorgängen keine Anhaltspunkte für einen Fahrfehler des Verfolgten zum Tatzeitpunkt ergeben hätten.

Die GStA hat beantragt, über die Zulässigkeit der Auslieferung zu entscheiden. Sie erachtet die Auslieferung für unzulässig, da es bei der dem Europäischen Haftbefehl zugrunde liegenden abgeurteilten Tat des Verfolgten an der nach § 3 Abs. 1 IRG erforderlichen beiderseitigen Strafbarkeit fehle. Das OLG hat die Entscheidung über den Antrag der GStA im Hinblick auf das beim BGH anhängige Vorlageverfahren 4 ARs 13/21 zunächst zurückgestellt. Es hat jetzt dann festgestellt, dass die Auslieferung des Verfolgten unzulässig ist:

„2, Die Auslieferung des Verfolgten zum Zwecke der Vollstreckung der in dem o.g. Europäischen Haftbefehl des Bezirksgerichts Poznan vom 01.02.2022 bezeichneten Freiheitsstrafe aus dem Urteil des Amtsgericht Grodzisk Wielkopolski vom 19.06.2013 (Az. VII K 376/13) ist unzulässig.

Die Zulässigkeit der Auslieferung zur Verfolgung oder zur Vollstreckung setzt nach § 3 Abs. 1 IRG voraus, dass die dem Auslieferungsersuchen zugrundeliegende Tat des Verfolgten auch nach deutschem Recht eine rechtswidrige Tat ist, die den Tatbestand eines Strafgesetzes verwirklicht, oder bei sinngemäßer Umstellung des Sachverhalts auch nach deutschem Recht eine solche Tat wäre. Dies gilt auch, wenn dem Ersuchen ein Europäischer Haftbefehl zugrunde liegt (vgl. § 81 Nr. 1 IRG; Art. 4 Nr. 1 des Rahmenbeschlusses Europäischer Haftbefehl). Das Erfordernis der Prüfung der beiderseitigen Strafbarkeit entfällt nur dann, wenn es sich um eine sog. Katalogtat i.S. von Art. 1 Abs. 2 des Rahmenbeschlusses handelt.

Die vorliegend in dem Europäischen Haftbefehl des Bezirksgerichts Poznan vom 01.02.2022 näher beschriebene Tat des Verfolgten, welche seiner Verurteilung durch das Amtsgericht Grodzisk Wielkopolski vom 19.06.2013 zugrunde lag, stellt keine Katalogtat im vorgenannten Sinne dar. Daher wäre die Auslieferung des Verfolgten nur zulässig, wenn die Tat auch nach deutschem Recht strafbar wäre. Auf der Grundlage des in dem Europäischen Haftbefehl mit-geteilten Tatgeschehens käme insoweit lediglich eine Strafbarkeit wegen Trunkenheit im Ver-kehr gemäß § 316 StGB in Betracht. Voraussetzung hierfür wäre in objektiver Hinsicht, dass sich der Verfolgte zur Tatzeit im Zustand alkoholbedingter Fahruntüchtigkeit befunden hat. Diese wäre tatbestandlich nur dann gegeben, wenn bei dem Verfolgten eine relative oder absolute Fahruntüchtigkeit vorgelegen hätte. Ob dies der Fall war, ist anhand des in dem Europäischen Haftbefehl mitgeteilten Tatgeschehens, das zu der dem Auslieferungsersuchen zugrundeliegenden Verurteilung geführt hat, zu prüfen. Aus dem mitgeteilten Sachverhalt ergeben sich insoweit über die auf der Grundlage der gemessenen Atemalkoholkonzentration von 0,56 mg/l festgestellte Alkoholisierung des Verfolgten hinaus keine Anhaltspunkte für einen alkohol-bedingten Fahrfehler. Die Annahme einer relativen Fahruntüchtigkeit kommt deshalb nicht in Betracht. Daher müsste tatbestandlich eine absolute Fahruntüchtigkeit bei ihm vorgelegen haben. Dies wäre nur bei einer festgestellten Blutalkoholkonzentration von mindestens 1,1 o/oo zu bejahen. Nach den Angaben in dem Europäischen Haftbefehl wurde dem Verfolgten jedoch weder eine Blutprobe zwecks Ermittlung der Blutalkoholkonzentration entnommen noch sind Feststellungen zu Art und Menge des von ihm vor der Tat konsumierten Alkohols getroffen worden. Seine Verurteilung beruht allein auf der zum Tatzeitpunkt gemessenen Atemalkoholkonzentration von 0,56 mg/l. Indes reicht nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs und der Oberlandesgerichte der Messwert der Atemalkoholkonzentration allein für die Feststellung der Blutalkoholkonzentration nicht aus. Denn er bietet nach derzeitigem Stand der medizinischen Wissenschaft und Forschung nicht die in einem Strafverfahren erforderliche Sicherheit für die Bestimmung des Wertes der Blutalkoholzentration (vgl. BGH, NStZ 1995, 539; KG, DAR 2008, 273; OLG Stuttgart, Beschl. v. 17.04.2009 – 2 Ss 159/09 –, juris; OLG Naumburg, Beschl. v. 05.12.2000 – 1 Ws 496/00 – juris; Kudlich in BecKOK StGB, 55. Edition, Stand 01.11.2022, § 315c Rd. 27 mwN). Eine hohe Atemalkoholkonzentration stellt allenfalls ein starkes Indiz für eine Fahruntüchtigkeit dar, lässt aber die Annahme einer absoluten Fahr-untüchtigkeit nicht zu (vgl. OLG Stuttgart, aaO). Für eine Verurteilung wegen Trunkenheit im Verkehr nach § 316 StGB bedarf es deshalb zumindest eines weiteren, tragfähigen Indizes für die Fahruntüchtigkeit des Täters. Da im vorliegenden Fall des Verfolgten jedoch – wie bereits ausgeführt – neben dem Wert der Atemalkoholkonzentration keine weiteren ihn belastenden Indizien festgestellt worden sind, scheidet eine Strafbarkeit der ihm in dem Europäischen Haft-befehl zur Last gelegten Tat nach § 316 StGB aus.

Nach alledem steht der Auslieferung des Verfolgten an die polnischen Justizbehörden das Zulässigkeitshindernis der fehlenden beiderseitigen Strafbarkeit nach § 3 Abs. 1 IRG entgegen.“