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OWi II: Messbeamte kennt die Messvorschriften nicht, oder: Auswirkungen auf die Geldbuße?

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Und die zweite Entscheidung kommt dann vom OLG Celle. Das hat sich im OLG Celle, Beschl. v.  19.01.2024 – 2 ORbs 348/23 – mit dem Einwand eines Betroffenen gegen die Festsetzung der Regelgeldbuße bei einer Geschwindigkeitsüberschreitung auseinandergesetzt, der dahin ging, dass der Messbeamte die nach der (niedersächsischen) Richtlinie für die Geschwindigkeitsüberwachung aufgeführte Qualifikation, nicht habe nachweisen können. Das habe schuldmindernd berücksichtigt werden müssen.

Das OLG hat die Rechtsbeschwerde zugelassen und dann in „Dreier-Besetzung“ verworfen:

„b) Der Rechtsfolgenausspruch lässt keinen Rechtsfehler erkennen. Das Amtsgericht hat zutreffend die Regelgeldbuße nach BKat Nr.11.1.4. (Überschreiten der zulässigen Höchstgeschwindigkeit für Lkw außerhalb geschlossener Ortschaften um 16 – 20 km/h) in Höhe von 140,00 € festgesetzt und festgestellt, dass Anhaltspunkte dafür, dass es sich vorliegend nicht um einen Regelfall handelt, nicht ersichtlich sind.

Ein solcher Anhaltspunkt ergibt sich entgegen der Ansicht des Betroffenen auch nicht aus dem vom Amtsgericht festgestellten Umstand, dass der Messbeamte die in den Niedersächsischen Richtlinien für die Überwachung des fließenden Straßenverkehrs durch Straßenverkehrsbehörden unter 3.3 des Abschnitts 3 aufgeführte Qualifikation, die eine Kenntnis der mit der Verkehrsüberwachung verbundenen Vorschriften (Gesetze, Erlasse, Rechtsprechung) vorsieht, nicht nachweisen konnte.

In Ziffer 3.3 „Personal“ des Abschnitts 3 der Richtlinie heißt es:

„Das Messpersonal der Straßenverkehrsbehörden für den Umgang mit mobil-stationären Messgeräten muss qualifiziert sein, mit dem eingesetzten Messgerät beweissichere Geschwindigkeitsmessungen vorzunehmen.

Qualifikationsmerkmale sind insbesondere:

  • Kenntnis der mit der Verkehrsüberwachung verbundenen Vorschriften (Gesetze, Erlasse, Rechtsprechung),.

Als reine Verwaltungsvorschrift entfaltet diese Richtlinie keine Außenwirkung. Allerdings dürfen die Verkehrsteilnehmer erwarten, dass sich die Verwaltungsbehörde über Richtlinien zur Handhabung des Verwaltungsermessens, die eine gleichmäßige Behandlung sicherstellen sollen, im Einzelfall nicht ohne sachliche Gründe hinwegsetzt. Insoweit können sich solche Richtlinien über Art. 3 GG für den Bürger rechtsbildend auswirken, so dass im Einzelfall der Schuldgehalt einer Tat geringer erscheint (vgl. hiesiger 1. Bußgeldsenat, Beschluss vom 25.07.2011 – 311 SsRs 114/11 -, juris; BayObLG, Beschluss vom 04.09.1995 – 1 ObOWi 375/95 -, juris; OLG Dresden DAR 2010, 29).

Die gilt aber nicht für jede Art von Abweichung von der Richtlinie. Abweichungen von Verwaltungsvorschriften sind insoweit mit Abweichungen von der Bedienungsanleitung vergleichbar. Einzelne Abweichungen etwa im Hinblick auf die Protokollierung des Messvorgangs nehmen einer Messung nicht den Charakter eines standardisierten Messverfahrens, weil ihnen keine eigenständige Bedeutung für die Integrität der Messung zukommt (vgl. Senat, Beschluss vom 28.03.2023, 2 ORbs 68/23, OLG Karlsruhe, Beschluss vom 16.02.2023, 2 ORbs 35 Ss 4/23, juris; BayOblG, Beschluss vom 21.11.2022, 201 ObOwi 1291/22, juris). Dieser Rechtsgedanke lässt sich auf die Abweichung von Verwaltungsvorschriften in der Weise übertragen, dass sich eine Abweichung nur dann schuldmindernd auswirken kann, wenn ein Einfluss der Abweichung auf das Verhalten des Betroffenen oder das Messergebnis denkbar ist.

