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Urkunde II: Totalfälschung von Bewerbungsunterlagen, oder: Als Email-Anhang versandtes PDF

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Und als zweite Entscheidung kommt dann hier das OLG Celle, Urt. v. 15.12.2023 – 1 ORs 2/23 – mit einem etwas ungewöhnlichen Sachverhalt

In dem Verfahren ist der Angeklagte letztlich wegen Betruges und wegen veruntreuender Unterschlagung iverurteilt worden. Dagegen die Revision des Angeklagten und die der StA. Der Angeklagte begehrt die Aufhebung des Urteils insgesamt, die StA nur wegen des Rechtsfolgenausspruchs.

Das OLG geht von folgenden Feststellungen aus:

„a) Nach den Feststellungen des Landgerichts fertigte der Angeklagte zu einem nicht näher feststellbaren Zeitpunkt vor September 2018 mittels eines Computerprogramms Totalfälschungen von fünf Arbeitszeugnissen sowie von einem Prüfungszeugnis der IHK R.-N., um diese bei Bedarf für Bewerbungen zu verwenden. Er übersandte am 7. September 2018 dem Zeugen W., der Geschäftsführer der Firma R. M. GmbH (im Folgenden: Firma R.) in B. ist, die o.g. Dokumente als E-Mail-Anhang, um sich auf eine Stelle in der Filiale in B. zu bewerben und den Eindruck zu vermitteln, über eine abgeschlossene Ausbildung als Groß- und Außenhandelskaufmann sowie mehrjährige Berufserfahrung im kaufmännischen Bereich zu verfügen, was tatsächlich nicht der Fall war. In der Annahme der Richtigkeit dieser Angaben schloss die Firma R., vertreten durch den Zeugen W., mit dem Angeklagten einen Anstellungsvertrag als kaufmännischer Angestellter; in Kenntnis der wahren Sachlage hätte der Zeuge W. den Vertrag nicht abgeschlossen, was dem Angeklagten bewusst war. In der Folge bezog er ein Gehalt von 2.150 € brutto, erbrachte aber aus Überforderung nicht die arbeitsvertraglich geschuldeten Leistungen (Tat 2a des angefochtenen Urteils).“

Rechtlich hat das LG dieses festgestellte Tathandeln als (Anstellungs)Betrug gewertet. Das hat das OLG, das verschiedene Verfahrensbeanstandungen des Angeklagten nicht hat durchgreifen lassen, beanstandet. Dazu verweise ich auf den verlinkten Volltext

Zur Revision der StA, die auch eine Verurteilung nach 3 269 StGB erstrebt, führt das OLG dann aber aus:

„Die Staatsanwaltschaft beanstandet mit ihrer Revision, dass tateinheitlich zum Betrug nicht auch eine Verurteilung wegen Fälschung beweiserheblicher Daten erfolgt ist.

1. Die bislang getroffenen Feststellungen des Landgerichts tragen jedoch eine Verurteilung des Angeklagten wegen dieses Delikts nicht; eine solche liegt sogar eher fern.

