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Auffahrunfall nach Liegenbleiben auf der BAB, oder: Wer haftet wie?

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Für den „Kessel Buntes“ habe ich dnan heute zwei Entscheidungen zum Verkehrszivilrecht vorbereitet.

Ich starte mit dem KG, Urt. v. 13.05.2020 – 25 U 144/19. Es geht um die Frage, der (Mit-)Haftung des Halter eines Fahrzeug, das unfallbedingt auf der Autobahn auf Stand- und rechtem Fahrstreifen liegen bleibt und nur teilweise gesichert ist, für einen Auffahrunfall anderer Fahrzeuge, die sich bei Annäherung an die Unfallstelle ihrerseits sorgfaltswidrig verhalten haben.

Das KG ist von folgenden Feststellungen des ausgegangen:

„Der Fahrer des Ford Mondeo, für den der Beklagte haftungsrechtlich einzustehen hat, verlor bei nächtlicher Fahrt auf der Autobahn aus Unachtsamkeit die Kontrolle über sein Fahrzeug. Das Fahrzeug kam quer zur Fahrtrichtung zwischen Standstreifen und rechtem Richtungsfahrstreifen zum Stehen. Der Fahrer verließ die Unfallstelle, ohne für eine Absicherung zu sorgen.

Der Zeuge pp. bemerkte das querstehende Fahrzeug, stellte sein Fahrzeug vor diesem ab und versuchte nachfolgende Fahrzeuge zu warnen. Kurze Zeit später näherte sich der Geschädigte pp. mit seinem Fahrzeug VW Golf der Unfallstelle auf dem rechten Fahrstreifen und kam dann vor der Unfallörtlichkeit auf dem linken Fahrstreifen zumindest fast zum Stehen. Auf dieses Fahrzeug fuhr der bei der Klägerin haftpflichtversicherte VW Passat, auf der linken Fahrspur mit mindestens 130/140 km/h fahrend, auf.“

Das KG stellt fest, dass das Unfallgeschehen für keinen der Beteiligten unabwendbar war und kommt dann zu folgender Abwägung:

„Da sich das Unfallereignis für keinen der Beteiligten als unabwendbares Ereignis im Sinne von § 17 Abs. 3 StVG darstellt, kommt es für die Haftung der Beklagten gemäß § 17 Abs. 1 StVG auf die Umstände des Einzelfalls an, insbesondere darauf, inwieweit der Schaden vorwiegend von dem einen oder dem anderen Teil verursacht worden ist. Der Ausgleichsmaßstab von § 17 StVG ist eine anderweitige Bestimmung der Ausgleichspflicht im Sinne von § 426 Abs. 1 Satz 1 BGB (vgl. z.B. Greger/Zwickel, Haftungsrecht des Straßenverkehrs, 5. Aufl. 2014, § 36 Rn. 7; Burmann/Heß/Hühnermann/Jahnke/Jahnke BGB § 840 Rn. 33; Geiger in Münchener Kommentar zum StVR, 1. Auflage 2017, § 840 BGB Rn. 29).

Im Rahmen der nach § 17 StVG vorzunehmenden Abwägung der Haftungsanteile ist nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs in erster Linie das Maß der Verursachung von Bedeutung, in dem die Beteiligten zur Schadensentstehung beigetragen haben; das beiderseitige Verschulden ist nur ein Faktor der Abwägung (vgl. z.B. BGH VI ZR 282/10, VersR 2011, 1540; VI ZR 59/97, VersR 1998, 474, 475 m.w.N.).