Anders als bei einer Unterschreitung des Regelabstandes zwischen geschwindigkeitsregelnden Verkehrszeichen und Messstelle (Nr. 4 der Anlage 1 „Einsatz von Geschwindigkeitsmessgeräten“ der Richtlinie), die jeweils Gegenstand der oben zitierten Entscheidungen zum geringeren Schuldgehalt waren, ist es aber gerade nicht denkbar, dass allein die fehlende Kenntnis des Messbeamten von den mit der Verkehrsüberwachung verbundenen Vorschriften das Verhalten des Betroffenen beeinflusst. Ebenfalls ist nicht erkennbar, dass sich die fehlende Schulung des Messbeamten zu Verkehrsvorschriften im vorliegenden Fall auf das Messergebnis ausgewirkt hätte.

Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem Einwand des Betroffenen, die B  sei bereits im Bereich ihrer einspurigen Zuführung als Kraftfahrstraße ausgewiesen, obwohl die entsprechenden Voraussetzungen hierfür noch gar nicht gegeben seien, nach Erweiterung der B  zu zwei Spuren erfolge dann die Aufhebung der Kraftfahrstraße, obwohl hier doch de facto noch eine Kraftfahrstraße vorliege mit der Folge, dass für den Betroffenen im einspurigen Bereich eine Höchstgeschwindigkeit von 80 km/h zulässig gewesen sei, im Verlauf des zweispurigen Bereichs dann aber nur noch eine solche von 60 km/h, weil er einen 7,5 t-Lkw gefahren habe. Obwohl das in der Beschwerdeschrift nicht weiter dargelegt wird, scheint der Betroffene damit einen Zusammenhang ziehen zu wollen zwischen der fehlenden Rechtskenntnis des Messbeamten und der Durchführung der Messung an einer Stelle, an der ein Lkw-Fahrer damit rechne, sich noch auf einer Kraftfahrstraße zu befinden und deshalb statt nur 60 km/h bis zu 80 km/h fahren zu dürfen.

Es wäre dann aber nicht die fehlende Rechtskenntnis des Messbeamten, sondern letztlich der Standort der die Kraftfahrstraße aufhebenden Verkehrszeichen, der schuldmindernd zu würdigen wäre. Das Amtsgericht hat jedoch hinreichend überprüft und festgestellt, dass die Aufhebung der Kraftfahrstraße an dieser Stelle nicht willkürlich ist, sondern der nachfolgenden Zusammenführung mit dem aus A. kommenden Verkehr geschuldet ist. Soweit der Betroffene diesbezüglich einem Tatbestandsirrtum unterlegen sein sollte, ist dem bereits dadurch Rechnung getragen worden, dass ihm ohnehin nur Fahrlässigkeit zur Last gelegt wird. Im Übrigen folgt die Einordnung einer Straße als Kraftfahrstraße nach § 18 Abs. 1 StVO allein aus ihrer Beschilderung durch die zuständigen Behörden und nicht aus ihrer Bauart. Weder den Kraftfahrern noch dem Messpersonal obliegt es, den verkehrsrechtlichen Charakter einer Straße unabhängig von ihrer Beschilderung zu interpretieren.“

Der Einwand des Betroffenen lässt mich ein wenig ratlos zurück. Denn warum soll die Unkenntnis des Messbeamten vom Inhalt der Richtlinie nur Auswirkungen auf die Höhe der Geldbuße haben, und nicht auch auf das Fahrverbot? In Betracht käme doch ein Wegfall des Fahrverbotes, wenn man die Rechtsprechung zur Unterschreitung des vorgeschriebenen Mindestabstands der Messstelle zum Beginn der Geschwindigkeitsbeschränkung heranziehen würde. M.E. muss man ggf. früher ansetzen und versuchen, die Verwertbarkeit der Messung anzugreifen, weil die Vorgaben für ein standardisiertes Messverfahren nicht (mehr) vorgelegen haben.

Und: Die Entscheidung ist mal wieder Gelegenheit <<Werbemodus an>> auf Burhoff (Hrsg.), Handbuch für das straßenverkehrsrechtliche OWi-Verfahren, 7. Aufl. 2024, zu verweisen, das man hier vorbestellen kann; das Werk kommt bald. <<Werbemodus aus>>.

Winterliche Räum- und Streupflicht der Gemeinde, oder: Wann und wo muss gestreut werden?