Denn § 269 StGB wurde ausweislich der Gesetzesbegründung geschaffen, um eine Strafbarkeitslücke zu schließen, „die darin besteht, dass nicht sichtbar oder zumindest nicht unmittelbar lesbar gespeicherte Daten mangels visueller Erkennbarkeit strafrechtlich nicht von dem Urkundenbegriff erfasst werden, obwohl sie – ebenso wie Urkunden – zum Beweis im Rechtsverkehr bestimmt sind und zur Täuschung im Rechtsverkehr verwendet werden können“; als Beispiele werden elektronisch geführte Konten oder Register genannt (BT-Drs. 10/318, S. 12). Damit sollte aber keine grundsätzliche Ausweitung des strafrechtlichen Schutzes im Bereich der Verwendung von Reproduktionen von Urkunden verbunden sein (vgl. ausführlich OLG Hamburg, Beschluss vom 7. August 2018 – 2 Rev 74/18, juris Rn. 11 ff.). Dokumente, die nicht als Originalurkunden mit der dadurch verkörperten Garantiefunktion erscheinen, sondern erkennbar als nicht mit den für eine entsprechende Urkunde typischen Authentizitätsmerkmalen versehene Kopien einer vermeintlichen Urkunde, werden daher auch von § 269 StGB nicht erfasst (aaO Rn. 18). Eine Ausnahme gilt nur, sofern das Dokument den Eindruck hervorruft, das Original zu sein (aaO Rn. 20). Im Hinblick auf E-Mail-Anhänge differenziert die ganz überwiegende Meinung demgemäß danach, ob sie als originärer Erklärungsträger in Erscheinung treten sollen, oder ob sie lediglich als sekundärer Beleg für die Existenz einer eingescannten Papierurkunde fungieren und damit aus dem Anwendungsbereich des § 269 StGB herausfallen (vgl. OLG Hamburg, Beschluss vom 7. August 2018 – 2 Rev 74/18, aaO Rn. 6 ff.; MK/Erb, StGB, 4. Aufl., § 269 Rn. 25, 33; Schönke/Schröder/Heine/Schuster, StGB, 30. Aufl., § 269 Rn. 14; Kulhanek, wistra 2021, 220, 222; Popp, JuS 2011, 385, 390; vgl. auch LK/Zieschang, StGB, 13. Aufl., § 269 Rn. 24; Graf/Jäger/Wittig/Bär, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, 2. Aufl., § 269 StGB Rn. 14; Wabnitz/Janovsky/Schmitt/Bär, Handbuch Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, 5. Aufl., Kap. 15 Rn. 60; Lackner/Kühl/Heger, StGB, 30. Aufl., § 267 Rn. 7; so wohl auch BGH, Beschluss vom 27. Januar 2010 – 5 StR 488/09 –, juris Rn. 10 ff., 13; a.A. Krell, JZ 2019, 208, 212; Leipold/Tsambiakis/Zöller/Krell, StGB, 3. Aufl., § 269 Rn. 4, der sich grds. für die Urkundeneigenschaft von Fotokopien ausspricht; Nestler, ZJS 2010, 608, 613; unklar, da sich der genaue Charakter des Dokuments nicht aus der Entscheidung ergibt: BGH, Beschluss vom 19. Juni 2018 – 4 StR 484/17 –, NStZ-RR 2018, 308). Die verfahrensgegenständlichen Dokumente werden danach nicht von § 269 StGB erfasst, weil Zeugnisse üblicherweise als Original-Papierdokumente ausgegeben werden, so dass ein entsprechendes PDF-Dokument erkennbar als Reproduktion erscheint.

2. Gleichwohl konnte der Sachrüge der Staatsanwaltschaft ein Erfolg nicht versagt bleiben, weil die Urteilsfeststellungen zur Erstellung der „Totalfälschungen“ unzureichend sind und nicht ausgeschlossen erscheint, dass der Angeklagte sich wegen Urkundenfälschung insbesondre in Form des Gebrauchens strafbar gemacht haben könnte. Dabei spielt es für eine mögliche Strafbarkeit gem. § 267 Abs. 1 Alt. 3 StGB keine maßgebliche Rolle, dass die Unterlagen vorliegend nicht in Papierform, sondern auf elektronischem Weg an die Firma R. übertragen wurden, da auch in dieser Übertragungsform nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs – ähnlich wie bei Telefaxen – ein (mittelbares) Gebrauchmachen von der Urschrift liegen kann (vgl. BGH, Urteil vom 5. Juli 2017 – 1 StR 198/17, juris Rn. 24 mwN). Dies setzt jedoch voraus, dass die erstellten oder verfälschten Schriftstücke die Merkmale einer Urkunde im Sinne des § 267 Abs. 1 StGB aufweisen (BGH aaO). Selbst mit computertechnischen Maßnahmen erstellten Schriftstücken ist mangels Beweiseignung kein Urkundencharakter beizumessen, wenn sie nach außen als bloße Reproduktion erscheinen; sie sind aber dann (unechte) Urkunden, wenn die (veränderten) Reproduktionen Originalurkunden so ähnlich sind, dass die Möglichkeit einer Verwechslung nicht ausgeschlossen werden kann (vgl. BGH aaO).

Ob dies bei den vom Angeklagten verwendeten Schriftstücken der Fall war, ergeben die Urteilsfeststellungen nicht. Ihnen ist lediglich zu entnehmen, dass es sich bei den Zeugnissen um Totalfälschungen handelt, die der Angeklagte mittels eines Computerprogramms anfertigte (UA S. 4). Ob die so gefertigten Unterlagen überhaupt ausgedruckt wurden und dann als Originale erschienen oder aber als Reproduktionen zu erkennen waren, geht aus den Urteilsgründen nicht hervor.“

Wie gesagt: Mal etwas Anderes 🙂

Einige neue Entscheidungen zum Vereinsrecht, oder: „Institut“, „Centrum“ und USt beim Mitgliedsbeitrag

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Und dann das „vereinsrechtliche Posting“ mit folgenden Hinweisen:

Zunächst der Hinweis auf das LG Dresden, Urt. v. 18.12.2023 – 5 O 578/23 zu dem ich allerdings keinen Volltext einstellen kann. Ich bin auf die Entscheidung über die Berichterstattung in anderen Blogs gestoßen, vgl. u.a. hier. Das heißt es:

„Das LG Dresden hat entschieden, dass die Selbstbezeichnung einer private Bildungseinrichtung, die Online-Weiterbildungskurse für Interior Design und Raumgestaltung anbietet, als „Institut für Innenarchitektur“ irreführend ist, da auf diese Weise der Eindruck erweckt werde, es handele sich um eine Hochschuleinrichtung. Die Bildungseinrichtung hatte die Kursteilnehmer als „Studenten“ und den Unterricht als „Kurs für Innenarchitektur“ bezeichnet. Problematisch sei nicht die Bezeichnung „Institut“ per se, sondern, wenn der gesamte Zusammenhang der Begriffsverwendung auf eine wissenschaftliche Betätigung hindeute. Bei der Fachrichtung Innenarchitektur handele es sich um einen wissenschaftlichen Bildungszweig. Überdies existiere am Sitz der Beklagten eine Universität mit einer Fakultät für Architektur.“

Die Ausführungen könnten ggf. bei der Namensgebunng für einen Verein auch von Bedeutung sein.

Die zweite Entscheidung, auf die ich hinweise, ist dann das OLG Celle, Urt. v. 19.12.2023 – 13 U 26/23. Auch die kann bei der Namensgebung von Bedeutung sein. Der Leitsatz des Entscheidung lautet:

Zur Frage der Irreführung im Sinne des § 5 Abs. 1 UWG durch Verwendung des Begriffs „Zentrum“ in einer Geschäftsbezeichnung, hier: durch einen Augenoptiker und Hörgeräteakustiker mit der Leuchtreklame-Aufschrift „Hörgeräte I Brillen * Zentrum * Hörgeräte I Brillen“ und im Internet mit der Bezeichnung „W. [Eigenname] Zentrum fürs Hören und Sehen“.

Es geht/ging also um die Frage der  Irreführung durch Verwendung des Begriffs „Zentrum“ in einer Geschäftsbezeichnung. Das kann – wie gesagt – auch bei der Namensgebung des Vereins von Bedeutung sein.

Und dann noch das FG Niedersachsen, Urt. v. 10.01.2023 – 11 K 147/22, also Steuerrecht. Es geht in der Entscheidung um die steuerliche Behandlung von Mitgliedsbeiträge. Die sind – sagt das FG – nicht immer umsatzsteuerfrei. Hier die Leitsätze des FG:

1. Mitgliedsbeiträge eines Sportvereins sind steuerbar, wenn ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen der Leistung des Vereins, den Mitgliedern Vorteile wie Sportanlagen zur Verfügung zu stellen, und den Mitgliedsbeiträgen besteht.

2. Mitgliedsbeiträge können ein Entgelt in Form einer Teilnehmergebühr i.S.d. § 4 Nr. 22 Buchst. b UStG darstellen.

3. Die Steuerbefreiung des § 4 Nr. 22 Buchst. b UStG verstößt nicht gegen Unionsrecht, weil sie die Steuerfreiheit nach Art. 132 Abs. 1 Buchst. m MwStSystRL nach neuester BFH-Rechtsprechung dem Grunde nach umsetzt.zu tragen hätte, waren die Kosten dem Kläger ganz aufzuerlegen.

In der Sache ist Revision zum BFH eingelegt. Das Aktenzeichen dort: V R 4/23

Und dieses Posting gibt mir dann mal wieder Gelegenheit zu ein wenig Werbung. Also: <<Werbemodus ein>>. Ich weise hin auf mein Vereinsrecht, 11. Aufl., 2022, das man (auch) hier bestellen kann. <<Werbemodus aus>>

StGB III: Fahrlässige Tötung durch Unterlassen, oder: Übertragung von Verkehrssicherungspflichten

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Und als letzte Entscheidung dann der OLG Celle, Beschl. v. 07.09.2023 – 2 Ws 244/23 – zur (behaupteten) fahrlässigen Tötung durch Verletzung von Verkehrssicherungspflichten.