Wie sich aus obigen Ausführungen ergibt, haben beide Fahrzeugführer den Auffahrunfall durch ihr Fehlverhalten maßgebend mit verursacht. Beide Seiten haften nicht allein aufgrund der einfachen Betriebsgefahr der Fahrzeuge, sondern auch aus Verschulden. Jeder der beiden Verursachungsbeiträge begründete angesichts der Verkehrsverhältnisse auf der Autobahn ein erhebliches Gefährdungspotenzial für andere Fahrzeuge, das sich auch realisiert hat. Der Senat bewertet den Haftungsanteil des klägerischen Fahrzeugs höher, da der dessen Fahrer treffende, vorstehend dargestellte Verursachungsbeitrag und Verschuldensvorwurf schwerer wiegt als der des Fahrers des Ford Mondeo. Dies rechtfertigt eine Haftungsquote von 2/3 zu 1/3 zulasten der Klägerin.

Entgegen der in der Klageschrift vertretenen Ansicht sind die Grundsätze der haftungsrechtlichen Gesamtschau (zu dieser z.B. BGH VI ZR 68/04, VersR 2006, 369) im vorliegenden Fall des Gesamtschuldnerregresses nicht anzuwenden. Diese Grundsätze betreffen zwar den auch hier vorliegenden Fall, dass der Schaden durch mehrere voneinander unabhängige Verursachungsbeiträge entstanden ist. Mit ihnen soll aber ein den jeweiligen Haftungsanteilen gerecht werdendes Ergebnis in dem Fall erzielt werden, dass der Geschädigte, den selbst ein Mitverschulden trifft, einen oder mehrere Schädiger in Anspruch nimmt. Es soll verhindert werden, dass der Geschädigte bei mehreren Schädigern letztlich einen größeren Teil seines Schadens zu tragen hat als es seinem Verursachungsbeitrag entspricht.

Diese Problematik kann im vorliegenden Fall nicht auftreten. Im Verhältnis zu dem Fahrzeug, hinter dem versicherungsrechtlich der Beklagte steht, trifft den Geschädigten keine Mithaftung. An dessen Unfall sowie seinem Verursachungsbeitrag für den Zweitunfall war der Geschädigte in keiner Form beteiligt. Ein Mitverschuldensvorwurf gegen ihn kann sich nur aus dem Verhalten ergeben, das mitursächlich für den ihn schädigenden Zweitunfall gewesen ist. Dieses betrifft aber allein das Verhältnis zu dem bei der Klägerin versicherten Fahrzeug. Wenn dies zu einer Reduzierung der Haftung der Klägerin führt, kommt dies dem Beklagten zu Gute, da sich der von der Klägerin verfolgte Gesamtschuldnerregress nur auf die von ihr entsprechend der sie gegenüber dem Geschädigten treffenden Haftungsquote beziehen kann.“

Auffahrunfall versus Fahrstreifenwechsel, oder: Alleinhaftung

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Im „Kessel Buntes“ heute als erstes der OLG Hamm, Beschl. v. 06.09.2018 – I 7 U 31/18. Es handelt sich um einen Hinweisbeschluss in einer Verkehrsunfallsache.

Die Klägerin macht Schadensersatz nach einem Verkehrsunfall geltend, bei dem sie auf das vor ihr befindlichen Fahrzeug des Beklagten zu 1) auf einer Autobahn aufgefahren ist. Sie selber behauptete, dass der Unfallgegner unmittelbar vor ihr den Fahrstreifen gewechselt und dann stark abgebremst habe, sodass sie einen Auffahrunfall nicht mehr vermeiden konnte. Der Beklagte zu 1) verteidigte sich dagegen mit dem Argument, er habe den Fahrstreifen, auf welchem der Unfall stattgefunden habe, von Anfang an befahren und die Klägerin wäre unachtsam aufgefahren.

Im Laufe des Verfahrens hat das LG ein Sachverständigengutachten eingeholt. Der Sachverständige konnte lediglich feststellen, dass beiden Unfallversionen gleich plausibel wären und ein achsparalleler Anstoß von hinten als Auffahrunfall erfolgt ist. Zugleich konnte er auch feststellen, dass die Klägerin mit ihrem Fahrzeug aufgrund einer scharfen Bremsung im erheblichen Umfang „abgetaucht“ gewesen ist, während bei dem Fahrzeug des Beklagten zu 1) lediglich eine leichte Bremsung stattgefunden hat.