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Am Samstag ist „Kessel-Buntes“-Zeit 🙂 . Und heute habe ich im „Kessel-Buntes“ zwei Entscheidungen, und zwar einmal aus dem Zivilrecht und einmal aus dem Verkehrsverwaltungsrecht. Also: Richtig bunt 🙂 .

Ich beginne mit dem Zivilrecht, und zwar mit dem OLG Celle, Urt. v. 07.02.2024 – 14 U 105/23. In dem geht es (noch einmal) um die Räum- und Streupflicht, ist also der Jahreszeit angemessen.

Die Parteien streiten um Schadenersatz. Die Klägerin nimmt die beklagte Gemeinde wegen einer (behaupteten) Verletzung der (winterlichen) Räum- und Streupflicht in Anspruch. Das LG hatte die Beklagte teilweise zur Zahlung verurteilt. Die dagegen gerichtete Berufung der Klägerin hatte keinen Erfolg, die der Beklagten hatte Erfolg:

„1. Die Klägerin hat keinen Anspruch gem. § 839 Abs. 1, § 253 BGB; Art. 34 GG; § 256 Abs. 1 ZPO. Die Beklagte hat die ihr obliegende Streupflicht nicht verletzt.

a) Grundsätzlich hat die Beklagte gem. § 10 Abs. 1; § 52 Abs. 1 Nr. 3c NStrG die Verkehrsteilnehmer vor den von der Straße ausgehenden und bei ihrer zweckgerechten Benutzung drohenden Gefahren zu schützen. Dazu gehört, dass die Beklagte dafür Sorge trägt, dass u.a. Gehwege eine möglichst gefahrlose Benutzung zulassen und somit bei Glätte gestreut sind.

Die Pflicht der öffentlichen Hand, Straßen und Wege bei Schnee und Eis zu räumen und zu bestreuen, kann sich sowohl aus der Pflicht zur polizeimäßigen Reinigung, die in Niedersachsen in § 52 des Straßengesetzes (NStrG) geregelt ist, als auch aus der allgemeinen Verkehrssicherungspflicht ergeben. Zwischen diesen Pflichten braucht vorliegend nicht unterschieden zu werden, da sie, soweit es – wie hier – um die Sorge für die Sicherheit des Straßenverkehrs geht, deckungsgleich sind (vgl. BGH, Urteil vom 5. April 1990 – III ZR 4/89 –, Rn. 14, juris; BGH, Urteil vom 11. Juni 1992 – III ZR 134/91 –, BGHZ 118, 368-374, Rn. 10; BGH, Urteil vom 21. November 1996 – III ZR 28/96VersR 1997, 311, 312) und in Niedersachsen nicht nur die Aufgabe der polizeimäßigen Reinigung, sondern auch die der Verkehrssicherungspflicht gemäß § 10 Abs. 1 NStrG als Amtspflicht in Ausübung öffentlicher Gewalt ausgestaltet ist.

b) Diese Verpflichtung unterliegt indes sowohl rechtlichen als auch praktischen Einschränkungen.

aa) Inhalt und Umfang der winterlichen Räum- und Streupflicht richten sich nach den Umständen des Einzelfalls. Art und Wichtigkeit des Verkehrsweges sind dabei ebenso zu berücksichtigen wie seine Gefährlichkeit und die Stärke des zu erwartenden Verkehrs. Die Räum- und Streupflicht besteht daher nicht uneingeschränkt. Sie steht vielmehr unter dem Vorbehalt des Zumutbaren, wobei es auch auf die Leistungsfähigkeit des Sicherungspflichtigen ankommt (BGH, Beschluss vom 20. Oktober 1994 – III ZR 60/94 –, Rn. 7, juris).

Entsteht eine Glätte erst im Laufe des Tages, muss dem Pflichtigen ein angemessener Zeitraum zur Verfügung stehen, um die erforderlichen Maßnahmen zur Bekämpfung der Glätte einzuleiten. Der Pflichtige braucht aber keine zwecklosen Maßnahmen zu ergreifen. Dichter Schneefall kann sehr bald alle Streumittel so weit bedecken, dass sie wirkungslos werden; in solchen Fällen wird dem Verpflichteten wiederum eine angemessene Frist gewährt, bis er nach Beendigung eines solchen dichten Schneefalls mit dem Streuen beginnen muss (BGH, Urteil vom 22. November 1965 – III ZR 32/65 –, Rn. 31, juris). Andererseits befreit auch anhaltender oder drehender Schneefall nicht unter allen Umständen von der Streupflicht (BGH, Urteil vom 22. November 1965 – III ZR 32/65 –, Rn. 31, juris; umfassend hierzu: Brandenburgisches Oberlandesgericht, Urteil vom 28. August 2023 – 2 U 1/23 –, Rn. 31 mwN, juris). Die Streupflicht besteht unverzüglich, d.h. im Rahmen einer gewissen Zeitspanne nach Beendigung des Schneefalls (OLG Düsseldorf, Urteil vom 20. März 1998 – 22 U 154/97 –; Brandenburgisches Oberlandesgericht, Urteil vom 28. August 2023 – 2 U 1/23 –, beide zitiert nach juris).