Das OLG geht von folgendem Sachverhalt aus:

„Die Staatsanwaltschaft hat nach mehrjährigen Ermittlungen am 23.02.2023 Anklage gegen den Angeschuldigten S. sowie die Angeklagte L. S. R. wegen des Vorwurfs der fahrlässigen Tötung durch Unterlassen am 17. und 18.06.2019 sowie im Zeitraum 12.02.2017 bis 18.06.2019 erhoben. In der Anklageschrift wurde folgender Sachverhalt zur Last gelegt:

Am 18.06.2020 kam es auf dem Gelände des W. H., zu einem Unglücksfall, bei dem der elfjährige V. F. D. beim Spielen von einer außerhalb des Spielplatzes auf einem ca. 100 m langen Schienenstrang abgestellten, in eine Sitzbank umgebauten, tatsächlich aber durch Schieben beweglichen, ca. 400 kg schweren Lore überrollt und getötet wurde. Die Lore entsprach gem. des Sachverständigengutachtens vom 24.06.2022 nicht den Vorschriften DIN EN 1176 und wäre mithin nicht als Spielgerät zugelassen worden. V. F. D. hatte zusammen mit 10 anderen Kindern auf bzw. mit der Lore gespielt. Die Kinder schoben die Lore in beide Richtungen, wobei stets einige Kinder auf der Lore saßen und einige Kinder sich vor, neben und hinter der Lore aufhielten. Aus ungeklärter Ursache kam V. F. D. vor der Lore zu Fall und wurde von dieser im Bereich der Brust überrollt. Er erlitt mehrere Frakturen im Brustbereich, wodurch Blut in seine Lungen gelangte und er noch am Unfallort gegen 10:55 Uhr verstarb.

Die Angeschuldigte R. war als angestellte Försterin für die Besucher zuständig, die mehrere Tage in dem W. eingebucht waren. Die 5. Klasse des T.-H.-Gymnasiums aus W. reiste am 17.06.2019 mit 28 Schülern und 2 Lehrern am W. an, um dort eine Woche zu verbringen. Die Einweisung der Lehrer und Schüler in das Gelände des W. erfolgte am 17.06.2019 durch die Angeschuldigte, wobei sie nicht auf die Beweglichkeit und die damit verbundene Gefährlichkeit der Lore hingewiesen hat, obwohl sie von der Fahrbereitschaft gewusst hatte. Die Lore war eindeutig erkennbar nicht mit einem irgendwie gearteten Schutz versehen, der es verhindert hätte, dass Gegenstände oder – wie vorliegend geschehen – Personen unmittelbar vor die Räder geraten und bei fahrender Lore von dieser überrollt werden können.

Die Angeschuldigte hätte das Spielen mit der Lore verbieten, jedenfalls die Lehrer und Schüler auf die Gefährlichkeit des Spielens mit der Lore hinweisen müssen. Hätten die Angeschuldigten die nötigen Hinweise an die Lehrer und Schüler erteilt, wäre es mit an der Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht zu dem Unfall und dem damit verbundenen Tod des V. F. D. gekommen.

Der Angeschuldigte S. war zum Unglückszeitpunkt seit dem 12.02.2017 Leiter des W. und hatte es unterlassen, die Lore, die bereits seit 2013 in der Form auf dem Gelände des W. stand und mindestens seit 2016 als fahrbereites Spielelement genutzt wurde, sicherheitstechnisch überprüfen zu lassen, oder diese Aufsicht an eine andere Person zu übertragen. Das Gelände wurde jährlich durch den Zeugen B. begutachtet, dem jedoch durch den Angeschuldigten in fahrlässiger Weise nicht mitgeteilt worden war, dass die Lore fahrbereit war und in dieser Form zum Spielen von Kindern genutzt wurde.

Hätte der Angeschuldigte die notwendigen Maßnahmen (Überprüfung und Sicherung der Lore) ergriffen oder ergreifen lassen, wäre es mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht zu dem Unfall und dem Tod des Kindes gekommen.“

Nach der Durchführung weiterer Ermittlungen hat das LG Verden mit dem angefochtenen Beschluss hinsichtlich der Angeklagten R. die Anklage zugelassen und das Hauptverfahren eröffnet. Hinsichtlich des Angeschuldigten S. hat es die Eröffnung des Hauptverfahrens aus tatsächlichen Gründen abgelehnt, da er der angeklagten Tat nicht hinreichend verdächtig sei.

Gegen die Ablehnung der Eröffnung des Hauptverfahrens richtet sich die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft  mit dem Ziel, die Zulassung der Anklage und die Eröffnung des Hauptverfahrens auch hinsichtlich des Angeschuldigten S. zu beschließen.