Vor diesem Hintergrund hat das LG Essen die Klage mit dem Argument abgewiesen, gegen die Klägerin würde der Beweis des ersten Anscheins für ein unachtsames Auffahren sprechen und sie habe für die Unfallfolgen allein einzustehen. Dagegen die Berufung der Klägerin, die nach dem Hinweisbeschluss des OLG Hamm keine Aussicht auf Erfolg hat.  Nach Auffassung des OLG ist das LG bei den vorliegenden Anknüpfungstatsachen zutreffend von einem Anscheinsbeweis zu Lasten der Klägerin ausgegangen, bei dem diese entweder zu schnell oder unachtsam gefahren ist bzw. eine nicht ausreichenden Sicherheitsabstand zu dem Beklagten zu 1) als Vordermann eingehalten habe. Dieser gegen sie sprechende Anscheinsbeweis wäre nach dem eingeholten Sachverständigengutachten auch nicht widerlegt.

Die Ausführungen des OLG lassen sich etwa in folgenden Leitsätzen zusammenfassen:

Fährt der geschädigte Anspruchsteller achsparallel auf ein vor ihm befindliches Fahrzeug auf der Autobahn auf spricht erst einmal der Beweis des ersten Anscheins gegen ihn wegen eines schuldhaften Verstoßes gegen § 4 Abs. 1 Satz 1 StVO.

Dies ändert sich nur dann, wenn unstreitig oder erwiesenermaßen der vorrausfahrende Fahrzeugführer vor dem Unfallereignis einen Fahrstreifenwechsel vorgenommen hat. Ist dieser Gesichtspunkt dagegen streitig und nicht bewiesen bleibt es beim Anscheinsbeweis zu Lasten der auffahrenden Partei.

Durch ein leichtes Abbremsen des Vordermanns wird der Anscheinsbeweis, der für ein Verschulden des auffahrenden Fahrzeugführers spricht, nicht erschüttert und es liegt auch kein Verstoß gegen § 4 Abs. 1 Satz 2 StVO vor.

Auffahren auf einen Fahrschulwagen, oder: Gilt der Anscheinsbeweis?

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Und dann heute am letzten Samstag des Jahres der letzte „Kessel Buntes“. In dem mache ich aber nun keinen Jahresrückblcik 🙂 , sondern bringe noch einmal zwei Entscheidungen, und zwar zunächst das LG Saarbrücken, Urt. v. 02.11.2018 – 13 S 104/18 -, auf das ja schon der Kollege Gratz im VerkehrsrechtsBlog hingewiesen hat.

Entschieden hat das LG Saarbrücken eine „Auffahrunfallsituation“, allerdings mit der Besonderheit, dass an dem Unfall ein Fahrschulfahrzeug beteiligt war. Dieses hatte beim Ausfahren aus einem Kreisverkehr unvermittelt strag abgebremst, so dass das dahinter befindliche klägerische Fahrzeug auffuhr. Der Kläger hat die Hälfte seines Schadens geltend gemacht. Das AG hat stattgegeben. Es ist von im Rahmen der Haftungsverteilung von gleichwertigen Verursachungsbeiträgen ausgegangen. Das LG hat das (teilweise) anders gesehen:

„1. Der rechtliche Ausgangspunkt des Amtsgerichts, dass sowohl die Beklagten als auch die Klägerin grundsätzlich für die Folgen des streitgegenständlichen Unfallgeschehens gemäß §§ 7,17 Abs. 1, 2, 18 Abs. 1 StVG i.V.m. § 115 VVG einzustehen haben, weil die Unfallschäden jeweils bei dem Betrieb eines Kraftfahrzeugs entstanden sind, der Unfall nicht auf höhere Gewalt zurückzuführen ist und für keinen der beteiligten Fahrer ein unabwendbares Ereignis im Sinne des § 17 Abs. 3 StVG darstellte, wird von der Berufung nicht in Zweifel gezogen.