Für Fußgänger müssen die Gehwege, soweit auf ihnen ein nicht unbedeutender Verkehr stattfindet, sowie die belebten, über die Fahrbahn führenden unentbehrlichen Fußgängerüberwege bestreut werden (BGH, Beschluss vom 20. Oktober 1994 – III ZR 60/94; BGH, Urteil vom 9. Oktober 2003 – III ZR 8/03 –, Rn. 4 – 5, juris).

bb) Grundsätzlich muss der Verletzte alle Tatsachen beweisen, aus denen sich sein Anspruch ergibt, also hier alle Umstände, aus denen eine Streupflicht erwächst und sich eine schuldhafte Verletzung dieser Pflicht ergibt. Er muss z.B. nachweisen, dass eine solche Glätte herrschte, die ein Bestreuen zur Beseitigung der für diese Örtlichkeit bestehenden Gefahren nötig machte; er muss nachweisen, dass es sich um eine solche Stelle handelte, bei der überhaupt eine Streupflicht besteht; er muss auch beweisen, dass er infolge dieser Glätte eine Verletzung erlitten hat. Er muss auch bei Streit darüber, ob die zeitlichen Grenzen der Streupflicht beachtet sind, den Sachverhalt dartun, der ergibt, dass zur Zeit des Unfalls bereits oder noch eine Streupflicht bestand, also unter Umständen die genaue Uhrzeit des Unfalls dartun oder die Überschreitung der angemessenen Zeit nach Auftreten der Glätte im Verlaufe eines Tages (BGH, Urteil vom 22. November 1965 – III ZR 32/65 –, Rn. 32, juris).

c) Nach den vorgenannten Maßstäben hat die Beklagte ihrer Räum- und Streupflicht genügt.

aa) Soweit die Klägerin bestritten hat, dass die Beklagte die maßgebliche Unfallstelle überhaupt gestreut habe, ist der Senat nach § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO an die Beweiswürdigung des Erstgerichts gebunden, wenn keine konkreten Anhaltspunkte für die Unrichtigkeit der Beweiswürdigung vorgetragen werden. Die Klägerin zeigt keine derartigen konkreten Anhaltspunkte auf.

Nach den Feststellungen des Landgerichts hat der Zeuge B. die Unfallstelle gegen 17:00-17:30h gestreut. Er habe dabei seinen Streuplan (vgl. Bl. 43) abgearbeitet, der mit der „L.- W.straße“ endete. Seinen Streudienst habe er an diesem Tag um 18:30h beendet.

Da eine gleichzeitige Räumung und Sicherung aller betroffenen Straßen und Wege der Beklagten – von dieser unbestritten vorgetragen (vgl. Schriftsatz vom 26.09.2023, Seite 4, Bl. 239 d.A.) – weder personell und technisch möglich noch von Rechts wegen zu verlangen wäre, ist es auch nicht zu beanstanden und nach den vorgenannten Maßgaben des Bundesgerichtshofs – im Gegenteil – sogar erforderlich, dass die Beklagte bei ihrer Streupflicht Prioritäten setzt.

Der Pflichtige hat insoweit belebte, über Fahrbahnen führende Fußgängerwege vorrangig vor unbedeutenden Nebenstraßen zu sichern (vgl. BGH, aaO).

Mit ihrem Streuplan (vgl. Bl. 43 d.A.) hat die Beklagte eine solche Priorisierung vorgenommen. Die Beklagte hat dort belebte und verkehrsreiche Punkte vor unbedeutenderen Straßen priorisiert (vgl. Post-H.straße, Busbahnhof, Grundschule vor W.straße). Es ist auch weder von der Klägerin behauptet noch ansonsten ersichtlich, dass diese Priorisierung ermessensfehlerhaft wäre.