Das Rechtsmittel hatte keinen Erfolg. Ich beschränke mich wegen des Umfangs der Entscheidungsgründe hier auf die Leitsätze. Die lauten:

    1. Bei der Übertragung von Verkehrssicherungspflichten im Rahmen vertikaler Arbeitsteilung hängt der Umfang der verbleibenden Kontrollpflichten für die mit der Überwachung betraute Person davon ab, inwieweit dem Delegaten bei der Ausführung seiner Tätigkeit Eigenverantwortlichkeit zukommt.
    2. Soweit bei komplexen oder besonders gefahrgeneigten Großbauprojekten aufgrund bekannter und besonderer Gefährdungslagen ein strengerer Maßstab an den Umfang der Überwachungs- und Kontrollpflichten angelegt werden kann, ist dieser Maßstab nicht vergleichbar mit Überwachungspflichten, die sich auf die Wahrnehmung allgemeiner Verkehrssicherungspflichten – wie etwa Streupflichten – durch damit betraute Personen auf einem als nicht außergewöhnlich anzusehenden Außengelände beschränken.
    3. Personen, denen innerhalb des Arbeitsverhältnisses die Verkehrssicherungspflicht für ein Außengelände übertragen worden ist, sind von ihrer Verantwortlichkeit nicht hinsichtlich solcher Gefahrenquellen entbunden, die bereits vor ihrem Eintritt in die Verantwortlichkeit durch andere Personen geschaffen worden sind und sich in der Folgezeit nicht realisiert haben.
    4. Es stellt eine Überspannung der Anforderungen an eine mit Überwachungspflichten betraute Person dar, wenn man von ihr auf Grundlage der allgemeinen Gefahrenabwehrpflicht erwarten würde, eine für sie bis dahin gänzlich unbekannte Gefahrenlage zunächst zu ermitteln. Eine Kontrollpflicht beinhaltet gerade nicht, die übertragene Aufgabe selbständig vorzunehmen. Rechtsmittel gegeben (§ 304 Abs. 4 StPO).

StGB II: Vorsätzliche falsche eidliche Versicherung, oder: Irrtum bei der Vermögensauskunft?

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Als zweite Entscheidung heute dann eine Revisionsentscheidung des OLG Celle, und zwar der OLG Celle, Beschl. v. 12.10.2023 – 1 ORs 4/23. Es geht um vorsätzliche falsche Versicherung an Eides Statt.

Das LG hatte folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:

„Nach den Feststellungen des landgerichtlichen Urteils gab der Angeklagte am 27. Oktober 2020 gegenüber der Obergerichtsvollzieherin W. in seiner Wohnung in Z. eine Vermögensauskunft nach § 802c ZPO ab und versicherte nach erfolgter Belehrung über die Strafbarkeit bei vorsätzlich falschen Angaben deren Richtigkeit und Vollständigkeit an Eides Statt.

Die ihm schriftlich in der Vermögensauskunft unterbreitete Frage zu Ziffer 14 über vorhandene Konten, insbesondere Sparguthaben, Gehaltskonten, Geschäftskonten, Girokonten, Paypalkonten und ohne vermögenswirksame Leistungen anzusparenden Bausparverträgen verneinte der Angeklagte zunächst, gab jedoch nachfolgend ergänzend an, über ein derzeit mit einem negativen Saldo von 400 Euro bestehendes Guthabenkonto bei der P. zu verfügen. Ein weiteres vom Angeklagten als Einzelkaufmann genutztes Geschäftskonto bei der Sparkasse R.-O. verschwieg der Angeklagte dagegen. Der Angeklagte nutzte dieses Konto sowohl für Zahlungsabwicklungen im Rahmen seines Gebrauchtwagenhandels als auch für private Zwecke. Dem vor-bezeichneten Geschäftskonto lag eine Kreditrahmenvereinbarung von 10.000 Euro zugrunde, welche der Angeklagte regelmäßig mindestens teilweise in Anspruch nahm. Zum Zeitpunkt der Abgabe der Vermögensauskunft wies das Konto einen negativen Saldo in Höhe von 8.800,04 Euro auf.

Die Frage zu Ziffer 19 nach sonstigen Forderungen, insbesondere solchen aus Kauf- und Darlehensverträgen, Rückerstattungs- und/oder Ersatzansprüchen, Bezugsrechten an/aus Versicherungen, verneinte der Angeklagte ebenfalls bewusst wahrheitswidrig. Tatsächlich war ihm bei Abgabe der Vermögensauskunft jedoch bekannt, dass er eine Zahlung in Höhe von 6.700 Euro von einem Fahrzeugfinanzierer (der B. K. GbR) erwartete. Dem lag ein Finanzierungsgeschäft zum Verkauf eines Personenkraftfahrzeugs zugrunde, welches der Käufer M. zuvor vom Angeklagten erworben hatte. Bereits am 19. Oktober 2020 hatte der Käufer eine entsprechende Anzahlung über 1.500 Euro auf das Geschäftskonto des Angeklagten überwiesen.