2. Das Erstgericht hat in die danach gebotene Haftungsabwägung der wechselseitigen Verursachungs- und Verschuldensanteile gemäß § 17 Abs. 1, 2 StVG einen der Beklagtenseite zuzurechnenden Verstoß gegen § 4 Abs. 1 S. 2 StVO eingestellt, da das Fahrschulauto ohne zwingenden Grund stark abgebremst worden sei. Dies nimmt die Berufung hin.

3. Ferner hat der Erstrichter einen der Klägerin zuzurechnenden Verstoß gegen § 4 Abs. 1 S. 1 StVO aufgrund unzureichenden Sicherheitsabstands zum vorausfahrenden Fahrzeug eingestellt. Dies ist im Ergebnis zutreffend.

a) Nach § 4 Abs. 1 Satz 1 StVO muss der Abstand zu einem vorausfahrenden Fahrzeug in der Regel so groß sein, dass auch dann hinter ihm angehalten werden kann, wenn es plötzlich gebremst wird. Wer im Straßenverkehr auf den Vorausfahrenden auffährt, war in der Regel unaufmerksam oder zu dicht hinter ihm. Dafür spricht der Beweis des ersten Anscheins (BGH, st. Rspr.; vgl. Urteil vom 16.01.2007 – VI ZR 248/05, VersR 2007, 557; Geigel/Freymann, Der Haftpflichtprozess, 27. Aufl., Kap. 27 Rn. 146; Helle in: Freymann/Wellner, jurisPK-Straßenverkehrsrecht, 1. Aufl. 2016, § 4, Rn. 42, jeweils m.w.N.).

b) Der gegen den Auffahrenden sprechende Anscheinsbeweis kann nach allgemeinen Grundsätzen dadurch erschüttert werden, dass ein atypischer Verlauf, der die Verschuldensfrage in einem anderen Lichte erscheinen lässt, von dem Auffahrenden dargelegt und bewiesen wird (BGH, st. Rspr., vgl. Urteil vom 13.12.2016 – VI ZR 32/16, NJW 2017, 1177; vom 16.01.2007 a.a.O. m.w.N.). Soweit dies in Rechtsprechung und Literatur in Fällen in Betracht gezogen wird, in denen dem Auffahrenden der Nachweis gelingt, dass der Vorausfahrende sein Fahrzeug ohne zwingenden Grund stark abbremste (vgl. Helle in: Freymann/Wellner, a.a.O., Rn. 51.1 m.w.N., zur gegenteiligen Auffassung: OLG Karlsruhe, Urteil vom 28. April 2017 – 9 U 189/15, NJW 2017, 2626) kann dies jedenfalls nicht für Unfallsituationen gelten, in denen mit einem abrupten Abbremsen auch ohne zwingenden Grund gerade typischerweise zu rechnen ist.

c) So liegt der Fall hier: Jeder Verkehrsteilnehmer, der einem deutlich als solchen gekennzeichneten Fahrschulfahrzeug folgt, muss mit plötzlichen und sonst nicht üblichen Reaktionen, auch ohne dass sie durch eine vor dem Fahrschulfahrzeug bestehende Verkehrssituation hervorgerufen werden, rechnen und seine Fahrweise darauf einstellen (AG München, Urteil vom 14.06.2005 – 322 C 36909/04; AG Hannover, Urteil vom 05.07.2013 – 417 C 3415/13, AG München, Urteil vom 23.09.1971 – 10 C 2090/70). Denn das grundlose Abbremsen oder auch „Abwürgen“ des Motors gehört zu den typischen Anfängerfehlern eines Fahrschülers. Dementsprechend kann der Umstand, dass der Fahrschulwagen nach den Feststellungen des Erstgerichts vorliegend ohne zwingenden Grund abgebremst wurde, nicht zu einer Erschütterung des Anscheinsbeweises herangezogen werden, weshalb es auf Klägerseite bei dem festgestellten Sorgfaltsverstoß gegen § 4 Abs. 1 S.1 StVO verbleibt.