Sie entspricht vielmehr den vom Bundesgerichtshof aufgestellten Maßstäben, nach denen unbedeutende Nebenstraßen nachrangig zu sichern seien. Bei der W.straße handelt es sich um eine solche Straße – zumindest im Vergleich mit den vorrangig zu räumenden Straßen. Die W.straße führt durch ein Wohngebiet und es besteht dort, zumindest am Unfalltag, einem Sonntag, kein bedeutender erheblicher Fußgängerverkehr (vgl. Lichtbilder, unstreitiger Vortrag, vgl. Schriftsatz vom 26.9.2023, Bl. 239). Soweit der Klägervertreter in der mündlichen Verhandlung betont, dass das streitgegenständliche Stück der W.straße eine stark befahrene Ausfallstraße darstelle, kommt es für den vorliegenden Fall nicht auf den Kraftfahrzeugverkehr, sondern auf den dortigen Fußgängerverkehr an, der eine andere Priorisierung zwingend erforderlich machen müsste. Tatsachen für eine solche sind von der beweisbelasteten Klägerin nicht dargetan (s.o.).

Dass die Klägerin zunächst eine Metallabsperrung durchqueren musste, worauf der Klägervertreter in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat hingewiesen hat, ändert die rechtliche Bewertung nicht. Zum einen ist die Klägerin erst nach dem Passieren der Metallabsperrung gestürzt, wie sich ihrer eigenen Zeichnung entnehmen lässt (Lichtbild mit handschriftlichen Eintragungen der Klägerin, Anlage zum Schriftsatz vom 29.09.2022, Bl. 124 d.A). Zum anderen ändert die Metallabsperrung nicht die zu Recht von der Beklagten vorgenommene Priorisierung, die den Unfallort nachrangig bewertet.

bb) Es ist ferner nicht zu beanstanden, dass die Beklagte erst gegen Mittag, mit nachlassendem Schneefall, mit den Räumarbeiten begonnen hat und nicht – wie von der Klägerin gefordert – bereits in den Morgenstunden.

Es hatte nach den eigenen Angaben der Klägerin in den Morgenstunden sehr viel geschneit („tüchtig geschneit“). Erst gegen Mittag sei der Schnee weniger geworden, es seien ca. 10 cm Schnee auf dem Gehweg gewesen (Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 1.9.2022, Seite 1, Bl. 101 f). Die Beklagte durfte insoweit ein Nachlassen des Schneefalls abwarten (s.o.).

2. Es kommt daher nicht mehr darauf an, dass der Klägerin jedenfalls ein Mitverschulden an dem Unfall anzulasten gewesen wäre, weil sie erkannt hat, dass die Unfallstelle nicht geräumt war und sich sehenden Auges in die Gefahr begeben und damit das Risiko einer Selbstgefährdung in Kauf genommen hat (vgl. OLG Düsseldorf, Urteil vom 20.03.1998, 22 U 154/97, VersR 2000, 63 f.; OLG München, Urteil vom 30.01.2003, 19 U 4246/02, VersR 2003, 518; Hanseatisches Oberlandesgericht in Bremen, Beschluss vom 21. August 2013 – 3 W 20/13 –, Rn. 4, juris).

StGB AT III: Neueres zur (Wertersatz)Einziehung, oder: Erweiterte Einziehung, Gesamtstrafe, Aufwendungen

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Und dann habe ich hier noch einiges zur Einziehung (§§ 73 ff. StGB). Auch hier stelle ich nur die Leitsätze zu den Entscheidungen vor. Ich mache keinen „Einziehungstag“, dann werden die Entscheidungen zu alt.

Hier sind dann also:

Die Vorschrift des § 73a StGB ist wie seine Vorgängervorschrift § 73d StGB a.F. gegenüber § 73 StGB subsidiär und kann erst dann zur Anwendung gelangen, wenn nach Ausschöpfung aller zulässigen Beweismittel ausgeschlossen werden kann, dass die Voraussetzungen des § 73 StGB erfüllt sind. Dies schließt es aus, Gegenstände der erweiterten Einziehung zu unterwerfen, die der Angeklagte aus anderen, von der Anklageschrift nicht erfassten, aber konkretisierbaren Straftaten erlangt hat; denn diese Taten können und müssen zum Gegenstand eines gesonderten Strafverfahrens gemacht werden, in dem die Voraussetzungen des vorrangig anwendbaren § 73 StGB zu prüfen sind.