Zur Beweiswürdigung hat das Landgericht ausgeführt, dass der Angeklagte den äußeren Sach-verhalt sowie die Höhe des vereinbarten Kreditrahmens eingeräumt habe. Er sei jedoch der Auffassung gewesen, sein Geschäftskonto aufgrund der fortwährenden Überziehung nicht habe angeben zu müssen. Zudem habe es sich um ein Geschäftskonto gehandelt, welches er schon aus betriebswirtschaftlichen Gründen getrennt von seinem sonstigen Vermögen zu unterhalten habe.

Die Feststellungen zu den im Rahmen der Vermögensauskunft getätigten Angaben sowie die zuvor erfolgte Belehrung hat die Kammer auf die Bekundungen der die Vermögensauskunft entgegennehmenden Obergerichtsvollzieherin W. und die auszugsweise Verlesung der vom Angeklagten unterzeichneten Erklärung vom 27. Oktober 2023 gestützt.

Zur subjektiven Tatseite hat das Landgericht ausgeführt, dass der Angeklagte die Existenz des Geschäftskontos nebst eingeräumten Kreditrahmen zum Zeitpunkt der Vermögensauskunft ein-gestanden habe. Die entsprechende Kenntnis werde auch durch mehrere im Rahmen des Onlinebankings am Tattag durchgeführte Verfügungen belegt. Darunter hätten sich auch mehrere negative Buchungen befunden, was für die Kenntnis vom im Zeitpunkt der Erklärung noch nicht ausgeschöpften Kreditrahmen spreche. Dass der Angeklagte sich bei der Abgabe der Auskunft auch über Bestand und Umfang einer unmittelbar bevorstehenden Zahlung in Höhe von 6.700 Euro aus der festgestellten Fahrzeugfinanzierung bewusst gewesen sei, werde durch den am nächsten Tag in entsprechender Höhe eingegangenen Zahlungseingang und mit einer bereits am 19. Oktober 2020 erfolgten Anzahlung im Rahmen desselben Fahrzeuggeschäfts belegt. Soweit der Angeklagte die Trennung von Geschäfts- und Privatkonten als Grund für die unterbliebene Angabe vorgebracht habe, hat die Kammer dies als Schutzbehauptung gewertet, weil die auf dem Geschäftskonto festgestellten Buchungen sowohl geschäftlichen als auch privaten Transaktionen dienten. Die Kammer vermochte hingegen nicht auszuschließen, dass der Ange-klagte der Auffassung war, ein debitorisches Konto nicht angeben zu müssen.

Bezüglich der Fehlvorstellung über die Angabeverpflichtung bezüglich debitorischer Konten sah die Kammer einen vermeidbaren Verbotsirrtum im Sinne von § 17 S. 2 StGB als verwirklicht an und hat den Strafrahmen des § 156 StGB nach § 49 Abs. 1 StGB gemildert.“

Gegen dieses Urteil wendet sich die Revision des Angeklagten, mit der er die Verletzung materiellen Rechts rügt. Aus seiner Sicht sei von der Verpflichtung zur Angabe im Rahmen der Vermögensauskunft nur das aktive Vermögen umfasst. Ein debitorisches Konto sei nur dann anzugeben, wenn der Schuldner von seiner Bank aufgrund einer bestehenden Vereinbarung weiteren Kredit in Anspruch nehmen könne und es sich nicht lediglich um eine geduldete Überziehung gehandelt habe. Das Urteil verhalte sich nicht dazu, ob ein solcher Anspruch bestanden habe. Zudem habe sich der Angeklagte über den Umfang seiner Auskunftspflicht geirrt, was zu einem Vorsatz ausschließenden Tatbestandsirrtum führe. Soweit das Landgericht die Verwirklichung einer falschen Versicherung an Eides Statt wegen fehlender Angabe einer Forderung von 6.700 Euro gesehen habe, sei dies in unzulässiger Weise allein auf den späteren Zahlungseingang gestützt worden. Eine schon zum Zeitpunkt der Abgabe der Versicherung bestehende Rechtsbeziehung werde damit nicht belegt, zumal die Anzahlung für den Fahrzeugkauf auch von einer anderen Person erfolgt sei. Ferner werde eine Einlassung des Angeklagten zu diesem Punkt nicht mitgeteilt.

Die Revision hatte keinen Erfolg.