4. Mit Erfolg wendet sich die Berufung allerdings gegen die Annahme gleichwertiger Verursachungsbeiträge im Rahmen der Haftungsverteilung.

a) Soweit das Amtsgericht von einer hälftigen Mitverursachung beider Seiten ausgegangen ist, würdigt dies die gesonderte Sorgfaltspflicht des hinter dem Fahrschulwagen befindlichen Fahrzeugs nicht ausreichend. Die Verpflichtung, den Sicherheitsabstand zu einem vorausfahrenden Fahrzeug so zu bemessen, dass auch dann hinter diesem gehalten werden kann, wenn plötzlich gebremst wird, trifft grundsätzlich jeden Verkehrsteilnehmer. Vorliegend hatte der Fahrer des klägerischen Fahrzeugs aber zudem besondere Vorsicht walten zu lassen, denn die deutliche Kenntlichmachung von Fahrschulfahrzeugen bei Übungsfahrten dient dem Zweck, auf das insoweit erhöhte Risiko eines unangepassten Fahrverhaltens, vorliegend in Form des unvermittelten Abbremsens ohne zwingenden Grund, hinzuweisen (AG München, a.a.O. – 322 C 36909/04). Anders als in dem vom LG Ellwangen (Urteil vom 15.11.1979 – III S 3/79 (11); VersR 1980, 586) entschiedenen Fall, das eine hälftige Haftungsverteilung angenommen hatte, kann vorliegend nicht davon ausgegangen werden, dass in der streitgegenständlichen Verkehrssituation mit einem abrupten Abbremsen des Fahrzeugs grundsätzlich unter keinen Umständen zu rechnen gewesen wäre. Denn der Ehemann der Klägerin hat bei seiner Vernehmung selbst angegeben, die herannahende Person in einer Entfernung von ca. 4 Metern wahrgenommen zu haben (Bl. 71 d.A.). Eine Reaktion des voranfahrenden Fahrschulwagens auf die sich der Fahrbahn nähernde Person war daher nicht völlig fernliegend und hätte bei der Wahl des Sicherheitsabstands einkalkuliert werden müssen.

b) Andererseits wurde der Fahrschulwagen vorliegend beim Verlassen des Kreisverkehrs und damit an einer Stelle bis zum Stillstand abgebremst, die dem nachfolgenden Verkehr räumlich wenig Reaktionsmöglichkeiten lässt, ggfs. zu einem Anhalten innerhalb des Kreisels zwingt und damit besonders gefährlich ist. Aus diesem Grund tritt die Betriebsgefahr des Fahrschulfahrzeugs hier nicht zurück. Die Kammer hält vielmehr eine Haftungsverteilung von 70 % zu Lasten der Klägerin und 30 % zu Lasten der Beklagten für gerechtfertigt.“

Der Auffahrunfall in der Waschstraße, oder: Wann haftet der Betreiber?

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Author Hydro

Im „Kessel Buntes“ dann heute (endlich) die Waschstraßenentscheidung des BGH, also das BGH, Urt. v. 19.07.2018 – VII ZR 251/17. Gegenstand des Verfahrens ist die Haftung nach einem Auffahrunfall in einer Waschstraße nach Fehlverhalten eines Kunden.

Der Kläger verlangt von der Beklagten Schadensersatz in Höhe von rund 1.220 € wegen einer Beschädigung seines Fahrzeugs in einer Waschstraße, die von der Beklagten betrieben wird. Der Kläger befand sich mit seinem BMW in Waschstraße. Bei dieser handelt es sich um eine vollautomatisierte Anlage, durch die die Fahrzeuge während des Waschvorgangs von einem Schleppband mit einer geringen Geschwindigkeit gezogen werden. Dabei befinden sich die linken Räder auf der Fördereinrichtung, während die rechten Räder frei über den Boden laufen. Vor dem BMW des Klägers befand sich ein Mercedes, hinter dem BMW befand sich ein Hyundai. Während des Waschvorgangs betätigte der Fahrer des Mercedes grundlos die Bremse, wodurch dieses Fahrzeug aus dem Schleppband geriet und stehenblieb, während der BMW sowie der dahinter befindliche Hyundai weitergezogen wurden. Hierbei wurde der BMW auf den Mercedes und der Hyundai auf den BMW geschoben.