Die versehentliche Nichtaufrechterhaltung einer Einziehung in einem Gesamtstrafenbeschluss ist der versehentlichen Nichtanordnung der Einziehung nicht gleichzusetzen.

1. Die Verschiebung bzw. Weiterreichung eines Wertersatzes unterliegt § 73b Abs. 2 StGB.

2. Weil ersparte Aufwendungen dort allerdings nicht erfasst werden, könnten sie auch nicht nach § 73b Abs. 1 StGB bei anderen, die nicht Täter oder Teilnehmer sind, eingezogen werden.

Etwas Verkehrzivilrechtliches „aus der Instanz“, oder: Unklare Verkehrslage, falsches Betanken, USt usw.

Und dann kommt hier ein kleiner Überblick zu verkehrsrechtlichen Entscheidungen, die nicht vom BGH stammen, und zwar auch wieder nur die Leitsätze und: Ohne Anspruch auf Vollständigkeit.

1. Eine unklare Verkehrslage i. S. d. § 5 Abs. 3 Nr. 1 StVO und damit ein unzulässiges Überholen kommt in Betracht, wenn das vorausfahrende Fahrzeug bei einem ordnungsgemäß angekündigten Rechtsabbiegen in ein Grundstück zunächst erkennbar – unter Verstoß gegen § 9 Abs. 1 S. 2 StVO – nach links ausholt. In diesem Fall hat der Überholende mit einem weiteren Ausscheren des Vorausfahrenden nach links vor dem eigentlichen Abbiegen zu rechnen.

2. Im Falle einer seitlichen Kollision zwischen einem unter Verstoß gegen § 5 Abs. 3 Nr. 1 StVO bei unklarer Verkehrslage Überholenden und einem nach rechts in ein Grundstück abbiegenden Vorausfahrenden, der sich entgegen § 9 Abs. 1 S. 2, Abs. 5 StVO zunächst nach links zur Fahrbahnmitte hin einordnet und unmittelbar vor dem Rechtsabbiegen nach links ausholt, kommt eine Haftungsverteilung von 60 % zu 40 % zulasten des Überholenden in Betracht.

Es ist nicht der Betriebsgefahr i. S. d. § 7 Abs. 1 StVG eines Tanklastwagens zuzurechnen, wenn sich ein eigenständiger Gefahrenkreis aus der Risikosphäre des Bestellers verwirklicht (hier: fehlerhafte Füllstandsanzeige am Tank) und der Schadenseintritt beim Befüllvorgang weder auf ein Verschulden des Tanklastwagenfahrers noch auf einen Defekt des Tanklastwagens oder seiner Einrichtungen zurückzuführen ist.

    1. Nach den AKB 2015 ist eine Mehrwertsteuer in der Kaskoversicherung nur zu erstatten, wenn und soweit diese für den Versicherungsnehmer bei der von ihm gewählten Schadensbeseitigung tatsächlich angefallen ist.
    2. Eine solche Mehrwertsteuer ist nicht angefallen, wenn schon Monate vor dem Unfallereignis ein Nachfolgefahrzeug im Rahmen einer Fahrzeugfinanzierung bestellt worden ist, der Vertrag dann wegen Lieferschwierigkeiten für eine Bereitstellung des Ersatzfahrzeuges verlängert wird und in der Zwischenzeit vor der Lieferung des Ersatzfahrzeuges der Versicherungsfall eintritt.
    1. Es ist anerkannt, dass eine Beschaffenheitsvereinbarung auch konkludent oder stillschweigend zustande kommen kann. Dabei ist für die Beantwortung der Frage, ob eine bestimmte Beschaffenheit als vereinbart gilt, nicht nur auf die Beschreibung der Beschaffenheit im Kaufvertrag abzustellen, sondern es sind auch weitere schriftliche Angaben des Verkäufers an anderer Stelle des Vertragsformulars oder auch sonstiger Erklärungen des Verkäufers außerhalb der Vertragsurkunde in die Bewertung einzubeziehen.
    2. In dem bloßen Bestreiten von Mängeln kann nicht ohne weiteres eine endgültige Nacherfüllungsverweigerung gesehen werden. Etwas anderes gilt aber dann, wenn neben dem Bestreiten des Vorhandenseins von Mängeln weitere Umstände hinzutreten, welche die Annahme rechtfertigen, dass der Schuldner über das Bestreiten der Mängel hinaus bewusst und endgültig die Erfüllung seiner Vertragspflichten ablehnt und es damit ausgeschlossen erscheint, dass er sich von einer ordnungsgemäßen Nacherfüllungsforderung werde umstimmen lassen.