Hier die Leitsätze zu der OLG-Entscheidung:

    1. Der Schuldner hat im Rahmen der nach §§ 156 und 161 Abs. 1 StGB strafbewehrten Auskunftserteilung nach § 802c ZPO auch solche Konten anzugeben, welche dauerhaft überzogen und mit Schuldzinsen belastet sind (debitorische Bankkonten). Auf die Frage, ob dem Schuldner ein vertraglich vereinbarter Kontokorrentkredit eingeräumt ist oder es sich lediglich um eine geduldete Kontoüberziehung handelt, kommt es nicht an.
    2. Geht der Schuldner im Rahmen der Vermögensauskunft irrtümlich davon aus, dass er bei der Frage über vorhandene Konten solche nicht anzugeben braucht, die ständig im Negativsaldo geführt wurden (debitorische Konten), so handelt es sich nicht um einen Irrtum über Tatum-stände (§ 16 Abs. 1 StGB), sondern um einen Verbotsirrtum (§ 17 StGB).

Anscheinsbeweis beim berührungslosen Unfall, oder: Haftungsverteilung beim berührungslosen Unfall

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Und dann die zweite Entscheidung, die mit dem OLG Celle, Urt. v. 13.12.2023 – 14 U 32/23 – auch vom OLG Celle kommt. Es geht u.a. um die Anwendung der Grundsätze des Anscheinsbeweises bei einem berührungslosen Unfall/Auffahrunfall und um die Haftungsverteilung bei einem berührungslosen Unfall.

Folgender Sachverhalt:

„Der Kläger begehrt die Feststellung, dass die Beklagten zur Zahlung von materiellen und immateriellen Schadensersatz nach einem Verkehrsunfall verpflichtet sind, bei dem er mit seinem Motorrad stürzte und verletzt wurde.

Der Kläger befuhr am 31. März 2021 mit seinem Motorrad in Begleitung seines Sohnes, dem Zeugen A., auf dessen Motorrad die B. Straße (L ) in Richtung H. Vor dem Kläger und seinem Sohn befuhr der Zeuge A1 mit seinem PKW die B. Straße in gleicher Richtung. Die aus Fahrtrichtung des Klägers gesehene Gegenfahrbahn, die die Beklagte zu 1. mit dem bei der Beklagten zu 2. haftpflichtversicherten Fahrzeug der Marke Mercedes befuhr, war im Kurvenverlauf durch einen Müllwagen blockiert, der zu diesem Zeitpunkt von Mitarbeitern des Abfallservice O. GmbH mit gelben Säcken beladen wurde. Die Beklagte zu 1. versuchte, an dem Müllwagen vorbei zu fahren, und wechselte hierzu auf die Fahrbahn des Klägers und des vor ihm fahrenden Zeugen A1. Der Zeuge A1 bremste sein Fahrzeug stark ab, um eine Kollision mit der Beklagten zu 1., die sich noch auf der Fahrbahn des Zeugen befand, zu vermeiden. Auch der Kläger, dessen Motorrad über kein ABS verfügte, machte eine Vollbremsung, geriet dabei ins Rutschen und stürzte. Die Fahrzeuge des Klägers und des Zeugen A1 kollidierten nicht. Der hinter dem Kläger fahrende Zeuge A. konnte sein Motorrad abbremsen, ohne selbst zu stürzen. Die Beklagte zu 1. wendete ihr Fahrzeug bei der nächsten Gelegenheit und fuhr zur Unfallstelle zurück. Die zugelassene Höchstgeschwindigkeit beträgt am Unfallort 70 km/h. Der Kläger, der vom Unfallort mit dem Rettungshubschrauber ins Krankhaus transportiert wurde, erlitt durch den Sturz eine Schulterblattfraktur links, eine Lungenkontusion sowie eine Schürfwunde am linken Knie. Er war infolgedessen bis zum 25. Mai 2021 arbeitsunfähig krankgeschrieben. Mit Schreiben seines Prozessbevollmächtigten vom 08. Juni 2021 forderte der Kläger die Beklagte zu 2. auf, ihre Haftung aus dem Unfallgeschehen vollständig dem Grunde nach anzuerkennen. Die Beklagte zu 2. lehnte jegliche Haftung ab.