Das AG ist von der Haftung des beklagten Anlagenbetreiber ausgegangen und den antragsgemäß verurteilt. Auf die Berufung der Beklagten hatte das LG die Klage abgewiesen. Der BGH hat auf die Revision des Klägers das Urteil des LG aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das LG zurückverwiesen.

Der BGH führt aus: Bei einem Vertrag über die Reinigung eines Fahrzeugs bestehe die Schutzpflicht des Betreibers der Waschstraße, das Fahrzeug des Kunden vor Beschädigungen beim Waschvorgang zu bewahren. Dabei könne allerdings nicht jeder abstrakten Gefahr vorbeugend begegnet werden. Es seien nur diejenigen Vorkehrungen zu treffen, die nach den Umständen erforderlich und zumutbar sind. Die Zumutbarkeit von Sicherungsvorkehrungen bestimme sich dabei unter Abwägung der Wahrscheinlichkeit der Gefahrverwirklichung, der Gewichtigkeit möglicher Schadensfolgen und der Höhe des Kostenaufwands, der mit den Sicherungsvorkehrungen einhergeht (vgl. auch BGH NJW 2006, 2326; NJW 2010, 1967, jeweils m.w.N). Zu den gebotenen Sicherungsvorkehrungen könne auch die Erfüllung von Hinweispflichten gehören.

Nach den nicht zu beanstandenden Feststellungen des LG seien, so der BGH, technische Sicherungsvorkehrungen, die ein Auffahren bei einem Bremsvorgang eines vorausfahrenden Fahrzeugs verhindern, bei Waschstraßen nicht üblich. Zudem sei eine ununterbrochene Überwachung der Anlage, sei es durch den Einsatz von Videoanlagen oder durch Mitarbeiter, die neben dem Schleppband mitlaufen, wegen des damit verbundenen technischen und personellen Aufwands nicht zumutbar und unverhältnismäßig.

Der Schutz der Rechtsgüter der Benutzer erfordere es aber, dass von dem Betreiber der Waschstraße nicht nur die Einhaltung der allgemein anerkannten Regeln der Technik verlangt werde. Seien Schädigungen zu besorgen, wenn die Kunden bei der Nutzung der Anlage – zwar selten, aber vorhersehbar – nicht die notwendigen Verhaltensregeln einhalten, müsse der Betreiber in geeigneter Weise darauf hinwirken, dass kein Fehlverhalten vorkommt. Den Betreiber einer Waschstraße treffe deshalb die Pflicht, die Benutzer der Anlage in geeigneter und ihm zumutbarer Weise über die zu beachtenden Verhaltensregeln zu informieren (vgl. zu einer Wasserrutsche BGH NJW-RR 2005, 251).

Der BGH hat aufgehoben und zurrückverwiesen. Das LG hatte – auf der Grundlage seiner Rechtsauffassung, dass eine Haftung der Beklagten nicht in Betracht kommt – die Einhaltung der entsprechenden Informationspflicht nämlcih nicht geprüft. Ob die Beklagte diese Pflicht erfüllt und den Fahrer des Mercedes entsprechend informiert hat, muss das LG nun nach Zurückverweisung im zweiten Durchgang prüfen.