Urkunde II: Totalfälschung von Bewerbungsunterlagen, oder: Als Email-Anhang versandtes PDF

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Und als zweite Entscheidung kommt dann hier das OLG Celle, Urt. v. 15.12.2023 – 1 ORs 2/23 – mit einem etwas ungewöhnlichen Sachverhalt

In dem Verfahren ist der Angeklagte letztlich wegen Betruges und wegen veruntreuender Unterschlagung iverurteilt worden. Dagegen die Revision des Angeklagten und die der StA. Der Angeklagte begehrt die Aufhebung des Urteils insgesamt, die StA nur wegen des Rechtsfolgenausspruchs.

Das OLG geht von folgenden Feststellungen aus:

„a) Nach den Feststellungen des Landgerichts fertigte der Angeklagte zu einem nicht näher feststellbaren Zeitpunkt vor September 2018 mittels eines Computerprogramms Totalfälschungen von fünf Arbeitszeugnissen sowie von einem Prüfungszeugnis der IHK R.-N., um diese bei Bedarf für Bewerbungen zu verwenden. Er übersandte am 7. September 2018 dem Zeugen W., der Geschäftsführer der Firma R. M. GmbH (im Folgenden: Firma R.) in B. ist, die o.g. Dokumente als E-Mail-Anhang, um sich auf eine Stelle in der Filiale in B. zu bewerben und den Eindruck zu vermitteln, über eine abgeschlossene Ausbildung als Groß- und Außenhandelskaufmann sowie mehrjährige Berufserfahrung im kaufmännischen Bereich zu verfügen, was tatsächlich nicht der Fall war. In der Annahme der Richtigkeit dieser Angaben schloss die Firma R., vertreten durch den Zeugen W., mit dem Angeklagten einen Anstellungsvertrag als kaufmännischer Angestellter; in Kenntnis der wahren Sachlage hätte der Zeuge W. den Vertrag nicht abgeschlossen, was dem Angeklagten bewusst war. In der Folge bezog er ein Gehalt von 2.150 € brutto, erbrachte aber aus Überforderung nicht die arbeitsvertraglich geschuldeten Leistungen (Tat 2a des angefochtenen Urteils).“

Rechtlich hat das LG dieses festgestellte Tathandeln als (Anstellungs)Betrug gewertet. Das hat das OLG, das verschiedene Verfahrensbeanstandungen des Angeklagten nicht hat durchgreifen lassen, beanstandet. Dazu verweise ich auf den verlinkten Volltext

Zur Revision der StA, die auch eine Verurteilung nach 3 269 StGB erstrebt, führt das OLG dann aber aus:

„Die Staatsanwaltschaft beanstandet mit ihrer Revision, dass tateinheitlich zum Betrug nicht auch eine Verurteilung wegen Fälschung beweiserheblicher Daten erfolgt ist.

1. Die bislang getroffenen Feststellungen des Landgerichts tragen jedoch eine Verurteilung des Angeklagten wegen dieses Delikts nicht; eine solche liegt sogar eher fern.