Der Kläger hat behauptet, er habe zum Fahrzeug des Zeugen A1 einen ausreichenden Sicherheitsabstand eingehalten. Er sei vor dem Sturz nicht schneller als 70 km/h gefahren. Er sei mit seinem Motorrad gestürzt, weil die Beklagte zu 1. Anlass für seine und die Vollbremsung des Zeugen A1 gegeben habe. Der Kläger war der Ansicht, dass der Unfall für ihn – auch aufgrund des fehlenden ABS – unvermeidbar gewesen sei. Ferner sei sein Motorrad durch den Sturz beschädigt worden und dieser Sachschaden betrage 2.750,00 €. Darüber hinaus seien weitere Kosten für das außergerichtliche Schadensgutachten in Höhe von 698,95 € sowie eine Kostenpauschale von 25 € angefallen. Die Heilbehandlungen des Klägers seien noch nicht abgeschlossen, wie sich aus dem ärztlichen Attest vom 19. Mai 2021 ergebe. Er könne daher seine – materiellen wie auch immateriellen – Schäden nicht abschließend beziffern, so dass ein Feststellungsinteresse bestehe.

Die Beklagten haben behauptet, der Kläger habe bereits zum Fahrzeug des Zeugen A1 keinen ausreichenden Sicherheitsabstand eingehalten und darüber hinaus die zugelassene Höchstgeschwindigkeit überschritten. Die Beklagte zu 1. habe ohne Komplikationen an dem Müllwagen vorbeifahren können. Der Kläger habe daher seinen Sturz durch einen Bremsfehler und das Überschreiten der zulässigen Geschwindigkeit allein verursacht. Eine Haftung der Beklagten bestünde nicht. Zudem bestehe bereits kein Feststellunginteresse. Die Behandlungen des Klägers seien abgeschlossen, so dass ihm eine Bezifferung seiner Schäden möglich gewesen wäre.“

Das LG hat die Klage abgewiesen. Die Feststellungsklage sei zwar zulässig, aber in der Sache unbegründet. Der Kläger habe den Sturz seines Motorrades allein verschuldet. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme sei nicht erwiesen, dass die Beklagte zu 1. risikoreich „überholt“ habe. Eine Gefährdung der anderen Verkehrsteilnehmer durch den Überholvorgang der Beklagten zu 1. sei nicht festzustellen. Nach Würdigung der Angaben der Parteien und der Zeugenaussagen ließe sich zwar weder ein risikoreiches Überholen der Beklagten zu 1. noch ein zu geringer Abstand des Klägers auf das Fahrzeug des Zeugen A1 sicher nachweisen. Es bestünden aber Indizien für ein zu dichtes Auffahren, die sich aus den Schilderungen der Zeugen A. und A1 ergeben würden. Nach Würdigung des Gutachtens lasse sich feststellen, dass durch das Tätigen des Handbremshebels das Vorderrad blockiert und dadurch das Motorrad Stabilität verloren habe. Infolgedessen sei das Motorrad weggerutscht und der Kläger gestürzt. Nach den Ausführungen des Sachverständigen Dipl.-Ing. O. sei jedoch keine zeitliche Kopplung zwischen der Bewegung des Motorrades und dem Fahrzeug des Zeugen A. herstellbar. Der Kläger habe damit den Nachweis der Unvermeidbarkeit nicht geführt. Vielmehr sei aufgrund der Ausführungen des Sachverständigen festzustellen, dass der Kläger den Unfall hätte vermeiden können, wenn er kontrolliert gebremst hätte. Der entstandene Schaden sei ihm daher selbst zuzurechnen.

Dagegen die Berufung, die teilweise Erfolg hatte. Auch hier verweise ich wegen des Umfangs der Gründe wegen der Einzelheiten auf den verlinkten Volltext und stelle hier nur die Leitsätze ein. Die lauten:

    1. Auch bei einem berührungslosen Unfall können die Grundsätze zum Anscheinsbeweis Anwendung finden (ebenso OLG Schleswig, Beschluss vom 17. Februar 2022 – 7 U 144/21, SVR 2022, 302; entgegen OLG München, Urteil vom 7. Oktober 2016 – 10 U 767/16, Rn. 9; OLG Hamm, Urteil vom 9. Mai 2023 – 7 U 17/23, Rn. 51)
    2. Gelingt es einem Verkehrsteilnehmer nicht, rechtzeitig auf eine wahrgenommene Gefahrenlage zu reagieren, und verhindert er lediglich durch einen vorherigen Sturz (hier: als Motorradfahrer) eine Kollision mit dem vorausfahrenden Kraftfahrzeug, spricht wie im Fall einer „Auffahrkollision“ der Beweis des ersten Anscheins für einen schuldhaften Verkehrsverstoß des Hinterherfahrenden.
    3. Wer an einer unübersichtlichen Engstelle vor einer Kurve ein Hindernis (hier: ein haltendes Müllfahrzeug) links umfährt, muss gemäß § 6 Satz 1 StVO den Gegenverkehr sichern und besonders vorsichtig prüfen, ob ein Vorbeifahren den Gegenverkehr behindern würde.