Auffahrunfall an der Ampel, oder: Der Auffahrende haftet allein

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Es ist Samstag, und da öffne ich ja immer den „Kessel Buntes“. Und in dem findet man heute als erste Entscheidung den OLG Celle, Beschl. v. 07.05.2018 – 14 U 60/18 – zum Sorgfaltsmaßstab beim Abbremsen anlässlich des Umspringens einer Ampel von Grün- auf Gelblicht. Zugrunde liegt der Entscheidung ein Unfallgeschehen, das nicht allzu ungewöhnlich ist. Der Beklagte nähert sich einer Lichtzeichenanlage. Er bremst, als die für ihn von grün auf gelb umschaltet. Zum Stehen kommt der Beklagte 1,5 m hinter der Haltelinie. Der Kläger fährt auf.

Das LG ist von alleiniger Haftung des Klägers ausgegangen. Das OLG bestätigt das in seinem Beschluss:

….Es ist nicht zu beanstanden, dass die Einzelrichterin für das Unfallgeschehen vom 30. November 2015 in W. auf der H. in Höhe der Einmündung zur H. Straße eine alleinige Haftung des Klägers angenommen hat. Der Senat teilt die Erwägungen der Einzelrichterin, auf die zur Vermeidung von Wiederholungen verwiesen wird, nach einer eigenen kritischen Überprüfung vollends. Anders als der Kläger meint, ist der gegen ihn sprechende Anscheinsbeweis nicht erschüttert (im Folgenden 1.). Es war im Rahmen der Abwägung gemäß § 17 Abs. 1 StVG auch geboten, die Betriebsgefahr für das Beklagtenfahrzeug vollständig hinter den Verkehrsverstößen des Klägers gemäß §§ 1 Abs. 2, 4 Abs. 1 S. 1 und 37 Abs. 2 Nr. 1 S. 5 StVO zurücktreten zu lassen (im Folgenden 2.). Verfahrensfehler sind der Einzelrichterin nicht vorzuwerfen; insbesondere war ein Ergänzungsgutachten nicht zwingend erforderlich (im Folgenden 3.).

1. Der gegen den Kläger als Auffahrenden sprechende Anscheinsbeweis ist vorliegend nicht dadurch erschüttert, dass dem Beklagten zu 1) vorgeworfen werden müsste, gegen §§ 1 Abs. 2, 4 Abs. 1 S. 2 StVO verstoßen zu haben. Das Gegenteil ist der Fall. Nach dem Ergebnis der von der Einzelrichterin der 12. Zivilkammer des LG Hannover durchgeführten Beweisaufnahme ist bewiesen, dass der Beklagte zu 1) noch vor der Haltelinie der Ampelanlage zu bremsen begonnen hat, weil diese von grün auf gelb umgesprungen war. Dem steht nicht entgegen, dass das Beklagtenfahrzeug erst 1,5 m hinter der Haltelinie bis zum Stillstand abgebremst worden ist. Gemäß § 37 Abs. 2 Nr. 1 S. 5 StVO ordnet Gelblicht an, vor der Kreuzung auf das nächste Zeichen zu warten. Der Kreuzungsbereich beginnt jedoch nicht an der Haltelinie, sondern erst dort, wo sich die Fahrspuren der Geradeausfahrenden mit denjenigen der Abbiegenden kreuzen [OLG Celle <1 Ss (OWi) 625/77>, Beschluss vom 02.11.1977, Orientierungssatz, zitiert nach juris; OLG Hamm, VRS 56, 383]. Der gesamte innerhalb der Haltelinien liegende Verkehrsraum ist vom Schutzbereich der Norm erfasst [Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 44. Auflage, Bearbeiter König zu § 37 StVO Rn. 8]. Vorliegend hat der Beklagte zu 1) deutlich vor dem gefährlichen Kreuzungsbereich angehalten, nämlich noch vor dem Ende der Linksabbiegerspur (siehe Skizze auf Seite 8 des Gutachtens des Sachverständigen Dipl.-Ing. M. vom 29. August 2017, Anlage zur Akte). Da der Beklagte zu 1) folglich den eigentlichen (gefährlichen) Kreuzungsbereich noch nicht erreicht hatte, war sein Bremsmanöver bis zum Stillstand gemäß § 37 Abs. 2 Nr. 1 S. 5 StVO geboten [vgl. OLG Celle <1 Ss (OWi) 625/77>, Beschluss vom 02.11.1997, Orientierungssatz; KG Berlin <12 U 2354/87>, Urteil vom 23.11.1987, Orientierungssatz; beide zitiert nach juris]. Ihm ist auch kein Verstoß gegen §§ 1 Abs. 2, 4 Abs. 1 S. 2 StVO anzulasten, weil bei einem Umschalten der Ampel von grün auf gelb der Hintermann mit einem plötzlichen abrupten Bremsen des Vorausfahrenden rechnen muss [Hentschel/König/Dauer-König zu § 4 StVO Rn. 16] und der Kraftfahrer bremsen muss, solange der Anhalteweg spätestens bis zum Kreuzungsbereich (siehe oben) ausreicht [ders. zu § 37 StVO Rn. 24 m. w. N.]. Eine nicht gebotene Gefahrenbremsung oder eine in dieser Situation unzulässige besonders starke Bremsung hat der Beklagte zu 1) schon nach dem Vorbringen des Klägers nicht durchgeführt, worauf ihn die Einzelrichterin in dem angefochtenen Urteil (Seite 8 LGU) bereits hingewiesen hat. Es durfte vorliegend dem Beklagten zu 1) nicht zugemutet werden, bei Gelblicht in den Kreuzungsbereich einzufahren, nur um auf die mögliche Unaufmerksamkeit nachfolgender Kraftfahrer Rücksicht zu nehmen.