Denn § 269 StGB wurde ausweislich der Gesetzesbegründung geschaffen, um eine Strafbarkeitslücke zu schließen, „die darin besteht, dass nicht sichtbar oder zumindest nicht unmittelbar lesbar gespeicherte Daten mangels visueller Erkennbarkeit strafrechtlich nicht von dem Urkundenbegriff erfasst werden, obwohl sie – ebenso wie Urkunden – zum Beweis im Rechtsverkehr bestimmt sind und zur Täuschung im Rechtsverkehr verwendet werden können“; als Beispiele werden elektronisch geführte Konten oder Register genannt (BT-Drs. 10/318, S. 12). Damit sollte aber keine grundsätzliche Ausweitung des strafrechtlichen Schutzes im Bereich der Verwendung von Reproduktionen von Urkunden verbunden sein (vgl. ausführlich OLG Hamburg, Beschluss vom 7. August 2018 – 2 Rev 74/18, juris Rn. 11 ff.). Dokumente, die nicht als Originalurkunden mit der dadurch verkörperten Garantiefunktion erscheinen, sondern erkennbar als nicht mit den für eine entsprechende Urkunde typischen Authentizitätsmerkmalen versehene Kopien einer vermeintlichen Urkunde, werden daher auch von § 269 StGB nicht erfasst (aaO Rn. 18). Eine Ausnahme gilt nur, sofern das Dokument den Eindruck hervorruft, das Original zu sein (aaO Rn. 20). Im Hinblick auf E-Mail-Anhänge differenziert die ganz überwiegende Meinung demgemäß danach, ob sie als originärer Erklärungsträger in Erscheinung treten sollen, oder ob sie lediglich als sekundärer Beleg für die Existenz einer eingescannten Papierurkunde fungieren und damit aus dem Anwendungsbereich des § 269 StGB herausfallen (vgl. OLG Hamburg, Beschluss vom 7. August 2018 – 2 Rev 74/18, aaO Rn. 6 ff.; MK/Erb, StGB, 4. Aufl., § 269 Rn. 25, 33; Schönke/Schröder/Heine/Schuster, StGB, 30. Aufl., § 269 Rn. 14; Kulhanek, wistra 2021, 220, 222; Popp, JuS 2011, 385, 390; vgl. auch LK/Zieschang, StGB, 13. Aufl., § 269 Rn. 24; Graf/Jäger/Wittig/Bär, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, 2. Aufl., § 269 StGB Rn. 14; Wabnitz/Janovsky/Schmitt/Bär, Handbuch Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, 5. Aufl., Kap. 15 Rn. 60; Lackner/Kühl/Heger, StGB, 30. Aufl., § 267 Rn. 7; so wohl auch BGH, Beschluss vom 27. Januar 2010 – 5 StR 488/09 –, juris Rn. 10 ff., 13; a.A. Krell, JZ 2019, 208, 212; Leipold/Tsambiakis/Zöller/Krell, StGB, 3. Aufl., § 269 Rn. 4, der sich grds. für die Urkundeneigenschaft von Fotokopien ausspricht; Nestler, ZJS 2010, 608, 613; unklar, da sich der genaue Charakter des Dokuments nicht aus der Entscheidung ergibt: BGH, Beschluss vom 19. Juni 2018 – 4 StR 484/17 –, NStZ-RR 2018, 308). Die verfahrensgegenständlichen Dokumente werden danach nicht von § 269 StGB erfasst, weil Zeugnisse üblicherweise als Original-Papierdokumente ausgegeben werden, so dass ein entsprechendes PDF-Dokument erkennbar als Reproduktion erscheint.

2. Gleichwohl konnte der Sachrüge der Staatsanwaltschaft ein Erfolg nicht versagt bleiben, weil die Urteilsfeststellungen zur Erstellung der „Totalfälschungen“ unzureichend sind und nicht ausgeschlossen erscheint, dass der Angeklagte sich wegen Urkundenfälschung insbesondre in Form des Gebrauchens strafbar gemacht haben könnte. Dabei spielt es für eine mögliche Strafbarkeit gem. § 267 Abs. 1 Alt. 3 StGB keine maßgebliche Rolle, dass die Unterlagen vorliegend nicht in Papierform, sondern auf elektronischem Weg an die Firma R. übertragen wurden, da auch in dieser Übertragungsform nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs – ähnlich wie bei Telefaxen – ein (mittelbares) Gebrauchmachen von der Urschrift liegen kann (vgl. BGH, Urteil vom 5. Juli 2017 – 1 StR 198/17, juris Rn. 24 mwN). Dies setzt jedoch voraus, dass die erstellten oder verfälschten Schriftstücke die Merkmale einer Urkunde im Sinne des § 267 Abs. 1 StGB aufweisen (BGH aaO). Selbst mit computertechnischen Maßnahmen erstellten Schriftstücken ist mangels Beweiseignung kein Urkundencharakter beizumessen, wenn sie nach außen als bloße Reproduktion erscheinen; sie sind aber dann (unechte) Urkunden, wenn die (veränderten) Reproduktionen Originalurkunden so ähnlich sind, dass die Möglichkeit einer Verwechslung nicht ausgeschlossen werden kann (vgl. BGH aaO).

Ob dies bei den vom Angeklagten verwendeten Schriftstücken der Fall war, ergeben die Urteilsfeststellungen nicht. Ihnen ist lediglich zu entnehmen, dass es sich bei den Zeugnissen um Totalfälschungen handelt, die der Angeklagte mittels eines Computerprogramms anfertigte (UA S. 4). Ob die so gefertigten Unterlagen überhaupt ausgedruckt wurden und dann als Originale erschienen oder aber als Reproduktionen zu erkennen waren, geht aus den Urteilsgründen nicht hervor.“

Wie gesagt: Mal etwas Anderes 🙂