2. Die Abwägung der Einzelrichterin im Rahmen des § 17 Abs. 1 StVG dahin, dass der Kläger allein haftet und die Betriebsgefahr für das Beklagtenfahrzeug (§ 7 Abs. 1 StVG) vollends hinter den Verkehrsverstößen des Klägers zurücktritt, ist nicht zu beanstanden. Der Kläger hat gegen §§ 1 Abs. 2, 4 Abs. 1 S. 1, 37 Abs. 2 Nr. 1 S. 5 StVO verstoßen, während dem Beklagten zu 1) aus den unter Ziffer 1. gemachten Ausführungen kein Verkehrsverstoß trifft. Der Kläger musste beim Umspringen der Ampel von grün auf gelb mit einem plötzlichen abruptem Abbremsen des Vordermannes rechnen [siehe oben unter Ziffer 1.; BGH, NJW-RR 2007, 680; OLG Karlsruhe, NJW 2013, 1968; KG Berlin, NZV 2003, 42]. Da der Kläger auf eine Ampelanlage zusteuerte, die ausweislich der Lichtbilder im Sachverständigengutachten gut einsehbar gewesen ist, hätte er mit erhöhter Aufmerksamkeit fahren müssen, weil mit einem Umschalten der Lichtzeichenanlage jederzeit zu rechnen war. Da der im vorausfahrende Beklagte zu 1) es noch geschafft hat, sein Fahrzeug ohne Gefahrenbremsung vor dem eigentlichen Kreuzungsbereich anzuhalten, als die Ampel von grün auf gelb umsprang, wäre dies für den Kläger bei der nötigen Aufmerksamkeit gleichfalls möglich gewesen, da er noch weiter von der Lichtzeichenanlage entfernt war. Der Kläger hätte folglich selbst die Pflicht gehabt, vor der Ampel anzuhalten. Unter diesen Umständen erscheint es auch dem Senat gerechtfertigt, die Betriebsgefahr für das Beklagtenfahrzeug hinter dem Sorgfaltspflichtverstoß des Klägers vollends zurücktreten zu lassen [vgl. auch Rechtsprechungsnachweis bei Grüneberg, Haftungsquoten bei Verkehrsunfällen, 15. Auflage, Rn. 118; OLG Karlsruhe <10 U 208/86>, Urteil vom 09.01.1987, Leitsatz, zitiert nach juris].